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II. Haben wir noch Religion?

33.

Auf sie werden wir um so weniger geneigt sein, ohne Weiteres zu verzichten, da wir gewohnt sind, die Anlage zur Religion als einen Vorzug der menschlichen Natur, ja geradezu als ihren vornehmsten Adelstitel zu betrachten. Wir sehen, daß dem Thiere, mit dem was wir Vernunft nennen, diese Anlage fehlt. Die Völker, welche die Reisenden im Zweifel ließen, ob bei ihnen Religion anzutreffen sei, sind immer auch in jeder andern Hinsicht als die ärmlichsten und thierähnlichsten befunden worden; weiter aufwärts in der Geschichte aber geht die Ausbildung der Religionen mit dem Culturwerthe der Völker Hand in Hand. Werfen wir daher vor allem auf die Entstehung und erste Entwicklung der Religion in der Menschheit einen Blick.

Gewiß ist auf der einen Seite: ohne Vernunft keine Religion. D. h. erst mit dem Trieb und dem Vermögen, bei der Wirkung nach der Ursache zu fragen, und darin bis zu einer vermeintlich letzten oder ersten Ursache zurückzugehen, also erst beim Menschen, nicht schon beim Thiere, wird Religion möglich. Aber dieser objective Vernunfttrieb für sich würde doch immer nur ein fortschreitendes Erkennen zum Ergebniß haben. Auch im Verein mit der Einbildungskraft würde er noch nicht dasjenige hervorbringen, was wir als Religionen unter den Völkern verbreitet sehen. Um die Religion, deren Möglichkeit in der Vernunft liegt, wirklich zu machen, dazu muß noch ein anderer Factor in Thätigkeit treten, der in des Menschen Stellung zu seiner Umgebung liegt. Und hier hat nun Hume Recht mit der Behauptung, daß nicht der uneigennützige Wissens- und Wahrheitstrieb, sondern der sehr interessirte Trieb nach Wohlbefinden die Menschen ursprünglich zur Religion geführt, und daß als religiöse Motive von jeher weit mehr die unangenehmen als die angenehmen gewirkt haben. Die epicureische Ableitung der Religion aus der Furcht hat etwas unbestreitbar Richtiges. Ginge es dem Menschen stets nach Wunsch, hätte er immer was er bedarf, scheiterte ihm kein Plan, und müßte er nicht, durch schmerzliche Erfahrungen belehrt, der Zukunft bange entgegensehen: so wäre schwerlich je der Gedanke an höhere Wesen im Sinne der Religion in ihm aufgestiegen.

So aber sieht er vor allem die Natur als ein unheimliches Wesen sich gegenüber. Wohl hat die Natur eine Seite, die dem Menschen freundlich erscheinen mag. Die Sonne die ihn wärmt, die Luft die er athmet, die Quelle die ihn labt, der Baum, der ihm seinen Schatten und seine Früchte, das Schaf das ihm seine Milch und seine Wolle bietet, scheinen zum Besten des Menschen vorhanden, ihm von einer gütigen Macht geschenkt zu sein. Auch gestattet ihm bis zu einer gewissen Grenze die Natur eine bestimmende Einwirkung auf sie: er baut seinen Acker, gewöhnt und benützt seine Hausthiere, erjagt und erlegt die wilden, zimmert sich seinen Kahn für den Fluß oder die See, und macht sich zum Schutze gegen die Witterung seine Hütte, seine nothdürftige Kleidung zurecht. Aber die Kehrseite dieses freundlichen Gesichts, das die Natur ihm zeigt, ist ein schreckliches: neben und hinter dem schmalen Grenzgebiete, worauf sie ihn gewähren läßt, behält sie für sich eine ungeheuere Uebermacht, die in unerwartetem Ausbruch aller menschlichen Bemühungen grausam spottet. Der Sturm versenkt den Kahn und den Schiffer dazu; der Blitzstrahl setzt die Hütte in Flammen, oder die Überschwemmung reißt sie fort; eine Seuche rafft die Heerden hinweg; Sonnenbrand oder Hagel vernichtet den Ertrag der Felder; während der Mensch selbst sich dem Zufall und Unfall, der Krankheit und dem Tod ohne nachhaltigen Schutz preisgegeben findet.

34.

Diese Gleichgültigkeit der Natur gegen ihn, daß er es auf Schritt und Tritt mit einem Wesen zu thun haben soll, das ihm und dem er fremd ist, das sich aus ihm nichts macht und mit dem schließlich nichts zu machen ist, das ist es, was der Mensch nicht erträgt, wogegen sein Innerstes sich wehrt. Der Natur gegenüber kann er sich nur dadurch retten, daß er sich selbst in sie hineinträgt. Sie ist nur dann kein unmenschliches, wenn sie ein menschenähnliches Wesen ist. Dann sind selbst die verderblichen Naturgewalten nicht mehr so schlimm wie sie aussehen. Der Glutwind aus der Wüste, die Pest die durch's Land geht – wenn sie nur so, als blinde unpersönliche Mächte gefaßt werden, ist der Mensch ihnen gegenüber ein widerstandloses Nichts. Persönlich vorgestellt, als höhere Wesen, als Dämonen oder Gottheiten, sind sie zwar böse Wesen, aber es ist doch schon viel gewonnen. Nämlich eine Handhabe, sie zu fassen. Es gibt ja auch böse, grausame und schadenfrohe Menschen, und zwar solche, die, wie jene Naturgewalten, zugleich so übermächtig sind, daß durch Widerstand nichts gegen sie auszurichten ist: und dennoch gibt es Mittel, mit ihnen fertig zu werden, wenigstens mit leidlichem Schaden von ihnen loszukommen. Man erweist sich ihnen unterwürfig, läßt sich gute Worte und Geschenke nicht dauern, und siehe da, sie zeigen sich tractabler als man hoffen durfte. Ebenso mit jenen verderblichen Naturgewalten, sobald nur einmal feststeht, daß sie denkende und wollende, kurz menschenähnliche Wesen sind. Jetzt geht man dem Typhon mit Gebeten und Opfern entgegen; bringt der Pestgottheit die ihr angemessen scheinenden Gaben: und darf sich nach menschlichem Ermessen eines günstigen Einflusses auf jene Wesen, einer Sänftigung ihres Grimmes durch solche Mittel, getrösten.

Auch sind ja bei weitem nicht alle Naturmächte so durchaus schlimm wie die angeführten:

Aus der Wolke quillt der Segen,
Strömt der Regen;
Aus der Wolke ohne Wahl
Zuckt der Strahl!

Regen und Blitz sind nur verschiedene Aeußerungen derselben Macht, der Gottheit des obern Luftraums, des Zeus nach hellenischer Anschauung, der, bald gnädig bald schrecklich, jetzt befruchtenden Regen der Flur, jetzt, und zwar nicht so ganz ohne Wahl, wie der moderne Dichter meint, seine zerstörenden Blitze sendet. Eine solche Naturmacht kann, unerachtet der verderblichen Kräfte die ihr zu Gebote stehen, doch eine an sich gute und dem Menschen wohlgesinnte sein, die jene unholden Wirkungen nur dann eintreten läßt, wenn der Mensch sie gegen sich aufgebracht, zum Zorn gereizt hat. Um so leichter wird es dem Menschen sein, die erregte Leidenschaft eines an sich freundlichen Wesens durch Beweise seiner Unterwürfigkeit und Ergebenheit zu begütigen.

Ist aber einmal eine Naturerscheinung, oder ein Complex zusammengehöriger Naturwirkungen, zunächst etwa diejenigen, von denen Wohl und Wehe der Menschen eines Landes ganz besonders abhängt, wie z. B. in Aegypten der Nil auf der einen, der Wüstenwind auf der andern Seite, in solcher Art personificirt, so macht dieses Verfahren bald im ganzen Kreise der Natur und des menschlichen Lebens die Runde. Dem Himmel als Uranos oder Zeus tritt die Erde als Gäa oder Demeter, das Meer als Poseidon gegenüber; die Viehzucht und der Ackerbau, die Brodfrucht und die Rebe haben ihre besonderen Götter; die Musik und die Heilkunst, der Handel und der Krieg. Dabei verfährt die Phantasie der Völker äußerst frei und sorglos: dieselben Gebiete werden bald an verschiedene Götterwesen vertheilt, bald wieder einem und demselben Gott als besondere Seiten und Aeußerungen beigelegt. Apollo ist neben der Musik und Weissagung auch Gott der Heilkunst, die er doch zugleich an seinen Sohn Aesculap als besonderen Vorsteher übertragen hat; Kriegsgott ist Mars, aber auch Minerva ist eine kriegerische Göttin, in jenem ist, der Krieg als das rohe unmenschliche Handwerk, in dieser gleichsam die rationelle Kriegskunst personificirt. Und welche Masse von Funktionen und Beinamen, vom Stator bis zum Pistor und Stercutius, von der Regina bis zur Pronuba und Lucina, wurden nicht auf Jupiter und Juno gehäuft, um ihnen in buntem Wechsel zum Theil auch wieder durch Untergottheiten abgenommen zu werden.

Je weiter nämlich ein Volk in der Gesittung fortschreitet, desto mehr wird ihm neben der Natur mit ihren Schrecken und Segnungen das menschliche Leben mit seinen verschiedenen Verhältnissen zur wichtigen Angelegenheit. Und je mehr auch im Menschenleben Unsicherheit und Wagniß ist, je Mehreres auch hier von Umständen abhängt, die sich der menschlichen Berechnung, und noch mehr der menschlichen Macht entziehen, desto dringender ist für den Menschen das Bedürfnis auch hier Gewalten vorauszusetzen, die seinem eigenen Wesen verwandt, seinen Wünschen und Bitten zugänglich seien. Zugleich tritt jetzt die sittliche Natur des Menschen als mitwirkender Factor ein: der Mensch will sich nicht blos gegen andere, sondern auch sein höheres Streben gegen seine eigene Sinnlichkeit und Willkür schützen, indem er hinter die Forderungen seines Gewissens als Rückhalt eine gebietende Gottheit stellt.

Wie hülflos findet sich im fremden Lande und Volke der Ankömmling, und wie leicht ist es dem Eingeborenen, von dieser wehrlosen Lage Vortheil zu ziehen: aber es gibt einen Zeus Xenios, der die Gäste schützt. Wie unsicher, ist es, sich auf Versprechungen der Menschen, und wären es eidliche, zu verlassen, und wie nahe liegt unter Umständen die Versuchung, sich denselben zu entziehen: aber es waltet ein Zeus Horkios der den Meineid straft. Nicht immer wird der blutige Mord von den Menschen entdeckt: aber die schlummerlosen Erinnyen heften sich dem flüchtigen Mörder an die Sohlen. Eines der wichtigsten Lebensverhältnisse ist bei gesitteten Völkern immer die Ehe gewesen: aber welch ein Wagniß, wie vielfache Möglichkeit unglücklicher Erfolge, wie viel Versuchung auch zu unrechtem Thun liegt darin. Dagegen schafft sich der fromme Grieche und Römer in der himmlischen Ehe zwischen Zeus und Here eine Gewähr. Sie ist zwar keine Musterehe im idealen Sinne, vielmehr ein Vorbild auch der Gebrechlichkeit der menschlichen Ehe, von den Griechen überdieß mit der ganzen sittlichen Leichtfertigkeit dieses Volkes ausgemalt: aber Jupiter und Juno stiften und bewahren doch die ehelichen Verbindungen unter den Menschen; Juno insbesondere führt dem Manne die Braut zu, geleitet sie in sein Haus, löst ihr den Gürtel, wie sie später die Mißhelligkeiten unter den Gatten löst, und fördert endlich die ersehnte Frucht der Ehe, die Kinder, ohne Gefahr für die Gebärende an's Licht.

35.

Die ursprüngliche und in gewissem Sinne natürliche Form der Religion ist hienach die Vielgötterei gewesen. Es war eine Mehrheit von Erscheinungen, die sich dem Menschen darstellten, eine Mehrheit von Mächten, die auf ihn eindrangen, und vor denen er sich geschützt oder deren er sich versichert wünschte, eine Mannigfaltigkeit von Lebensverhältnissen, die er geweiht und begründet haben wollte: so mußte ihm naturgemäß auch eine Mehrheit göttlicher Wesen entstehen. Dieß wird durch die Beobachtung bestätigt, daß alle diejenigen Völker der Erde, die sich noch in einer Art von Naturzustand befinden, jetzt wie ehedem polytheistisch waren oder sind. Der Monotheismus erscheint überall in der Geschichte, auch in der jüdischen, als etwas Secundäres, als etwas aus früherem Polytheismus erst mit der Zeit Hervorgegangenes. Wie machte sich dieser Uebergang?

Man sagt wohl, eine genauere Beobachtung der Natur habe die Menschen auf den Zusammenhang aller ihrer Erscheinungen, auf die Einheit des Planes führen müssen, in dem alle ihre Gesetze zusammenlaufen. Und ebenso habe sich auf Seiten des Denkens schließlich ergeben müssen, daß mehrere Götterwesen sich gegenseitig einschränken, mithin entgöttern müßten, daß die Gottheit im wahren und vollen Sinne nur Eine sein könne. Dergleichen Einsichten seien einzelnen hochbegabten Männern der Vorzeit aufgegangen, und diese somit Stifter des Monotheismus geworden.

Wir kennen die hochbegabten Männer wohl, denen solche Einsichten auf diesem Wege aufgegangen sind: es sind die griechischen Philosophen gewesen; aber sie sind nicht Stifter einer Religion, sondern philosophischer Systeme und Schulen geworden. Eine ähnliche Bewandtniß hat es mit dem schwankenden Monotheismus der indischen Religion; er ist eine esoterische, mystische Lehre, die sich aus dem volksthümlichen Polytheismus als Ahnung von Wenigen entwickelt hat.

In der festen geschlossenen Gestalt einer Volksreligion tritt uns, der Monotheismus zuerst bei den Juden entgegen. Und hier sehen wir zugleich in seine Entstehung deutlich hinein. Aus tieferer Beobachtung der Natur ist der jüdische Monotheismus gewiß nicht hervorgegangen; denn die Juden bekümmerten sich langehin nur für ihr Bedürfniß um die Natur. Ebenso wenig aus philosophischer Spekulation; denn vor dem Anstoß, den sie später durch die Griechen erhielten, speculirten die Juden, wenigstens in philosophischem Sinne, nicht. Der Monotheismus ist, dieß wird an dem jüdischen augenscheinlich (und bestätigt sich weiterhin am Islam) ursprünglich und wesentlich die Religion einer Horde. Die Bedürfnisse eines solchen nomadischen Haufens sind, wie seine geselligen Einrichtungen, sehr einfach; und wenn denselben gleich zunächst, wie dieß auch hier als das Ursprüngliche vorauszusetzen ist, verschiedene Fetische, Dämonen oder Götterwesen mögen vorgestanden haben, so traten doch diese Unterschiede, je mehr die Horde, wie eben die in Kanaan eingefallenen Israeliten, im Streite mit ihresgleichen oder mit anders organisirten Stämmen und Völkern sich in sich selbst zusammenfaßte, desto mehr hinter den Gegensatz gegen diese zurück. Wie es Ein Selbstgefühl war, das die Horde beseelte, das sie im Kampfe mit andern stärkte, ihr Siegeshoffnung und selbst im Unterliegen die Zuversicht künftiger Obmacht gab: so war es auch nur Ein Gott dem sie diente, von dem sie alles erwartete: oder vielmehr dieser ihr Gott war eben nur ihr vergöttertes Selbstgefühl. Allerdings standen diesem Einen Gott der Horde zunächst die Götter der andern Horden oder Völker, mit denen sie in Berührung kam, dem Gotte Israels die Götter der Stämme Kanaans, gegenüber; aber als die schwächeren, die schlechteren, zur Ueberwindung durch den Hordengott bestimmten, als unwahre, nichtige Götter, die zuletzt wirklich in Nichts verschwinden und den einen wahren Gott als den alleinigen übrig lassen mußten.

Es ist nur ein altes judenchristliches Vorurtheil, den Monotheismus an sich schon dem Polytheismus gegenüber als die höhere Religionsform zu betrachten. Es gibt einen Monotheismus, der über dem Polytheismus steht; aber auch einen, bei dem das Gegentheil der Fall ist. Wer den Griechen der Jahrhunderte von Homer bis Aeschylus hatte ansinnen wollen, ihren olympischen Götterkreis mit dem einen Gotte des Sinai zu vertauschen, der hätte ihnen zugemuthet, ihr volles reiches nach allen Seiten hin Zweige und Blüthen schönster Menschlichkeit treibendes Leben gegen die Armuth und Einseitigkeit des jüdischen Wesens aufzugeben. Noch in Schillers Göttern Griechenlands tönt die Klage über die Verarmung des Lebens durch den Sieg des Monotheismus wieder; und doch ist der eine Gott, mit dem er es zu thun hatte, bei weitem nicht mehr der alte Judengott.

Einen Vorzug indeß erreicht der Monotheismus gleichsam gelegentlich, der weiterhin die bedeutendsten Wirkungen entfaltet. Die vielen Götter werden, ihrer Entstehung gemäß, auch wenn sie noch so sehr auf das sittliche Gebiet hinübergezogen werden, immer an einzelne Naturkräfte und Naturerscheinungen gebunden bleiben, und damit, wie wir an den griechischen Göttern sehen, in ihrem Wesen etwas Sinnliches behalten. Schon der vom Polytheismus unzertrennliche Geschlechtsunterschied der Götter ist der Beweis davon. Dagegen wird sich der eine Gott, schon weil er der Eine und die Natur eine Vielheit von Erscheinungen und Kräften ist, nothwendig über die Natur erheben. Diese Erhebung wurde von Seiten des jüdischen Volts zwar nur allmählig und gleichsam widerwillig, doch schließlich um so strenger vollzogen, je tiefer die Nachbarstämme, mit denen es zu kämpfen hatte, in den Dienst roher Naturgötter versunken waren. Diese waren dem Juden bis auf ihre Bilder hinaus abscheulich; darum untersagte er sich schließlich von seinem Gotte jedes Bild. Der Dienst jener Naturgötter, bald in's Gräuelhafte, bald in's Sinnliche ausschweifend, mußte dem Verehrer des einen über der Natur stehenden Gottes als ein unreiner erscheinen; er widmete seinem Gotte zwar noch lange keinen geistigen, doch einen solchen Dienst, bei welchem Reinheit ein Hauptaugenmerk war. Aus dieser zunächst äußerlichen Reinheit entwickelte sich durch allmählige Vertiefung die innerliche; der eine Gott wurde zum strengen Gesetzgeber; der Monotheismus die Pflanzschule der Zucht und Sittlichkeit.

Dabei war er jedoch im jüdischen Volke noch durch einen naturwüchsigen Particularismus beschränkt. Die Vorschriften, die Jehova seinem Volke gab, waren zum großen Theil auf die Absonderung dieses Volkes von allen andern berechnet. Der eine Gott war wohl der Weltschöpfer, dabei aber nicht in gleicher Weise der Gott aller Völker, sondern im vollen Sinne nur des kleinen Stamms seiner Verehrer, dem gegenüber er die übrigen Völker als Stiefkinder behandelte. Damit hing etwas Hartes, Schroffes, persönlich Leidenschaftliches in dem ganzen Wesen dieses Gottes zusammen. Hier erwartete der jüdische Gottesbegriff seine Ergänzung aus der griechischen Welt. In Alexandria war es, wo der jüdische Stamm- und Nationalgott mit dem Welt- und Menschheitsgotte zusammenfloß und bald zusammenwuchs, den die griechische Philosophie aus der olympischen Göttermenge ihrer Volksreligion heraus entwickelt hatte.

36.

Unser heutiger monotheistischer Gottesbegriff hat zwei Seiten, die der Absolutheit und die der Persönlichkeit, die zwar in ihm vereinigt sind, doch so, wie bisweilen in einem Menschen zwei Eigenschaften, davon die eine ihm nachweislich von der väterlichen, die andre von der mütterlichen Seite kommt: das eine Moment ist die jüdisch-christliche, das andre die griechisch-philosophische Mitgift unsres Gottesbegriffs. Das alte Testament, können wir sagen, hat uns den Herrn-Gott, das neue den Gott-Vater, die griechische Philosophie aber hat uns die Gottheit oder das Absolute vererbt.

Auch der Jude allerdings dachte sich seinen Jehova absolut, so weit er für diesen Begriff die Fassungskraft hatte, d. h. wenigstens in Macht und Dauer unbeschränkt; vor Allem aber war ihm sein Gott ein Wesen, das sich als persönliches geltend machte. Nicht blos daß derselbe in der Urzeit im Garten wandelt und mit Adam spricht daß er später in menschlicher Verkleidung sich von dem Erzvater unter dem Baume bei seiner Hütte bewirthen läßt; daß er mit dem Gesetzgeber auf dem Berge verhandelt und ihm selbst die beiden Tafeln einhändigt: sondern seine ganze Haltung als zorniger und eifriger Gott, der es bereut, die Menschen gemacht zu haben, und sie zu vertilgen sich anschickt, der die Vergehungen seines erwählten Volkes als Beleidigungen aufnimmt und rächt, ist durchaus die eines persönlichen Wesens. Die im Christenthum geschehene Verwandlung des Herrn-Gottes in den Gott-Vater hat das persönliche Moment nicht angetastet, im Gegentheil ihm noch Verstärkung gebracht. Je gemüthlicher der Verkehr des Frommen mit seinem Gotte sich gestaltet, desto sicherer wird ihm derselbe als Person erscheinen, da ein gemüthliches Verhältniß nur zu einer Person, wenigstens einer vermeintlichen, möglich ist.

Dagegen war es der Philosophie bei ihrem Gottesbegriff von jeher in erster Linie um die andre Seite, die der Absolutheit, zu thun. Sie wollte ein höchstes Wesen haben, von dem sie das Dasein und die Einrichtung der Welt ableiten konnte. Dabei waren ihr aber gerade manche von den persönlichen Attributen, die Judenthum und Christenthum ihrem Gottesbegriff beigemischt hatten, hinderlich und anstößig. Nicht nur den bereuenden und zornigen, auch einen Gott, bei dem durch menschliche Gebete etwas zu erreichen ist, konnte sie nicht brauchen. Sie ging nicht darauf aus, Gott die Persönlichkeit zu nehmen, aber sie arbeitete darauf hin. Denn sie wollte ihren Gott schrankenlos haben, und die Persönlichkeit ist eine Schranke.

Man findet bisweilen Copernicus als denjenigen hingestellt, der durch sein neues Weltsystem dem alten Juden- und Christengotte gleichsam den Stuhl unter dem Leibe weggezogen habe. Das ist ein Irrthum, nicht blos in persönlicher Beziehung, sofern Copernicus wie Kepler und Newton nicht aufhörte, ein gläubiger Christ zu sein; sondern auch in Bezug auf seine Theorie. Diese verhielt sich nur für den Kreis unsres Sonnensystems reformatorisch; jenseits desselben ließ sie die Fixsternsphäre, das erweiterte biblische Firmament, bestehen, eine feste crystallene Kugelschale, die wie eine Nußschale unsre Sonnen- und Planetenwelt umschloß, so daß jenseits ihrer Raum genug für einen wohleingerichteten Himmel mit Gottesthron u.s.w. blieb. Erst wie in der Folge durch fortgesetzte Beobachtung und Rechnung die Fixsterne als ähnliche Körper wie unsre Sonne, muthmaßlich mit ähnlichen Planetensystemen um sich her, erkannt waren, als die Welt sich in eine Unendlichkeit von Weltkörpern, der Himmel in einen optischen Schein auflöste: da erst trat an den alten persönlichen Gott gleichsam die Wohnungsnoth heran.

Man sagt wohl, das schade nichts, man wisse ja längst, daß Gott, allgegenwärtig, eines besonderen Sitzes nicht bedürfe. Das weiß man allerdings, aber man vergißt es auch wieder. Der Verstand denkt sich Gott wohl allgegenwärtig, aber die Einbildungskraft kann sich darum doch des Bestrebens nicht entschlagen, sich ihn räumlich vorzustellen. Das konnte sie früher ungehindert, als sie noch über einen geeigneten Raum verfügte; jetzt ist es ihr erschwert durch die Einsicht, daß ein solcher Raum nirgends vorhanden ist. Denn diese Einsicht dringt aus dem Verstande unabwendbar auch in die Einbildungskraft hinüber. Wer das Weltsystem nach dem jetzigen Stande der Astronomie in der Vorstellung trägt, kann sich einen thronenden von Engeln umgebenen Gott nicht mehr vorstellen.

Die Engelumgebung gehört aber mit dazu, wenn man sich Gott persönlich denken will. Eine Person muß auch ihre Gesellschaft, ein Herrscher seine Dienerschaft haben. Die Engel aber fallen bei unsrer jetzigen Weltvorstellung gleichfalls weg, die nur noch Bewohner von Weltkörpern, keinen göttlichen Hofstaat mehr kennt. Also kein Himmel als Palast mehr, keine Engel, die um seinen Thron versammelt sind, ferner auch Donner und Blitz nicht mehr seine Geschosse, Krieg, Hunger, und Pest nicht mehr seine Geißeln, sondern Wirkungen natürlicher Ursachen: seit er so alle Attribute persönlichen Seins und Waltens verloren hat, wie könnten wir uns Gott noch persönlich denken?

37.

Aus mehr als einer Reisebeschreibung ist uns bekannt, welchen schreckhaften Eindruck auf wilde Völker die von ihnen nicht vorhergesehenen Sonnen- und Mondsfinsternisse fort und fort machen, wie sie durch Geschrei und Getöse aller Art dem leuchtenden Wesen beizustehen, die große Kröte, oder wie sie sich das verfinsternde Princip vorstellen mögen, von ihm abzutreiben suchen. Das ist in der Ordnung; wie es andrerseits in der Ordnung ist, daß diese Erscheinungen uns, denen sie nach den Berechnungen der Astronomen im Kalender vorausgesagt werden, nicht mehr religiös erregen, daß selbst der unwissendste Bauer kein Ave Maria oder Vaterunser beten wird, um sie unschädlich zu machen.

Wie aber, wenn noch im Jahre 1866 englische Lords dem Grafen Russell darüber Vorwürfe machten, daß er gegen eine ausgebrochene Viehseuche keinen allgemeinen Bußtag angeordnet habe, soll man da an hochkirchliche Verdummung oder an elende Heuchelei denken? Wenn in einer tiefkatholischen Gegend im Sommer einmal der Regen allzulange ausbleibt, die anhaltende Dürre den Feldfrüchten verderblich zu werden droht, da können wir uns vorstellen, wie die Bauern von ihrem Pfarrer erwarten, daß er einen Bittgang um die Flur halte, um vom Himmel Regen zu erflehen. Wenn wir einer solchen Procession draußen begegnen, werden wir über die Bauern ein o sancta simplicitas ausrufen; den Pfarrer betreffend, werden wir bis auf Weiteres im Anstande lassen, ob er dabei mehr dem Begehren der frommen Einfalt nachgegeben, oder demselben in hierarchischer Absicht zuvorgekommen sei; jedenfalls aber uns in dem Verlangen bestärkt finden, daß durch verbesserten Schulunterricht auch dem Landmann klar gemacht werden möge, wie er es hier mit einer Naturerscheinung zu thun hat, die ihren ebenso festen Gesetzen wie Sonnen- und Mondsfinsternisse unterliegt, wenn dieselben auch noch nicht so sicher wie die Gesetze von diesen erforscht sind.

Nicht ganz dasselbe ist es, wenn die Pest, die Cholera in's Land gedrungen, in einer Stadt ausgebrochen ist, in allen Straßen, allen Häusern, ihre Opfer fordert. Oder wenn, wie bei uns im vorigen Jahre, die Mehrzahl der Söhne eines Volkes in den Krieg gezogen, dem Feinde kämpfend gegenübersteht. Da ergeben sich in beiden Fallen öffentliche Gebete – dort der noch Gesunden, hier der Daheimgebliebenen – von selbst, wovon die Massen Erhörung, d. h. eine objective Wirkung zu Gunsten der in Gefahr Befindlichen, erwarten, während die Denkenden sich bescheiden, im gemeinsamen Gebete sich subjective Förderung, Fassung und Aufrichtung des Gemüths (das Einzige, was auch den Andern in Wirklichkeit zu Theil wird) zu erringen.

Ein wahres und ächtes Gebet freilich, darin hat Feuerbach ganz Recht, ist nur dasjenige, mittelst dessen der Betende hofft, möglicherweise etwas herbeiführen zu können, das außerdem nicht geschehen sein würde. Ein solcher Beter ist Luther gewesen. Er war fest überzeugt, durch sein Gebet und die Vorwürfe, die er Gott für den Fall machte, daß er seinen unentbehrlichen Mitarbeiter jetzt schon von seiner Seite nähme, den schwerkranken Melanchthon vom Tode errettet zu haben. Ein solcher Beter ist Schleiermacher nicht mehr gewesen. Er sah gar zu deutlich ein, daß jeder Anspruch, durch menschliche Wünsche, und wenn es die reinsten und verständigsten wären, auf den göttlichen Rathschluß einwirken zu wollen oder zu können, ebenso ungereimt als unfromm sei. Ein Beter aber ist er gleichwohl noch gewesen; nur daß er die Bedeutung des Gebets nicht mehr in die Herbeiführung eines objectiven Erfolges, sondern in die subjective Rückwirkung auf das Gemüth des Betenden setzte. Daß es im einzelnen Falle möglicherweise bei dieser Wirkung sein Bewenden habe, d. h. Gott das Gebet vielleicht auch nicht erhöre, darauf muß sich allerdings auch der gläubigste Beter gefaßt machen. Aber er setzt doch die Erhörung, d. h. die objective Wirksamkeit desselben im Allgemeinen als möglich und in seinem Falle als nicht unwahrscheinlich voraus. Wenn ich dagegen z. B. um die Erhaltung eines mir theuren Lebens bete, während ich doch klar einsehe, daß ich dadurch in dieser Rücksicht nicht das Mindeste ausrichten kann, d. h. daß, wenn der Gegenstand meines Gebetes allenfalls auch wieder gesund wird, darauf doch mein Gebet so wenig Einfluß gehabt hat, als das Aufheben meines Fingers auf die Bewegung des Mondes, wenn ich trotz und bei dieser Ueberzeugung dennoch bete, so treibe ich mit mir selbst ein Spiel, das zwar durch den augenblicklichen Affect zu entschuldigen, übrigens weder würdig noch unbedenklich ist. Bei Schleiermacher insbesondere waren seine sämmtlichen Gebete aus einer bewußten Illusion heraus gesprochen, aus einer Gewöhnung jüngerer Jahre auf der einen, und aus der Rücksicht auf eine ihn umgebende Gemeinde auf der andern Seite, aus der er sich mit seinem kritischen Bewußtsein absichtlich nicht heraussetzen wollte.

Kant ist kein Beter mehr gewesen, aber um so ehrlicher gegen sich und andere. Noch abgesehen von der vermeintlichen Wirksamkeit des Gebets, gereicht ihm schon die bloße Stellung, die der Betende sich gibt, zum Anstoß. »Man denke sich,« sagt er, »einen frommen und gutmeinenden, übrigens aber in Ansehung gereinigter Religionsbegriffe beschränkten Menschen, den ein andrer, ich will nicht sagen im lauten Beten, sondern auch nur in der dieses anzeigenden Gebärdung überraschte. Man wird, ohne daß ich es sage, von selbst erwarten, daß jener darüber in Verwirrung und Verlegenheit, gleich als über einen Zustand, dessen er sich zu schämen habe, gerathen werde. Warum aber das? Daß ein Mensch mit sich selbst laut redend betroffen wird, bringt ihn vor der Hand in den Verdacht, daß er eine kleine Anwandlung von Wahnsinn habe; und ebenso beurtheilt man ihn nicht ganz mit Unrecht, wenn man ihn, da er allein ist, auf einer Beschäftigung oder Gebärdung betrifft, die nur der haben kann, welcher jemand außer sich vor Augen hat; was doch in dem angenommenen Beispiele nicht der Fall ist.« So Kant in der Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft; noch schärfer spricht er sich in einem Blatte seines Nachlasses aus. »Dem Gebete andre als natürliche« (subjectiv-psychologische) »Folgen beizulegen,« sagt er hier, »ist thöricht und bedarf keiner Widerlegung; man kann nur fragen: ist das Gebet seiner natürlichen Folgen wegen beizubehalten?« Worauf die Antwort dahin geht, daß es in jedem Falle nur je nach den Umständen zu empfehlen sei; »denn derjenige, welcher die vom Gebet gerühmten Wirkungen auf andre Weise erreichen kann, wird desselben nicht nöthig haben.«

Daß hiemit Kant, schlicht und unumwunden wie er pflegt, das Bewußtsein der Neuzeit in Bezug auf das Gebet ausgesprochen habe, wird ebensowenig zu bestreiten sein, als daß mit dem erhörlichen Gebet abermals ein wesentliches Attribut des persönlichen Gottes dahingefallen sei.

38.

So muß also endlich, wie es scheint, das schwere, wenn auch nachgerade etwas altmodisch gewordene, wissenschaftliche Geschütz der sogenannten Beweise für das Dasein Gottes auffahren, die sämmtlich, dem Absehen ihrer Urheber nach, einen Gott im eigentlichen Sinne, und das ist doch nur der persönliche, zu erweisen unternehmen.

Da wird zuerst in dem sogenannten kosmologischen Argument nach dem Gesetze des zureichenden Grundes aus der Zufälligkeit der Welt auf das Dasein eines nothwendigen Wesens geschlossen. Von allen Dingen, die wir in der Welt wahrnehmen, ist keines durch sich selbst, jedes hat den Grund seines Daseins in andern Dingen, die aber im gleichen Falle sind, ihren Grund wieder in andern Dingen zu haben; so wird das Denken immer weiter von einem zum andern geschickt, und kommt nicht eher zur Ruhe, als bis es bei dem Gedanken eines Wesens angekommen ist, das den Grund seines Daseins nicht wieder in einem andern, sondern in sich selbst trägt, nicht mehr ein zufälliges, sondern ein nothwendiges Wesen ist.

Allein für's Erste müßte dieses nothwendige Wesen noch lange kein persönliches sein; es wäre nur eine oberste Ursache, noch kein intelligenter Urheber der Welt erwiesen. Für's Zweite aber ist es nicht einmal mit der Ursache richtig. Die Ursache ist ein anderes als die Wirkung; die Weltursache wäre etwas anderes als die Welt, wir kämen also mit unserm Schlusse über die Welt hinaus. Allein geht denn das auch mit rechten Dingen zu? Wenn wir bei den einzelnen Wesen oder Erscheinungen in der Welt, wir mögen deren untersuchen so viele wir wollen, regelmäßig zu dem Ergebniß kommen, daß jedes einzelne seinen Grund in andern einzelnen habe, die für sich wieder in demselben Falle sind, so schließen wir mit Recht, daß das Gleiche bei allen einzelnen Dingen und Erscheinungen, auch denen, die wir nicht besonders untersucht haben, der Fall sein werde. Aber kann denn daraus gefolgert werden, daß nun die Gesammtheit der einzelnen Dinge ihren Grund in einem Wesen habe, das nicht im gleichen Falle ist, das seinen Grund nicht, wie jene durchaus, wieder in einem andern, sondern in sich selber hat? Das ist ein Schluß, dem jeder Zusammenhang in sich, jede Schlußkraft fehlt. Auf dem Wege einer ordentlichen Schlußfolgerung kommen wir über die Welt nicht hinaus. Wenn von den Dingen in der Welt jedes seinen Grund in einem andern hat, und so fort in's Unendliche, so erhalten wir nicht die Vorstellung einer Ursache, deren Wirkung die Welt wäre, sondern einer Substanz, deren Accidenzien die einzelnen Weltwesen sind. Wir erhalten keinen Gott, sondern ein auf sich selbst ruhendes im ewigen Wechsel der Erscheinungen sich gleichbleibendes Universum.

Doch der kosmologische Beweis, sagt man uns, ist nicht für sich zu nehmen; er muß, um seine rechte Bedeutung zu gewinnen, mit dem teleologischen oder physico-theologischen verbunden werden. Dieser nimmt nicht blos die kahle Thatsache des abhängigen zufälligen Daseins aller Weltwesen, sondern deren bestimmte Beschaffenheit, ihre zweckmäßige Einrichtung im Ganzen und Einzelnen, zum Ausgangspunkt. Wo wir hinsehen in der Welt, im Kleinen wie im Großen, in der Einrichtung des Sonnensystems wie in dem Bau und der Ernährung des kleinsten Insects, sehen wir Mittel aufgeboten, durch welche Zwecke erreicht werden; wir dürfen die Welt als ein Ganzes von unendlich zweckmäßiger Einrichtung bezeichnen. Zwecke zu setzen aber und Mittel vorzukehren, wodurch sie erreicht werden, ist ausschließlich Sache des Bewußtseins, der Intelligenz; wir haben also die Weltursache des kosmologischen Beweises kraft des physico-theologischen als einen intelligenten persönlichen Schöpfer zu bestimmen.

Wenn uns aber, wie so eben gezeigt, das kosmologische Argument keine transscendente Weltursache, sondern nur eine immanente Weltsubstanz geliefert hat, wie dann? Ja dann wird eben nur diese Weltsubstanz ein Prädicat weiter erhalten haben; sie wird uns jetzt ein Wesen sein, das sich in einem, unendlichen Wechsel nicht blos ursächlich, sondern auch zweckmäßig verknüpfter Erscheinungen manifestirt. Dabei werden wir uns jedoch vor einer Verwechslung zu hüten haben. Wir werden nicht schließen dürfen: weil wir Menschen ein Werk, dessen Theile zur Herbeiführung einer gewissen Wirkung zusammenstimmen, nur mittelst der bewußten Vorstellung eines Zwecks und ebenso bewußter Auswahl der Mittel zu Stande bringen können, so können auch die so beschaffenen Werke der Natur nur ebenso, folglich durch einen intelligenten Schöpfer zu Stande gekommen sein. Das folgt gar nicht, und die Natur selbst belehrt uns, daß die Voraussetzung, nur bewußte Intelligenz könne Zweckmäßiges schaffen, eine irrige ist. Schon Kant hat hiebei an die Kunsttriebe mancher Thiere erinnert, und Schopenhauer bemerkt mit Recht, überhaupt der Instinct der Thiere gebe uns die beste Erläuterung zu der Teleologie der Natur. Wie nämlich der Instinct ein Handeln ist, das aussieht, als geschähe es nach einem bewußten Zweck, und doch ohne einen solchen geschieht, so ist dasselbe bei den Hervorbringungen der Natur der Fall. Wie sie aber dabei zu Werke geht, das kann sich uns erst später ergeben.

Von den übrigen sogenannten Beweisen für das Dasein Gottes ist nur noch der moralische erwähnenswerth. Derselbe schließt entweder einfach aus der absoluten Verbindlichkeit, womit in unsrem Innern das Sittengesetz sich ankündigt, auf seinen Ursprung von einem absoluten Wesen; oder zusammengesetzter aus der Notwendigkeit, womit wir die Förderung des höchsten Gutes in der Welt, der Sittlichkeit mit entsprechender Glückseligkeit, uns vorsetzen, auf das Dasein eines Wesens, das dieses richtige Verhältniß zwischen beiden Seiten, das sich in der Welt keineswegs von selbst macht, in einem künftigen Leben zu verwirklichen im Stande ist.

Allein hier haben wir im mindesten nichts weiter als – in der ersten Form dieses vermeintlichen Beweises – die Einrichtung unsres Vernunftinstincts, die sittlichen Vorschriften, die sich mit Nothwendigkeit aus dem Wesen der menschlichen Natur, oder den Bedürfnissen der menschlichen Gesellschaft ergeben, so lange dieser Ursprung noch nicht erkannt ist, gleichsam an den Himmel zu befestigen, um sie der Gewalt oder List unsrer Leidenschaften zu entziehen. In der andern von Kant ausgedachten Form aber ist dieser Beweis gleichsam das Ausdingstübchen, worin der in seinem System übrigens zur Ruhe gesetzte Gott noch anständig untergebracht und beschäftigt werden soll. Die Uebereinstimmung von Sittlichkeit und Glückseligkeit, d. h. von Handeln und Empfinden, wovon der Beweis ausgeht, ist in einer Beziehung, im Innern, schon von selbst vorhanden; daß sie sich auch im äußern Zustande verwirkliche, ist unser natürlicher Wunsch und rechtmäßiges Bestreben; dessen stets nur unvollkommene Befriedigung aber nur in einer berichtigten Vorstellung von Welt und Glück, nicht in dem Postulat eines deus ex machina ihre Ausgleichung findet.

39.

Kant, sagten wir, nachdem er die übrigen Beweise für das Dasein Gottes, wie sie nach dem Vorgang älterer Philosophen und Theologen zuletzt in dem Leibniz-Wolffschen Systeme formulirt worden waren, kritisch aufgelöst, und sein eigenes System (ich meine das spätere, das auf der Kritik der reinen Vernunft beruht, wozu die bald näher zu besprechende kosmogonische Abhandlung noch nicht gehört) ohne Rücksicht auf den Gottesbegriff zu Stande gebracht hatte, wollte doch den Gott seiner Jugend und Erziehung nicht ganz missen, und wies ihm daher an einer leeren Stelle des Systems wenigstens eine aushelfende Rolle an.

Radicaler ging während der ersten systematischen Periode seines Philosophirens Fichte zu Werke. Er bestimmte Gott als die moralische Weltordnung, zwar einseitig, wie sein ganzes System, in welchem die Natur nicht zu ihrem Rechte kommt; wies aber dabei die Vorstellung eines persönlichen Gottes mit Gründen zurück, die für alle Zeiten unwiderleglich bleiben werden. »Ihr leget Gott Persönlichkeit und Bewußtsein bei,« sagt er, als er sich um jener Auffassung des Gottesbegriffs willen des Atheismus angeklagt sah; »was nennet ihr denn nun Persönlichkeit und Bewußtsein? Doch wohl dasjenige, was ihr in euch selbst gefunden, an euch selbst kennen gelernt und mit diesem Namen bezeichnet habt? Daß ihr aber dieses ohne Beschränkung und Endlichkeit nicht denket noch denken könnet, kann euch die geringste Aufmerksamkeit auf die Konstruktion dieses Begriffes lehren. Ihr machet sonach dieses Wesen durch die Beilegung jenes Prädicats zu einem endlichen, zu einem Wesen euresgleichen, und ihr habt nicht, wie ihr wolltet, Gott gedacht, sondern nur euch selbst im Denken vervielfältigt.« In seiner späteren mystischen Periode hat Fichte von Gott und Göttlichem zwar viel, doch nirgends so geredet, daß sich von seiner Gotteslehre eine begriffsmäßige Vorstellung geben ließe.

Die absolute Identität des Realen und Idealen, der oberste Begriff des ursprünglichen Schelling'schen Systems, stand, was unsre Frage betrifft, der Spinozischen Substanz mit ihren beiden Attributen der Ausdehnung und des Denkens durchaus gleich, d. h. es war an einen persönlichen außerweltlichen Gott dabei nicht zu denken. Das neuschelling'sche Philosophiren suchte diesen Begriff wieder zu begründen; aber in einer Art, die nicht im Stande gewesen ist, sich wissenschaftliche Geltung zu verschaffen.

Hegel endlich mit seinem Satze, alles komme darauf an, daß die Substanz als Subject oder als Geist begriffen werde, hat seinen Auslegern ein Räthsel, seinen Anhängern eine Ausflucht hinterlassen. Die einen sahen darin geradezu das Bekenntniß eines persönlichen Gottes; während andere aus deutlicheren Aussprüchen des Philosophen wie aus dem ganzen Geiste seines Systems nachwiesen, daß damit nur Werden und Entwicklung als wesentliches Moment im Absoluten gesetzt; weiterhin das Denken, das Gottesbewußtsein im Menschen, als die ideale Existenz Gottes der Natur als der realen gegenübergestellt werden sollte.

Klarer und unumwundener als die zuletzt genannten hat sich – zum Verwundern, wenn man will; aber das Vertuschen geht bei ihm immer erst an, wenn er an das Christenthum kommt – Schleiermacher über diesen Punkt ausgesprochen. Schon aus seinen Reden über die Religion wußte man, daß er wenig Gewicht darauf legte, ob einer das Wesen, von dem wir uns schlechthin abhängig fühlen, als ein persönliches oder als ein unpersönliches fasse; und auch die einschlägigen Aeußerungen seiner Glaubenslehre waren nicht dazu angethan, den pantheistischen Schein, der über seiner Denkart lag, zu zerstreuen. In seiner nachgelassenen Dialektik nun hat er sich mit aller wünschenswerthen Deutlichkeit über diesen Punkt erklärt. Die beiden Ideen: Gott und Welt, sagt er hier, sind einerseits nicht identisch. Denn wenn wir Gott denken, so setzen wir eine Einheit ohne Vielheit, denken wir aber die Welt, eine Vielheit ohne Einheit; oder die Welt ist die Totalität aller Gegensätze, die Gottheit die Negation aller Gegensätze. Andrerseits jedoch ist auch keine dieser beiden Ideen ohne die andre zu denken. Sobald man insbesondre Gott vor der Welt oder ohne die Welt denken will, wird man sofort inne, daß man nur noch ein leeres Phantasiebild vor sich hat. Wir sind nicht befugt, ein andres Verhältniß zwischen Gott und Welt zu setzen, als das des Zusammenseins beider. Sie sind nicht dasselbe, aber es sind doch »nur zwei Werthe für die gleiche Sache.« Dabei sind übrigens beide Ideen nur unausgefüllte Gedanken, bloße Schemata, und wenn wir sie ausfüllen und beleben wollen, ziehen wir sie nothwendig in das Gebiet des Endlichen herab; wie wenn wir Gott als bewußtes absolutes Ich uns vorstellen.

So weit Schleiermacher; und wir dürfen hinzufügen, daß in diesen Sätzen das Gesammtergebniß der ganzen neuern Philosophie in Bezug auf den Gottesbegriff enthalten ist. Dieser Begriff beruht darauf, daß in der Auffassung des Seienden, um die Schleiermacher'sche Formel beizubehalten, das Moment der Einheit von dem der Vielheit getrennt, das Eine als die Ursache des Vielen bestimmt, und weil das letztere als ein in sich zweckmäßig Verknüpftes erscheint, dem erstern Bewußtsein und Intelligenz beigelegt wird. Da nun aber die richtige Auffassung des Seienden nur die sein kann, es als Einheit in der Vielheit und umgekehrt zu begreifen, so bleibt als die eigentlich oberste Idee nur die des Universum übrig. Diese kann und wird sich uns mit allem demjenigen erfüllen und bereichern, was wir in der natürlichen wie in der sittlichen Welt als Kraft und Leben, als Ordnung und Gesetz erkennen werden; über sie hinauszukommen aber wird uns niemals möglich sein, und wenn wir es dennoch versuchen und uns einen Urheber des Universum als absolute Persönlichkeit vorstellen, so sind wir durch alles Bisherige zum Voraus belehrt, daß wir uns lediglich mit einem Phantasiegebilde zu schaffen machen.

40.

Doch wir haben hier noch etwas nachzuholen, das wir an die letzte, Kantische Wendung des sogenannten moralischen Argumentes für das Dasein Gottes anknüpfen können. Diese sah sich, wie wir fanden, um an's Ziel zu kommen, genöthigt, ihren Weg eine Strecke weit über das Feld eines zukünftigen Lebens zu nehmen. Mit diesem Felde, der sogenannten Unsterblichkeit der Seele, haben wir uns hier noch einen Augenblick besonders zu beschäftigen, sofern neben dem Glauben an Gott vor allem noch der an Unsterblichkeit zur Religion gerechnet zu werden pflegt.

Der Mensch sieht alle belebten Wesen um sich her, auch die seinesgleichen, schließlich dem Tod erliegen; er weiß, daß auch ihn selbst über kurz oder lang dasselbe Schicksal erwartet: wie kommt er dazu, wenigstens für sich und seinesgleichen den Tod nicht als ein vollständiges Untergehen gelten zu lassen? Zunächst unstreitig dadurch, daß in dem Ueberlebenden die Vorstellung des Verstorbenen auch nach dessen Tode noch fortdauert. Das Bild des dahingeschiedenen Gatten oder Kindes, des Freundes und Genossen, aber auch des Feindes, der ihm zu schaffen machte, erhält sich in dem Zurückgebliebenen noch lange lebendig, umschwebt ihn in einsamen Stunden, und tritt ihm besonders im Traume mit täuschender Wirklichkeit entgegen. Diesem Ursprung des Glaubens an eine Fortdauer nach dem Tode entspricht die ursprüngliche Vorstellung von der Art dieser Fortdauer. Wie es ein Phantasiebild des Verstorbenen ist, das den Ueberlebenden umschwebt, das sich aber auch da, wo es am realsten erscheint, im Traume, beim Erwachen als ein wesenloser Schein erweist, so ist das Todtenreich bei Homer eine Versammlung kraftloser Schatten, die sich erst durch Trinken von Opferblut stärken müssen, um sich zu besinnen und Rede stehen zu können, und die den Händen des Hinterbliebenen, der sie sehnsuchtsvoll umfassen will, wie ein Traumbild entweichen. Bei dieser frühesten Vorstellung von einem künftigen Leben, die wir in der Hauptsache ebenso auch im Alten Testamente finden, liegt alle Realität auf Seiten des jetzigen Lebens: das Selbst des Menschen ist sein Leib, der nach dem Tode entweder durch die Flamme des Scheiterhaufens, oder durch die Verwesung im Grabe, oder durch Hunde und Vögel verzehrt worden ist; die Seele, die ihn überdauert, ist nur ein wesenloser Schemen; dieses ganze Fortexistiren daher ein so werthloses, daß die Seele eines Achilleus bekanntlich lieber der elendeste Tagelöhner auf der Oberwelt, als der Beherrscher sämmtlicher Todten sein möchte, und einer so geplagt sein muß, wie Hiob, um sich in die Unterwelt hinabzuwünschen. Von einem innern Unterschied in dieser Existenz, von dem was wir Vergeltung nennen, kann dabei keine Rede sein; die Todten sind eben sämmtlich leider keine Lebendigen mehr; und wenn allerdings auf der einen Seite Tityos mit seinen Geiern und Sisyphos mit seinem Stein zu sehen ist, auf der andern von Herakles der Schatten zwar gleichfalls in der Unterwelt, er selbst aber im Kreise der unsterblichen Götter sich befindet, so sind dieß nur Riesengestalten der alten Sage, die von dem gewöhnlichen Menschenloos eine Ausnahme machen.

Doch mit der Schärfung des sittlichen Gefühls unter den Völkern drang der Unterschied zwischen Bösen und Guten, dem man im Leben begegnete, nothwendig auch in die Vorstellung von dem Zustand nach dem Tode ein. Unter den Griechen lehrte Sokrates, unter den Juden, mit den letzten Büchern des Alten Testaments, Pharisäer wie Essener, Belohnungen und Strafen in der künftigen Welt. Und vermöge jenes Spiritualismus, der, aus dem höhern Oriente stammend, besonders durch Platon in die griechische Philosophie, in das spätere Judenthum, bald auch in die christliche Kirche eindrang, und selbst in der Denkart der neueren Zeit noch lange herrschend blieb, kehrte sich das Werthverhältniß zwischen dem jetzigen Leben und dem künftigen nun dermaßen um, daß, wie wir bereits früher bei Betrachtung der christlichen Religion gesehen haben, das zukünftige Leben als das eigentlich wahre und reale, das jetzige nur als vorbereitendes Schattenbild, die Erde als ein elendes Vorgemach des Himmels erschien. Der homerische und Alttestamentliche Glaube an ein Schattenreich bedurfte keines Beweises, da er aus der natürlichen Thätigkeit der menschlichen Einbildungskraft von selbst hervorging; verdiente auch keinen, da er von so wenig tröstlichem Inhalte war. Die Lehre dagegen, daß der hier unterdrückte und leidende Rechtschaffene drüben aufgerichtet und belohnt, der hier prassende und schwelgende Bösewicht in einem künftigen Leben bestraft werden solle, diese Vergeltungslehre wollte doch gegen mögliche Zweifel begründet sein; ja die allgemeine Frage konnte in die Länge nicht ausbleiben, woher wir denn überhaupt das Recht nehmen, dem Augenschein, der im Tode den ganzen Menschen wie er war zu Grunde gehen sieht, zu widersprechen, und einen Theil desselben, von dem nirgends etwas wahrzunehmen ist, fortdauern zu lassen. In der That ist diese Voraussetzung der ungeheuerste Machtspruch der sich denken läßt, und wenn man nach seiner Begründung fragt, so stößt man nur auf einen Wunsch. Der Mensch möchte im Sterben nicht zu Grunde gehen, darum glaubt er, er werde nicht zu Grunde gehen. Das ist freilich ein schlechter Grund: daher wird er auf jede Weise herausgeputzt.

Vor Allem soll jene Vergeltungsidee helfen: wir haben nicht blos den Wunsch, sondern, sofern wir fromm und rechtschaffen gewesen sind, auch den Anspruch, nach dem Tode fortzuleben. Um den göttlichen Geboten nachzukommen, haben wir uns hier manche Lust versagt, manche Mühsal und Pein auf uns genommen, auch manche Anfeindung und Verfolgung erlitten: sollte uns das von dem gerechten Gott nicht in einem bessern Jenseits vergolten werden? Und andererseits die Tyrannen, die Menschenschinder, die Frevler und Ruchlosen jeder Art, denen hier alles hinging, alles gelang, sollte es denen auf immer geschenkt sein, sie nicht in einem künftigen Leben dafür zur Rechenschaft gezogen werden? Bekanntlich hat selbst der Apostel Paulus geglaubt, oder zu glauben gemeint – denn ich halte ihn für besser als diesen seinen Spruch – wenn die Tobten nicht auferstehen, dann wären er und seinesgleichen Thoren, wenn sie nicht essen und trinken wollten, statt sich um ihrer Ueberzeugung willen in Gefahr zu begeben. Dieser Beweis mochte in einer gewissen Zeit aller Ehren werth sein; doch nur in einer solchen, die in tieferer sittlicher Lebensbetrachtung noch weit zurück war. »Wer die Behauptung noch in den Mund nehmen mag,« habe ich schon vor Jahren in meiner Glaubenslehre gesagt, »daß es in diesem Leben den Guten so oft schlecht, den Schlechten gut gehe, und darum eine Ausgleichung in einem künftigen Leben nothwendig sei, der zeigt nur, daß er das Aeußere vom Innern, den Schein vom Wesen noch nicht unterscheiden gelernt hat. Ebenso wer für sich selbst noch der Aussicht auf künftige Vergeltung als einer Triebfeder bedarf, der steht noch im Vorhofe der Sittlichkeit, und sehe zu, daß er nicht falle. Denn wenn ihm nun im Verlaufe seines Lebens dieser Glaube durch Zweifel umgestoßen wird, wie dann mit seiner Sittlichkeit? Ja, wie mit dieser auch dann, wenn er ihm unerschüttert bleibt? Wer immer nur schafft, daß er selig werde, der handelt doch nur aus Egoismus.« Es ist die Ansicht des Pöbels, sagt Spinoza, den Dienst der Lüste für Freiheit, das vernünftige Leben aber für einen drückenden Knechtsdienst zu halten, wofür der dadurch erschöpfte Fromme eine künftige Erquickung anzusprechen habe. Die Seligkeit ist kein von der Tugend verschiedener Lohn, sondern diese selbst; sie ist nicht die Folge von unsrer Herrschaft über die Triebe, vielmehr fließt für uns die Kraft, diese zu bezwingen, aus der Seligkeit, die wir in der Erkenntniß und Liebe Gottes genießen.

41.

Drei Jahre vor seinem Tode äußerte Goethe gegen Eckermann: »Die Ueberzeugung unsrer Fortdauer entspringt mir aus dem Begriff der Thätigkeit; denn wenn ich bis an mein Ende rastlos wirke, so ist die Natur verpflichtet, mir eine andere Form des Daseins anzuweisen, wenn die jetzige meinem Geiste nicht ferner auszuhalten vermag.« Gewiß ein großes und schönes Wort, von ebensoviel subjectiver Wahrheit im Munde des bis zum letzten Lebenstage rastlos thätigen Dichtergreises, als ohne jede objective Beweiskraft. »Die Natur ist verpflichtet« was will das sagen? Goethe wußte am Besten, daß die Natur keine Pflichten, sondern nur Gesetze kennt, und daß vielmehr der Mensch verpflichtet ist, diesen Gesetzen sich, und wäre er der begabteste und thatkräftigste, demüthig zu unterwerfen. Was die Natur ihm schuldig war für sein rastloses Wirken, d. h. was nach Naturgesetzen daraus folgte, das hatte Goethe während seines Lebens vollauf genossen in dem gesunden Gefühle seiner Kraft, in der Freudigkeit des Fortschritts und der Vervollkommnung, in der Anerkennung und Verehrung aller besseren Zeitgenossen. Daß er mehr verlangte, war eine Altersschwäche, und daß es dieß war, bekundete sich in der Scheue, womit er während dieser späteren Jahre jeder Erwähnung des Todes aus dem Wege ging. Denn wenn er gewiß war, daß im Falle seines Todes die Natur ihrer Verpflichtung gegen ihn nachkommen werde, wozu die Scheue vor dem Namen?

Dieses Goethe'sche Unsterblichkeitsargument ist übrigens nur eine besondere, ich möchte sagen die heroische Form eines auch sonst gewöhnlichen. Die Bestimmung jedes Menschen sei, heißt es, seine gesammte Anlage zu entwickeln; dazu gelange aber keiner in diesem Leben; folglich müsse noch ein anderes nachkommen, worin es geschehen werde. Natürlich fragen wir, woher man denn von jener angeblichen Bestimmung des Menschen etwas wisse? Sehen wir denn überhaupt die Natur darauf eingerichtet, daß alle Anlagen, alle Keime zur Entwicklung gelangen? Wer das behaupten wollte, der müßte noch nie im Sommer unter Obstbäumen hingegangen sein, wo oft der ganze Boden voll unreif herabgefallener kleiner Birnen und Aepfel liegt, ans deren jedem mehr als ein Baum hätte werden können; müßte nie in einer Naturgeschichte gelesen haben, daß, wenn sämmtliche Fischeier zur Entwicklung kämen, bald alle Flüsse und Meere nicht mehr hinreichen würden, die wimmelnden Schaaren zu beherbergen. Von der Natur also lehrt die Erfahrung gerade das Gegentheil: daß sie mit Keimen und Anlagen verschwenderisch um sich wirft, und es deren eigener Tüchtigkeit im Kampfe mit einander und mit den äußern Umständen überläßt, wie viele davon zur Entfaltung und zur Reife kommen.

Um die Natur im Allgemeinen nun ist es begreiflich jenen Beweisführern auch nicht zu thun; sie möchten nur für den Menschen, d. h. für sich selber, sorgen. Allein da müßten sie beweisen können, daß die Natur mit dem Menschen in Betreff seiner Anlagen eine Ausnahme macht. Aber auch hier versagt ihnen die Erfahrung jeden Dienst. Nicht einmal das ist erfahrungsgemäß, daß in diesem Leben kein Mensch dazu gelange, seine ganze Anlage zu verwirklichen. Von den meisten alten Leuten, die wir kennen, werden wir sagen müssen, daß sie fertig sind, daß sie, was in ihnen lag, auch ausgegeben haben. Ja selbst von einem Goethe werden wir, trotz seiner Thätigkeit bis an's Ende, einräumen müssen, daß er mit seinen 82 Jahren sich ausgelebt hatte. Schiller mit seinen 45 allerdings nicht; er starb unter den großartigsten Entwürfen, die, bei längerem Leben ausgeführt, die Reihe seiner Geisteswerke bereichert haben würden. So käme nun gar heraus, daß für Schiller eine Fortdauer gefordert werden müßte, auf die für Goethe zu verzichten wäre; oder allgemeiner daß nur wer noch im lebens- und entwicklungskräftigen Alter stirbt, auf ein Fortleben nach dem Tode Anspruch zu machen hätte; das aber darum keineswegs in's Unendliche, sondern nur so lange dauern müßte, bis die Anlage jedes Einzelnen vollständig entwickelt wäre.

Jener Unterschied wie diese Unbestimmtheit der Dauer bezeichnen allzu unverkennbar die willkürliche Träumerei; darum überbietet sich hier die Voraussetzung durch die Behauptung, daß die Anlage jeder Menschenseele unendlich und unerschöpflich, nur in einer Ewigkeit vollständig zu verwirklichen sei. Zu beweisen ist natürlich eine solche Behauptung nicht, sie ist eine reine Großsprecherei, die von dem Bewußtsein jedes anspruchslosen und ehrlichen Menschen Lügen gestraft wird. Wer sich nicht selbst aufbläht, der kennt auch das bescheidene Maß seiner Anlagen, ist dankbar für die Zeit, die ihm gegönnt wird, sie zu entwickeln, macht aber keinen Anspruch auf Verlängerung dieser Frist über die Zeit des Erdenlebens hinaus, ja eine unendliche Dauer derselben würde ihm Grauen erregen.

Doch nun zieht sich der Unsterblichkeitsglaube in seine innerste Burg zurück, indem er, absehend von den Ansprüchen auf Vergeltung oder volle Entwicklung, sich auf das Wesen der menschlichen Seele stützt. Gleichviel, wozu ihr die Fortdauer nach dem Tode dienen mag, die Seele des Menschen muß fortdauern, denn sie kann nicht sterben. Der menschliche Leib ist materiell, ist ausgedehnt und zusammengesetzt, kann sich folglich wieder auflösen und vergehen; die Seele ist immateriell und einfach, kann sich daher nicht auflösen und nicht vergehen. Das war die Seelenlehre der alten Metaphysik, die schon Kant in die Luft gesprengt hat. Alle jene angeblichen Eigenschaften der Seele, aus denen ihre Unsterblichkeit erschlossen wird, sind ihr rein willkürlich beigelegt. Uns haben genauere Beobachtungen auf den Gebieten der Physiologie und Psychologie gezeigt, wie Leib und Seele, selbst wenn man sie noch als zwei besondre Wesen unterscheiden will, doch so eng an einander gebunden sind, insbesondere die sogenannte Seele so durchaus durch die Beschaffenheit und die Zustände ihres leiblichen Organs bedingt ist, daß eine Fortdauer derselben ohne dieses Organ undenkbar wird. Die sogenannten Seelenthätigkeiten entwickeln sich, wachsen und erstarken mit dem Leibe, insbesondere mit ihrem nächsten Organ, dem Gehirne, nehmen mit demselben im Alter wieder ab, und erfahren, wenn das Gehirn afficirt ist, und zwar so, daß mit einzelnen Gehirntheilen bestimmte einzelne Geistesfunctionen leiden, entsprechende Störungen. Was so eng und durchaus an das leibliche Organ gebunden ist, das kann nach dessen Untergang so wenig fortdauern, als von einem Cirkel nach der Auflösung des Umkreises ein Mittelpunkt bleibt.

Wenn es sich um die Existenz lebendiger Wesen, und zwar von vielen Milliarden solcher Wesen, handelt, ist es unerläßlich, nach dem Orte zu fragen, wo diese Wesen – wir meinen die abgeschiedenen Menschenseelen – ihr Unterkommen finden sollen. Die altchristliche Weltansicht fand sich durch diese Frage nicht in Verlegenheit gesetzt, da sie für ihre Seligen im Himmel, über dem sterngeschmückten Firmament, wie für die Verdammten in der Hölle unter der Erde beliebigen Raum zur Verfügung hatte. Für uns ist, wie wir schon oben gesehen, jener himmlische Raum um den Thron Gottes weggefallen: der Raum im Innern der Erdkugel aber durch irdische Stoffe verschiedener Art so ausgefüllt, daß uns auch für die Hölle das Local fehlt. Doch der beharrliche Unsterblichkeitsglaube hat gerade unserer modernen Weltanschauung einen neuen Vortheil abzugewinnen versucht. Haben wir den christlichen Himmel nicht mehr, so haben wir dafür die Unzahl der Gestirne, und auf diesen ist ja wohl für weit größere Massen abgeschiedener Seelen, als unsre Erde ihnen liefern kann, Raum genug. Auch sind diese Weltkörper augenscheinlich von so verschiedener Beschaffenheit, die Verhältnisse der Stoffmischung, Beleuchtung, Erwärmung u. s. f. so mannigfaltig, daß die einen wohl ebensogut als eine Hölle, wie die andern als ein Paradies zu betrachten sein mögen. Allein wenn aus andern Weltkörpern die Bedingungen zur Existenz vernünftiger Wesen gegeben sind, so werden solche auf ihnen ebensogut entstehen, als sie aus unsrer Erde entstanden sind; es würden also die Seelencolonien, die von hier aus dort ankämen, das Feld schon besetzt antreffen. Man erinnert uns hier natürlich und muß uns erinnern, wie es sich ja um Seelen, d. h. um immaterielle Wesen handle, deren Fortdauer nach dem Tode eben daraus erwiesen worden sei, daß sie nicht zusammengesetzt sind und keinen Raum einnehmen, mithin durch die eingeborenen Bewohner andrer Weltkörper sich nicht beengt finden werden. Dann aber konnten sie ebensogut auf der Erde bleiben; oder vielmehr sie haben überhaupt kein Verhältniß zum Raume, sind überall und nirgends, kurz keine wirklichen, sondern eingebildete Wesen. Denn in diesem Betracht ist das Wort eines zwar etwas tollen, aber ebenso geistvollen Kirchenvaters der Grundsatz der modernsten Wissenschaft geworden: »Nichts ist unkörperlich als was nicht ist.«

42.

Hat sich uns in der bisherigen Betrachtung ergeben, daß wir weder die Vorstellung eines persönlichen Gottes, noch die eines Lebens nach dem Tode mehr aufrecht zu erhalten im Stande sind, so scheint es, daß auf die diesem Abschnitt vorangestellte Frage, ob wir noch Religion haben, die verneinende Antwort bereits gegeben sei. Denn Religion ist nach der herkömmlichen Begriffsbestimmung Erkenntniß und Verehrung Gottes, und der Glaube an ein zukünftiges Leben, ein Läuterungsproduct aus dem altchristlichen Auferstehungsglauben, hat sich, vornehmlich seit den Zeiten der rationalistischen Aufklärung, als ein wesentliches Zubehör dem Gottesglauben zur Seite gestellt. Doch eben jene Fassung des Begriffs der Religion hat man in der neuesten Zeit nicht mit Unrecht unzulänglich befunden. Daß keine Religion ohne die Vorstellung und den Dienst göttlicher Wesen ist, wissen wir (denn auch in den ursprünglich götterlosen Buddhismus sind sie bald genug zur Hinterthüre wieder hineingekommen); aber wir wollen auch wissen, wie die Religion zu dieser Vorstellung kommt. Die rechte Definition ist nur die, mittelst deren wir nicht blos an die Sache, sondern hinter die Sache kommen.

Bekanntlich ist es Schleiermacher gewesen, der in Betreff der Religion dieser Forderung genugzuthun suchte. Das Gemeinsame aller noch so verschiedenen Aeußerungen der Frömmigkeit, sagte er, mithin das Wesen der Religion, bestehe darin, daß wir uns unserer selbst als schlechthin abhängig bewußt seien, und das Woher dieser Abhängigkeit, d. h. dasjenige, wovon wir uns in dieser Art abhängig fühlen, nennen wir Gott. Daß auf den früheren Stufen der Religion statt Eines solchen Woher mehrere, statt Eines Gottes eine Vielheit von Göttern erscheint, kommt nach dieser Ableitung der Religion daher, daß die verschiedenen Naturkräfte oder Lebensbeziehungen, welche im Menschen das Gefühl schlechthiniger Abhängigkeit erregen, Anfangs noch in ihrer ganzen Verschiedenartigkeit auf ihn wirken, er sich noch nicht bewußt geworden ist, wie in Betreff der schlechthinigen Abhängigkeit zwischen denselben kein Unterschied, mithin auch das Woher dieser Abhängigkeit oder das Wesen worauf sie in letzterer Beziehung zurückgeht, nur Eines sein kann.

Halten wir diese Erklärung an das was sie erklären soll, an die Erscheinungen der Religion auf ihren verschiedenen Stufen, so werden wir ihr zunächst nur beipflichten können. Der Mensch betet die Sonne, oder eine Quelle, einen Strom an, weil er sich in seiner ganzen Existenz abhängig fühlt von dem Licht und der Wärme, die von der erstern, von dem Segen und der Fruchtbarkeit, die von den andern ausgehen. Einem Wesen wie Zeus gegenüber, der neben Regen, Donner und Blitz zugleich den Staat und seine Ordnungen, das Recht und seine Satzungen verwaltet, empfindet der Mensch eine doppelte, moralische wie physische Abhängigkeit. Selbst von einem bösen Wesen, wie das Fieber, wenn er es durch religiöse Huldigung zu begütigen sucht, fühlt er sich schlechthin abhängig, sofern er überzeugt ist, demselben, wenn es nicht selbst ablassen will, keinen Einhalt thun zu können. Aber eben, es zu diesem Selbstablassen zu bewegen, überhaupt auf die Mächte, von denen er sich abhängig weiß, doch auch wieder einen Einfluß zu gewinnen, ist der Zweck des Cultus, ja ist, wie wir früher gesehen haben, schon der geheime Zweck davon, daß der Mensch jene Mächte sich persönlich, als Wesen seinesgleichen, vorstellt.

Insofern sagt Feuerbach mit Recht, der Ursprung, ja das eigentliche Wesen der Religion sei der Wunsch. Hätte der Mensch keine Wünsche, so hätte er auch keine Götter. Was der Mensch sein möchte, aber nicht sei, dazu mache er seinen Gott; was er haben möchte, aber sich nicht selbst zu schaffen wisse, das solle sein Gott ihm schaffen. Es ist also nicht allein die Abhängigkeit in der er sich vorfindet, sondern zugleich das Bedürfniß, gegen sie zu reagiren, sich ihr gegenüber auch wieder in Freiheit zu setzen, woraus dem Menschen die Religion entspringt. Die bloße und zwar schlechthinige Abhängigkeit würde ihn erdrücken, vernichten; er muß sich dagegen wehren, muß unter dem Drucke, der auf ihm lastet, Luft und Spielraum zu gewinnen suchen.

43.

Der Natur gegenüber, von der er sich zunächst abhängig findet, ist dem Menschen als normaler Weg der Befreiung der der Arbeit, der Cultur, der Erfindung vorgezeichnet. Hier winkt seinen Wünschen die gründliche, reale Befriedigung; manches von den Wunschattributen, die der Mensch früherer Zeitalter seinen Göttern beilegte, – ich will nur das Vermögen schnellster Raumdurchmessung als Beispiel anführen – hat er jetzt, in Folge rationeller Naturbeherrschung, selbst an sich genommen. Doch das war ein langer, mühseliger Weg, dessen Ziele der Mensch früherer Jahrtausende nicht einmal ahnen konnte. Ehe er lernte, der Krankheit durch natürliche Mittel Meister zu werden, mußte er sich ihr entweder selbstlos ergeben, oder ihrer mittelst eines Fetischs, eines Dämons, eines Gottes, Meister zu werden suchen. Und ein Rest bleibt doch immer; selbst am Ziele jenes rationellen Weges geht die Rechnung nicht auf. Mag die Medicin noch so viele Krankheiten heilen gelernt haben: manche widerstehen ihr doch, und für den Tod ist kein Kraut gewachsen. Mag die Landwirthschaft von heute noch so viele Vortheile über die Natur gewonnen haben: gegen Frost und Hagel, gegen übermäßige Nässe oder Dürre muß sie sich immer noch wehrlos bekennen. Da bleibt fort und fort Raum für Wünsche, für Bittgänge und für Messen. Oder höher hinauf in der Religion: bei aller Arbeit an sich selbst, allem Kampfe mit seiner Sinnlichkeit und Selbstsucht, genügt der Mensch seinem eigenen sittlichen Verlangen doch immer nicht; er wünscht sich eine Reinheit, eine Vollkommenheit, die er sich selbst nicht zu schaffen weiß, die er nur im Blute des Erlösers, durch Übertragung seiner Gerechtigkeit auf ihn mittelst des Glaubens, zu erreichen hoffen darf.

Freilich, verkennen läßt sich nicht: die Sache so angesehen, erscheint nur der rationelle, weltliche, oder, was die Arbeit des Menschen an sich selbst betrifft, der moralische Weg, zum Ziele seiner Wünsche zu gelangen, als der wahre und rechte, der religiöse als der eines angenehmen Selbstbetrugs. Darin liegt, bei gleichem Ausgangspunkte, der Gegensatz zwischen Feuerbachs und Schleiermachers Ansicht von der Religion. Bei dem letztern ist die Religion das Gefühl der schlechthinigen Abhängigkeit, und da dieses ein unleugbar richtiges Gefühl von der Stellung des Menschen in der Welt ist, so ist auch die Religion eine Wahrheit. Auch Feuerbach erkennt in dem Abhängigkeitsgefühl des Menschen den letzten Grund der Religion; aber um sie wirklich hervorzurufen, muß der Wunsch hinzutreten, dieser Abhängigkeit auf dem kürzesten Wege eine für den Menschen vortheilhafte Wendung zu geben. Dieser Wunsch, dieses Streben ist an sich gleichfalls in der Ordnung; aber der »kürzeste Weg, worauf es zum Ziele kommen will, durch Beten, Opfern, Glauben u. s. f., darin liegt der Wahn; und weil eben dieser kürzeste Weg das Unterscheidende aller bisherigen Religion ist, so erscheint auch sie selbst auf diesem Standpunkt als ein Wahn, den sich und der Menschheit abzuthun, das Bestreben jedes zur Einsicht Gekommenen sein müßte.

Auf diesem Punkte sehen wir die Schätzung der Religion, von der wir am Anfang dieses Abschnitts ausgegangen sind, in ihr gerades Gegentheil sich verkehren. Statt eines Vorzugs der menschlichen Natur erscheint sie als eine Schwachheit, die der Menschheit vorzüglich während der Zeiten ihrer Kindheit anklebte, der sie aber mit dem Eintritt der Reife entwachsen soll. Das Mittelalter war um ebensoviel religiöser als unsre Zeit, als es unwissender und ungebildeter war; und dasselbe Verhältniß findet in der Gegenwart z. B. zwischen Spanien und Deutschland, oder in Deutschland zwischen Tirol und Sachsen statt, Religion und Bildung stünden hienach nicht in gleichem, sondern in dem umgekehrten Verhältniß, daß mit dem Fortschreiten der letzteren die erstere zurücktritt.

Zwar läßt sich zweierlei hiegegen einwenden. Einmal unterscheidet man wahre und falsche Religion, Aberglauben und echte Frömmigkeit; und ebenso kann man zwischen wahrer und falscher Cultur oder Aufklärung unterscheiden. Das Mittelalter, kann man hienach sagen, war abergläubiger, nicht wirklich frömmer als unsre Zeit: und wenn in unsrer Zeit die Cultur wirklich der Frömmigkeit Eintrag gethan hat, so ist dieß eine falsche, oberflächliche Bildung gewesen.

Allein mit dieser Auskunft ist es nicht gethan. Wir wollen, um die Sache bestimmter zu fassen, Religion und Religiosität, oder die Religion in extensivem und intensivem Sinne unterscheiden. Da mag man etwa sagen: das Mittelalter glaubte mehr, hatte einen reicheren Glaubensstoff als unsre Zeit; aber es war darum keineswegs intensiv frömmer. Dieß einen Augenblick zugegeben, so waren aber im Mittelalter nicht bloß der Glaubensartikel, sondern auch der religiösen Momente im Leben der Menschen, der Gesellschaft und des einzelnen, mehrere; im täglichen Treiben des mittelalterlichen Christen kam das religiöse Element, als Gebet, Kreuzschlagen, Messehören u. s. f., viel häufiger und ununterbrochener zur Ansprache als bei einem heutigen. Und damit geht doch auch das andre, das Intensive der Frömmigkeit, Hand in Hand. Weder so zahlreiche Virtuosen der Frömmigkeit, wie sie damals besonders in den Klöstern lebten, noch so hohe einzelne Meister darin, wie ein heil. Bernhard, ein heil. Franciscus, und selbst später noch ein Luther, sind jetzt noch zu finden; unsere Schleiermacher, unsere Neander, machen neben jenen alten Meistern eine sehr weltliche Figur.

Zunächst kommt dieß daher, daß, wie wir gesehen haben, eine Menge von Dingen, die auf früheren Culturstufen den Menschen religiös erregten, jetzt als begriffen im gesetzmäßigen Naturzusammenhang erkannt sind, mithin das fromme Gefühl nicht mehr unmittelbar, sondern nur noch sehr mittelbar und schwach erregen. Auch den andern und Hauptgrund des Rückgangs der Religion in unsrer Zeit haben wir in der bisherigen Betrachtung bereits gefunden. Es ist der Umstand, daß wir das absolute Wesen nicht mehr so herzhaft wie unsre Vorfahren als ein persönliches fassen können. Es ist nicht anders: so sehr bis auf einen gewissen Punkt Religion und Geistesbildung Hand in Hand gehen, so ist dieß doch nur so lange der Fall, als die Bildung der Völker sich vorzugsweise in der Form der Einbildungskraft hält; sobald sie Verstandesbildung wird, und besonders sobald sie durch Beobachtung der Natur und ihrer Gesetze sich vermittelt, fängt ein Gegensatz sich zu entwickeln an, der die Religion immer mehr beschränkt. Das religiöse Gebiet in der menschlichen Seele gleicht dem Gebiete der Rothhäute in Amerika, das, man mag es beklagen oder mißbilligen so viel man will, von deren weißhäutigen Nachbarn von Jahr zu Jahr mehr eingeengt wird.

44.

Aber Beschränkung, wohl auch Umwandlung, ist noch keine Vernichtung. Die Religion ist in uns nicht mehr was sie in unsern Vätern war; daraus folgt aber nicht, daß sie in uns erloschen ist.

Geblieben ist uns in jedem Falle der Grundbestandtheil aller Religion, das Gefühl der unbedingten Abhängigkeit. Ob wir Gott oder Universum sagen: schlechthin abhängig fühlen wir uns von dem einen wie von dem andern. Auch dem letztern gegenüber wissen wir uns als »Theil des Theils,« unsre Kraft als ein Nichts im Verhältniß zu der Allmacht der Natur, unser Denken nur im Stande, langsam und mühsam den geringsten Theil dessen zu fassen, was die Welt uns als Gegenstand des Erkennens bietet.

Doch eben dieses Erkennen, so beschränkt es sein mag, führt uns noch zu einem andern Ergebniß. Wir nehmen in der Welt einen rastlosen Wechsel wahr; bald aber entdecken wir in diesem Wechsel ein Bleibendes, Ordnung und Gesetz. Wir nehmen in der Natur gewaltige Gegensätze, furchtbare Kämpfe wahr; aber wir finden, wie durch sie der Bestand und Einklang des Ganzen nicht gestört, im Gegentheil erhalten wird. Wir nehmen weiterhin einen Stufengang, eine Hervorbildung des Höheren aus dem Niedrigern, des Feinen aus dem Groben, des Milden aus dem Rohen wahr. Und uns selbst finden wir in unsrem persönlichen wie in unsrem geselligen Leben desto mehr gefördert, je mehr es uns gelingt, auch in und um uns das willkürlich Wechselnde der Regel zu unterwerfen, aus dem Niedrigen das Höhere, aus dem Rohen das Zarte zu entwickeln. Dergleichen nennen wir, wenn wir es im Kreise des menschlichen Lebens antreffen, vernünftig und gut. Das Entsprechende, das wir in der Welt um uns her wahrnehmen, können wir nicht umhin, ebenso zu nennen. Und da wir uns übrigens von dieser Welt schlechthin abhängig fühlen, unser Dasein wie die Einrichtung unsres Wesens nur aus ihr herleiten können, so werden wir sie, und zwar in ihrem Vollbegriff, oder als Universum, auch als die Urquelle alles Vernünftigen und Guten betrachten müssen.

Daß das Vernünftige und Gute in der Menschenwelt von Bewußtsein und Willen ausgeht, daraus hat die alte Religion geschlossen, daß auch das, was sich in der Welt im Großen Entsprechendes findet, von einem bewußten und wollenden Urheber ausgehen müsse. Wir haben diese Schlußweise aufgegeben, wir betrachten die Welt nicht mehr als das Werk einer absolut vernünftigen und guten Persönlichkeit, wohl aber als die Werkstätte des Vernünftigen und Guten. Sie ist uns nicht mehr angelegt von einer höchsten Vernunft, aber angelegt auf die höchste Vernunft. Da müssen wir freilich, was in der Wirkung liegt, auch in die Ursache legen; was herauskommt, muß auch drinnen gewesen sein. Das ist aber nur die Beschränktheit unsres menschlichen Vorstellens, daß wir so unterscheiden; das Universum ist ja Ursache und Wirkung, Aeußeres und Inneres zugleich. Wir stehen hier an der Grenze unsres Erkennens, wir schauen in eine Tiefe, die wir nicht mehr durchdringen können. Das aber können wir wissen, daß das Persönliche, das uns daraus entgegenzublicken scheint, nur das Spiegelbild des Hineinschauenden ist. Blieben wir uns des letztern Umstandes immer klar bewußt, so wäre gegen den Ausdruck: Gott, so wenig einzuwenden, als gegen das Reden von Auf- und Untergang der Sonne, neben dem wir uns des wahren Sachverhalts vollkommen bewußt bleiben. Aber die Bedingung trifft nicht zu. Selbst der in unsrer neuern Philosophie beliebt gewordene Begriff des Absoluten neigt sich leicht wieder zum Persönlichen hin. Darum ziehen wir die Bezeichnung: All oder Universum vor, ohne zu übersehen, daß diese hinwiederum die Gefahr mit sich bringt, an die Gesammtheit der Erscheinungen, statt an den Einen Inbegriff der sich äußernden Kräfte und sich vollziehenden Gesetze zu denken. Aber wir sagen lieber zu wenig als zu viel.

Immerhin indessen ist uns dasjenige, wovon wir uns schlechthin abhängig fühlen, mit nichten blos eine rohe Uebermacht, der wir mit stummer Resignation uns beugen, sondern zugleich Ordnung und Gesetz, Vernunft und Güte, der wir uns mit liebendem Vertrauen ergeben. Und noch mehr: da wir die Anlage zu dem Vernünftigen und Guten, das wir in der Welt zu erkennen glauben, in uns selbst wahrnehmen, uns als die Wesen finden, von denen es empfunden, erkannt, in denen es persönlich werden soll, so fühlen wir uns demjenigen, wovon wir uns abhängig finden, zugleich im Innersten verwandt, wir finden uns in der Abhängigkeit zugleich frei, in unsrem Gefühl für das Universum mischt sich Stolz mit Demuth, Freudigkeit mit Ergebung.

Freilich, einen Cultus wird dieses Gefühl schwerlich mehr hervortreiben, in einer Reihe von Festen sich schwerlich mehr zur Darstellung bringen. Aber ohne sittliche Wirkung wird es nicht sein, wie wir an seinem Orte finden werden. Und warum denn keinen Cultus mehr? Darum, weil wir des andern, aber des unwahren und neben dem Abhängigkeitsgefühl unedlern Bestandtheils der Religion, nämlich des Wunsches und der Meinung, durch unsern Cultus etwas bei unsrem Gott auswirken zu können, uns entschlagen haben. Wir brauchen nur den Ausdruck: »Gottesdienst« zu nehmen und uns der niedrigen Vermenschlichung bewußt zu werden, die darin liegt, um einzusehen, daß und warum etwas der Art auf unsrem Standpunkt nicht mehr möglich ist.

Nun wird man aber das, was uns hienach geblieben ist, nicht mehr als Religion wollen gelten lassen. Wenn wir zu erfahren wünschen, ob in einem Organismus, der uns erstorben scheint, noch Leben sei, pflegen wir es durch einen starken, wohl auch schmerzlichen Reiz, etwa einen Stich zu versuchen. Machen wir diese Probe mit unsrem Gefühle für das All. In Arthur Schopenhauers Schriften braucht man nur zu blättern (obwohl man übrigens gut thut, nicht blos darin zu blättern, sondern sie zu studiren), um in den verschiedensten Wendungen auf den Satz zu stoßen, die Welt sei etwas, das besser nicht wäre. Oder wie der Verfasser der Philosophie des Unbewußten es in seiner Art noch feiner ausdrückt: in der bestehenden Welt sei zwar alles so gut wie möglich eingerichtet; trotzdem sei sie »durchweg elend und« – das Gegentheil von dem, was man scherzweise vom Wetter zu sagen pflegt – »schlechter als gar keine Welt.« Demgemäß bildet für Schopenhauer den Fundamentalunterschied aller Religionen und Philosophien der, ob sie optimistisch oder pessimistisch sind; und zwar ist ihm der Optimismus durchaus der Standpunkt der Plattheit und Trivialität, während alle tieferen distinguirten Geister wie er auf dem Standpunkte des Pessimismus stehen. Nach einer besonders kräftigen Auslassung dieser Art (es wäre besser, wenn auf der Erde so wenig wie auf dem Monde Leben entstanden, ihre Oberfläche gleichfalls starr krystallinisch geblieben wäre) setzt Schopenhauer hinzu, da werde er wohl wieder vernehmen müssen, seine Philosophie sei trostlos. Gewiß, wenn wir es so nehmen dürfen, daß ihr Urheber beim Niederschreiben solcher Sätze nicht bei Troste gewesen. Denn in der That liegt der grellste Widerspruch darin. Wenn die Welt ein Ding ist, das besser nicht wäre, ei so ist ja auch das Denken des Philosophen, das ein Stück dieser Welt bildet, ein Denken, das besser nicht dächte. Der pessimistische Philosoph bemerkt nicht, wie er vor allem auch sein eigenes, die Welt für schlecht erklärendes Denken für schlecht erklärt; ist aber ein Denken, das die Welt für schlecht erklärt, ein schlechtes Denken, so ist ja die Welt vielmehr gut. Der Optimismus mag sich in der Regel sein Geschäft zu leicht machen, dagegen sind Schopenhauers Nachweisungen der gewaltigen Rolle, die Schmerz und Uebel in der Welt spielen, ganz am Platze; aber jede wahre Philosophie ist nothwendig optimistisch, weil sie sonst den Baumast absägt, auf dem sie sitzt.

Doch dieß war eine Abschweifung. Wir wollten ja erproben, ob unser Standpunkt, dem das gesetzmäßige, lebens- und vernunftvolle All die höchste Idee ist, noch ein religiöser zu nennen sei, und schlugen darum Schopenhauer auf, der dieser unsrer Idee bei jeder Gelegenheit in's Gesicht schlägt. Dergleichen Ausfälle wirken auf unsern Verstand wie gesagt, als Absurditäten; auf unser Gefühl aber als Blasphemien. Es erscheint uns vermessen und ruchlos von Seiten eines einzelnen Menschenwesens, sich so keck dem All, aus dem es stammt, von dem es auch das bischen Vernunft hat, das es mißbraucht, gegenüberzustellen. Wir sehen eine Verleugnung des Abhängigkeitsgefühls darin, das wir jedem Menschen zumuthen. Wir fordern für unser Universum dieselbe Pietät, wie der Fromme alten Stils für seinen Gott. Unser Gefühl für das All reagirt, wenn es verletzt wird, geradezu religiös. Fragt man uns daher schließlich, ob wir noch Religion haben, so wird unsre Antwort nicht die rundweg verneinende sein, wie in einem früheren Falle, sondern wir werden sagen: ja oder nein, je nachdem man es verstehen will.

 

Durch die bisherigen Ausführungen haben wir uns von der alten christlich-religiösen Weltanschauung losgesagt; sofern auch was wir von Religion noch für uns in Anspruch nehmen, doch auf einem Boden steht, der von dem der herkömmlichen religiösen Vorstellungen wesentlich verschieden ist. Jetzt handelt es sich darum, was wir an die leer gewordene Stelle zu setzen haben; jetzt wenden wir uns der andern Seite unsrer Aufgabe zu, indem wir die Frage zu beantworten suchen:


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