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Ein Nachwort als Vorwort zu den neuen Auflagen meiner Schrift: Der alte und der neue Glaube.

Das Büchlein, das ein Vierteljahr nach seinem ersten Erscheinen sich anschickt, zum viertenmal in die Welt auszugehen, habe ich Anfangs und bis jetzt ohne Vorwort gelassen. Es mag für sich selbst sprechen, dachte ich; und in der That ließ es auch über seinen Anlaß und Zweck kaum einen Zweifel übrig. Nun aber ist demselben von vielen Seiten widersprochen worden, und zwar so stark und zum Theil so derb, daß man eine Gegenrede des Verfassers erwarten wird. Es wäre Stoff zu einer ganzen Reihe von Streitschriften vorhanden, die sich auf den verschiedensten Gebieten, der Philosophie und Theologie, der Natur- und Staatswissenschaft zu bewegen hätten. Doch nicht allein das Weitaussehende solchen Unternehmens mahnt zur Beschränkung, sondern auch die Natur dessen, was allein ich zu vertreten habe. Dieß ist ein Bekenntniß, das keinem andern seine Stelle streitig machen, nur sich die seinige wahren will. Indeß, so bündig ich auch fassen möchte was ich zu sagen gedenke: als Beigabe zu meiner mit Absicht leichtgeschürzten Schrift würde es diese beschweren; darum lasse ich es für sich ausgehen, zumal es nicht blos als Vorwort zu der neuen, sondern zugleich als Nachwort für die Leser der früheren Ausgaben dienen soll.

Einem Klopstock gegenüber wollte bekanntlich Lessing weniger erhoben, und fleißiger gelesen sein. Ja auch dagegen, wissen wir, hatte er unter Umständen nichts, wenn aus dem weniger erhoben ein tüchtiges Gescholtenwerden wurde. In diesem Sinne könnte ich mit der Aufnahme, die mein Glaubensbekenntniß gefunden, nicht übel zufrieden sein. Schlag' zu, aber höre! rief der Athenische Feldherr und Staatsmann dem Gegner zu. Freilich, wer nicht ungehört verurtheilt worden, hat um so weniger Entschuldigung. Ich hätte keine, wenn mich alle die verurtheilten, die mich gelesen haben. Das habe ich aber guten Grund zu bezweifeln. Gegen die Tausende meiner Leser sind die paar Dutzende meiner öffentlichen Tadler eine verschwindende Minderheit, und sie werden schwerlich beweisen können, daß sie durchaus die treuen Dolmetscher der ersteren sind. Wenn in einer Sache wie diese meistens die Nichteinverstandenen das laute Wort genommen, die Einverstandenen sich mit stiller Zustimmung begnügt haben, so liegt das in der Natur der Verhältnisse, die wir ja alle kennen. Die Frage, wo denn meine Wir bleiben, mag gut sein, mich zu schrauben; doch wissen die Frager so gut als ich, wie es sich in der That damit verhält. Eine Maßregel zu meinen Gunsten habe ich allerdings auch dießmal wieder außer Acht gelassen; und von Seiten eines so alten literarischen Kriegsmanns kann man eine solche Versäumniß unverzeihlich finden. Da war der Apostel Paulus (wenigstens wie ihn die Apostelgeschichte schildert) ein anderer Stratege. Als er vor dem hohen Rath in Jerusalem stand, sah er nicht sobald die sonst feindlichen Brüder, Pharisäer und Sadducäer, ihm verbündet gegenüberstehen, als er durch die Wendung, die Lehre von der Auferstehung der Todten sei es, die man ihm zum Verbrechen mache, die bedrohliche Coalition zu trennen und die Pharisäer auf seine Seite zu bringen wußte. Wer, in Nachahmung des klugen Heidenapostels, heute vor der theologischen Welt ausruft: die Leugnung der Gottheit Christi ist es, um deren willen mich jene verdammen, da ich doch den Menschen Jesus als Erlöser und ewiges Haupt der Gemeinde anzuerkennen keinen Augenblick Bedenken trage – der hat sich gegen die Anfechtung von Seiten der Altgläubigen in der Partei des Protestantenvereins einen breiten Rückhalt gesichert. Ebenso, wer in der Erklärung der Welt bis zum Menschen herauf die Rechte der Naturwissenschaft ohne Scheu vor dem Vorwurfe des Materialismus vertritt, den kostet es, wenn er doch für gewisse Dinge und Richtungen nicht sprechen will, sogar nur die Ueberwindung, auch nicht gegen sie zu sprechen, so wird er nahezu alle Demokraten und Socialisten auf seiner Seite haben. Was aber soll man von dem Verstand eines Menschen urtheilen, der es jedesmal wissentlich mit beiden Parteien verdirbt, sich dem Kreuzfeuer der Orthodoxen und der Fortschrittstheologen, der Conservativen und der Socialdemokraten aussetzt? Nun, von seinem Verstande mag man denken wie man will; aber seine Redlichkeit wird man gelten lassen müssen. Mein Buch, sagt der Verfasser einer Anzeige in der Weserzeitung, führe sich als Kriegserklärung gegen den Protestantenverein und die Altkatholiken ein. Das ist zwar so unrichtig wie möglich und ich komme darauf zurück; aber natürlich ist es, wenn das Buch einmal so aufgefaßt wurde, daß es dann von den Gesinnungsgenossen des Protestantenvereins, die in der Deutschen allgemeinen und in der Weserzeitung dem altkatholischen Professor, der in der Augsburger allgemeinen das Wort darüber nahm, der Protestantischen Kirchenzeitung zu geschweigen, eine ebenso ungünstige Beurtheilung erfuhr wie von der Kreuzzeitung und den Kirchenzeitungen der Orthodoxen. Billiger waren in dieser Hinsicht einige socialdemokratische Blätter, indem sie durch ihre Entrüstung über meine politischen Grundsätze sich von der Anerkennung des kritischen und philosophischen Theils meiner Schrift nicht abhalten ließen. Wenn die Schriftsteller und Publicisten der letztern Richtung in ihrer Polemik sich einer Sprache zu bedienen pflegen, die sich an das, was man sonst als guten Ton, als gesellige Pflicht gegen den Widersacher betrachtet, nicht kehrt, so liegt hierin wenigstens gegen die grundsatzmäßige Stellung dieser Partei kein Widerspruch. Und auf der andern Seite bei den Klerikalen sind wir gegen eine ähnliche Sprache nicht nur durch die Gewohnheit längst abgestumpft, sondern wir begreifen auch, daß Artigkeit und Achtung gegen einen solchen, den man als ewig Verdammten betrachtet, sogar als Heuchelei erscheinen kann. Dagegen pflegen sich sonst die gebildeten Mittelparteien auch bei Streitverhandlungen eines gesellig anständigen Tons zu rühmen. Haben ihn dießmal auch sie gegen mich großentheils außer Acht gelassen, so muß das seine besondern Gründe haben.

Vergleiche ich den Ton, aus dem die Mehrzahl der Beurtheilungen meines neuesten Buches geht, mit dem Ton, der während der letztvorhergegangenen Jahre im Verhältniß zu mir in der deutschen Literatur üblich geworden war, so wäre es kein Wunder, wenn ich über die hierin so plötzlich eingetretene Wandlung eine tiefe Kränkung empfände. Nachdem das Getöse früherer Kämpfe verklungen war, hatte man sich allmählig gewöhnt, mir mit einiger Achtung zu begegnen; man erwies mir von verschiedenen Seiten sogar die ungesuchte Ehre, mich als eine Art von classischem Prosaschreiber gelten zu lassen. Solche Achtung scheine ich nun durch meine letzte Schrift auf einmal verwirkt zu haben; die Journalisten glauben mit mir von oben herunter, wie mit einem Anfänger, ja wie mit einem verkommenen Subject sprechen zu dürfen. Das Gute ist nur, daß mir dieser neue Ton in der That nichts weniger als neu ist. Es ist vielmehr der älteste, der mir bei meinem Eintritt in die literarische Laufbahn mit dem Leben Jesu entgegengekommen war. Denselben jetzt, ihrem Ziele nahe, wieder zu vernehmen, ist mir wenigstens ein Zeichen, daß ich (was nicht alle betagten Schriftsteller von sich rühmen können) derselbe, und daß ich in der Bahn meines Berufes geblieben bin.

Es wäre Affectation, wenn ich leugnen wollte, daß mir der Beifall, den meine Schriften über Ulrich von Hutten und Voltaire in den weitesten Kreisen fanden, die warme Zustimmung, die meinen Briefen an Ernst Renan aus allen Gauen des deutschen Vaterlands entgegenkam, innig wohlgethan, daß es mir eine tiefe Befriedigung gewährt hat, für meine alten Tage noch mit der Mehrheit meiner Zeit- und Volksgenossen in das harmonische Verhältniß zu kommen, das am Ende doch das Ziel jedes besseren schriftstellerischen Bemühens ist. Dennoch – man mag es mir glauben oder nicht, übrigens bezeugt es ja der Erfolg – trug ich immer den Merck in mir, der mir zurief: »solchen Quark mußt du nicht mehr machen, das können die andern auch.« Es fällt mir nicht ein, von jenen Schriften, die mir so viele und werthe Sympathien eingetragen, gering zu denken; es wäre auch Undank gegen meinen Genius, wollte ich mich nicht freuen, daß mir neben der Gabe der schonungslos zersetzenden Kritik zugleich die harmlose Freude am künstlerischen Gestalten verliehen ward: aber mein eigenthümlicher Beruf liegt auf dem letztern Gebiet nicht, und wenn ich durch die Rückkehr auf das andere jene Sympathien wieder verscherzt haben sollte, so müßte ich das auf mich nehmen im Bewußtsein, nur gethan zu haben was meines Amtes war. Es ist freilich ein mißliebiges, undankbares Amt, der Welt gerade das zu sagen, was sie am wenigsten hören mag. Sie wirtschaftet gern aus dem Vollen, wie große Herren, nimmt ein und gibt aus, so lange sie etwas auszugeben hat; aber wenn nun einer die Posten zusammenrechnet und ihr sorglich die Bilanz vorlegt, so betrachtet sie den als einen Störenfried. Und eben dazu hat mich von jeher meine Gemüths- und Geistesart getrieben. Vor vierzig Jahren, ehe mein Leben Jesu erschien, dämmerte längst in denkenden Theologen die Einsicht, so übernatürlich wie die Evangelien erzählen und die Kirche bis dahin geglaubt hatte, könne es mit Jesus unmöglich zugegangen sein; aber auch so unnatürlich-natürlich nicht wie die rationalistischen Schriftausleger die Sache wendeten; daneben waren Zweifel an dem apostolischen Ursprung der Evangelien, dem durchaus historischen Charakter ihrer Berichte, da und dort aufgekommen. Und doch, wie ich nun diese Gedankenstücke zusammenzog, wie ich auseinandersetzte: die evangelischen Berichte sind keine apostolischen, keine historischen; die Wunder, die sie erzählen, gehören nur der Sage, nicht der Geschichte an: in der Wirklichkeit wird auch mit Jesus sich alles natürlich zugetragen haben, nur daß wir im Einzelnen nicht mehr wissen wie – als ich das in meinem Leben Jesu zusammenhängend und folgerichtig durchführte, da entsetzte sich Alt und Jung, und des Verfassers Name ward Mehr als ein Menschenalter war hingegangen; die Ergebnisse jener Schrift, vielfach näher bestimmt, doch in der Hauptsache nur bestätigt durch die Forschungen Anderer, hatten nicht nur die theologische Wissenschaft, sondern auch die Ueberzeugungen der Gebildeten überhaupt durchdrungen; man fing an, mich mit meinem Unglauben in Ruhe zu lassen, wie ich die Welt und ihren von selbst sich zersetzenden Glauben in Ruhe ließ, die sich überdieß an den Früchten meiner in solcher Friedenszeit erwachten Darstellungs- und Erzählungslust erfreute: da brachte mich die weitere Entwickelung der Wissenschaften von Neuem in die Lage, durch Zusammenziehen einzeln vorliegender Gedankenreihen einen Anstoß zum Fortschritt, aber auch zum Aergerniß zu geben. Dießmal handelte es sich nicht mehr um lediglich theologische Fragen, sondern um Combinirung der auf diesem Gebiet erreichten Ergebnisse mit den Errungenschaften vornehmlich der Naturwissenschaft. Auf der einen Seite hatte man einen Christus, der nicht mehr Gottes Sohn, sondern im vollen Sinne Mensch sein, dabei aber doch fort und fort in der für den Gottmenschen eingerichteten Kirche verehrt werden sollte; auf der andern sah man sich immer vollständiger ausgerüstet, das Zustandekommen der natürlichen Welt in ihrer Mannigfaltigkeit und ihrer Stufenfolge bis zum Menschen hinauf ohne Zuhülfenahme eines Schöpfers, ohne Zwischeneintritt des Wunders zu erklären. Manche Forscher wie Liebhaber eigneten sich diese naturwissenschaftlichen Ergebnisse an, ohne über die Consequenzen nachzudenken, die sie für die Religion und Theologie haben mußten; während auf der Gegenseite moderngläubige Theologen wie Laien auf die steigenden Fluthen des naturwissenschaftlichen Forschens und Entdeckens ruhig hinausblickten, ohne davon für ihren kirchlichen Boden etwas zu besorgen. Hier galt es abermals, das getrennt Vorliegende zusammenzudenken, und das war eine Aufgabe, deren Lockung ich so wenig wie in dem frühern Falle widerstehen konnte. Wenn uns mit jedem Tage die Aussicht wächst, die Bedingungen nachzuweisen, unter denen sich das Leben aus dem Leblosen, das Bewußtsein aus dem Bewußtlosen nach natürlichen Gesetzen entwickelt hat; wenn uns außerdem alles immer mehr darauf hinweist, die Welt im Ganzen, das Sein, als ein ursprünglich Gegebenes, über das wir im Denken nicht hinaus können, aufzufassen: wo bleibt der persönliche Schöpfer, der erst die Welt, dann jene einzelnen Lebensstufen in ihr wunderbar in's Dasein gerufen haben soll? Und wo bleibt, solcher Ansicht von der stetig-natürlichen Entwicklung aller Dinge gegenüber, die Kirche, deren ganzes Glaubenssystem auf einen wunderbaren Anfang, einen gewaltsamen Abbruch, und eine abermals wunderbare Wiederanknüpfung der Welt- und Menschheitsentwicklung angelegt ist?

An der Aufgabe, die hiemit vorlag, ist vermuthlich Mancher, der sie wohl bemerkte, vielleicht auch für sich wohl zu lösen verstand, still vorbeigeschlichen, und hat daran wenigstens klug gethan. Man soll den schlafenden Löwen nicht wecken, wenn man nicht entschlossen ist, den Kampf auf Leben und Tod mit ihm aufzunehmen. Zwar die Menschheit hat sich civilisirt. Nicht blos den Umlauf der Erde um die Sonne darf man heut zu Tage behaupten ohne Gefängniß und Folter, sondern auch die Gottheit Christi leugnen, ohne den Scheiterhaufen zu riskiren. Aber ganz nahe läuft doch hier die Grenze. Verbrannt wird nicht mehr, wer in Jesus einen bloßen Menschen, in Gott keine Persönlichkeit mehr erkennt, für sich auf kein anderes Leben hofft, und in diesen sich keiner christlichen Gemeinschaft irgend eines Bekenntnisses mehr anschließen will: aber darum angesehen wird er, und wenn er seine Ansicht mit ihren Gründen dem Publikum vorträgt, so hat er sich in Verruf gebracht. Er hat sich über die conventionelle Vorstellungs- und Lebensweise der Mehrheit hinweggesetzt, gegen den guten Ton verstoßen, und muß darauf gefaßt sein, daß man auch gegen ihn den guten Ton außer Acht läßt. Als Schriftsteller ist er fortan vogelfrei; auf das, was sonst im literarischen Streite gleichsam als Völkerrecht gilt, darf er sich keine Rechnung mehr machen. Das habe ich zu empfinden bekommen nach meinem Leben Jesu; das bekomme ich auch jetzt wieder zu empfinden.

Freilich steht man daran wieder recht, wie vieles in der Bildung unserer Zeit noch leere Redensart ist. Was hat man diese Jahre her öfter und mit mehr Pathos wiederholen gehört, als daß es fortan nicht mehr darauf ankommen dürfe, was einer glaube, sondern wie er handle, beim Schriftsteller also nicht darauf, was er die Menschen glauben, sondern wie er sie handeln lehre? Gut; nun kommt einer und macht Ernst damit, daß es auf den Glauben nicht mehr ankomme, er beseitigt jene von ihm als morsch befundenen Glaubensstützen, schenkt aber darum den Menschen in Betreff des sittlichen Handelns nichts, sondern weist sie, nur mit etwas minder eigennützigen Beweggründen, ungefähr zu denselben Tugenden an, die sie auch vorher heilig hielten. Der müßte also nach jener Rede ungekränkt bleiben, nach- wie vorher geachtet werden. Ja, wenn es mehr als Redensart gewesen wäre! Auf offener Heerstraße der Literatur darf ihn beschimpfen wer Lust hat. Den Herren von der literarischen Kritik übrigens verdenke ich es am wenigsten. Gewohnt und genöthigt, vom Tag auf den Tag, von der Hand in den Mund zu leben, sind sie in der Regel mehr um ein schlagendes Urtheil über das Einzelne, als um das Ganze einer in sich zusammenstimmenden Weltanschauung bemüht; in ihrer Vorstellungsweise verträgt sich Altes und Neues, Glaube und Aufklärung, oft zum Verwundern miteinander; in Folge ihrer Vielgeschäftigkeit sieht es mitunter in ihrem Kopfe nicht aufgeräumter als in ihrer Stube aus. Zudem fühlen sie sich das ganze Jahr hindurch so eingeengt durch Rücksichten jeder Art, auf verehrte Meister, auf mächtige Coterien, auf herrschende Vorurtheile u. s. f., daß es für sie eine ordentliche Erholung sein muß, wenn ihnen einmal ein Schriftsteller in die Hand fällt, mit dem sie keinerlei Umstände zu machen brauchen, den sie, des Einverständnisses der Masse ihrer Leser gewiß, nach Herzenslust schlecht behandeln dürfen. Wie gesagt, verdenken kann ich das den Herren nicht; wenn ich es auch weder tapfer noch edel finden kann, über einen herzufallen, weil man weiß, die Andern werden ihn stecken lassen.

In diesem Sinne hat sich denn eine Anzahl von Beurtheilern mir gegenüber dießmal wieder nach Herzenslust gütlich gethan. Der Streit mit mir setzt sie in die heiterste Stimmung, weil er unter den obwaltenden Umständen so leicht zu führen ist. Man braucht es mit den Stößen nicht genau zu nehmen, wo günstige Galerien die Kampfrichter sind. Mache ich z. B. an der Lehre Jesu unter Anderem die Ausstellung, daß sie den Erwerbsbetrieb, statt ihn durch Unterordnung unter höhere Zwecke zu veredeln, von vorne herein verwerfe, für seine Wirksamkeit zur Förderung von Bildung und Humanität kein Verständniß zeige, so braucht man ja nur mit Herrn Dove zu sagen, ich »verlange von dem Religionsstifter pecuniäre Rathschläge«, oder noch witziger von »Jesu hoffnungsloser Unfähigkeit zum Börsengeschäft« zu reden, und man hat mich unter lautem Jubel der höheren Räume widerlegt. Ein anderer Fall. Wer den einfachen Worten über Lessing in meiner Nummer 90 nicht anfühlt, daß sie warm aus dem Herzen kommen, der muß, das darf ich wohl sagen, ein Stumpfsinniger sein. Das ist Herr Dove nicht; und doch hat er die Stirne, weil er sich einmal auf meine Kosten in guten Humor gesetzt hat, von meinen »Reverenzen vor Lessing« zu reden. Und nicht blos der hoffnungsvolle junge Mann, der das Steuer der Zeitschrift »Im neuen Reich« so munter handhabt, auch der gesetzte altkatholische Professor der Philosophie in der Allgemeinen Zeitung fällt mir gegenüber in denselben Ton. Wenn ich zur Abschreckung von gewissen Verbrechen die Aufrechthaltung der Todesstrafe verlange, so versichert er leichthin, damit könnte man ebensogut die Barbarei der qualificirten Todesstrafen begründen, die ja noch abschreckender wirken würden. Ich bin überzeugt, Herr Huber weiß für sich ganz wohl, daß dieß nicht folgt, daß über den Tod als ultima linea rerum hinaus zur Abschreckung weiter nichts erfordert wird, am wenigsten etwas, das durch Abstumpfung des menschlichen Gefühls auf der andern Seite wieder ebensoviel verderben würde, als die einfache Todesstrafe gut macht – das, sage ich, weiß Herr Huber sicherlich für sich ganz wohl, nur dem geächteten Widersacher gegenüber hält er dergleichen Folgerungen für gut genug. Täuscht mich mein Gedächtniß nicht, so ist es der Recensent im Hamburgischen Correspondenten, der von meinem Buche geringschätzig sagt, es lasse sich bequem nach Tische zu Kaffee und Cigarre lesen. Nun ausgedacht ist es in solcher Situation nicht, und ob sie die rechte ist es zu verstehen, lasse ich dahingestellt; die Auslassungen der Herren darüber sind aber allerdings größtentheils von einer Beschaffenheit, als wären sie in jener Situation zu Stande gekommen. Nicht ganz so leicht scheint der englische Premier mein Buch genommen zu haben, da er es dieser Tage in einer zu Liverpool gehaltenen Rede ausführlich zu bestreiten der Mühe werth fand. Hr. Gladstone hat meine Ansichten nicht durchaus richtig gefaßt und in einer Weise bekämpft, die selbst manche meiner deutschen Kritiker schwach finden werden; aber wie der ernste gesinnungstüchtige Staatsmann den ähnlichen Sinn auch an einem Schriftsteller herausfühlt, dessen Wirken er für verderblich hält, wie der echte Gentleman von einem Manne spricht, dem er zugestehen muß, daß er ein langes Leben der Erforschung der Wahrheit geweiht, und dem Bekenntniß dessen, was ihm als Wahrheit erschien, alle gewöhnlichen Lebensaussichten geopfert hat, das könnten die Landsleute von dem Fremden lernen. So ist auch in dem, was Daily News dem Vortrage Gladstone's entgegenhält, mehr Verstand und richtiger Takt als in allem, was mir bis jetzt von deutschen Besprechungen meines Buchs zu Gesichte gekommen. Die »Kritik gegen Kritik« in der Allgemeinen Zeitung sowie die Besprechung in der Deutschen Presse sind erst nach dem Abschluß dieser Bogen in meine Hände gelangt.

Sofern meine Lossagung von der bestehenden Religion sich wenigstens mittelbar auf die Ergebnisse der neueren Naturwissenschaft gründet, mußte es das Bestreben meiner Gegner sein, nur diese Stütze zu entziehen, den Nachweis zu versuchen, daß ich gerade die ersten Auctoritäten des Fachs mit nichten auf meiner Seite habe. Fast gleichzeitig mit meiner Schrift war der Vortrag von Dubois-Reymond »Ueber die Grenzen des Naturerkennens« erschienen, den ich mir nun von verschiedenen Seiten her als Gorgoschild entgegengehalten sehe. Herr Dove gibt mit Bezug auf denselben seiner Anzeige meines Buchs die Ueberschrift: »Bekenntniß oder Bescheidung?« gleich als wollte er sagen: da sehet, meine wohlgesinnten Leser, auf der einen Seite einen großen Naturforscher, der sich bescheidet, nur bis zu einem gewissen Punkte hin etwas zu wissen, der also jenseits dieses Punktes euch glauben läßt was ihr wollet; und auf der andern Seite einen vermeintlichen Philosophen, der, uneingedenk jener Schranken, auch über sie hinaus euch sein ungläubiges Bekenntniß aufdrängen will. Jener von dem Naturforscher vollzogenen Beschränkung hält sich Herr Dove berufen den Ehrennamen einer »Kant'schen That« beizulegen. Auch zu Kant's Zeiten allerdings fehlte es nicht an Individuen, die seine kritische Eingrenzung des Vernunftgebrauchs in der Hoffnung willkommen hießen, nun jenseits dieser Grenze um so ungestörter allen Spuk des alten Glaubens und Aberglaubens forttreiben zu können. Kant selbst freilich wollte von dieser Sorte von Anhängern nichts wissen, dem Kritiker der Vernunft lag es ferne, der faulen Vernunft Vorschub thun zu wollen. So zweifle ich auch, daß es Dubois-Reymonds Meinung war, hinter der von ihm gezogenen Schranke des Naturerkennens nun nicht blos von Neuem dem alten Dualismus, sondern auch den Präexistenz- und Seelenwanderungsträumereien seines jungen Verehrers Raum zu schaffen. Die Grundvoraussetzung alles Dualismus jedenfalls, die Auffassung von Leib und Seele als zwei verschiedenen Substanzen, erscheint unsrem Naturforscher geradezu als ein Grundirrthum. Er sieht in einer der Wirklichkeit so zuwiderlaufenden Schlußfolge, wie die Cartesisch-Leibnizischen Theorien über den Zusammenhang von Leib und Seele sind, »einen apagogischen Beweis gegen die Richtigkeit der dazu führenden Voraussetzung«. Er urtheilt mit Fechner, »bei seinem Gleichniß von den zwei Uhren habe Leibniz die einfachste Möglichkeit vergessen, nämlich die, daß vielleicht beide Uhren, deren Zusammengehen erklärt werden soll, im Grunde nur eine seien.« Den Hervorgang des Organischen aus dem Unorganischen hält Dubois-Reymond, wie ich schon aus früheren Schriften von ihm angeführt habe, für naturwissenschaftlich erklärbar. »Es ist ein Mißverständnis« sagt er auch in seinem neuesten Vortrage, »in dem ersten Erscheinen lebendiger Wesen auf Erden etwas Supranaturalistisches, etwas anderes zu sehen als ein überaus schwieriges mechanisches Problem.« Hier ist nach ihm noch nicht die Grenze unseres Naturerkennens; aber der Punkt kommt, wo der Faden abreißt, wo wir unsre Unwissenheit, und zwar unsre bleibende Unwissenheit, bekennen müssen. Dieser Punkt ist der Eintritt des Bewußtseins; nicht erst des menschlichen Denkens, sondern des Bewußtseins im weitesten Sinne, wornach es auch seine niederste Stufe in sich begreift. »Die erhabenste Seelenthätigkeit,« sagt er fast wie Voltaire, »ist aus materiellen Bedingungen in der Hauptsache nicht unbegreiflicher als das Bewußtsein auf seiner ersten Stufe, die Sinnesempfindung; mit der ersten Regung von Behagen oder Schmerz, die im Beginn des Menschen Lebens auf Erden ein einfachstes Wesen empfand, ist jene unübersteigliche Kluft gesetzt.«

Drei Punkte sind es bekanntlich in der aufsteigenden Entwicklung der Natur, an denen vorzugsweise der Schein des Unbegreiflichen haftet. Es sind die drei Fragen: wie ist das Lebendige aus dem Leblosen, wie das Empfindende aus dem Empfindungslosen, wie das Vernünftige aus dem Vernunftlosen hervorgegangen? die unser Denken gleichmäßig in Verlegenheit setzen, ihm eine wie die andre das alte Verlegenheitswort: Gott, abnöthigen. Der Naturforscher, mit dem wir uns beschäftigen, hält, wie wir gesehen, den Anstand bei dem ersten Punkte nicht für unüberwindlich, der Hervorgang des Organischen aus dem Unorganischen erscheint ihm begreiflich. Es gab eine Zeit, wie er selbst uns sagt, wo er erst an dem dritten Punkte, bei dem Problem der Willensfreiheit, als beim Eintritt der Intelligenz, die Schranke unsres Wissens zu finden glaubte; damals muß ihm also das zweite Problem, das des Bewußtseins oder der Empfindung, noch lösbar erschienen sein. Von einem Forscher wie Dubois-Reymond bin ich versichert, daß es nicht in seinem Sinne liegt, sowie ihm von Herrn Dove widerfährt, als Auctorität schlechthin behandelt zu werden; der wirkliche Denker hat es immer gern, wenn auch Andere denken, auch über seine Worte denken. So will ich denn nicht bergen: ich weiß über den Schein nicht Herr zu werden, daß in Hinsicht ihrer Lösbarkeit oder Unlösbarkeit die drei aufgestellten Fragen sich gleich stehen. Wenn der Glaube Recht hat, an allen drei Stellen Gott und das Wunder einzusetzen, so scheint mir, hat die Wissenschaft mit dem Versuche Recht, diese Aushülfe an allen drei Punkten überflüssig zu machen. Das leugnet am Ende auch Dubois-Reymond nicht, nur sagt er: die Wissenschaft kann es leisten an Punkt 1 und 3, sie kann es aber nicht leisten und muß für ewig darauf verzichten an Punkt 2. Ich gestehe, mir könnte noch eher einleuchten, wenn mir einer sagte: unerklärlich ist und bleibt A, nämlich das Leben; ist aber das einmal gegeben, so folgt von selber, d. h. mittelst natürlicher Entwicklung, B und C, nämlich Empfinden und Denken. Oder meinetwegen auch umgekehrt: A und B lassen sich noch begreifen, aber an C, am Selbstbewußtsein, reißt unser Verständniß ab. Beides, wie gesagt, erschiene mir, die Sache vorläufig und im Allgemeinen angesehen, noch annehmlicher, als daß gerade die mittlere Station allein die unpassirbare sein soll.

Das erste der drei Probleme, den Hervorgang des Lebens, macht sich die heutige Naturwissenschaft dadurch lösbar, daß sie es, wie Dubois-Reymond sich ausdrückt, als ein zwar schwieriges, doch lediglich mechanisches Problem faßt. Es handelt sich dabei zwar um eine andere und viel complicirtere Art von Bewegung, aber doch nur um Bewegung, mithin nicht um etwas schlechthin Neues und Anderes. Die Lösung des dritten Problems, der Intelligenz und Willensfreiheit, bahnt sich Dubois-Reymond, wie es scheint, dadurch an, daß er es im engsten Zusammenhange mit dem zweiten, die Vernunft nur als die höchste Stufe des schon aus jener gegebenen Bewußtseins faßt. Daß nun aber dieses zweite Problem unlösbar sein soll, darüber drückt er sich in seinem Vortrage so aus: die genaueste Kenntniß des materiellen Seelenorganismus enthülle uns immer nur bewegte Materie; zwischen dieser materiellen Bewegung und der Thatsache: ich fühle Schmerz oder Lust, ich schmecke Süß, sehe Roth, sammt der Folgerung: also bin ich, bleibe die Kluft unausgefüllt; es bleibe »durchaus und für immer unbegreiflich, daß es einer Anzahl von Kohlenstoff-, Wasserstoff- u. a. Atomen nicht sollte gleichgültig sein, wie sie liegen und sich bewegen; es sei in keiner Weise einzusehen, wie aus ihrem Zusammenwirken Bewußtsein entstehen könne.« Ob dieses Wort des Meisters wirklich das letzte Wort in der Sache sei, darüber wird am Ende doch nur die Zeit entscheiden können; glücklicher Weise kann ich mir dasselbe vorläufig gefallen lassen, ohne darum meinen Handel verloren zu geben. Denn wie fährt Dubois-Reymond weiter fort?

Von der Frage, sagt er, ob (für uns) die geistigen Vorgänge jemals aus materiellen Bedingungen begreiflich sein werden, sei die Frage durchaus verschieden und unabhängig, ob jene Vorgänge nicht doch vielleicht (an sich) Erzeugnisse materieller Bedingungen seien. Werde (wie von ihm geschehen) die erstere Frage auch verneint, so sei dadurch über die andere doch nichts ausgemacht, geschweige daß auch sie damit schon verneint wäre. Im Gegentheil, nach dem bekannten Forschungsgrundsatze, der einfacheren Vorstellung über die Ursache einer Erscheinung bis zu ihrer Widerlegung den Vorzug zu geben, werde sich unser Denken immer zu der Vermuthung hingezogen finden, wenn wir nur erst das Wesen von Materie und Kraft begreifen würden (deren ewige Unbegreiflichkeit nach Dubois-Reymond die andere, oder vielmehr die erste Schranke unseres Naturerkennens bildet), so würden wir wohl auch verstehen, »wie die ihnen zu Grunde liegende Substanz unter bestimmten Bedingungen empfinden, begehren und denken könne«. In's Klare werden wir darüber zwar niemals kommen; aber je unbedingter der Naturforscher diese doppelte Grenze seines Wissens anerkenne, desto freier und unbeirrter durch Dogmen wie durch Philosopheme dürfe er sich an der Hand der Induction seine Ansichten über die Beziehungen zwischen Geist und Materie bilden. Mit offenem Auge werde er die vielfache Abhängigkeit des menschlichen Geisteslebens von der Beschaffenheit seines Organismus erkennen; kein theologisches Vorurtheil werde ihn wie Descartes hindern, in den Thierseelen der Menschenseele verwandte, nur stufenweise minder vollkommene Glieder derselben Entwicklungsreihe zu sehen. Endlich die Descendenztheorie im Verein mit der Lehre von der natürlichen Zuchtwahl drängte ihm die Vorstellung auf, »daß die Seele als allmähliches Ergebniß gewisser materieller Kombinationen entstanden, und vielleicht gleich andern erblichen, im Kampf um's Dasein dem Einzelnen nützlichen Gaben durch eine zahllose Reihe von Geschlechtern sich gesteigert und vervollkommnet habe.«

Nun frage ich: kann es die Meinung eines so redenden Forschers sein, hinter den von ihm abgesteckten Grenzen unseres exacten Naturerkennens veraltete Hypothesen und abgestorbene Dogmen sich von Neuem ansiedeln zu lassen? Wirft er doch außer den aufgezeigten Lichtern noch eine wahre Brandrakete in diese Regionen hinüber. Niemand, bemerkt er, eben auch in der berühmten Leipziger Rede, mache es dem Naturforscher zum Vorwurfe, daß er den Pflanzen, wegen des Mangels an einem Nervensystem, kein Seelenleben zuerkenne. »Was aber wäre ihm zu erwiedern«, fährt der Redner fort, »wenn er, bevor er in die Annahme einer Weltseele willigte, verlangte, daß ihm irgendwo in der Welt, in Neuroglia gebettet und mit warmem arteriellem Blut unter richtigem Drucke gespeist, ein dem geistigen Vermögen solcher Seele an Umfang entsprechendes Convolut von Ganglienkugeln und Nervenröhren gezeigt würde?« Ich weiß mich wohl zu bescheiden, irgend Jemanden, am wenigsten einem so bedeutenden Manne, in einer so delicaten Sache einen Gedanken unterzulegen, den er nicht mit ausdrücklichen Worten ausspricht: daß ich aber meinerseits seinen Satz auf die Frage von einem persönlichen Gott anwende, wird hinwiederum er mir nicht verwehren können.

Die weitern Einwendungen, die von den Beurtheilern meiner Schrift der Naturwissenschaft entnommen werden (die Männer des Faches haben sich bis jetzt noch nicht vernehmen lassen, und ich sehe ihrem Urtheil mit Beruhigung entgegen), sind von minderem Belange. Sie beziehen sich meistens auf Lücken in der Nachweisung des Stufengangs der Natur, an denen theils die nothwendige Kürze meines Berichts, theils die Unvollständigkeit des bisherigen Beobachtungsmaterials, theils auch die Grenzen unsres Erkenntnißvermögens die Schuld tragen. Oder werden mir Instanzen als angeblich nicht beachtet entgegengeworfen, die ich nicht übersehen habe, aber nicht als zwingende Instanzen gelten lasse. So die Ausführung von Olbers, die Zahl der Welten, also der Fixsterne, als unendlich angenommen, müßte das ganze Himmelsgewölbe so viel Licht und Wärme ausstrahlen wie die Sonne. Wo doch auch der astronomische Laie, d. h. Herr Prof. Huber so gut wie ich, sieht, daß neben der unendlichen Zahl die unendlichen Entfernungen mit ihrer lichtmindernden Wirkung außer Acht gelassen sind. Mit der Clausius'schen Rechnung auf ein schließliches Erlahmen aller Bewegung im Weltall aber stelle ich mich keineswegs, wie derselbe Kritiker behauptet, in »directen Widerspruch«, sondern vorerst nur in den indirecten, daß ich meiner Gesammtanschauung gemäß die Stillstände theils auf die Einzelwelten beschränke, theils, wie alles Zuständliche im Universum, nur als Uebergangsstadien betrachte. Mehr oder minder grobe Mißverständnisse insbesondere der Darwinschen Theorie meinen Beurtheilern nachzuweisen, kann ich füglich den fachmäßigen Vertretern derselben überlassen. Wohlbedacht übrigens habe ich im Titel meiner Schrift dem alten Glauben nicht ein neues Wissen, sondern einen neuen Glauben gegenübergestellt. Zur Gestaltung einer umfassenden Weltanschauung, die an die Stelle des ebenso umfassenden Kirchenglaubens treten soll, können wir uns nicht mit demjenigen begnügen, was streng inductiv zu erweisen ist, sondern müssen noch mancherlei hinzufügen, was von dieser Grundlage aus sich für unser Denken theils als Voraussetzung, theils als Folgerung ergibt. In demselben Sinne habe ich meine Schrift ein Bekenntniß genannt; und darauf werde ich sofort Veranlassung haben, mich besonders auch den theologischen Einwendungen gegenüber zu berufen, die gegen das Buch gerichtet worden sind.

In dieser Hinsicht sehe ich vor Allem – am bestimmtesten von Herrn Huber in der Allgemeinen Zeitung – die Anklage wider mich erhoben, daß ich von einer frühern höhern Auffassung der Person Jesu und des Christenthums in meiner neuesten Schrift »abgefallen« sei. Nun Abfälle, das kann der rührige Vorkämpfer des Altkatholicismus aus Erfahrungen in seiner nächsten Nähe wissen, pflegen ihre sehr bestimmten Motive zu haben. Auch erfolgten sie in der Regel in umgekehrter Richtung als der meinige erfolgt sein müßte, indem man sich von einem extremen, ausgesetzten Standpunkt auf einen gedeckteren, minder gefährdeten zurückzieht. Mein Abfall in der entgegengesetzten Richtung könnte also seine äußere Veranlassung nur etwa darin haben, daß gewisse Rücksichten, die mich früher abhielten das Aeußerste zu sagen, neuestens weggefallen wären. Davon ist aber keine Rede: ich habe bei Abfassung jener früheren Schriften mich schon derselben vollkommenen Unabhängigkeit erfreut, deren ich mich heute erfreue. Es müßte also der angebliche Abfall rein aus inneren Gründen, in Folge einer Wandlung meiner Ueberzeugungen, erfolgt sein, wo er für sich keinen Vorwurf begründen würde; doch es liegt überhaupt kein Abfall vor.

Es ist wahr, ich habe mir in früheren Schriften, so besonders noch in der neuen Bearbeitung des Lebens Jesu, viele Mühe gegeben, die in den Evangelien zerstreuten Züge zu einem Bilde zusammenzusetzen, das uns von dem Wesen und Wollen Jesu eine menschlich ansprechende Vorstellung geben könnte. Die Gegner haben das von mir entworfene Christusbild blaß und schattenhaft gefunden, haben lebensvollere, markirtere Züge verlangt; während ich umgekehrt mir sagen mußte, daß ich im Verhältniß zu dem, was wir von Jesus wirklich wissen, noch viel zu keck und bestimmt gezeichnet hatte. Darum klagte ich in der Schlußabhandlung jenes Buchs über die Mangelhaftigkeit und Unsicherheit unserer historischen Kunde von Jesus, und meinte, kein Kundiger und Aufrichtiger werde mir widersprechen wenn ich sage, »daß wir über wenige große Männer der Geschichte so ungenügend wie über ihn unterrichtet seien«. Auch damals schon machten mir die Reden Jesu von seiner Wiederkunft in den Wolken zu schaffen, und ich wußte daraufhin den Vorwurf der Schwärmerei und der Selbstüberhebung nur mühsam und künstlich von ihm abzuwehren. Wenn ich nun in meiner neuesten Schrift ausführe, in Jesus auch ferner den Mittel- und Anhaltspunkt unsres religiösen Lebens zu erkennen, finden wir uns hauptsächlich durch zwei Umstände abgehalten; daß wir nämlich für's Erste viel zu wenig Zusammenhängendes von ihm wissen, und für's Zweite in dem was wir von ihm wissen, einen schwärmerisch-phantastischen Zug bemerken – so liegt hierin augenscheinlich kein Abfall, sondern lediglich das in der Entwicklung wissenschaftlicher Ueberzeugungen durchaus normale Ergebniß vor, daß ich gewissen Bedenken, deren ich mich früher noch erwehren zu können meinte, nun vollständigen Raum gegeben habe.

Für gewisse Leute kann man gewisse Dinge nicht oft genug wiederholen; also das schon zum Ueberfluß Gesagte hier noch einmal. Es fällt mir nicht ein, zu bestreiten, daß Jesus ein vorzüglicher Mensch gewesen; was ich behaupte, ist nur dieß: nicht um dessen willen was er war, sondern um dessen willen was er nicht war, nicht um des Wahren willen das er lehrte, sondern um einer Vorhersage willen die nicht eingetroffen, also nicht wahr gewesen ist, hat man ihn zum Mittelpunkt einer Kirche, eines Cultus gemacht. Nachdem wir erkannt haben, daß er das nicht gewesen, daß das nicht wahr ist um dessen willen man ihn dazu gemacht hat, ist für uns der Grund, und sofern wir wahrhaftig sein wollen, auch das Recht hinweggefallen, einer solchen Kirche anzugehören; die blos menschliche Vortrefflichkeit, und wäre sie die höchste (die Unsündlichkeit, aber ist mit der Uebernatürlichkeit geschwunden und auf jetzigem Standpunkte nur durch Schwindel noch zu behaupten) begründet noch keinen Anspruch auf kirchliche Verehrung; am wenigsten wenn diese Vortrefflichkeit, aus entlegenen und den unsern gewissermaßen entgegengesetzten Verhältnissen und Vorstellungskreisen stammend, zum Vorbild für unsere Verhältnisse und Vorstellungen täglich ungeeigneter wird.

»Daß bei solchen Ansichten von der Person Jesu,« wie ich sie vorher als das Ergebniß der neueren Forschung entwickelt hatte, »diese Person nicht mehr Gegenstand des religiösen Glaubens sein könne,« das habe ich schon in meiner Dogmatik, also vor reichlich dreißig Jahren, als meine Ueberzeugung ausgesprochen; schon dort habe ich es für einen Irrthum erklärt, »zu meinen, die bloße Moral Jesu, mit Einschluß etwa der Gottes- und Vergeltungslehre, sei noch das Christenthum; da diesem doch vielmehr eben das wesentlich sei, alle jene Ideen durch Christus vermittelt vorzustellen, alles Hohe was der Menschheit Werth verleiht, und ebenso alles Leiden das sie bedrückt, an Christus zu entäußern, um es von ihm als Gnade und Versöhnung sich zurückzuerbitten. Wer diese Entäußerung,« schloß ich, »die das Wesen des Christenthums ausmacht, überwunden hat, der mag wohl noch Gründe haben, sich einen Christen zu nennen, aber Grund hat er keinen mehr dazu.« Herr Dove stellt die Frage nach unserem Verhältniß zum Christenthum so: ob »die von Jesus ausgehende religiöse Bewegung noch mit so wesentlichen Consequenzen in unsre Welt- und Lebensanschauung hereinreiche, daß es einen Sinn habe, unsre eignen religiösen Grundsätze an seinen Namen anzuknüpfen.« Allein das ist nicht eine, sondern es sind zwei Fragen, davon man die eine im Wesentlichen bejahen, und doch die andere verneinen kann. Daß die von Jesus ausgegangene religiöse Bewegung noch mächtig in unsre Zeit hineinwirke, wird Niemand leugnen; nur daß diese Wirkungen mit jedem Jahrzehnt tiefer in Streit gerathen theils mit wissenschaftlichen Wahrheiten, theils mit praktischen Maximen, die der neuern Zeit angehören. Dann aber das »Anknüpfen unsrer religiösen Grundsätze an seinen Namen« sagt viel weniger als um was es sich hier handelt; die Frage ist, ob wir ihm noch einen Cultus widmen, ihn als Haupt einer besondern Heilsanstalt betrachten können? und dazu, behaupte ich, sind auf unserm Standpunkte die Bedingungen nicht mehr vorhanden.

Wenn der Verfasser der Anzeige in der Allgemeinen Zeitung einen Vorzug des Christenthums in meiner Schrift nicht besonders hervorgehoben findet, so ist er alsbald mit dem Urtheil bei der Hand, dafür habe ich »keinen Sinn«, so angeblich für die Verdienste des Christenthums um die sittliche Cultur der Menschheit. Allein übergangen sind von mir diese Verdienste auch dießmal nicht; daß auf sie nicht weitläufiger eingegangen ist, brachte die Anlage meiner Schrift mit sich. Sie ist, wie gesagt, ein Bekenntniß, keine historische Abhandlung. Es handelte sich nicht um die Frage: was hat das Christenthum in der Menschheit gewirkt? sondern um die: es mag gewirkt haben was es will – und fortwirken wird es in jedem Fall – aber kann man bei gewissen Überzeugungen demselben noch als einer Kirche angehören? Ein ähnliches hätte ich dem Beurtheiler in der Kölnischen Zeitung auf den Vorwurf zu entgegnen, daß ich die Bedeutung der Phantasie für die Religion nicht gehörig in Rechnung nehme. Ob ich diese Bedeutung zu würdigen weiß, dafür darf ich Herrn Bacmeister wohl unter anderem auf meine Schrift über Reimarus verweisen. Aber eben wer dahinter gekommen ist, welche mächtige Rolle in der Religion die Phantasie spielt, der ist aus der religiösen Illusion herausgetreten; und ob nun diejenigen, die heraus sind, fort und fort thun sollen, thun dürfen, als wären sie noch darin, das ist die Frage meines Buchs.

Ich erwähnte schon, daß der Recensent in der Weserzeitung meine Schrift als eine Kriegserklärung gegen den Protestantenverein und den Altkatholicismus auffasse. Er setzt sogar hinzu, ich »spreche beiden das Recht zu existiren sehr kategorisch ab.« Indeß, sowohl mit dem Protestantenverein als mit dem Altkatholicismus hatte ich es dießmal nur ganz beiläufig zu thun, und wenn ich in meiner Einleitung unter der Masse der Unbefriedigten und Weiterstrebenden jenen beiden Richtungen die weit überwiegende Majorität zugestand, so meine ich ihnen damit auch das historische Existenzrecht zugestanden zu haben. Dieses Recht kann ja in nichts anderem bestehen, als in der Thatsache, daß in einer großen Anzahl unserer Zeitgenossen die Kraft neuer Einsichten auf der einen, und das Gewicht alter Ueberzeugungen und Gewohnheiten auf der andern Seite sich gerade in dem Punkte die Wage halten, der den Standpunkten des Altkatholicismus oder des Protestantenvereins entspricht. Wenn ich gleichwohl mich selbst mit den mir Gleichdenkenden nicht auf einen dieser Standpunkte stelle, so kann dieß allerdings nur darin seinen Grund haben, daß ich denselben das logische Existenzrecht nicht zugestehe, d. h. daß ich sie nur für Durchgangspunkte, und zwar für solche halte, über welche die Entwicklung unsrer Einsichten bereits thatsächlich hinausgeschritten ist.

Man hält mir entgegen: bei Einzelnen wohl, aber nicht bei der Mehrheit, und von dieser Mehrheit unsrer Mitmenschen sollen wir uns nicht trennen, das heilige Band der religiösen Gemeinschaft mit ihnen nicht zerschneiden wollen. »Warum bestehen wir,« fragt Herr Dove, »die wir allen Spuk von Offenbarung und Wundern von uns geworfen haben, doch noch so eifrig auf dem Christennamen? Weil wir,« antwortet er, »den Zusammenhang mit denjenigen unsrer Brüder, die an allem diesem Spuke noch ängstlich wie an etwas Wirklichem hängen, nimmermehr verlieren mögen; weil wir nicht wegen, sondern trotz dieses Spuks in ihnen auch noch Christen erkennen.« Aber redet einmal, mit diesen christlichen Brüdern wirklich so frivol, gestehet ihnen einmal ehrlich und deutlich, daß ihr Offenbarung und Wunder für Spuk haltet, daß ihr sie nur »trotz« ihres Glaubens daran, und nur »auch noch« als Christen gelten lasset, und sehet zu, ob sie euch darauf hin noch in ihrer Kirche haben wollen. Das ist es eben: ohne Accomodation, ohne Bemänteln und Vertuschen, ohne Täuschung hüben und drüben, kurz ohne Unwahrheit geht es bei solchen Compromissen nicht ab; und wenn irgendwo, so müßte doch im Bezirke der Religion nur Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit herrschen. Auf dem Felde der Politik sind Compromisse unentbehrlich; allein hier sind sie auch unverfänglich und schließen keine Lüge in sich, da es in politischen Dingen sich nicht um Ueberzeugungen, sondern um Maßregeln, nicht um das Wahre, sondern um das Ersprießliche handelt.

»Wie man ohne Kirche leben kann,« schrieb Dahlmann an Gervinus aus Anlaß von dessen Schrift über die Mission der Deutschkatholiken, »das sehe ich ein; ich lebe selbst so, obwohl ich es anders wünschte. Allein wie man eine Kirche auf blos christlicher Moral bauen könne, das sehe ich vor der Hand nicht ein. Mir kommt es vor, daß diejenigen (Geistlichen), welche sich an Christus selbst halten, von dem Geheimniß seiner Geburt, seiner Auferstehung und von seinen Verheißungen lehren, und die gläubige Menge welche zuhört, die Kirche ausmachen; wenn wir andern aus- und eingehen, wir bringen Zug, aber keine Wärme hinein.« Das ist ganz auch meine Meinung bis auf den Punkt des Anderswünschens. Wir sind auf ehrlichem Wege von der Kirche abgekommen, und es geht uns auch hier außen nichts ab: wozu also bedauern, daß wir nicht mehr drinnen sind? Eben dieß, uns zum deutlichen Bewußtsein zu bringen, was wir auch ohne Kirche haben, und dadurch jenem Anderswünschen vorzubeugen, ist der Hauptzweck gewesen, den ich bei der Zusammenstellung und Veröffentlichung meines Bekenntnisses mir vorgesetzt hatte. Dazu gehört allerdings auch die Erinnerung an alle die Unglaublichkeiten und Widersprüche, die wir mit der Kirche hinter uns gelassen haben, an die Martern unsrer Vernunft und unsres Wahrheitssinns, denen wir mit jenem Schritt entgangen sind. Aber auch diese Darlegungen waren, wie in ihrem Verlaufe wiederholt erklärt wurde, nicht so gemeint, als sollte irgend einem, der sich in der Kirche noch wohl fühlt, das Verbleiben in ihr verleidet werden; sondern nur uns selbst wollten wir die Gründe bestimmt und im Zusammenhang in's Bewußtsein rufen, die uns zur Auseinandersetzung mit ihr bewogen haben. Kein Streit mit Andersdenkenden, nur Verständigung mit Gleichdenkenden war die Absicht. Doch nicht allein das wollte ich den Gleichgesinnten zum Bewußtsein bringen, was wir haben, sondern auch, was wir noch nicht haben. Indem ich ihnen unsern dermaligen Besitzstand an Einsichten und Ansichten, Antrieben und Beruhigungen vorlegte, wollte ich sie zugleich auf die Punkte aufmerksam machen, wo es noch fehlt, und sie antreiben, auch in ihrem Theil unsre Mittel vermehren zu helfen. Nicht nur das Gebäude unsrer Weltvorstellung hat noch seine klaffenden Lücken, sondern noch mehr sind wir mit dem Bau unsrer Pflichten- und Tugendlehre zurück. Hier habe ich mehr nur auf die Stellen hindeuten können, wo die Grundsteine zu legen sind, als daß ich schon im Stande gewesen wäre, auf etwas Ausgeführtes, Fertiges hinzuweisen. Das kommt daher, weil wir noch immer gewohnt sind, uns praktisch an die alten Vorstellungen anzulehnen, die Motive unsres Handelns halb unbewußt bei ihnen zu borgen; wir müssen uns der Unhaltbarkeit jener Vorstellungen deutlich bewußt werden und bleiben, um uns zu nöthigen, auf dem Boden unsrer neuen Weltanschauung, d. h. in dem erkannten Wesen des Menschen, statt in einer vermeinten übermenschlichen Offenbarung, die festen Anhaltspunkte für unser sittliches Verhalten zu suchen und zu finden.

Das naturgemäße Streben unsrer Zeit, das Band zwischen Staat und Kirche zu lockern, das unausbleibliche Zerbröckeln der Staatskirchen in Secten und freie Gemeinden, muß in nicht allzulanger Frist die Möglichkeit herbeiführen, daß eine Anzahl von Staatsbürgern überhaupt keiner Kirche mehr auch nur äußerlich angehöre. Durch den Gang der Geistesbildung während der letzten Jahrzehnte insbesondre ist die Entstehung einer solchen Gruppe gefordert; und je reiner sie sich herausarbeitet, je weniger sie durch Anbequemung an andre Standpunkte fälscht und trübt, desto förderlicher wird sie auf den allgemeinen Stand der geistigen und sittlichen Bildung wirken. Wir haben schlechterdings keinen Grund, uns gegenseitig zu drängen und zu drücken; das Gemeinleben der Gegenwart, in unserm deutschen Vaterlande besonders, bietet Raum genug, daß wir alle neben einander uns regen und geltend machen können. Einzig das Recht hiezu habe ich durch mein Bekenntniß in Anspruch nehmen wollen, von dem ich trotz aller Schmähungen überzeugt bleibe, damit ein gutes Werk gethan und mir den Dank einer minder befangenen Zukunft verdient zu haben. Die Zeit der Verständigung wird kommen, wie sie für das Leben Jesu gekommen ist: nur daß ich sie dießmal nicht mehr erleben werde.

Beendigt am letzten Tage des Jahres 1872.


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