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Der Pfarrer. Magda.
Magda (setzt sich und beäugelt ihn durch ihre Lorgnette). Hier also ist ein Mann, der es unternimmt, durch eine Unterredung von wenigen Minuten meinen Willen kurz und klein zu brechen... Und daß man Ihnen dergleichen zutraut, beweist mir, daß Sie ein König sind in Ihrem Reiche. Ich neige mich! – Und nun lassen Sie mal Ihre Künste spielen.
Pfarrer. Mein Fräulein, auf Künste versteh ich mich nicht. Und würde mir auch nicht erlauben – Ihnen – Wenn man mir hier einiges Vertrauen schenkt, so geschieht das, weil man weiß, daß ich nie etwas für mich selbst verlange.
Magda (höhnisch). Das war wohl schon immer so?
Pfarrer. Nein, mein Fräulein. Ich habe einmal in meinem Leben einen großen und innigen Wunsch gehabt... Der war, Sie zum Weibe zu besitzen. Ich brauche Sie nur anzusehn und dann mich, um zu wissen, daß er eine Vermessenheit war... Seitdem hab ich mir das Wünschen abgewöhnt.
Magda. Ei, ei, Herr Pfarrer, ich glaube, Sie machen mir den Hof.
Pfarrer. Mein Fräulein, wenn es nicht unhöflich wäre –
Magda. Oh, ein Seelenhirte darf selbst unhöflich sein!
Pfarrer. Ich würde Sie alsdann wegen des Umgangs beklagen, den Sie da draußen gehabt haben.
Magda (in spöttischer Überlegenheit). So? Was wissen Sie denn von meinem Umgang?
Pfarrer. Ich glaube, er hat Sie verlernen lassen, daß ernste Menschen ernst zu nehmen sind.
Magda. Ah! (Aufstehend.) Nun, dann werd ich Sie ernst nehmen und Ihnen sagen, daß Sie mir immer unleidlich gewesen sind, Sie mit Ihrer gut gespielten Einfachheit, Ihrer elegischen Milde und Ihrer –... Seitdem Sie sich aber herabließen, Ihr Auge auf mich dummes Ding zu werfen und mich mit Ihrer Werbung aus dem Hause trieben, seitdem hasse ich Sie.
Pfarrer. Mir scheint vielmehr, ich bin auf diese Weise doch der Anlaß zu Ihrer Größe geworden.
Magda. Da haben Sie freilich recht. Hier wär' ich verstaubt und vertrocknet... Nein, nein – ich hasse Sie ja auch nicht!... Warum sollt' ich Sie viel hassen? Das liegt ja alles weit, weit hinter mir... Ach, wenn ihr wüßtet, wie weit!... Ihr habt hier gesessen Tag für Tag in dieser lauen Zimmerluft, die nach Lavendel, Tabak und Magentropfen riecht... Derweilen hab ich mir den Sturm um die Nase fegen lassen!... Wenn Sie, Herr Pfarrer, eine Ahnung hätten, was das Leben im großen Stil, Betätigung aller Kräfte, Auskosten jeder Schuld, was In-die-Höhe-Kommen und Genießen heißt, Sie würden sich selbst sehr komisch finden in dieser priesterlichen Unterredung... Hahahaha! Ah, Pardon... Ich glaube, seit zwölf Jahren ist solch ein Lachen nicht mehr durch dieses ehrsame Haus gegangen... Denn hier versteht ja keiner zu lachen! Versteht hier einer zu lachen – hä?
Pfarrer. Nein. Leider nein.
Magda. Leider sagen Sie... Das klingt ganz treuherzig. Aber wollt ihr es denn nicht so?
Pfarrer. Die meisten von uns können nicht, mein Fräulein.
Magda. Und die es könnten, denen ist das Lachen Sünde. Na, Sie könnten doch. Was fehlt Ihnen? Sie brauchten doch nicht mit dieser Leichenbittermiene in die Welt zu sehn... Sie haben doch sicherlich eine kleine blonde Frau daheim, die fleißig Strümpfe stopft und ein halbes Dutzend Krausköpfe drum herum. Das ist ja in den Pfarrhäusern so.
Pfarrer. Ich bin ledig geblieben, mein Fräulein.
Magda. Ah! – (Schweigen.) Habe ich Ihnen damals so wehe getan?
Pfarrer. Ach, lassen wir das lieber, mein Fräulein. – Das ist ja lange her.
Magda (den Mantel fallen lassend). Und Ihr Beruf – bringt der nicht Freuden genug?
Pfarrer. Gott sei Dank – ja... Aber wenn man ihn recht ernst nimmt, so lebt man kein eignes Leben dabei – wenigstens ich kann es nicht... Man kann nicht so aufjubeln im Vollgefühl seiner Persönlichkeit – so meinen Sie es doch?... Und dann – ich blicke in mancherlei Herzen hinein und man sieht da zu viel Wunden, die man nicht heilen kann, um jemals recht froh zu werden.
Magda. Ein merkwürdiger Mensch sind Sie... So was kenn ich nicht... Wenn ich nur den Verdacht loswürde, daß Sie hier Pose stehn.
Pfarrer. Wollen Sie mir, ehe Sie gehn, eine Frage gestatten, mein Fräulein?
Magda. Bitte!
Pfarrer. Es ist vielleicht eine Stunde her, daß Sie Ihr Heimatshaus betreten haben – nein, nicht einmal – so lange hab ich ja gar nicht auf Sie gewartet.
Magda. Auf mich? Sie? Wo?
Pfarrer. Im Korridor – vor Ihren Zimmern.
Magda. Was wollten Sie da?
Pfarrer. Mein Gang war unnütz, denn nun sind Sie ja hier.
Magda. Wollen Sie damit sagen: Sie haben mich – holen – Sie, dem ich damals so viel –? Wenn jemand ein Interesse hatte, mich fernzuhalten, so sind Sie es doch.
Pfarrer. Ja, sind Sie denn gewohnt, alles, was man um Sie herum tut, als Ausfluß irgendeines selbstsüchtigen Interesses zu betrachten?
Magda. Natürlich. Bin ja ebenso... (Von einem neuen Einfall gefaßt.) Oder aber Sie – nein, zu der Annahme bin ich nicht berechtigt... (Ärgerlich.) Ach, das gibt's ja alles nicht!... das sind ja Märchen... Kindergeschichten vom edlen Manne! Nun, wie dem auch sei, Herr Pfarrer, ich will Ihnen gestehn, Sie gefallen mir jetzt viel, viel besser als damals, da Sie mir – wie sagt man doch? – einen ehrenvollen Antrag machten.
Pfarrer. Hm!
Magda. Wenn Sie mir das doch wenigstens mit einem Lächeln quittieren möchten... Dieses steinerne Gesicht – das wirkt ja unheimlich man ist ganz sconcertata... Wie sagt man? Je ne trouve pas le mot.
Pfarrer. Verzeihung, mein Fräulein. Darf ich mir jetzt die Frage gestatten?
Magda. Mein Gott, was ist dieser heilige Mann wißbegierig. Und daß ich mit Ihnen kokettiere, das sehn Sie wohl gar nicht. Denn eines Mannes Schicksal gewesen zu sein, das schmeichelt uns Frauen... dafür muß man dankbar sein. Sie sehn, derweilen bin ich bei den Künsten angelangt. Also fragen Sie, fragen Sie!
Pfarrer. Warum – warum sind Sie heimgekommen?
Magda. Aha!
Pfarrer. Das Heimweh war es nicht?
Magda. Nein. Na, vielleicht ein ganz klein – Ich will Ihnen sagen: Als ich in Mailand die Einladung bekam, bei diesem Feste mitzuwirken – warum man mir die Ehre antat, weiß ich nicht –, da fing ein merkwürdiges Gefühl in mir zu bohren an – halb Neugier und halb Scheu – halb Wehmut und halb Trotz – das sagte mir: Geh heim – unerkannt – und stell dich im Dunkeln vor das Haus, in dem die väterliche Zuchtrute über dir geschwungen worden ist – siebzehn Jahre lang. Da weide dich an dir! Wenn sie dich aber doch erkennen, dann zeig ihnen, daß man auch abseits von ihrer engen Tugend was Echt's und Recht's werden. kann.
Pfarrer. Also doch nur Trotz?
Magda. Im Anfang – meinetwegen. Aber schon auf dem Wege fühlte ich ein merkwürdiges Herzklopfen – wie einstmals, wenn ich meine Lektionen schlecht gelernt hatte... Und ich hatte immer schlecht gelernt... Als ich vor dem Hotel stand – dem Deutschen Hause – denken Sie nur – ach! – das Deutsche Haus, wo immer die inspizierenden Generale und die großen Sängerinnen abstiegen, da hatte ich wieder den Riesenrespekt von ehemals, als wär' ich nicht würdig, den alten Kasten zu betreten... Daß ich nun selber eine sogenannte große Sängerin geworden war, hatt' ich total vergessen... Von da an bin ich allabendlich um dieses Haus geschlichen – aber ganz weich – ganz demütig – immer zum Weinen geneigt.
Pfarrer. Und trotzdem wollen Sie fort?
Magda. Ich muß!
Pfarrer. Aber –
Magda. Fragen Sie nicht. Ich muß.
Pfarrer. Hat man Ihren Stolz verletzt? Ist so ein Wort wie Verzeihung überhaupt gefallen?
Magda. Das fehlte noch... Oder ja – doch die alte Schachtel zählt nicht.
Pfarrer. Was kann es also auf der Welt geben, was Sie nach einer Stunde wieder hinaustreibt?
Magda. Ich will Ihnen sagen: Ich fühl es, seit der ersten Minute, daß ich hier bin: die väterliche Autorität streckt schon wieder ihr Fangnetz nach mir aus – und das Joch steht schon bereit, durch das ich kriechen soll.
Pfarrer. Aber hier ist doch kein Joch und kein Fangnetz. Sehn Sie doch nicht Gespenster... Hier gibt es nichts wie weitgeöffnete Arme, die bloß darauf warten, die verlorene Tochter an die Brust zu ziehn.
Magda. Oh, ich bitte sehr! davon nichts... Ein Pendant zum verlorenen Sohne will ich nicht liefern! – Käm' ich als Tochter, als verlorene Tochter wieder, dann ständ' ich nicht so da mit erhobenem Haupte, dann müßte ich im Vollbewußtsein aller meiner Sünden hier im Staube vor euch rutschen. (In wachsender Erregung.) Und das will ich nicht... das kann ich nicht... (mit Größe) denn ich bin ich und darf mich nicht verlieren. – (Schmerzvoll.) Und darum hab ich keine Heimat mehr, darum muß ich wieder fort, darum – – –