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Als Esmond in Ostende auf das Schiff zur Überfahrt nach England wartete, erhielt er einen Brief von seinem Vetter Castlewood aus Brüssel mit einer Nachricht, die ihm keinen geringen Schrecken verursachte und die Frank ihn bat, seiner Familie mitzuteilen.
Der junge Windhund, einundzwanzig Jahre alt und begierig, wie er schrieb, sich die Hörner abzulaufen, hatte Fräulein von Wertheim geheiratet, Tochter des Grafen von Wertheim, Kaiserlichen Kammerherrn und bedienstet bei der Hofhaltung des Gouverneurs der Niederlande. »P. S.« schrieb der junge Herr: »Clotilda ist älter als ich, das könnte man gegen sie einwenden. Aber ich bin solch ein alter Sünder, daß die Jahre nichts bedeuten, und ich bin entschlossen, mich zu bessern. Wir sind in St. Gudule von Pater Holt getraut worden. Meine Frau ist mit ganzer Seele für die gute Sache. Hier ist nur ein Ruf: Vif-le-Roy! In den wird meine Mutter einstimmen und Trix auch. Bringe es ihnen schonend bei. Sage Herrn Finch, meinem Sachwalter, er soll die Leute mit den Pachten drängen und mir auf jeden Fall das Geld schicken. Clotilda singt herrlich und spielt wundervoll auf dem Spinett. Sie ist eine blonde Schönheit. Wenn es ein Sohn wird, dann sollst Du Pate stehen. Ich werde aus der Armee austreten; ich habe genuch von der Soldadenspielerei, und der Herzog gibt mir Empfehlungen. Ich werde den Winter über hierbleiben, wenigstens bis Clo in die Wochen kommt. Ich nenne sie › alte Clo‹; aber so darf sie niemand anderes nennen. Sie ist die klügste Frau in ganz Brüssel; sie versteht sich aufs Malen, auf Musik, auf Poesie und kocht ausgezeichnet Puddings. Ich wohnte bei dem Grafen; so habe ich sie kennengelernt. Es sind noch vier Grafen da, ihre Brüder. Einer ist Abbé, drei sind in der Armee des Prinzen. Sie führen einen Prozeß um ein immenzes Vermögen; jetzt aber geht es ihnen recht schlecht. Du mußt das Mutter alles beibringen; von Dir nimmt sie alles an. Und schreibe mir und sage Finch, er soll mir unverzüglich schreiben. Hotel zum Schwarzen Adler, Brüssel, Flandern.«
So war also Frank mit einer römisch-katholischen Dame verheiratet; ein Erbe war bereits unterwegs, und Esmond sollte seiner Herrin in London alle diese Nachrichten überbringen. Es war ein schwieriger Auftrag, und er fühlte sich recht beklommen, als er sich der Hauptstadt näherte.
Er erreichte seinen Gasthof erst spät am Abend und schickte einen Boten nach Kensington, um dort seine Ankunft zu melden und seinen Besuch für den nächsten Morgen anzukündigen. Der Bote brachte die Nachricht zurück, daß der Hof in Windsor sei, die schöne Beatrix abwesend und Mylady allein in dem Haus am Kensington-Square. Sie erschien nur einmal im Jahre bei Hofe; Beatrix war völlig Herrin des kleinen Hauses, lud sich Gäste dorthin ein und nahm an allem erdenklichen Vergnügen der Stadt teil, während die Mutter in der Rolle der Beschützerin und älteren Schwester ihren eigenen stillen, bescheidenen Weg ging.
Esmond erwachte, als die Stadt noch im Schlummer lag. Sobald er mit seiner Toilette fertig war, nahm er einen Wagen und kam so zeitig nach Kensington, daß er seiner lieben Herrin auf dem Rückweg vom Frühgottesdienst begegnete. Sie trug ihr Gebetbuch selbst und ließ es sich nie, wie alle anderen Damen ihres Standes, von einem Diener nachtragen. Er befahl dem Kutscher zu halten und sprang aus dem Wagen. Sie trug wie gewöhnlich ihre Kapuze und wurde ganz bleich, als sie ihn erblickte. Diese kleine warme Hand seinem Herzen nah zu fühlen, schien ihm Mut zu geben. Sie waren bald am Hause angelangt und traten ein.
Mit einem traurigen, zärtlichen Lächeln nahm sie seine Hand und küßte sie.
»Wie krank du gewesen bist, wie schwach du aussiehst, mein lieber Henry!« sagte sie.
Der Oberst sah gewiß wie ein Gespenst aus; nur daß Gespenster nicht gerade glücklich aussehen, nach allem, was man von ihnen hört. Esmond aber war immer glücklich, wenn er zum ersten Male ihr liebes, gütiges Gesicht wieder erblickte.
»Ich bin heimgekommen, um mich von meiner Familie pflegen zu lassen«, sagte er. »Wenn Frank sich meiner nicht so freundlich angenommen hätte, wäre es wohl aus mit mir gewesen.«
»Armer Frank! Guter Frank!« sagte die Mutter. »Sie werden immer gütig zu ihm sein, Mylord, das arme Kind konnte ja nicht ahnen, daß es Ihnen unrecht tat.«
»Mylord!« rief Esmond. »Was soll das heißen, Mylady?«
»Ich bin nicht Mylady«, entgegnete sie; »ich bin Rachel Esmond, die Witwe von Francis Esmond, Mylord. Ich darf den Titel nicht mehr tragen. Wollte Gott, wir hätten ihn niemals dem genommen, der ihn jetzt besitzt. Doch wir haben alles getan, was in unserer Macht stand, Harry – alles was in unserer Macht stand, und Mylord und ich – das heißt ...«
»Von wem haben Sie die Geschichte, liebste Lady?« fragte der Oberst.
»Hast du meinen Brief nicht bekommen? Ich schrieb es dir nach Mons«, sagte sie.
»Nein«, antwortete Esmond, und sie erzählte ihm, daß die Gräfin-Witwe nach ihr geschickt habe, als sie auf dem Sterbebett lag, und ihr das unselige Geheimnis als Erbschaft hinterlassen habe. »Es war boshaft von der Gräfin-Witwe«, meinte Mylady, »daß sie mir die Wahrheit so lange vorenthielt. ›Cousine Rachel‹, sagte sie zu mir, ›ich habe nach dir geschickt, weil die Ärzte sagen, ich könne jeden Tag an dieser Dysenterie eingehen. Ich möchte mein Gewissen von einer großen Last befreien. Du bist immer ein ärmliches Geschöpf gewesen, ungeeignet für eine hohe Stellung‹«, und Mylady konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als sie das berichtete, »›dich wird das, was ich dir zu sagen habe, nicht allzusehr erschüttern. Du mußt wissen, daß ich mein Haus, Mobiliar und Silberzeug, meine Brillanten, die mein hochseliger Herr und König mir verehrte, und dreitausend Pfund in barem Geld dem Grafen von Castlewood vermacht habe.‹
›Meinem Frank? Ich hoffte ...‹
›Dem Grafen von Castlewood, meine Liebe; Graf Castlewood und Baron Esmond von Shandon in Irland, Earl und Marquis von Esmond laut Patent Seiner Majestät König Jakobs des Zweiten, meinem Gatten, dem seligen Marquis erteilt – denn ich bin Marquise von Esmond vor Gott und den Menschen!‹
›Und haben Sie dem armen Harry nichts hinterlassen, teuerste Marquise‹, fragte Lady Esmond – denn du weißt, Henry«, sagte sie mit ihrem lieblichen Lächeln, »ich pflegte stets Esau zu bedauern – und ich glaube, ich stehe noch auf seiner Seite –, obgleich mich Papa sehr ernstlich davon abzubringen suchte.
›Dem armen Harry!‹ kicherte die alte Dame. ›Also du möchtest, daß ich dem armen Harry etwas hinterlasse. Gib mir meine Tropfen, Base. Also, meine Liebe, da du dem armen Harry ein Vermögen wünschest, so will ich dir nur erzählen, daß seit dem Jahre 1671, eine Woche nach der Schlacht am Boyne, wo der Prinz von Oranien seinen königlichen Herrn und Schwiegervater schlug – ein Verbrechen, für das er jetzt in den Flammen der Hölle büßt, hu! –, Henry Esmond Marquis von Esmond und Graf von Castlewood gewesen ist – hihi! Was sagst du dazu, meine Liebe?‹
›Um Gottes willen! Seit wann wissen Sie denn das?‹ rief die andere und glaubte wohl, die alte Marquise phantasierte.
›Mein Mann, der vor seiner Bekehrung ein lasterhafter Schurke war‹, fuhr die kranke Sünderin fort, ›hat in den Niederlanden eine Weberstochter verführt und dazu noch die Gottlosigkeit begangen, sie zu heiraten. Dann kam er nach England zurück, heiratete mich armes, unschuldiges Ding‹ – weißt du, sie war damals über vierzig, Harry, und was die Unschuld betrifft ... ›Ich erfuhr von meines Mannes Schändlichkeit erst drei Jahre nach meiner Heirat, und nach der Beerdigung unseres armen kleinen Jungen ließ ich mich von Pater Holt noch einmal in der Kapelle von Castlewood trauen, sobald ich erfuhr, daß jenes Geschöpf in Flandern gestorben sei. Bald darauf war ich sehr krank, infolge einer neuen traurigen Enttäuschung, die ich gehabt hatte; und während dieser Krankheit kam der Priester zu mir und sagte, daß Mylord einen Sohn erster Ehe habe, der in England in Pflege sei. Ich gab zu, daß der Balg ins Haus gebracht wurde, und ein wunderliches, melancholisches Kind war er, als er ankam.
Unsere Absicht war, er solle Priester werden. Dazu wurde er auch erzogen, bis du gottlose Person ihn abwendig machtest. Ich hatte wieder Hoffnung, meinem Gemahl einen Erben zu schenken, als er mich in der Sache des Königs verlassen mußte und glorreich kämpfend am Boyne sein Leben ließ.
Sollte ich wieder eine Enttäuschung erleben – deinem Gatten schuldete ich keine Liebe, er hatte mich in der schändlichsten Weise sitzenlassen –, dann hielt ich es an der Zeit, den Weberssohn zum Erben zu erklären. Aber man schleppte mich ins Gefängnis, wo dein Mann so freundlich zu mir war und seinen ganzen Einfluß zu meinen Gunsten aufbot. Das stimmte mich milder gegen ihn, und zugleich riet mir mein Beichtvater, zu schweigen. Es sei für des Königs Sache besser, wenn der Titel bei deinem Manne bleibe und er dadurch an den König gefesselt werde. Und der Beweis dafür ist: ein Jahr vor deines Mannes Tod, als er daran dachte, eine Stellung vom Prinzen von Oranien anzunehmen, ging Herr Holt zu ihm und erzählte ihm, wie die Dinge standen, und zwang ihn dadurch, eine große Summe für Seine Majestät aufzubringen, und verpflichtete ihn der guten Sache so stark, daß wir seiner Unterstützung sicher sein konnten, jeder Zeit, zu der es ratsam schien, den Usurpator anzugreifen. Bei seinem plötzlichen Tode haben wir wieder daran gedacht, die Wahrheit aufzudecken. Aber es wurde beschlossen, den Titel bei der jüngeren Linie zu lassen, weil es so für des Königs Sache am besten war. Welches Opfer bringt nicht ein Castlewood für diese Sache, meine Liebe!
Oberst Esmond kannte die Wahrheit schon‹ – und sie erzählte mir alles, lieber Harry, was am Sterbebett meines Mannes geschah –, ›er hat nicht die Absicht, den Titel zu tragen, obwohl er ihm zukommt. Aber es erleichtert mein Gewissen, wenn du um das Geheimnis weißt, meine Liebe. Dein Sohn ist rechtlicher Graf von Castlewood, solange sein Vetter den Rang nicht beansprucht!‹«
So hat mir Lady Castlewood die Geschichte nach und nach erzählt, die ich hier im Zusammenhang niederschreibe. Sie tat es in ihrer ruhigen, schalkhaften Art, die einen unvergleichlichen Zauber hatte. Ihr erster Gedanke war gewesen, ihrem Sohn die Wahrheit mitzuteilen; aber der Dechant Atterbury hatte ihr geraten, lieber an Oberst Esmond zu schreiben und ihm die Entscheidung zu überlassen, an welche sich die übrige Familie dann zu halten habe.
»Kann meine liebste Herrin daran zweifeln, wie meine Entscheidung ausfallen wird?« fragte der Oberst.
»Das steht bei dir, Harry, du bist der Herr unseres Hauses.«
»Die Frage ist schon vor zwölf Jahren entschieden worden, am Sterbebett meines lieben Lord Francis«, sagte Esmond. »Die Kinder sollten nichts von alledem erfahren, Frank und seine Erben nach ihm sollen unseren Namen tragen. Er gehört ihm zu Recht. Ich habe nicht einmal einen Beweis in Händen für die Heirat meines Vaters und meiner Mutter, wenn auch mein armer Lord mir erzählte, daß Pater Holt ein solches Dokument nach Castlewood gebracht habe. Ich hatte kein Verlangen, nach einem Beweis zu suchen, als ich in Brüssel war. Ich bin nur auf den Klosterfriedhof gegangen und habe meiner armen Mutter Grab gefunden. Kein Gerichtshof auf Erden würde Mylord bloß auf mein Wort hin seines Titels berauben und ihn mir zusprechen. Ich bin der Herr des Hauses; aber Frank ist noch Graf von Castlewood. Lieber will ich Mönch werden oder nach Amerika verschwinden, als störend in sein Leben eingreifen.«
Als er zu seiner lieben Herrin sprach, für die er zu jedem Opfer bereit war, da warf sich das zärtliche Geschöpf vor ihm auf die Knie und küßte seine Hände in einem Ausbruch so leidenschaftlicher Liebe und Dankbarkeit, daß sein Herz erbebte und er glücklich war, ihr diesen Beweis seiner Liebe durch ein kleines Opfer zu geben. Es ist wohl das größte Glück für einen Mann, die Macht zu haben, geliebte Menschen zu beglücken.
»Teuerste Heilige«, sagte er, »du reine Seele, die so viel hat leiden müssen, die den armen Verwaisten, Verlassenen mit einem solchen Schatz von Liebe gesegnet hat – ich sollte vor dir knien, nicht du vor mir. Ich muß dankbar sein, daß ich dich glücklich machen darf. Hat mein Leben denn irgendeinen anderen Zweck? Gott sei Dank, daß ich dir dienen kann! Glaubst du, daß die Welt mir irgendeine Freude geben könnte, die sich mit dieser vergleichen läßt?«
»Heb mich nicht auf«, sagte sie leidenschaftlich, als er versuchte, sie aufzurichten. »Laß mich vor dir knien und – und dich verehren!«
Esmonds Herrin war jeder Sache gegenüber, die er vor ihr vertrat, ein sehr befangener Richter. Sie entschied immer zu seinen Gunsten. So wurde es ihm nicht schwer, sie mit der Tatsache zu versöhnen, daß Frank eine ausländische Dame heimgeführt hatte, die noch dazu Papistin war. Man hatte Lady Castlewood nie dazu bewegen können, so schlecht von dieser Religion zu denken wie andere Leute in England. Sie glaubte, daß unsere Kirche ein Zweig der katholischen sei, wenn man auch dem römischen Hauptstamm gewiß viele Irrtümer aufgepfropft hatte. Sie war für eine Frau in theologischen Fragen sehr bewandert, weil sie als Mädchen der Sekretär ihres Vaters gewesen, der ihr seine Predigten zu diktieren pflegte. Hatte Frank es gut gefunden, eine Anhängerin der Kirche von Südeuropa – so nannte sie das römische Bekenntnis – zu heiraten, so lag kein Grund für sie vor, sie nicht als Schwiegertochter willkommen zu heißen. Sie schrieb denn auch einen sehr hübschen, rührenden Brief an ihre neue Tochter, den sie Esmond zu lesen gab, und in dem sie als einzige Andeutung eines Vorwurfs die freundliche Frage stellte, warum ihr Sohn ihr nicht selbst geschrieben und sie bei seinem Schritt um ihren mütterlichen Segen gebeten habe. Castlewood wisse sehr gut, daß sie ihm nie etwas versage, und daß sie nie daran gedacht haben würde, sich einer Heirat zu widersetzen, die, wie sie glaube und hoffe, sein Glück bedeute und ihn von dem wilden Leben fernhalten werde, das sie manchmal recht ängstlich und besorgt gemacht hätte. Ihren Sohn bat sie, so rasch als möglich nach England zu kommen, sich auf seinem Stammsitz Castlewood niederzulassen – »denn sein Stammsitz ist es«, sagte sie zu Esmond, »wenn ihm das Haus auch nur durch deinen Verzicht gehört« – und die Abrechnung über ihre Verwaltung während seiner Minderjährigkeit entgegenzunehmen. Durch ihre Sorgfalt und Sparsamkeit war das Gut jetzt in besserem Zustand, als es ihn seit den Cromwellschen Kriegen je gekannt hatte. Mylord war Herr eines hübschen kleinen Einkommens, und die Schulden von der verderblichen Wirtschaft seines Vaters her waren getilgt. »Ich fürchte«, sagte sie, »durch die Sorge um das Vermögen meines Sohnes habe ich viel von meinem Einfluß auf ihn verloren.« Das war wirklich der Fall. Beatrix beklagte sich, ihre Mutter tue alles für Frank und nichts für sie, und Frank selbst war höchst unzufrieden mit der bescheidenen Lebensweise seiner Mutter in Walcote, wo er eher wie ein armer Pfarrerssohn als wie ein junger Edelmann erzogen war, der in der Welt eine Rolle spielen sollte. Dieser Fehler seiner Erziehung ist es wohl gewesen, der ihn dem Vergnügen so in die Arme trieb, als es erreichbar für ihn wurde. Er ist nicht der erste Junge, den die Übersorgfalt zärtlicher Frauen verdorben hat. Es gibt für große und kleine Kinder nichts Gesünderes, als in der Gesellschaft ihnen überlegener Menschen zu leben, unter denen sie das vermessene Gefühl ihrer eigenen Wichtigkeit verlieren, das sich im engen häuslichen Dasein so leicht in ihnen entwickelt.
Ein Verschwender, der seinen Freunden eine Liste seiner Schulden aufstellt, wird ganz gewiß irgendeine besonders große Rechnung unterschlagen, weil er sich nicht getraut, sie einzugestehen. So hatte der arme Frank seiner Mutter noch eine böse Nachricht zu unterbreiten, die er nicht den Mut gehabt hatte, in sein erstes Bekenntnis zu verflechten. Esmond hatte seit seinem Brief gewisse Befürchtungen gehabt; denn er wußte, in wessen Hände der Knabe gefallen war. Aber er ließ sich nichts merken, um seine Herrin nicht mit Sorgen zu beunruhigen, die vielleicht grundlos waren.
Die nächste Post, die von Brüssel kam, brachte als Antwort auf die Briefe der Mutter ein gemeinsames Schriftstück von Frank und seiner Frau, die ebenso unorthographisch schrieb wie der Windhund, ihr Gatte. Sie ergingen sich darin in Ausdrücken des Dankes, der Liebe und der Verehrung gegen die Gräfin-Witwe, wie sie die arme Lady Castlewood betitelten. Der Brief wurde im Familienrat verlesen, das heißt, zwischen der Gräfin, Fräulein Beatrix und dem Schreiber dieser Erinnerungen. Die Hofdame erklärte, er sei gewöhnlich, und die anderen beiden waren stillschweigend derselben Meinung. Zugleich mit diesem Schreiben aber kam ein vertraulicher Brief an den Obersten Esmond, in dem der arme Frank ihn mit einer neuen unseligen Botschaft betraute, nämlich, daß er es passend gefunden habe, den Ermahnungen des Herrn Holt und dem Einfluß seiner Clotilda nachzugeben und um der Segnungen des Himmels und der Heiligen willen in den Schoß der Kirche überzutreten, der sein Herrscher, viele Glieder seines Hauses und der größte Teil der zivilisierten Welt angehörten. Mylord schloß mit einer Nachschrift, deren geistigen Urheber Esmond am salbungsvollen Ton des Priesterseminars nur allzu gut erkannte, und die mit der gewöhnlichen Denk- und Schreibart des armen Frank nicht die leiseste Ähnlichkeit hatte. Er mahnte seinen Vetter darin, daß er von Geburt und Taufe her der katholischen Kirche angehöre, und verhieß Mutter und Schwester, er werde für ihre Bekehrung zu den Heiligen beten. Wahrlich eine unschätzbare Wohltat, die ihnen da erwiesen wurde!
Hätte Esmond diese Nachricht auch unterschlagen wollen, so wäre es ihm doch nicht möglich gewesen; denn ein oder zwei Tage nach Ankunft des Briefes erschien im »Postboten« und anderen Zeitungen eine Notiz aus Brüssel, die verkündete, daß »ein junger irischer Lord, der Graf C-stlew-d«, der gerade mündig geworden sei und sich in den letzten Feldzügen als Adjutant Seiner Gnaden des Herzogs von Marlborough hervorgetan habe, in Brüssel zur papistischen Religion übergetreten und barfuß, mit einer Wachskerze in der Hand, in einer Prozession gegangen sei. Der berüchtigte Herr Holt, der unter dem verstorbenen König Agent von Saint-Germain gewesen und von König Wilhelm mehr als einmal begnadigt worden sei, habe, so behauptete der »Postbote«, diese Bekehrung erreicht.
Lady Castlewood war sehr niedergeschlagen über diese Kunde, Fräulein Beatrix aber war entrüstet. »Jetzt ist Castlewood keine Heimat mehr für uns, Mutter«, sagte sie. »Die fremde Frau bringt ihren Beichtvater mit, und es wird französische Frösche zum Dinner geben. Alle Predigten von Tusher und Großpapa sind bei Frank verlorne Mühe gewesen. Ich habe dir immer gesagt, daß du ihn mit dem Katechismus zu Tode quältest, und daß er sich mit Gottlosigkeit entschädigen werde, sobald du ihn nicht mehr am Gängelband hättest. Du wolltest ja mir niemals glauben, daß der junge Leichtsinn dich zum besten hatte, und daß Tusher, der üble Kriecher, nicht als Erzieher für ihn taugte. Ach, diese Pastoren, ich hasse sie samt und sonders!« rief sie und schlug die Hände zusammen. »Ja, ob sie nun Talar und Schnallenschuhe tragen oder bärtig sind und barfuß laufen. Da gibt es einen gräßlichen irischen Schurken, der keinen Sonntag bei Hofe versäumt und mich mit seinen Artigkeiten ödet, der schreckliche Kerl; wenn ihr wissen wollt, was Pastoren sind, so seht euch sein Benehmen an und hört, wie er von seinem heiligen Kleide spricht. Sie sind sich alle gleich, ob Bischöfe oder Bonzen oder indische Fakire. Sie wollen immer herrschen und machen uns angst mit dem Himmelreich, das nahe herbeigekommen ist. Sie setzen ein heiliges Gesicht auf, wenn sie unter Menschen sind, und erwarten, daß man sie kniefällig um ihren Segen bittet. Sie schmieden Ränke, sie sind unersättlich, sie verleumden und klatschen schlimmer als der ärgste Höfling oder das gottloseste alte Weib. Ich hörte neulich diesen Herrn Swift über den Mut des Herzogs von Marlborough spotten. Ha, dieser großmäulige Ire aus Dublin! Weil Seine Gnaden nicht in Gunst steht, wagt er so etwas über ihn zu sagen; und er sagt es, damit es Ihrer Majestät zu Ohren kommt, und um Frau Masham zu umwedeln und zu schmeicheln. Man sagt, der Kurfürst von Hannover habe mehr als ein Dutzend Mätressen an seinem Hof in Herrenhausen. Wenn er König in England wird, dann wette ich darauf, daß die Bischöfe und Herr Swift, der auch gern einer wäre, den Weibern schmeicheln und schön mit ihnen tun. O diese Priester und ihr feierliches Getue! Ich habe ihre großen Schuhe und ihre raschelnden Talare satt. Ich möchte in ein Land gehen, wo es keine gibt, oder Quäker werden, dann ist man sie auch los. Ganz gewiß! Ich würde sicher Quäker; nur ist die Tracht nicht kleidsam, und ich habe eine viel zu hübsche Figur, ich darf sie nicht verstecken. Stimmt das nicht, Vetter?« Sie warf einen Blick in den Spiegel, der ihr wahrheitsgetreu erzählte, daß es eine schönere Figur und ein schöneres Gesicht nicht geben könne.
»Ich machte diesen Angriff auf die Priester«, sagte sie später, »um der armen Mutter die Sorge um Frank aus dem Kopf zu bringen. Frank ist so eitel wie ein Mädchen, Vetter. Man redet immer von der Eitelkeit der Mädchen! Aber was sind wir, verglichen mit euch? Es war vorauszusehen, daß die erste Frau, die Lust dazu hatte, ihn an der Nase herumführen werde, oder der erste Priester – Priester und Weiber sind eins für mich. Wir machen immer Kabalen; wir sind nicht verantwortlich für die Märchen, die wir erzählen; entweder wir liebkosen oder wir drohen; Unheil führen wir immer im Schilde, Oberst Esmond; glauben Sie einer, die die Welt kennt und in der Welt ihren Weg machen muß. Ich kann mir ganz genau vorstellen, wie Franks Heirat zustande gekommen ist. Der Graf, unser Schwiegervater, ist immerfort im Kaffeehaus. Die Gräfin, unsere Schwiegermutter, ist immer in der Küche und sieht nach dem Essen. Die Komteß, unsere Schwester, sitzt am Spinett. Mylord kommt und sagt, er gehe in den Feldzug; die liebliche Clotilda bricht in Tränen aus und wird ohnmächtig – so. Er fängt sie in seinen Armen auf – bitte zehn Schritt Entfernung, Vetter, du sollst sie nicht auffangen –, sie weint an seiner Schulter, und er sagt: ›O meine göttliche, meine angebetete, meine heißgeliebte Clotilda, weinst du, weil du dich von mir trennen mußt?‹ – ›O mein Francisco‹, sagt sie, ›o mein Graf!‹ In diesem Augenblick kommt Mama herein, hinter ihr ein paar junge Brüder mit Schnurrbärten und langen Degen; sie haben in der Küche Brot und Zwiebeln gegessen. Paß auf, die ganze Verwandtschaft kommt nach Castlewood, drei Monate, nachdem das junge Paar dort eingezogen ist; der alte Graf und die alte Gräfin, die jungen Grafen, ihre Brüder, und all die kleinen Gräfinnen, ihre Schwestern! Grafen! All diese Gauner behaupten, sie seien Grafen! Monsieur Guiscard, der Herrn Harley erstach, behauptete, er sei ein Graf. Ich bin überzeugt, er war ein Barbier. Alle Franzosen sind Barbiere – Larifari! Widersprich mir nicht – oder sie sind Tanzmeister oder Priester.«
»Wer hat dich eigentlich tanzen gelehrt, Beatrix?« fragte der Oberst.
Sie trällerte lachend die Melodie eines Menuetts, machte eine tiefe Verbeugung und setzte ihren hübschen kleinen Fuß vor. Ihre Mutter kam herein; sie war allein in ihrem Zimmer gewesen, denn sie nahm Franks Übertritt sehr schwer. Das tolle Mädchen rannte ihr entgegen, legte den Arm um ihre Hüften, küßte sie und versuchte, sie zum Tanzen zu bewegen. »Sei nicht töricht, liebe kleine Mama; weine nicht darüber, daß Frank ein Papist geworden ist. Wie muß er ausgesehen haben in der Prozession, barfuß und mit der Wachskerze in der Hand!« Sie schleuderte ihre kleinen Schuhe von den Füßen, die entzückendsten kleinen Schuhe mit wunderschönen hohen roten Absätzen, und Esmond stürzte sich auf den einen, der dicht neben ihm niederfiel. Sie machte ein drollig-andächtiges Gesicht, ging feierlich im Zimmer auf und nieder und hielt Esmonds Stock als Kerze in der Hand. Ihre Mutter mußte lachen, so traurig sie war; ihr Vetter aber schaute mit der Wonne zu, die der Anblick des schönen Geschöpfes ihm immer bereitete. Nie hatte er eine so schöne, so schelmische, so strahlende Frau gesehen.
Als sie mit ihrer Prozession zu Ende war, streckte sie den Fuß nach ihrem Schuh aus. Der Oberst kniete nieder: »Wenn du Papst sein willst, dann will ich Papist werden«, sagte er, und ehe er den Schuh anzog, erteilte Ihre Heiligkeit ihm die gnädige Erlaubnis, den kleinen Fuß im seidenen Strumpf zu küssen.
Myladys Füße klopften während dieses Vorgangs leise den Boden, und Beatrix, deren scharfen Augen nichts entging, bemerkte dies kleine Zeichen von Ungeduld. Sie lief zu ihr hin, umarmte sie und rief: »O du dumme kleine Mama! Deine Füße sind ebenso hübsch wie meine. Das sind sie wirklich, Vetter, wenn sie sie auch versteckt. Der Schuhmacher kann dir erzählen, daß er für uns beide auf demselben Leisten arbeitet.«
»Du bist größer als ich, Liebste«, sagte ihre Mutter und errötete über das ganze Gesicht. »Es ist – es ist auch nicht dein Fuß, es ist deine Hand, die er haben möchte, mein Kind.« Sie sagte es mit einem nervösen Lachen, das mehr Schluchzen war als Lachen, und verbarg ihr Gesicht an der weißen Schulter der Tochter. Die beiden zusammen waren ein schönes Bild; sie sahen aus wie zwei Schwestern. Die liebliche schlichte Mutter schien viel jünger als sie war, und die Tochter wirkte, wenn nicht älter, so doch durch ihre majestätische Anmut wie die überlegene Beschützerin ihrer Mutter.
»Aber wir müssen uns schämen«, rief Mylady in ihrem gewöhnlich-ernsthaften Ton, als sie sich wieder auf sich selbst besann. »An einem Tage, an dem wir kniend um Verzeihung flehen müßten, treiben wir hier Unsinn und lachen.«
»Um Verzeihung flehen, wofür?« fragte die übermütige Beatrix. »Weil Frank es sich in den Kopf gesetzt hat, freitags zu fasten und Bilder anzubeten? Wenn du katholisch geboren wärest, Mutter, wärest du katholisch geblieben bis ans Ende deiner Tage. Es ist die Religion des Königs und vieler vornehmer Leute. Ich bin weiter nicht dagegen und glaube, Königin Elisabeth war nicht einen Deut besser als Königin Maria.«
»Still, Beatrix!« rief Mylady. »Scherze nicht über Heiliges und denke daran, wer deine Voreltern waren.« Beatrix stand vor dem Spiegel, zupfte an ihren Bändern, rückte ihren Spitzenkragen zurecht und trieb andere verführerisch reizende Dinge. Das Mädchen war wenigstens keine Heuchlerin. Man konnte sie damals nie dazu bewegen, an anderes als an ihre Schönheit und weltliche Freuden zu denken. Für Frömmigkeit hatte sie nicht mehr Sinn, wie manche Menschen für Musik, die nicht eine Melodie von der anderen unterscheiden können. Esmond sah diesen Fehler wohl und noch viele andere Fehler an ihr. Jeder Mann unter dem Rang eines Prinzen wird schlecht fahren, wenn er sie zur Frau nimmt, dachte er. Sie war geboren, um im großen Kreise zu glänzen, Paläste zu schmücken, zu befehlen, politische Intrigen zu führen und im Gefolge einer Königin zu strahlen. Aber am häuslichen Herd zu sitzen und für ihre Kinder die Strümpfe zu stopfen, war keine Aufgabe für sie. Sie war eine Fürstin, wenn sie auch kaum einen Schilling Vermögen hatte, und einer ihrer Untertanen – der unterwürfigste und ergebenste Tropf, der je einer Frau zu Füßen lag – war der unselige Gentleman, der seinen gesunden Menschenverstand und seine Unabhängigkeit völlig gefesselt ihr auslieferte.
Wer weiß nicht, daß Frauen erbarmungslos tyrannisieren können, wenn man ihnen Gelegenheit dazu gibt? Wer weiß nicht, daß jeder Rat vergeblich ist? Ich könnte meinen Nachkommen viele gute Ratschläge geben; aber sie werden ihre eigenen Wege gehen, trotz aller Predigten ihres Großvaters. Jeder Mann muß mit den Frauen selbst seine Erfahrungen machen; keiner wird sich mit dem Hörensagen begnügen, und der junge Mensch, der es täte, wäre auch nicht einen Heller wert.