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Der fieberhafte Wunsch, zu Ruhm und Ansehen zu kommen, erstarb in Esmonds Seele, vielleicht weil das Schicksal ihn zum Teil befriedigt hatte, vielleicht weil das Ziel seines Ehrgeizes ihm endgültig genommen war. Sein Streben nach militärischen Ehren war aus dem Verlangen entsprungen, in den Augen von Beatrix an Wert zu gewinnen. Nächst Adel und Reichtum waren sie das einzige, was sie zu schätzen wußte. Auch sind sie der Einsatz, den man am schnellsten gewinnt oder verliert. Die juristische Laufbahn ist ein langes Spiel und erfordert ein Leben, um ein großes Ziel zu erreichen. Literarischer Ruf aber oder eine hohe kirchliche Stellung würden die Wünsche des armen Esmond nicht im mindesten gefördert haben. So blieb ihm nur das Spiel des roten Rocks, und er spielte es. Er setzte sich der Gefahr mehr aus, als andere Herren zu tun pflegen; er wagte alles, um alles zu gewinnen, und das war der Grund seiner raschen Beförderung. Ist er der einzige Mann, der sein Leben um eines Gewinnes wegen aufs Spiel setzte, der des Gewinnens nicht wert war?
Andere wagen ihr Leben oder gar ihre Ehre um ein Bündel elender Banknoten, um einen Orden, um einen Sitz im Parlament; andere nur, um das Vergnügen und die Erregung des Sports zu genießen, wie die hundert Jäger, die auf Tod und Leben hinter dem Schwanz eines schmutzigen Fuchses hergaloppieren, der dem glücklichen Ersten am Ziel als Preis seines tollen Rittes winkt.
Als Esmond die Nachricht von der Verlobung seiner Geliebten erfuhr, ergab er sich in sein Schicksal und beschloß, die Waffen abzulegen, mit denen er sich nichts mehr erringen konnte, was des Kampfes wert war. Er trat aus seinem Regiment aus, zum grenzenlosen Entzücken des Hauptmanns, der ihm im Range zunächst stand und der, da er wohlhabend war, ihm mit freudigem Eifer tausend Guineen für seinen Platz in Webbs Regiment bezahlte. Er mußte im nächsten Feldzug ins Gras beißen. Vielleicht hätte Esmond nicht ungern sein Schicksal geteilt. Er war mehr denn je der Ritter von der traurigen Gestalt, und seine Schwermut mußte ihn ganz ungenießbar machen für seine Kameraden, die einen melancholischen Krieger verspotten, der stets nach seiner Dulzinea daheim seufzt.
Die Gräfin-Witwe und Lady Castlewood billigten beide seinen Entschluß, die Armee zu verlassen. Auch sein gütiger General stimmte ihm zu und verhalf ihm zu der hübschen Summe, die sein Austritt ihm einbrachte. Als aber der Oberkommandierende nach Hause kam und sich gegen seine Neigung gezwungen sah, Generalleutnant Webb mit dem Befehl einer Division in Flandern zu betrauen, bat Webb den Obersten Esmond so dringend, ihn als Adjutant und militärischer Sekretär zu begleiten, daß er den Bitten seines freundlichen Gönners nicht widerstehen konnte und wieder ins Feld zog. Er war an kein Regiment gebunden, sondern nur unter Webbs persönlichem Befehl. Wie schrecklich müssen Frauen und Mütter in jenen Kriegszeiten gelitten haben, da die Angst um ihre Angehörigen sich mit jedem Tag erneute! Die armen zärtlichen Geschöpfe mußten auch in diesem Sommer wieder einen ganzen Feldzug hindurch vor den Kriegsberichten aus Flandern zittern. Wie schwer auch Esmonds Herrin, die zärtlichste aller Frauen, an diesen Qualen getragen haben mag, sie ließ sich äußerlich nie etwas davon anmerken. Sie verbarg ihre Angst um ihre beiden Söhne, wie sie sie nannte, ebenso sorgsam wie ihre Wohltätigkeit und ihre Frömmigkeit. Es war ein Zufall, daß ihr Esmond einmal auf einer Wanderung durch Kensington begegnete, als sie aus einer Hütte kam, und so erfuhr, welch eine Reihe armer Leute sie in ihrer Krankheit und in ihrem Elend zu besuchen pflegte. Sie ging jeden Morgen zum Gottesdienst, ließ aber am Sonntag ihren kleinen Haushalt alle Arten unschuldiger Freuden und Vergnügungen genießen. Sie machte in ihrem Notizbuch kleine erbauliche Aufzeichnungen von einer so lieblichen natürlichen Inbrunst, daß kein Geistlicher sie hätte übertreffen können. Sie zeigten, wie warm ihr Herz, wie fromm und demütig ihr Sinn war, was sie im stillen für Qualen der Angst und Besorgnis durchmachte, mit welch gläubigem Vertrauen sie ihre Sorgen um die, welche sie liebte, dem allmächtigen Herrn über Tod und Leben anheimstellte.
Die Gräfin-Witwe in Chelsea, Esmonds neugewonnene Mutter, hatte indessen ein Alter erreicht, wo die Lebensgefahr, in der ein anderer schwebt, die Ruhe nicht mehr wesentlich stören kann. Ihr Kartenspiel ging ihr über alles andere. Sie hielt fest an ihrem Glauben, haßte aber jetzt nicht mehr den unseren. Sie hatte einen gutmütigen, bequemen französischen Beichtvater, einen Weltmann, der nichts darin fand, mit Myladys Nachbar in Chelsea, dem Dechanten Atterbury, eine Partie Karten zu spielen, und der mit der ganzen hochkirchlichen Partei auf dem besten Fuße stand. Monsieur Gauthier, so hieß er, war ohne Zweifel von Esmonds merkwürdiger Stellung im Hause unterrichtet, denn er wechselte Briefe mit Herrn Holt und behandelte den Obersten mit ganz besonderer Rücksicht und Höflichkeit. Aus guten Gründen sprächen die beiden niemals miteinander über die heikle Sache und blieben auf die Art immer die besten Freunde.
Alle Gäste, die im Hause der Gräfin-Witwe ein- und ausgingen, gehörten zur Partei der Torys und der Hochkirche. Fräulein Beatrix war in Sachen des Königs ebenso überspannt wie die alte Dame selbst. Sie trug sein Bild auf dem Herzen; sie besaß eine Haarlocke von ihm, sie nannte ihn den unglücklichsten, ritterlichsten, begabtesten, schönsten aller Fürsten. Steele, der sich mit vielen seiner Toryfreunde, aber niemals mit Esmond verzankte, pflegte diesem zu erzählen, daß das Haus der Gräfin-Witwe ein Sammelplatz der Torypartei und ihrer Intrigen sei. Gauthier sei ein Spion; Atterbury sei ein Spion; es werde ein beständiger Briefwechsel zwischen dem Haus in Chelsea und der Hofhaltung der Königin in Saint-Germain unterhalten. Esmond entgegnete ihm lachend, in der Armee habe man nun wieder behauptet, der Herzog von Marlborough sei ein Spion und stehe mit Saint-Germain in so eifrigem Briefwechsel wie nur irgendein Jesuit. Und ohne allzu eifrig auf den Disput einzugehen, bekannte er sich zur Partei seiner Familie. Es schien ihm über allen Zweifel erhaben, daß Jakob der Dritte der rechtmäßige König von England sei, und für das Land fand er es weitaus das ersprießlichste, wenn nach dem Tode seiner Schwester König Jakob und nicht ein Ausländer den Thron bestieg. Niemand konnte König Wilhelm aufrichtiger bewundern als er, den Helden und Eroberer, den tapfersten, gerechtesten, weisesten aller Fürsten. Aber mit den Waffen hatte er das Land erobert, und mit den Waffen hatte er es regiert und gehalten, wie vor ihm der große Cromwell, der wirklich ein echter Herrscher war. Daß nun ein fremder Despot aus Deutschland, der zufällig von König Jakob dem Ersten abstammte, von unserem Reich Besitz ergreifen sollte, schien ihm eine ungeheure Ungerechtigkeit. Jedenfalls hatte jeder Engländer das Recht, dagegen zu protestieren, allen andern voran der englische Prinz, der gesetzlicher Erbe des Thrones war. Welcher mutige Mann würde nicht diese seine Rechte verfochten, würde nicht tatenfroh um die Krone gerungen haben, die ihm gehörte? Aber das Geschlecht der Stuarts war gezeichnet. Der Prinz hatte sich selbst zum Feinde und konnte diesen Feind nicht überwältigen. Er wagte nie, sein Schwert zu ziehen, auch wenn er es in der Hand hielt. Er ließ die Gelegenheiten vorübergehen, während er im Schoß der Opern-Tänzerinnen lag oder zu Füßen eines Priesters um Vergebung winselte. Das Blut von Helden, die Treue ehrlicher Herzen, Ausdauer, Mut und Tatkraft waren für ihn umsonst verschwendet.
Aber laßt uns zu Mylady in Chelsea zurückkehren. Als ihr Adoptivsohn ihr verkündete, daß er sich an dem bevorstehenden Feldzug beteiligen werde, nahm sie mit ungetrübter Heiterkeit von ihm Abschied und saß mit ihrer Kammerfrau schon wieder beim Pikett, als Esmond noch die Türklinke in der Hand hielt. Es war sein letzter Besuch bei ihr. »Sequenz bis zum König!« hörte er sie noch sagen, aber das Spiel des Lebens war für die gute Dame fast ausgespielt; drei Monate später wurde sie bettlägerig und verlosch, ohne irgendwelche Schmerzen zu leiden. So schrieb Abbé Gauthier an Esmond, der damals mit seinem General an der französischen Grenze weilte. Lady Castlewood war auch an ihrem Sterbebett gewesen und hatte ebenfalls geschrieben, aber diese Briefe müssen mit dem Paketboot gekapert worden sein, denn Esmond wußte bis zu seiner Rückkehr nach England nichts von ihrem Inhalt.
Die Gräfin-Witwe hatte dem Obersten alles hinterlassen, was sie besaß; »um das ihm zugefügte Unrecht wiedergutzumachen«, stand in dem Testament geschrieben. Aber ihr Vermögen war nie beträchtlich gewesen, und die ehrliche Gräfin hatte sehr weise den größten Teil davon in einer Jahresrente angelegt, die mit ihrem Tode erlosch. Indessen lag immer noch etwas bares Geld bei ihrem Bankier, Sir Josiah Child. Das Haus war da mit Möbeln, Silberzeug und Gemälden, und alles zusammen stellte ein Einkommen von fast dreihundert Pfund jährlich dar. So fand sich Esmond, wenn auch nicht reich, so doch sorgenfrei fürs Leben. Es waren auch die berühmten Diamanten da, die so fabelhaften Wert besitzen sollten; aber der Goldschmied erklärte, sie würden nicht mehr als viertausend Pfund einbringen, und Esmond behielt sie zurück, weil er eine besondere Absicht damit hatte. Das Haus in Chelsea jedoch und alles andere, mit Ausnahme bestimmter Stücke, ließ er verkaufen und legte den Erlös in öffentlichen Sicherheiten an.
Da er jetzt etwas besaß, was er vererben konnte, machte er ein Testament und schickte es nach England. Die Armee stand vor dem Feind, und man war jeden Tag auf eine große Schlacht gefaßt. Man wußte, daß der Generalfeldmarschall in Ungnade gefallen war, daß die Parteien daheim stark gegen ihn eingenommen waren, und welchen Schlag würde der große, energische Spieler nicht wagen, wo es galt, das Glück wieder an sich zu fesseln, das ihn verlassen wollte? Frank Castlewood war bei Harry Esmond, dessen General ihn bereitwillig in seinen Stab aufgenommen hatte. Seine Belagerungsstudien in Brüssel waren mittlerweile abgeschlossen. Soviel ich weiß, hatte sich die Festung ergeben, Mylord war mit fliegenden Fahnen eingezogen und ebenso wieder abgezogen. Er pflegte von seinen knabenhaften Sünden mit köstlichem Humor zu erzählen und war der reizendste junge Nichtsnutz der ganzen Armee.
Wir brauchen wohl kaum zu sagen, daß Esmond jeden Heller seines kleinen Vermögens diesem Knaben vermacht hatte. Er war fest überzeugt, daß die nächste Schlacht seinem Leben ein Ende machen werde; er war der Sonne müde und ganz bereit, von ihr und der Erde Abschied zu nehmen. Frank wollte von den düstern Vorahnungen seines Kameraden nichts wissen; er schwor, man werde den Tag seiner Mündigkeit im Herbst zusammen auf Schloß Castlewood feiern. Er hatte von der Verlobung seiner Schwester gehört. »Der Prinz Eugen geht nach London«, sagte er. »Wenn Trix seiner habhaft wird, läßt sie Ashburnham sitzen. Du kannst mir glauben, sie hat dem Herzog von Marlborough Augen gemacht, als sie erst vierzehn Jahre alt war und gleichzeitig den kleinen Blandford behexte. Ich würde sie nicht heiraten, Harry, und wenn ihre Augen noch zweimal so groß wären. Ich will meinen Spaß haben. Ich will mir die nächsten drei Jahre alles nur erdenkliche Vergnügen verschaffen. Dann habe ich mir die Hörner abgelaufen, heirate irgendeine stille, bescheidene, treue, vernünftige Gräfin, lasse mich in Castlewood nieder und jage meine Hasen. Vielleicht vertrete ich die Grafschaft im Parlament. Nein, verdammt, du sollst die Grafschaft vertreten. Du bist der beste Kopf in der Familie. Bei Gott, mein lieber alter Harry, du hast den schärfsten Verstand und das gütigste Herz in der ganzen Armee, das sagen sie alle. Wenn die Königin stirbt und der König zurückkehrt, warum sollst du dann nicht ins Unterhaus gehen, Minister werden und Peer oder irgend so etwas? Du willst in der nächsten Schlacht fallen? Ich wette um ein Dutzend Flaschen Burgunder, daß du nicht einmal verwundet wirst. Mohun ist geheilt. Sobald ich ihn zu sehen bekomme, spucke ich ihm ins Gesicht. Ich habe Fechtstunden bei Pater – bei Hauptmann von Holtz in Brüssel genommen. Was ist das für ein Mann! Er weiß alles.« Esmond bat Frank, er möge vorsichtig sein. Das Wissen Pater Holts sei etwas gefährlicher Art. Und doch wußte er nicht einmal, wie weit der Pater seinen Unterricht mit dem jungen Schüler schon getrieben hatte.
Die Zeitungsschreiber und Schriftsteller der französischen und englischen Seite haben Berichte genug über die blutige Schlacht von Blarignies oder Malplaquet gegeben. Sie war der letzte und schwerste Sieg des großen Herzogs von Marlborough. Der schreckliche Kampf, in dem beinahe zweihundertundfünfzigtausend Mann miteinander rangen, in dem mehr als dreißigtausend Mann erschlagen und verwundet wurden, auf der Seite der siegreichen Verbündeten zweimal soviel als auf der Seite der unterliegenden Franzosen, wurde wahrscheinlich nur darum gekämpft, weil die Stellung eines großen Feldherrn erschüttert war und er sie durch einen Sieg wieder befestigen wollte. Wenn das wirklich der Grund war, der den Herzog trieb, diesen furchtbaren Einsatz zu wagen und dreißigtausend tapfere Männer zu opfern, nur um noch einmal in der Zeitung zu paradieren und seine Ämter und seine Pensionen etwas länger zu behalten, so vereitelte das Ergebnis seine grausige selbstsüchtige Absicht; denn der Sieg war so teuer erkauft, daß auch die ehrgeizigste Nation einen solchen Preis nicht willig für einen Triumph bezahlt hätte. Die Tapferkeit der Franzosen war ebenso außerordentlich wie der wütende Mut ihrer Angreifer; wir eroberten ein paar Dutzend Fahnen und einen Teil ihrer Artillerie, aber zwanzigtausend unserer besten Leute ließen wir vor den Verschanzungen, aus denen der Feind vertrieben worden war. Er hatte sich in bester Ordnung zurückgezogen; der Bann des Schreckens schien gebrochen zu sein, der seit Blenheim auf den Franzosen gelastet hatte. Sie fochten jetzt an der Schwelle ihres Vaterlandes und begegneten uns mit einer heldenmütigen Ausdauer des Widerstandes, die sie in ihrem Angriffskriege nie gezeigt hatten. Wäre die Schlacht erfolgreicher gewesen, so hätte der Sieger den Preis, um den er sie gewagt, vielleicht errungen. Aber so, wie die Dinge lagen, war die ihm feindliche Partei, und wie mir scheint mit Recht, entrüstet über das fürchterliche Blutbad und forderte dringender denn je die Abberufung eines Feldherrn, dessen Gier und Verzweiflung ihn noch weiter treiben konnten. Nach diesem blutigen Tag von Malplaquet war in allen englischen und holländischen Quartieren, auch bei den Regimentern und Kommandeuren, deren Leistungen am lautesten gerühmt wurden, nur eine Stimme: man verlangte nach Frieden. Die Franzosen waren in ihre Grenzen zurückgetrieben; alle ihre Eroberungen und ihre Beute in Flandern waren ihnen wieder genommen. Was den Prinzen von Savoyen anging, dem sich unser Höchstkommandierender aus privaten Gründen enger denn je anschloß, so war bekannt, daß ihn nicht nur politische Feindschaft, sondern ein persönlicher Haß gegen den alten Franzosenkönig befeuerte. Der Kaiserliche Generalissimus vergaß nie die Kränkung, die dem Abbé von Savoyen zugefügt wurde; und mit der Unterwerfung oder Vernichtung Seiner Allerchristlichsten Majestät konnte der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches auf seine Rechnung kommen; aber was bedeuteten diese Streitigkeiten uns, den freien Bürgern von England oder Holland? Ob auch ein Despot, war der französische Monarch doch das Haupt der europäischen Zivilisation, ehrwürdiger im Alter und im Unglück als in der Zeit seiner glänzenden Erfolge. Sein Gegner aber war nur ein halbbarbarischer Tyrann, dessen halbe Armee aus einer Horde Kroaten und Panduren bestand, die, bärtig wie ihre Nachbarn, die ungläubigen Türken, unser Lager mit ihren seltsamen Gestalten füllten und in unsere christliche Kriegführung ihre heimischen heidnischen Sitten von Raub und Mord trugen. Warum sollte das beste Blut in England und Frankreich vergossen werden, damit der heilige römische und apostolische Herr dieser Raufbolde an dem christlichen König Rache nehmen könnte? Und für dieses Ziel kämpften wir schließlich, darum beklagte jedes Dorf und jede Familie in England den Tod geliebter Söhne und Väter. Selbst bei Tisch wagten wir nicht, miteinander von Malplaquet zu sprechen, so schreckliche Lücken hatte die Kanonade des blutigen Tages in unseren Reihen hinterlassen. Es war herzzerreißend für einen Offizier, an dem Paradetag nach der Schlacht die Reihen seiner Leute zu überblicken; denn es fehlten Hunderte von Kameraden, niederen und hohen Ranges, die sich noch vor kurzem freudig und mutig um die zerrissenen, geschwärzten Fahnen geschart hatten. Als der große Herzog die Linien entlangritt, hinter sich das schmucke Gefolge der Adjutanten und Generale, als er hier und da anhielt, um einem Offizier mit dem huldreichen Lächeln, das Seiner Gnaden immer zur Verfügung stand, für seine Leistungen zu danken, da ertönte kaum ein einziges »Hoch« aus den Reihen der gelichteten Regimenter, obgleich Cadogan mit einem Fluch heranritt und schrie: »Verdammte Bande, warum ruft ihr nicht hurra?« Aber die Leute hatten nicht das Herz dazu. Wo ist mein Kamerad geblieben? dachte einer wie der andere; wo ist mein Bruder, der gestern neben mir focht, wo mein lieber Hauptmann, der mich geführt hat? Es war das trostloseste Schauspiel, das ich je gesehen habe, und das Tedeum, das unsere Geistlichen sangen, die jämmerlichste und traurigste Satire.
Esmonds General erhielt zu den ehrenvollen Narben, die ihm seine Schlachten eingebracht hatten, eine neue Wunde in der Leistengegend, lag stöhnend auf seinem Lager und tröstete sich damit, den Generalfeldmarschall zu verwünschen. »John Churchill«, pflegte er zu sagen, »liebt mich so, wie König David den General Uria. Darum gibt er mir immer den gefährlichsten Posten.« Er blieb bis zum Lebensende der Meinung, daß Marlborough ihn absichtlich mit zuwenig Truppen ausgeschickt habe, damit er bei Wynendael vernichtet werden sollte. Esmond und Frank Castlewood kamen beide unverwundet davon, obwohl die Division des Generals Webb noch mehr gelitten hatte als alle anderen. Sie hatte nicht nur die furchtbarste Gewalt der feindlichen Geschütze auszuhalten, sondern auch den wütenden und wiederholten Anprall der berühmten Maison de Roi, mit der auch der König von England ritt. Zwölfmal, sagt man, haben sie uns an diesem Tage angegriffen, und wir mußten sie immer wieder mit vollen Salven und wahren Eisenhecken unserer vierfachen Linie der Musketiere und Pikenträger zurückschlagen. Nach der Schlacht schickte Seine Gnaden der Herzog von Berwick seinem alten Regiment einen Gruß und beglückwünschte es zu seiner glänzenden Haltung im Felde.
Am 25. September, als die Armee vor Mons lag, tranken wir auf die Gesundheit und Mündigkeit des Grafen von Castlewood. Vor Mons war Oberst Esmond nicht so glücklich wie in manchem viel gefährlicheren Gefecht. Eine verirrte Kugel traf ihn gerade über der Stelle, wo seine frühere Wunde war, die sich infolgedessen wieder öffnete. Er lag im Fieber, spuckte Blut und war nahe am Tode. Sein Vetter, der gute Junge, pflegte ihn mit sehr lobenswerter Geduld und Sorgfalt, bis er von den Ärzten außer Gefahr erklärt wurde. Da zog Frank nach Brüssel ab, um dort den Winter zu verbringen, und wird wohl wieder irgendeine Festung belagert haben. Nicht jeder junge Bursche hätte sein Vergnügen so lange und so freudig hinausgeschoben, wie Frank es tat, und sein heiteres Geplauder kürzte Esmond manchen Tag der Schmerzen und der Mattigkeit. Zu Hause glaubte man Frank noch immer am Krankenbett, als er es schon seit einem Monat verlassen hatte. Es kamen Briefe von seiner Mutter, in denen sie dem jungen Herrn dankte, daß er seinen älteren Bruder, wie sie ihn liebevoll nannte, so sorgfältig pflege. Esmond beeilte sich nicht, sie aufzuklären, er gönnte dem Jungen die Weihnachtsferien. Es hatte ihm ein doppeltes Vergnügen bereitet, von seinem Bett aus zu beobachten, wie der junge Mann sich einerseits auf die ihm winkende Freiheit freute und andererseits kindliche Anstrengungen machte, dem Kranken seine Freude nicht merken zu lassen. Es gibt Tage, an denen eine Flasche Champagner im Kabarett und eine rotwangige Partnerin dabei eine Versuchung sind, der ein lebensfroher junger Mensch nicht widerstehen kann. Ich spiele nicht den Moralisten und rufe »Pfui«. Ich weiß, wie seit Jahrhunderten die alten Männer predigen und was die jungen Leute tun. Die Patriarchen haben auch ihre schwachen Stunden gehabt, lang, ehe Vater Noah vom neuentdeckten Wein kopfüber ging. Frank war also in Brüssel, das die jungen Leute von der Armee für viel unterhaltender erklärten als London, und Harry Esmond lag allein in seinem Krankenzimmer. Er vertrieb sich die Zeit damit, eine sehr schöne Komödie zu schreiben, die seine Herrin überaus bedeutend fand und die im nächsten Jahr nicht weniger als dreimal hintereinander in London aufgeführt wurde.
Als er noch krank lag, erschien der allgegenwärtige Herr Holtz auf dem Schauplatz und blieb einen ganzen Monat in Mons, wo er den Oberst Esmond nicht nur für die Partei des Königs gewann, sondern auch versuchte, den alten Kirchenstreit noch einmal zu eröffnen und Esmond zu der Religion zurückzuführen, auf deren Bekenntnis er als Kind getauft war. Holtz war ein Kasuist, gelehrt und gewandt, und stellte das Verhältnis zwischen der englischen und katholischen Kirche so dar, daß jeder, der seinen Voraussetzungen zustimmte, notwendig auch seine Folgerungen anerkennen mußte. Er spielte auf Esmonds gefährlichen Gesundheitszustand an, die Möglichkeit seines baldigen Todes, und verbreitete sich über die unendlichen Segnungen, die der kranke Mann sich versage. Aber Esmond erwiderte, daß seine Kirche die Kirche seines Vaterlandes sei und daß es anderen Leuten freistehe, andere Glaubensartikel zu beschwören, in Rom oder in Augsburg. Wenn aber der gute Pater meine, er werde sich aus Furcht vor den Folgen der Ketzerei zur römischen Kirche bekehren, so müsse er ihm sagen, daß er ganz bereit sei, die Strafe mit den Millionen seiner Landsleute, die im selben Bekenntnis aufgewachsen wären, zu teilen und mit einigen der edelsten, zuverlässigsten, weisesten, frömmsten und gelehrtesten Männer und Frauen der Welt.
In politischen Dingen verstand sich Esmond besser mit dem Pater; er war zu denselben Schlüssen gekommen, wenn vielleicht auch auf anderem Wege. Mit dem »Recht von Gott«, über das Dr. Sacherevel und die hochkirchliche Partei in England gerade jetzt großes Wesen machten, konnten sie es halten, wie sie wollten. Wäre aber Richard Cromwell und sein Vater vor ihm zum König gekrönt und gesalbt worden – und Bischöfe genug hätten sich dazu gefunden –, schien seine Familie in Esmonds Augen dasselbe göttliche Recht auf den Thron zu haben wie die Plantagenets, Tudors oder Stuarts. Ihm schien das Wesentliche, daß das Volk zweifellos nach erblicher Monarchie verlangte und ein englischer König aus Saint-Germain besser auf den Thron paßte als ein deutscher Fürst aus Herrenhausen. Sollte sich der Stuart als König unzulänglich erweisen, so würde sich wohl ein anderer Engländer finden lassen. So war er ohne wilde Begeisterung und ohne Verehrung für den fabelhaften Stammbaum, den die Torys für göttlich erklärten, durchaus bereit, »Gott erhalte König Jakob!« zu rufen, wenn die Königin Anna einmal den Weg allen Fleisches gegangen war.
»Ich fürchte, Oberst, Sie sind im Herzen nichts anderes als ein Republikaner«, sagte der Priester seufzend.
»Ich bin ein Engländer«, entgegnete Harry, »ich nehme mein Land, wie es ist. Der Wille des Volkes ist für Kirche und König; darum bin ich auch für Kirche und König, aber für eine englische Kirche und für einen englischen König. Darum haben wir wohl den König gemeinsam, aber nicht die Kirche.«
Obwohl die Franzosen den Tag von Malplaquet verloren hatten, so hob er doch ihr Selbstbewußtsein in eben dem Grade, wie er die Stimmung der Sieger niederdrückte. Sie sammelten eine größere Armee als je zuvor und trafen ungeheure Vorbereitungen für den nächsten Feldzug. Marschall Berwick war dies Jahr bei den Franzosen, und wir hörten, daß Marschall Villars, der an einer Wunde daniederlag, glühend wünsche, den Herzog zur Schlacht zu reizen, und geschworen habe, er wolle von der Sänfte aus gegen ihn fechten. Der junge Castlewood kam eilends von Brüssel zurück, als er hörte, daß die Kämpfe beginnen sollten. Die Ankunft des Chevalier de St. George wurde für den Mai gemeldet. »Es ist des Königs dritter Feldzug und mein dritter auch!« pflegte Frank gern zu sagen. Er war glühender für die Sache der Stuarts begeistert denn je, und Esmond vermutete, daß die Beredsamkeit schöner Verschwörerinnen in Brüssel den Eifer des jungen Mannes zu solcher Glut entfacht hatte. Er gab auch wirklich zu, daß er Grüße von der Königin, seiner Schwester Patin, empfangen habe, die ein Jahr vor seiner und seines Königs Geburt Beatrix ihren Namen gegeben hatte.
So schlachtenfreudig sich auch der Marschall Villars gebärden mochte, der Herzog schien nicht gesonnen, ihm in diesem Feldzug zum Schlagen Gelegenheit zu geben. Im Jahre vorher war Seine Gnaden ganz Whig und Hannoveraner gewesen; da ihn sein Vaterland aber recht kühl empfangen hatte, als er im Winter dort erschien, und er das Volk in einer Gärung hochkirchlicher Königstreue vorfand, so kam er sehr abgekühlt gegen die Hannoveraner, sehr zurückhaltend gegen die Kaiserlichen, sehr höflich und rücksichtsvoll gegen den Chevalier de St. George zur Armee zurück. Er soll nach seinem eigenen Ausspruch bereit gewesen sein, sich für die königliche Familie in Stücke schneiden zu lassen, wie Herr St. John Oberst Esmond erzählte, ja er soll sich sogar einen Teil seines Geldes von der Seele gerungen und ihn an die Verbannten in Saint-Germain geschickt haben. Herr Tunstal, der in des Prinzen Dienst stand, erschien zwei- oder dreimal in unserem Lager, da die Franzosen in Arlien und nahe Arras lagen. Ein kleiner Fluß, ich glaube, er hieß Canihe, trennte unsere Vorposten von denen des Feindes. Sie unterhielten sich über das Wasser weg, wenn ihre sprachlichen Kenntnisse eine Verständigung erlaubten. Wollte es nicht gehen, so grinsten sie sich an und reichten sich ihre Branntweinflaschen und Tabaksbeutel hinüber und herüber. An einem schönen Junitage, als Esmond, der noch zu schwach für den Dienst war, den Offizier, der die Vorposten besichtigte, zu Pferde begleitete, kamen sie auch an dieses Flüßchen. Ein Trupp Engländer und Schotten standen beieinander und unterhielten sich mit dem gutmütigen Feind am anderen Ufer.
Esmond erheiterte besonders das Geschwätz eines langen Burschen mit großem krausem rotem Schnurrbart und blauen Augen, der seine dunklen, kleinen französischen Kameraden wenigstens um Kopfeslänge überragte. Auf seine Frage, zu welcher Truppe er gehöre, grüßte er und rief: »Je suis des Royal Cravats.«
Die Art, wie er das sagte, verriet Esmond sofort, daß er seine Zunge zuerst an den irischen Ufern des Liffy und nicht an der Loire geübt hatte. Der arme Kerl war wohl ein Deserteur und wagte nicht, sich sehr tief in französische Unterhaltung einzulassen, um sich durch seine Aussprache nicht zu verraten. Er beschränkte sich auf einige Redewendungen, die er ganz zu beherrschen glaubte, und seine krampfhaften Versuche, sich als Franzose zu geben, waren höchst belustigend. Herr Esmond pfiff den Lillibullero; da fingen die blauen Augen an zu zwinkern. Dann warf er ihm ein Silberstück hinüber, und der arme Junge versprach sich mit dem englischen »Gott segne« – das heißt, »Dieu vous benisse, votre honor ...«, das ihn unfehlbar dem Generalprofos überliefert hätte, wenn er auf unserer Seite des Flusses gewesen wäre.
Während Esmond in diese Unterhaltung vertieft war, näherten sich auf der französischen Seite drei Offiziere zu Pferde; sie hielten an und beobachteten uns, worauf sich der eine von den anderen beiden trennte und uns gerade gegenüber dicht an das Ufer des Flusses heranritt. »Sehen Sie, sehen Sie«, rief der Irländer in heftiger Erregung, »pas lui, nicht der, l'autre«, und er wies auf den einen der zurückgebliebenen Offiziere, dessen Küraß in der Sonne funkelte. Er trug ein breites blaues Band darüber und ritt ein kastanienbraunes Pferd.
»Bitte, überbringen Sie dem Herzog von Marlborough die Empfehlungen des Herrn Hamilton«, rief uns der Herr, der herangekommen war, auf englisch zu. Als er sah, daß wir nicht feindlich gestimmt waren, fügte er lächelnd hinzu: »Dort hält ein Freund, meine Herren. Er läßt Ihnen sagen, daß er sich Ihrer Gesichter vom 11. September des letzten Jahres her erinnere.«
Während er sprach, ritten die anderen beiden Offiziere näher heran und hielten uns gegenüber. Wir errieten sofort den König. Er war damals zweiundzwanzig Jahre alt, groß und schmächtig, mit dunklen braunen Augen, die schwermütig dreinschauten, obwohl sein Mund lächelte. Wir zogen die Hüte und grüßten ihn. Niemand hätte beim ersten Anblick des jugendlichen Erben von so viel Ruhm und so viel Unglück unbewegt bleiben können. Er erinnerte Esmond an den jungen Castlewood; er war im selben Alter und von ähnlicher Gestalt. Er erwiderte unseren Gruß und sah scharf zu uns herüber. Selbst die umherschlendernden Soldaten auf unserer Seite riefen: »Hurra!«
Der Royal-Cravat aber lief an des Königs Pferd heran, kniete nieder, küßte seinen Stiefel und stammelte Segenswünsche. Auf einen Wink des Königs gab ihm der Adjutant ein Geldstück, und als die drei davonritten, spuckte der Cravat zum Zeichen des Segens auf das Gold in seiner Hand, steckte es in die Tasche, zwirbelte seinen ehrlichen roten Schnurrbart und stolzierte davon.
Der Offizier, den Esmond begleitete, Herr Sterne, der nämliche kleine Hauptmann vom Regiment Handyside, der in Lille den Garten für Esmonds Duell mit Mohun vorgeschlagen hatte, war ebenfalls Ire und die tapferste Seele, die je einen Degen getragen hat. »Zum Kuckuck!« sagte er. »Der lange Kerl da drüben sprach so wundervoll Französisch, daß ich ihn nie für einen Landsmann gehalten hätte. Erst als er ›Hurra‹ schrie, habe ich es gemerkt; denn so kann nur ein irisches Kalb brüllen.« Und Roger machte in seiner hitzigen Art noch eine Bemerkung, die absurd klang und doch gar nicht so unverständig war: »Wenn der junge Herr da drüben nur zu uns herüberkommen wollte, statt zu Villars zu reiten! Wenn er seinen Hut schwenkte und riefe: ›Hier bin ich, euer König! Wer folgt mir?‹ Bei Gott, Esmond, die ganze Armee stände auf, brächte ihn heim, schlüge Villars und eroberte nebenbei noch Paris.«
Die Nachricht von dem Besuch des Prinzen verbreitete sich alsbald durchs ganze Lager, und Hunderte strömten nach dem kleinen Fuß hinunter in der Hoffnung, ihn zu sehen. Major Hamilton, der Offizier, welcher mit uns gesprochen hatte, schickte uns durch einen Trompeter ein paar silberne Schaumünzen zum Andenken herüber. Herr Esmond bekam auch eine davon. Und diese Medaille sowie eine bei Fürsten nicht ungewöhnliche Belohnung waren die einzigen Geschenke, die er je von der königlichen Persönlichkeit erhielt, der er nur wenig später so eifrig zu dienen bemüht war.
Fast unmittelbar danach verließ Esmond die Armee und folgte seinem General in die Heimat, zumal man ihm geraten hatte, bei schönem Wetter zu reisen und nicht länger am Feldzug teilzunehmen. Aber er hörte von Kameraden, daß von den zahlreichen seiner Anhänger, die sich drängten, den Chevalier de St. George zu sehen, Frank Castlewood sich am meisten hervorgetan habe: Mylord ritt barhäuptig durch das Flüßchen bis zum Prinzen, stieg vom Pferde und erwies ihm kniend seine Huldigung. Man sagte sogar, daß der Prinz ihn zu seinem Ritter geschlagen habe, aber Mylord leugnete diese Behauptung, obgleich er den Rest der Geschichte zugab. Korporal John, wie er den Herzog nannte, bei dem er früher in Ungnade stand, habe ihn gewarnt, solche Torheiten zu begehen, ihm seither aber stets herzlich zugelächelt.
»Und er war zu mir so freundlich«, schrieb Frank, »daß ich glaubte, ich könnte auch für Master Harry ein gutes Wort einlegen, aber als ich nur Deinen Namen erwähnte, sah er finster aus wie das Donnerwetter und behauptete, er hätte nie von Dir gehört.«