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Fünfzehntes Kapitel
General Webb gewinnt die Schlacht von Wynendael

Durch die Belagerer und die Belagerten von Lille wurden einige der glänzendsten Heldentaten vollbracht, die je einen Krieg auszeichneten. Auf französischer Seite, deren Tapferkeit ungemein war – in der Tat, die Geschicklichkeit und Bravour des Marschalls Boufflers übertrafen die des Siegers, des Prinzen von Savoyen –, mag das kühne Unternehmen der Herren von Luxemburg und Tournefort erwähnt werden. Sie brachten mit einer Abteilung Dragoner das Pulver in die Stadt, das die Belagerten so außerordentlich benötigten – jeder Soldat trug einen Sack mit vierzig Pfund Pulver hinter dem Sattel, und mit dieser gefährlichen Fracht kämpften sie gegen unsere Reiterei und gerieten in das Feuer des Fußvolkes, das sie aufhalten sollte. Und obgleich die Hälfte der Leute bei diesem furchtbaren Ritt in die Luft flog, gelangte ein Teil von ihnen doch in die Stadt mit diesem Kriegsvorrat, den die Garnison so dringend brauchte. Ein französischer Offizier, Monsieur du Bois, vollbrachte eine gleich wagemutige Tat, und mit vollständigem Erfolg. Da des Herzogs große Armee bei Helchin lag und die Belagerung deckte und es notwendig war, daß Monsieur de Vendosme Nachrichten über die Lage in der Festung erhielt, führte Capitaine du Bois sein berühmtes Heldenstück aus: er durchbrach nicht nur die Linien der Belagerer, sondern durchschwamm danach nicht weniger als sieben Wall- und Festungsgräben und kam auf demselben Wege schwimmend zurück, die Briefe im Mund.

In diesen Briefen meldete Monsieur de Boufflers, daß er zusagen könnte, die Festung bis zum Oktober zu halten, und, falls einer der Nachschubkonvois der Verbündeten abgefangen werden könnte, müßten sie die Belagerung überhaupt aufheben.

Solch ein Transport, wie berichtet, wurde in Ostende ausgerüstet, und am 27. September hatten wir – und die Franzosen auch – Nachricht, daß er unterwegs sei. Er bestand aus siebenhundert Wagen, die mit Kriegsvorrat aller Art gefüllt waren, und wurde von zweitausend Mann zu Fuß und dreihundert Reitern begleitet. Zur gleichen Zeit verließ General De la Mothe mit fünfunddreißig Bataillonen, mehr als sechzig Schwadronen und vierzig Geschützen Brügge, um den Konvoi abzufangen. Generalmajor Webb hatte inzwischen seine Kräfte auf zwanzig Bataillone und drei Schwadronen Dragoner verstärkt, und in der großen Ebene von Turout, vor dem kleinen Wald und Schloß von Wynendael, hinter dem der Transport entlangzog, stießen wir auf die feindlichen Vorposten.

Unsere vordersten Truppen machten halt, die übrigen wurden so rasch als möglich herangezogen und unsere kleine Reiterabteilung in die Ebene vorgeschickt, um, wie unser General sich ausdrückte, mit dem Feind zu scharmutzieren. Als De la Mothe sich näherte, fand er uns in zwei Linien, den Wald im Rücken, aufgestellt und ließ seine Armee uns gegenüber in acht Linien schlachtbereit aufziehen, vorn vier Linien Infanterie, dahinter Dragoner und Kavallerie.

Die Franzosen eröffneten den Kampf, wie üblich, mit einer Kanonade, die drei Stunden dauerte. Dann gingen sie in zwölf Gliedern zum Angriff gegen die verbündeten Truppen vor, die im Wald postiert waren. Ihre Infanterie benahm sich schlecht; sie hatte Befehl, mit dem Bajonett anzugreifen, fing aber statt dessen an zu feuern. Beim ersten Vorstoß unserer Leute geriet sie in Verwirrung und floh. Die Reiterei bewährte sich besser. Mit ihr allein, die drei- bis viermal zahlreicher war als unsere ganze Streitkraft, hätte De la Mothe den Sieg erringen können. Aber nur zwei von unseren Bataillonen wurden schließlich erschüttert, und auch die sammelten sich schnell wieder; sonst konnten die immer erneuten Angriffe der französischen Reiter uns keinen Zollbreit aus unserer Stellung im Wald verdrängen.

Nachdem sie uns zwei Stunden lang angegriffen, zogen sich die Franzosen beim Anbruch der Nacht vollständig erschöpft zurück. Trotz aller Verluste, die er erlitten, war der Feind noch immer dreimal so stark wie wir. Unser General konnte sich auf eine Verfolgung nicht einlassen; er konnte nichts weiter tun, als unsere Stellung vor dem Walde zu halten, aus der die Franzosen uns vergeblich zu verdrängen versucht hatten. La Mothe ging hinter seine Geschützlinie zurück, geschützt von seiner Kavallerie, und inzwischen zog der Konvoi, der wichtiger war als unsere ganze kleine Schar und für dessen Sicherheit wir den letzten Blutstropfen vergossen hätten, während dieses Kampfes in vollkommener Ruhe weiter seines Weges und traf jubelnd und wohlbehalten im Feldlager von Lille ein.

Generalmajor Cadogan, des Herzogs Generalquartiermeister, der den Transport begleitete und mit Herrn Webb nicht gerade ein zärtliches Verhältnis hatte, stieß mit einigen hundert Reitern zu uns, als die Schlacht gerade vorüber und der Feind in vollem Rückzug begriffen war. Er erbot sich bereitwilligst, die Franzosen zu verfolgen; da er aber zu schwach war, um ihnen wesentlichen Schaden zuzufügen, und Herr Webb, der in diesem Falle sein Vorgesetzter war, es besser fand, die feste Stellung zu behaupten und den ungehinderten Durchzug des Konvois zu sichern als sich auf offenem Feld mit einem so überlegenen Feind einzulassen, kamen Cadogans Reiter nicht zum Schlagen. Die gute Haltung, die sie zeigten, hatte nur den Vorteil, daß es den Franzosen die Lust verdarb – falls sie die überhaupt gehabt hatten –, uns noch einmal anzugreifen. Da kein Angriff erfolgte, zog Cadogan beim Anbruch der Nacht von dannen, dem Hauptquartier zu, und die beiden Generale grüßten sich beim Abschied mit grimmiger Höflichkeit.

»Er wird gerade rechtzeitig bei Roncy eintreffen, um Mylord des Herzogs Teller vom Nachtmahl abzulecken«, sagte Herr Webb.

Unsere Leute schlugen ihr Nachtlager im Wald von Wynendael auf, und unser General nahm sein Abendessen in dem kleinen Schloß ein.

»Wäre ich Cadogan, so würde mich die Arbeit dieses Tages zum Peer machen«, sagte General Webb, »und du, Harry, würdest ein Regiment bekommen. Du bist nach den beiden letzten Schlachten ehrenvoll erwähnt worden; in der ersten bist du beinahe umgekommen. Ich werde dich in meiner Depesche an Seine Gnaden erwähnen und dich für die freigewordene Majorsstelle des armen Dick Harwood vorschlagen. Hast du nicht hundert Guineen bei dir? Laß sie morgen Cardonnel in die Hand gleiten, wenn du mit meinem Rapport ins Hauptquartier gehst.«

In diesem Bericht war Esmonds Name mit ganz besonderer Auszeichnung genannt. Er überbrachte ihn am nächsten Tage dem Herzog und war nicht wenig erfreut, als ihm der Sekretär Seiner Gnaden ein Antwortschreiben an den »Generalleutnant« Webb einhändigte. Der Abgesandte des holländischen Grafen Nassau, welcher Herrn Webb in der Schlacht mit Geschick und großer Tapferkeit zur Seite gestanden hatte, brachte an seinen Befehlshaber auch ein herzogliches Schreiben zurück.

Esmond traf seinen General, wie er mit seinem Gefolge die Straße nach Menin hinunterritt. Er übergab ihm lächelnd den Brief, verbeugte sich tief und begrüßte ihn als Generalleutnant. Die Herren riefen hurra, Webb dankte und öffnete das Schreiben mit gespanntem, stark gerötetem Gesicht.

Als er es gelesen hatte, schlug er wütend damit gegen seinen Stiefelschaft. »Er hat es nicht einmal mit eigener Hand geschrieben. Lies es vor, Esmond.« Esmond las:

»Sir – eben trifft Herr Cadogan ein und berichtet mir von dem Erfolg, den Sie heute nachmittag bei Wynendael gegen die Truppen des Herrn De la Mothe errungen haben. Er ist vorzüglich. Ihrer guten Haltung und Entschlossenheit zu verdanken. Sie mögen versichert sein, daß ich Ihnen in London Gerechtigkeit widerfahren lassen und mich jeder Gelegenheit freuen werde, Ihre Verdienste um Sicherung dieses Konvois anzuerkennen. Der Ihre und so weiter.«

»Zwei Zeilen von dem verfluchten Cardonnel und weiter nichts! Dafür, daß Lille genommen wird, daß ich einen fünffach überlegenen Feind besiegt habe! Für eine Schlacht, so glänzend wie die besten, die er selbst geschlagen hat!« rief der arme Herr Webb. »Generalleutnant! Das ist nicht sein Werk. Ich war der älteste Generalmajor. Zum Teufel, ich glaube, es hätte ihm besser gefallen, wenn ich geschlagen worden wäre.«

Der Brief an den holländischen Offizier war in französischer Sprache abgefaßt und war länger und schmeichelhafter als der an Herrn Webb.

»Das ist nun der Mann«, brach er los, »der im Gold erstickt, der mit Titeln und Ehren bedeckt ist, die wir ihm errungen haben, und der einem Waffengefährten nicht einmal ein paar Worte des Lobes gönnt! Hat er noch nicht genug? Schlagen wir uns nicht, damit er in Reichtümern wühlen kann? Nun, warten wir auf den Zeitungsbericht, meine Herren. Die Königin und das Vaterland werden uns die Gerechtigkeit nicht versagen, die Seine Gnaden uns verweigert.« Tränen der Wut standen in den Augen des tapferen Kriegers, und er wischte sie grimmig mit dem Handschuh fort. Er schüttelte die Faust. »Bei Gott!« sagte er. »Ich weiß, was mir lieber wäre als die Peerswürde.«

»Und was wäre das, Sir?« fragten mehrere Stimmen.

»Ich möchte eine Viertelstunde lang mit John Churchill auf einem schönen grünen Feld allein sein, mit nichts als einem Paar Degen zwischen mir und seinem ...«

»Sir!« unterbrach ihn jemand.

»Erzählt es ihm nur weiter! Ich weiß, was ihr meint. Ich weiß, daß ihm jedes Wort zu Ohren kommt, das irgendein General fallen läßt. Ich sage nichts gegen seine Tapferkeit. Gott verfluch ihn! Aber tapfer ist er. Wir wollen auf die Zeitung warten, meine Herren. Gott erhalte Ihre Majestät! Sie wird uns Gerechtigkeit widerfahren lassen.«

Die »Zeitung« erreichte uns erst einen Monat später, als wir mit unserem General bei Prinz Eugen in Lille zur Tafel geladen waren. Seine Hoheit war so gütig zu erklären, daß wir die Vorräte herbeigeschafft hätten, darum auch am Bankett teilnehmen sollten. Es war ein großes Festmahl. Marlborough saß zur Rechten Seiner Hoheit, der Marschall de Boufflers, der Lille so heldenmütig verteidigt hatte, zu seiner Linken. Die vornehmsten Offiziere beider Armeen waren zugegen, und Esmonds General hatte einen glänzenden Tag. Seine hohe, edle Gestalt, die männliche Schönheit seiner Züge zogen aller Blicke auf sich. Er trug zum ersten Male den Ordensstern, den ihm Seine Majestät von Preußen für seinen Sieg gesandt hatte. Der Prinz von Savoyen trank auf die Gesundheit des Siegers von Wynendael. Marlborough leerte sein Glas mit einem etwas säuerlichen Lächeln. Die Adjutanten waren auch geladen, und Harry Esmond saß neben seinem lieben jungen Vetter, mit dem er soviel zusammenkam, als der Dienst es ihnen beiden nur irgend erlaubte. Sie saßen dem Tisch der Generale gegenüber und konnten alles verfolgen, was vorging. Frank lachte über des Herzogs mürrisches Gesicht; die Begebenheiten von Wynendael und das Benehmen des obersten Feldherrn gegen Webb waren das Gespräch der ganzen Armee gewesen. Als Seine Hoheit sagte: »Le vainqueur de Wynendael, son armée et sa victoire«, und hinzufügte: »Qui nous font dîner à Lille aujourd'hui«, da brach in der ganzen Halle lauter Jubel los. Herrn Webbs Tapferkeit und Edelmut, ja selbst die Schwächen seines Charakters machten ihn in der ganzen Armee beliebt.

»Wie Hektor tapfer und wie Paris schön«, flüsterte Frank Castlewood. »Eine Venus, eine ältliche Venus wenigstens, könnte ihm einen Apfel nicht versagen. Steh auf, Harry! Begreifst du nicht? Wir trinken auf das Wohl der Armee von Wynendael. Ramillies ist nichts dagegen. Hoch! Hoch!«

In dem Augenblick, und gerade, als unser General gedankt hatte, brachte jemand die englische Zeitung herein, die an den Tischen entlang von Hand zu Hand wanderte. Die Offiziere waren eifrig darauf erpicht, sie zu lesen; Müttern und Schwestern zu Hause muß dabei angst geworden sein. Sechs Jahre lang kam kaum eine Zeitung heraus, die nicht von Heldentod und von glänzenden Schlachten berichtete.

»Da, Schlacht von Wynendael – da sind Sie, General«, rief Frank und ergriff das schmutzige kleine Blatt, das Soldaten so gerne lesen. Er kletterte über unsere Bank und ging hinüber zum Platz des Generals Webb, der ihn kannte und sein lachendes hübsches Gesicht oft und gern an seiner Tafel sah. Die Generale in ihren großen Perücken machten ihm Platz, und über General Dohnas Lederkoller hinweg reichte er Webb das Blatt.

Dunkelrot kam er zurückgehumpelt. »Ich dachte, er würde sich freuen, Harry«, flüsterte er. »Habe ich mich nicht gefreut, meinen Namen nach Ramillies in der ›London Gazette‹ zu lesen? Graf Castlewood, der als Freiwilliger dient! ... Sieh nur, was ist denn los da drüben?«

Herr Webb sah sehr sonderbar drein, als er die Zeitung las. Er schlug sie auf den Tisch, sprang auf und rief: »Wollen Eure Hoheit die Güte haben ...«

Jetzt sprang auch Seine Gnaden der Herzog von Marlborough auf. »Da liegt ein Irrtum vor, mein lieber General Webb.«

»Dann wäre es gut, wenn Euer Gnaden ihn berichtigten«, entgegnete Webb und reichte ihm die Zeitung hin. Aber er war fünf Plätze von Seiner Gnaden entfernt, der mit dem Prinzen Eugen, den fremden Gesandten und dem Kurprinzen von Hannover erhöht unter einem Baldachin saß. Webb konnte ihn nicht erreichen, so groß er war.

»Halt«, sagte er und lächelte, als komme ihm ein guter Gedanke. Er zog seinen Degen, spießte die Zeitung mit der Spitze auf, hielt sie Marlborough mit vollendeter Artigkeit hin und sagte: »Wollen Euer Gnaden mir erlauben, Ihnen die Zeitung zu überreichen?«

Der Herzog sah sehr finster aus. »Nimm sie«, sagte er zu seinem Stallmeister, der hinter seinem Stuhl stand.

Der Generalleutnant verbeugte sich tief, setzte sich nieder und leerte sein Glas. Die Zeitung, in der Herr Cardonnel, der Sekretär des Herzogs, einen Bericht über die Schlacht von Wynendael gab, erwähnte Herrn Webbs Namen; die Leitung der Schlacht aber und das ganze Lob wurde allein dem Günstling des Herzogs, Herrn Cadogan, zugesprochen.

Das merkwürdige Benehmen des Generals Webb, der beinahe den Degen gegen den höchsten Befehlshaber gezogen hatte, erregte kein geringes Aufsehen und wurde viel besprochen. Nach dem ersten Ausbruch seines Zornes aber beherrschte sich der General äußerlich so vollständig, daß er die Genugtuung hatte, durch sein späteres Verhalten den Herzog noch mehr zu ärgern, als jede öffentliche Kundgebung seines Grolls es vermocht hätte.

Er beriet sich nach der Rückkehr in sein Quartier mit seinem liebsten Ratgeber, Herrn Esmond, der jetzt das volle Vertrauen des Generals genoß und von ihm als Freund, beinahe als Sohn behandelt wurde, und schrieb dann einen Brief an Seine Gnaden den Herzog, in dem er bemerkte:

»Euer Gnaden werden verstehen, daß die überraschende Durchsicht der ›Londoner Gazett‹, in der Euer Gnaden Sekretär, Herr Cardonnel, den Namen Generalmajor Cadogans als des kommandierenden Offiziers in dem Gefecht von Wynendael erwähnt, keine freudigen Gefühle bei dem General erwecken kann, der diesen Kampf leitete.

Es kann Euer Gnaden nicht unbekannt sein, daß Herr Cadogan bei der Schlacht nicht einmal anwesend war, obgleich er mit seinen Schwadronen auf dem Felde erschien, als der Feind sich bereits zurückzog, und sich dem Befehl seines vorgesetzten Offiziers unterstellte. Da der Sieg bei Wynendael die Einnahme von Lille, den Entsatz von Brüssel, das der Feind unter dem Kurfürsten von Bayern belagerte, und die Herausgabe der Städte Gent und Brügge, die dem Feind im Jahr vorher durch Verrat innerhalb der Mauern in die Hände gefallen waren, zur Folge hatte, so kann Herr Generalleutnant Webb, der so glücklich war, in dieser Schlacht das Kommando zu führen, auf die Ehren eines solchen Erfolges und Verdienstes weder zugunsten des Herrn Cadogan noch irgendeines anderen Herrn verzichten.

Sobald die militärischen Unternehmungen des Jahres vorüber sind, wird Generalleutnant Webb sich Urlaub erbitten, um seinen Platz im Parlament einzunehmen und seine Sache dem Unterhaus, dem Land und Ihrer Majestät der Königin zu unterbreiten. Er erlaubt sich hiermit, Euer Gnaden von dieser Absicht Mitteilung zu machen.

Herr Webb hat im Eifer, die falsche Darstellung von Euer Gnaden Sekretär zu berichtigen, die Zeitung, welche sie enthielt, Euer Gnaden auf der Spitze seines Degens überreicht, weil er wegen der dazwischensitzenden Herren nicht in der Lage war, an Euer Gnaden heranzukommen. Er tat es in der Absicht, das Blatt so rasch als möglich in Euer Gnaden Hände gelangen zu lassen, und in der Annahme, daß Euer Gnaden sicher wünscht, jedem Offizier Ihrer Armee Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Herr Webb kennt seine Pflicht zu gut, um an Auflehnung gegen seinen Vorgesetzten zu denken oder seinen Degen im Felde gegen irgend jemand anders zu brauchen als gegen die Feinde Ihrer Majestät. Er kommt um die Erlaubnis ein, sobald es die militärischen Pflichten gestatten, nach England zurückzukehren in Begleitung von Hauptmann Esmond, der als sein Adjutant während der ganzen Schlacht von Wynendael anwesend war und auf seiner Uhr genau die Stunde feststellte, zu der Herr Cadogan am Ende des Gefechtes eintraf.«

Der Herzog konnte nicht umhin, die gewünschte Erlaubnis zu erteilen, konnte auch gegen den Brief des Herrn Webb keinerlei Schritte unternehmen, obwohl er höchst beleidigende Anspielungen enthielt. Die halbe Armee war des Glaubens, daß die Städte Gent und Brügge durch Verrat verloren worden waren, dem gewisse Persönlichkeiten unseres Heeres nicht fernstanden; daß Marlborough Lille nicht befreit hätte, wenn er es hätte verhindern können; daß er die Schlacht von Oudenaarde nicht geschlagen hätte, wenn er nicht vom Prinzen von Savoyen dazu gezwungen worden wäre. Freilich, als die Schlacht einmal beschlossene Sache war, kämpfte Lord Marlborough wie kein Feldherr vor ihm besser gekämpft hat, und keine Bestechungsgelder der Erde konnten ihn davon zurückhalten, den Feind zu besiegen Anmerkung des Enkels. Der Haß unseres Großvaters gegen den Herzog von Marlborough tritt in allen diesen Erzählungen über die Feldzüge zutage. Er beharrte stets darauf, der Herzog sei zugleich der größte Soldat und der größte Verräter gewesen, den die Geschichte kenne, und behauptete, daß er während des Krieges von allen Seiten Bestechungen genommen hätte. Mylord der Marquis – denn so können wir ihn hier nennen, obgleich er sich nie anders als Oberst Esmond nannte – pflegte noch manche Geschichten zu erzählen, die er nicht in seinen Memoiren niederlegte und die er von seinem Jesuitenfreund hatte, der nicht immer richtig informiert war und darauf bestand, Marlborough habe vor der Schlacht von Ramillies eine Bestechung von zwei Millionen Kronen erwartet.
Unsere Großmutter pflegte uns Kindern zu erzählen, daß Marlborough, als unser Großvater ihm das erstemal vorgestellt wurde, ihm den Rücken kehrte und zu seiner Frau gesagt habe: »Heute war Tom Esmonds Bastard bei meinem Lever; er hat dasselbe Galgenvogelgesicht wie sein schurkischer Vater.« Die Herzogin habe es der Gräfin-Witwe in Chelsea erzählt, und diese wiederum unserem Großvater, der diesen Ausdruck nie vergab. Er war so beständig in seinen Abneigungen wie in seinen Freundschaften und hatte eine besondere Vorliebe für Webb, dessen Partei er stets gegenüber dem berühmten General ergriff. Webbs Porträt hängt noch jetzt bei uns in Castlewood, Virginia.
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Die Verstimmung zwischen den Generalen pflanzte sich in die unteren Regionen fort, und die halbe Armee wäre sich in die Haare geraten, wenn man den Streit nicht beigelegt hätte. General Cadogan schickte an General Webb eine Botschaft, daß er bereit sei, sich ihm zu stellen, falls Webb es wünschen solle. Eine solche Aufforderung war für unseren ritterlichen alten General eine große Versuchung. Nur mit Mühe konnten wir ihn bewegen, Herrn Cadogan zu antworten, daß er mit ihm keinerlei Zwistigkeiten habe. Cadogan habe sich mit tadelloser Ritterlichkeit gegen ihn benommen, und die, welche ihm unrecht getan hätten, seien im Hauptquartier zu suchen. Herr Cardonnel, der herzogliche Sekretär, bot General Webb Genugtuung an. Webb antwortete, er habe für Herrn Cardonnel einen Rohrstock in Bereitschaft, und die einzige Genugtuung, die er von ihm wünsche, werde er wohl nicht haben können; denn es sei – die Wahrheit. Die Stabsoffiziere von Webb waren bereit, jeder Forderung nachzukommen, und daraus entstand die einzige Verwicklung, an der Herr Esmond als Hauptperson beteiligt war. Ein alter Groll und ein alter Wunsch nach Rache waren bei dieser Gelegenheit die treibenden Kräfte in ihm.

Mylord Mohun, der Offizier bei den Gardereitern in Lord Macclesfields Regiment war, ritt in diesem Feldzug im Gefolge des Herzogs von Marlborough. Sein Ruf war im Lauf der Zeiten immer schlechter geworden. Er hatte in Spanien ein neues Duell mit schrecklichem Ausgang gehabt; er war verheiratet gewesen und hatte seine Frau verlassen; er war ein Spieler und ein Wüstling. Kurz vor der Schlacht von Oudenaarde erschien er bei der Armee. Was Esmond fürchtete, traf ein. Frank Castlewood hatte kaum von seiner Ankunft gehört, als er erklärte, er wolle ihn fordern und töten. Die Wunde, die Frank in der Schlacht davontrug, verhinderte das Zusammentreffen. Aber mittlerweile war sie beinahe geheilt, und Esmond zitterte täglich davor, daß irgendein Zufall seinen Jungen mit diesem berüchtigten Mörder zusammenführen könnte. Sie begegneten sich an der Offizierstafel des Regiments Handyside in Lille, dessen Kommandeur von dem Groll zwischen den beiden Edelleuten nichts geahnt hatte.

Esmond hatte das schöne, verhaßte Gesicht von Mohun seit jener Nacht in Leicester Field nicht gesehen. Das war neun Jahre her. Seitdem hatten Verbrechen und Leidenschaften es entstellt. Es trug den ruhelosen Ausdruck eines Mannes, der drei Tote und wer weiß wie viele heimliche Schandtaten und Laster auf dem Gewissen hat. Seine Verbeugung war tief und schlaff, und er drückte sich beiseite, nachdem unser Wirt uns gegenseitig vorgestellt hatte. Frank Castlewood erkannte ihn erst, als sein Name genannt wurde, so furchtbar hatte er sich verändert. Mohun aber wußte sofort, wer der Knabe war.

Es war merkwürdig, die beiden zusammen zu sehen. Der jüngere Mann wurde dunkelrot, als der verhaßte Name ihm ans Ohr schlug. Er sagte in seinem schlechten Französisch und mit seiner frischen, jungen Stimme: »Ich habe mir lange gewünscht, Mylord Mohun zu begegnen.« Der andere verbeugte sich nur und wandte sich fort. Wenn wir gerecht sein wollen, müssen wir sagen, daß er einen Streit mit dem Knaben zu vermeiden trachtete.

Esmond setzte sich bei Tische zwischen die beiden. »Verdammt«, sagte Frank, »was setzt du dich an den Platz eines Mannes, der im Rang über dir steht? Ich wünsche neben Mylord Mohun zu sitzen.«

Esmond flüsterte Mohun zu, Frank sei bei Oudenaarde am Bein verwundet, und er beschwöre ihn, sich ruhig zu verhalten. Eine Zeitlang verhielt er sich auch ruhig genug und ließ die Sticheleien des jungen Castlewood unbeachtet. Nachdem aber mehrere Gesundheiten getrunken worden waren, fing der Wein an, Mohun zu Kopfe zu steigen.

»Wollen Sie nicht lieber fortgehen, Mylord?« sagte Esmond in eindringlichem Ton.

»Nein, zum Kuckuck«, entgegnete Mohun. »Keinem Mann zu Gefallen gehe ich weg.« Er war jetzt schon ganz gerötet vom Wein.

Das Gespräch kam auf Webb. Er hatte den Herzog gefordert, er war mißhandelt worden, er war der tapferste, schönste, eitelste Mann der Armee. Lord Mohun wußte nicht, daß Esmond Webbs Adjutant war. Er fing an, allerlei Geschichten zu erzählen, die nicht schmeichelhaft für den General waren, und der junge Castlewood widersprach ihm von Esmonds anderer Seite her.

»Mehr dergleichen kann ich aber nicht dulden«, sagte Mohun.

»Ich auch nicht, Mylord«, rief Esmond und sprang auf. »Die Geschichte, die Mylord Mohun von General Webb erzählt hat, ist gelogen, meine Herren – ich wiederhole, gelogen!« Er verbeugte sich tief gegen Mohun, und ohne noch ein Wort weiter zu verlieren, verließ er das Zimmer. Solche Händel waren zwischen Offizieren in jenen Zeiten nichts Ungewöhnliches. Hinter dem Haus war ein Garten, in dem sich alsbald die ganze Gesellschaft versammelte. Die beiden Herren zogen ihre Röcke aus, und wenige Minuten, nachdem die kränkenden Worte gefallen waren, kreuzten sich schon ihre Klingen. Hätte Esmond Mohun aus der Welt geschafft, was ihm ein leichtes gewesen wäre, so würde ein Schurke bestraft und an weiteren Schurkereien verhindert worden sein. Aber ist es irgendeines Menschen Sache, einen anderen Menschen zu strafen? Esmond hatte nur den einen Gedanken, Lord Mohun daran zu hindern, daß er Frank irgendein Leid antue. Das Ende des Zweikampfes war, daß Mylord mit einer Wunde nach Hause zog, die es ihm für drei Monate unmöglich machte, den rechten Arm zu heben.

»Ach, Harry! Warum hast du den Kerl nicht umgebracht?« fragte der junge Castlewood. »Ich kann noch nicht ohne Krücke gehen, aber ich hätte zu Pferde und auf Pistolen mit ihm kämpfen können.«

Harry Esmond sagte: »Es ist besser, keines Menschen Leben auf dem Gewissen zu haben, auch das eines Schurken nicht.« Nach dem Zweikampf gingen die Herren zu ihrem Wein zurück, Lord Mohun aber in sein Quartier, wo ihn ein Fieber packte, das viel Unheil verhütet hätte, wenn es tödlich gewesen wäre. Bald nach diesem Händel verließen Esmond und sein General das Lager und begaben sich nach London. Ein gewisser Ruf mußte dem jungen Mann vorausgegangen sein; denn die Gräfin-Witwe in Chelsea empfing ihn wie einen siegreichen Helden. Sie gab ein großes Festessen zu Ehren von Herrn Webb, dessen Stuhl mit Lorbeeren bekränzt war. Sie ließ Esmond leben, und der General war so gütig, ihren Worten am stärksten beizustimmen. Sie brachte vierzig Kutschen voll Menschen zusammen, um unserem General zuzujubeln an dem Tag, als er im Unterhaus den Dank des Parlaments für seinen Sieg entgegengenommen hatte. Das Volk schrie hoch, die feinen Leute in den Kutschen klatschten Beifall; es war ein schöner Anblick, als er den Hut schwenkte, die Hand auf den preußischen Orden legte und sich verneigte. Er stellte Esmond den Herren St. John und dem Sehr Ehrenwerten Robert Harley, Esquire, vor, die ihn begleiteten, und sprach in der schmeichelhaftesten Weise von seinen Verdiensten während der letzten drei Feldzüge. Herr St. John, der das gewinnendste Benehmen hatte, das ich je an einem Mann kennenlernte – meinen unvergleichlichen jungen Frank Castlewood stets ausgenommen –, sagte, daß er durch Hauptmann Steele von Esmond gehört habe, und wie er Herrn Addison geholfen, sein berühmtes Gedicht vom »Feldzug« zu schreiben.

»Es ist ein so großes Meisterwerk wie der Sieg von Blenheim selbst«, meinte Herr Harley, der als Gönner und Kenner der Literatur galt. Und es mag so sein – obgleich ich für mein Teil etwa zwanzig Verse für schön halte und alles übrige für Gemeinplätze, wie tausend andere solcher Hymnen es sind.

Die ganze Stadt war entrüstet über die Behandlung, die Herrn Webb von seiten des Herzogs widerfahren war. Man begrüßte freudig die Dankeskundgebung des Unterhauses an den Sieger von Wynendael. Es war allen klar, daß die Einnahme von Lille und die Demütigung des alten französischen Königs, der, wie man sagte, unter dem Verlust dieser großen Stadt mehr litt als unter allen früheren Niederlagen, eine Folge dieses glücklichen Sieges war. Und ich glaube, Herrn Webbs Freude über seinen Sieg entsprang nicht wenig der Vorstellung, daß Marlborough dadurch einer großen Bestechung verlustig ging, die ihm der französische König versprochen hatte, falls die Belagerung von Lille aufgegeben würde. Die angebotene Summe Geldes wurde von des Herzogs Feinden verlautbart, und der ehrliche Herr Webb kicherte bei dem Gedanken, daß er nicht nur die Franzosen, sondern auch Marlborough geschlagen und einen Konvoi von drei Millionen Franken abgefangen habe, der zu den unersättlichen Taschen des Generalissimus unterwegs gewesen war. Als die Frau des Generals beim Empfang der Königin erschien, scharten sich alle Damen von der Partei der Torys mit Glückwünschen um sie und bildeten einen größeren Hofstaat, als ihn die Herzogin von Marlborough um sich hatte. Die Führer der Torys gaben Feste zu Ehren des Generals, rühmten ihn als einen dem Herzog ebenbürtigen Taktiker und benutzten den wackeren Soldaten wahrscheinlich als ihr Werkzeug, während er glaubte, sie seien ganz Bewunderung für seine militärischen Verdienste. Als Lieblingsoffizier und Adjutant des Generals fiel auch für Esmond etwas von der Volkstümlichkeit seines Vorgesetzten ab; er wurde der Königin vorgestellt und auf Wunsch seines dankbaren Herrn zum Oberstleutnant befördert.

Es gab da eine Familie, die jedes Glück, das Esmond widerfuhr, mit solchem Stolz und solcher Freude erfüllte, das er seinerseits glücklich war, ihr solche Freuden bereiten zu können. Diesen treuen Freunden schienen Blenheim und Oudenaarde recht nebensächliche Begebenheiten des Krieges, Wynendael aber war ihnen der krönende Sieg. Esmonds Herrin wurde nimmer müde, von dieser Schlacht erzählen zu hören, und ich glaube, General Webbs Frau wurde beinahe eifersüchtig auf sie; denn ihr Mann wandelte täglich nach Kensington und redete dort über dieses herrliche und unerschöpfliche Thema. Seinem Adjutanten aber war der Anteil am Ruhm, der natürlich auch seiner Eitelkeit schmeichelte, doch vor allem darum kostbar, weil er das Wohlgefallen seiner Herrin erregte, und noch mehr, weil Beatrix ihn zu schätzen wußte.

Eine heftiger begeisterte oder gnädiger gestimmte alte Dame als die Gräfin-Witwe in Chelsea hätte man in ganz England nicht finden können. Esmond wohnte im Hause Ihrer Gnaden; die Dienstleute waren angewiesen, ihn als ihren Herrn zu betrachten. Sie bat ihn, Gesellschaften zu geben, deren Kosten sie bestritt, und war entzückt, wenn die Kutschen voll bezechter Gäste davonrollten. Sie bestand darauf, daß er porträtiert werde, und Herr Jervas malte ihn in seinem roten Rock, wie er eine Bombe anlächelt, die in der Ecke des Gemäldes gerade platzt. Sie schwor, sie werde nicht ruhig sterben, ehe er eine glänzende Heirat gemacht habe, und wurde nicht müde, junge Damen mit hübschen Gesichtern und hübschen Vermögen nach Chelsea einzuladen und ihrem Obersten vorzustellen. Er lächelte oft in Gedanken an alte Zeiten, da er als zitternder Page mit dem silbernen Becken und Wasserkrug vor Ihro Gnaden gestanden oder auf dem Tritt ihrer Kutsche gekauert hatte. Das einzige, was sie jetzt an ihm auszusetzen hatte, war, daß er als ein Esmond nicht so nüchtern hätte sein dürfen. Er ließ sich nie von seinem Diener zu Bette tragen und verlor sein Herz weder an eine Schönheit von Covent Garden noch an eine Schönheit von des Herzogs Theater.

Was bedeutet Treue in der Liebe, und wo stammt sie her? Sie ist ein Seelenzustand, in den Männer verfallen, und der mit der Frau weniger zu tun hat als mit dem Manne selbst. Wir lieben, weil wir verliebt sind; das ist das ganze Geheimnis. Wären wir Johanna nicht begegnet, so wäre uns Käthe in den Weg gelaufen, und wir hätten Käthe und nicht Johanna geliebt. Wir wissen, daß die Herrin unseres Herzens nicht besser ist als andere Frauen auch, weder hübscher, noch weiser, noch witziger. Esmonds Geliebte hatte tausend Fehler, und er kannte sie sehr gut. Sie war herrschsüchtig, oberflächlich, leichtsinnig, falsch und ohne einen Funken von Ehrfurcht in ihrer Natur. Sie war in allem, sogar in ihrer Schönheit, das Widerspiel ihrer Mutter, der treuesten und selbstlosesten aller Frauen. Aber von dem Augenblick an, wo er sie die Treppe in Walcote herunterkommen sah, liebte er Beatrix. Es mochte bessere Frauen geben, er aber begehrte diese eine; um die anderen kümmerte er sich nicht. War es um ihrer strahlenden Schönheit willen? Schön war sie, aber er hatte doch oft genug die Leute sagen hören, die Mutter sei die schönere von beiden und sehe ebenso jung aus wie die Tochter. Warum klang ihre Stimme ihm so im Ohr? Sie sang nicht halb so schön wie Nicolini oder Frau Tofts, ja, sie sang manchmal falsch, und doch hörte er sie lieber als die heilige Cäcilie. Ihre Farben waren nicht schöner als die von Frau Steele, Dicks Gemahlin, die der jetzt bekommen hatte, und die den Armen mit eiserner Rute regierte. Aber Esmond blendeten diese Farben; er schloß die Augen, und dann blendete ihn der Gedanke daran. Sie war glänzend und lebhaft im Gespräch, aber nicht so unvergleichlich witzig wie ihre Mutter, die reizende Sachen sagte, wenn sie froh gestimmt war. Aber Beatrix sprechen zu hören, mit ihr zusammen zu sein, war Esmonds größte Freude. Die Tage flogen dahin, die er mit den beiden Frauen verbrachte, er wußte selbst nicht wie. Er schüttete ihnen sein Herz aus, wie er es nie bei anderen hätte ausschütten können, wo er allgemein als mürrisch, hochmütig und schweigsam galt. Ihre Gesellschaft war ihm lieber als die der geistreichsten Männer. Der Himmel möge ihm die Lügen verzeihen, mit denen er die Gräfin-Witwe in Chelsea abspeiste, um ohne ihr Wissen nach Kensington zu kommen. Er schützte Geschäfte beim Generalstab vor, Besprechungen mit Herrn Webb, Levers von Hofleuten und Staatsmännern. Er beschrieb die neuen Uniformen bei der Geburtstagscour der Königin, erzählte, wie viele Kutschen bei Herrn Harleys Lever auf der Straße hielten, wie viele Flaschen er mit Herrn St. John im »Kakaobaum« oder mit Herrn Walpole und Herrn Steele im »Hosenbandorden« geleert hatte.

Wie der Hofklatsch berichtete, war Fräulein Beatrix Esmond wohl ein dutzendmal auf dem Punkt gewesen, sich glänzend zu verheiraten. Aber Esmond wollte die Geschichten, die über sie erzählt wurden, niemals glauben. Er kam nach dreijähriger Abwesenheit vielleicht nicht mehr so toll zurück wie früher, aber immer noch begehrte er sie und keine andere, immer noch kniete er vor ihr und bot ihr sein Herz an. Es war im Jahr 1709. Sie war zweiundzwanzig Jahre alt, war seit drei Jahren am Hofe und noch immer unvermählt.

»Nicht, daß es ihr an Werbungen gefehlt hat«, sagte Lady Castlewood, die mit der Scharfsichtigkeit der Liebe in Esmonds Herzen las. »Aber sie will hoch hinaus, Harry; sie will sich nicht so verheiraten, wie ich es wünschen würde. Der Mann, den ich am liebsten meinen Sohn nennen möchte – und du weißt, wen ich meine –, ist besser daran, wenn ich ihm nicht bei seiner Werbung helfe. Beatrix ist so eigenwillig, daß Zureden ihren Widerstand reizt, und auch nur ein sehr hochgestellter Herr, dessen Frau eine große Rolle spielen kann, hat Aussicht, glücklich mit ihr zu werden. Sie verlangt mehr nach Bewunderung als nach Liebe, vor allem aber sehnt sie sich nach Herrschaft. Wie kann eine Mutter so von ihrem Kind sprechen? Aber du bist auch mein Sohn, Harry. Du sollst die Wahrheit über deine Schwester wissen. Ich hoffte, du seiest von deiner Leidenschaft geheilt. Andere Menschen überwinden doch diese Torheit. Aber ich sehe, du bist noch ebenso betört wie ehemals. Als wir deinen Namen in der Gazette lasen, da habe ich für dich gesprochen, mein armer Junge. Armer Junge, ja! Du bist auf dem Wege, ein würdiger alter Herr zu werden, und ich bin eine alte Frau. Dein Ruhm behagt ihr sehr, und du selbst gefällst ihr auch. Sie sagt, du habest Witz, Temperament und gute Erziehung und seist natürlicher als die eleganten Herren bei Hofe. Aber das genügt ihr nicht. Sie will einen Generalfeldmarschall und nicht einen Oberst. Käme ein Herzog und bäte sie um ihre Hand, sie würde den Grafen, dem sie sich etwa versprochen hätte, sitzenlassen. Ich habe dir das schon früher gesagt. Ich begreife ja nicht, wie mein armes Mädchen dazu kommt, so weltlich zu sein.«

»Nun«, sagte Esmond, »ein Mann kann nicht mehr tun, als sein Bestes und alles zu geben, und das gebe ich ihr. Das bißchen Ruhm, das ich gewann, freut mich nur, weil ich hoffte, es werde ihr gefallen. Was kümmert es mich, ob ich Oberst oder General bin? Was bedeutet nach ein paar Jahrzehnten unser törichter Ruhm von heute? Es lag mir nur etwas daran, weil ich hoffte, Beatrix damit zu schmücken. Hätte ich Besseres zu geben, so sollte sie es haben. Will sie mein Leben, so gebe ich es ihr. Heiratet sie einen anderen, so werde ich sagen: ›Gott segne ihn!‹ Ich rühme mich dessen nicht, und ich beklage mich auch nicht. Vielleicht ist meine Treue eitel Narrheit; aber ich kann mir nicht helfen, ich liebe sie. Sie, liebe Herrin, sind tausendmal besser, Sie sind die schönste, liebreichste aller Frauen. Sicher, teure Lady, ich sehe alle Fehler von Beatrix so genau wie Sie selbst. Aber sie ist nun einmal mein Schicksal! Es ist zu ertragen. Ich werde nicht sterben, wenn ich sie nicht bekomme. Vielleicht würde ich nicht glücklicher sein, wenn sie mir angehörte. ›Que voulezvous?‹ würde Mylady in Chelsea sagen, ›je l'aime.‹«

»Ich wünschte, sie hätte dich lieb«, sagte Harrys gütige Herrin und reichte ihm die Hand. Er küßte sie; sie war die schönste, weichste kleine Hand der Welt, und Lady Castlewood, die beinahe vierzig Jahre alt war, sah aus wie eine Frau in den Zwanzigern. Er ließ ihre Hand nicht wieder los, solange sie zusammen sprachen.

»Warum«, sagte er, »sollte sie mich anhören? Sie weiß, was ich ihr zu sagen habe. Sie weiß, daß ich, fern oder nah, ihr Sklave bin. Ich habe mich vielleicht um nichts verkauft, aber ich selbst habe den Preis bestimmt. Ich bin entweder nichts oder alles wert.«

»Du bist so viel wert«, gefiel es Mylady, zu erwidern, »daß die Frau, die deine Liebe besitzt, sie für ein Königreich nicht hingeben sollte. Ich bin auf dem Land erzogen und muß ehrlich sagen, daß all dieser Ehrgeiz der großen Stadt mir recht gemein erscheint. Die Macht und der Glanz Ihrer Gnaden der Herzogin haben mich nie in Ehrfurcht ersterben lassen, und Angst«, fügte sie mit schlauem Lächeln hinzu, »hatte ich nur vor ihren bösen Launen. Ich höre, daß es Damen am Hofe gibt, die sich härmen, wenn Ihre Majestät sich kühl gegen sie gezeigt hat, und große Herren, die ein Bein opfern würden, wenn sie dafür am anderen den Hosenbandorden tragen dürften. Dieser Weltsinn, den ich nicht verstehen kann, ist Beatrix angeboren. Vom ersten Tage ihres Dienstes an war sie die vollendete Hofdame. Wir sind wie Schwestern, und sie ist in einer Art die ältere von uns beiden. Sie sagt mir, ich sei niedrigen Sinnes; ich lache und sage ihr, sie bete eine sechsspännige Kutsche an. Ich kann ihr den Ehrgeiz nicht austreiben. Er ist bei ihr so selbstverständlich wie bei mir das Bedürfnis nach Ruhe und die Gleichgültigkeit gegen Rang und Reichtümer. Was sind sie wert, Harry? Wie lange dauern sie? Unsere Heimat ist nicht auf dieser Welt.« Sie lächelte, als sie sprach, und sah wie ein Engel aus, der nur zu Besuch auf der Erde weilt. »Unsere Heimat ist da, wo die Gerechten wohnen und wo unsere Sünden und Sorgen von uns abfallen. Mein Vater tadelte mich oft und sagte, ich verspräche mir zuviel vom Himmel. Aber ich kann meinen Glauben nicht ändern, und je älter ich werde, desto hartnäckiger werde ich darin. Ich liebe meine Kinder so unendlich, und unser Herrgott liebt uns doch gewiß mit tausendmal größerer Liebe. Es kann ja nicht anders sein, als daß wir uns da droben begegnen und glücklich miteinander sind, du, meine Kinder und mein lieber Mann. Weißt du, Harry, seit er tot ist, scheint es mir immer, als ob seine Liebe mir wieder gehöre und als ob wir nicht mehr getrennt seien. Vielleicht ist er jetzt hier, Harry; ich glaube, er ist hier. Seine Sünden sind ihm vergeben, dessen bin ich gewiß. Herr Atterbury hat ihn losgesprochen, und er starb versöhnlichen Herzens. Ach, wie edel war er, wie großmütig! Ich war erst fünfzehn Jahre alt und ein Kind, als er mich heiratete. Wie gütig war es von ihm, daß er sich zu mir herabließ! Er war immer gütig gegen die Armen und Bescheidenen.« Sie schwieg; dann kam ein merkwürdiger Ausdruck in ihre Augen, als sehe sie Mylord im Himmel wandeln. Sie lachte leise. »Ich freue mich, daß ich Euch sehe, Sir«, sagte sie, »es scheint mir, als habet Ihr mich nie verlassen.« Man mag die Worte festhalten und sich daran erinnern, aber wer beschreibt den süßen Ton ihrer Stimme, der lieblicher war als Musik?

Der junge Lord kam zum Winter nicht nach Hause und schrieb, daß er militärischer Pflichten halber in Brüssel bleiben müßte. Ich glaube, er war damit beschäftigt, eine gewisse Dame zu belagern, die im Gefolge der Madame de Soissons, der Mutter des Prinzen von Savoyen, nach Flandern gekommen war. Nach Art der flämischen Festungen wurde sie während des Krieges erobert und wiedererobert und bald von Franzosen, bald von Engländern, bald von Kaiserlichen besetzt gehalten. Esmond hielt es natürlich nicht für angebracht, Lady Castlewood über die Taten des jungen Sünders aufzuklären. Er hatte ihr auch kein Wort über den Handel mit Mohun gesagt, denn er wußte, wie verhaßt ihr der Name des Mannes war. Frank verschwendete nicht viel Zeit und Geld an Federn und Tinte. Als Harry mit seinem General nach England ging, gab er ihm nur ein paar Zeilen an seine Mutter mit, in denen er ihr versicherte, sein Bein sei so gut wie geheilt; er werde nicht verfehlen, nächstes Jahr zu seiner Mündigkeitserklärung nach Hause zu kommen, diesen Winter aber müsse er seiner Pflichten wegen in Brüssel bleiben, und Vetter Harry werde alles Weitere erzählen.

Von Brüssel aus aber schrieb er seiner Mutter einen langen Brief zum 29. Dezember; denn er wußte, wie der Tag ihr ans Herz gewachsen war. In diesem Brief muß er über den Zweikampf mit Mohun berichtet haben; denn als Esmond an einem der ersten Tage des neuen Jahres zu seiner Herrin kam, kamen sie und ihre Tochter ihm entgegen und begrüßten ihn zu seinem Erstaunen feierlich, und nach ihnen schritt die Gräfin-Witwe aus Chelsea, die eben in ihrer Sänfte übers Feld nach Kensington gekommen war, in höchstem Staat und mit der Frisur aus König Jakobs Zeit auf ihn zu und sagte: »Vetter Harry, unsere ganze Familie hat sich versammelt, um dir für deine edle Ritterlichkeit gegen das Haupt unseres Hauses zu danken.« Sie deutete auf ihre errötete Wange und gab Herrn Esmond zu verstehen, daß er die Seligkeit eines Kusses genießen dürfe. Nachdem er die eine Wange geküßt hatte, wandte sie ihm die andere zu. »Vetter Harry«, sagten die beiden anderen Damen im Chor, »wir danken dir für dein edles Betragen.« Da begriff er, daß die Geschichte von dem Duell in Lille ihnen zu Ohren gekommen war, und freute sich, daß sie ihn alle als zu ihrer Familie gehörig begrüßten.

Die Tische im Eßzimmer waren für eine größere Gesellschaft gedeckt. Die Damen waren in Gala, Mylady aus Chelsea in ihrer größten Pracht, Mylady Castlewood zum ersten Male ohne Trauer schön und glücklich à ravir, die Hofdame köstlich angetan, mit der ihr eigenen Eleganz, an der Brust den Brillantstern des französischen Offiziers, den Frank bei Ramillies erbeutet hatte.

»Du siehst, wir haben heute Galatag, wir tragen unsere Orden«, sagte sie und blickte wohlgefällig auf den Stern nieder. »Sieht Mama nicht reizend aus? Ich habe sie angezogen!« Esmonds liebe Herrin errötete, als er sie ansah. Sie war allerdings reizend wie ein zwanzigjähriges Mädchen in einem geschmackvollen Kleid, ganz nach der Mode, und mit ihren wundervollen blonden Haaren.

Auf dem Tisch lag ein schöner Degen in einer Scheide von rotem Samt und mit einem köstlich in Silber getriebenen Griff; daran war ein blaues Band als Degenquaste geknüpft. »Was ist das?« fragte Esmond und trat an den Tisch, um die feine Arbeit aus der Nähe anzusehen.

Beatrix ergriff sie. »Knie nieder«, sagte sie, »wir schlagen dich zu unserem Ritter«, und sie schwenkte den Degen über seinem Kopf. »Die Gräfin-Witwe hat die Waffe gegeben, ich gab das Band, und Mama hat die Franse hineingeknüpft.«

»Gürte ihn mit dem Degen, Beatrix«, sagte Mylady. »Du bist unser Ritter, Harry, unser treuer Ritter. Nimm einer Mutter Dank und Segen für die Verteidigung ihres Sohnes, du mein lieber, lieber Freund.« Mehr brachte sie nicht hervor, und selbst die Gräfin-Witwe war gerührt; denn ein paar rebellische Tränen zogen traurige Rinnen durch die Rosenpracht, die Esmond eben erst hatte küssen dürfen.

»Wir haben einen Brief von dem lieben Frank bekommen«, erklärte die Mutter, »vor drei Tagen, während du bei Hauptmann Steele in Hampton zu Besuch warst. Er hat uns alles erzählt, was du getan und wie du dich zwischen ihn und den – den Elenden gestellt hast.«

»Du bist von heute an mein Sohn«, sagte die Gräfin-Witwe, »und ich wünschte um deinetwillen, ich wäre reicher, Sohn Esmond.« Herr Esmond kniete pflichtschuldigst vor ihr nieder; sie hob die Augen zur Zimmerdecke empor und flehte aus der Gegend des vergoldeten Kronleuchters mit den zwölf Wachskerzen einen Segen auf das Haupt des neu adoptierten Sohnes herab.

»Der liebe Frank«, sagte die andere Gräfin, »wie ist ihm sein militärischer Beruf ans Herz gewachsen. Er studiert so emsig das Festungswesen. Ich wünschte, er wäre hier. Wir wollen nächstes Jahr seine Mündigkeitserklärung in Castlewood feiern.«

»Wenn der Feldzug es uns erlaubt«, entgegnete Esmond.

»Ich ängstige mich nie um ihn, wenn du bei ihm bist«, rief die Mutter des Knaben. »Ich weiß, daß mein Harry ihn immer beschützen wird.«

»Aber ehe der Frühling kommt, haben wir ja Frieden; wir wissen es genau«, versicherte die Hofdame. »Lord Marlborough wird entlassen, und der schrecklichen Herzogin werden alle ihre Würden genommen. Ihre Majestät spricht gar nicht mehr mit ihr. Hast du sie in Bushy gesehen, Harry? Sie ist wütend, rennt wie eine brüllende Löwin im Park umher und kratzt den Leuten die Augen aus.«

»Die Prinzessin Anna wird nach ihrem Bruder schicken und ihn kommen lassen«, erklärte die Gräfin-Witwe und küßte ihr Amulett.

»Hast du den König bei Oudenaarde gesehen, Harry?« fragte seine Herrin. Ihre Anhänglichkeit an die Stuarts war unerschütterlich, und sie hätte ihren König ebensowenig verleugnet wie ihren Gott.

»Ich habe nur den jungen Hannoveraner gesehen«, sagte Harry. »Der Chevalier de St. George ...«

»Der König, der König, Harry!« riefen die Damen. Fräulein Beatrix klatschte in die Hände und jubelte: »Vive le Roi!«

Im gleichen Augenblick ertönte ein donnerndes Pochen, das beinahe die Tür des Hauses einschlug. Es war drei Uhr, und die Gäste kamen; gleich darauf meldete der Diener Hauptmann Steele und seine Gemahlin.

Die beiden waren von ihrem Landhaus in Hampton Wick zu Wagen nach Kensington herübergekommen. »Nicht aus unserem Stadthaus in Bloomsbury Square«, wie Frau Steele den Damen ausdrücklich mitteilte. Harry hatte Hampton erst am selben Morgen verlassen, gerade als eine eheliche Fehde im Gange war. Von seinem Zimmer aus, wo er in einem keineswegs sehr sauberen Bett nächtigte, hatte er die Gardinenpredigten der Frau Steele sehr deutlich hören können und war von der Gesellschaft im eigenen Bett und von der häuslichen Schlacht im Nebenzimmer wach gehalten worden.

Während der Nacht allerdings ließ wohl die strafende Beredsamkeit seiner Frau den armen Verdammten ziemlich kühl. Wenn er berauscht war, so konnte nichts sein Wohlbehagen stören. Esmond hörte, wie er mit der verwischten Artikulation, die Wein und Punsch hervorbringen, seine geliebte Frau beschwor, doch daran zu denken, daß ein »vornehmer Offischier im näschten Schimmer schäft«, der alles hören müßte. Sie ließ sich aber nicht stören, nannte ihn einen betrunkenen Strolch und predigte weiter, bis das Schnarchen des Hauptmanns ihrer Zunge einen Zaum anlegte.

Morgens erwachte das unglückliche Opfer mit Kopfschmerzen und klarem Bewußtsein, und das Zwiegespräch der Nacht wurde wieder aufgenommen. »Warum bringst du Offiziere zum Essen ins Haus, wenn du doch weißt, daß ich keinen Schilling mehr habe? Was soll ich nach Kensington anziehen? Soll ich wie eine Schlumpe in meinem alten gelben seidnen Sack vor der feinen Gesellschaft erscheinen? Ich habe nichts Passendes anzuziehen, nie habe ich das!« So ging es weiter bis zu solchen Vertraulichkeiten, daß Esmond sich schließlich, so laut er konnte, die Nase putzte. Auf diesen Trompetenstoß erfolgte dann eine kurze Windstille. Die Frau war berüchtigt, doch Dick war reizend, und um ihm Vergnügen zu bereiten, hatten ihn die vornehmen Damen von Castlewood mit seiner Gattin eingeladen.

Außer dem Hauptmann und seiner Frau erschienen noch eine Menge feiner und erlauchter Gäste. Die Gräfin-Witwe hatte ihre Lakaien nach Kensington geschickt, um die bescheidene Dienerschaft dort zu ergänzen. Es kam Generalleutnant Webb, Harrys freundlicher Gönner, der in Samt und Goldlitze prunkte und von der Gräfin-Witwe mit Beschlag belegt wurde; dann Harrys neuer Bekannter, der Sehr Ehrenwerte Henry St. John, Esquire, ein Vetter des Generals, der ganz entzückt war von Lady Castlewood, mehr noch als von ihrer Tochter; dann einer der vornehmsten Edelleute des Königreichs, der schottische Herzog von Hamilton, der gerade in England zum Herzog von Brandon gemacht worden war, und zwei andere edle Lords der Tory-Partei, Mylord Ashburnham, und ein anderer, dessen Namen ich vergessen habe; dann Ihre Gnaden die Herzogin von Ormond mit ihren Töchtern, Lady Mary und Lady Betty, deren eine die Kollegin des Fräuleins Beatrix bei Hofe war.

»Was für eine Gesellschaft von Torys«, flüsterte Hauptmann Steele seinem Freunde zu, als alle vor dem Essen im Salon versammelt waren. Steele war allerdings der einzige unter den Anwesenden, der nicht zu der Partei gehörte.

Herr St. John machte Frau Steele bei Tisch ganz besondere Komplimente, daß sie ganz entzückt von ihm war und erklärte, Dick müsse auch ein Tory werden.

»Oder möchten Sie, daß ich ein Whig werde?« fragte Herr St. John. »Ich glaube, gnädige Frau, Sie wären fähig, einen Mann zu allem zu bekehren.«

»Wenn Herr St. John einmal nach Bloomsbury Square kommt, dann werde ich einen Versuch machen«, sagte Frau Steele und schlug ihre schönen Augen nieder. »Kennen Sie Bloomsbury Square?«

»Kenne ich die Mall? Kenne ich die Oper? Kenne ich unsere regierende Schönheit? Ich bitte Sie, gnädige Frau, Bloomsbury ist auf der Höhe der Mode. Sie haben Gärten bis nach Hampstead hin und Paläste ringsumher – Southampton House und Montague House.«

»Wo ihr Elenden hingeht und euch duelliert!« rief Frau Steele.

»Wozu die Damen uns Gründe geben!« entgegnete ihr Tischnachbar. »Kann Hauptmann Steele gut fechten, gnädige Frau? Wir alle erkannten Ihr Porträt in der neunundvierzigsten Nummer des ›Tatler‹, und seit ich das las, sterbe ich vor Verlangen, Sie kennenzulernen. ›Laßt Aspasia die Erste sein im holden Reich der Liebe.‹ Heißt es nicht so? ›Bei dieser vollendeten Dame ist Liebe die beständige Wirkung, die sie doch niemals beabsichtigt; und obgleich ihr Antlitz mehr Lockung als Strenge zeigt, heißt dennoch sie sehen, sich augenblicklich im Zaume halten, und sie zu lieben, bedeutet eine freie Erziehung.‹ Heißt die Stelle nicht so?«

»Oh, wirklich!« rief Frau Steele, die kein Wort von dem, was er sagte, zu verstehen schien.

»An der Seite einer solchen Geliebten ist es nicht schwer, ein Dichter zu sein«, fuhr Herr St. John fort und verbeugte sich.

»Geliebte!« rief Frau Steele. »Meinen Sie mich? Ich bitte Sie, nicht zu vergessen, daß ich die Frau von Herrn Steele bin!«

»Gewiß, gnädige Frau, das wissen wir alle«, antwortete Herr St. John und bewahrte noch immer feierlichen Ernst. Steele unterbrach das Gespräch. »Ich habe den Artikel nicht über meine Frau geschrieben, wenn sie auch gewiß jeder Huldigung wert ist, die ich ihr erweisen kann – sondern über Lady Elisabeth Hastings.«

»Ich glaubte stets, jener Artikel sei von Herrn Congreve«, rief Herr St. John und zeigte, daß er mehr über die Sache wußte, als er Herrn Steele gegenüber zugab, und wer Herrn Bickerstaffe zuerst erfunden hatte.

»Tom Boxer behauptet das in seinem ›Observator‹. Aber Toms Orakel macht oft Schnitzer«, rief Steele.

»Herr Boxer und mein Mann waren früher Freunde, und als der Hauptmann das Fieber hatte, konnte niemand gütiger sein als Herr Boxer. Er pflegte jeden Tag an seinem Krankenbett zu sitzen und brachte Dr. Arbuthnot zu uns, der Dick geheilt hat«, flüsterte Frau Steele.

»Wirklich, gnädige Frau? Das ist ja hochinteressant«, sagte St. John.

»Aber als des Hauptmanns letzte Komödie erschien, nahm Herr Boxer nicht Notiz von ihr – Sie wissen, er ist Herrn Congreves Mann und gönnt dem anderen Theater nicht ein Wort –, und darüber wurde mein Mann wütend.«

»Oh, Herr Boxer schreibt für Herrn Congreve!« meinte Herr St. John.

»Herr Congreve hat selbst Geist genug«, rief Steele dazwischen. »Nie hat man gehört, daß ich ihn oder irgend jemand auf seiner Seite geringschätze.«

»Ich weiß, Herr Addison ist als Schöngeist und Dichter gleichermaßen berühmt«, sagte Herr St. John. »Ist es wahr, daß seine Hand in Ihrem ›Tatler‹ zu finden ist, Herr Steele?«

»Ob im Erhabenen oder Komischen, niemand reicht an ihn heran«, rief Steele.

»Keinen Pfifferling geb ich für deinen Herrn Addison, Dick!« rief seine Gemahlin laut. »Ein Gentleman, der sich jetzt solch ein Air gibt und die Nase so hoch trägt. Ich hoffe, die Damen denken auch so: Ich kann diese sehr blonden Männer mit weißen Augenwimpern nicht vertragen – ich liebe dunkle Männer.« Alle Männer mit schwarzem Haar applaudierten und verbeugten sich dankend vor Frau Steele für das Kompliment. »Dieser Herr Addison«, fuhr sie fort, »kommt manchmal zu uns, um mit dem Hauptmann zu essen, spricht zu mir nie ein Wort, und dann gehen sie beide beschwipst nach oben zu einer Tasse Tee. Ich erinnere mich an deinen Herrn Addison noch aus Zeiten, als er nur einen einzigen Rock am Leibe hatte, und der war am Ellbogen geflickt.«

»Tatsächlich – am Ellbogen geflickt? Sie plaudern interessant«, sagte St. John. »Es ist charmant, wenn man die charmante Frau des einen Schriftstellers über den anderen reden hört.«

»Himmel, von denen könnte ich Ihnen noch viel erzählen«, rief die zungenfertige Dame aus. »Was glauben Sie, wen der Hauptmann jetzt aufgegabelt hat? Einen kleinen buckligen Burschen, einen Däumling von Gestalt, den er einen Dichter nennt. Pope heißt der Zwerg und hat ein Hirtengedicht geschrieben – Sie wissen, alles so mit Schäfern und Schäferinnen.«

»Ein Schäfer sollte einen kleinen Stab haben«, sagte meine Herrin lachend von ihrem Ende der Tafel her; worauf Frau Steele bemerkte, das wisse sie nicht, aber der Hauptmann habe dieses sonderbare kleine Geschöpf nach Haus gebracht, als sie mit ihrem ersten Jungen niederkam, und sie pries es als ein wahres Glück, daß er ihr nicht früher vor Augen gekommen sei. Und Dick schwärme von seinem »Genius« und schwärme immer von irgendeinem Unsinn.

»Welche Nummer des ›Tatler‹ gefällt Ihnen am besten, Frau Steele?« fragte Herr St. John.

»Ich habe nur eine überhaupt gelesen und halte das Ganze für albernen Plunder«, erwiderte die Dame. »Solcher Unsinn, wie das alles ist! Von Bickerstaffe und Distaff und Quarterstaff!

Der Hauptmann trinkt wieder zuviel Burgunder; er wird wieder einen Rausch haben, ehe wir nach Hause kommen«, meinte Frau Steele und rief über den Tisch hinüber: »Hauptmann Steele!«

»Ich trinke auf deine schönen Augen, meine Liebe«, rief Dick zurück, der seine Frau für reizend zu halten schien und all die satirischen Komplimente des Herrn St. John für echt.

Die schöne Hofdame hatte sich vor dem Essen bemüht, Esmond in ein Gespräch zu ziehen. Sie mußte ihn aber wohl recht langweilig gefunden haben; denn bei Tisch sah er sich durch irgendeinen Irrtum plötzlich weit von ihr getrennt. Sie saß zwischen dem Herzog von Hamilton und Mylord Ashburnham, zuckte mit den lieblichen weißen Schultern und warf ihrem Vetter einen Blick zu, der zu sagen schien: »Bedaure mich!« Der Herzog und seine junge Nachbarin waren bald in reger, vertraulicher Unterhaltung. Beatrix konnte es ebensowenig lassen, ihre Augen zu gebrauchen, als die Sonne es lassen kann, ihre Strahlen auszusenden, und wie die Sonnenstrahlen erzeugten ihre Blicke heiße Glut.

Schon nach der Suppe kam Harry das Essen recht lang vor; nach dem zweiten Gang hatte er das Gefühl, man sitze seit Stunden bei Tisch, und die süßen Speisen schienen überhaupt kein Ende zu nehmen.

Endlich erhoben sich die Damen, Beatrix mit einem Partherpfeil von Blick auf ihren Herzog. Neue Flaschen und Gläser erschienen, und Gesundheiten wurden ausgebracht. Herr St. John bat die Gesellschaft, auf Seine Gnaden den Herzog von Brandon zu trinken. Man ließ General Webb leben als »den tapfersten Offizier der Welt«, dem man »das Kommando wünsche, das einem Mann von seinen Fähigkeiten zukomme«. Herr Webb dankte der Gesellschaft, sagte allerlei Schmeichelhaftes über seinen Adjutanten und focht dann wieder einmal seine berühmte Schlacht aus.

»Il est fatiguant«, flüsterte Herr St. John, »avec sa trompette de Wynendael.«

Hauptmann Steele, der nicht von unserer Partei war, ließ loyal den Herzog von Marlborough als den größten Feldherrn des Zeitalters leben.

»Ich trinke mit ganzem Herzen auf den größten Feldherrn«, rief Herr Webb; »niemand kann ihm diesen Rang bestreiten. Mein Glas gilt dem General und nicht dem Herzog, Herr Steele.« Der wackere alte Herr leerte seinen Humpen, Dick aber füllte zwei Gläser und leerte das eine auf den General, das andere auf den Herzog.

Jetzt erhob sich Seine Gnaden der Herzog von Hamilton. Seine Augen funkelten, wir hatten alle recht reichlich getrunken, und brachte eine Gesundheit auf die liebliche, auf die unvergleichliche Beatrix Esmond aus; wir alle stimmten mit lautem Jubel ein, Mylord Ashburnham mit einem Jauchzer der Begeisterung.

»Wie schade, daß es schon eine Herzogin von Hamilton gibt«, flüsterte St. John, der am meisten trank und dabei den kühlsten Kopf hatte. Die Herren erhoben sich und gingen in den Salon, wo die Damen beim Tee saßen. Den armen Dick mußten wir einsam am Eßtisch zurücklassen, wo er hicksend aus den Versen des »Feldzugs« deklamierte, in denen der größte Dichter der Welt den größten Feldherrn gefeiert habe; und Harry Esmond fand ihn eine halbe Stunde später in einem noch fortgeschrittneren Stadium der Weinseligkeit, wie er über den Verrat Tom Boxers schluchzte.

Der Salon erschien dem armen Harry ganz dunkel, trotz der zwölf Wachskerzen auf dem vergoldeten Kronleuchter. Beatrix sprach kaum mit ihm. Als der Herzog sich empfohlen hatte, nahm sie den Zweitvornehmsten aufs Korn und setzte dem jungen Lord Ashburnham mit allem Feuer ihrer Augen und allem Zauber ihres Witzes zu. Der größte Teil der Gesellschaft saß bei den Karten. Herr St. John, der es satt hatte, Frau Steele noch weiter den Hof zu machen, gähnte ihr ins Gesicht und wandte sich Lady Castlewood zu. Er unterhielt sich lebhaft und glänzend, erklärte, ihre Schönheit sei von viel höherer Art als die ihrer Tochter, verabschiedete sich schließlich und ging seines Weges. Der Rest der Gesellschaft folgte eilig, als letzter zog sich Lord Ashburnham zurück und warf feurige Blicke auf seine lächelnde junge Verführerin, die schon mehr Herzen mit ihrem Zauber gefangen hatte.

Als Verwandter des Hauses, natürlich nur als solcher, fand es Herr Esmond passend, der allerletzte zu sein. Er blieb, als alle Kutschen davongerollt waren; er blieb, als die Sänfte und die Fackeln der Gräfin-Witwe in der Finsternis nach Chelsea zu verschwanden; er blieb, als die Volksmenge, die unten auf dem Platz die ungewöhnliche Ansammlung von Sänften, Wagen, Lakaien und Fackelträgern angestaunt hatte, sich in ihre Betten verzog. Der arme Teufel zögerte immer noch ein paar Minuten, um vielleicht ein Lächeln oder ein tröstliches Abschiedswort von dem Mädchen zu erhaschen. Aber ihre Begeisterung vom Vormittag war völlig erloschen; sie geruhte jetzt anderer Stimmung zu sein. Sie spottete über den altmodischen Anzug von Lady Betty, der Tochter der Herzogin von Ormond, und äffte Frau Steeles Gewöhnlichkeit nach. Dann hob sie die kleine Hand zum Mund und gähnte, steckte ein Licht an, zuckte mit den Schultern, machte Herrn Esmond eine schnippische Verbeugung und rauschte von dannen.

»Der Tag fing so gut an, Harry; ich hoffte, er würde besser enden«, war alles, was Esmonds gütige Herrin ihm zum Troste sagen konnte. Als er allein durch die Dunkelheit heimwärts wanderte, dachte er mit bitterem Zorn im Herzen und fast mit einem Gefühl der Empörung über das Opfer nach, das er gebracht: Sie würde mich nehmen, wenn ich ihr nur einen Namen geben könnte! Wenn nicht das Versprechen an ihren sterbenden Vater wäre, dann hätte ich meinen Rang und meine Geliebte dazu.

Ich glaube, Eitelkeit ist stärker als alle anderen menschlichen Leidenschaften; denn wenn ich jetzt an die Erniedrigung jener längst vergangenen Tage zurückdenke, so kann ich noch immer über meine Schmach erröten, noch in der Erinnerung die Qualen fühlen, die sie mir bereitet, während das Fieber ungestillter Liebe längst geheilt ist. Ob wohl meine Nachkommen, die diese Geschichte lesen, auch solche Niederlagen und Demütigungen erfahren haben? Ob sie auch vor einer Frau gekniet haben, die mit ihnen spielte, sie auslachte, sie mit Zärtlichkeiten köderte, ihnen mit den Augen Erfüllung zulächelte, ihnen den Rücken kehrte und sie verließ? All die Schmach mußte Esmond über sich ergehen lassen, er unterwarf sich, er bäumte sich dagegen auf und kroch doch bald von neuem zu Kreuze.

Nach dem Fest am Kensington Square konnte man dort den Wagen, des jungen Lord Ashburnham wieder und wieder um die Ecke rollen sehen. Seine Mutter besuchte Esmonds Herrin, und überall, wo die Hofdame erschien, tauchte ganz sicher auch der junge Lord auf; jede Woche in einem neuen Anzug, so köstlich gestickt und verziert, wie sein Schneider ihn nur irgend liefern konnte. Mylord erging sich gegen Herrn Esmond in allen erdenklichen Höflichkeiten; er lud ihn zum Essen ein, bot ihm seine Pferde zum Reiten an und gab ihm die sonderbarsten Beweise seiner Verehrung und seines guten Willens. Endlich stürzte er eines Abends im Wirtshaus auf ihn zu, sichtlich vom Wein erhitzt und erregt, und rief: »Wünschen Sie mir Glück, mein teurer Oberst, ich bin der seligste aller Menschen!«

»Der seligste aller Menschen braucht nicht noch einen teuren Oberst, um ihm Glück zu wünschen«, sagte Herr Esmond; »was ist denn der Grund dieser höchsten Seligkeit?«

»Haben Sie nichts gehört?« fragte er. »Ich dachte, die Familie habe vor Ihnen keine Geheimnisse. Die göttliche Beatrix hat versprochen, die meine zu werden.«

»Was!« rief Esmond, der am selben Morgen glückliche Stunden mit Beatrix verlebt hatte; Verse, die er für sie gedichtet, hatte sie ihm am Spinett vorgesungen.

»Ja«, sagte Mylord. »Ich habe ihr heute meine Aufwartung gemacht. Ich sah Sie nach Knightsbridge zu schlendern, als ich in meiner Kutsche hinfuhr. Sie sah so lieblich aus, sprach so gütig – ich konnte nicht anders, ich mußte niederknien und – und – ich bin der seligste aller Menschen. Ich bin ja noch sehr jung; aber sie meint, daß ich doch mit der Zeit älter werde. In vier Monaten bin ich mündig. Der Unterschied im Alter ist gar nicht groß. Ich bin so glücklich! Ich möchte die Gesellschaft gern freihalten. Wir wollen eine Flasche zusammen trinken – zwölf Flaschen. Wir wollen auf die Gesundheit der schönsten Frau in England trinken.«

Esmond verließ den jungen Lord, als er Humpen auf Humpen leerte, und wanderte hinaus nach Kensington, um zu erfahren, wie die Dinge lagen. Die Geschichte erwies sich als wahr. Der traurige, mitleidige Ausdruck in den Augen seiner Herrin sagte ihm alles. Sie erzählte ihm, was sie wußte: daß der junge Lord gekommen sei und, eine halbe Stunde, nachdem Esmond das Haus verlassen, seinen Antrag in demselben Zimmer gemacht habe, wo Harrys Lied noch auf dem Spinett lag.


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