Auguste Supper
Der Mönch von Hirsau
Auguste Supper

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Winterstürme brausen thalwärts,
Und noch immer ist Graf Sponheim
Hirsaus Gast, doch scheint sein Frohsinn
Mit des Sommers Lust erstorben.
Ach, in sonnenhellen Tagen
Zog ein Traum an ihm vorüber,
Süßen, ungeahnten Glückes:
In der Trude klare Augen
Hat seit damals er so oft noch
Still hineingesehn; ihr Leuchten
Wollte tief ins Herz ihm dringen,
Und das heiße Herz, es will nicht
Fassen, daß dies niemals sein darf.
Kaspar Rust, der Fahrtgenosse,
Hat ein Anrecht auf das Mägdlein,
Dieses Anrecht ist dem Sponheim
Fest genug, daß jeder Glückstraum
Hoffnungslos daran zerschelle.
Aber dennoch bäumt des Jünglings
Innerstes sich auf: – Entsagen
Ist wohl bitter für das Alter;
Aber unerträglich trostlos
Für die glückesdurst'ge Jugend.
Ach, mit tausend Freuden würde
Er mit seinem Reitknecht tauschen,
Der schon längst der Margret Minne
Jubelnd sich und stolz errungen. 93
In des Junkers müde Seele
Schleicht sich öfter dann und öfter
Der Gedanke an die Kutte,
Die ihm all das herbe Leiden
Ueberdecken soll, die Bilder
Auf des Herzens Grund ersticken.
Marquard ahnt, daß seine Saaten
Die er unermüdlich ausstreut,
Reifen in dem blassen Junker.
Weiß er gleich den wahren Grund nicht,
Freut er doch sich des Gelingens
Seines Plans, das jeder trübe
Wintertag ihm näher rücket,
Und das hohe Fest der Liebe
Soll ihm die Erfüllung bringen.

Heil'ge Engel auf dem Felde
Sangen einst ihr Hosianna,
Sangen Frieden, Frieden allen,
Die auf dieser Erde pilgern,
Und vor Gott ein Wohlgefallen.
Lang verrauschet ist der Sang schon,
Lang im Wind verweht, verklungen,
Nur ein leiser Ton hallt manchmal
Wie verirrt noch durch das Weltall,
Wie verirrt noch durch die Herzen,
Die er faßt mit süßem Schauer.
Wenn des Winters Nacht am tiefsten,
Klingt der sel'ge Ton am hellsten,
Und dann heißt es: heut ist Weihnacht
Und der Heiland ist geboren. –
Ueber Calwas niedern Dächern,
Ueber Hirsaus Thal und Kloster,
Ringsum auf den Tannenwäldern,
Auf dem schmalen Wiesenstreifen,
Auf dem zugefrornen Flusse 94
Liegt das weiße Winterkleid.
Fleckenlos, einförmig deckt es
Alles zu, und drüber dehnt sich
Blaß der Winterabendhimmel.
Schüchtern steigt ein erstes Sternlein
Auf und funkelt glitzernd nieder,
Da erklingt des Klosters Glöckchen
Feierlich zur Weihnachtsandacht.
In der Peterskirche, die jetzt
Matt erstrahlt vom Schein der Kerzen,
Vorn im Chore ist die Krippe,
Die den Heiland birgt, zu schauen.
Ach, gar arm in Stroh gebettet
Liegt das Kindlein. Auf sein Antlitz
Fällt der Kerzen blasser Schimmer.
Dieses Christuskindleins Windel
st vergilbt von hohem Alter,
Und die Brüder voller Andacht
Blicken darauf hin, sie wissen,
Daß vor mehr als hundert Jahren
Sie ans Kloster kam, als Gabe
Eines Kardinals, der krank lag,
Den Abt Wilhelm treulich pflegte,
Bis er neugestärkt von Hirsau
Endlich konnte vorwärts ziehn.
Stumm vor ihren Stühlen stehen
Alle Brüder. Marquard tritt jetzt
Vor zur Rechten von der Krippe.
Zu der Linken steht der Prior,
Mehr zurück die Kapeläne;
Heute Othloh und Franziskus.
Da, wo links des Hauptchors Rundung
Anstößt an die Seitenchöre,
Am Altar des heil'gen Joseph
Stehet Krafto, nah der Mauer.
Hinter ihm, an dem Altare
Kniet der sternenkund'ge Sigbert 95
Und der Musiker des Klosters.
Bleich ist heute Kraftos Antlitz,
Ringend, betend hängt sein ganzer,
Frommer Sinn am Kind der Jungfrau.
Doch so sehr die Kerzen strahlen,
Und so sehr der Weihrauch duftet,
Und des Abtes heil'ge Messe
Widerhallt vom Schiff der Kirche – –
Kraftos Herz zum erstenmale
Wird dabei der schlimmen Unrast
Nimmer los. Das Jesuskindlein
Schaut so kalt und tot herüber,
Bleibt ein wächsern, starres Bildnis;
Und der Strom der Weihnachtsliebe
Rauscht vorbei am Herzen Kraftos.
Nun, nachdem in heil'ger Christnacht
Er Novizenkleider nehmen
Will, und allen Zwiespalt enden; –
Nun sträubt plötzlich sich sein ganzer,
Junger Sinn mit Macht dagegen,
Nun hängt klammernd er an allem,
Was er soll dahinten lassen.
Kraftos Auge schweift vom Kindlein
Durch das dämmrig stille Langschiff,
Wo die Kerzen der Altäre
All die Schatten noch vertiefen,
Bis hinab, wo an der Halle
Für die Laien quer herüber
Eine Lichterreihe ziehet,
Also, daß bald da, bald dorten
In der Kerzen nächstem Umkreis
Ein Gesicht ist zu erkennen.
Starr blickt plötzlich er hinunter:
Dort mit weißem, stillem Antlitz
Knieet sie, die Heißgeliebte.
Ihre Augen blicken brennend
Her zum Chor, doch nicht das Kindlein 96
In der heil'gen, echten Windel
Sucht ihr Blick, so flehend, hilflos.
Ist's der Böse, der jetzt locket,
Oder ist's ein milder Engel,
Der ihn mahnt, da es noch Zeit ist?
Wirr und dunkel werden Kraftos
Herz und Sinn. Wie Wolken liegt es
Um ihn her. Des Ministranten
Glöcklein schreckt aus schwerem Brüten
Ihn empor. Die beiden Mönche,
Die an dem Altare knieten
Hinter ihm, sie treten eben
Vor, ihn zwischen sich zu nehmen.
Irr blickt er sie an, dann geht er
Mit gequältem Herzen vorwärts.

An des Bruders Seite knieet
Trude, hinter ihr die Muhme,
Samt dem Kaspar Rust, dem Treuen.
Alle kamen nach gewohnter
Weise hier die Weihnachtsandacht
Zu begehen, da sie heil'ger
Ist in Hirsaus Klosterkirche
Als in den Kapellen Calwas.
Alle wissen, daß Graf Sponheim
Heute soll die Kutte nehmen
Als Novize, der in kurzem
Sich für immer weiht dem Kloster.
Alle sehen drin den Anfang
Für die künft'ge heil'ge Laufbahn.
Eine nur blickt mit erstarrtem
Herzen nach dem Chor hinunter,
Eine ringt in dieser Christnacht
Schwersten Kampf, den niemand sehn darf,
Eine fühlt die Schwerter gehen
Durch ihr Herz, das blutend aufzuckt, 97
Da man ihm sein Liebstes einsargt.
Ach, was hat doch dieses letzte
Kurze halbe Jahr verändert!
Wie so ruhig, wie zufrieden
Schlug das Herz vor jenem Tage,
Da sie an des Fremden Hals flog!
Wie so gern hat sie des Freundes
Stets gedacht, dem sie einst folgen
Wollte als sein treues Ehweib.
Ach, und jetzt! – Sie flieht den Braven
Wo sie kann. Angst, Schmerz und Grauen
Fühlt sie, wenn die bärt'gen Lippen
Ihre Stirne sanft berühren.
Jäh will ihr das Herzblut stocken,
Wenn er spricht vom Haus am Wasser,
Das mit ihm sie soll bewohnen.
Tausend Wünsche tauchen stürmisch
Auf, und tausend Träume zerren
An der Ruhe ihres Herzens,
Bis sie untergeht in heißem
Schmerz und ungestilltem Sehnen.
Wie in Dämm'rung lag ihr Leben
Bisher, Trude denkt's mit Grauen,
Und ob es ein Blitz erhellte,
Eine Feuersbrunst, die zehrend
Drüber fährt, – es ist doch helle.
Und sie wünscht der Dämm'rung Frieden
Nicht zurück, sie will verbluten
Eher, als das Eine missen,
Was unselig, sel'gen Tag ihr
Hat gebracht, – die heiße Minne.
Weiter gehet der gedämpfte
Fromme Sang der Klosterbrüder.
Trude sinket in die Kniee.
Ist ihr doch, als müßt' den Liebsten
Sie dem Herrn zum Opfer bringen.
Auf dem Jesuskindlein haftet 98
Dann ihr Blick: »Heiland, Erretter,
Hilf und heile und errette,
Thu' ein Wunder, so wie einstmals,
Laß, o laß die letzte Hoffnung
Mir, der Aermsten, nicht ersterben!«
Krafto tritt jetzt auf die Stufen.
Nacht legt sich vor Trudes Augen
Und in halbem Wahnsinn fleht sie:
»Wenn du, Kindlein, mich nicht hörest.
O, so höre mich, wer immer
Mir, der Armen, helfen kann!«

Krafto steigt die Stufen aufwärts
Wie im Traum. Die Kerzen flimmern
Ungewiß ihm vor den Augen.
Vor Abt Marquard will er knieen,
Doch, da strauchelt er; im Teppich
Hat sein Fuß sich leicht verwickelt.
Othloh tritt hervor, zu helfen;
Seine Kutte streift die Kerzen,
Eine wankt und fällt, und alsbald
Flammt das Stroh der Krippe knisternd
Auf in hoher, greller Lohe.
Von dem Laienchor dringt gellend
Jetzt ein Schrei herauf, die Brüder
Stürzen her aus ihren Stühlen;
Reißen Decken von den Wänden,
Doch das Feuer freut der neuen
Gabe sich und frißt sie gierig;
Kopflos rennen Mönch und Laie,
Bange Schreckensrufe tönen.
Marquard ist der erste, welcher
In dem aufgenommnen Froccus
Schnee herbeischafft aus dem Hofe.
Viele folgen seinem Beispiel. 99
Andre schleppen Eimer Wassers.
Bruder Klaus, der Kellermeister,
Bringt die größte seiner Kannen.
Zischend steigen erst die Flammen,
Diesem neuen Feinde spottend;
Doch dann ducken sie die Häupter,
Um nach langem Kampfe endlich
Sich der Uebermacht zu fügen.
Düster Nachtbild! In der Kirche
Glimmen matt und trüb die Lichter.
Noch drängt aufgeregt und angstvoll
Sich der Brüder und der Laien
Buntgemischte Schar im Chore.
Wo das Kindlein lag, steigt häßlich
Dicker Rauch nun aus der Asche.
Böse, unheilvolle Christnacht!

Trautwein, Kaspar und die Muhme
Finden sich im Schiff zusammen.
Nur die Trude fehlt; man suchet,
Wo man vor dem Brand gewesen.
Ja, dort kniet sie. Stumm, entgeistert
Blickt sie starr hinab zum Chore.
Muhme Eva legt die Hand ihr
Auf die Schulter: unbeweglich
Bleibt sie. Trautwein schüttelt alsdann
Sie am Arm; umsonst, sie fühlt's nicht.
Endlich beugt sich Kaspar nieder:
»Trude, meine liebe Trude!«
Flüstert er, sie schrickt zusammen,
Und sie schaut dem Freund mit scheuem,
Fast entsetztem Blick ins Auge.
Wortlos an dem Arm der Muhme
Wandelt sie dann langsam heimwärts.
Stumm, im dämmerigen Schneelicht 100
Liegt das Thal, und frostig glitzernd
Schauen stille Sterne nieder.
Kaspar Rust und Berthold gehen
Wenig Schritte vor den Frauen.
Hie und da durchbebt ein Schauder
Jäh den Leib der blassen Trude,
Dann streicht liebevoll die Muhme
Ihren Arm und preßt ihn an sich.
Sorglich, als man jetzt daheim ist,
Hilft die Stumme sie entkleiden,
Schlingt das reiche Haar in Flechten
Für die Nacht und legt behutsam
Die Gewänder auf die Truhe;
Löst von Trudes kalten Füßen
Leicht und sacht die derben Schuhe
Und bedeckt zuletzt das Mägdlein,
Das sein Zittern kaum kann bergen,
Mit den weichen Federbetten.
Dann zieht sie den niedern Schemel
Vor das Bett und will die Rechte
Trudes in die ihre nehmen;
Doch die Maid, sie bittet leise:
»Laßt es nur, herzliebe Muhme,
Geht hinüber, daß der Berthold
Nicht allein sei mit dem Kaspar;
Ist doch heute Weihnachtsabend.
Ruhig könnt Ihr mich verlassen,
Bin ja gut und warm gebettet.«
Zögernd nur gehorcht die Muhme,
Streicht ihr liebevoll die Wange,
Zieht die weiche Decke höher
Bis zum Halse ihres Lieblings,
Betet leis ein gutes Sprüchlein
Und geht seufzend dann hinaus.
Trude liegt ganz still, bis drüben
Ueberm Flur die Thür sich schließet,
Dann sitzt aufrecht sie im Bette, 101
Starret in das tiefe Dunkel
Und müht nicht mehr sich, ihr Zittern
Länger mit Gewalt zu bannen.
Klappernd schlagen ihre Zähne
Jetzt zusammen; – nur vor Kälte?
Ihre Hände schlingen brünstig
Sich zum Beten ineinander,
Doch kein Wort entströmt den Lippen.
O, für ihrer Seele Nöten
Und für ihre Last und Mühsal
Giebt's kein Beten mehr von jetzt an.
Grauenhafte Nacht sinkt nieder
Auf ihr Herz: sie hat die Flammen
Ja entzündet, die das heil'ge
Kind samt Christi Windeln fraßen.
Ihre sündigen Gedanken,
Ihre Wünsche, ihr Begehren
Hat der böse Feind vernommen,
Und Gott hat sich abgewendet.
Fieberschauer fluten glühend
Bald und bald mit Eiseskälte
Durch den jungen Leib, und trostlos
Sinkt sie rückwärts, schlägt die Hände
Vors Gesicht in Qual und Jammer.
Nebel legen sich um Trude.
Linde Sommertage tauchen
Vor ihr auf; des Grafen Antlitz
Neigt sich lächelnd zu ihr nieder.
Kaspar Rust zieht ihr vorüber
Und der wilde Veit Wolfsölden.
Aechzend wirft sie sich im Bette
Hin und her, die feuchten Haare
Kleben auf der heißen Stirn.
Jetzt springt sie empor, den Laden
Stößt sie auf und mit Begierde
Läßt sie sich die kalte Nachtluft
Um den heißen Körper spielen. 102
Bittend streckt die nackten Arme
Sie zum sternenklaren Himmel,
Bis ein Krampf die Unglücksel'ge
Faßt, da sinkt sie still zu Boden. 103

 

 


 


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