Auguste Supper
Der Mönch von Hirsau
Auguste Supper

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Föhn streicht durch die Tannenwipfel,
Heult in bangen Tönen kläglich
Um den Turm der Peterskirche.
Schwer, wie voll von trübem Ahnen,
Ist die Luft, zerrissne Wolken
Jagen übers wald'ge Thal hin,
Und im Norden steht gespenstisch
Seltsam fahle, blasse Röte.
Im Novizenhaus zu Hirsau,
In dem häßlich kahlen Dorment
Sitzt auf seinem harten Lager
Krafto, einst ein Graf von Sponheim.
Seiner Locken reiche Fülle
Ist gefallen, nur ein dichter
Kranz von blonden Haaren zieht sich
Um den Kopf. So ziemt dem Manne,
Der in Jahresfrist für immer
Wird der Außenwelt entsagen.
Aus dem dunkeln Mönchsgewande
Schaut sein junges, bleiches Antlitz
Düster auf das Pergament hin,
Das er vor sich aufgerollt hält.
Schön und kunstvoll ausgemalet,
Sind die Regeln hier beschrieben,
Doch der gräfliche Novize
Starret trübe darauf nieder,
Ohne Sinn und Wort zu fassen. 118
Wenig Stunden sind's, da hat er
Seinem langvertrauten Konrad
Wohl zum letztenmal im Leben
Die so treue Hand geschüttelt.
Berthold will ihn zu sich nehmen,
Bis im Mai die Fahrt zum Rhein geht,
Die den Knecht mit seiner Trauten
Wird zur künft'gen Heimat führen.
Wie dem Konrad große Thränen
Auf das Lederkoller tropften,
Wie der Luchs mit lautem Heulen
Am geliebten Herrn hinaufsprang,
Wie vom Thor er zweimal wieder
Lief zurück mit heisrem Winseln,
O, da zuckte Kraftos Herze
Auf in bittrem Schmerz und Jammer.
Doch – je schwerer uns ein Opfer,
Desto mehr wird Gott es achten.
Also vorwärts ohne Zagen
Auf dem Weg des wahren Heils!
Mühsam auf das Pergament nun
Zwingt die schweifenden Gedanken
Der Novize, liest und lernet,
Wie und wann das Haupt zu neigen,
Wie und wann im Bett zu liegen,
Wann zur Ader sei zu lassen,
Wie die Kukula zu tragen. – –
Ernst und redlich müht sich Krafto,
All dies tief sich einzuprägen.
Ist es seine Schuld, daß draußen
Lenzsturm heult, und daß vom Flusse
Bis herauf er hört das Rauschen?
Ist es seine Schuld, daß diese
Stimmen aus der Welt bis hierher
In das finstre Dorment dringen?
Sinnend liest er halblaut weiter:
»So ein Bruder will den Becher 119
Waschen und das Messer schärfen,
Thue er es in der Stunde
Nach beendetem Kapitel.«
Wie mag's kommen, daß er plötzlich
Zwei gar weiße, liebe Hände
Mit dem reinen Tuch die Becher
Trocknen sieht, darin der süße
Trank gemischt wird einem Gaste?
Krafto springt empor. Ist gar nichts,
Das ihn nicht an die gemahnte,
Deren er soll nie mehr denken?
Heulend, mit erneutem Wüten
Fährt der Sturm jetzt übers Kloster.
Krafto wirft sich vor sein Lager,
Birgt das Haupt in rauher Decke.
Leis, vom Sturme halb verschlungen,
Dringt ein Glockenton herüber
Von dem Turm der Peterskirche.
Krafto lauscht; es ist die Zeit nicht
Jetzt zu Gottesdienst und Läuten.
Horchend tritt er an das Fenster,
Dessen ölgetränkte Scheibe
Aus Papier zerfetzt herabhängt,
Von des Sturms Gewalt zerrissen.
Deutlich mit den scharfen Augen
Sieht er, daß kein Glöckner drüben
Rührt den Schwengel; 's muß der Föhn sein,
Und dies gilt als schlimmes Zeichen.
Krafto fühlt ein kaltes Grauen
Ueber seine Seele schleichen.
Jemand pocht am Thor, man höret
Es herüber bis zum Dorment.
Wenig Frist verstreicht, da rufet
Othlohs Stimme dem Novizen,
Daß ein Bote angekommen,
Welcher drüben im Kapitel
Auf den Grafen Sponheim warte. 120
Krafto folget bang und langsam.
In dem Saal kommt ihm ein Reitknecht
Stumm bis an die Thür entgegen,
Küßt ihm schweigend seine Hände.
Krafto drückt der Gruß des Knechtes
Auf das Herz, dann fragt er stockend,
Was es fern zu Sponheim gebe.
Schweigend zieht der Knecht die Rolle
Aus dem Wams und reicht sie Krafto,
Welcher langsam sie entfaltet.
Lange starrt er auf die Blätter,
Läßt dann matt die Arme sinken,
Und mit einem dumpfen Aechzen
Fällt er nieder auf die Kniee.

Unerschöpflich, unermüdlich
Strömt der Regen Tag und Nächte.
Brausend schießt der Strom im Thale,
Wild sein Ufer überflutend,
Und noch immer steigt das Wasser.
Marquard stehet an der Brücke,
Die vom neuen nach dem alten
Kloster jenseits führt hinüber.
Düster von gar schweren Sorgen,
Prüft sein Auge die zwei Pfeiler,
Die, umrauscht von gelben Fluten,
Sicher nicht mehr lang dem Anprall
Werden widerstehen können.
Doch, wenn auch die Brücke fiele!
Wär' nur dies das einz'ge Opfer,
Das die bösen Wasser fordern!
Aber weit hinab im Thale
Macht der sand'ge Schlamm die Wiesen
Unfruchtbar für nächsten Sommer;
Drüben die ehrwürd'gen Mauern,
Die das alte Kloster schützten, 1210
Liegen von der Flut zerrissen,
Und so länger noch die Trümmer,
Die der Fluß als Beute herwälzt,
Sich hier vor der Brücke stauen,
Wird das Wasser sicher steigen,
Bis des heiligen Aurelius
Alte Kirche stürzt zusammen.
Marquard ziehet sich den Froccus
Fester um den Leib zusammen.
An den fernen Ignaz denkt er:
Hat nicht dieser oft prophetisch
Drohend von dem Jahr gesprochen,
Das nun schon in seinen ersten
Monden solches Unheil mitführt?
Trafen doch in letzter Woche
Boten ein von fernen Gütern,
Daß des Klosters Feinde plündernd
Und verheerend eingedrungen.
Dann kam Kunde, daß Graf Sponheim,
Kraftos Vater, schnell gestorben,
Und daß Philipps Freund, Graf Heinrich,
Seinem Bruder streng verbiete,
Je Profeß zu thun zu Hirsau.
Ob auf solche Kunde Krafto
Nicht dem Wunsch des Bruders folgte
Und zu Hirsau blieb, was hilft es!
Hat nun doch der Erstgeborne
Sponheims heißbegehrten Reichtum.
Krachend staut sich jetzt ein Baumstamm
An dem einen Brückenpfeiler.
Wenn sie doch in Stücke ginge,
Eh' die angeschwemmten Trümmer
Sich zu einem Berge türmen!
Doch, es ist des Abtes Art nicht,
Etwas müßig abzuwarten;
Und er wendet sich zum Kloster,
Eilig alle Laienbrüder 122
Samt den Mönchen aufzubieten.
Bald mit Stricken, Aexten, Stangen
Zieht die Schar denn aus dem Thor.
Krafto fehlet nicht im Zuge,
Und wie sie zum Flusse kommen,
Blickt sein Auge heller, freier
Als seit lang. Die tollen Fluten
Reizen ihn zu Kampf und Ringen,
Wecken seine jungen Kräfte,
Sein zurückgedämmtes Feuer.
Eilig legen nun die Mönche
Ihren Froccus ab, man träget
Alle in die trockne Nische,
Die an Klosterweges Mauer
Unfern für ein hölzern Bildnis
Des Sankt Nepomuk gebaut ist.
Von dem größten Laienbruder
Leiht Medardus sich die Stiefel,
Deren hoher Schaft dem Riesen
Bis zum Knie reicht, und so watet
Er ein gutes Stück ins Wasser,
Das ihn schäumend wild umzischt.
Mit der langgestielten Axt nun
Haut er mächtig in die Tanne,
Deren Stamm er kann erreichen.
So hält er sich fest. Vom Ufer
Werfen ihm die andern Stricke
Zu, von denen er sich einen
Um den eignen Leib erst gürtet;
Dann, vom wilden Gischt umschäumet,
Schwingt er mühsam auf den Stamm sich,
Müht sich ab, bis er die Stricke
In das Wurzelwerk kann binden;
Dann rutscht er zurück, und alsbald
Ziehen mit vereinten Kräften
All die Männer an dem Stamme,
Der das ganze, wirre Bollwerk 123
Trägt in seinen mächt'gen Aesten.
Keuchend und in Schweiß gebadet,
Müssen oft sie stille halten.
Othloh rät, man soll gemeinsam
Knieend zu den Heil'gen flehen,
Das sei mehr als all dies Mühen;
Aber Marquard streift den Frommen
Nur mit stummem Blick und greifet
Wieder nach dem Strick als Erster.
Einen Schuh breit weicht die Tanne,
Und schon lösen Holz und Steine
Sich aus dem Geäst und werden
Von der Flut thalab gerissen.
Wieder läßt der mächt'ge Baumstamm
Sich ein Stückchen näher ziehen,
Noch einmal, dann ist der Arbeit
Schlimmster Teil gethan, denn vieles
Von dem angeschwemmten Chaos
Findet jetzt schon einen Durchbruch
Durch den Damm, der an der Tanne
Sich stets dichter aufgeschichtet.
Nochmals! auf! sie weicht, mit Brausen
Schießt jetzt eine Masse Trümmer
Durch den schmalen Durchlaß, der sich
Aufthut auf der andern Seite.
Noch ein Zug, und halb schon lieget
Nun die Tanne auf dem Trocknen.
Marquard, dem der Schweiß in Tropfen
Auf der breiten Stirne stehet,
Rufet Othloh zu: »Jetzt bete!«
Krafto, dem die Hände bluten
Von dem Strick, so half er ziehen,
Wischt den Schweiß sich ab und atmet
Tief und leicht, wie nie seit langem.
Doch, da kommt ein neuer Stamm schon
Auf den Fluten hergeschossen,
Wieder einer und ein dritter. 124
Aengstlich starrt die Schar der Männer
In den Fluß. Jedoch zum Glücke
Trägt das Wasser seine Beute
Ohne Schaden durch die Brücke.
Marquard folgt, so weit er sehn kann,
Diesen Stämmen mit den Augen;
Dann kehrt er sich um zu Krafto,
Der ihm nahesteht, und leise
Fragt er: »Sahst du diese Stämme?«
Krafto blickt ihn an, es dämmert
Schnell Verständnis ihm; er nicket:
»Ja; sie haben keine Wurzeln.«
Marquards Augen sprühen Blitze:
»Sie mit Wurzeln auszugraben,
Nimmt sich Calwa nicht die Mühe.
Hat er doch gar scharfe Aexte,
Die an Klosterholz gewöhnt sind.«
In das Antlitz des Novizen
Steiget brennend Zornesröte,
Seine Faust umklammert fester
Eine Axt, die er gefaßt hat,
Als woll' er zum Schlag sie heben.
Doch, eh' er nur Worte findet,
Läßt sich aus der Schar der Mönche
Jetzt ein Schreckensruf vernehmen.
Aus der Mauernische, wo die
Kutten dort im Trocknen liegen,
Steigt ein trüber Qualm und Rauch auf.
Dann erklinget lauter Hufschlag
Und ein schallendes Gelächter,
Und im Klosterwege aufwärts
Sprengt der wilde Veit Wolfsölden.
An der Stelle, wo die niedre
Mauer halbzerfallen daliegt,
Hart an der gemeinen Straße
Wendet er sein Roß und rufet
Laut zurück, daß trotz des Wassers 125
Brausen man es kann vernehmen:
»Bis ihr all die Stämme auffischt,
Die ich euch aus alter Freundschaft
Schlagen lasse und verflöße,
Wird euch warm, daß ihr der Kutten
Wohl entraten könnt, so deucht mir.«
Sprachlos stehen all die Männer,
Nur der gräfliche Novize
Ist, die kurze Axt erhoben,
Vorgestürmt; ihm wallt sein junges
Blut in heißem Zorne über.
Als nun Veit dem Roß den Sporn giebt,
Naht in weitem Sprung der Jüngling,
Ruft ein heisres »Halt!« und wütend
Fällt dem Pferd er in die Zügel.
Schäumend bäumet sich die Stute;
Doch der Graf mit Kraft des Zornes
Hält sie fest und zwingt sie nieder.
Nicht sofort erkennt der Reiter
Den, der sich ihm so zu nahn wagt;
Aber als sich das geschorne
Haupt erhebt, und die zwei blauen
Augen zornig auf ihn blitzen,
Lacht er gellend auf und höhnisch:
»Sind wir so weit, Pfaffengräflein,
Würdig Reis vom frommen Stamme?
Wohl, die Platte steht dir trefflich;
Will doch schnell ein Kreuz drauf malen.«
Damit zieht das kurze Schwert er
Und führt zorn'gen Hieb nach Krafto.
Doch der weicht zurück und hebet
Schnell die Axt zu zeit'ger Abwehr.
Dann, behend wie eine Katze,
Springt er vor und schwingt die Wehre
Wuchtig, ohne lang zu zielen,
Auf den Ritter, der sich dessen
Nicht versieht, und dessen leichtes 126
Wams ihm keinen Schutz kann bieten.
Schwer trifft seine Brust der Schlag denn
Mit dem stumpfen Teil des Werkzeugs,
Stöhnend wankt er in dem Sattel,
Und dann sinkt er lautlos nieder.
Noch hängt ihm der schwerbeschuhte
Fuß in seines Rosses Bügel,
Das das Pflaster scheu und wild jetzt
Stampft und an dem Reiter zerret;
Da macht Krafto schnell den Fuß frei,
Und das Roß, der Bürde ledig,
Stürmt dahin in toller Flucht.

In des Siechenhauses Kammer,
Die im Erdgeschosse lieget,
Hat man auf das breite Lager
Den Verletzten hingebettet,
Hat entkleidet ihn und sorglich
Untersucht, doch ist von außen
Nichts zu sehn, als unterhalb des
Herzens eine blaue Stelle,
Die vom wucht'gen Schlage herrührt.
Marquard geht mit finsterm Antlitz
Aus der Kammer: ob der Streich auch
Jenem Schufte wohl gebührte,
Denkt er, ist es böse Sache,
Daß ihn ein Novize führte.
Und er sieht im Geist schon tausend
Schlimme Folgen für das Kloster.
Auch die Brüder, die sich mühten
Um den stillen Mann, sie schauen
Düster drein und voller Vorwurf.
Bald verhallt der Schritt der Mönche.
Die zum Completorium eilen,
Und allein sitzt der Novize,
Wie es Marquard ihm befohlen, 127
Beim verstummten, bleichen Feind.
Lautlos still ist es um beide,
Hie und da nur knistert leise
Eines Lämpchens schwache Flamme,
Das am Kruzifix dort stehet.
Dann und wann pfeift jäh ein Windstoß
Um das Haus und trägt der Fluten
Brausen deutlich in die Kammer.
Düster blicket der Novize
Vor sich nieder, und es gleiten
Dieses schlimmen Tages Bilder
Langsam seinem Geist vorüber.
Zorniges Empören faßt ihn,
Wenn er denkt, wie scharf ihn Marquard
Vorhin hat zurechtgewiesen.
Daß der Abt verdammt und richtet,
Nur weil er die Folgen fürchtet,
Krafto fühlt es. Auch im Kloster
Schwankt das Recht, danach der Wind geht.
Der Novize schlägt mit Stöhnen
Seine Hände vor die Augen:
An den Vater muß er denken,
Der weit draußen ew'gen Schlaf schläft.
Ja, der teure, fromme Tote
Würde nicht, wie Marquard, fragen:
»Hast du nicht bedacht, Unsel'ger,
Daß die Rache Calwas drohet?«
Nein, er fragte: »Hat mein Krafto
Nicht bedacht die Worte Gottes:
›Mein ist ewiglich die Rache,
Und ich will allein vergelten‹?
Weiß er nicht, daß sein Gelübde
Frieden heischt, nicht blut'ge Thaten?«
Krafto blicket auf, ein Grauen
Faßt ihn jetzt zum ersten Male,
Als er auf das blasse Antlitz
Schaut, das dort so ruhig daliegt. 128
Wie, wenn er hinüberschliefe,
Unvermerkt? – Blieb' nicht ein Schatten
Ewig auf dem Thäter liegen,
Der, das Friedenskleid vergessend,
Sein Gelübde brach im Zornmut?
Es verlischt das kleine Lämpchen.
Durch die Luke schleicht der erste
Fahle Schein des nahen Morgens.
Veit Wolfsöldens starres Antlitz
Tritt hervor in seiner Blässe.
Seltsam scharf sind diese Züge,
Und mit schauderndem Entsetzen
Sieht der jugendliche Wächter,
Daß er Totenwacht gehalten.

Vor den Stufen, die zum Hauptchor
In der Peterskirche führen,
Steht ein Katafalk, umhüllt von
Schwarzen Tüchern. Ringsum brennen
Lichter, und ein Teil der Brüder
Betet in den nahen Stühlen.
Krafto knieet bleich zu Häupten
Des Erschlagnen, und die Finger
Schieben an des Rosenkranzes
Perlen, den er in der Hand hält.
Auf Befehl des Abtes liegt er
Hier seit vielen, vielen Stunden.
Sühnen soll er seinen Zornmut,
Sühnen an des Gegners Bahre
In Gebet, in Wachen, Fasten.
Einen Boten hat der Abt schon
An den Calwa abgesendet,
Der ihm melde, wie sein Vetter
In der Peterskirche liege,
Da man tot ihn aufgefunden
Nahe bei dem Kloster gestern. 129
Wie es scheine, sei der Ritter
Abgestürzt vom wilden Rosse
Und zu Tod getreten worden.
Schamrot flammten Kraftos Wangen,
Als er diese Lüge hörte,
Die ihm feig und schmachvoll dünket.
Schmählich dünkt ihm auch die Buße
An dem Sarg des Bösewichtes.
Doch – »gehorsam sei der Bruder
Seinem Abt, ob er die Gründe
Nicht versteht, die Jenen leiten;«
Schwer auf Kraftos Seele lastet
Dumpfer Druck; es ist nicht Reue
Ueber das, was er soll büßen;
Nein, es ist ein banges Ahnen,
Daß der stille Bruder Ignaz
Einst nur allzuwahr gesprochen.
Durch die Seitenthüre dringet
Warm ein Luftstrom aus dem Kreuzgang;
Und die Tücher an der Bahre
Flattern auf, die ew'ge Lampe
Am Altar der Gottesmutter
Fängt unmerklich an zu schwingen;
Und die Kerzen, die in hohen
Leuchtern um die Bahre stehen,
Flackern unruhvoll und scheinen
Nach dem stillen Mann zu lecken.
Kraftos überreizte Sinne
Bannen bei der Flammen Zucken
Jene unheilvolle Christnacht
Jäh hervor: im Laienchore
Sieht er ein erblaßtes, süßes
Antlitz aus dem Dämmer tauchen.
Und da packt es den Novizen
Unnennbar voll Schmerz und Sehnsucht.
Fassungslos sinkt er zusammen,
Legt den Kopf auf seine Hände, 130
Und seit fernen Kindheitstagen
Schluchzt er jetzt zum ersten Male,
Und gar heiße, bittre Thränen
Fallen auf die Grabesplatten.

Scheu schleicht sich durchs Calwer Burgthor
Jener Bote, der dem Grafen
Soll die schlimme Botschaft bringen
Von Wolfsöldens jähem Tod.
Scheu folgt er der Magd, die schweigend
Ihn durch Hof und Treppen führet
Zum Gemach, darin der Burgherr
Mit der Nichte sitzt beim Brettspiel.
An der Thüre bleibt er stehen,
Schauet ängstlich auf den Grafen,
Der halb finster, halb erschrocken
Blicket, als er am Gewande
Einen Hörigen des Klosters,
Des gehaßten, rasch erkennt.
Zögernd und des Abtes Lüge
Weit ausspinnend, fängt der Mann jetzt
An, vom Unglücksfall zu sprechen,
Der den Ritter jäh betroffen.
Adelbert vernimmt die Kunde
Wortlos, doch die junge Gräfin
Springt entsetzt und bleich vom Stuhl auf.
Und mit irrem Auge wirft sie
Hastig ihres Spiels Figuren
Durcheinander und ruft gellend:
»Ohm, o sagt ihm, daß er lüge!«
Tief erschrocken tritt der Bote
Einen Schritt zurück und füget
Stammelnd manch verwirrtes Wort bei.
Doch der Graf, er winkt ihm finster,
Daß er sich entfernen möge,
Und mit eil'gem Fuße machet 131
Sich der Bote auf den Heimweg.
Agnes ist, des Ohms nicht achtend,
Vor dem offnen Fensterladen
Auf die Kniee hingesunken,
Und ein leidenschaftlich Schluchzen
Schüttelt ihren schlanken Körper.
Dorthin starren ihre Augen,
Wo die weißen Kreuze stehen
Ueberm Fluß um die Kapelle.
Wie ein Blitz zuckt durch das Hirn ihr:
Als die Trautweinin jüngst krank lag,
Der des wilden Veit Wolfsölden
Heißes Minnewerben zuflog, –
Da hat oft die weißen Kreuze
Sie um eins vermehrt gewünscht;
Denn sie haßte dieses Mägdlein,
Wie sie ihn, den Wilden, liebte.
Damals schien ihr, daß ein weitres
Kreuz die Wege könnte ebnen. –
Und ein weitres Kreuz, es wird nun
Bald ihr ganzes Lieben decken,
All ihr glühend heiß Verlangen,
All ihr Denken, Wünschen, Hoffen. –
Adelbert schaut bleich und düster
Auf das schmerzzerrissne Weib hin.
Und er denkt an eine andre,
Deren stummgetragne
Qualen Sicherlich zum Fluche wurden,
Der nach langer Zeit jetzt anfängt,
Ihn und sein Geschlecht zu treffen:
Tot liegt in der Kirche Hirsaus
Einer aus dem Hause Calwa;
Eine knieet dort gebrochen;
Aber schlimmer ist's, wenn jener
Lebende in Hirsaus Kirche
Betet zu dem Gott der Rache.
Jener mit den dunklen Augen 132
Und mit der verschlissnen Kutte.
Gottes Mühlen mahlen langsam,
Doch so fein, daß nichts entschlüpfet.
Adelberts verstörte Sinne,
Wie der Gräfin wunde Seele
Hegen an des Boten Worten
Keinen Zweifel. Doch ob Calwa
Selbst die Wahrheit wüßt', sein Rächen
Würde nicht das Kloster treffen;
Denn seit jenem Tag, da Wolfger,
Der gefangne Seckelmeister,
Im Verließ zu Calwa sitzet,
Seit dem Tag klingt Hirsaus Name
Schreckhaft in dem Ohr des Burgherrn.
Dumpf und still ist's in der Kammer,
Nur bisweilen klingt der Gräfin
Stöhnend Schluchzen her vom Fenster,
Und des angeschwollnen Flusses
Gurgeln tönt herauf vom Thalgrund.
Endlich mit verzerrten Zügen
Stehet Agnes auf vom Boden
Und, die innre Qual bekämpfend,
Spricht sie, immer noch die Augen
Starr zum Friedhof hingewendet:
»Ohm, ich fleh' Euch an, o lasset
Ihn nicht in der Klosterkirche!
Holt ihn, und dort unten soll er
Seine letzte Ruhe finden!«
Dankbar fast blickt auf die Nichte
Da der Graf, geht rasch zur Thüre;
Und am gleichen Abend gingen
Noch die Boten ab nach Hirsau,
Die den Leichnam sollten holen.
Mit den Boten ging auch Wolfger,
Und er trug in seiner Tasche
Jenen Goldzins unvermindert. 133
In der Peterskirche aber
Sprach der Abt beim Completorium
Selbst ein Dankgebet, ein langes,
Und der Bruder Kellermeister
Mußte andern Tags den süßen
Trank ad caritatem mischen,
Denn gar glimpflich war die Sache
Mit der angeschwollnen Nagold
Und dem mehr als Wassersnöte
Noch Gefürchteten zu Calwa
Für das Kloster abgelaufen. 134

 

 


 


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