Hermann Sudermann
Die Ehre
Hermann Sudermann

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Neunte Szene

Die Vorigen. Graf Trast. (Mann mit ergrauendem Kopf und langem blonden Barte, zwischen 40 und 50, mit lässig-fremdländischer Eleganz gekleidet.)

Robert (eilt ihm entgegen und drückt ihm die Hände).

Trast (leise). Was ist dir? – Hat das Heimatsfieber noch nicht nachgelassen? (Laut.) Also das sind die Langersehnten! (Schüttelt ihnen die Hände.) Wissen Sie, meine Verehrten, daß hier auch so eine Art von Sohn vor Ihnen steht? Die Freundschaft meines lieben alten Kameraden gibt mir beinah ein Recht auf diesen Namen.

Heinecke (drückt sich unter Kratzfüßen zur Tür hinaus).

Frau Heinecke. Möchten der Herr Graf nicht ein Stückschen Napfkuchen essen? – Es ist noch welcher da.

Trast. Danke, ich esse – ich esse.

Frau Heinecke (knixend ab).

Zehnte Szene

Trast. Robert.

Trast. Du bist blaß, mein Junge, und deine Hände zittern. Was ist dir geschehn?

Robert. Ach nichts. Das Glück – weißt du – die Erregung. Das ist doch natürlich!

Trast. Ganz natürlich. – (Beiseite.) Er lügt! (Laut.) Sag mal, wie lange gedenkst du hier zu bleiben? Ich will meinen Aufenthalt in dem braven Europa darnach regeln.

Robert. Unmöglich, lieber Freund! Unsere Wege trennen sich nun.

Trast. Ah Wetter!

Robert. Ich werde meinen Chef bitten, mich von nun an im Lande zu beschäftigen. Das indische Klima – du verstehst.

Trast. Da haben wir die Bescherung! Es hängt sich wohl sehr lieblich an Mutters Schürzenband?

Robert. Spotte nicht und frage auch nicht. Und da wir bald auseinandergehn – es muß ja einmal gesagt werden – hab Dank, du lieber, böser Mensch, für alle deine Wohltaten. Das war der gesegnetste Augenblick meines Lebens, als du mich im Club auf Buitenzorg fiebernd hinter meinem jungen Chef stehn sahst, der eine Hundert-Gulden-Note nach der andern auf den grünen Tisch warf.

Trast. Warum war ich so dumm, einen Narren an dir zu fressen, wenn du mich jetzt – pfui, das ist nicht fein.

Robert. Trast, tu mir nicht weh! Siehst du, dir verdank ich alles. – Als ich damals deinen Namen hörte, den Namen Trast und Compagnie, der allmächtig ist von Yokohama bis nach Aden, da war mir zumute, als stünd' ich vor dem Kaiser selber.

Trast. Ein Kaiser von Kaffeesacks Gnaden.

Robert. Das Mühlingksche Unternehmen in Batavia war eben drauf und dran, elendig zugrunde zu gehn. –

Trast. Wunder auch, da es den größten Taugenichts im Archipel zum Leiter hatte.

Robert. Vor mir standen Rückberufung und Entlassung. Da nahmst du den armen, landfremden Commis unter deine Fittiche, dein Name eröffnete mir Verbindungen in Fülle, an deinem Rat erwuchs ich zum Manne – während Herr Benno Mühlingk sein lustiges Leben weiterführte, glitt die Leitung der Geschäfte allgemach in meine Hände über –

Trast. Und das Ende vom Liede ist, daß das Haus Mühlingk samt seinem sauberen Vertreter durch uns um einige Hunderttausende reicher wurde. Schade! Hätt's dir selber gegönnt! Nun, ich werde deinem Ober-Chef die Augen über dich öffnen. Wenn er dich nicht mindestens zum Compagnon annimmt, so werde ich in meinem Zorne eine solche Kaffee-Hausse heraufbeschwören, daß die wackere Frucht der deutschen Eiche zu ungeahnten Ehren kommen soll. Aber ernsthaft gesprochen, warum kaprizierst du dich, im Dienste dieser Leute zu bleiben? Komm mit mir, mein Junge. Ich biete dir ein fürstliches Gehalt und jeden Weihnachten eine neue Hose.

Robert (lehnt kopfschüttelnd ab).

Trast. Die Dankbarkeit allein kann solchen Wahnwitz nicht zustande bringen. Oder sollte am Ende zum Inventar der Firma irgendeine deutsche Jungfrau gehören, die – (beiseite.) Aha! (Laut.) Da wir gerade von Jungfrauen reden! – Denke, was mir gestern abend passiert ist! Als wir uns getrennt hatten, schlenderte ich ziellos durch die Straßen. Ein Plakat von angenehmer Augenfälligkeit lud mich zum Maskenballe ein. Hundert Bajaderen werden ihre sinnberauschenden indischen Tänze aufführen, hieß es daselbst. Na, darin bin ich ja Fachmann. Also ich ging hin – Ach! – Alles das schien eigens dazu da, um angehende Mönche zur Ablegung ihrer Gelübde zu begeistern. Aber da kommt mir im Schwarm ein blutjunges Wesen entgegen, zart und flaumig wie ein halbreifer Pfirsich. Sie scheint gerade herrenlos. Ich attackiere sie. Sie, nicht blöde, bettelt mich mit süßer Kindesstimme um ein Spielzeug an, das an meiner Kette hing. Ein kleines, goldenes Götzenbild, darstellend meinen Schutzpatron Ganesa, den Gott des Erfolges, der, wie du weißt, auf einer Ratte reitet. Eine Ratte hatte die andere gewittert. Und als ich schwatzend neben ihr herging, du, was fand ich da? Unter dem Flaume kindlicher Unschuld was für eine naive Verdorbenheit! –

Robert (angstvoll). Also dergleichen ist möglich?

Trast. Du hörst es ja. Nun pflegt mein Herz stets in dem Takte zu schlagen, welchen die Sitte des Landes verlangt, dessen Gastfreundschaft ich genieße. Denn ich mache mich gern zum Sklaven des Milieus. Im Orient halte ich mir einen Harem, in Italien steige ich bei Mondschein über Gartenmauern, in Frankreich bezahle ich die Schneiderrechnung und – Gott! – in Deutschland weise ich den Rückweg zur Tugend. – Ganz folgerichtig. Im Orient liebt man mit den Sinnen, in Italien mit der Phantasie, in Frankreich mit dem Geldbeutel, in Deutschland aber mit dem Gewissen. Also ich beschloß, dies kindliche Laster zur büßenden Magdalena umzuwandeln. Noch hatte ich mit den Anfangsgründen nicht begonnen, denn der Champagner sollte eben erst aufgekorkt werden, da kommt ein Herr – zur Hälfte Dämon, zur Hälfte Hampelmann – auf mich zugestürzt und reklamiert sie für sich. – Ich ehrte die älteren Rechte und ging um eine gute Tat ärmer zu Bette. Aber ich gäbe viel darum, wenn mir der Zufall das süße Ding –

Robert (schlägt ächzend die Hände vors Gesicht).

Trast. Alle Wetter – was gibt's? – Pst –

Elfte Szene

Die Vorigen. Frau Heinecke.

Frau Heinecke. Robertchen!

Robert. Mutter?

Frau Heinecke. Hast du vielleicht 'nen Proppenzieher bei dir? (Zu Trast.) Meine Tochter Alma wird sich erlauben, mit 'nen Fläschchen Wein aufzuwarten. Es is kein ordinärer Wein, sondern das Feinste, was man hat.

Robert. Kommt wohl aus dem Vorderhause?

Frau Heinecke (stolz). Ja wohl!

Robert. Da! (Wirft sein Taschenmesser auf den Tisch.)

Frau Heinecke. Wie du aber auch bist!

Robert. Ja ja. Du hast recht. Verzeih! (Frau Heinecke ab.)

Zwölfte Szene

Trast. Robert.

Trast. Nun beichte, mein Junge! Vertrau dich mir an!

Robert. Ah – hätt' ich die Heimat niemals wiedergesehen!

Trast. Holla! Bläst der Wind aus dem Loche?

Robert. Ich schäme mich des Standes, in dem ich geboren bin. – Die Meinigen gelten mir nichts mehr. – Mein ganzes Wesen zieht sich zusammen in der Berührung mit ihnen... Ich traue meinem Gehirne nicht, denn ein verrückter Argwohn nach dem andern schießt mir durch den Kopf. – Trast, ich glaube beinah, ich achte den Schoß nicht mehr, der mich getragen hat.

Trast. Das ist kompletter Unsinn.

Robert. Wenn ich dir schildern wollte, was ich gelitten habe. Jedes ernsthafte Wort erschien mir wie ein Faustschlag, und jeder Scherz wie eine Ohrfeige. Es schien, als wüßte man nichts zu reden, als was mich verwundete... Ich glaubte, zur Heimat zurückzukehren und stehe einer fremden Welt gegenüber, in der ich kaum zu atmen wage. – Rate, was soll ich tun?

Trast. Deine Koffer packen.

Robert. Das wäre feige und herzlose Flucht. Hat das die um mich verdient, die mich gebar?

Trast. Weißt du – lassen wir das hohe Pathos. Die Sache liegt so einfach wie möglich – für uns, die wir das Kastenwesen an der Quelle studiert haben. – Dieselben Kasten gibt's auch hier, nicht durch Speisegesetze, durch Eheverbote und Regeln religiöser Etikette von einander geschieden. Das wären nur Kleinigkeiten. Was sie unüberbrückbar trennt, das sind die Klüfte des Empfindens. – Jede Kaste hat ihre eigene Ehre, ihr eigenes Feingefühl, ihre eigenen Ideale, ja selbst ihre eigene Sprache. – Unglücklich deshalb derjenige, der aus seiner Kaste herausgefallen ist und nicht den Mut besitzt, sich mit seinem Gewissen von ihr zu lösen. Ein derart Deklassierter bist du, und du weißt, ich war es auch. – Ja, was du heute fühlst, habe ich vor Jahren am eigenen Leibe durchgemacht. Oder wie glaubst du, daß mir, dem flotten, blutjungen Kavallerie-Offizier zumute war, als ich eines Morgens beim Erwachen mich besann, daß ich in der Nacht das Sümmchen von 90 000 Talern verspielt hatte, das binnen 24 Stunden bezahlt sein wollte? Was half's, daß ich nach Hause reiste, um mich meinem Vater zu Füßen zu werfen? Er hätte seine Haut verpfändet, um die Ehre meines, seines Namens zu retten, aber diese Haut war schon verpfändet. Und da er mir weiter nichts zu geben hatte, gab er mir wenigstens seinen Fluch.

Robert (vor sich hin brütend). Daß du den Mut hattest, weiterzuleben.

Trast. Haha! Weißt du denn nicht, wie das geschah?

Robert (zerstreut und von Unruhe gequält). Ich weiß nichts mehr – nichts – nichts –

Trast. So merk es dir. Es kann dir vielleicht nützen. Als meine Kameraden sich von mir verabschiedeten, erwiesen sie mir den letzten Liebesdienst, eine Pistole mit gespanntem Hahn schweigend neben mich auf den Tisch zu legen. Ich besah mir das Dings von allen Seiten. Daß ich als Ehrloser nicht eine Stunde länger leben könnte, war mir selbstverständlich. Da, als ich die Mündung gegen meine Schläfe drückte, kam mir plötzlich der Gedanke: Das ist brutal, das ist dumm. Was bist du weniger, als du vor drei Tagen warst? Vielleicht hast du die Rute verdient, da du als dummer Junge Summen versprachst, die du nicht besaßest, den Tod aber nicht. Es haben sich Jahrtausende lang Menschen der Sonne gefreut, ohne sie von dem Phantom der Ehre verdunkeln zu lassen, noch heute leben 999 Tausendstel der Menschheit auf dieselbe Art. Lebe wie sie, arbeite wie sie und freu dich der Sonne wie sie. – Als ich zwölf Jahre später – meine Schuld war selbstverständlich längst getilgt – nach Europa zurückkehrte, kam eine Art Versöhnung zwischen mir und meinem Vater zustande. Äußerlich nur. Hätte er mich als verlorenen Sohn auf seiner Schwelle liegend gefunden, er hätte mich mit seinen zitternden Händen aus dem Kot erhoben und an seine Brust gedrückt. Daß ich trotzig und frei den Kopf erhob, ja daß ich imstande war, ihm mit einer halben Million unter die Arme zu greifen, das verzieh er mir nie. Wenige Wochen später reiste ich ab. Der reiche Kaffeekrämer und der arme Standesherr hatten sich nichts mehr zu sagen. –

Robert. Und nun ist er tot.

Trast. Friede werd ihm in dem Himmel, an den er glaubte! Doch nun die Nutzanwendung: Laß den Deinen ihre Weltauffassung, du wirst sie nicht mehr ändern. Gib, wo es not tut, gib im Überfluß und im übrigen – komm mit.

Robert. Ich kann nicht. Höre weshalb. Ich hab es dir vorhin verschwiegen, denn ich – schämte mich. – Ich habe eine Lieblingsschwester. Sie war ein Kind als ich fortging. Oh, wie hab ich mich auf das Wiedersehn gefreut! – Und ich bin nicht enttäuscht, denn sie ist schöner und lieblicher aufgeblüht, als ich je hoffte. Aber meine Liebe zu ihr hat sich in Angst und Qual verwandelt. – Ich zittere vor tausend Gefahren, die ich nicht zu nennen wage. Denn was sie tut und mit sich tun läßt, – in aller Unschuld natürlich – widerspricht meinem Ehrgefühl auf Schritt und Tritt. Vorhin, als du von jenem unreifen Laster erzähltest, ein Schauder lief mir da kalt über den Leib, – denn – nein und tausendmal nein. Hier ist mein Platz, hier steh und fall ich!

Trast. Ich gebe zu, du hast Gründe, welche sich hören lassen. Aber du bist in überreizter Stimmung. Ich wette, du siehst zu schwarz.

Robert. Wollt es Gott! (Stützt den Kopf in beide Hände.)

Trast. Freilich, Humor müßtest du haben, dann ließe sich manches ertragen.

Dreizehnte Szene

Die Vorigen. Alma.

Alma (mit einem Teebrett, worauf Weinflasche und zwei Gläser, von links. Der Graf fährt zusammen, sie stößt einen Schrei aus. Das Teebrett droht ihr zu entfallen).

Trast (rasch gefaßt, eilt ihr zu Hülfe). Fast gäb' es Scherben, mein Fräulein. (Für sich.) Es gibt Scherben.

Robert (die Schwester umfassend). Sieh, lieber Trast, das ist sie. – Nicht wahr, sie ist ein Engel? So, jetzt geh zu ihm, gib ihm eine Patschhand und sag: Willkommen.

Alma (leise). Nicht ausplaudern – Sie.

Trast (beiseite). Unglücklicher. Wie schaff ich ihn fort?

Der Vorhang fällt.


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