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1.

Der großen kriegerisch-politischen Bewegung, die im Laufe der letzten sechs Jahre die Verhältnisse Deutschlands nach außen und innen umgestaltet hat, ist auf dem Fuß eine kirchliche gefolgt, die sich kaum weniger kriegerisch anläßt.

Schon in dem Machtzuwachse, den die Beseitigung Österreichs durch Preußen und die Bildung des Norddeutschen Bundes dem Protestantismus zu bringen schien, hat der römische Katholizismus eine Aufforderung erkannt, seine ganze geistlich-weltliche Gewalt in der Hand des für unfehlbar erklärten Papstes dictatorisch zusammenzufassen. Das neue Dogma ist innerhalb der katholischen Kirche selbst auf einen Widerspruch gestoßen, der sich seitdem in der Partei der sogenannten Altkatholiken Gestalt gegeben hat; während die neubegründete deutsche Staatsgewalt, nach allzulangem ihr von der preußischen Politik der drei letzten Jahrzehnte vererbten Gehenlassen, endlich zu nachdrücklicher Abwehr der drohenden kirchlichen Uebergriffe entschlossen scheint.

Dieser Bewegung innerhalb der katholischen Kirche gegenüber kann im Augenblick die protestantische als die stabilere erscheinen. Ohne innere Gährung ist gleichwohl auch sie nicht; nur daß dieselbe, der Natur dieses Bekenntnisses gemäß, mehr einen religiös- als politisch-kirchlichen Charakter trägt. Dem Gegensatze zwischen dem alten Consistorialregiment und den auf eine Synodalverfassung gerichteten Bestrebungen liegt hinter dem hierarchischen Zuge auf der einen, dem demokratischen auf der andern Seite, doch eine dogmatisch-religiöse Differenz zu Grunde. Zwischen den Altlutheranern und den Unionsfreunden, und weiterhin den Männern des Protestantenvereins, wird in der That um religiöse Fragen, um eine verschiedene Auffassung des Christenthums und des Protestantismus selbst gestritten. Wenn diese protestantische Bewegung sich nicht so laut macht wie die katholische, so kommt dieß nur daher, daß eben Machtfragen ihrer Natur nach mehr Geräusch mit sich bringen als Glaubensfragen, so lange sie nur dieses bleiben.

Indessen, wie dem sei: von allen Seiten regt man sich doch, erklärt man sich doch, rüstet man sich doch; nur wir, scheint es, bleiben stumm und legen die Hände in den Schooß.

Welche Wir? Es spricht ja vor der Hand nur ein Ich, und zwar ein solches, so viel wir wissen, das, ohne Verbindung, ohne Anhang, eine möglichst vereinzelte Stellung einnimmt.

O, weniger noch als das; es hat nicht einmal eine Stellung, dieses Ich und Geltung nur so viel, als man sein Wort ebenfalls will gelten lassen. Und zwar das geschriebene und gedruckte Wort; da es zum Redner in Versammlungen, zum wandernden Missionär seiner Ueberzeugungen, weder begabt noch aufgelegt ist. Aber man kann ohne Stellung sein, und doch nicht am Boden liegen; ohne Verbindung sein, und doch nicht allein stehen. Wenn ich Wir sage, so weiß ich, daß ich ein Recht dazu habe. Meine Wir zählen nicht mehr bloß nach Tausenden. Eine Kirche, eine Gemeinde, selbst einen Verein, bilden wir nicht; aber wir wissen auch warum.

Nicht zu zählen jedenfalls ist die Menge derer, die von dem alten Glauben, der alten Kirche, sei es evangelische oder katholische, sich nicht mehr befriedigt finden; die den Widerspruch theils dunkel fühlen, theils klar erkennen, worin beide immer mehr mit den Erkenntnissen, der Welt- und Lebensanschauung, den geselligen und staatlichen Bildungen der Gegenwart gekommen sind, und die hier eine Aenderung, eine Abhülfe, für ein dringendes Bedürfniß halten.

An diesem Punkte jedoch theilt sich die Masse der Unbefriedigten und Weiterstrebenden in zwei Richtungen. Die einen – und sie bilden, wie nicht zu leugnen, die weit überwiegende Majorität, und zwar in beiden Confessionen – halten es für genügend, die notorisch dürre gewordenen Zweige des alten Baumes zu entfernen, in der Hoffnung, ihn dadurch von Neuem lebenskräftig und fruchtbar zu machen. Dort will man sich wohl einen Papst gefallen lassen, nur keinen unfehlbaren; hier will man an Christus festhalten, nur soll er nicht mehr für den Sohn Gottes ausgegeben werden. Uebrigens aber soll es in beiden Kirchen bleiben wie es war: in der einen Priester und Bischöfe, die den Laien als geweihte Spender der kirchlichen Gnadenmittel gegenüberstehen; in der andern, wenn auch mit freigewählten Geistlichen und nach selbstgegebenen Ordnungen, die Predigt von Christus, die Austheilung der von ihm eingesetzten Sakramente, die Feier der Feste, die uns die Hauptereignisse seines Lebens in der Erinnerung halten.

Neben dieser Mehrheit indeß gibt es eine nicht zu übersehende Minderheit. Sie hält große Stücke auf den engen Zusammenhang des kirchlichen Systems, überhaupt auf Consequenz. Sie ist der Meinung, wer einmal den Unterschied von Klerus und Laien, das Bedürfniß der Menschheit, in Fragen der Religion und Sitte sich jederzeit bei einer von Gott durch Christus eingesetzten Behörde untrügliche Belehrung holen zu können, zugestehe, der könne auch einem unfehlbaren Papste, als von jenem Bedürfniß gefordert, seine Anerkennung nicht versagen. Und ebenso, wenn man einmal Jesus nicht mehr für den Sohn Gottes, sondern für einen Menschen, wenn auch noch so vortrefflichen, ansehe, so habe man kein Recht mehr, zu ihm zu beten, ihn als Mittelpunkt eines Cultus festzuhalten, Jahr aus Jahr ein über ihn, seine Thaten, Schicksale und Aussprüche, zu predigen; zumal wenn man unter jenen Thaten und Schicksalen die wichtigsten als fabelhaft, diese Aussprüche und Lehren aber zum guten Theil als unvereinbar mit dem jetzigen Stande unserer Welt- und Lebensansichten erkenne. Sieht aber so diese Minderheit den geschlossenen Kreis des kirchlichen Cultus sich lösen, so bekennt sie, nicht zu wissen, wozu überhaupt ein Cultus vorerst noch dienen soll; wozu ferner ein besonderer Verein wie die Kirche neben dem Staate, der Schule, der Wissenschaft, der Kunst, an denen wir alle Theil haben, noch dienen soll.

Diese so denkende Minderheit sind die Wir, in deren Namen ich zu reden unternehme.

2.

Nun kann man aber in der Außenwelt nichts wirken, wenn man nicht zusammensteht, sich verständigt und dieser Verständigung gemäß mit vereinigten Kräften handelt. Wir sollten mithin, so scheint es, den alt- und neukirchlichen Vereinen gegenüber einen unkirchlichen, einen rein humanitären und rationellen, gründen. Aber es geschieht nicht, und wo es einige versuchen, machen sie sich lächerlich. Das dürfte uns nicht abschrecken, wir müßten es nur besser machen. So scheint es Manchen, aber uns scheint es nicht so. Wir erkennen vielmehr einen Widerspruch darin, einen Verein zu gründen zur Abschaffung eines Vereins. Wenn wir thatsächlich erweisen wollen, daß wir keine Kirche mehr brauchen, dürfen wir nicht ein Ding stiften, das selbst wieder eine Art von Kirche wäre.

Verständigen aber sollen und wollen wir uns doch. Das kann indeß in unserer Zeit geschehen auch ohne Verein. Wir haben den öffentlichen Vortrag, wir haben vor Allem die Presse. Ein Versuch, mit meinen Wir mich auf diesem letzteren Wege zu verständigen, ist es, den ich gegenwärtig hier mache. Und zu dem, was wir zunächst allein wollen können, reicht dieser Weg auch vollkommen hin. Wir wollen für den Augenblick noch gar keine Aenderung in der Außenwelt. Es fällt uns nicht ein, irgend eine Kirche zerstören zu wollen, da wir wissen, daß für Unzählige eine Kirche noch Bedürfniß ist. Für eine Neubildung aber (nicht einer Kirche, sondern nach deren endlichem Zerfall einer neuen Organisirung der idealen Elemente im Völkerleben) scheint uns die Zeit noch nicht gekommen. Nur an den alten Gebilden bessern und flicken wollen wir gleichfalls nicht, weil wir darin eine Hemmung des Umbildungsprocesses erkennen. Wir möchten nur im Stillen dahin wirken, daß aus der unvermeidlichen Auflösung des Alten sich in Zukunft ein Neues von selber bilde. Dazu genügt eine Verständigung ohne Verein, eine Ermunterung durch das freie Wort.

Was ich zu diesem Zwecke im Folgenden auszuführen gedenke, davon bin ich mir wohl bewußt, daß es Unzählige ebenso gut, Manche sogar viel besser wissen. Einige haben auch bereits gesprochen. Soll ich darum schweigen? Ich glaube nicht. Wir ergänzen uns ja alle gegenseitig. Weiß ein Anderer Vieles besser, so ich doch vielleicht Einiges; und Manches weiß ich anders, sehe ich anders an als die Uebrigen. Also frischweg gesprochen, heraus mit der Farbe, damit man erkenne, ob sie eine ächte sei.

Dazu kommt für mich persönlich noch ein Weiteres. Ich bin nun bald 40 Jahre in der gleichen Richtung schriftstellerisch thätig gewesen, habe für das, was mir als das Wahre, vielleicht mehr noch gegen das, was mir als unwahr erschien, fort und fort gekämpft, und bin darüber an die Schwelle des Greisenalters, ja in dieses selbst hineingeschritten. Da vernimmt jeder ernstgesinnte Mensch die innere Stimme: »Thue Rechnung von deinem Haushalt, denn du wirst hinfort nicht lange mehr Haushalter sein.«

Daß ich ein ungerechter Haushalter gewesen wäre, dessen bin ich mir nicht bewußt. Ein ungeschickter mitunter, und wohl auch ein lässiger, das weiß der Himmel; aber im Ganzen that ich, wozu ich Kraft und Trieb in mir empfand, und that es ohne rechts oder links zu sehen, ohne jemands Gunst zu suchen, ohne jemands Abgunst zu scheuen. Aber was ist es, das ich that? Man hat wohl schließlich ein Ganzes im Sinne, aber man sagt immer nur gelegentlich Einzelnes; hängt und stimmt nun dieses Einzelne auch unter sich zusammen? Man schlägt im Eifer manches Alte in Trümmer: aber hat man denn auch ein Neues bereit, das an die Stelle des Alten gesetzt werden könnte?

Dieser Vorwurf besonders, nur zu zerstören ohne wiederaufzubauen, wird gegen die in solcher Richtung Thätigen beständig wiederholt. In gewissem Sinne wehre ich mich gegen denselben nicht: nur daß ich ihn nicht als Vorwurf gelten lasse. Nach außen schon jetzt etwas zu bauen, das, wie gesagt, habe ich mir ja gar nicht vorgesetzt, weil ich die Zeit dazu noch nicht gekommen glaube. Es kann sich nur um innere Vorbereitung handeln, und Vorbereitung eben in denen, die sich durch das Alte nicht mehr befriedigt, durch halbe Maßregeln nicht beruhigt finden. Ich wollte und will keine Zufriedenheit, keinen Glauben stören, sondern nur wo sie bereits erschüttert sind, will ich nach der Richtung hinzeigen, wo meiner Ueberzeugung nach ein festerer Boden zu finden ist.

Dieser Boden kann in meinem Sinne kein anderer sein, als was man die moderne Weltanschauung, das mühsam errungene Ergebnis) fortgesetzter Natur- und Geschichtsforschung, im Gegensatze gegen die christlich-kirchliche nennt. Aber eben diese moderne Weltanschauung, wie ich sie fasse, habe ich bis jetzt immer nur in einzelnen Andeutungen, niemals ausführlich und in einer gewissen Vollständigkeit entwickelt. Ich habe noch nie genugsam zu zeigen versucht, ob sie festen Grund, sichere Tragfähigkeit, Einheit und Zusammenhang in sich selbst besitze. Diesen Versuch einmal zu machen, bekenne ich mich nicht nur Andern, sondern auch mir selber schuldig. Man denkt sich Manches halbträumerisch im Innern zusammen, was, wenn man es einmal in der festen Gestalt von Worten und Sätzen aus sich herausstellen will, nicht zusammengeht. Auch mache ich mich zum Voraus keineswegs anheischig, daß mir der Versuch durchaus gelingen, daß nicht einzelne Lücken, einzelne scheinbare Widersprüche übrig bleiben sollen. Eben daran aber, daß ich diese nicht zu verdecken suche, mag der Prüfende die Redlichkeit meiner Absicht erkennen, und durch eigenes Ueberdenken mag er sich selbst ein Unheil darüber bilden, auf welcher Seite, ob auf der des alten Glaubens oder der neueren Wissenschaft, der in menschlichen Dingen nicht zu vermeidenden Dunkelheiten und Unzulänglichkeiten mehrere sind.

3.

Zweierlei also werde ich darzulegen haben: einmal unser Verhältniß zum alten Kirchenglauben, und dann die Grundzüge der neuen Weltanschauung, zu der wir uns bekennen.

Der Kirchenglaube ist das Christenthum. Es stellt sich folglich unsere erste Frage dahin, ob und in welchem Sinne wir noch Christen sind. Das Christenthum ist eine bestimmte Form der Religion, deren allgemeines Wesen von jener Form noch verschieden ist: es kann einer vom Christenthum sich losgesagt haben, und doch noch religiös sein: es entwickelt sich also aus jener ersten Frage die andere, ob wir überhaupt noch Religion haben.

Auch unsere zweite Hauptfrage, nach der neuen Weltanschauung, spaltet sich näher betrachtet in zwei. Wir wollen nämlich fürs Erste wissen, worin diese Weltanschauung besteht, auf welche Beweise sie sich stützt, und was, besonders der alten kirchlichen Ansicht gegenüber, ihre bezeichnenden Grundzüge sind. Fürs Andere aber wollen wir erfahren, ob uns diese moderne Weltansicht auch den gleichen Dienst leistet, und ob sie uns denselben besser oder schlechter leistet, als den Altgläubigen die christliche, ob sie mehr oder weniger geeignet ist, das Gebäude eines wahrhaft menschlichen, d. h. sittlichen und dadurch glückseligen Lebens darauf zu gründen.

Wir fragen also in erster Linie:


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