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Im Geschäftshof Berthold Trautweins
Stehn die offnen, niedern Wagen,
Die bei mancher langen Fahrt schon
Ihre Festigkeit erprobten.
Wieder einmal müssen heute
Sorglich sie beladen werden,
Denn gar spät in diesem Jahre
Soll die Fahrt nach Flandern gehn.
Um sechs lange, volle Wochen
Hat die Reise sich verzögert
Durch den Schaden, den die Nagold
Angerichtet am Besitztum
Trautweins und der fleiß'gen Leute,
Die die Tuche, die im Winter
Sie mit ems'ger Hand gefertigt,
Gern dem wackern, handelskund'gen
Trautwein auf die Reise geben.
Schwül und bleiern trotz des frühen
Morgens ist die Luft, und gelbe,
Fahle Wolken ziehn am Himmel.
Trautwein steht in Hofes Mitte.
Nicht wie sonst, wenn er mit frohem
Auge zusah, wie das reiche
Gut ward für die Fahrt verladen,
Blickt er heute auf die Männer,
Die dort eben schweißbedecket
Schwere Ballen keuchend schleppen.
Düster sieht er zu, als wäre
All sein Denken ganz wo anders.
Immer noch kann er nicht fassen,
Daß die Fahrt, zu der man rüstet,
Ohne Kaspar Rust, den treuen,
Alten Freund soll vor sich gehn.
Kaspar will der Ruhe pflegen!
Zornig hatte Berthold Trautwein
Ihm dies Unding vorgehalten,
Bittend hat er ihn bestürmet,
Hat gedroht, gefleht, gespottet,
Doch es war umsonst: der treue,
Sonst so fügsam stille Freund ließ
Alles wirkungslos verhallen.
Dann, das Trübe dieser Reise
Vollzumachen, will die Trude
Mitziehn und am Rochusberge
Den Novizenschleier nehmen.
Auch bei ihr hat Trautwein redlich
Was er wußte, aufgeboten,
Um den starren Sinn zu brechen;
Doch umsonst, – auch sie bleibt standhaft.
In der alten, hohen Linde,
Die in weiten Hofes Mitte
Einsam steht, beginnt ein leiser,
Schwüler Wind sich jetzt zu regen.
Trautwein, wie aus bösem Traume
Fähret auf und tritt hinüber
Zu dem Wagen, den der greise
Michel kunstgerecht belädt.
»Eil' dich, Alter!« spricht er, prüfend
Nach dem sonderbar gefärbten,
Wolkenschweren Himmel blickend,
»Sonst verdirbt uns noch ein Regen
Unsre ganze volle Ladung.
Wenn du fertig bist, so ziehe
Die geölten Decken über.
Wenn nicht alles täuscht, so wird man
Sie in einer Stunde brauchen.«
Michel trocknet mit dem Aermel
Sich die Stirn: »Ich thu' mein Bestes,
Doch der Klaus, er fehlt mir immer
Heute bei der schweren Arbeit.
Denn der Konrad singt sein Liedchen,
Putzt und striegelt auch die Rosse;
Aber seine Tuche packen
Kann er nicht, ich sag' es offen.«
Ueberrascht fragt da der Krämer:
»Ja, wo steckt der Klaus denn heute,
Wer hieß auch zu dieser Arbeit
Dich den Reitknecht Konrad wählen?«
Wieder richtet sich der Alte
Aus dem Wagen auf, und leise,
Als sei es ein tief Geheimnis,
Flüstert er: »Seit gestern liegt er,
Und mir scheint, er hat die Krankheit.«
Eh' der Alte noch geendet,
Zuckt ein greller Blitz am Himmel
Und ein Donnerschlag rollt furchtbar
Ueber den erschreckten Männern.
Wortlos und mit blassem Antlitz
Steigt jetzt Trautwein auf den Wagen,
Reicht mit kundiger, geübter
Hand dem Alten selbst die Ballen.
Zieht die Seile an und ruht nicht,
Bis die ölgetränkten, dicken
Decken sorglich sind gebreitet.
Doch bei all dem hast'gen Treiben
Klingt ihm mehr als Donnersgrollen
In den Ohren jenes scheue:
»Und mir scheint, er hat die Krankheit.«
Furchtbar Wort! Schon länger schleicht es
Heimlich um, und Jeder scheut sich,
Laut und offen es zu sagen,
Und an jedem Herzen frißt es
Mit dem gleichen, kalten Grauen.
Ja, der Schlamm, der von den gelben
Nagoldfluten blieb dahinten
Und dazu des ungewöhnlich
Schwülen Frühjahrs große Hitze; –
Kann es fehlen, daß die Krankheit,
Grauenhaft hier Einzug halte?
Langsam, mit gefurchter Stirne
Gehet Trautwein nach dem Schuppen.
Denn schon fallen schwere Tropfen.
Auch die Knechte sind jetzt alle
Dort im Trockenen versammelt.
Stumm und schweigend sehn die Männer
In die seltsam schwüle Dämmrung,
Die sich drohend senkt hernieder.
Vorne, hart am Thor steht Konrad
Zwischen jüngeren Genossen.
Selbst die schwergedrückte Stimmung
Bindet ihm nicht ganz die Zunge,
Und er fängt erst leise flüsternd,
Doch bald laut an zu erzählen,
Wie ein Fahrender ihm gestern
Manches mitgeteilt, was draußen
In der Welt passiert vor kurzem.
Wie in Welschland großes Sterben
Herrsche, das sich jetzt bedrohlich
Auch im Reich beginnt zu zeigen.
Und zu Bamberg hab' im Dome
Man vergangne Woche einen
Großen Balken, der in hellem
Feuer brannte, fliegen sehn.
Auch zwei Sonnen sei'n am Himmel,
Und dazwischen steh' der Mond oft
Blutig, als ein Kreuz gestaltet.
Darum haben auch zwei Mönche
König Philipp abgeraten,
Zu der Hochzeit seiner Nichte,
Die zu Bamberg wird gefeiert,
Diese Woche hinzureisen.
Eben fährt ein Blitzstrahl nieder,
Und im Hof steigt aus der Linde
Jäh zersplittertem Geäste
Züngelnd auf die gelbe Lohe.
Unwillkürlich kommt aus Trautweins
Brust ein lauter Ruf des Schreckens.
Diese Linde war sein Liebling.
Unter ihren breiten Aesten
Hat er oft mit frohem Herzen
Zugeschaut, wie emsig ringsum
Seine Knechte frisch hantierten.
Unter dieser Linde wurde
Stets mit Kaspar Rust, dem Freunde
Rats geflogen, neue Pläne
Ausgedacht und von den Dingen
In der weiten Welt gesprochen. –
Wie ein körperlicher Schmerz nun
Packt es ihn, da er die Flammen
Aus dem lieben Baum sieht steigen.
Und doch giebt es keine Rettung:
All die Blätter, die noch eben
Flüsterten im Wettersturme,
Sind versengt, die schwarzen Aeste
Strecken sich wie hilfesuchend
Mitten in der Flammen Brausen
Nach dem dunkeln Himmel aufwärts.
Zischend stürzt in schweren Fluten
Jetzt der Regen in die Funken,
Und ein Qualm wie Pech und Schwefel
Füllt den Hof und wird im Schuppen
Unerträglich fast den Männern.
Sturmverweht und abgerissen
Tönt der gelle Klang der Glocke
Von Sankt Nikolas herüber,
Die geläutet wird, solange
Wetter ziehen über Calwa.
Stiller wird's. In breiten Fluten
Strömt der warme Regen nieder;
Es verhallt des Donners Rollen
Und des Sturms Geheul. Die Blitze
Leuchten nur aus weiter Ferne.
Ohne weiter um die Knechte
Sich zu kümmern, schreitet Trautwein
Durch den Regen aus dem Hofe,
Um der Trude und der Muhme
Des geliebten Lindenbaumes
Jähes Ende zu verkünden.
Durch die schmale Kronengasse,
Drein der Regen Löcher höhlte,
Steigt er, langsam schreitend, aufwärts.
Da stößt er am Eck des Marktes
Fast mit einem Mann zusammen,
Der in größter Eile scheinet.
Eine hohe, spitze Mütze
Deckt das Haupt, und lange, graue
Haare fallen wirr und triefend
Auf die umgeschlagne Decke,
Die den schmutziggrauen Kaftan
Mit dem gelben Saum verhüllet.
Nathan ist's, der Juden Aelt'ster.
Oft hat Trautwein in Geschäften
Mit dem Alten schon verhandelt,
Denn weitum kein andrer Wechsler
Weiß so jeder Münze Geltung
Und Gewicht und Wert zu schätzen.
Scheu zum Gruße duckt der Jude
Sich vor Trautwein, doch der stellt sich
In den Weg ihm, fragt ihn freundlich:
»Ei, wohin so eilig, Alter?«
Nathan blickt sich um als dürfe
Niemand hören, wie als Antwort
Er jetzt leis: »Gen Hirsau« flüstert.
Trautwein lächelt, und doch packt ihn
Unerklärter Schreck: »Wollt doch nicht
Dem Herrn Abt das Darlehn künd'gen?
Wieder zuckt es irr in Nathans
Scharfen Zügen, und er nicket.
Seine Augen blicken stechend,'
Heiser klingt es: »Heute soll uns
Hirsau seine Schuld bezahle!«
Ehe Trautwein noch entgegnet,
Huscht der Alte um die Ecke,
Und beklemmten Herzens eilet
Jener, endlich heim zu kommen.
Zu derselben Morgenstunde,
Da zu Calwa Trautweins Linde
Jäh vom Blitzstrahl ward zersplittert,
Steht ein Mann an Hirsaus Westthor,
Der beim dumpfen Donnersrollen
Sich bekreuzend läßt den Klopfer
An die schwere Pforte fallen.
Lange steht er, und des Wetters
Schnell herjagendes Gewölke
Sendet schon die ersten Tropfen
Auf die Kutte. Endlich nahet
Doch ein Schritt, und ein Novize
Kommt zum Thor, um nachzusehen,
Wer an der sonst nicht benützten
Pforte heute Einlaß heische,
Kreischend drehet sich der Schlüssel, –
Und in Kraftos junges Antlitz
Blicket Ignaz, Hirsaus Bote.
Blitzschnell zuckt in beider Augen
Ein gar warmer Strahl der Freude,
Doch erlischt er schnell bei Ignaz;
Aufs Gewand des andern deutend
Fragt er leise: »Also dennoch?«
Hastig und verwirrt streicht Krafto
An dem frommen Kleid hinunter,
Doch schon schreitet Ignaz weiter,
Spricht: »Gelobt sei Jesus Christus!«
Wie erschrocken senkt da Krafto
Seinen Kopf und murmelt: »Amen!«
Um die Zeit der missa major
War's, und Ignaz lenkte alsbald
Seine Schritte nach der Kirche.
Denn, so man von weiter Reise
Kommt zurück, befiehlt die Regel,
Allsofort zu beichten, daß nicht
Schuld der Welt ins Kloster dringe.
Ignaz löset die Sandalen
Und er schreitet bloßen Fußes
Leise auf den kühlen Fliesen
Durch das lange Schiff zum Chore,
Wo die Brüder in den Stühlen
Lautlos knieen, denn der Lektor,
Heute Othloh, steigt soeben
Langsam drüben aufs Lektorium.
Keiner von den Mönchen blicket
Auf und keiner sieht den Bruder
Leise sich zum Beichtstuhl schleichen,
Wo alltäglich pfleget Marquard
Um die Zeit der dritten Hore,
Selbst die Beichte abzunehmen.
Sein Gebet spricht Ignaz knieend,
Um dann wartend still zu lauschen;
Doch nur murmelnd dringet Othlohs
Dumpfe Stimme durch den Donner,
Der fast ohne Unterbrechung
Rollet über ihren Häuptern.
Endlich tritt der Abt zum Beichtstuhl.
Ignaz kennt den Tritt, obgleich er
Tief auf seine Hände neiget
Seinen Kopf, dann legt er flüsternd
Seine Beichte ab und wartet
Auf des Abtes Spruch und Segen.
Marquard hört mit halbem Ohr nur;
Leise fragt er: »Bringet Ignaz
Gute Botschaft für sein Kloster?«
Doch der Mönch entgegnet flüsternd:
»Im Konvent sollt Ihr sie hören!«
Marquards leicht entflammtes Zürnen
Lodert auf, doch kämpft er's nieder,
Spricht den Segen und tritt langsam
Zum Gebet dann aus dem Beichtstuhl.
Ignaz schreitet nach dem Platze,
Den er lang verwaist gelassen,
Und der Brüder überraschte
Blicke folgen ihm, und Unruh'
Gehet leise durch die Reihen.
Näher kommt des Wetters Toben.
In der weiten, stillen Kirche
Wird es dunkel wie am Abend.
Marquards laute, starke Stimme
Hat zu kämpfen, daß den Donner
Sie vernehmlich übertöne.
Grellen Blitzes Glanz erfüllet
Dann und wann jetzt Schiff und Chöre,
Bis hinab zum fernsten Winkel,
Und der Heiligen Gewänder
Treten flimmernd aus der Dämmrung.
Marquard, hinter dem der Prior
Bleich geworden am Altar steht,
Stockt bisweilen, doch das Wetter
Ist's nicht, das ihm hemmt die Rede.
An die Botschaft denkt er, die ihm
Heute noch der Mönch soll bringen,
Den er als den strengsten, stillsten
Von den Brüdern ausgesendet.
Wird die Botschaft diese Wahl jetzt,
Die der Prior und die Patres
Oft getadelt, als die klügste,
Die zu treffen war, bestät'gen?
Auch des Priors Denken kreiset
Um den Mönch, in dessen Augen
Er sein Urteil oft gelesen.
Manchmal hoffte er im stillen,
Daß der Narr von dieser Reise,
Die so lange hat gedauert,
Glücklich niemals wiederkehre. –
Und nun steht er dort im Stuhle,
Und noch spitziger und düstrer
Sind die Züge des Verhaßten.
Leiser Fluch drängt sich dem Prior
Auf die Lippen, doch ein Donner
Kracht dazwischen, und der Feigling
Schluckt ihn wieder, voller Schrecken.
Endlich ist auch über Hirsau
Das Gewitter weggezogen.
Voller Spannung, so wie damals,
Als des Klosters Seckelmeister
Ward vom Grafen weggefangen,
Stehn die Patres im Konvente.
Marquard schreitet nach dem Stuhle,
Spricht ein kurz Gebet zum Eingang
Und dann winket er dem Boten.
Ignaz schreitet vor und stellt sich
Vor den Abt mit bleicher Stirne,
Hält die Hände in den Aermeln,
Und die Augen tiefgesenket,
Wie es strenge Regel vorschreibt.
Marquard, der die innre Unrast
Dämpft, daß niemand sie mag ahnen,
Fragt mit ruhig lauter Stimme:
»Ignaz, Bote dieses Klosters,
Sprich, was bringst du? Deine Botschaft
Thue kund jetzt im Konvent!«
Ignaz ziehet aus dem Aermel
Eine wohlverschnürte Rolle,
Hält mit ausgestrecktem Arme
Schweigend sie dem Abt entgegen.
Dieser meistert seiner Hände
Leises Zittern, nimmt die Rolle,
Prüfend mustert er des Siegels
Gelblich Wachs, und dann erst hält er
Hoch es hin der Schar der Brüder,
Die in Demut sich verneigen,
Denn die Schlüssel Petri kennet
Jeder schnell und voller Ehrfurcht.
Marquard selbst erbricht die Rolle;
Schweigend liest er ihren Inhalt,
Während regungslos die Brüder
Voll Erwarten auf ihn blicken.
Jetzt ist er zu Ende. Mühsam
Dämpft er den Triumph, der mächtig
Sich in seine Stimme dränget,
Als er langsam, laut und deutlich
Spricht: »Der heil'ge Vater sendet
Durch des Klosters eignen Boten,
Den er würdig fand, den Bannstrahl
Ueber Adelbert, Graf Calwa.
Bis die Horen zweimal um sind,
Ist im Kloster strenges Fasten,
Und danach wird diese Bulle
Von den Kanzeln in der Kirche
Und in den Kapellen Calwas
Feierlich dem Volk verlesen!«
Wieder neigen sich die Mönche
Tief und stumm; nur Einer kann nicht
Seine wilde Freude bergen:
Dort der Prior, Herr zu Forchheim,
Tritt hervor: »Laßt uns mit Danken
Diesen Tag wie billig feiern,
Und die Worte König Davids,
Die der Psalm sagt, heute singen:
›Gott hat lieb das Recht und lässet
Seine Heil'gen nicht, sie werden
Ewiglich bewahrt; der Sünder
Same aber wird verderbet.
Einen Sünder sah ich trotzig,
Grünend wie der Baum am Wasser.
Da man wieder kam vorüber,
War er weg und seine Stätte
Fand man nicht mehr. Also tilget
Gott die Feinde des Gerechten.‹«
Marquard blickt mit halbgeschloss'nen
Augen spöttisch auf den Prior,
Dem gestillte heiße Rachsucht
Einen frommen Psalm diktieret.
Aus der Brüder Reihen aber
Klingt es hart und kalt herüber:
»Ja, der strenge Gott, er strafet
Jeden Frevel, als der Richter,
Der auch ins Verborgne siehet.
Wer in diesem Kloster aber
Wollte dessen ohne Zittern,
Ja, mit frohem Dank gedenken?
Nicht um unsres Rechtes willen
Rächt Gott jenes Mannes Unrecht.
Schon steht auch des Klosters düstres
Strafgericht vor unsrer Thür.
Seid nicht länger blind, ihr Thoren,
Schaffet noch mit Furcht und Zittern,
Daß ihr Gottes Zorn entrinnet!«
»Greift ihn!« schreit voll Wut der Prior,
»Reißt die Cuculla herunter!«
Ignaz aber, mit erhobner
Hand tritt näher an den Prior;
Und mit droh'ndem Auge ruft er:
»Wahrlich, wahrlich, Gottes Finger
Hat Euch, Prior, längst gezeichnet!
Eh' die Woche ihren Kreislauf
Führt zu Ende, wird als Ersten
Euch sein scharf Gericht erreichen.«
Wutverzerrt stürzt sich der Prior
Auf den Mönch, da läßt wie leblos
Dieser seine Hände sinken,
Starrt zur Thür, und mit den Zeichen
Jähen Grausens flüstert leis er:
»Es ist da; Gott sei uns gnädig!«
Regungslos, in tiefer Ohnmacht
Liegt er gleich darauf am Boden.
Wie die Schafe, die ein Blitzstrahl
Hat erschreckt, so drängt die Mönchschar
Sich entsetzt jetzt nach der Thüre.
Marquard, dessen ruhig Antlitz
Kaum um einen Schein ist bleicher,
Bleibt zurück, und dort der dicke
Bruder Klaus, der Kellermeister.
Beide treten her an Ignaz.
Marquard hebt mit starkem Arme
Ihn vom Boden, legt ihn sorglich
In den eignen Stuhl, dann schickt er
Klaus hinüber, daß er eilig
Einen guten Saft soll holen.
Lange blickt der Abt ins bleiche
Antlitz des Besinnungslosen,
Und dann murmelt er: »Der Eifer
Um dies Haus hat dich gefressen.«
Kaum ist Klaus zurückgekehret,
Wird Abt Marquard abgerufen
An das Thor, wo jemand dringend
Und in Not ihn sprechen wolle.
Unerklärlich Bangen fasset
Plötzlich da die Brust des Abtes,
Und die mühsam langbewahrte
Ruhe schwindet vor der Nachricht.
Langsam, zögernd geht ans Thor er;
Heribert schließt auf, und draußen
Steht der alte Jude Nathan.
In des Abtes düstrer Miene
Läßt die Spannung nach: der Jude,
Wohl, er kommt, um Geld zu fordern.
Wozu da der Schreck? Ein Lächeln
Fast huscht um den Mund des Abtes,
Und er spottet seiner Schwäche.
Nathan, dem die regennasse
Decke hüllt die schmalen Schultern,
Sinkt in der gewohnten Demut
Vor dem Abt in sich zusammen,
Blickt mit sonderbar verstörten
Augen auf den hohen Schuldner
Und stößt scheu hervor: »Beim Gotte
Meiner Väter, hört, Herr Abt, mich!«
Marquard zuckt die breiten Achseln
Wie in Ungeduld; der Jude
Fähret fort mit scheuem Aufblick:
»Heute könnt, nein heute müßt Ihr,
Mir, Herr Abt, die Schuld bezahlen!«
Marquard runzelt streng die Stirne,
Nathan aber tritt ihm näher:
»Nicht mit Gold; die schönen Gulden
Mögt Ihr haben, und der Segen
Eures Gottes soll drauf ruhn! –
Helft nur; helft, Ihr müßt und könnet!«
Angstverzerrten Mundes spricht der
Alte weiter: »Droben liegen
Alle, die die Seele liebet.
Ihr Gebeine ist zerschlagen,
Ihre Zunge klebt am Gaumen,
Feuer ist in ihren Adern
Und ist keine, keine Hilfe.
Schicket Tränke, schickt Arzneien,
Schicket Pfleger, Herr, erbarmt Euch!
Stoßt nicht weg, der Euch geholfen,
Da Ihr batet: Nathan, hilf mir!
Seht, mein Haar ist grau, und dieser
Leib, er trägt an achtzig Jahre,
Doch kein Elend kann ich denken,
Das dem gleich, das droben wütet.
Und der alte Nathan, den sie
Schreiend in der Krankheit Qualen
Voller Angst um Hilfe flehen,
Er hat keine und muß ratlos
Seine alten Hände ringen.
Und,« – zum Flüstern wird die Stimme,
Scheu blickt er sich um im Kreise –
»Schon schleicht da und dort in Calwas
Andre Häuser die Verderbnis;
Und mein Volk, das unten wohnet
In den Hütten, nah am Wasser,
Will verzagen, daß der Christen
Blinde Wut uns möge treffen,
Wie dereinst, da gleiche Krankheit
Durch die Lande ging, und allwärts
Unsre Ahnen mußten schuldlos
Bluten unter Christenhänden.
O, erbarmt Euch, Herr, des Jammers,
Mein und Euer Gott wird's lohnen!«
Flehend in den Schmutz der Straße
Ist der Jude hingesunken,
Hascht mit beiden dürren Händen
Nach des Abts Gewand, doch dieser
Tritt entsetzt zurück: »Halt, Jude,
Komm mir nicht zu nah, du schleppest
Ja die Pest in deinem Mantel!
Geh nur, geh! Nicht Hilfe giebt es
Als von Gott; er sei uns gnädig!«
Aschfahl im Gesicht zieht Marquard
Sich zurück durchs Thor und schließt es
Bebend zu mit eignen Händen.
Dann an Heribert vorüber,
Der ihm ganz erschrocken nachstarrt,
Geht verstört er in sein Dorment.
Draußen aber liegt der Jude
Wie betäubt auf seinen Knieen:
Dieses ist der Dank der frommen,
Weitberühmten Klosterleute?
Weh dann, weh dir, armes Häuflein
Des verfemten Volks! In Nathans
Seele steigt ein schwerer Fluch auf;
Doch der alte Jude schlucket
Ihn hinab und murmelt leise:
»Dessen braucht es nicht, denn wahrlich:
Nah genug ist schon Jehovas
Fluch den Christen wie den Juden.« |