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Dekoration des ersten. – Eine Lampe brennt auf dem Tische. – Das Tageslicht bricht durch das Fenster. – Im Hintergrunde links ein aufgeschlagenes Bett unberührt. Daneben ein großer Koffer. Robert sitzt, den Kopf in den Händen, vor dem Tische. Dann
Frau Heinecke in Nachtmütze und wollenem Unterrock.
Frau Heinecke. Guten Morgen, mein Sohn. (Er antwortet nicht.) Erbarmen, er is jar nich ins Bette gewesen! (Tritt, sich die Augen wischend, zu ihm.) Robertchen!
Robert (schrickt empor). Was gibt's? – Was willst du?
Frau Heinecke. Jeses, wie du mir anschreist! Und die Zähne klappern dir vor Frost! Willste Kaffee trinken? (Er verneint heftig.) Robertchen, nimm eine gute Lehre an von deine alte Mutter: Wenn der Mensch auch Kummer hat, schlafen muß der Mensch doch; denn das stärkt die Jlieder! (Löscht die Lampe.)
Robert. Mutter, Mutter, was habt Ihr getan?
Frau Heinecke (weinend). Wir haben keine Schuld, mein Sohn!
Robert. Keine Schuld! Mutter!
Frau Heinecke. Ick hab ihr ehrbar erzogen. In diesen Hause is ihr nie ein schlechtes Beispiel gegeben worden. – Ich hab sie zur Schule angehalten und auch Komfirmieren lassen, obgleich das nich mehr nötig is... Vor den Altar is sie getreten in einen neuen schwarzen Ripskleide. Hab ick ihr gekauft aus 'nen billigen Ausverkauf, und mein eigenes Hochzeitstaschentuch hab ick ihr in die Hand jejeben, und der Herr Prediger sprach so rihrend, so rihrend –
Robert. Aber wie hast du den Verkehr mit jenem – Menschen dulden können?
Frau Heinecke. Vielleicht war es jar nich so schlimm!
Robert. Was verlangst du noch für Beweise?... Hat er mir mit brutalster Offenheit nicht alles eingestanden? Oder hat Alma etwa zu leugnen versucht? Zum Überfluß bin ich dann gestern abend noch im Hause der Michalski gewesen. – Alles war aufs Vortrefflichste geordnet. Deine liebe Tochter Auguste hat ihnen ein verschwiegenes Nest hergerichtet, mit Teppichen und Vorhängen und roten Ampeln – sie selbst stand Wache vor der Tür und wurde dafür – bezahlt – hahaha! – – Der Elende war gestern in meinen Händen! Hätt' ich's nur übers Herz gebracht!
Frau Heinecke. Aber Robert!
Robert. Sei still, er hat Genugtuung versprochen. Das wenigstens hab ich erreicht! Er sah, daß ich zu allem entschlossen war. – Da hat er mir beteuert, er werde bis heute Mittel und Wege finden, eine Genugtuung zu schaffen. Ihr selbst würdet damit zufrieden sein. Ich dachte an die Zukunft des unglücklichen Geschöpfes und ließ ihn laufen.
Frau Heinecke. Na, ich hab mir nichts Schlimmes dabei gedacht.
Robert. Du mußtest es kommen sehen. Was dachtest du dir, wenn er sie spät in der Nacht heimgeleitete?
Frau Heinecke. Wer schläft, is froh, daß er nich zu denken braucht. Außerdem hatte sie den Hausschlüssel.
Robert. Aber du konntest dir nicht verhehlen, daß sie, um an seiner Seite heimzufahren, irgendwo in der Stadt mit ihm zusammengetroffen sein mußte?
Frau Heinecke. Na ja. – Ick dachte: Se jeht eben mit ihm.
Robert. Ich verstehe dich nicht.
Frau Heinecke. Se jeht mit ihm.
Robert. Du sagtest schon – aber –
Frau Heinecke. Wie ein junges Mächen eben mit einen jungen Manne – jeht.
Robert. Geht? Wohin geht?
Frau Heinecke. Ins Konzert oder ins Bierlakal – wenn's Jeld reicht, auch ins Theater, zur Sommerzeit in den Jrunewald oder nach Treptow! –
Robert. Allein?
Frau Heinecke. Allein! (Schnalzt mit der Zunge.) Ne – mit den jungen Manne! –
Robert. Ich wollte sagen: Ohne Begleitung der Eltern?
Frau Heinecke. Natirlich! Oder verlangste vielleicht von deine olle Mutter, dat sie auf ihre schwache Benekens hinter des junge Volk herzoddelt?
Robert. Hm! Also du wußtest, daß sie mit ihm – ging?
Frau Heinecke. Ne. Ich dachte es mir nur.
Robert. Und wenn du sie fragtest?
Frau Heinecke. Wozu fragen? Das gibt unnütze Rederei. Ein Mächen muß von alleine wissen, was es zu tun hat.
Robert. So, so!
Frau Heinecke. Aber daß sie – o wer hätte das gedacht! Jeses, wie du zitterst! – Ich muß dir jleich eine warme Stube machen! (Geht nach hinten zum Ofen.)
Robert (für sich). Kein Ausweg! Keine Rettung! Schande – ein Leben lang nichts wie Schande!
Frau Heinecke (zur Küche hin). Vater, bring die Koaks rein.
(Kniet vor dem Ofen nieder und scharrt Asche heraus.)
Robert (für sich). Was für eine Art Genugtuung kann er gemeint haben? Eine Heirat? Hahahaha! – und wenn ich mich ehrlich frage, ich weiß nicht einmal, ob ich sie wünschen darf. – Schließlich bleibt mir das Duell!... Wenn er mich niederknallt, bin ich geborgen. Aber – was wird aus diesen hier?
Die Vorigen. Heinecke in zerrissenem Schlafrock, mit großen Filzschuhen an den Füßen, trägt einen Korb Kohlen herein.
Heinecke (dumpf). Guten Morgen.
Robert. Guten Morgen, Vater.
Heinecke (stumpfsinnig brütend). Ja, ja.
Frau Heinecke. Brumme nich, Vater! Hilf mir Feuer machen!
Heinecke. Ja, ja! Machen wir also Feuer. (Sie knien vor dem Ofenloch.)
Robert (für sich). Und wenn ich ihn töte? Freilich, das wär Erquickung! Aber die Frage bleibt: Was wird aus diesen hier? Ich fürchte, ich darf mir den Luxus nicht gestatten, so was wie eine Ehre zu haben. (Aufschreiend.) Ah, bin ich schmutzig!
Heinecke. Fehlt dir was, mein Sohn?
Frau Heinecke (leise). Wegen die Alma! Er is jar nicht ins Bette gewesen.
Heinecke. Ja, ja, die Alma! Dazu ist man in Ehren jrau geworden! Aber ick hab's stets gesagt: Das Vorderhaus wird uns ins Unglück stürzen.
Frau Heinecke. Vater, weine nicht. (Sie halten sich umschlungen.)
Robert (für sich). Daß einem das Herz nicht bricht!
Heinecke. Ah, ick weene nicht! Ick bin der Herr im Hause! Ick weeß, wat ich zu tun habe! – Armer Krüppel hält auch auf Ehre! Mir soll das passieren? Meine Dochter? Die soll wat erleben! (Schwingt die Ofenkrücke.) Meinen Fluch werd ick ihr jeben. Meinen väterlichen Fluch!
Frau Heinecke (welche die Betten aufräumt). Na, na!
Heinecke. Ja du! Du verstehst von Ehre jar nischt. (Schlägt sich auf die Brust.) Da sitzt nämlich die Ehre. Auf die Straße wer' ick ihr stoßen in Nacht und Nebel hinaus.
Robert. Soll sie da ganz verderben, Vater?
Frau Heinecke. Laß ihn man reden. Er meint's nich so schlimm.
Robert. Willst du nicht nach ihr sehn? Sie fürchtet sich wohl, uns vor die Augen zu treten.
Frau Heinecke. Schlafen wird se.
Robert. Oh!
Frau Heinecke (geht an die Kammertür). Alma! (Keine Antwort.)
Robert. Um Gotteswillen! Man hätte sie nicht allein lassen sollen.
Frau Heinecke (hat die Tür geöffnet). Wie ick dir sagte, sie schläft.
Robert. Sie kann schlafen!
Frau Heinecke. Wirst du wohl aufstehn, du schlechtes Mädchen?
Heinecke (hinter ihr). Vorwärts, raus, sonst jibt's Wichse!
Robert. Vater, Mutter, rasch noch, ehe sie kommt! Nehmt Euch in acht, zu strenge mit ihr zu sein. Das kann sie leicht verstockt machen.
Frau Heinecke. Du bist viel klüger, mein Sohn, als deine olle Mutter, aber das versteh ich besser. Wie ins Korrektionshaus werd ich ihr halten, wenn mir das Herz auch bricht. – Schuhe putzen, Kartoffeln schälen, Stuben ausfegen, Treppe scheuern, allens muß se.
Robert. Und wenn sie Euch eines Nachts davonläuft?
Heinecke. Pah, eingeschlossen wird se! – Schlüssel steck ich in die Tasche! – Wie soll sie da davonloofen?
Robert. Bedenkt, sie ist ja halb ein Kind! Und andere tragen mehr Schuld als sie!... Die eigene Schwester!... Ah!... Wenn Ihr strenge sein wollt, so seid es gegen jene Kupplerin... Ich hoffe, ja, ich kann's von Euch verlangen, daß Ihr Alma ein für allemal dem Einfluß ihrer Schwester entzieht und Augusten, wie ihrem Manne, die Türe weist.
Heinecke. Sehr richtig! Machen wir reinen Tisch mit die Gesellschaft. Michalski hat mich nu genug geuzt. Da siehst du's, Mutter: Robert muß aus Indien kommen, um es Euch zu sagen. Aber Ihr habt ja kein Herz für mich alten, braven Mann.
Robert. Verzeih, Vater! Um dich handelt es sich nicht.
Heinecke. Janz egal. – Und Aujuste ist eine Tellerleckerin. Wat sie erraffen kann, sackt se in.
Frau Heinecke (die Schürze vor den Augen). Aber sie ist auch mein Kind, und ich habe alle meine Kinder jleich lieb!
Robert. Auch wenn sie deiner Liebe nicht würdig sind, Mutter?
Frau Heinecke. Dann erst recht!
Robert. Stille!
Die Vorigen. Alma.
Alma (in weißer Nachtjacke und weißem Unterrock, mit aufgelöstem Haar, erscheint zögernd in der Kammertür und blickt mit scheuen Augen von einem zum andern).
Heinecke. Hoho!
Frau Heinecke (die Hände ringend). Kind, Kind, ist das der Lohn? Hab ick dir nicht dausend jute Lehren gegeben? Ha' ich dir nich gehalten wie eine Prinzessin? Aber jetzt ist's aus damit! Wat stehste da? Hol den Besen! Feg die Stube aus!
Alma (schleicht mit abwehrend erhobenem Ellenbogen an ihr vorbei in die Küche).
Heinecke (der aufgeregt im Zimmer auf- und niederstelzt). Ich bin dein greiser Vater, werd ick ihr sagen, ich hab dir in die Welt gesetzt. – Ja! ein alter, braver Mann bin ick! Bin ick ooch.
Alma (erscheint mit Besen und Schaufel in der Küchentür).
Robert (für sich). Wie rührend sieht sie aus in ihrer Reue! Und sie – –!
Frau Heinecke. Nu, wird's bald?
Heinecke (feierlich). Alma, meine Tochter, hierher – janz dichte.
Alma. Bitte, bitte, schlag mich nicht!
Heinecke. Das ist das wenigste! Ich bin ein alter, braver Mann. Ja! Hier sitzt die Ehre. Weißt du, was ich jetzt jleich werde? – Verfluchen wer' ick dir. Wat sagste nu?
Alma. Geh – laß mich zufrieden!
Heinecke. Trotzen willste? Aber du sollst mir kennenlernen. Du!
Frau Heinecke. Vater, halte Ruh – Sie soll arbeiten.
Heinecke. Wat? Ick soll meine ungeratene Dochter nich verfluchen dörfen?
Frau Heinecke. Jeh – das kommt ja bloß in den Bichern vor.
Heinecke. Ha!
Robert. Liebe Eltern. So geht es nicht weiter. Tut mir's zu Liebe und laßt mich eine Weile mit ihr allein. Zieht Euch unterdessen an, denn ich vermute, es gibt Besuch.
Frau Heinecke. Komm, Vater!
Heinecke. Ick soll meine ungeratene Dochter nich – –! Na warte – (Frau Heinecke zieht ihn mit sich. Beide ab.)