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Salon im Hause des Kommerzienrats. – Reiche, doch etwas steife Ausstattung. Im Hintergrunde breite Türenöffnung zum Speisezimmer mit Portièren davor. – Links neben dem Kamin ein Sofa mit ovalem Tisch und Sesseln, rechts Chaiselongue mit kleinem runden Tischchen und Schaukelstuhl. – Im Speisezimmer eine reichbesetzte Tafel in der Unordnung einer beendeten Mahlzeit.
Herr und Frau Mühlingk. Curt links. Lenore im Schaukelstuhle rechts mit einem Buche. Man trinkt Kaffee, den ein Diener serviert. Ein anderer ist im Speisezimmer mit Aufräumen der Tafel beschäftigt.
Curt. Wie gesagt, der Rappe ist famos!
Mühlingk. Aber teuer!
Curt. Teuer – ja lieber Gott!
Frau Mühlingk. Ich werde die fehlende Summe zulegen, damit diese Sache endlich zu Ende kommt.
Curt (küßt ihr die Hand). Mein Compliment, Mama!... Ich werde mich also hoch zu Roß meinen lieben Berlinern zeigen. – Du darfst mich auch bewundern, Lori!
Lenore. Ja, lieber Curt! (Liest weiter.)
Curt. Lothar Brandt und Hugo Stengel wollten herauskommen, sich das Vieh anzusehen. Vielleicht interessiert dich das, Lori?
Lenore. Die kommen wohl bald einmal. Zu tun haben sie ja nichts. (Mit einem Blick nach der Uhr, für sich.) Mein Gott, wie die Zeit schleicht!
(Diener ab.)
Frau Mühlingk. Du solltest nicht so hart über diese Herren reden, mein Kind, da Lothar sich um deine Hand bewirbt!
Lenore. So?
Frau Mühlingk. Hast du nichts davon bemerkt?
Lenore. Ich habe nicht aufgepaßt, Mama.
Frau Mühlingk (halblaut). Unerträglich, Theodor!
Mühlingk. Wir kennen diesen Ton nun schon zur Genüge, mein Kind. Auch der Stolz auf die väterliche Kasse hat seine Grenzen.
Lenore (sich aufrichtend). Der Stolz auf die väterliche Kasse?
Mühlingk. Wie soll man die Art sonst nennen, die du seit zehn Jahren an dir hast, reiche und angesehene Bewerber heimzuschicken?... Ich bin ein schlichter, bürgerlicher Mann... Ich habe mich durch eigene Kraft aus kleinen Anfängen emporgearbeitet.
Curt (beiseite). Das heißt – er hat eine gute Partie gemacht. –
Mühlingk. Was sagtest du, Curt?
Curt. Ein Ausruf der Bewunderung – weiter nichts, Papa!
Mühlingk. Ja, ich hatte es nicht so leicht wie du, mein Sohn. – Nimm dir ein Beispiel!... Ich liebe es nicht, den Protzen zu spielen und wünsche dies ebensowenig von meinen Kindern. Nur so lebt man geschmackvoll!
Curt (beiseite). Und billig!
Lenore. Dein Vorwurf trifft mich nicht, Papa...
Frau Mühlingk. So laß dich herab, uns einen Grund zu nennen.
Lenore (vorwurfsvoll). Mama!
Frau Mühlingk (nervös). O bitte!
Lenore (aufstehend). Mein Gott, warum laßt Ihr mich mein Dasein nicht gestalten, wie meine Natur es von mir fordert. Ich bin ja bescheiden. – Ich bitte um nichts weiter, als mir selber leben zu dürfen.
Mühlingk. Das nennst du bescheiden?... Wo bliebe da die Heiligkeit der Familienbande?
Frau Mühlingk (zu Mühlingk). Siehst du's nun? Ich schließe seit langem kein Auge mehr.
Lenore. Um meinetwegen, Mama?
Frau Mühlingk. Diese Bizarrerien jeden Tag. – Diese Unschicklichkeiten! Was bedeutet das nun wieder, daß du die Gewächshäuser plündern läßt, um einem heimgekehrten Commis Blumensträuße zu schicken.
Lenore. Du meinst Robert?
Frau Mühlingk. Herrn Heinecke, den jüngeren, meine ich.
Lenore. Aber der ist doch kein Commis. – Er ist so gut wie ein Sohn unseres Hauses.
Curt. Danke!
Frau Mühlingk (milde). Das heißt, wir haben ihn aus dem Kote gezogen.
Die Vorigen. Wilhelm.
Mühlingk. Hä?
Wilhelm. Der junge Herr Heinecke aus dem Hinterhause läßt melden, daß er sich um 2 Uhr die Ehre geben wird. –
Lenore (macht eine unwillkürliche Bewegung und blickt nach der Uhr).
Mühlingk. Sieh da – wie ein großer Herr!... Es ist gut. –
Wilhelm. Mit Erlaubnis – er nannte noch einen anderen, der mitkommen wollte – Graf Trast – oder so
Mühlingk (aufspringend). Wie? Der Graf Trast! Trast und Compagnie, Curt. – Der Kaffeekönig! (Winkt dem Diener. Diener ab.)
Curt. Was so'n Commis für'n Glück hat.
Mühlingk. Oh, den müssen wir ja einladen, Amalie.
Frau Mühlingk. Gut, morgen mittag.
Lenore. Wie – und Robert Heinecke nicht?
Curt (beiseite). Immer besser.
Mühlingk. Hm! Eigentlich hast du recht. – Wenn man gelegentlich zu diesen Leuten herabsteigt, kettet man sie mit ihrem Gemütsleben an die Interessen der Firma. – So etwas bringt oft Tausende ein, Curt. – – Der junge Mensch hat sich unter Bennos Führung ganz hübsch eingearbeitet und da ich ihn auf fernere zehn Jahre nach den Antillen schicken will –
Lenore (entrüstet). So war es nicht gemeint, Papa.
Mühlingk. Schadet nichts.
Frau Mühlingk. Und du, Curt, paßt ein wenig auf, daß der junge Mensch keine Fauxpas begeht. Er kommt aus dem Hinterhause. So was färbt ab. –
Curt (aufstehend). Pardon. Ihr wünscht doch, daß ich auch meine Freunde einlade.
Mühlingk. Gewiß, auch deine Freunde. Junggesellen haben immer Zeit.
Curt. Ich möchte bitten, daß Ihr mir das erlaßt. Ich kann unmöglich junge Männer aus guter Familie mit dem Sohne des (weist nach hinten) Herrn Heinecke gesellschaftlich bekannt machen.
Lenore (leise zu ihm). Solltest du nicht eher den Bruder des Fräulein Heinecke im Auge haben?
Curt (erschrocken, sich dann sammelnd). Wie meinst du das?
Lenore. Sei zufrieden, daß ich dir die Antwort schenke.
Curt. Bitte!
Lenore. Soll ich?
Curt. Du drohst mir wohl?
Mühlingk. Liebe Kinder, in diesem Hause gibt es keine Szenen.
Frau Mühlingk. Wir wollen nichts gehört haben, Theodor. Ich ziehe mich nun zurück, Auch du ruhst wohl ein wenig?
Mühlingk (küßt sie zeremoniell auf die Stirn).
Curt (beiseite). Die gute, alte Zeit! (Laut.) Mahlzeit!
(Frau Mühlingk will nach dem Hintergrunde ab. Mühlingk klingelt.)
Lenore (hinter Frau Mühlingk hereilend). Mutter!
Frau Mühlingk (sich umwendend, mit nervöser Freundlichkeit). Es ist gut. Laß nur. (Ab.)
Wilhelm (tritt ein).
Mühlingk. Besuch wird nach meinem Arbeitskabinett gemeldet. (Ab.)
(Diener ab.)
Curt. Lenore.
Curt (will gleichfalls ab).
Lenore. Mir scheint, daß wir miteinander zu sprechen haben, Curt.
Curt. Wir?... Hä? Nein.
Lenore. Und du trägst kein Verlangen, mich zur Rechenschaft zu ziehn?
Curt. Dir scheint es nicht zu passen, daß ich mich ein wenig in der Welt umsehe... Weil du vier Jahre älter bist als ich und mich einmal gehn gelehrt hast, möchtest du mich noch immer am Gängelbande halten. Du – aber gehn kann ich nun... Es gibt sogar Damen, welche behaupten, ich ginge zu weit... Bitte, laß mir meine Façon, selig zu werden.
Lenore. Ich habe dir nie einen Vorwurf gemacht. Spiele den Lebemann, so viel du willst. Aber habe den Mut, es zu bekennen.
Curt. Würde mir schlecht bekommen!
Lenore. Du spielst den gehorsamen Haussohn, um dich hinterher über die Eltern lustig zu machen. – Glaube mir Curt, so richtest du deinen Charakter zugrunde.
Curt (belustigt). Ach?
Lenore. Und um eines fleh ich dich an: Dies Haus und seinen Bezirk – die halte heilig.
Curt. Da wären wir nun mit Gottes Hülfe.
Lenore. Weißt du, was man zischelt und raunt hinten in den Höfen und Werkstätten? Daß du die Schwester Robert Heineckes mit deinen Aufmerksamkeiten verfolgst – daß du –
Curt (achselzuckend). Ja, wenn du dir gestattest, den Klatsch der Hintertreppen herumzutragen!
Lenore. Curt – nicht diesen Ton! Ich habe dich heut vor den Eltern geschont. Das nächste Mal tu ich es nicht... Und vor allem eins: Robert ist zurückgekehrt... Wenn er seine Schwester schuldig fände... Sei still, ich fürchte es nicht... ich würde nicht wagen, es zu fürchten... Aber das Mädchen ist eitel und leichtsinnig... Wenn es so wäre... Und durch deine Schuld, Curt, nimm dich in acht!... Er würde dich zerschmettern.
Curt. Wer? Mein Commis? – Mit seinem Probenkoffer.
Lenore. Ah!... Und daß du dich dazu hergibst, diesen deinen Commis zu bestehlen, daran denkst du nicht?
Curt. Was sind das für Ausdrücke?... Bestehlen – um was denn?
Lenore. Um seine Stellung vor der Welt! Um seinen guten Namen?
Curt. Den Namen Heinecke. Pah!
Wilhelm (bringt zwei Visitenkarten, die er Lenoren überreicht).
Lenore. Besuch für dich!
Curt. Wer denn?
Lenore. Lies!
Curt. Lothar Brandt... Hugo Stengel... Ach, ich lasse bitten. (Wirft die Karte auf das Tischchen rechts. Diener ab.)
Lenore (wirft sich in den Schaukelstuhl).
Curt. Zeichen und Wunder. Du läufst ja heute nicht davon!
Die Vorigen, Hugo Stengel. Lothar Brandt.
Lothar. Morgen, lieber Junge!
Curt (ihnen entgegengehend). Ihr kommt meinen Rappen besehen. Das ist nett von Euch.
Hugo (mit einer Verbeugung gegen Lenoren). Wir nahmen uns die Freiheit.
Lothar (gleichfalls). Falls wir das gnädige Fräulein nicht stören.
Lenore (liebenswürdig). Durchaus nicht. – Ich gehe nur selten nach den Ställen. (Die beiden räuspern sich.)
Curt. Wollt Ihr also nicht Platz nehmen?
Lothar. Wir erwarten die Erlaubnis des gnädigen Fräuleins.
Lenore (kühl). Ich bitte! (Nimmt ein Buch und blättert darin. Curt wirft ihr einen Blick des Unwillens zu. Setzen sich.)
Curt. Nun, wo stecktet Ihr denn gestern?
Lothar (posierend). Gestern? – Was verlangst du für Leistungen von meinem Gedächtnis. – Ja, was war denn eigentlich gestern? Zuerst war ich im Tattersaal, dann hatte ich Konferenz mit Papa. – Der Kaffee sinkt wieder.
Hugo. Beängstigend. – – Dreiundfünfzigeinhalb. –
Lothar. Beängstigend, lieber Hugo, ist wohl nicht das richtige Wort. Er sinkt. Wir werden kämpfen. – Dann machte ich Besuche. Dann aß ich im Offiziersverein.
Lenore (aufblickend). Ah – Sie sind Offizier?
Lothar (beleidigt). Ich dächte, Sie wüßten das, mein gnädiges Fräulein. – Ich bin Lieutenant der Reserve im Kürassierregiment »Kronprinz«.
Lenore (lächelnd, mit einem Blick auf den Tisch). Ach ja – siehe Visitenkarte.
Curt (ihm auf die Schulter klopfend.) Sonst auch hoch zu Roß auf Herrn Papas Comptoirschemel!
Lothar (schneidend). Ich muß sehr bitten, mein Lieber!
Lenore. Herr Lieutenant, das ist nicht der schlechteste Renner für eine Jagd nach dem Glück.
Hugo. O wie fein! Wie fein!
Curt. Aber ich suchte Euch des Abends!
Lothar. Abends? – Da war man eben eingeladen. Wo? das ist mir nicht recht erinnerlich. Sprechen wir nicht darüber. Sie belieben zu lächeln, mein gnädiges Fräulein.
Lenore. Wie dürfte ich?
Lothar. Aber Sie in Ihrer stolzen Zurückgezogenheit haben keine Ahnung, was in unserem geliebten Deutsch das Wort »Saison« bedeutet.
Hugo. Es sind zwei Monate her, mein gnädiges Fräulein, daß ich zum letzten Male, was man so nennt, geschlafen habe.
Curt. Und das geschah auf einem Billard.
Lothar. Nun, das hat unser verehrter Curt scherzhaft gemeint. Aber wenn Sie wüßten, was es heißt, Märtyrer des Vergnügens zu sein – Sie würden uns verstehn.
Lenore. Ich bemühe mich so sehr, Sie zu verstehen, daß ich schon angefangen habe, Sie zu bedauern.
Hugo (leise zu Lothar). Mir scheint, das Mädel macht sich lustig.
Lothar (leise, arrogant). Ein jeder ist so kokett, wie er kann.
Curt (ist zu Lenore hinübergegangen, leise). Du brauchtest nicht so unliebenswürdig zu sein!
Lenore (sich schaukelnd). Hm? (Liest weiter.)
Lothar. Darf man fragen, was die Aufmerksamkeit des gnädigen Fräuleins so sehr in Anspruch nimmt?
Curt (für sich). Wenn er sie doch nur laufen ließe.
Lenore. Etwas, was die Märtyrer des Vergnügens kaum interessieren wird, denn es dreht sich nur um die Märtyrer – der Arbeit.
Lothar. So so!
Hugo (aufspringend). Wollten wir nicht den Rappen besehen?
Lothar. Ganz recht. – Geht Ihr nur vor. – Die Märtyrer der Arbeit interessieren mich mehr, als das gnädige Fräulein glaubt.
Curt (beiseite). Ach, der Unglückliche!
Hugo. Mein gnädiges – –
Curt (ihn hinausschiebend). Komm, Stengelchen, komm!
(Beide ab.)