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Herr Esmond fand es weder geraten, sich bei Hofe zu verabschieden, noch die ganze Welt der Weinstuben und Kaffeehäuser davon zu benachrichtigen, daß er England zu verlassen gedenke. Er betrieb seine Abreise im Gegenteil auf die denkbar unauffälligste Art. Doktor Atterbury verschaffte ihm einen Paß, der auf einen Franzosen lautete und in Lord Bolingbrokes Kanzlei gestempelt war, ohne daß der Staatssekretär selbst irgendwie behelligt wurde. Seinen treuen Diener Lockwood hatte er in Castlewood zurückgelassen. Er verbreitete in London, daß er sich krank fühle und in Hampshire Landluft genießen wolle, und reiste ganz im stillen ab.
Da er ohne den Beistand von Frank Castlewood seinen Plan nicht ausführen konnte, so wandte er sich zuerst nach Brüssel. Er kam auf seinem Wege durch Antwerpen, wo der Herzog von Marlborough als Verbannter lebte. In Brüssel fand er seinen lieben jungen Vetter, den Ehemann, seiner ehelichen Ketten etwas überdrüssig und durch die hartnäckigen Umarmungen seiner Clotilda an jeder Bewegung gehemmt. Oberst Esmond wurde ihr nicht vorgestellt, wohl aber Monsieur Simon, ein Offizier vom Regiment der Royal Cravat. Esmond hatte bei der Wahl des Regiments an den braven Irländer gedacht, mit dem er am Tage nach Malplaquet Zwiesprache hielt, gerade als ihm der junge König zum erstenmal vor Augen kam. Monsieur Simon wurde der Gräfin Castlewood, geborenen Komtesse Wertheim, vorgestellt, den zahlreichen Grafen, ihren Brüdern, ihrem Vater, dem Kammerherrn, und ihrer Mutter, der Gräfin, einer großen majestätischen Dame von ungeheurem Leibesumfang, wie es bei der Stammutter einer solchen Kompanie kriegstüchtiger Grenadiere nur in Ordnung war. Die ganze Sippe lebte in einem kleinen Schlosse bei Brüssel, das Frank gemietet hatte, ritt auf seinen Pferden, trank seinen Wein und führte auf Kosten des armen Jungen ein sehr herrschaftliches Dasein. Herr Esmond hatte die französische Sprache immer vollkommen beherrscht, und wenn die Familie Wertheim, die Französisch mit flämischem Akzent sprach, irgend etwas Fremdartiges in Monsieur Simons Aussprache entdecken sollte, so ließ sich das auf seinen langen Aufenthalt in England schieben, wo er sich verheiratet und ohne Unterbrechung gelebt hatte, seit er bei Blenheim gefangengenommen wurde. Seine Geschichte erfüllte ihren Zweck vollkommen. Außer dem ehrlichen Frank war niemand da, der sie anzweifeln konnte, und der war entzückt von dem Plan seines Vetters, als er ihm mitgeteilt wurde. Er hatte Oberst Esmond immer treu und liebevoll bewundert und ihn für den weisesten und besten aller Vettern und Männer gehalten. Frank war mit ganzer Seele bei der Unternehmung, um so mehr, als sie ihn nach Paris entführen und seinen Schwägern und Schwiegereltern entrücken sollte, deren Aufmerksamkeiten ihm recht lästig waren.
Wir haben schon früher erzählt, daß Castlewood im selben Jahre geboren wurde wie der Prinz von Wales, ihm in Zügen, Gestalt und Größe nicht unähnlich war; und besonders, seit er den Chevalier de Saint George letzthin gesehen hatte, schmeichelte ihn die Ähnlichkeit mit einer so erlauchten Persönlichkeit nicht wenig. Er versuchte sie mit allen Mitteln, die ihm zu Gebote standen, noch zu betonen und trug hellbraune Perücken und Schärpen und Bänder in der Farbe des Chevalier de Saint George.
Diese Ähnlichkeit war auch der Umstand, auf den Esmond seinen Plan gründete. Nachdem er sich der Begeisterung und Verschwiegenheit Franks versichert hatte, verließ er ihn und setzte seine Reise fort, um die anderen Personen aufzusuchen, von denen der Erfolg seines Unternehmens abhing. Monsieur Simon reiste zunächst nach Bar in Lothringen; er führte einen Posten feiner Tuche mit sich, wertvolle Spitzen aus Mecheln und Briefe an den Korrespondenten seiner Handelsfirma.
Wollt ihr wissen, wie ein Prinz, der Abkomme eines Königsgeschlechts, über dem ein Verhängnis zu schweben schien wie über dem alten Geschlecht der Atriden, beschäftigt war, als der Gesandte, welcher sich durch Gefahr und Hindernisse den Weg zu ihm gebahnt hatte, zum ersten Male vor seine Augen trat? Der junge König spielte in einer Flanelljacke mit den Herren seines Gefolges Tennis und schrie und fluchte hinter den Bällen her wie der geringste seiner Untertanen. Das damalige Vorzimmer des Königs, an dessen unwürdiger Tür Männer anklopfen mußten, um bis zu Seiner Majestät vorzudringen, war Fräulein Oglethorpe. So trug denn Monsieur Simon, als er den König zum zweiten Male zu sehen wünschte, ein Paket Spitzen für diese Dame unter dem Arm. Er wurde zugelassen. Er fand den König und die Mätresse zusammen beim Kartenspiel, und seine Majestät war berauscht. Es war ihm mehr um drei Asse als um seine drei Königreiche zu tun, und ein halbes Dutzend Gläser Likör ließen ihn all seine Leiden und Verluste, seines Vaters Krone, seines Großvaters gefallenes Haupt vergessen.
Es war nicht der Augenblick, um sich dem Fürsten zu eröffnen. Seine Majestät war nicht in der Verfassung, Herrn Esmond anzuhören. Es kamen ihm Zweifel, ob ein König, der so viel trank, ein Geheimnis in seinem berauschten Kopf festhalten könne, oder eine Hand, die so zitterte, stark genug sein werde, um nach einer Krone zu greifen. Schließlich aber wurde nach mancher Unterhandlung mit den Ratgebern des Prinzen, unter denen viele ehrliche und treue Männer waren, der Plan des Obersten dem König vorgelegt, natürlich im Beisein ihrer augenblicklichen Majestät Königin Oglethorpe. Der Prinz war sehr für das Unternehmen eingenommen; es war leicht und verwegen und ganz nach dem Sinn des lebhaften, tollkühnen jungen Herrn. Am Morgen, wenn er den Wein ausgeschlafen hatte, war er immer sehr heiter und liebenswürdig. In seiner Art lag ein außerordentlicher, mutwilliger Zauber und eine freundliche Einfachheit, und Ihrer Oglethorpischen Majestät müssen wir die Gerechtigkeit widerfahren lassen, zu erwähnen, daß sie gutherzig, klug, entschlossen und von vernünftiger Einsicht war. Sie gab ihm viele gute Ratschläge, die er zu schwach war zu befolgen, und sie liebte ihn mit einer Treue, die er mit echt königlichem Undank belohnte.
Oberst Esmond war nicht frei von allerlei heimlichen Ahnungen über das Gelingen seines Planes und erfüllt von düsteren Zweifeln, ob er seinem Vaterlande einen Dienst damit erweisen werde, wenn er ihm einen betrunkenen jungen Monarchen zuführte. Von solchen Gedanken bewegt, nahm er seine Abschiedsaudienz, und der stille Monsieur Simon reiste weiter. Jedenfalls aber war der Jüngling von Bar ebenso gut wie der ältere Prätendent in Hannover. Kam es zum Schlimmsten, so konnte man mit dem Engländer ebenso leicht fertig werden wie mit dem Deutschen. Monsieur Simon ritt den langen Weg von Nancy nach Paris und sah verstohlen und als der Spion, der er war, diese berühmte Stadt, wo mehr Pracht und mehr Elend, mehr Spitzen und mehr Lumpen, mehr Geld und mehr Schmutz zusammengehäuft sind als in irgendeiner anderen Stadt der Welt. Er setzte sich dort mit dem berühmten Herzog von Berwick in Verbindung, dem Halbbruder und besten Freund des jungen Königs. Esmond erkannte in ihm den Fremden wieder, der vor nun beinahe zwanzig Jahren Gast in Castlewood gewesen war. Seine Gnaden wurde vertraulich, als er erfuhr, daß Herr Esmond zu Webbs tapferem Regiment gehöre, das er früher selbst geführt hatte. Er war Schwert und Schild der Familie Stuart; seine Ehre war fleckenlos bis auf den einen Makel seiner Geburt, den ihm seine Mutter, die Schwester Marlboroughs, hinterlassen hatte. Wäre Berwick seines Vaters Erbe gewesen, so hätte ein Jakob der Dritte längst auf dem englischen Thron gesessen. Er konnte wagen, ertragen, zugreifen, reden und schweigen. Feuer und Genie hatte er wohl nicht; aber sonst fehlten ihm keine von den besten Eigenschaften eines Führers. Der Herzog kannte Esmonds Vater und seine Geschichte und machte eine Andeutung, die den Obersten zu der Annahme bewog, er sei von allen ihren Details unterrichtet. Aber Esmond ließ sich nicht weiter darauf ein, und der Herzog drängte ihn auch nicht. Herr Esmond sagte nur: »Wenn ein Größerer zu seinem Namen kommt, so werde auch ich dazu kommen.«
Als der Oberst nach Saint-Germain ging, um der Königin seine Aufwartung zu machen, wurde er in der Ansicht bestärkt, daß der Herzog von Berwick über seinen Fall Bescheid wisse. Ihre Majestät nämlich redete ihn im Lauf des Gesprächs einmal mit dem Titel Marquis an. Er überbrachte der Königin die ergebenen Grüße ihres Patenkindes und der Dame, welche von Ihrer Majestät in den Tagen ihres Glanzes freundschaftlich geliebt worden war. Sie erinnerte sich lebhaft an Rachel Esmond, hatte auch von dem Übertritt des jungen Lord Castlewood gehört und war sehr erbaut über diesen Gnadenakt des Himmels. Sie wußte, daß andere Glieder dieser Familie auch der alleinseligmachenden Kirche angehört hatten. »Ihr Vater und Ihre Mutter, Monsieur le Marquis«, sagte Ihre Majestät. Monsieur Simon verneigte sich tief und erwiderte, er habe an der leiblichen Eltern Statt andere Beschützer gefunden, die ihn einen anderen Glauben gelehrt hatten. Für sie alle aber gebe es nur einen König. Daraufhin geruhte Ihre Majestät, ihm eine vom Papst gesegnete Medaille zu überreichen, die in ähnlichen Fällen wie dem seinen schon Wunder gewirkt habe, und ließ sich herab, zu versprechen, sie werde für die Bekehrung des Herrn Esmond und der Familie Castlewood beten. Das hat die fromme Dame gewiß getan; aber Herr Esmond muß nach nunmehr siebenundzwanzig Jahren gestehen, daß er bis zur Stunde nicht die leiseste Wirkung weder der Medaille noch der Gebete auf seine religiösen Überzeugungen verspürt hat.
Die Wunder von Versailles erblickte Monsieur Simon nur als bescheidener Zuschauer aus der Ferne. Er ließ sich nicht bei Hofe vorstellen und hat den alten König Ludwig nur einmal gesehen, wie er in den Park ging, um seine Karpfen zu füttern.
Mittlerweile war Mylord Castlewood in Paris eingetroffen, und die Londoner Zeitungen verkündeten alsbald, daß Lady Castlewood von einem Sohn und Erben entbunden sei. Sie war noch lange nachher bei sehr zarter Gesundheit, und die Ärzte verboten ihr zu reisen. Sonst war es bekannt, daß Mylord die Absicht gehabt hatte, nach England zurückzukehren und in seinem Schlosse Wohnsitz zu nehmen.
Während seines Aufenthaltes in Paris ließ sich Mylord von dem berühmten französischen Maler Rigaud porträtieren. Seine Mutter in London sollte das Bild zum Geschenk haben, und Monsieur Simon nahm es mit sich, als er im Mai des Jahres 1714 dorthin zurückkehrte. Nicht lange nachher trafen Lady Esmond, ihre Tochter Beatrix und ihr Verwandter, der Oberst, der in Castlewood bei ihr zu Besuch geweilt hatte, in London ein; Mylady bezog ihr Haus in Kensington, Herr Esmond seine Junggesellenwohnung in Knightsbridge. Er erschien alsbald wieder in der Öffentlichkeit, und es machte den Eindruck, als ob seine Gesundheit durch den langen Aufenthalt auf dem Lande sehr gestärkt sei.
Das Bildnis von Mylord wurde in einem schönen vergoldeten Rahmen am Ehrenplatz von Myladys Salon aufgehängt. Mylord war in seiner scharlachroten Uniform als Hauptmann der Garde gemalt, in hellbrauner Perücke, einen Brustharnisch unter dem Rock, einer blauen Schärpe und einem Brüsseler Spitzenkragen. Viele von den Freunden Myladys bewunderten das Bild über alle Maßen und strömten herbei, es zu sehen. Bischof Atterbury, Herr Lesly, der gute alte Herr Collier und manche andere von der Geistlichkeit waren entzückt davon, und viele Personen von höchstem Rang besichtigten und lobten es. Doktor Tusher allerdings, der zufällig nach London kam und das Bild sah, erklärte, er könne keinerlei Ähnlichkeit zwischen ihm und seinem alten Schüler entdecken, es sei denn die Perücke und etwas um das Kinn herum. Das Gemälde war gewöhnlich durch einen Vorhang verdeckt; als aber der Doktor eintrat, stand gerade Fräulein Beatrix davor, in seinen Anblick versunken. Wir machten dem guten Tusher klar, daß er Frank seit mehr als fünf Jahren nicht gesehen habe, daß er von Kunst nicht mehr verstehe als ein Ackerknecht und daß er sich irren müsse; und so entließen wir ihn vollkommen überzeugt von der sprechenden Ähnlichkeit des Bildes. Lord Bolingbroke, der Mylady ab und zu mit seinem Besuch beehrte, brach in lautes Lachen aus, als Oberst Esmond ihm das Gemälde zeigte, und fragte, was für eine Teufelei er damit vorhabe. Esmond gab ohne weiteres zu, es sei nicht das Porträt des Grafen Castlewood. Er beschwor den Sekretär bei seiner Ehre, das Geheimnis zu wahren, sagte ihm, die Damen des Hauses seien begeisterte Anhänger der Stuarts, wie ja jedermann wisse, und bekannte, das Original des Bildes sei der Chevalier de St. George.
Die Entstehung des Gemäldes war folgende: Monsieur Simon hatte eines Tages den Grafen Castlewood aufgesucht, als er dem Maler Rigaud in seinem Atelier Modell saß. Dort hatte ihn ein unfertiges Bildnis des Chevaliers, von dem nur der Kopf vollendet war, sehr frappiert, und er hatte es dem Künstler für hundert Kronen abgekauft. Wie dieser erzählte, war es für die Mätresse des Prinzen, Fräulein Oglethorpe, bestimmt gewesen. Da aber die junge Dame Paris verlassen hatte, war er damit sitzengeblieben. Zu Hause hatte Oberst Esmond, alias Monsieur Simon, die Uniform und sonstigen Nebensachen von dem fertigen Porträt des Grafen Castlewood kopiert, um die unvollendete Leinwand Rigauds auszufüllen. Der Oberst hatte sich sein ganzes Leben lang viel mit Malen beschäftigt, besonders während seines langen Aufenthalts in Flandern zwischen den Meisterwerken von Rubens und Van Dyck. Wir haben das Bild jetzt hier in Virginia.
Es war Anfang Juni gewesen, als Mylady mit ihrer Tochter in London ankam. Fräulein Beatrix nahm ihren Dienst bei Hofe von neuem auf, der durch das schreckliche Ende des Herzogs Hamilton eine Unterbrechung erfahren hatte. Sie erschien wieder im Gefolge Ihrer Majestät und an der Tafel der Hofdamen und war, wie immer, der Liebling von Frau Masham, der bevorzugten Dame der Königin. Diese Zuneigung schrieb sich wohl zum Teil von dem gemeinsamen Groll gegen die Herzogin von Marlborough her, welche von der Hofdame ebensowenig geliebt wurde wie von ihrer Rivalin in der königlichen Gunst, Frau Masham. Die Herren am Hofe, darunter Lord Bolingbroke, erklärten, Fräulein Esmond sei schöner denn je und der ernste, feierliche Ausdruck, den ihr Gesicht jetzt unwillkürlich trug, stehe ihr besser als die frühere lachende Schalkhaftigkeit.
Die ganze Dienerschaft des kleinen Hauses in Kensington war gewechselt worden. Der alte Haushofmeister, der seit der Geburt der Kinder, also ein Vierteljahrhundert lang, der Familie gedient hatte, wurde nach Irland geschickt, um die dortigen Besitzungen Mylords zu beaufsichtigen. Die Haushälterin, die seit Menschengedenken in Myladys Diensten war und schon ihre Kinder gewartet hatte, ging brummend nach Walcote, um die Instandsetzung des dortigen Hauses zu überwachen. Die Gräfin-Witwe beabsichtigte, dort künftig Wohnsitz zu nehmen und Castlewood ihrer Schwiegertochter zu überlassen, die man jeden Tag von Frankreich erwarten konnte. Eine andere Dienerin der Gräfin wurde mit einer Vergütung aus dem Dienst entlassen unter dem Vorwand, daß Ihre Gnaden leider genötigt sei, die Zahl der Dienerschaft einzuschränken. So blieb schließlich niemand mehr aus der Zeit zurück, in der der junge Lord noch im Hause weilte.
Der Plan des Oberst Esmond forderte, daß so wenig Menschen als möglich in das Geheimnis eingeweiht wurden. Außer ein paar Mitgliedern seiner Familie wußten nur wenige darum, und diese wenigen bewahrten unverbrüchliches Schweigen.
Am 1. Juni 1714 kam aus Paris ein Brief des Grafen Castlewood an seine Mutter. Er teilte ihr mit, er habe sich sehr töricht in Geldsachen benommen. Er müsse zu seiner Schande eingestehen, daß er beim Spiel verloren und sich auch anderer Verschwendungen schuldig gemacht habe. Statt in diesem Jahre, wie er gehofft, in Castlewood auf großem Fuße leben zu können, müsse er sich so still halten als möglich und sehr sparsam sein. So weit war jedes Wort seines Briefes wahr. Daran gab es keinen Zweifel, daß er und seine großen Schwäger sehr viel mehr verbraucht hatten, als gut war, und daß die Einkünfte von Castlewood, die seine zärtliche Mutter während ihrer Vormundschaft so sorglich zusammengehalten und vermehrt hatte, wieder stark belastet waren.
Seine Clotilda, berichtete Frank weiter, sei noch immer sehr zart und die Ärzte wünschten nicht, daß sie eine längere Reise unternehme. So werde er ohne sie kommen und am 17. oder 18. Juni in seiner Mutter Haus eintreffen. Er werde zu Pferde reisen und einen einzigen Diener mitbringen. Man solle seine Geschäftsführer beauftragen, ihre Rechnungen bereitzuhalten und sich zu festgesetzter Zeit zu einer Besprechung einzufinden. Er wünsche seine Geschäfte rasch zu erledigen, eine Summe zu erheben, deren er dringend benötige, und so schnell als möglich zu seiner Frau nach Paris zurückzukehren. Mylord fügte noch allerlei Pariser Nachrichten hinzu und schloß seinen Brief mit Grüßen an seine Familie. Er war mit der öffentlichen Post geschickt, und sowohl die französische wie die englische Polizei werden wohl nicht verfehlt haben, sich eine Abschritt davon zu machen, was ihnen von Herzen gegönnt wurde.
Zwei Tage später kam auf demselben Wege ein anderer Brief, der nach Mitteilung einiger Neuigkeiten vom Hofe mit den folgenden Sätzen schloß:
»(Der König nimmt) am Donnerstag seine Medizin, Seine Majestät befindet sich entschieden besser, obwohl ihn Beschwerden infolge seines großen Appetites quälen. Madame Maintenon ist bei guter Gesundheit. Man hat in Saint-Cyr ein Stück von Monsieur Racine gespielt. Der Herzog von Shrewsbury und Herr Prior, unser Gesandter, waren unter den Zuschauern. (Die Pässe des Grafen Castlewood) sind ihm nicht ausgehändigt worden, wie man behauptet. Seine Gnaden soll von einem Goldschmied wegen Nichtbezahlung eines Perlenhalsbandes angeklagt sein, das in seinem Namen für Mademoiselle Maruel von der Comédie française angefertigt wurde. Solcher Klatsch geht hier über unseren jungen Adel um (und kommt von hier nach England). Es ist wirklich sehr zu beklagen. Mademoiselle Maruel ist nach dem Fort l'Evesque geschickt worden. Man sagt, sie habe nicht nur Silbergeschirr, sondern auch Möbel, einen Wagen und Pferde (auf den Namen Mylords) bestellt. Die unglückliche Gräfin ahnt nichts von diesen Ausschweifungen.
(Seine Majestät wird) an seinem nächsten Geburtstag zweiundachtzig Jahre alt. Der Hof bereitet große Festlichkeiten vor. Man hat hier das Porträt des Grafen Castlewood sehr bewundert und sagt, es sei ein Meisterstück von Rigaud. Hast du es gesehen? Es ist jetzt (in Lady Castlewoods Hause am Kensington Square). Ich glaube, kein englischer Maler würde ein so gutes Bild malen können.
Unser armer Freund der Abbé ist in der Bastille gewesen, wird aber von jetzt ab in der Conciergerie (wohnen, wo ihn seine Freunde besuchen können. Sie sollen nach) einer Aufhebung seines Urteils streben, die sie hoffentlich erreichen werden.
Ich werde (Lord Castlewood fragen), ob er seinen Handel mit dem Goldschmied geordnet hat und wann er nach England abreist.
Ein langweiliger Brief, was? Ich habe verfluchtes Kopfweh, habe gestern abend zuviel getrunken. Nüchtern oder berauscht bin ich immer
Dein ...«
Der ganze Brief war eitel Geschwätz, ausgenommen die wenigen Worte, die ich zwischen Klammern gesetzt habe. Sie sagten denen, die im Besitz des Schlüssels waren: »Der König nimmt die Pässe des Grafen Castlewood und kommt von hier nach England auf den Namen Mylords. Seine Majestät wird in Lady Castlewoods Hause am Kensington Square wohnen, wo ihn seine Freunde besuchen können. Sie sollen nach Lord Castlewood fragen.« Das Schreiben mag Herrn Prior durch die Hände gegangen, es mag auch unseren neuen Verbündeten, den Franzosen, unter die Augen geraten sein, wird ihnen aber beiden nicht viel gesagt haben; denn für jemand, der den Schlüssel nicht hatte, war es schwer, auch nur auf den Gedanken zu kommen, daß ein Geheimnis hinter seinen Zeilen lauere. Den Wissenden in London aber verkündete es das Ereignis, das immer näher rückte, und den Lesern dieser Memoiren wird es in späteren Jahren erklären, welcher Art die Geschäfte waren, denen Oberst Esmond sich ergeben hatte. Er wollte nichts Geringeres erreichen, als den Prinzen von Wales rasch und ohne Aufsehen nach England zu bringen, offen, vor dem Angesicht des ganzen Landes und unter den Augen Bolingbrokes. Plakate mit der Unterschrift des Sekretärs, die fünfhundert Pfund Belohnung dem versprachen, der den Prinzen fange, prangten an allen Straßenecken. Esmond wollte das, worüber Tausende von Verschwörern brüteten, was die Leiter der Partei immer im Munde führten, allein vollbringen, ein Handstreich, der wohl geeignet war, einen unternehmenden Mann zu reizen. Wurde das Ziel verfehlt, so konnte schwere Strafe den Verwegenen treffen; aber er und seine Familie waren bereit, um den glorreichen Preis des Spieles alles zu wagen.
Wir sollten lieber nicht von einem Spiel sprechen, denn das war es ihnen nicht, mit Ausnahme vielleicht des Hauptspielers, der nicht mehr und nicht weniger skeptisch war als die meisten Männer, die sich damals mit Politik beschäftigten. Wird es wohl je einen Politiker in England geben, der ganz und gar an seine Partei glaubt? Und wird es je einen geben, der trotz all seiner Zweifel nicht für seine Partei kämpft? Der junge Frank aber war bereit, zu kämpfen, ohne zu denken, er war ein Jakobit wie sein Vater. Man brauchte ihm nur das Stichwort zu geben, und er schrie sein: »Gott segne König Jakob!« vor der Palastwache. Für die Frauen nun gar handelte es sich nicht um eine Frage der Partei, sondern um eine Sache des Glaubens; ihr Glaube aber war eine Leidenschaft. Esmonds Herrin sowohl wie ihre Tochter wären lächelnd dafür in den Tod gegangen. Wer die Natur der Frauen kennt, der wird sich vorstellen können, mit welchem Entzücken diese gläubigen Gemüter das Geheimnis in sich aufnahmen, das Esmond ihnen anvertraute, mit welchem Eifer sie der Erfüllung entgegensahen, mit welcher Ehrfurcht sie zu dem Propheten aufschauten, der ihnen die geheime Wahrheit verkündete, welche nur wenige kannten, die aber bald die Welt beherrschen sollte. Esmond wußte, daß weder Marter noch Tod ihrer Treue etwas anhaben konnte, Mylady war des Glaubens, daß die Wiedereinsetzung des Königs nächst dem Himmel der Familie Castlewood und ihrem Haupt zu danken sein werde; sie verehrte und liebte Esmond wenn möglich noch mehr als je zuvor. Sie zweifelte nicht einen Augenblick an dem Gelingen des Planes; mangelndes Vertrauen wäre in ihren Augen eine Sünde gewesen, Beatrix aber, als sie in den Plan eingeweiht wurde, dem sie sich mit ganzem Herzen hingab, sah Esmond mit einem ihrer glänzenden, suchenden Blicke an. »Ach, Harry«, sagte sie, »warum bist du nicht das Haupt unseres Hauses? Du allein wärest fähig, es groß zu machen. Warum läßt du dem dummen Jungen den Namen und die Ehre? Aber so ist es in der Welt; die bekommen den Preis, die ihn nicht verdienen oder sich nichts daraus machen. Ich wünschte, ich könnte dir deinen törichten Preis geben, Vetter; aber ich kann nicht. Ich habe es versucht, und ich kann nicht.« Sie schüttelte traurig den Kopf; aber es wollte Esmond immer scheinen, als sei ihre Achtung und ihre Neigung für ihn gewachsen, seit sie seine Kraft im Handeln und Ertragen, im Wirken und Verzichten kannte.