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An Bord der »Manauense«. Dienstag, den 3. Juli.
Früh 4 Uhr wurde der Anker gelichtet zu einer viertägigen Stromfahrt nach Westen in das Innere von Brasilien hinein. Zuerst musste unsere »Manauense«, das freiere Fahrwasser zu gewinnen, eine Strecke flussabwärts dampfen, dann hatte sie in spitzem Winkel zu wenden, und nun ging der Kurs zunächst südlich und südwestlich den seebreiten Rio Pará hinauf. Hier war der Wasserstand zwischen 10 und 20 Meter. Uns zur Rechten lag die Waldlinie von Marajó, zur Linken die Waldlinie kleinerer Inseln und der bedeutenden Ilha Ilha = Insel. Carnapijú. Wir hatten den Eindruck, nicht auf einem Strome, sondern auf einem riesigen Landsee zu schwimmen. Nach Süden zu liess sich gar kein Ufer unterscheiden, da in dieser Richtung der Blick gerade auf die ungemein breite Mündung des Rio Tocantins traf, eines der mächtigsten Zuflüsse des Amazonas. Der Tocantins hat eine Länge von 2600 km, bleibt also nur wenig hinter der Länge der Donau zurück. Die beiderseitigen Uferlinien des Pará waren so entfernt, dass die Fahrt anfangs nur Langeweile bot. Erst als die Inseln näher traten und das Fahrwasser enger wurde, gewann die Gegend an Reiz. Links sprang die Ilha de Murúmurú, rechts die Ilha de Jararáca weit vor, und es war sehr anziehend, zwischen diesen montrichardia- und palmenbesetzten Ufern, die sich gegenseitig fast berührten, hindurchzusteuern. Als vorherrschende Palme dieser Strecke erwies sich die malerische Mauritia flexuosa Mart., eine der wenigen waldbildenden Palmen Brasiliens. Wir verfolgten nun einen genau westlichen Kurs, hatten im Norden die Insel Marajó, im Süden das Festland zur Seite. Der Dampfer vertiefte sich in eine Welt von Waldinseln. Bald war es ein unabsehbar grosses, bald ein kleines Eiland von wenig Schritten Durchmesser, das sich im Strome lagerte; eines löste das andere ab, eines schob sich coulissenartig hinter das andere. Einzelne dieser Inseln stiegen wie ein Strauss von Palmen entzückend aus dem Wasser empor; sämmtliche charakterisirte ein vollständig flaches Terrain. Die auf der Nordseite unseres Weges, am Südufer von Marajó, gelegene Povoação Povoação = Dorf oder Ortschaft. Das uns als Povoação bezeichnete Curralinho ist nach Macedo (Corographia do Brasil, 34 [publicirt 1873]) eine Villa, d. h. ein Flecken, und nach Baena (Informações sobre as comarcas da Provincia do Pará. 49 [publicirt 1885]) eine Freguezia = Kirchdorf. Curralinho war der allereinzige Ort, den wir den ganzen langen Tag zu Gesicht bekamen. Er bestand aus weiter nichts als einer grossen, hässlichen Kirche in Zopfstil und einigen langen, einstöckigen Gebäuden ohne Fenster, jedoch mit einer Anzahl Rundbogenthüren. Das ganze Kirchdorf war so unschön und nüchtern wie nur möglich, so dass wir unsere Blicke gern wieder auf die einzig schöne Natur lenkten. Nun begannen im Strome einzelne kleine Inseln aus Mururí (Pontederiaceae) zu treiben, aus Wasserpflanzen, deren Blattform in kleiner Ausgabe etwas an die der Montrichardia arborescens erinnerte. Nach Südwesten bot sich durch die breite Mündung des Rio Uanapú wieder eine scheinbar uferlose Stromlandschaft. Dann folgten neuerdings Inseln, diesmal solche, die einen allseitig so breiten Araceengürtel hatten, dass sie auf einem hellgrünen Sammtkissen zu ruhen schienen.
Wir liessen den nach der Stadt Breves führenden Kanal rechts liegen und liefen geraden Wegs links in den Kanal von Tagipurú ein. Dieser Kanal, berühmt als verbindende Wasserstrasse der westlichen und östlichen Amazonasmündung, ist ausserdem berühmt durch seine landschaftliche Schönheit. Hier blieben die Inseln zurück, und der Wald nahm uns auf. Rechts und links, in unserer unmittelbaren Nähe, erhoben sich die tausendfach gebrochenen Waldwände. Die aus der Ferne so einförmige und eintönige grüne Wand, welche höchstens einige Wollbäume (Bombax) überragten, löste sich in zahllose malerische Baumpartien auf. Mauritiagruppen, Bacaba (Ocnocarpus bacaba Mart.) mit ihren hochgestellten Fiederblättern, die kurzstämmigen, lange Wedel entsendenden, üppigen Jubatí (Raphia taedigera Mart.) und andere Palmen wechselten mit lianengeschmückten graziösen, hohen Laubbäumen. Auf einem weit emporragenden halbdürren Ast sass eine leider nicht in Blüthe befindliche Orchidee. Hier und da war dem Urwald ein Würfel freien Platzes abgerungen, und da erhob sich, unter Palmen versteckt, die palmblattgedeckte, primitive Hütte eines Seringueiros oder sonstigen Ansiedlers. Die eine oder andere bestand nur aus einem Dach ohne Wände oder war der Ueberschwemmungen halber auf Pfählen errichtet. Ein Steg führte vom Land in das Wasser hinaus, auf demselben hockten braune Kinder. Es hatten sich da Mamelucos, Mulatten, auch Luso-Brasilianer Unter »Luso-Brasilianer« versteht man die Brasilianer portugiesischer Abkunft. und andere Weisse niedergelassen. Nie befanden sich zwei Hütten bei einander; eine jede Ansiedlung bildete eine Einsiedelei für sich, fern von allen übrigen Ansiedlungen, und hatte nur zu Wasser Verbindung mit der Aussenwelt. In das hier als Vargem bezeichnete Land zweigten sich einzelne Kanäle vom Tagipurúkanal ab. Unsere Wasserstrasse wurde bald enger, bald weiter. Manchmal rückten die Ufer so nahe zusammen, dass man meinte, die Waldwände müssten dem Schiff den Weg versperren, dann entfernten sie sich wieder voneinander, und der Kanal bildete einen bescheidenen See, auf welchem kleine Mauritiapalmen-Inseln schwammen. Reiher standen im seichten Wasser, Möwen stiessen auf Beute herab; graue, schwalbenähnliche Vögel, vermuthlich die zu den Seglern (Cypselidae) gehörigen Chaetura fumosa Sal. schwebten über den Fluthen dahin. Bem-te-ví (Pitangus lictor Licht) Den Namen Bem-te-ví tragen verschiedene Species der Tyrannidenfamilie, doch dürften die heutigen Bem-te-ví, der Art des Vorkommens nach, Pitangus lictor Licht. gewesen sein. und Ciganos (Opisthocomus hoazin Müller), röthlich braune Schopfhühner, die sich von Araceenfrüchten nähren, umflogen das Ufergebüsch. Von den Leuten Maracanã genannte kleine grüne, am Kopf gelb- und rothgezeichnete Papageien, Conurus aureus Gm., Ausser Conurus aureus Gm. wüsste ich am Amazonas keine andere, Maracanã genannte, kleine Papageienart, auf welche obige Personalbeschreibung passen könnte. strichen mit grossem Gekreisch in Schaaren über den Kanal hinweg, und desselben Weges kam etwas später ein einzelnes Papageienpärchen, wohl grüne Araras, gezogen.
Zu Mittag maassen wir heute 29° C. im Schatten, abends 9 Uhr 24° C. Den ganzen Tag gab es keinen Regen zu verzeichnen. Dafür hatte in den frühen Nachtstunden die Luft einen solchen Feuchtigkeitsgehalt, dass z. B. unsere Haare wie aus dem Wasser gezogen sich anfühlten. Ungefähr um 5 Uhr 30 Minuten war die Sonne untergegangen, doch bis es ganz dunkel geworden, hatte es fünf Viertelstunden gedauert. Der Sonnenuntergang auf der stillen, einsamen Waldlandschaft war herrlich gewesen, herrlicher noch war jetzt die Nachtfahrt. Die hohen, dunklen, geheimnissvollen Waldwände begleiteten uns ununterbrochen. Hier und da blitzte ein Licht aus ihrer schwärzlichen Undurchdringlichkeit heraus und spiegelte sich im Strom. Dieser einsame Schein kam aus einer Seringueirohütte. Prachtvoll war die Sternennacht am Himmelszelte aufgezogen, und das Sterngefunkel glitzerte aus den Wassern zurück. Besonders hell erglänzte am Firmament das südliche Kreuz. Aus dem nahen Walde erscholl das nächtliche Thierkonzert der Tropen; Grillen, auch Baumfrösche, Die Baumfrösche (Hylidae) treten nirgends auf der Erde so arten- und individuenreich auf, wie in den Urwäldern Südamerikas. deren weithin hörbare Stimme zu den charakteristischen Nachtlauten in den südamerikanischen Urwäldern gehört, betheiligten sich an dem etwas eintönigen Gesang. Die Nachtfahrt durch den einsamen, menschenleeren, endlosen Wald war unsagbar poetisch und ergreifend. Die unberührte Natur trat uns in ihrer ganzen, überwältigenden Grösse entgegen, durch keinen Hauch der Kultur gestört. Hier lebte, hier wucherte Alles wie es wollte, wie es war, ehe menschliche Wesen der Erde ihren Willen aufgezwungen. Und jetzt, da es Nacht und man gesammelteren Sinnes, sprach der Tropenzauber nur um so mächtiger zu Gemüth. So konnten wir uns nicht satt sehen an all der einzigen Herrlichkeit, standen auf Deck unbeweglich, beobachtend und geniessend. Im Nordosten flammte Wetterleuchten auf und zeichnete in feurigem Schein die schwarzen Umrisse der Baumwipfel. An der gegenüberliegenden Himmelsgegend aber schoss eine einzelne Sternschnuppe herab und verschwand, räthselvoll, auf ewig unerforschbar, hinter der düsteren Urwaldwildniss, welche noch keines Menschen Fuss betreten.
An Bord. Mittwoch, den 4. Juli.
Vor Tagesanbruch hatten wir, seit Pará, schon fast sechshundert Kilometer zurückgelegt und waren, nach Verlassen des Kanals von Tagipurú, an Gurupá und an der Hauptmündung des Xingú vorübergefahren.
Das am Südufer eines Amazonasarmes gelegene Gurupá ist ein unbedeutender Ort, aber interessant als älteste der von den Portugiesen am Strom gegründeten Niederlassungen. Pará ist wohl schon 1616 gegründet worden, doch liegt es nicht an dem vor Allem und unbestritten Amazonas genannten Strom, sondern nur am rechten, häufig angezweifelten Mündungsarm des Amazonas. Siehe das weiter oben S. 10 Gesagte. Dieselbe geht auf das Jahr 1623 zurück und hat ihren Namen von einem ausgestorbenen Indianerstamm, welcher den Tupí zugehörte, der edelsten Indianergruppe Brasiliens. Wie Gurupá, so ist auch der Xingú von Interesse, und zwar in neuester Zeit speciell für uns Deutsche durch die grosse Forschungsreise des preussischen Gelehrten von den Steinen. Der Xingú ist ein gewaltiger Nebenstrom von 2000 km Länge und am Unterlauf von 4-8 km Breite und ist der zweite der grossen von Süden kommenden Zuflüsse des Amazonas, dessen Mündung wir passirten.
Von letzterer an galt es noch eine ganze Strecke Weges zu überwinden, ehe wir in den ungetheilten Amazonas einliefen, der nun in seiner ganzen Mächtigkeit vor uns lag. Ungefähr 7 Kilometer breit wälzte der Strom seine hellbraunen Wasser dem Meere entgegen, zu beiden Seiten von einer niederen Waldlinie begrenzt, aufwärts und abwärts stellenweise, in scheinbar nicht endender Wasserfläche, uferlos an das Firmament angrenzend. Auf dem Strome kamen uns Pontederienwiesen entgegengeschwommen, ebenso ganze Inseln aus Caa-pim (Gramineae). Diese Grasinseln des Amazonas bestehen meist aus Orizeae, Chlorideae und Paniceae (Hooker Journal of Botany, III. 142). Das Einmünden einzelner Furos und Paraná-mirims Siehe weiter oben S. 19. brachte etwas Abwechslung in die sonst eintönige Uferlinie. Der Vegetationscharakter hatte sich etwas geändert, die Mauritiawäldchen waren zurückgeblieben und überhaupt wenig Palmen mehr im strombegrenzenden Waldesdickicht zu bemerken. Bald nach der westlichsten Xingúmündung, der Boca de Urucuricai, zeigte sich der erste Campo, Siehe weiter oben S. 13. – Unter Campos versteht man auch natürliche Wiesen und Weiden schlechtweg. nachdem wir seit Tagen und Tagen keinem waldenblössten Land mehr begegnet. Auch der erste Höhenzug, den wir auf brasilianischer Erde sehen sollten, wurde sichtbar. Es war dies die aus niederen Tafelbergen zusammengesetzte Serra de Jutahy, Die Specialkarte der einzelnen Provinzen aus dem Atlas von Lomellino de Carvalho giebt an dieser Stelle eine Serra de Jutahy an; die auf anderen Karten an dieser Stelle verzeichnete Serra de Parú liegt erst westlich des Rio Para (s. Derby: Contribution to the Geology of the lower Amazonas. [Proceedings of the American philosophical Society, XVIII. 176.]) welche am Nordufer des Amazonas, westlich des Rio Aramucú gelegen ist. Riesige Baumstämme trieben im Strome, und ein malerisches Boot mit gelbrothen Segeln belebte die einsamen Fluthen. Im Uferwalde liessen sich sowohl Bombaceen wie Armleuchterbäume (Cecropia) unterscheiden. Letztere, von denen mehrere Arten am Amazonas vorkommen, fallen durch die steife Stellung ihrer Aeste, ihre Blattarmuth, die helle, fast weisse Es giebt am Amazonas auch eine Cecropiaspecies mit nichtweisslicher Blattunterseite, C. concolor Willd.; doch spricht sie nirgends im Landschaftsbilde mit. Farbe ihrer Blattunterseite und ihr meist geselliges Wachsthum ganz besonders in die Augen. In der Höhe von Almeirim wurde der Strom ungemein breit und grossartig, und machte ganz den Eindruck, ein See zu sein. Almeirim selbst, eine von Aracajúindianern bewohnte Povoação, verschwand bald hinter dem sich vorschiebenden Walde. Die hier, am linken Ufer emporsteigende, aus tertiärem Sandstein bestehende Serra, welche den gleichen Namen trägt wie das Kirchdorf, ist 240 Meter hoch und bis oben hinauf bewaldet. Endlos und einförmig zieht sich der Waldsaum den Strom entlang, dahinter gruppiren sich neben und voreinander die verschiedenen Tafelberge in Gestalt riesiger Dünen.
Wir verliessen hier den an 30 m tiefen Hauptstrom und steuerten, die starke Strömung des letzteren zu vermeiden, in einen südlichen Paraná oder Seitenarm Paraná ist ein Tupíwort und bedeutet Fluss, wird am Amazonas im Sinne von Seitenarm, Nebenarm gebraucht. des Amazonas hinan. Dieser bot mehr Abwechslung als die letzt zurückgelegte Strecke Weges, da in ihm die Ufer näher aneinander gerückt waren als im Hauptarm des Stromes. Auffallend lange, schmale lnselchen, von Grasgürteln eingeschlossen, lagerten im Amazonas. Sie waren nicht mit dichtem, undurchdringlichem Wald bestanden wie die bisher gesehenen, sondern hatten eine so magere Vegetation, dass man zwischen den Bäumen durchblicken konnte. Diese Vegetation setzte sich auch nicht aus hunderterlei Arten von Pflanzen zusammen, wie die Pflanzenwelt der Inseln um Pará, sondern bestand nur aus Aningães, das heisst Wäldchen von Montrichardia arborescens, aus Gebüschen von Salix Martiana Leybold und im Centrum der Eilande aus Ambaúba (Cecropia adenopus Mart.). Auch das Südufer des Stromes schmückten, neben riesigen, schirmförmigen Sumaúmas, die für hier so charakteristischen Cecropien, welche, durch die zum Theil nach oben gekehrte Unterseite ihrer Blätter, sich wie weissblühende Bäume ausnahmen. Im Vargem gediehen Pisanghaine. Palmen fehlten eine lange Strecke ganz, bis schliesslich einige Assaï (Euterpe oleracea Mart.), gleichsam als verlorene Posten, im übrigen Pflanzenchaos erschienen. Ein kleiner grüner Papagei, der uns als Periquito bezeichnet wurde, wohl einer der in Brasilien und Guyana vorkommenden Tirikasittiche (Brotogerys tirica Gm.), Diese Schmalschnabelsittichart wird in vielen Gegenden Periquito verdadeiro genannt. flog am Schiff vorüber. Viele von den Fluthen unterspülte und endlich umgerissene Waldriesen lagen im Wasser, ihre Wurzeln wie hilfesuchend emporreckend. Laubbäume, in der in Tropengegenden charakteristischen Gestalt, bis hoch hinauf astfrei, oben schirmförmig sich ausbreitend und wie mit senkrechten Stricken cipóbehangen, Unter Cipó versteht man nicht nur Schlingpflanzen = Lianen im engeren, sondern auch im weitesten Sinne. (Vergleiche Schenk: Beiträge zur Biologie und Anatomie der Lianen, I. S. 4 und 100 ff.) erhoben sich lebensfrisch neben ihren todten Kameraden. Eine Unmenge Lianen überwucherten die am Ufer stehenden Holzgewächse, eine dichte grüne Laubwand webend, welche in den phantastischsten Formen wasserfallartig von den hohen Laubkronen zur Erde reichte. An einigen Stellen war diese Wand durchbrochen, und blickte man hinein in das geheimnissvolle Urwalddickicht, doch auch dort wieder waren nichts als dichte Waldwände zu sehen. Für das Auge des Beschauers schoben sich diese, durch die Vorwärtsbewegung des Dampfers, wie Coulissen in endlosen Reihen schwindelerregend vor- und hintereinander. Auf dem Strome war es vollständig leblos. Nur ein paar weisse Garças (Ardea [egretta Gm.?]) flogen auf und zogen langsam am Waldsaum dahin; auch zwei kleine grüne Araras mit langen Steuerfedern und, wie mir schien, blaugrünen Flügeln querten unseren einsamen Weg. Der Pilot nannte sie Maracanã und werden es vermuthlich Ara severa L. gewesen sein. Die Stromufer hier waren weit menschenleerer als die Kanäle südlich und westlich von Marajó, wohl weil es hier keine gewinnversprechenden Kautschukbäume auszubeuten gab.
Nun arbeitete unsere »Manauense« wieder im Hauptstrom gegen die gewaltigen Wassermassen mühsam aufwärts. Hinter der horizontalen Waldlinie des nördlichen Ufers entwickelten sich die Höhenzüge der Serras dos Parú in 300 m hohen, zahlreich sich aneinander reihenden Tafelbergen, welche die Tertiärschichten des Amazonasbeckens ausgezeichnet repräsentiren. Einzelne Campos blitzten in hellerem Grün durch den Uferwald der Nordseite des Stromes. Früh 7 Uhr hatten wir eine Temperatur von 25° C. gehabt; bis 11 Uhr war sie auf 26º C gestiegen und bis 1½ Uhr nachmittags auf 28° C. Obwohl man die Wärmegrade somit nicht als sonderlich hoch bezeichnen konnte, ruhte die Luft, bei theilweise bewölktem Himmel, doch bleischwer auf unseren Gliedern, und nur durch einen mitunter aus Westen den Amazonas herabwehenden Luftzug schien uns das Aequatorialklima auf unserer Stromfahrt einigermaassen erträglich. Hier und da furchte mal ein Segelschiff die mächtigen Fluthen, auch fuhr ein Dampfer der einheimischen »Companhia do Amazonas limitada« an uns vorüber. Wir suchten neuerdings die Nähe des Südufers auf, woselbst einige weisse Reiher im Wasser standen. Kreischend zog eine Schaar Papageien, welch letztere uns als Maracanã Mit dem Namen Maracanã bezeichnen die Eingeborenen sowohl einige Arten von Ara und von Conurus, wie vermuthlich ein paar Arten aus anderen Psittacidengattungen, jedoch werden die Conurus leucophthalmus Müll. vom Volke am allgemeinsten Maracanã genannt. bezeichnet wurden, über uns hinweg. Es waren diesmal vielleicht Pavua-Keilschwanzsittiche (Conurus leucophthalmus Müll.), welche im Amazonasgebiet in individuenreichen Schwärmen angetroffen werden. Verschiedene Mungúbas (Bombax Munguba Mart. et Zucc.), den Sumaúmas ähnliche Waldriesen, breiteten ihr Blätterdach am Ufer. Bald rechts, bald links passirten wir an langgestreckten Inseln, welche uns Festlandsufer vortäuschten. Vor uns hatte der Strom keine Landgrenze, die endlose Wasserfläche dehnte sich bis zum fernen Horizonte. Rechts, im Norden, theils unmittelbar am Ufer, theils auf einen Grashügel hinaufgelagert, zeigte sich Prainha mit seinen wenigen, elenden Häusern und seinen schlanken Cocospalmen. Ringsum schloss sich der Wald, so nahe an die Villa Villa, siehe weiter oben S. 58, Anmerk. 1. herangerückt, dass man meinte, er müsse sie über kurz oder lang in seiner Umarmung erdrücken. Drei Kilometer oberhalb Prainha fuhren wir an der igarapégleich schmalen Mündung des Rio Urubuquára vorüber und nun in eine Strecke des Amazonas hinein, welche durch ihre ausserordentliche Breite unsere Bewunderung erregte. Noch sahen wir den pyramidal zulaufenden Monte Alegre, auf welchem der Ort gleichen Namens liegt, noch konnten wir einige kleinere Enten (Nettion brasiliense Briss,) Da diese Enten an unsere Stockenten (Anas boscas Forst.) erinnerten, dürften es wohl Nettion brasiliense Briss. gewesen sein. unterscheiden, welche über den Strom hinstrichen, dann ging das Tagesgestirn unter in prachtvoll glühenden Tinten,
niedertaucht ins Urwaldbett die Sonne Aus dem Gedicht: »Abend am Paraguasu« von Kaiser Maximilian von Mexiko (Aus meinem Leben, VII. S. 277).
und wieder senkte sich die tiefschwarze Tropennacht auf die einzigschönen Gefilde.
Den ganzen Tag war kein Regen gefallen. Abends 9 Uhr hatten wir noch 26° C., so viel wie um 11 Uhr vormittags, und verhiess uns dies wieder eine jener qualvollen, entnervend heissen Nächte, welche zu den grössten Beschwerlichkeiten einer Reise in den Aequatorialgegenden gehören. Wohl waren heute zum ersten Male unsere Hängematten aufgemacht worden, doch rieth man uns dringend ab, als noch nicht Acclimatisirte, dieselben zum Schlafen auf Deck zu benutzen. So sollten wir also wieder unsere Marterkajüten aufsuchen.
Der Tag schloss mit einem von Mitreisenden gelieferten interessanten Bericht über blutsaugende Fledermäuse, deren es ziemlich viele Species in dem an Chiropteren sowohl arten-, wie individuenreichen Brasilien giebt. Die am Amazonas häufigen kleinen Fledermäuse, um welche es sich in diesen Erzählungen handelte, greifen unter Anderem Hühner, Rindvieh und Pferde an. Die Hühner überleben einen solchen Aderlass nicht, und die grösseren Thiere werden durch denselben erschöpft, namentlich weil sich die Blutsauger meistens gleichzeitig zu vielen auf ein Opfer werfen. Aber auch die Menschen bleiben nicht verschont, Avé-Lallemant: Reise durch Nordbrasilien, I. 132. – Bates: The naturalist on the river Amazons, 91, 337. – Wallace: Travels on the Amazon and Rio Negro, 88, 449 a. f. – Goeldi: Os mammiferos do Brasil, 58. und ein brasilianischer Kaufmann, seit Lissabon unser Mitpassagier, versicherte, von solchen Fledermäusen angefallen worden zu sein. Während des Blutentziehens war ihm gar keine Empfindung zum Bewusstsein gekommen, erst nach Aufhören des Saugens hatte er die Bisswunde gefühlt. Man will diese Chiropteren mittelst Laternen oder eines sonstigen Lichtes vertreiben. können, da sie der Helligkeit zufliegen und dann, von ihr betäubt, die Flucht ergreifen sollen. Wallace (Travels etc. 451) hingegen erzählt, dass sie von vornherein das Licht meiden.
An Bord. Donnerstag, den 5. Juli.
Auch heute war es uns wieder beschieden, wie gestern, an zahllosen Inseln vorüberzuziehen und einem nicht endenwollenden Waldsaum entlang zu dampfen, hinter dem sich bald niedere Höhenzüge erhoben, bald eine flache, Hunderte von Meilen breite, nur von wilden Indianern durchstreifte Urwaldwildniss ausdehnte. Und auch heute wieder sollte sich wie alle Tage ein blasser Tropenhimmel über uns ausspannen, nicht ein tiefblaues Firmament, wie wir ein solches in den Alpen oder in Südeuropa und Nordafrika zu sehen gewohnt sind. Denn die Tiefe der blauen Himmelsfarbe hat sich in der gemässigt warmen und subtropischen Zone erschöpft, und für die heissesten Gebiete ist, in Folge des reichlichen Wasserdampfgehaltes der dortigen Luft, nur eine mattere Färbung übrig geblieben.
Gleichwie gestern die Mündung des Xingú, so passirten wir heute vor Tagesanbruch die Mündung des Tapajóz, welch letzterer, nach einer Lauflänge von 1800 km, in der enormen Breite von 15-20 km sich in den Amazonas ergiesst. Wir nahmen hierauf unseren Kurs in den südlichen Arm des Stromes. Während die Inseln an der untersten Strecke des Stromlaufes ausnahmslos mit einem Kranz von Montrichardia arborescens umgeben waren, hatten sie hier, und schon vielfach auf dem gestern durchfahrenen Wege, einen breiten Gürtel von Cana-rana, von dichtstehendem, hellgrünem und, wie sein Name andeutet, schilfrohrähnlichem Grase. Cana (portugiesisch) = Schilfrohr; rana (tupí) = ähnlich. Inmitten dieses Gürtels erhoben sich einzelne Gruppen von Weiden (Salix Martiana Leyb.) und Armleuchterbäumen (Cecropia adenopus Mart.). Ein durchsichtiger Waldsaum lief dem Südufer des Amazonas entlang und liess Campos hinter seiner Pflanzenwand vermuthen. Ebenfalls in dieser Richtung, vom Schiffe aus aber nicht zu sehen, breitete die Lagôa de Campinas, auch Lagôa grande de Villa Franca genannt, ihre von Wildgeflügel besonders belebte, 56 km lange Wasserfläche aus.
Anfangs fehlten im heutigen Landschaftsbilde die Palmen vollständig, dann aber zeigten sich am Stromufer vereinzelte Marajá (Bactris Maraja Mart.) Allem nach waren diese Marajá die Bactris Maraja und nicht das ebenfalls Maraja genannte und ebenfalls in diesen Regionen vorkommende Astrocaryum gynacanthum Mart. und später einige Assaï. Dazwischen waren namentlich zahlreich die gewaltigen Mungúbas (Bombax Munguba Mart. et Zucc.) mit ihren gurkenförmigen rothen Trockenfrüchten vertreten. Auch mehrere Páo-mulato (Calycophyllum Spruceanum Hook. fil.), hohe, schlanke Bäume mit pinienförmig gebreitetem, dunklem Laube und rothem, jährlich sich abrindendem Stamme fielen in die Augen, namentlich da sie gerade im Rindenwechsel begriffen waren. Nicht gleich dem Páo-mulato im Abwerfen der Rinde, wohl aber in dem der Blätter, befand sich eben ein hochgewachsener Apuhy (Clusia insignis Mart.). Eine Vitex triflora Vahl., ein auf die guyanische Flora beschränktes baumförmiges Eisenkrautgewächs, unterbrach durch ihren reichen lila Blüthenschmuck auf angenehme Weise das endlose Waldesgrün. Das unserem Schilfe ähnliche Pfeilgras (Gynerium saccharoides H. B. K.) mit seinen wolligen Rispen bildete an einem Inselufer ein beetförmiges Dickicht. Ein bromeliaceenbesetzter Baum legte sich malerisch über den Strom heraus. Pflanzungen von Bananen (Musa sapientum L.) verriethen die Nähe des Menschen, und bald auch tauchte ein einsames Ansiedlerhäuschen auf. Eine durch Pagaias, Siehe weiter oben S. 9 u. 35. diese hübschen Tellerruder, gelenkte Montaria schwamm auf dem Wasser. Kleine graue, schwalbenähnliche Vögel, sicher Chaetura fumosa Sal., jagten rastlos dahin, eine Ente flog vorüber, ein einzelner Falke stieg in die Lüfte empor und weisse Reiher standen unbeweglich im sumpfigen Nass. Mit Fischen befasste sich ein Uairiramba oder Eisvogel, der, seiner Grösse und dem breiten weissen Ring um den Hals nach, eine Ceryle amazona Lath. gewesen sein musste. Schwärzliche Vögel, in welchen wir Tangurú-pará (Monacha nigrifrons Spix.) vermutheten, waren öfters zu sehen. Ununterbrochen tönte Papageiengekreisch aus dem nahen Walde, und immer wieder flogen Schaaren von Periquitos auf. Die Ansiedlungen mehrten sich. Auf einer Insel lag eine von Murúmurúpalmen (Astrocaryum Murumuru Mart.) beschattete Hütte; auf einer zweiten war ein langer Cacaoal gepflanzt.
Um 10 Uhr fuhren wir an dem 1256 km von Pará entfernten, winzigen Städtchen Obidos vorüber, welches, einst von Pauxisindianern gegründet, jetzt wenig Rothhäute mehr in seine Mauern schliesst. Es ist baumumringt und vor einem dichtbewaldeten Hügel auf einer rothen, tertiären Nach Derby (Contribution to the Geology of the lower Amazonas [Proceedings of the American Philosophical Society, XVIII. 176] und: The Amazonian Upper carboniferous Fauna [The Journal of Geology, II. 482]) ist anzunehmen, dass dieser Sandstein aller Wahrscheinlichkeit nach tertiär ist. – Spruce (Hookers Journal of Botany, II. 196, 230) spricht auch von Sandstein bei Obidos, sagt aber, dass die Stadt auf einer Thonklippe liegt, welche, nach Derby zu schliessen, übrigens ebenfalls tertiären Ursprungs sein müsste. Sandsteinklippe gelegen. Die Bauart der Häuser verräth, gleich der aller bisher am Amazonas gesehenen Orte, wenig Schönheitssinn. Sämmtliche Gebäude, von denen einige sich zum Ufer herabziehen, sind einstöckig, langgestreckt und weiss getüncht, und haben ziemlich flache, ziegelgedeckte rothe Satteldächer.
Mit Obidos, woselbst die Fluthhöhe noch 33 cm beträgt, hatten wir einen sehr interessanten Punkt des Amazonas erreicht. Hier wird der sonst so breite Strom auf 1910 m eingeengt; er hat sich aber hierfür eine Tiefe von 80-120 m gegraben und wälzt seine Wassermassen mit erhöhter Schnelligkeit zu Thal. Die Raschheit des Laufes beträgt an dieser Stelle 1 m in der Sekunde, so dass der Strom per Sekunde zum Mindesten 76 000 cbm und per Stunde die ungeheure Summe von ca. 274 Millionen Kubikmeter Wasser thalwärts wälzt. Moreira Pinto: Apontamentos para o Diccionario Geographico do Brazil, I. 261. Bald hatte unser Dampfer diese auffallend schmale, insellose, reissende Strecke des Amazonas überwunden und konnte wieder kampfloser stromaufwärts ziehen. Am Nordufer zeigten sich waldige Hügel und folgte die Einmündung des Trombetas, welch letzterer einen auf das brasilianische Guyana beschränkten Lauf hat und ein urwaldbedecktes, noch ziemlich unerforschtes, von wilden Indianerhorden unsicher gemachtes Gebiet durchströmt. Dadurch, dass der Trombetas zwischen bewaldeten Ufern in spitzem Winkel seine Wasser dem Amazonas zuführt, konnten wir seine Mündung nicht unterscheiden.
Das Südufer des Hauptstromes nahmen endlose Cacaopflanzungen ein, welche Obidos einen seiner wichtigsten Ausfuhrartikel liefern. Sie wurden hier und da unterbrochen durch einzelne breite, cecropienbesetzte Canaranawiesen, Siehe weiter oben S. 67. durch stolze Mucajá (Acrocomia sclerocarpa Mart. var. Wallaceana Dr.) und Urucurí (Attalea excelsa Mart.), beide Palmen des Etéwaldes, und durch Acacia polyphylla D. C., hohe, schirmartig sich ausbreitende Bäume mit stachelübersätem Stamm und gelben, langen, steifen Blüthenrispen. Im Laufe des Tages bemerkten wir in Wassernähe blühende Magnoliaceen. In Martius: Flora brasiliensis, sind für den Amazonas zwar keine Magnoliaceen angeführt, doch hat auch ein anderer Reisender (Avé-Lallemant: Reise durch Nordbrasilien, II, 110) deren daselbst bemerkt.
Ein mit Tapuios bemanntes Boot segelte auf dem Strom. Ein weisslicher Reiher mit grauen Schwungfedern (Ardea çocoi L.) philosophirte am Ufer, einige Möwen stiessen auf Fische herab und gelbe Tagfalter aus der Gattung Catopsilia, welche durch mindestens sieben Arten am Amazonas vertreten ist, wagten sich vom nahen Lande über das Wasser heraus. An einem Baume hing ein beutelförmiges, schneeweisses Cabanest, d. h. das Nest einer, gemäss der Aussage der Eingeborenen, zwei Centimeter langen Wespe, welche ihrem Nestbau nach in die Gattung Polybia oder Chartergus hineingehören muss.
Bis 2 Uhr nachmittags stieg unser Thermometer auf 29º C, morgens 7 Uhr hatte es auf 26º C, um zehn ein halb Uhr auf 27,75° C. gestanden. Sobald kein Luftzug Kühlung brachte, war die Luft drückend zum Ersticken; man fühlte sich jeglicher Energie beraubt und hatte die Empfindung, aus Hitze krank zu werden.
Seit wir die Mündung des Tapajóz hinter uns gelassen, begleitete uns zur Linken das Gebiet der Mauéindianer. Die Maué sind ein 16 000 Köpfe starker Stamm, welcher zu den unter dem Namen Tupí zusammengefaßten Stämmen gehört und in ziemlich viele Horden zerfällt. Es sind kräftige, wohlgebaute Leute von hellbrauner Hautfarbe, welche den Ruf geniessen, unter allen Indianern die schönsten Frauen zu besitzen. Sie leben in Malocas Maloca bedeutet soviel wie Indianerdorf, Indianerwohnsitz, riesiges indianisches Haus, welches alle Familien eines Dorfes aufnimmt, vor Allem das Dorf etc. nichtchristianisirter Indianer. d. h. Dörfern vereint und sind jetzt fast alle mehr oder minder civilisirt. Trotzdem haben sie manche Nationalgebräuche bewahrt. Sie begraben ihre Todten in hockender Stellung unter ihre Hütten in die Erde, verfertigen Flöten aus menschlichen Röhrenknochen und Trinkschalen aus Menschenschädeln und erproben ihre Tapferkeit durch eine Ceremonie, welche in standhaftem Ertragen unzähliger schmerzhafter Ameisenbisse besteht. Gleich anderen Indianerstämmen haben sie Pagés, das will sagen Heilkunde ausübende Zauberer, welche sehr einflussreich sind und eine Art roher Theokratie vorstellen. Ueber Pagés siehe Verissimo: Revista Amazonica, I. 207 e s. – Mello Moraes: Revista da Exposição Anthropologica Brazileira, p. VI. – Silva Araujo: Diccionario do Alto Amazonas. 146, 149. – Archivos do Museu Nacional de Rio de Janeiro, VI. 128, 163. – Souza: Valle do Amazonas, 97, 98, 273. – Martius: Beiträge zur Ethnographie und Sprachenkunde Amerikas, I. 7, 66, 68, 76 ff., 585 ff. und andere Werke. Obwohl sich die Maué schon seit fast 100 Jahren den Portugiesen unterworfen haben, so begegnen sie den Weissen doch noch misstrauisch, wenn auch nicht feindlich. Sie leben, wie es ihnen gerade gefällt, in Monogamie oder Polygamie, sind kriegerisch, tapfer, stolz und unabhängig, aber schon sehr decimirt. Ihre Waffen bestehen aus Pfeil und Bogen und aus den gefürchteten Sarabatanas oder langen Blaserohren, aus welchen die kleinen, mitunter vergifteten Pfeilchen oft Hunderte von Schritten weit treffen können. Da sie Kahnbauer sind und die Flüsse befahren, wäre es nicht unmöglich, dass die zu Mittag von uns gesehenen segelnden Indianer Maué gewesen sein könnten. Ueber die Maué von mir benutzte Quellen: Mello Moraes: Revista etc., p. 10, 11, 66, 151. – Archivos do Museu etc., VI. 133, 516. – Silva Araujo: Diccionario etc., 202, 260. – Martius; Beiträge etc., I. 400 ff.
Nachmittags bemerkten wir im Amazonas viele werdende Inseln, welche vorläufig noch ausschliesslich oder grösstenteils aus Cana-rana bestanden. Sie machten schon den schüchternen Versuch zum Ansatz magerer Ambaúbawäldchen oder birkenartig feiner Weiden, welche sich zu Gebüschen vereinigten. Ein Magoarý (Ardea çocoi L.), ein äusserst schlanker Reiher mit scheinbar schneeweissem Rücken Der Magoarý hat in Wirklichkeit einen hellgrau gefiederten Rücken: doch machte der Rücken dieses Individuums wohl in Folge dunkler Umgebung den Eindruck, schneeweiss zu sein. belebte einzig die einsame Landschaft. Wir passirten die am Südufer gelegenen unbedeutenden, waldbedeckten Höhen der Serra das Piranhas und der Serra de Parintins. Letztere wird von den Eingeborenen mit abergläubischer Furcht betrachtet, da sie behaupten, nachts aus ihrer menschenleeren Wildniss Glockengeläute erschallen zu hören.
Mit der Serra de Parintins, unmittelbar und steil dem Strome entsteigenden, malerischen Waldhügeln, hatten wir die Westgrenze der Provinz Grão Pará erreicht und waren in die Provinz Amazonas eingetreten, die grösste Provinz des grossen Brasilien. Siehe das weiter oben S. 17 Gesagte. Nachdem die Serra unseren Blicken entschwunden, begann zu beiden Seiten des Stromes die endlose, ununterbrochene Tiefebene sich auszubreiten, welche nach Westen bis Ecuador und Peru reicht, nach Norden bis über den Aequator und nach Süden bis ungefähr zum achten Grad südlicher Breite. Die Campos, wie wir deren vereinzelt in der östlichen, schmäleren Amazonasniederung trafen, haben vollständig aufgehört, und nichts als höchstens durch Flussläufe durchschnittener Urwald bedeckt auf viele Tagereisen vor uns und zur Rechten und zur Linken das ungeheuer ausgedehnte Flachland. Bedenkt man, wie nieder und eben das Terrain ist, und bedenkt man ferner, dass der Strom und seine Zuflüsse bei Hochwasser mindestens 10 m Das Hochwasser des Amazonas selbst erreicht eine Höhe von 8-19 m über den niedrigsten Wasserstand. Siehe Levasseur; Le Brésil, p. 9. über ihren niedersten Wasserstand steigen, so kann man sich vorstellen, welche Ausdehnungsverhältnisse die jährlichen Ueberschwemmungen annehmen müssen. Seen hören auf Seen zu sein, sie werden mit ihren Gewässern hineingezogen in die zu dieser Zeit bis zu ihren Ufern reichenden Stromfluthen, und zwischen manchen Nachbarflüssen ist das Land unter dem Alles begrabenden Hochwasser verschwunden. Die Canoas fahren ungehindert unter dem Laubdache des überschwemmten Urwaldes hindurch, und mit Ausnahme der Vögel hat die Thierwelt sich von den Strom- und Flussufern zurückgezogen, tiefer in die Waldregion hinein und entfernter von den uferlos fluthenden Wassern. Wehe dem Menschen, der um diese Zeit auf einem der Wasserläufe Schiffbruch leidet! Auf Meilen kann er keinen trockenen Fleck Erde erreichen, und gelingt es ihm, die Krone eines aus den Fluthen ragenden Baumes zu erklimmen, so ist er dort, in jenen menschenleeren Regionen, erbarmungslos dem Hungertode preisgegeben. –
Gegen Abend wurde unsere heutige Fahrt noch reizvoller. Am linken Amazonasufer, dem entlang wir steuerten, bemerkte man häufig dem Walde abgerungene, würfelförmige Ausschnitte. In jedem derselben erhob sich neben Bananenpflanzungen eine versteckte, halboffene Palmstrohhütte der Eingeborenen. Zu einzelnen dieser primitiven Wohnhäuser führte vom Stromufer aus ein malerischer Igarapé. Palmen beschatteten die einsamen Niederlassungen. Eine Murúmurú (Astrocaryum Murumuru Mart.) erhob stolz ihre Wedelkrone. Und wieder kam nun, wie gestern, eine Uferstrecke, an welcher die Lianen mit solcher Ueppigkeit wucherten, dass sie eine undurchsichtige, gewellte grüne Wand schufen, die von Haushöhe herab bis zum Wasser reichte. In unendlichen Verschlingungen wuchsen die Pflanzen durch einander bald laubenartig vortretend, bald in phantastischen Gestalten sich aufbauend. Diese Art Vegetationsbild der Tropen ist die sinnbestrickendste, die fesselndste, und jedesmal, wenn sie uns begegnet, hängen unsere Blicke wie festgebannt an ihr.
Papageiengeschrei ertönte von Neuem aus dem Walde; ein Socó, (Nycticorax gardeni Gm.?) flog vorüber. Nach Sonnenuntergang entwickelte sich am Himmel ein Strahlenbündel, welches vom Horizont bis gegen den Zenith zu flammte. Einzelne Feuerfliegen (Pyrophorus noctilucus L.) umschwärmten unser Schiff und schwebten als räthselvolle Leuchten hoch oben am nächtigdunklen Urwald. Das von ihnen ausgehende Licht wirkte viel intensiver als das unserer Leuchtkäfer (Lampyris), es war grösser, bläulicher, blitzender, fast wie das elektrische einer schwachen Bogenlampe. Da die von uns gesehenen Pyrophoren so besonders kräftig leuchteten, vermuthe ich, dass unter den 45 Pyrophorusarten Brasiliens sie die berühmten P. noctilucus L. gewesen sein werden. Diese grössten sämmtlicher Feuerfliegen, welche man von den Antillen bis nach Argentinien hinunter antrifft, gaben früheren Reisenden zu fabelhaften Berichten über ihre Leuchtkraft Anlass. Ich habe einige Jahre später selbst erlebt, dass meine der Tropen unkundigen Reisegefährten in Mexico solche Pyrophoren für Irrlichter hielten, bis ich Gelegenheit hatte, sie über ihren Irrthum aufzuklären.
Zwischen 7 und 8 Uhr erreichten wir das einst Villa Bella da Imperatriz genannte Städtchen Parintins, welches am südlichen Stromufer liegt und noch vor 50 Jahren hauptsächlich von Mauéindianern bewohnt wurde. Auch jetzt scheint das indianische Element daselbst noch ziemlich stark vertreten zu sein. Hier hielt unser Dampfer inmitten des Stromes, einen Trupp Toskaner und Toskanerinnen auszuschiffen, gemüthliche, arbeitsuchende Leute, welche mit uns von Lissabon übergefahren waren. Der Anführer, Dinelli mit Namen und Sohn eines früheren grossherzoglichen Hoffischers in Lucca, hatte schon das zweite Mal die weite Rückreise nach Italien unternommen, einen frischen Nachschub von Landsleuten nach Brasilien herüberzuholen. Es ist dies ein Zeichen, dass diese Italiener in der neuen Heimath ein gutes Fortkommen finden und ihnen auch das mörderische Klima des Amazonas, welches den europäischen Nordländern übel mitspielt, nicht allzuviel anhaben kann.
Das Anhalten von heute Abend war das erste auf unserer ganzen Fahrt stromaufwärts. Somit hatten wir auch zum ersten Male Gelegenheit, beim Stillestehen der »Manauense« zu beobachten, wie stark der Amazonas strömt und mit welcher Gewalt er die Schiffe nach abwärts reisst, so dass z. B. unser Dampfer nur durch unausgesetztes Arbeiten der Maschine sich auf der Höhe von Parintins zu halten im Stande war.
An Bord. Freitag, den 6. Juli.
Gestern zu abendlicher Stunde hörten wir noch das laute Gebrüll der Garibás oder Brüllaffen (Mycetes) Die von uns gehörten Brüllaffen müssen ihrer geographischen Verbreitung nach wohl Mycetes Belzebul L. gewesen sein. Vergl. Pelzeln: Brasilische Säugethiere, S. 3 ff. – Schlegel: Muséum d'Histoire naturelle des Pays-Bas, VII. Monographie, 40. Simiae 150-151. – Wallace: On the Monkeys of the Amazon (Annals of Natural History. Sec. Series, XIV. 451). – Wagner: Beiträge zur Kenntniss der Säugethiere Amerikas (Abhandlungen der mathematisch-physikalischen Klasse der K. Bayr. Akademie der Wissenschaften, V. 414). aus dem Urwald durch die Dunkelheit erschallen, und heute in aller Frühe tönte heftiges Ararageschrei an unser, für solche Naturlaute empfängliches Ohr. Auch andere Vögel liessen im Waldesdickicht ihren mehr oder minder wohlklingenden Gesang ertönen, in welchem wir deutlich den einen Ruf Bem-te-ví Ueber die, sicher nach diesem Ruf Bem-te-ví benannten Vögel siehe weiter oben S. 61 Anm. 2. unterscheiden konnten. Etwas später zeigten sich ganze Schaaren von grauen, schwalbenähnlichen Vögeln, sicherlich wieder Chaetura fumosa Sal., Segler, welche sowohl in Columbien, wie am Amazonas beobachtet worden sind. Gray: Catalogue of the Birds in the British Museum, XVI. 484. Ein schwarzer Gavião (Ibycter ater Vieill.) Da ausser dem Ibycter ater Vieill. kein anderer ganz schwarzer Gavião am Amazonas vorkommt, muss es dieser gewesen sein. stieg stolz in die Lüfte, eine Ente kam schweren Fluges vorbei, und eine Unzahl paarweise fliegender, grasgrüner Papagaios (Chrysotis amazonica Briss.) kreuzte unseren Weg. Längs der Ufer blühten zahlreiche Parica-ranas (Acacia polyphylla D. C.). Wir nahmen den Kurs unglaublich nahe dem Lande, ein Beweis für die Tiefe des Stromes, welcher jetzt als Rio cheio Rio cheio, wörtlich »voller Fluss«, bedeutet somit »hoher Wasserstand«. den Dampfern das Befahren all seiner Paraná-mirims Siehe weiter oben S. 19. ermöglicht. Am linken Ufer wurde der östlichste Zufluss aus dem Lago Saracá bemerkbar; am rechten, hinter einer langen, niederen Landzunge, die Mündung des Furo dos Ramos, einer der verschiedenen schmalen Wasserläufe, welche sich vom Ostarm des Madeira abzweigen. Wir fuhren auf dieser Seite der Ilha de Tupnambarána entlang. Diese Insel, welche eine Länge von circa 300 km hat, ist die zweitgrösste des Amazonasgebietes Sie zerfällt, streng genommen, in drei Inseln, welche jedoch unter dem Namen Ilha de Tupinambarána zusammengefasst sind, ebenso wie auch die verschiedenen, durch Wasserläufe voneinander getrennten Theile von Marajó als eine einzige Insel betrachtet werden. und gehört nicht zu den inmitten des Stromes liegenden und durch ihn geschaffenen Eilanden, sondern zu jenen, die Furos ihren Ursprung verdanken. Siehe weiter oben S. 19. – Siehe auch S. Anna Nery: Le Brésil, 8, und Wappäus: Brasilien, S. 1237. Stromaufwärts und stromabwärts waren von Zeit zu Zeit vermeintliche Luftspiegelungen sichtbar, welche dadurch entstanden, dass sich unmittelbar unterhalb des Ufers ein wellenloser oder anders als der übrige Wasserspiegel beleuchteter Streifen Wassers befand. Dieser nun nahm sich, aus der Ferne beobachtet, im Gegensatz zur übrigen Wasserfläche täuschend gleich einem Streifen Luft, einem Stückchen Himmel aus, und folglich erschien die darüber liegende Strecke Landes wie in die Lüfte gehoben.
Früh, gegen 8 Uhr, war die Temperatur, Dank einem hitzemildernden Winde, sehr angenehm. Die Wärmegrade konnte ich heute nicht feststellen, da gestern meine beiden Thermometer zerbrachen und erst morgen in Manáos, dem Ziele unserer Stromfahrt, dieser Verlust wieder zu ersetzen sein wird.
Neuerdings flogen Manguepapageien (Chrysotis amazonica Briss.) vorüber. Einige Urubús (Oenops [pernigra Bowdl. Sharpe?]) lauerten auf Beute, und hier und da zeigten sich kleinere schwarze Vögel, sicher irgendwelche Icteriden. Gestern Abend 10 Uhr waren wir in den Paraná de Pacoval eingefahren, heute früh 9 Uhr befanden wir uns in dem Paraná de Serpa. Letzterer, der dem Hauptstrom an Breite nur um die Hälfte nachsteht, bespült das nordwestliche Ufer der grossen Ilha de Serpa, indessen die grössere Wassermasse des Amazonas die Insel südlich und östlich umfliesst. Am Uferrand standen fischend eine Menge Alcediniden, unter welchen ich, dem weissen Hals und dem im übrigen grauen Gefieder nach, eine Ceryle torquata L. zu erkennen glaubte, indessen die anderen mit ihren gelblichen Hälsen Rothbäuchig punktirte Eisvögel (Ceryle inda L.) gewesen sein müssen. Auch ein schwarzer Vogel mit einer blauen Querbinde auf seinem Fächerschwanz Ueber diesen Vogel konnte ich nirgends Aufschluss finden. Wenn er nicht einsam geflogen wäre, hätte es einfach ein Madenfresser (Crotophaga) sein können, auf dessen Schwanz ich eine blaue Querbinde zu sehen vermeinte. trieb sich in diesem Paraná herum. Von Zeit zu Zeit wurden einzelne Hütten sichtbar, von Orangen- und Cacaobäumen umgeben. Das Erträgniss solch letztgenannter Bäume lag als grosser Haufen rothgelber Bohnen vor einem der Häuschen aufgeschüttet. Es zeigten sich einzelne Palmen, Assaï, Murúmurú, Pupunha und andere, entweder im Walde, oder, was häufiger war, bei den menschlichen Wohnungen. Im Vergleich zu ihrem reichlichen Vorkommen am untersten Stromlaufe gab es hier fast keine Palmen, und nur an ein paar Stellen unterhalb Serpa erschienen wieder ganze Wäldchen und zwar wildwachsender Murúmurú (Astrocaryum Murumuru Mart.). Wie gestern sahen wir auch heute Páo mulato (Calycophyllum Spruceanum Hook. fil.) am Ufer wachsen, baumförmige Rubiaceen, deren schönes, in der Brennbarkeit der Kohle ähnliches Holz zu Schreinerarbeiten verwendet wird. Noch vor Serpa, oder richtiger gesagt Itacoatiára, kamen wir an der längs des Stromes gelegenen Fazenda Fazenda = Landgut. des Mister Stone vorbei, eines Amerikaners, welcher, nicht wie die meisten Ansiedler, stromaufwärts eingewandert war, sondern stromabwärts, von Peru aus. Er hatte 300 Stück Hornvieh und galt für den grössten Heerdenbesitzer am ganzen Amazonas. In seiner Fazenda, welche auf Terra alta, also erhöhtem Ufer, sich ausbreitete und in Wiesen und Wald zerfiel, konnte man überall Vieh weiden sehen, ein am Amazonas höchst seltener Anblick.
Um zwölf ein halb Uhr mittags stoppte unser Dampfer vor Itacoatiára, einer von einem 22 m hohen Thonerdehügel ganz anmuthig herabgrüssenden kleinen Stadt. Dieses Städtchen, welches wohl von den in seinem Hafen befindlichen altindianischen Felsenmalereien und -skulpturen seinen Namen trägt, Itacoatiára ist ein Tupíname. Itá bedeutet Stein, coatiára bedeutet gemalt. hat eine überwiegend indianische, aus Bruchstücken verschiedener Stämme hervorgegangene Bevölkerung; die rothhäutigen Einwohner Itacoatiáras sind nämlich die Nachkommen von allerhand Indianern, welche die Jesuiten vor ungefähr 200 Jahren in einer Missionsstation vereinigten, und von solchen, welche die Regierung aus irgendwelchen Gründen daselbst ansiedelte. Es waren Individuen aus dem Stamm der Abacachí, welcher südlich des Amazonas sass, Dieser Stamm scheint jetzt verschollen. aus demjenigen der Anicoré, der sich am oberen Madeira herumtreibt, aus der Gemeinschaft der Aponiará, der Curuachiá, Juquí und Tururí, welche dem gefürchteten Stamm der Mura zuzählen, aus den ebenfalls im Madeiragebiet sitzenden Stämmen oder Horden der Barý, Sará und Urupá. Es waren ferner einige Júma, deren am Südufer des Solimões verbreiteter Stamm zu den menschenfressenden gerechnet wird, auch eine Anzahl Irijú vom Rio Branco und andere guyanische Indianer, nämlich Pariquí, welch letztere einer Gemeinschaft entsprossen, die den Ruf hat, wild und tapfer zu sein. Auch ein Theil der Flussräuberei treibenden Tora wurde 1716 der Mission einverleibt; vom Purús kamen Tiari, deren Stamm nun als verschollen gilt; und Martius endlich erwähnt noch Ururiindianer, über welche jedoch nirgends etwas Genaueres zu erfahren ist. Zur Feststellung dieser Volksstämme benutzte Quellen: Silva Araujo: Diccionario do Alto Amazonas. – Moura: Diccionario geographico do Brazil. – Moreira Pinto: Apontamentos para o Diccionario etc. – Ribeiro de Sampaio: Diario da Viagem á Capitania do Rio Negro. – Martius: Beiträge zur Ethnographie etc. Amerikas, I.
Diese verschiedenen indianischen Elemente, seit Jahrhunderten gemischt, weisen nun keine Stammeseigenthümlichkeiten mehr auf, wohl aber den allgemeinen Charakter der indianischen Rasse, und konnten wir, bei unseren Wanderungen durch Itacoatiára, auf der Strasse manch hübschen Indianertypus bemerken. Namentlich an dem Jungen, welcher uns in einer winzigen Montaria an das Land ruderte, war der Charakter des reinrassigen Amazonasindianers deutlich ausgeprägt; er hatte ausser anderen Merkmalen eine Adlernase, auffallend gelbbraune Hautfarbe und straffes schwarzes Haar. Ueber den Typus der unvermischten Amazonasindianer siehe Mello Moraes: Revista da Exposição Anthropologica Brazileira, p. 70. Auf seiner Schulter sass ein grasgrüner Kurzschwanzpapagei, mit bläulichem Kopf, rothem Unterrücken und theilweise blauen Flügeln. Es war dies ein Blaubart (Chrysotis festiva L.), eine Art von Amazonenpapagei, welche hauptsächlich das nördliche Amazonasgebiet bewohnt und von den Indianern, hochgeschätzt, gezähmt zu werden pflegt.
Die Strassen Itacoatiáras, welche wir betraten, glichen nicht denen einer Stadt. Des Pflasters entbehrten sie natürlich gänzlich, aber nicht nur dies, sie ergingen sich ausserdem in bedenklichen Hügeln und Thälern, über und durch welche wir in der sengenden tropischen Mittagssonne stolperten. Unser Kapitän brachte uns zu Mr. Cattle, einem fliessend deutsch sprechenden englischen Kaufmann, dessen Frau Hamburg ihre Heimath nennt. Die Magazine im Hause dieses Engländers enthielten allerhand tropische Rohprodukte, Kautschuk, Cacaosäcke im Nettowerth von à 100 Mk. und manches Andere. Der Hausherr stand gerade im Begriff, mit einer gemietheten offenen Steamlaunch zum Einsammeln von Kautschuk mehrere Wochen auf dem Madeira und seinen Zuflüssen und Paraná-mirims von Hütte zu Hütte zu fahren. Hörend, dass wir an den Amazonas gekommen, möglichst viel von Land und Leuten zu sehen, bot er uns, ihm vollständig Fremden, in zuvorkommendster Weise an, ihn auf seiner Expedition zu begleiten. Und nur die Befürchtung, dem liebenswürdigen Mann, durch unser mögliches Erkranken als noch nicht Acclimatisirte, Ungelegenheiten zu bereiten, vermochte uns das verlockende Anerbieten dankend abzulehnen.
Von Itacoatiára aufwärts nahmen wir den Kurs dem Nordufer entlang, fortwährend durch Paranás. Auf diesen letztgenannten Wasserstrassen waren uns die waldigen Ufer sehr nahe gerückt, näher als wenn wir im Hauptstrom gefahren wären, und konnten wir folglich das Vogelleben besser beobachten. Wir sahen da eine schwarzköpfige Ente mit weissem Hals und schwarzem Schweif und Unterrücken, welche, sofern sie dafür nicht zu gross war, die am Hinterkopf schwarze, an der Kehle weissbefiederte Dendrocycna viduata L. gewesen sein dürfte; einen zweiten Leistenschnäbler, den Alicorne oder Anhuma (Palamedea cornuta L.); den Caracara-i (Ibycter chimachima Vieill.), einen grauen Geierfalken mit hellem Hals; einen kleinen Vogel mit schwarzem Kopf, schwarzen Steuerfedern und blauweissem Rücken, wohl die Tityra cayana L. aus der Familie der Cotingiden; endlich mehrere kleine weiss- und graugefiederte Seeschwalben (Sterna superciliaris Vieill.) im Uebergangskleid, deren dunkle Ohrgegend und dunkler Nackenstreifen aus der Ferne wie ein schmaler schwarzer Ring um den Hals erschienen.
Endlos und eintönig dehnten sich zu beiden Seiten die immer flachen, immer waldigen Ufer. Selten unterbrach eine blühende Pflanze das ewige Grün des Urwaldes, nur ein Tarumástrauch (Vitex triflora Vahl.) hatte hier seine lila Blüthen entfaltet. Hoch oben an einem Baume sass wie eine Astanschwellung das braune Lehmnest einer kleinen gelben Cupií-, das will heissen Termitenart. Cupií ist das Tupíwort für Termite. Nach einer Quelle (Bates: Der Naturforscher am Amazonasstrom, 226) verwenden die baumnesterbauenden Termitenarten Erde zu ihren Bauten, nach anderen Quellen (Pohl und Kollar; Brasiliens vorzüglich lästige Insekten, S. 14. – Linnaea Entomologica, XIV. S. 86, 126, 127) Pflanzentheilchen, wie Blätter und Holz. Eine Fazenda mit ein paar Wiesen und schönem Vieh wurde sichtbar. Nachdem wir die südlich von uns gelegene Cumarú- oder Trinidadinsel passirt hatten, that sich vor unseren Blicken die Mündung des Madeira auf, dieses mächtigsten Zuflusses des Amazonas. Der Madeira, welcher weit nach Bolivien hinaufreicht, hat einen Lauf von 6400 km Länge Levasseur: Le Brésil, p. 10. und übertrifft somit unseren grössten europäischen Strom, die Wolga, an Längenausdehnung fast um das Doppelte. Seine dichtbewaldeten, sumpfigen Ufer sind von allerhand wilden Indianerhorden bewohnt, welche das Reisen, namentlich am oberen Lauf, zu einem lebensgefährlichen gestalten. Auf brasilianischem Gebiet sitzen besonders vielerlei Stämme an den östlichen Quellflüssen, indessen es deren am unteren Stromlauf nicht so viele verschiedene, aber um so bedeutendere und bekanntere giebt. Da sind z. B. die wahrscheinlich zur Gruppe der Karaiben gehörigen Arára, ein noch ganz wildes, kriegerisches Volk, welchem sogar die Menschenfresserei vorgeworfen wird. Die Arára haben keine festen Wohnsitze; man sieht sie auf ihren Streifereien sowohl am Madeira, wie am Xingú. Ihre Erscheinung soll eine vornehme, ihre Hautfarbe eine sehr helle sein.
Mehr als über die Arára weiss man über die ihnen feindlichen Mundurucú, die übrigens nicht nur am Madeira, sondern auch in der Tapajózgegend wohnen. Sie sind einer der kriegerischsten, mächtigsten und intelligentesten Indianerstämme Brasiliens, welcher sich schon im Jahre 1785 der portugiesischen Regierung unterworfen hat und mindestens 18 000 Köpfe stark ist. Er wird nach Markham (Globus XX. S. 200) sogar auf 40 000 Köpfe geschätzt, doch dürften bei dieser Zählung die civilisirten, nicht mehr rassenreinen Mundurucú auch mitgerechnet sein. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind die Mundurucú der grossen Gruppe der Tupí zuzuzählen. Sie werden bald als ganz dunkel, bald als kupferbraun, bald als von noch hellerer Hautfarbe beschrieben, Martius: Beiträge zur Ethnographie etc., I. 387. – Couto de Magalhães: O Selvagem, II. 69. – Archivos do Museu de Rio de Janeiro, VI. 117. was sich dadurch erklären dürfte, dass sie durch Frauen- und Kinderraub sich mit anderen Indianerstämmen vermischen. Archivos do Museu etc., VI. 118, 119, 130, und Gonçalvez Tocantins: Estudos sobro a tribu Mundurucú (Revista do Instituto historico, geographico e ethnographico, XL. p. 84, 93). – Martius (I. c. I. 71), der ebenfalls persönlich bei den Mundurucú gewesen, scheint hingegen anzunehmen, dass keine ehelichen Verbindungen mit solchen Geraubten eingegangen werden. Sie sind schöne Leute, gross und kräftig und zeichnen sich durch Gutmüthigkeit, Fleiss, Ehrlichkeit und Sanftmuth vortheilhaft vor anderen Indianern aus. Sie leben sowohl in einzelnen Hütten wie in Dörfern vereint, treiben etwas Feldbau und etwas Handel. Die civilisirteren, näher dem Amazonas wohnenden, tätowiren sich nicht, umsomehr die weiter im Innern sitzenden, welche wegen ihrer kunstvollen Tätowirung, zu welcher sie vorwiegend blaue Farbe verwenden, berühmt sind. Martius, I. c. I. 387. Wie viele andere Stämme der Amazonasgegend begraben sie ihre Todten in die Erde unter der Hütte. Trotz ihres guten Charakters und ihrer verhältnismässigen Civilisation finden sich bei ihnen unglaublich barbarische Sitten vor. So schaffen sie unheilbare Kranke und sogar ihre hilflosen alten Eltern aus dem Wege. Martius, I. c. I. 393. Uebrigens ist erstere Sitte eine bei vielen Völkern verbreitete, und auch letztere wird häufiger angetroffen als man glauben sollte. Siehe Martius, I. c. I. 126, 393, und Sartori: Die Sitte der Alten- und Krankentödtung (Globus LXVII 107 ff., 125 ff.) Auch tragen sie gleich einzelnen anderen Stämmen die Köpfe erschlagener Feinde als Trophäe mit sich. Zu diesem Zwecke werden aus dem mit einem Bambusrohrmesser vom Rumpf getrennten Feindeskopf Gehirn, Augen, Zähne, Zunge und die meisten Muskeln entfernt und derselbe mit Oel präparirt und geräuchert oder an der Sonne getrocknet. Martius, I. c. I. 392. – Osculati: Esplorazione delle regioni equatoriali, p. 262. – Gonçalvez Tocantins: Estudos etc. (Revista etc., XL. 75, 84, 95). Vergleiche auch die in der ethnographischen Sammlung in München und Wien befindlichen Köpfe. – Barbosa Rodrigues (Mello Moraes: Revista da Exposição Anthropologica Brazileira, p. 39, 40) beschreibt übrigens eine andere Art von Präparirung der Köpfe, welche ungefähr der bei den Jivaro üblichen entspricht. Ueber letztere siehe Colini: Osservazioni etnografiche sui Givari. (Reale Academia dei Lincei, CCLXXX.) Vergleiche wegen der Mundurucú aber auch in Mello Moraes, I. c. die Abbildung p. 28 u. 80. – Nicht nur die Feindesköpfe, auch die Köpfe der Gefallenen des eigenen Stammes werden von den Mundurucú mumifizirt. Siehe Osculati etc., 262, und Gonçalvez Tocantins etc., XL. 130 e s. Wenn ein Krieger zehn solche Köpfe besitzt, ergiebt sich für ihn die Möglichkeit, zum Tuchauá, d. h. Häuptling, erwählt zu werden. Ayres de Cazal: Corographia brasilica, II. 279. Das Tragen eines solchen Kopfes aber berechtigt ihn schon dazu, fünf Jahre lang nicht zu arbeiten und von seinem Stamm während dessen unentgeltlichen Unterhalt zu geniessen. Barbosa Rodrigues: Tribu dos Mundurucús (Mello Morães: Revista etc., 45-46). Wie man uns versicherte, kommt diese Sitte des Mumifizirens jedoch immer mehr und mehr ab, und ist es deshalb schon jetzt sehr schwierig, sich eine derlei Trophäe zu verschaffen.
Neben den, trotz Allem, sympathischen Mundurucú treffen wir am Madeira, aber auch den Ufern des Amazonas und den Solimões entlang, einen Stamm, welcher sich in der ganzen Gegend einen schlimmen Ruf erworben hat. Es sind dies die kürzlich, gelegentlich der Mission von Itacoatiára, erwähnten Mura, ein 12 000 Männer starker Stamm, welcher einst aus Peru eingewandert sein soll und sich in keine der indianischen Hauptgruppen einreihen lässt. Klein von Gestalt, breitschulterig, korpulent, von dunkelkupferbrauner Hautfarbe und wildem Ausdruck, fallen die Mura gegen die übrigen Indianer sofort durch ihre Hässlichkeit auf. Der körperlichen Hässlichkeit gesellt sich die des Charakters zu. Der Mura ist grausam, faul, diebisch und räuberisch; er lebt unregelmässig, zieht landlos ohne Dach und Fach umher und flieht die Civilisation. Die meisten Mura wohnen in Canoas, leben vom Fischfang und von den Früchten des Waldes und sind gefürchtete Flusspiraten. Einige von ihnen haben sich angesiedelt und verdingen sich sogar auf kurze Zeit als Arbeiter. Die Mura gelten als die schlimmsten, und die nomadischen unter ihnen noch überdies als die tiefststehenden aller Amazonasindianer. Sie werden von den anderen Stämmen verachtet und verfolgt. Gleich vielen sonstigen Indianergemeinschaften pflegten sie früher die Unterlippe durchbohrt zu tragen und gleich den Mundurucú und Maué begraben sie, entgegen den meisten anderen Stämmen, ihre Todten nicht zusammengekauert in Urnen, sondern legen dieselben einfach in die Erde unter ihre Hütte, welch letztere sie von diesem Moment an verlassen. Ihre Pfeile sind nicht vergiftet wie die der Mundurucú, haben aber scharfe Spitzen aus Bambusrohr oder mehrere Widerhaken. Ihre Bogen zeichnen sich durch besondere Länge aus und werden beim Spannen mit dem einen Ende am Boden aufgestellt.
Bald nach der im Süden sichtbar gewordenen Madeiramündung zeigte sich am Nordufer des Amazonas auf erhöhtem Terrain das erste Muradorf. Dieses Dorf, welches nur aus einigen strohgedeckten Lehmhäusern besteht, trägt den Namen São José de Matari und ist die Residenz des Tuchauá Siehe vorhergehende Seite. der rohen Murahorde. Silva Araujo: Diccionario etc., 200, 208. Kurz vor Sonnenuntergang bot sich uns wieder eine Strecke weit eine der schon öfters erwähnten feenhaften Urwaldscenerien mit weit über das Wasser vorstehenden, lianenbehängten und -umstrickten hohen Bäumen. Wundervoll wölbte sich der rothe Abendhimmel über dem friedlichen Bilde. Später fuhren wir durch einen Paraná, in welchem die dunklen Waldufer so nahe zusammenrückten, wie im Kanal von Tagipurú. Eine Unzahl Feuerfliegen (Pyrophorus) blitzten im Walde zwischen den Baumzweigen auf, und das tausendstimmige nächtliche Urwaldkonzert hatte seinen Anfang genommen. Das war ein Knarren und ein Schnalzen Das Knarren und Schnalzen waren die Stimmenäusserungen verschiedener Froschlurche; ersteres dürfte vielleicht den in tiefem Bass trillernden, Bufo marinus L. genannten Riesenkröten zugehört haben, letzteres vermuthlich Knackfröschen (Hyla crepitans Wied), jenen über das nördliche und mittlere Brasilien verbreiteten Hyliden, deren knackende oder hämmernde Stimme sehr charakteristisch ist. in den verschiedensten Zusammenstellungen, ein Zirpen und ein Schrillen, welches durcheinander tönte und sich abwechselte, dass das Ohr des Menschen verwundert lauschte ohne zu ermüden. Nur eine charakteristische Thierstimme fehlte in dem wunderbaren Tongemälde, das Brüllen des Ochsenfrosches (Hyla boans Daud.), Dieser 7 cm lange Laubfrosch, der auf das östliche Südamerika beschränkt zu sein scheint, ist nicht zu verwechseln mit dem nord- und mittelamerikanischen Ochsenfrosch (Rana catesbiana Shaw). welches uns jedoch der indianische Pilote durch sein geschicktes Nachahmen zu ersetzen trachtete.
Unter diesem echt tropischen Schlummerliede suchten wir unser heisses Lager auf, für längere Zeit zum letzten Male auf dem König der Ströme, denn schon in wenig Stunden sollte unsere »Manauense« in den Rio Negro hineindampfen.