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Robert. Heinecke. Später Frau Heinecke.
Robert und Heinecke (schweigen).
Robert (die peinliche Stimmung niederkämpfend). Die Schachteln klebst du auch noch, Vater?
Heinecke. Immerzu kleb ich se.
Robert. Und der Arm hindert dich nicht?
Heinecke. Der Arm, hahaha, der Arm! Willst du sehen, wie ich klebe? Zuerst die Pappe – so – dann die Falze – so! (Läßt mit großer Geschwindigkeit den Pinsel über ein paar Pappplatten gleiten, die er mit dem Ellbogen des linken Armes fest aneinanderstreicht.) Wer macht mir armen Krüppel das nach?
Robert. Du bist ein Tausendkünstler.
Heinecke. Bin ick ooch! Aber wer erkennt des an? Wer ästimiert mir? Keiner ästimiert mir! Natürlich, wo soll bei de Fräuleins – die eine ist ja nu Madam – die Achtung herkommen, wenn die eigne Mutter mit so schlechtem Beispiel vorangeht?
Robert (unwillig). Vater!
Heinecke. Ja du, du bist weit vom Schuß! Aus de Ferne sieht sich das allens wunder wie schön an! Da heißt es: teures Mütterlein und holdes Schwesterlein! – Aber sähest du nur zu, was ich alles aushalten muß! Nicht einmal das Pferdebahngeld gibt sie mir, wenn ich in die Stadt zu Biere will.
Robert. Vater, tust du ihr nicht Unrecht? Hegt sie dich nicht wie ihren Augapfel?
Heinecke. Jott, ick will ja nischt gegen sie gesagt haben, aber... pscht, sie kommt!
Frau Heinecke (mit der dampfenden Kaffeekanne). Nimm Platz, Robertchen! Ne, hier uf den Fotölch! – Wart ein biscken! (Reißt die Überzüge herunter.) So ein vornehmer Herr muß auf pure Seide sitzen.
Robert. Himmel, was für 'ne Pracht!
Frau Heinecke. Ja, und der andere is ebenso. Zwei Stück haben wir. Und hast du dir den Trimo schon angesehen? Lauter joldene Ranken und das Glas aus einem Stück. Aujustens Mann sagt, der kost't mindestens 200 Mark.
Robert. Wo habt ihr diese Herrlichkeiten her?
Frau Heinecke. Vom Herrn Kommerzienrat.
Robert. Der macht Euch solche Geschenke?
Heinecke. Na eigentlich –
Frau Heinecke (leise). Pscht! Weißt du nich, daß Herr Curt nicht genannt sein will? (Laut.) Ja, vorigen Weihnachten gab's den Trimo und diesen Weihnachten gab's die Fotölchs. Vater, bohr nicht so im Napfkuchen rum.
Robert. Aufrichtig! Diese Art der Freigebigkeit will mir nicht behagen.
Frau Heinecke (gießt Kaffee ein). Für manchen passen so feine Sachen auch nicht. Aber wenn so noble Besuche einen beehren und man einen so vornehmen Herrn zum Sohne hat und eine Tochter, die so furchtbar talentvoll ist – –
Robert. Alma?
Heinecke. Jawoll! Wir haben für unsere Tochter getan, was in unsern Kräften stand.
Frau Heinecke. Und du hast ja auch immer fleißig geschickt –
Robert. Damit sie eine gute Schule besuchen konnte und dann Putzmachen und Buchführung lernen, so war es ja bestimmt. –
Frau Heinecke. Gewiß. Früher!
Robert. Und jetzt? Hat sie ihre Stelle nicht mehr?
Frau Heinecke. Schon seit sechs Monaten nich.
Robert. Was treibt sie jetzt?
Heinecke (stolz). Sie bildet sich für den Jesang aus.
Robert. Ich habe nie erfahren, daß Alma musikalisch ist.
Heinecke. Ungeheuer!
(Man trinkt Kaffee.)
Frau Heinecke. Sie hat sich prüfen lassen bei eine italienische Sängerin – Sinjohre oder so – die sagt, so was wär noch jar nicht dagewesen und sie würde sich's zur Ehre rechnen, Alma'n umsonst auszubilden.
Robert. Aber sagt, wie habt Ihr mir das alles verschweigen können?
Frau Heinecke. Jott, bis nach den heißen Indien is es so weit, da vergißt sich dies und jenes. Und dann haben wir dich überraschen wollen.
Robert (steht auf und geht erregt auf und nieder). Auguste beschützt sie doch nach Kräften?
Frau Heinecke. Natürlich. Sie läßt keen Ooge von ihr ab. Alma ißt bei ihr und übt bei ihr und wenn es abends zu spät wird für die Pferdebahn, schläft sie ooch bei ihr – wie eben diese Nacht.
Robert. Und wenn sie abends fortbleibt, so beunruhigt Euch das nicht?
Heinecke. He, he! Großes Mächen!
Frau Heinecke. Da wir sie bei Aujusten so gut ufgehoben wissen! Sie könnten übrigens schon da sein, denn der Milchwagen hat in der Früh' den Brief an sie mitgenommen. Das wird ein Jubel sein!
Robert. Und Auguste lebt glücklich?
Frau Heinecke. Wie man's nehmen will. Er sauft ein bißken und arbeeten möcht' er wohl ooch nich, aber –
Heinecke. Aber mucken und Schkandal machen – des kann er.
Frau Heinecke. Im janzen scheint es ihnen doch recht jut zu jehn. Aujuste hat zwei Zimmer hochherrschaftlich ausmöbliert und an einen feinen Herrn aus Potsdam vermietet, der manchmal dort absteigt, aber bezahlt fürs volle Monat. Das bringt manchen schönen Groschen. Für den Morgenkaffee allein gibt er 'ne Mark. (Zum Fenster gehend.) Dort kommt sie an, und den Mann hat sie ooch mitgebracht.
Robert. Wie? Alma ist nicht mit ihr?
Auguste, Michalski (treten ein).
Auguste. Na, da bist du ja! (Sie küssen sich.) Dir is es wohl immer sehr jut jejangen? – Aber wat frag ick? – Wer so nobel in Kleidern daherjeht! – Freilich is auch nich allens Jold, wat jlänzt. – Dies ist mein Mann.
Robert. Lieber Schwager, geben Sie mir die Hand auf herzliche Verbrüderung.
Michalski. Viel Ehre. Passiert nicht häufig, daß eine schwielige Faust zu so viel Ehre kommt.
Robert. Schwager, das klang nicht brüderlich. (Zu Auguste.) Wo ist Alma?
Auguste. Unsere Prinzessin kamen sich nicht schön genug vor für den fremden Bruder. – Mußten sich erscht die Stirnlocken brennen lassen.
Robert (steht betroffen).
Auguste. Wird wohl mit die nächste Pferdebahne nachkommen. Wo habt Ihr den Nappkuchen her? (Frau Heinecke reicht herum, Auguste und Michalski essen.)
Frau Heinecke. Iß auch noch ein Stückschen, Robertchen.
(Robert lehnt ab; alle anderen essen. Pause.)
Heinecke. Wat sagst de dazu, Michalski? »Willkommen, teurer Sohn im« –
Michalski (essend). Faxerei!
Robert (verwundert). Schwager!
Heinecke. Wie? Wat ick mit diesen braven Herzen und mit diesen lahmen Arm –
Robert (beruhigt ihn).
Michalski. Ick bin ein schlichter Mann und sag meine Meinung frei raus. Ick liebe die Kinkerlitzchen und das Getue nich. Denn wer so schwer arbeeten muß wie unsereins, wem der Hunger und die Peitsche ejal im Nacken sitzen –
Heinecke. Besonders, wenn man um elf Uhr vormittags spazieren jeht und Nappkuchen dazu ißt.
Auguste. Seid Ihr beede schon wieder aneinander? (Zu Michalski.) Könntest endlich Ruhe halten. Siehst doch, daß er in die Kinderjahre kommt.
Heinecke. Ick in die – sehr jut. – Da siehst du nun: so werd ich behandelt von meine eigene Kinder.
Robert (leise zu Auguste). Verzeih, Schwester. – Ich hab es nie für möglich gehalten, daß sich dergleichen sagen läßt.
Auguste. Wat denn?
(Es klopft, ein Diener in Livree mit einem Blumenstrauß.)
Die Vorigen. Wilhelm.
Alle (außer Robert). Der Wilhelm! Guten Tag, Wilhelm! (Die beiden Männer schütteln ihm die Hand.)
Frau Heinecke. Vor wem ist der scheene Strauß? Der jeht sicherlich in die Stadt.
Wilhelm. Nein, der kommt zu Ihnen. Sind Sie der junge Heinecke? (Robert bejaht. Kordial) Das freut mich ungemein, daß wir uns kennenlernen. (Will ihm die Hand drücken.)
Robert (lächelnd). Sehr liebenswürdig.
Wilhelm. Die gnädigen Herrschaften lassen Ihnen ein freundliches Willkommen sagen und schicken Ihnen diese Blumen. Es ist das Rarste, was das Treibhaus hat. Aber im Vertrauen – die Blumen gab mir eigentlich das gnädige Fräulein und das gnädige Fräulein hat sich überhaupt sehr scharf nach Ihnen –
Robert (seine Bewegung verbergend). Sind Sie beauftragt, mir dieses zu eröffnen?
Wilhelm. Ne, das nicht.
Robert. So behalten Sie's für sich. (Diener wendet sich zur Tür.)
Frau Heinecke. Möchten Sie nich ein Stücksken Nappkuchen mit uns essen, Wilhelm? Es ist noch welcher da.
Robert. Verzeih, Mutter! (Gibt ihm ein Geldstück.) Der Mann hat seine Belohnung. – Bestellen Sie dem Herrn Kommerzienrat, daß ich um zwei Uhr zusammen mit dem Grafen von Trast-Saarberg um die Ehre des Empfangs bitten werde. – Sie können gehn. (Wilhelm ab.)
Frau Heinecke. Ein Jraf? – Was für ein Jraf?
Robert. Ein Freund von mir, Mutter, dem ich vielen Dank schuldig bin.
Auguste (leise zu Michalski). Hörst du, er will einen Jrafen zum Freunde haben.
Michalski (leise). Er denkt wohl, uns damit zu imponieren?
Frau Heinecke. Wart, ich werd den Strauß in Wasser stellen! – Den Wilhelm hättst du aber nich so schlecht behandeln sollen, Robertchen. – Des is ein Freund von uns.
Auguste. Wir jemeinen Leute können keene Jrafens zu Freunde haben. –
Michalski. Wir müssen uns an die Levkaien halten.
Frau Heinecke. Ja, mit dem Wilhelm mußt du dich auch gut stellen. Uns zu Gefallen, Robertchen. – Denn wir haben viel Jutes von ihm. Wie manches Stücksken Braten, wie manche Flasche Wein hat er uns schon zugesteckt.
Robert. Und das nahmst du an, Mutter?
Frau Heinecke. Warum nich? – Wir sind arme Leute, mein Kind. – Wir müssen froh sein, wenn wir was kriegen.
Robert. Mutter! Ich will meine Kräfte verdoppeln. Ich will Euch überlassen, was ich mir vom Munde nur absparen kann. Aber nicht wahr, das versprichst du mir – von jenem Bedienten nimmst du nichts mehr an?
Frau Heinecke. Das wäre ja Hochmut und Verschwendung! Eine jute Jabe soll kein Mensch nich zurückweisen. Und mit dir hat er es auch nur jut gemeint, als er dir die Geschichte von's gnädige Fräulein erzählte. Mit die hat es überhaupt 'ne eigentümliche Bewandtnis. Wenn ick ihr uf den Hof begegnet bin, ist kein Mal vergangen, daß sie mich nicht ausgefragt hat, ob Nachrichten von dir da wären, wie dir die heiße Witterung bekäme und so. Und dabei hat sie immer so freundliche Augen gemacht. – Wenn du klug wärst, Robertchen – –
Robert. Um Gotteswillen, Mutter, hör auf!
Heinecke. Das könnt' uns schmecken – zwei Milliönchens.
Michalski. Ob du mir dann was pumpen wirst, Schwager?
Robert (für sich). Wie lange will man mich noch quälen?