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Zimmer in der Wohnung Heineckes. – Kleinbürgerliche, stark verschlissene Ausstattung, mit welcher etliche Prunkstücke: zwei seidene Sessel, anfangs in graue Überzüge gehüllt und ein großer, goldener Trumeau kontrastieren. – Brüchiger Hausrat auf Kommode und Wandbrettern. – Rechts (vom Publikum aus) ein Sofatisch mit Kaffeezeug darauf, links ein langer, roher Arbeitstisch mit Kleistertopf, Pappbogen und einem Stapel fertiger Kartons daneben. Ein Arbeitsschemel.
Frau Hebenstreit und Frau Heinecke.
Frau Heinecke (ist eifrig beschäftigt, die Stube zu säubern).
Frau Hebenstreit (durch die Tür rechts). Es is also wahr? – Ihr Sohn ist da? –
Frau Heinecke. Pst! Pst! – Um Jotteswillen! – Er schläft! –
Frau Hebenstreit. Dort in Alma'n ihre Kammer?
Frau Heinecke. Ja doch! – Ick weeß nicht mehr, wat ick dhu'. – Mir ist janz wirblig vor lauter Freuden. (Läßt sich in den Schemel fallen.)
Frau Hebenstreit. Weiß man's schon drüben ins Vorderhaus?
Frau Heinecke. Er hat sich anmelden müssen, weil es doch die Herrschaft ist, und heute wird er eine Fisite machen.
Frau Hebenstreit. Wie lange ist er eigentlich weg gewesen?
Frau Heinecke. Sieben – acht – neuneinhalb Jahr. – So lang hab ich mein Kind nicht gesehen. (Weint.)
Frau Hebenstreit. Und haben Sie ihn gleich wieder erkannt?
Frau Heinecke. I, wo werd ick denn! Jestern abend gegen Uhre achte... Heinecke ist übern Lokalanzeiger eingedruselt, und ick sitz nu da und näh für Alma'n 'nen Spitzensaum an'n Unterrock, denn wat das Mächen für Weißzeug braucht!... kurz – da kloppt's und ein Mann kommt rein – was sag ich, ein Herr, ein feiner Herr in einem teuren Biberpelz – da hängt er – fassen Sie mal den Biber an – ick denk, es is einer von Alma'n ihre vornehmen Bekanntschaften, dem jungen Herrn Curt seine Herren Freunde – –
Frau Hebenstreit (lauernd). So, so. – –
Frau Heinecke. – Denn die sind gar nich stolz und kommen sich nicht zu schad vor, mal bei uns arme Leute ins Hinterhaus vorzusprechen. – Also das denk ich mir, da hat er auch schon Rock und Hut an die Erde geworfen – einen pikfeinen Celinder einfach an die Erde – und is dicht vor mir uf die Knie gefallen. – Ick denke, mir rührt der Schlag, aber wie er nu ruft: Mutter, Vater, erkennt Ihr mich nich?... ick bin's, Robert, Euer Sohn Robert... ach, Frau Hebenstreit, es war zu schön. – Wie ich das überleben werd!... (Weint.)
Frau Hebenstreit. Ruhig Blut, Frau Nachbarin. Die Freud' wird sich schon legen. Jede Ratze hat'n Kopp und'n Schwanz, und der Ratzenschwanz ist mehrschtendeels voll Jift.
Frau Heinecke. Wie können Sie so wat sagen? Mein Sohn ist ein juter Sohn und ein nobler Sohn.
Frau Hebenstreit. Zu nobel, Frau Heinecken! Wenn einer in so ville Herren-Ländern gewesen ist und auf lauter Sammet und Seide gelegen hat –
Frau Heinecke (auf die Sessel weisend). Kann er auch bei uns, Frau Hebenstreit.
Frau Hebenstreit (mit einer Grimasse). Na, na. Ob er wird wollen!
Frau Heinecke. Wird wollen, Frau Hebenstreit! Was ein Mutterherz is, kennt kenen Rang und kenen Stand. – Und Jeses – ich steh hier! Und – wo mein Heinecke nur steckt? – Haben Sie Heinecken nicht gesehen? – Wenn der das Humpeln kriegt mit seinen lahmen Bein!
Frau Hebenstreit. Der stand vorhin mit 'nen riesengroßen Plakat bei drei Jrad Kälte in'n schönsten Morgensonnenschein, zum Trocknen, sagt er.
Frau Heinecke. Lassen Sie dem ollen Mann sein Vergnügen. Die halbe Nacht hat er an des Dings rumgekleistert. Haben ja doch nich schlafen können – alle beid'. Denn so'ne Freude –
Die Vorigen. Heinecke.
Heinecke (hinkend, mit steifem Arm, trägt ein sehr großes Plakat vor sich her). Hurra. – Nu is der Kitt –
Frau Heinecke. Biste stille!
Heinecke (gedämpft). »Willkommen, teurer Sohn, im Vaterhause.« Fein – was? –
Frau Hebenstreit. Die reene Schützenscheibe!
Heinecke. Und's brave Vaterherz ist Zentrum. – Sie olle –
Frau Heinecke. Zieh dir die Hälschenstrippe runter. Sie wissen ja, wie er is, Frau Nachbarin.
Heinecke (klettert mit Hammer und Nägeln auf einen Stuhl, um das Plakat an der Wand zu befestigen).
Frau Hebenstreit. Wo hat Ihr Sohn die Bildung und so das Feine eigentlich her? Aus dem seine Familie doch nich?
Frau Heinecke. Und aus meine erst recht nich. Aber das sind nun so an die 17 Jahre – da bekam der aus dem Vorderhause, was unser Brotherr war, die Kommerzienratstitelatur. – Und darum gab's 'ne große Festivität und Eklipagen und Illemination und dergleichen und Freibier fürs janze Fabrikpersonal. – Nu mag mein Mann wol'n bisken angedudelt gewesen sind – und warum auch nich? – Vater, kloppe nich! – wenn's nischt kost't? – kurz, wie die Eklipagen gerad' im Abfahren sind, gerät er unter die Räder und bricht Arm und Bein.
Heinecke (vom Stuhl her). Meinste mir? ja woll! Das war keine Kleinigkeit! (Pfeift.)
Frau Heinecke. Pfeife nicht. Das hören nu die Herrschaften uf den Balkon und lassen sich erkundigen nach Familienverhältnisse und so dergleichen, und weil's Herz voll war von den neuen Titel, war die Hand ooch offen, und sie versprachen, für uns zu sorgen und unsern Ältesten auf eigne Kosten erziehn zu lassen.
Frau Hebenstreit. Und das haben sie gehalten?
Heinecke. Ha, Bande! (Arbeitet weiter.)
Frau Heinecke. Wie man's nehmen will. Uns loschierten sie hier ins Hinterhaus ein, wo wir ja – Jott sei Dank – noch sitzen, und den Robert schickten sie in die Erziehungsanstalt, wo er sich das Pli und so die Bildung anlernen tat. Und wenn er in den Ferien zu Hause kam, wurde er nach das Vorderhaus geladen zu Schakelade und Schlagsahne und überhaupt als Spielkamerad von's kleine jnädge Fräulein, denn der junge Herr Curt sog damals noch an'n Jummiproppen.
Frau Hebenstreit. Der war wohl überhaupt mehr vor die Alma? –
Frau Heinecke (gedämpft). Was wollen Sie damit...?
Frau Hebenstreit. Ick meene man so.
Frau Heinecke. Und späterhin schickten sie ihn nach Hamburg in die Lehre – fürs ausländische Geschäft, wissen Sie – und als er 19 Jahre war, jing's auf die Reise gleich bis ins hinterste Indien rin, wo 'ne janz barbarische Hitze soll sind. Da hat der Kommerzienrat einen Brudersohn zu sitzen, der ist da, um Kaffee und Tee anzusammeln.
Heinecke. Das wächst da so rum, wie bei uns die Butterblumen – (Steigt herab.) – – Fein – was?
Frau Heinecke. Dem sollt er 'n bisken zur Hand jehn. Und Jesus – nu is er wieder da – und ick steh und –
Frau Hebenstreit. Ick geh schon! Adjes! Adjes! Und denken Sie ans Jift in'n Ratzenschwanz. (Beiseite.) Nette Package! (Ab.)
Heinecke. Frau Heinecke.
Heinecke. Selbst 'n oller Jiftpilz! –
Frau Heinecke. Der Neid, Vater, der Neid!
Heinecke. Deibel, wo hast du den Nappkuchen her?
Frau Heinecke. Die Köchin hat ihn gebracht mit 'n Jruß von's jnädige Fräulein.
Heinecke (sich abwendend). Was aus dem Vorderhause kommt, interessiert mich nicht. Der Herr Sohn könnten nu übrigens ausgeschlafen haben. In de Fabrik werden sie gleich zum zweiten Frühstück pfeifen. (Liebäugelt mit dem Plakat.) Willkommen, teurer – –
Frau Heinecke (ausbrechend). Vater, er ist da!
Heinecke. Wer?
Frau Heinecke. Der Junge.
Heinecke (zeigt auf das Plakat). Wissen wir schon!
Frau Heinecke. Pst! Es hat sich was gerührt – (Lauscht.) Wahrhaftig, er zieht sich schon die Stiebeln an! Wenn ich denke, dahinter steht er und zieht sich die Stiebeln an, und durch diese Düre wird er gleich rinkommen –
Heinecke. Dann sag ich nichts weiter als: Willkommen, teurer – hast du ihm ooch von Alma'n ihre feine französche Seife uf 'n Waschtisch gelegt?
Frau Heinecke. Und wie oft hab ick hier gesessen und gedacht: ob er auch sein jutes Bette hat? Und ob die Wilden ihm noch nicht ufgefressen haben. Und nu is er mit ein Mal da, Vater, und wir haben ihn, Vater, – Vater, laß die Rosinen stecken!
Heinecke. Sieh mal da. – Wenn es mir paßt! –
Frau Heinecke. Still!... Er kommt!... Die Strippe ist dir wieder vorgekrochen... Man muß sich ja schämen... (Streicht die Schoner der Sessel zurück.) Jeses, wie is mir angst...
Robert. Heinecke. Frau Heinecke.
Robert (den Eltern entgegenstürzend, die steif und verlegen dastehen). Guten Morgen, Vater... Guten Morgen, Mutter! (Umarmt die Mutter und küßt ihr wiederholt die Hand.) Ich bin – ganz – unmenschlich – glücklich!
Heinecke. »Willkommen, teurer« – (Da Robert sich auf seine Hand niederbeugt, wischt er sie rasch an den Beinkleidern ab.) Du willst mir ooch die Hand küssen?
Robert. Gewiß will ich das, wenn du sie mir gibst...
Heinecke (reicht sie ihm dar). Da sieht man, was ein juter Sohn is...
Robert (sich umschauend). Da wär man also!... Ich weiß noch gar nicht: Ist es denn möglich?... Am Ende träum ich wieder mal bloß. Das wär 'ne schlimme Geschichte!... Ach – und das Heimweh! – Herr des Himmels, das Heimweh!... Denkt Euch mal, da sitzt man zur Nachtzeit in einem Winkel, und alles, was man verlassen hat, steht lebendig um einen rum, Mutter, Vater – der Hof, der Garten, die Fabrik – und mit einem Male sieht man einen langen, langen Palmenwedel über sich schwanken oder aus der Ferne kreischt ein Papagei, und man kommt zu sich und weiß, man sitzt einsam am andern Ende der Welt... Brr!
Heinecke. Popejei?... Das muß doch sehr hübsch sind?... Das können bei uns bloß die reichen Leute haben.
Robert. Ja, und wenn Ihr wüßtet, was ich für Angst ausgestanden hab die letzten Jahre hindurch und noch jetzt auf der Heimreise, daß ich alles so finden würde, wie ich es mir in meiner Sehnsucht ausgemalt hab!
Heinecke. Warum denn nich? –
Robert. Da war einer – ah, sonst ein lieber Freund, mein liebster Freund, müßt Ihr wissen – der versuchte meine Erwartung herabzustimmen. – Du bist fremd geworden, hat er gesagt, und man soll nicht leimen wollen, was Zeit und Schicksal längst zerbrochen haben – und weiß Gott, was sonst noch. – Da hab ich wirklich beinahe angst bekommen vor ihm und Euch und mir auch... Na, Gott sei Dank, auch die Sorge ist von einem genommen. Alles und alles hat sich erfüllt. – Das ist wirklich und wahrhaftig, was ich mir zehn Jahre lang ausgemalt hab!... Da ist Vater – da ist Mutter – lieb und schlicht und – – (zärtlich) ein bißchen klapprig geworden – na ja!... (Sich reckend.) Aber wozu sind denn diese zwei jungen Arme auf der Welt? Paßt auf!... Die haben das Goldmachen gelernt... und die Schwestern werden auch bald da sein!... Sich – und hier steht Vaters alter Kleistertopf – ach je... (Streichelt den Topf.) Und mein Einsegnungszeugnis eingerahmt. – Und die Dampfmaschine daneben macht auch immer noch ihren lieben Skandal. –
Frau Heinecke. Hast wohl keen Ooge zugemacht von wegen die olle Maschine... die bumst ooch die ganze Nacht hindurch...
Robert. Ein schöneres Wiegenlied, Mutter, hat mich noch nie in den Schlaf gesungen. Ich war schon halb hinüber, da sagt' ich mir noch immer: Pfauche nur, stampfe nur, altes Tier. Immer fleißig. Aber wenn du dich noch so anstrengst, fleißiger als ich, der ich hier liege, kannst Du am Glanze des Hauses Mühlingk auch nicht schaffen. Denn hier ist ein Hebel, mit dem man rechnen muß. – Ist das nicht ein stolzer Gedanke?... Und da ist das Herz mir weit geworden für unsere Wohltäter.
Heinecke. Hm!
Robert. Du sagtest, Vater?
Heinecke. Ick? nischt!
Robert. Und ich hab mir zugeschworen, nicht zu erschlaffen in ihrem Dienste bis zu meinem letzten Atemzug.
Heinecke. Ick denke, du hättst nu gerade genug für die getan.
Frau Heinecke. Geschunden und abgerackert hast du dich zehn Jahre lang.
Robert. Es war nicht so schlimm, Mutter. Aber nun sprechen wir lieber nicht mehr in diesem Ton!... Das Mühlingksche Haus hat mir jeden Tag auf's neue Ursach zur Dankbarkeit gegeben. Die Briefe waren beinahe freundschaftlich zu nennen, die der Kommerzienrat und vor allem Curt, der ja jetzt Mitinhaber ist, an mich richteten.
Heinecke. Curt – Alabonheur, das is ein nobler Junge. Aber im übrigen wird's auch hier heißen: der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, wie der Berliner sagt... Lehr mich die Bande kennen!
Robert (verschluckt eine Erwiderung und wendet sich stirnrunzelnd hinweg).
Heinecke. Ja, Robertchen, sieh dich nur um! Siehste nischt? Er sieht nischt, Mutter! –
Frau Heinecke. Ach, laß deinen Schnak!
Heinecke. Meinen Schnak – so! Wenn ick den teuren Sohn im Vaterhause willkommen heiße, so is dir das Schnak? (Führt ihn zum Plakat.) He... Haste Worte?
Robert. Das hast du gemacht, Vater, du mit deinem lahmen Arm?
Heinecke. Pah! Ick mach noch janz andere Dinge! Wenn ick armer Krüppel nicht mal zujriffe, wäre die werte Familie schon längst verhungert... Wat stehste hier un gaffst, Mutter? Wo bleibt der Kaffee?
Frau Heinecke. Na, na! (Wendet sich zum Gehen.)
Robert (ihr nacheilend). Mutter, es war gewiß nicht schlimm gemeint.
Frau Heinecke. Schlimm? Er red't nur so, damit du denken sollst, er is der Herr im Haus! (Ab.)