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In der Untersuchung unsres Verhältnisses zur Religion sind wir zuletzt bei der Idee des Universum angelangt. Nachdem sich die vielen Götter der Religionen in den Einen persönlichen Gott, hat sich ebenso dieser in das unpersönliche aber personenbildende All umgewandelt. Dieselbe Idee bildet aber auch den End- oder Anfangspunkt – je nachdem wir unsern Standpunkt nehmen – unsrer Weltbetrachtung.
Was die Erfahrung uns unmittelbar bietet, ist bekanntlich eine Mannigfaltigkeit von Eindrücken, und durch sie bedingt von subjectiven Zuständen; daß wir als Ursachen dieser Eindrücke äußere Gegenstände betrachten, und demgemäß uns die Vorstellung einer uns gegenüberstehenden Welt bilden, ist uns zwar längst zur andern Natur geworden, aber nichts destoweniger durch ein Schlußverfahren vermittelt. In dieser vorgestellten Welt unterscheiden wir die vorausgesetzten Ursachen der empfundenen Eindrücke, oder die äußern Gegenstände, von derjenigen Seite unsres eigenen Wesens, durch welche wir diese Eindrücke empfangen, d. h. von unsrer Leiblichkeit; wie wir an unsrem eigenen Wesen die äußere Seite von derjenigen unterscheiden, welche durch sie die Eindrücke empfängt, von unsrem Ich oder Selbst.
Wie uns weiterhin an unsrer Leiblichkeit die verschiedenen Modalitäten ihrer Empfänglichkeit für Eindrücke, oder die einzelnen Sinne, unterscheidbar werden; wie uns auf der andern Seite die gegenständlichen Ursachen dieser Eindrücke immer mehr in Gruppen sich sondern, die sich nach Unterschied und Verwandtschaft, Inhalt und Umfang, einander theils neben-, theils über- oder unterordnen, bis sich zuletzt dieses ganze ebenso reich gegliederte als wohlgeordnete System unsrer jetzigen Natur- und Weltanschauung bildet, ist an dieser Stelle nicht weiter auszuführen. Wir schreiten von den einzelnen Kreisen der Erscheinungen um uns her, von der festen Unterlage und den elementaren Kräften, dem Pflanzen- und Thierleben, zu dem allgemeinen Leben der Erde, von diesem zu dem unsres Sonnensystems, und so immer weiter fort, bis wir zuletzt alles Seiende überhaupt in eine einzige Vorstellung zusammengefaßt haben: und diese Vorstellung ist die des Universum.
Ebenso jedoch, wie schon die kleineren Kreise, von denen und durch welche wir zu jener höchsten Idee aufgestiegen sind, keineswegs blos Sammlungen äußerlich nebeneinander stehender Gegenstände darstellen, sondern durch Kräfte und Gesetze im tiefsten Innern verbunden sind, so werden wir auch das Universum nicht blos als den Inbegriff aller Erscheinungen, sondern zugleich aller Kräfte und Gesetze zu fassen haben. Ob wir dasselbe als die Totalität der bewegten Materie oder der bewegenden Kräfte, der gesetzlichen Bewegungen oder der Bewegungsgesetze bestimmen, es ist immer das Gleiche, nur von verschiedenen Seiten angeschaut.
Daß das All nur Eines ist, versteht sich von selbst, ist nur ein analytisches Urtheil; dasselbe scheint mit seiner Unendlichkeit, und zwar sowohl der Dauer als des Umfangs, der Fall zu sein. Das All ist ja Alles, folglich ist nichts andres außer ihm; und selbst ein Nichts außer ihm scheint es auszuschließen. Gleichwohl ist über die Unendlichkeit oder Endlichkeit der Welt von jeher viel gestritten worden. Dabei stand das theologische Interesse auf Seiten der Behauptung ihrer Endlichkeit, damit die Unendlichkeit dem weltschaffenden Gotte vorbehalten bliebe; die unabhängige Philosophie dagegen neigte sich ebenso nach der entgegengesetzten Seite.
Kant hat hier bekanntlich eine sogenannte Antinomie aufgestellt, d.h. Satz und Gegensatz mit gleich starken Gründen zu erweisen gewußt, und die Lösung des Widerspruchs zuletzt in der Einsicht zu finden geglaubt, daß mit dem Versuch, in einem so weit über jede Erfahrung hinausliegenden Gebiete etwas zu bestimmen, unsre Vernunft ihre Befugniß überschritten habe. Mir ist diese Antinomie von jeher als eine solche erschienen, die eine objective Lösung zulasse wie verlange. Bereits vor 30 Jahren habe ich mich in meiner Dogmatik aus Anlaß der christlichen Lehre vom Weltuntergang so ausgedrückt: »Da wir unsrer Erde ihr allmähliges Entstandensein geologisch nachweisen können, so folgt mit metaphysischer Notwendigkeit, daß sie auch vergehen wird; da ein Entstehendes, das nicht wieder verginge, die Summe des Seins im Universum vergrößern, mithin dessen Unendlichkeit aufheben würde. Nur wenn seine Theilgebilde in beständigem Wechsel des Entstehens und Vergehens kreisen, ist es als Ganzes sich selbst gleich und absolut. Wirklich ist schon unter den Körpern unsres Sonnensystems eine Abstufung zwischen größerer und geringerer Reife der einzelnen unverkennbar; und so wird auch im großen Ganzen das All einem jener südlichen Bäume gleichen, an denen zu derselben Zeit hier eine Blüthe aufgeht, dort eine Frucht vom Zweige fällt.«
Das will sagen, daß wir Welt im absoluten Sinne oder das Universum, und Welt im relativen Sinne, in welchem das Wort einen Plural hat, wohl unterscheiden müssen; daß zwar jede Welt im letzteren Sinne, bis zum umfassendsten Theilganzen hinauf, ihre Grenze im Raume wie ihren Anfang und ihr Ende in der Zeit hat, das Universum aber grenzenlos durch alle Räume wie durch alle Zeiten sich ausgießt und zusammenhält. Nicht unsre Erde allein, unser ganzes Sonnensystem ist einmal nicht gewesen was es jetzt ist, ist einmal in dieser Art gar nicht dagewesen, und wird einmal als dieses nicht mehr da sein; es hat einmal eine Zeit gegeben, da unsre Erde noch von keinem vernünftigen Wesen, weiter zurück eine Zeit, da sie noch von keinem lebenden Wesen bewohnt war, ja da sie noch kein fester Körper, noch nicht von der Sonne und den andern Planeten geschieden war. Sehen wir aber auf das Universum im Ganzen, so hat es niemals eine Zeit gegeben, wo dasselbe nicht war, wo in demselben kein Unterschied von Weltkörpern, kein Leben, keine Vernunft gewesen wäre; sondern das alles, wenn es in einem Theile des All noch nicht war, so war es in einem andern Theile schon da, in einem dritten nicht mehr da; es war hier im Werden, dort im vollen Bestande, an einem dritten Orte im Vergehen begriffen; das Universum ein unendlicher Inbegriff von Welten in allen Stadien des Werdens und Vergehens, und eben in diesem ewigen Kreislauf und Wechsel es selbst in ewig gleicher absoluter Lebensfülle sich erhaltend.
Niemand hat über diesen Punkt großartigere, obwohl noch nicht völlig geläuterte Gedanken geäußert, als eben Kant in seiner Allgemeinen Geschichte und Theorie des Himmels vom Jahr 1755, einer Schrift, die mir immer nicht weniger bedeutend erschienen ist als seine spätere Vernunftkritik. Ist hier die Tiefe des Einblicks, so ist dort die Weite des Umblicks zu bewundern; haben wir hier den Greis, dem es vor allem um die Sicherheit eines wenn auch beschränkten Erkenntnißbesitzes zu thun ist, so tritt uns dort der Mann mit dem vollen Muthe des geistigen Entdeckers und Eroberers entgegen. Auch ist er durch die eine Schrift ebenso der Begründer der neueren Kosmogonie, wie durch die andere der neueren Philosophie geworden.
Die Welt nennt er hier »einen Phönix, der sich nur darum verbrennt, um aus seiner Asche wiederum verjüngt aufzuleben.« Wie auf der Erde das Vergehen an einem Punkte durch neues Entstehen an einem andern ersetzt wird, »auf die gleiche Art vergehen Welten und Weltordnungen und werden von dem Abgrund der Ewigkeit verschlungen; dagegen ist die Schöpfung immerfort geschäftig, in andern Himmelsgegenden« (er meint in andern Theilen des unendlichen Weltraums) »neue Bildungen zu errichten und den Abgang mit Vortheil zu ergänzen. Wenn ein Weltsystem in der langen Folge seiner Dauer alle Mannigfaltigkeit erschöpfet hat, die seine Einrichtung fassen kann, wenn es nun ein überflüssiges Glied in der Kette der Wesen geworden: so ist nichts geziemender, als daß es in dem Schauspiele der ablaufenden Veränderungen des Universi die letzte Rolle spielet, die jedem endlichen Dinge gebühret, nämlich der Vergänglichkeit ihre Gebühr abzutragen. Die Unendlichkeit der Schöpfung ist groß genug, um eine Welt, oder eine Milchstraße von Welten, gegen sie anzusehen wie man eine Blume oder ein Insect in Vergleichung mit der Erde ansiehet.«
Uebrigens, wie schon angedeutet, bleibt es ja bei der Zerstörung nicht. So gut die jetzt bestehende Natur sich aus dem Chaos heraus geordnet hat, so gut kann sie es auch aus dem neuen Chaos, das durch ihre Zerstörung herbeigeführt wird. Zumal Kant sich die Zerstörung als Verbrennung denkt, die eben jenen Zustand von Neuem hervorbringen muß, aus welchem nach ihm unser Planetensystem sich ursprünglich herausgebildet hat. »Man wird nicht lange Bedenken tragen,« sagt er, »dieses« (die Möglichkeit einer Neubildung) »zuzugeben, wenn man erwäget, daß, nachdem die endliche Mattigkeit der Umlaufsbewegungen in dem Weltgebäude die Planeten und Kometen insgesammt auf die Sonne niedergestürzet hat, diese ihre Glut einen unermeßlichen Zuwachs bekommen muß. Dieses durch die neue Nahrung in die größte Heftigkeit versetzte Feuer wird ohne Zweifel nicht allein alles wieder in die kleinsten Elemente auflösen, sondern auch dieselben in dieser Art, mit einer der Hitze gemäßen Ausdehnungskraft, in dieselben weiten Räume wiederum ausbreiten und zerstreuen, welche sie vor der ersten Bildung der Natur eingenommen hatten, um, nachdem die Heftigkeit des Centralfeuers durch eine beinahe gänzliche Zerstörung ihrer Masse gedämpfet worden, durch Verbindung der Attractions- und Zurückstoßungskräfte die alten Zeugungen und systematisch beziehenden Bewegungen mit nicht minderer Regelmäßigkeit zu wiederholen und ein neues Weltgebäude darzustellen.«
Das alles kann nicht vortrefflicher gesagt werden; aber doch hat Kant nur den Begriff des endlosen Wechsels von Vergehen und Wiederentstehen der Theile, nicht ebenso den der sich selbst gleichbleibenden Unendlichkeit des Ganzen erreicht. Die Welt ist ihm zwar räumlich ohne Grenzen, und auch hierüber hat er die erhabensten Vorstellungen. Von dem Engländer Wright von Durham nahm er die Anschauung von der Milchstraße als einem in Linsenform gruppirten System zahlloser Fixsterne oder Sonnen auf, und in den sogenannten Nebelflecken sah er ebensolche Systeme, die uns nur der unendlichen Entfernung wegen so klein und unbestimmt erscheinen. Nun aber in der Zeit ist für Kant die Schöpfung zwar niemals vollendet, aber sie hat einmal angefangen. Schon an dem Ausdruck: die Schöpfung, sehen wir, woher seinem Denken diese Schranke kam. Er will seinen Schöpfungsact nicht verlieren, und den kann er sich nur als einen Anfang denken. Dieß führt ihn auf die seltsame Vorstellung, daß Gott an einem bestimmten Punkt, im Raume, vermuthlich in dessen Mittelpunkt, den er sich zugleich als den allgemeinen Schwerpunkt, als einen ungeheuren Urklumpen denkt, die Ordnung und Belebung des Chaos angefangen habe und damit nach der Peripherie hin fortschreite. Nach außen zu sei noch immer Chaos, das erst allmählig von jenem Mittelpunkt aus geordnet werde; diese Theorie »von einer successiven Vollendung der Schöpfung« gewähre dem menschlichen Geiste das edelste Erstaunen. Wenn nur nicht die Widersprüche wären: ein unendlicher Raum, der einen Mittelpunkt, eine endlose Dauer, die aber einen Anfang hat!
Dagegen ist nun für den bestimmten Raum unsres Sonnensystems, dessen Entstehung nach rein mechanischen Principien, mit Ausschließung eines nach Zwecken thätigen Schöpfers, zu erklären er unternahm, Kant in der genannten Schrift der Urheber der noch heute geltenden Theorie geworden. D. h. ausschließen will er den Schöpfer nicht so, daß er ihn leugnete; was er leugnet ist nur jedes Eingreifen Gottes in den kosmogonischen Proceß; der Schöpfer hat in die Materie von vorne herein solche Kräfte und Gesetze gelegt, daß sie ohne weiteres Zuthun von seiner Seite sich zum geordneten Weltbau entwickeln muß.
Wo kommen Sonne und Planeten, wo die Umläufe der letzteren, und zwar in derselben Richtung, in der die Sonne sich um ihre Axe dreht, auch so ziemlich in derselben Ebene, her? Der fromme Newton hatte noch den Finger Gottes, Buffon einen Kometen zu Hülfe genommen. Ein solcher sei in die Sonne gestürzt, habe von ihr einen Strom glühender Materie losgerissen, die sich in verschiedenen Entfernungen zu Kugeln geballt habe, welche durch Verkühlung allmählig dunkel und fest geworden seien. »Ich nehme an,« sagt dagegen Kant, »daß alle Materien, daraus die Kugeln, die zu unsrer Sonnenwelt gehören, alle Planeten und Kometen bestehen, im Anfang aller Dinge, in ihren elementarischen Grundstoff aufgelöset, den ganzen Raum des Weltgebäudes erfüllt haben, darin jetzo diese gebildeten Körper herumlaufen.« Dasselbe drückte später Laplace, ohne den deutschen Philosophen als Vorgänger zu kennen, nicht gerade besser so aus: die Betrachtung der Planetenbewegungen führe uns zu der Annahme, daß in Folge ungeheurer Hitze die Atmosphäre der Sonne sich ursprünglich über sämmtliche Planetenbahnen hinaus erstreckt, und sich erst in der Folge nach und nach bis auf ihre jetzigen Grenzen zusammengezogen habe. Beide lassen sodann, wie wir gleich weiter sehen werden, aus dieser Urauflösung die Weltkörper zugleich mit ihrer Bewegung sich entwickeln.
Wenn dabei Kant vom Anfang aller Dinge spricht, so dürfen wir dieß nach seiner Theorie ganz ernstlich nehmen; da er aber doch einräumt, daß auch in Zukunft nach der Zerstörung unsres Sonnensystems wieder ein ganz ähnlicher Zustand der Auflösung seiner Theile eintreten werde, so kann er nicht wissen, ob nicht auch schon jenes erstemal dieser Zustand das Ergebniß einer vorhergegangenen Zerstörung gewesen sei; und wir vollends, die wir von einem Anfang des Universum so wenig als von einem Ende desselben wissen, können die Sache gar nicht anders nehmen. Wobei wir es dahingestellt lassen, ob die Auflösung und Umbildung nur unser Sonnensystem, oder die ganze Milchstraßengruppe, der es als einzelne Provinz angehört, betroffen habe.
Im Grunde ist dieß schon die Weltanschauung der Stoiker gewesen; nur daß sie dieselbe auf das Ganze des Universum ausdehnten und in Gemäßheit ihres Pantheismus faßten. Das Urwesen scheidet die Welt als seinen Leib von sich aus, zehrt diesen aber allmählig wieder auf, so daß am Ende ein allgemeiner Weltbrand entsteht, der alle Dinge in ihren Urzustand zurückführt, d. h. in das göttliche Urfeuer auflöst. Nachdem aber so das große Weltjahr abgelaufen ist, beginnt die Bildung einer neuen Welt, in welcher – das war nun stoische Schrulle – die frühere sich genau bis auf die einzelnen Vorgänge und Personen (Sokrates und Xanthippe) hinaus wiederholt. Gegen diese Schrulle hat Kant die tiefere Einsicht, die ihm auch sonst vielfach dienlich wird, daß von absoluter Genauigkeit der Bestimmungen in der Natur überhaupt nicht die Rede sein könne, »weil,« wie er sich ausdrückt, »die Vielheit der Umstände, die an jeder Naturbeschaffenheit Antheil haben, eine abgemessene Regelmäßigkeit nicht verstattet.« Auch nach buddhistischer Lehre sind die Wesen und die Welten »von Nichtanfang an« in der Umwälzung des Entstehens und Vergehens begriffen gewesen; jede Welt kommt aus einer früheren untergegangenen Welt: die unendliche Zeit theilt sich in große und kleine Kalpa's, d. h. in Perioden mehr oder minder weitgreifender, bald durch Wasser, bald durch Feuer, bald durch Wind herbeigeführter Zerstörung und Wiederherstellung.
Diesen religiös-philosophischen Vorahnungen ist in neuester Zeit durch zwei Entdeckungen der Naturforschung auch wissenschaftliche Wahrscheinlichkeit zugewachsen. Aus dem allmähligen Kleinerwerden der Bahn des Encke'schen Kometen hat man das Dasein eines wenn auch feinsten Stoffes im Weltraume erschlossen, der den umlaufenden Körpern Widerstand leistet, in freilich viel längeren Zeiträumen auch die Bahnen der Planeten enger machen, und schließlich ihr Zusammenstürzen mit der Sonne zur Folge haben muß. Die andere Entdeckung ist die von der Erhaltung der Kraft. Wenn es ein Weltgesetz ist, daß gehemmte Bewegung sich in Wärme umsetzt, und Wärme hinwiederum Bewegung erzeugt, daß überhaupt die Kraft der Natur, wenn sie in einer Form schwindet, in einer andern wieder erscheint: so dämmert uns ja hier die Möglichkeit, daß eben in der Hemmung einer kosmischen Bewegung die Natur das Mittel besitzen möge, aus dem Tode neues Leben hervorzurufen.
Die Masse nebelartig ausgedehnten Stoffes, die wir mit Kant und Laplace als relativen Urstoff unsres Planetensystems voraussetzen, werden wir indeß selbst dann, wenn wir sie aus einem vorangegangenen Verbrennungsproceß herkommen lassen, eben vermöge ihrer äußersten Disgregation als vollständig abgekühlt uns vorzustellen haben. Erst wie in Folge der Gravitation die zerstreuten Atome sich allmählig wieder einander annäherten, und weiterhin die Gestalt einer ungeheuren Dunstkugel annahmen, werden sie einerseits Wärme und Leuchtkraft, andrerseits die wälzende Bewegung gewonnen haben, die der Kugel ebenso wie diese Gestalt einer aus dampf- oder tropfbar-flüssigem Stoffe bestehenden Masse natürlich ist. Die Stoffe im Umfang der Kugel werden sich nach ihrem Mittelpunkte gesenkt, die Wärmeausstrahlung von ihrer Oberfläche weitere Zusammenziehung herbeigeführt haben; während die Dunstkugel eben in Folge ihrer Verkleinerung sich immer schneller um ihre Axe schwang. Dieser Schwung mußte am stärksten sein am Aequator der Kugel, die wir uns deßwegen auch in dieser Mittelzone gewaltig geschwellt und an den Polen abgeplattet denken müssen.
Indem nun aber die Kugel gleichzeitig sich zusammenzieht und immer stärker schwingt, wird es geschehen, daß in jener Region des stärksten Umschwungs Theile sich von der zurückweichenden Masse ablösen, und zunächst vielleicht in Gestalt eines Rings in der gleichen Richtung mit dem sich verkleinernden Dunstball um denselben kreisen. Auf diesen Gedanken, daß die Ablösungen von der Urmasse sich zunächst in Ringgestalt gemacht haben mögen, ist die Astronomie durch den Ring des Saturn geführt worden. Da man nämlich sich berechtigt glaubt, die Erzeugung der um einzelne Planeten kreisenden Trabanten als eine Wiederholung der Planetenentstehung im Kleinen zu betrachten, und da man in dem Saturnsring gleichsam einen oder mehrere im Werdeproceß stecken gebliebene innerste Saturnsmonde zu sehen meint, so schiebt man auch bei der Entstehung der Planeten gerne die Ringform zwischenein. Der Ring wäre hernach geborsten und hätte sich zur Kugel geballt, die sich hinfort in der Richtung der Rotation der Urmasse um diese und zugleich in derselben Richtung um sich selbst gedreht hätte. Wenn wir aus einem solchen Ablösungsproceß die Entstehung der Planeten erklären, so muß sich derselbe in der Art mehrmals wiederholt haben, daß der sonnenfernste Planet als der erstentstandene, der sonnennächste als der jüngsterzeugte zu betrachten ist.
Daß die Bahnen der Planeten keine Kreise, sondern Ellipsen bilden, daß sie nicht genau, sondern nur ungefähr in der Ebene des Sonnenäquators liegen, und daß die Axen ihrer Umdrehung um sich selbst nicht senkrecht, sondern in verschiedenen Graden geneigt auf der Ebene ihrer Bahnen stehen, das gehört zu jenen Ungenauigkeiten in den Naturergebnissen, von denen wir so eben Kant haben sprechen hören, und mag in den Umständen der Ablösung und Gestaltung dieser Körper im Allgemeinen und Einzelnen seine Ursachen haben. So scheint auch der Umstand, daß die von der Sonne entfernteren Planeten im Allgemeinen die größeren und mondreicheren, aber auch die weniger dichten sind, sich daraus erklären zu lassen, daß bei den ersten Planetenablösungen noch die größten Quantitäten, dabei aber noch wenig concentrirten Stoffes, zur Verfügung standen; obwohl auch hier der Zufall, d. h. ein Zusammenwirken bis jetzt unerkannter Ursachen, sein Spiel gehabt haben muß, da ja nicht der äußerste, sondern der innerste dieser ferneren Gruppe, nämlich Jupiter, der größte, und ebenso Neptun wieder dichter als Saturn und Uranus ist. So ist man auch noch nicht zur Nachweisung einer gesetzmäßigen Ursache gekommen für die Zunahme, oder richtiger gesprochen Abnahme, der Abstände der Planeten von einander und von der Sonne. Es ist nämlich jede weiter nach auswärts gelegene Planetenbahn (wobei die Bahnen sämmtlicher Planetoiden als Eine gerechnet werden) zwischen anderthalb und zweimal so weit von der Sonne entfernt als die vorhergehende. Schopenhauer hat dieß durch die Annahme einer ruckweise erfolgten Zusammenziehung des Centralkörpers zu erklären versucht: derselbe habe sich jedesmal um die Hälfte seiner noch vorhandenen Ausdehnung zusammengezogen, und da dieser immer kleiner geworden, so auch die Abstände der durch jeden jener Rucke gebildeten Planeten.
Wie der Centralkörper, so zogen sich aber auch die von ihm abgelösten und um ihn kreisenden Kugeln allmählig in sich zusammen, und indem die größern unter ihnen ihren eigenen Entstehungsproceß durch Abschleuderung von Trabanten wiederholten, kühlten sie sich zugleich ab, verdunkelten und verdichteten sich. In dieser Hinsicht zwar wirkten zunächst zwei Ursachen in entgegengesetzter Richtung. Die Zusammenziehung der Kugeln, das engere Zusammendrängen ihrer Theile, vermehrte die Temperatur, aber die Ausstrahlung derselben in den kalten Weltraum verminderte sie. Und da die letztere um so mehr überwiegen mußte, je kleiner der Körper war, so verkühlten und verfesteten sich die kleinern Planeten früher als die größern; wie denn insbesondre von Jupiter wahrscheinlich gefunden wird, daß er noch heute nicht so wie die Erde abgekühlt und an seiner Oberfläche fest geworden sei, eben darum auch noch etwas von selbsteigener Leuchtkraft behalten habe. Um so mehr dauert die Glut in dem ungeheuren Centralkörper fort, und fristet sich, wie die Naturforscher vermuthen, theils durch weiteres, doch unmerklich langsam fortschreitendes Zusammenziehen, theils durch das unaufhörliche Einstürzen kleiner Weltkörper von der Art unsrer Asteroidenschwärme in seine Masse. Wie übrigens unser ganzes Sonnensystem in allen seinen scheinbaren Zufälligkeiten beherrscht und zusammengehalten wird durch jene großen Gesetze über das Verhältniß der Entfernung und Bewegung, die Kepler gefunden, Newton auf die Wirkungsweise der einen Schwerkraft zurückgeführt hat, das habe ich hier nicht auseinanderzusetzen.
Wie Kant's allgemeine kosmogonische Idee, so ist auch die von ihm aufgenommene Betrachtung der Milchstraße als einer linsenförmig aufgestellten Anhäufung zahlloser Sonnen, und der Nebelflecke als ebensolcher Gruppen, die uns nur der ungeheuren Entfernung wegen so klein erscheinen, von der neuern Astronomie bestätigt und weiter ausgebildet worden. Statt seiner Vermuthung eines Centralkörpers für unser Milchstraßensystem, wobei er an den Sirius dachte, wird jetzt insgemein eine gleichmäßige gegenseitige Anziehung und dieser entsprechende Bewegung aller in der Gruppe befindlichen Sterne, gleichsam eine republikanische Verfassung statt der monarchischen, angenommen.
Außerdem hat die Entdeckung der Doppelsterne unsrer Vorstellung vom Weltsystem eine unerwartete Mannigfaltigkeit gegeben. Dachte man sich bis dahin die sogenannten Fixsterne nach der Analogie unsrer Sonne jeden von einer Anzahl von Planeten umwandelt, so sah man nun da und dort zwei Sonnen umeinander oder um ihren gemeinsamen Schwerpunkt kreisen. Bleibt hiebei immer noch die Annahme möglich, daß jede von beiden von einer Anzahl planetarischer Körper umgeben sei, so ergibt dieß doch für deren Bewegungs- und Beleuchtungsverhältnisse ganz eigenthümliche Combinationen. Noch überraschender war in der neuesten Zeit die Entdeckung solcher Doppelsterne, bei denen das eine Glied des Paares keine Sonne, sondern ein dunkler Körper ist. Unter andern befindet sich der hellstrahlende Sirius in der Lage, mit einem solchen dunkeln Doppelgänger gepaart zu sein. Hier hätten wir also, wie es scheint, den von der Gestaltung unsres Sonnensystems ganz verschiedenen Fall, daß die planetarische Masse nicht eine Mehrzahl kleinerer um die Sonne sich bewegender, sondern Einen der Sonne an Größe und Gewicht nahezu ebenbürtigen Körper bildete.
Von den sogenannten Nebelflecken haben sich viele unter dem Fernrohr, ebenso wie die Milchstraße, in Sternhaufen aufgelöst, und nachdem manche, die früher unauflöslich geschienen, später angewendeten schärfern Fernröhren nicht hatten widerstehen können, fing die Vorstellung sich zu bilden an, daß in der Wirklichkeit wohl alle nichts andres als ähnliche Gruppen von Sonnen wie unser Milchstraßensystem sein möchten. Da hat unerwarteter Weise Kirchhoffs wunderbare Entdeckung, die Spectralanalyse, eine Entscheidung gebracht, die das Fernrohr nicht geben konnte. Viele zwar unter den Nebelflecken zeigen im Spectroscop dieselben Linien wie Fixsterne; andre dagegen geben sich durch ihre Linien als glühende Gasmassen zu erkennen. Man sieht von selbst die Wichtigkeit dieses Erfundes für unsre kosmogonische Theorie. Er zeigt uns thatsächlich, was wir oben voraussetzten, daß es im unendlichen Raume neben den fertigen auch werdende, aus dem gasförmigen Zustande sich erst herausbildende Welten gibt. Und wenn wir dann auf der andern Seite an jene Sterne uns erinnern, die früher kaum oder gar nicht bemerkt, durch plötzliches Aufflammen sich zum Glanze von Sternen erster oder zweiter Größe erhoben, um nach längerer oder kürzerer Zeit wieder hinzuschwinden: so liegt es nahe, hier an zusammenstürzende Welten zu denken, die durch einen Verbrennungsproceß einer neuen Bildung entgegengehen.
Daraus, daß die Erde ein Planet, und daß sie von lebendigen, theilweise vernünftigen Wesen bewohnt ist, schließen zu wollen, daß alle Planeten bewohnt seien, findet Kant ebenso übereilt, als es ungereimt wäre, es von allen oder auch nur von den meisten in Abrede zu stellen. Aehnliche Umstände als Ursachen lassen ähnliche Wirkungen vermuthen; aber man muß jene Umstände erst genau untersuchen, ehe man Schlüsse daraus ziehen darf. Beleuchtung und Erwärmung durch die Sonne, Axendrehung und damit Wechsel von Tag und Nacht, diese und andre Aehnlichkeiten können durch die Verschiedenheit der Entfernung von der Sonne, der Größe und Dichtigkeit eines Planeten u. s. f. so modificirt werden, daß der Analogieschluß hinfällig wird.
Kant hat auch hier bereits das Richtige gesehen. »Vielleicht,« sagt er, »daß sich noch nicht alle Himmelskörper völlig ausgebildet haben; es gehören Jahrhunderte, vielleicht Tausende von Jahren dazu« (wir hängen hier getrost etliche Nullen an), »bis ein großer Himmelskörper einen festen Stand seiner Materie erlanget hat. Jupiter scheinet noch in diesem Stadium zu sein. Allein man kann mit Befriedigung vermuthen, daß, wenn er gleich jetzt unbewohnt ist, er dennoch es dereinst werden wird, wenn die Periode seiner Bildung wird vollendet sein.« Uebrigens gesetzt auch, er käme niemals in den Zustand, Bewohner zu haben, so dürften wir uns nach Kant so wenig daran stoßen, als wir Anstoß daran nehmen dürfen, daß es auf unsrer Erde unbewohnbare Wüsteneien gibt.
Bei unsrem Monde, der freilich ein unendlich kleinerer Weltkörper ist, müssen wir uns, wie es scheint, in jedem Falle gefaßt machen, ihn als eine öde Klippe zu denken; denn auf seiner uns sichtbaren Seite können wir eine Atmosphäre auch nur der allerdünnsten Art nicht wahrnehmen, und die Gründe, die man für die Möglichkeit einer solchen auf seiner der Erde beständig abgewandten Seite neuerdings beigebracht hat, geben bis jetzt noch erheblichen Zweifeln Raum. Bei der Sonne, die als brennender Körper gleichfalls nichts organisch-lebendiges beherbergen kann, ist es insofern ein andres, als sie mittelbar durch die von ihr ausstrahlende Wärme die Ursache alles Lebens in dem von ihr beherrschten Gebiete ist. Bei dem lockern Völkchen der Kometen kann ohnehin von Bewohnern nicht die Rede sein. Kant suchte durch die Vermuthung weiterer Planeten jenseits des Saturn mit immer excentrischeren Bahnen einen stetigen Uebergang von Planeten zu Kometen herzustellen; die neuere Astronomie hat längst die grundverschiedene Natur beider Arten von Weltkörpern erkannt, und ist jetzt geneigt, die Kometen für intermundane Körper zu halten, die, außerhalb unsres Sonnensystems zu Hause, dieses nur zeitenweise passiren, wobei einige wenige, durch Anziehungskräfte festgehalten, sich bei uns wohl oder übel eingerichtet haben.
Einmal im Zuge der Vermuthungen über die Bewohner der Gestirne, wirft Kant auch die Frage nach dem unter ihnen etwa bestehenden Rangverhältniß auf. Von einer Seite liegt es nahe, sich die Bewohner derjenigen Planeten als die vollkommeneren zu denken, die der Sonne, dem Quell alles Lichts und Lebens, näher stehen; also die Mercursbewohner vollkommener, als die der Venus, diese als die Erdbewohner, und endlich die Bewohner des Uranus oder Neptun, wenn es dergleichen gibt, gleichsam als die Lappen und Samojeden des Systems. Kant stellt sich geradezu auf den entgegengesetzten Standpunkt. Mit der zunehmenden Entfernung von der Sonne nimmt allerdings die Wärme, aber auch die Dichtigkeit der Planeten, die Grobheit des Stoffes auf denselben ab. Daraus glaubt Kant das Gesetz ziehen zu dürfen, »daß die Vollkommenheit der Geisterwelt sowohl als der materialistischen auf den Planeten, vom Merkur bis zum Saturn, oder vielleicht noch über ihm (Uranus war damals noch nicht entdeckt), in einer richtigen Gradfolge nach der Proportion ihrer Entfernungen von der Sonne wachse und fortschreite.«
In dieser Reihenfolge erscheint der Mensch, der Bewohner des dritten Planeten von innen heraus, des damals vierten von außen herein, gleichsam als ein mittlerer Mann. Sein moralisches Schwanken zwischen Bösem und Gutem, zwischen Thier und Engel, hat möglicherweise eben in dieser Mittelstellung seinen Grund. Vielleicht sind, vermuthet Kant, die Bewohner der zwei untersten Planeten zu thierisch, um sündigen zu können, die der obern zu ätherisch; »auf diese Weise wäre die Erde, und vielleicht noch der Mars (damit ja der elende Trost uns nicht genommen werde, Gefährten des Unglücks zu haben) allein in der gefährlichen Mittelstraße«, wo die Sünde ihr Spiel hat.
Wir werden uns wohl in Acht nehmen, mit unsern Vermuthungen über die Planetenbewohner so weit zu gehen; aber ist es nicht eine köstliche Situation, sich in Acht nehmen, um nicht mit dem nachmaligen Urheber der Vernunftkritik zu schwärmen?
Beschränken wir uns von jetzt an auf die Erde, so bietet dasjenige, was wir auf und unter ihrer Oberfläche antreffen, demjenigen, was wir bisher durch Schlußfolgerungen gefunden haben, auf's schönste die Hand. Dem Bisherigen zufolge haben wir sie in ihrem Urzustande uns vorzustellen als eine von der großen losgerissene kleinere Dunstkugel, die sich vermöge der Gravitation gegen ihren Mittelpunkt zusammenzieht, und ungeachtet der dadurch zunächst bewirkten Temperaturerhöhung, vermöge der überwiegenden Wärmeausstrahlung allmählig abkühlt. Diese Abkühlung tritt zuerst da ein, wo die Ausstrahlung stattfindet, auf der Oberfläche der Kugel: hier werden wir den gasförmigen Zustand erst in den feuerflüssigen, und endlich in den festen übergehend uns denken müssen. Die sich bildende Erdkruste wird zunächst die glatte Kugel- oder Sphäroidform haben; weil aber die Zusammenziehung der sich verkühlenden Kugel fortdauert, wird jene Kruste sich falten, es werden Unebenheiten, mitunter auch Spalten entstehen, aus denen, unter dem Drucke der einsinkenden Kruste, Theile des noch feuerflüssigen Innern hervorquellen, oder auch Gaspartien blasenartig ausbrechen und Gebirge und Thäler bilden werden.
Eine Hauptepoche in der Erdbildung tritt mit dem Zeitpunkt ein, wo die Abkühlung so weit gediehen ist, daß die aufsteigenden Dünste sich zu Wolken verdichten, die als Regen niedergehen. Nun beginnt das Wasser mit Abspülen und Anschwemmen, Auflösen und Mischen, seine Rolle zu spielen, wodurch erst organisches Leben möglich wird. Die ungeheure Verdunstung der sich erst allmählig abkühlenden Erde bringt ungeheure Wolken- und Regen-Massen in Bewegung: die Erde bedeckt sich mit einem warmen Meere, woraus nur die höchsten jener Höhen als Inseln hervorragen. Auch jetzt noch mögen theils Reactionen des glühenden Erdinnern, theils atmosphärische Actionen von Zeit zu Zeit gewaltige Umwälzungen auf der Erdoberfläche herbeigeführt haben; doch ist die Phantasie selbst in der Wissenschaft an diesem Punkt allzuthätig gewesen, und die heutige Geologie ist, besonders auf des Engländers Lyell Nachweisungen hin, geneigt sich den Hergang viel ordentlicher, weit mehr in Analogie mit dem, was wir noch jetzt in der Natur sich ereignen sehen, vorzustellen, als früher an der Tagesordnung war. Die Annahme der ältern Naturforschung insbesondre, daß die ersten Ansätze von Leben, von pflanzlichen und thierischen Organismen auf der Erde, zu wiederholten Malen durch jene Revolutionen verschüttet und vernichtet worden, und nachher jedesmal wieder eine neue Schöpfung von solchen erforderlich gewesen sei, ist heutzutage aufgegeben, die vermeintlich totalen Erdrevolutionen auf sehr partielle zurückgeführt, und die von seinen Anfängen an ununterbrochene Fortdauer und Fortbildung des organischen Lebens auf der Erde thatsächlich nachgewiesen worden.
Die ältesten Schichten der Erdrinde zeigen uns keine Spuren vormaliger Lebewesen; spätere Schichten zeigen dergleichen, d. h. wir finden in denselben Versteinerungen von Pflanzen und Thierkörpern; wo kam nun dieses Leben auf einmal her? Man hat jenes ursprüngliche Fehlen nicht gelten lassen wollen; man hat darauf aufmerksam gemacht, daß jene ältesten Schichten allerlei Veränderungen erfahren haben, durch welche die in ihnen früher eingeschlossenen Reste vernichtet sein können. Das mag sein, ändert aber an dem Ergebniß nichts. Die Temperatur des Erdballs war auf jeden Fall einmal eine so hohe, daß lebendige Organismen auf ihm nicht existiren konnten; es war einmal kein organisches Leben auf der Erde, und später war es da; es muß also einmal angefangen haben, und die Frage ist, wie?
Hier setzt der Glaube das Wunder ein. Gott sprach: die Erde lasse aufgehen Gras und Kraut; sie bringe hervor lebendige Thiere, ein jegliches nach seiner Art. Die ältere Naturforschung ließ sich das noch gefallen; nach Linné sind sämmtliche Pflanzen- und Thierarten jede in einem Paar oder einem hermaphroditischen Individuum geschaffen worden. Auch Kant urtheilte, man könne wohl sagen: »gebt mir Materie, ich will euch zeigen, wie eine Welt daraus entstehen soll«; aber nicht: »gebt mir Materie, ich will euch zeigen, wie eine Raupe erzeugt werden soll.« Allein wenn in dieser Art das Problem allerdings nicht zu lösen ist, so kommt dieß nur daher, daß es unrichtig gestellt ist. Ob ich sage: eine Raupe, oder der Elephant, oder gar: der Mensch, – allemal setze ich einen bereits so künstlich zusammengefügten Organismus, von dem es sich von selbst versteht, daß er nicht unmittelbar aus der unorganischen Materie hervorgegangen sein kann. Man muß, um über diese Kluft hinüberzukommen, das Organische in seinem einfachsten Grundbestandtheile nehmen, welcher bekanntlich die Zelle ist. Hat – nicht eine Raupe, aber hat eine organische Zelle aus den vorher allein vorhandenen unorganischen Stoffen natürlicherweise hervorgehen können? Auch so hat selbst Darwin die Frage noch nicht zu bejahen gewagt, sondern nöthig gefunden, zum mindesten an dieser Anfangsstelle das Wunder zu Hülfe zu rufen. Am Anfang der Dinge – das war wenigstens die Lehre seines ersten und Hauptwerks – hat der Schöpfer einige oder vielleicht auch nur Eine Urzelle geformt und ihr Leben eingehaucht, woraus dann in der Folge der Zeiten die ganze Mannigfaltigkeit des organischen Lebens auf der Erde sich entfaltet hat. Hier war sein französischer Vorgänger Lamarck weiter gegangen, indem er die einfachsten niedrigsten Organismen am Anfang und immer noch durch Urzeugung entstehen ließ.
Diese Frage nach der generatio aequivoca oder spontanea, d. h. ob es möglich sei, daß ein organisches Individuum, wenn auch der unvollkommensten Art, anders als durch seinesgleichen entstehen könne, nämlich aus chemischen und morphologischen Processen, die nicht im Ei oder im Mutterleibe, sondern in Stoffen andrer Art, in organischen oder unorganischen Flüssigkeiten, vor sich gehen, diese schon im vorigen Jahrhundert lebhaft erörterte Frage hat auch in neuester Zeit die Naturwissenschaft wieder beschäftigt; ohne daß jedoch, bei der Schwierigkeit beweisender Versuche, eine allgemein anerkannte Entscheidung erzielt worden wäre. Allein selbst wenn sich für die gegenwärtige Erdperiode das Vorkommen einer solchen Zeugung nicht nachweisen ließe, so würde dieß doch für eine vorweltliche Periode mit ihren ganz andern Bedingungen nichts beweisen. »Alle bekannten Thatsachen«, urtheilt Virchow, »sprechen gegen die spontane Zeugung in gegenwärtiger Zeit.« Aber da wir doch im Verlaufe der Erdentwicklung das Leben einmal zuerst auftreten sehen, was müssen wir daraus schließen, wenn nicht das, »daß unter ganz ungewöhnlichen Bedingungen, in der Zeit großer Erdrevolutionen, das Wunder«, d. h. der Hervorgang des Lebens – versteht sich in seiner noch unvollkommensten Form – »geschehen sei?« Diese unvollkommenste Form ist seitdem auch wirklich nachgewiesen worden: Huxley hat den Bathybius, eine schleimige Gallertmasse auf dem Meeresgrunde, Häckel die von ihm sogenannten Moneren gefunden, structurlose Klümpchen einer eiweißartigen Kohlenstoffverbindung, die, ohne aus Organen zusammengesetzt zu sein, doch sich ernähren, wachsen u. s. f.; wodurch die Kluft ausgefüllt, der Uebergang vom Unorganischen zum Organischen vermittelt heißen kann.
Diesen Uebergang sich als einen natürlichen zu denken, wird der jetzigen Naturwissenschaft nicht blos durch eine richtigere Stellung des Problems, sondern auch durch einen berichtigten Begriff von dem Leben und dem Lebendigen erleichtert. So lange man den Gegensatz zwischen unorganischer und organischer, lebloser und lebendiger Natur als einen absoluten faßte, so lange man an dem Begriff einer besondern Lebenskraft festhielt, war über jene Kluft ohne Wunder nicht hinüberzukommen. Dagegen lehrt uns die heutige Naturwissenschaft: »die Scheidung zwischen der sogenannten organischen und unorganischen Natur ist eine ganz willkürliche; die Lebenskraft, wie sie gewöhnlich gedacht wird, ist ein Unding« (Dubois-Reymond). »Der Stoff, der Träger des Lebens, ist nichts Besonderes«; es findet sich in den organischen Körpern kein Grundbestandtheil, der nicht schon in der unorganischen Natur vorhanden wäre; »nur die Bewegung des Stoffs ist das Besondere.« Doch auch diese selbst »bildet nicht einen diametralen dualistischen Gegensatz zu den allgemeinen Bewegungsvorgängen in der Natur; das Leben ist nur eine besondre, und zwar die complicirteste Art der Mechanik; ein Theil der Gesammtmaterie tritt von Zeit zu Zeit aus dem gewöhnlichen Gange ihrer Bewegungen heraus in besondre organisch-chemische Verbindungen, und nachdem er eine Zeit lang darin verharrt hat, kehrt er wieder zu den allgemeinen Bewegungsverhältnissen zurück« (Virchow). Es handelte sich also, die Sache richtig angesehen, nicht darum, daß etwas Neues geschaffen, sondern nur darum, daß die schon vorhandenen Stoffe und Kräfte in eine andre Art von Verbindung und Bewegung gebracht wurden; und dazu konnte in den von den jetzigen so durchaus abweichenden Verhältnissen der Urzeit, der ganz andern Temperatur, Mischung der Atmosphäre u. dgl. eine hinreichende Veranlassung liegen.
Nun hätten wir aber immer erst eine Anzahl der allerniedrigsten organischen Existenzen; während als Aufgabe die ganze so mannigfaltige Pflanzen- und Thierwelt der Erde vor uns liegt, eine aufsteigende weitverzweigte Reihe von Organismen, die uns, je weiter hinauf desto mehr, durch die kunstreiche Zweckmäßigkeit ihrer Zusammensetzung, das wundervolle Getriebe ihrer Thätigkeiten, ihrer Instincte und Kunstfertigkeiten, zuletzt im Menschen durch die Intelligenz, in Erstaunen setzen. Das alles haben wir in seiner Entstehung begreiflich zu machen ; und wenn wir uns nun auch allenfalls die Herausbildung einer Zelle oder eines Moner's aus dem Unorganischen vorstellig machen können, so sind wir damit noch nicht weit gefördert. Soll denn nun die Natur, nachdem sie zunächst aus dem Leblosen jene unvollkommensten Lebensformen hervorgebildet, weiter in der Art fortgeschritten sein, daß sie in immer stärkerem Kraftansatz aus demselben Unorganischen immer höhere Organismen hervorzurufen wußte? Damit kämen wir ja aber in die alten Schwierigkeiten, in das Problem von der Raupe oder dem Elephanten hinein.
Ein Ausweg läge nur in der Annahme, daß die Natur, nachdem sie einmal ein organisches Gebilde zu Stande gebracht, statt immer von Neuem zum Unorganischen zurückzugreifen, sich ihres Vortheils bedient, an das einmal gewonnene Organische sich gehalten, und aus dem ersten einfachsten ein zweites zusammengesetzteres, aus diesem ein drittes u.s.f., überdieß aus dem so zusammengesetzten ein anders und noch einmal ein anders zusammengesetztes geformt habe; besser ausgedrückt in der Voraussetzung, daß das Lebendige den Trieb wie die Fähigkeit besitze, sich aus den einfachsten Anfängen zu einer Mannigfaltigkeit theils übereinander aufsteigender, theils nebeneinander sich ausbreitender Formen zu entwickeln.
Einer solchen Voraussetzung scheint freilich alles, was wir um uns her wahrnehmen und beobachten können, auf's entschiedenste zu widersprechen. Wir sehen in der organischen Natur immer nur Gleiches aus Gleichem, niemals Ungleiches aus Ungleichem entstehen, indem die Unterschiede des Erzeugten vom Erzeugenden als unwesentlich der wesentlichen Gleichheit sich unterordnen. Wenn auch keine Eiche der andern in allen Stücken gleicht, so entsteht doch aus der Eichel niemals eine Buche oder Tanne; der Fisch bringt nur wieder einen Fisch, keinen Vogel und kein Reptil, das Schaf nur wieder ein Schaf nie ein Rind oder eine Ziege hervor. Darum hat auch die Naturwissenschaft bis auf die neueste Zeit, bis auf Cuvier und Agassiz herab, die Arten der organischen Wesen als unverbrüchliche Schranken gewahrt, und wohl die Ausbildung von Varietäten und Spielarten einräumen müssen, die Fortbildung einer Art aber zu einer wirklich neuen und andern für schlechthin unmöglich erklärt. Wenn das ist, so müssen wir freilich zum Schöpfungsbegriff und zum Wunder zurück; dann muß Gott am Anfang Gras und Kraut und Bäume, und ebenso die Thiere, ein jegliches in seiner Art, geschaffen haben.
Gegen diese noch wesentlich theologische Lehrweise hat sich zwar längst eine Opposition geregt, die Naturwissenschaft hat längst dahin gestrebt, an die Stelle des ihr fremden Schöpfungsbegriffs den Begriff der Entwicklung zu setzen; mit diesem Begriff aber Ernst zu machen, ihn an der ganzen Welt des Lebens durchzuführen, dazu hat der Engländer Charles Darwin den ersten wissenschaftlichen Versuch gemacht.
Nichts ist leichter, als über die Darwin'sche Lehre sich lustig zu machen, nichts wohlfeiler, als jene höhnischen Ausladungen über die Affenabstammung des Menschen, worin selbst bessere Unterhaltungsblätter und Zeitschriften sich noch immer so gern ergehen. Aber eine Theorie, deren Eigentümlichkeit gerade darin besteht, das scheinbar weit von einander Abliegende durch Einschiebung von Mittelgliedern zu einer stetigen Entwicklungsreihe zu verbinden, und die Hebel bemerklich zu machen, mittelst deren die Natur die aufsteigende Bewegung in dieser Entwicklungsreihe zu Stande bringt, diese Theorie wird man doch nicht widerlegt zu haben meinen, wenn man zwei so werthverschiedene Gebilde wie den jetzigen Affen und den jetzigen Menschen, mit Nichtbeachtung der von ihr theils nachgewiesenen, theils vorausgesetzten Zwischenstufen und Mittelzustände, unmittelbar wider einander stößt.
Uebrigens ist der Unwille und als dessen Waffe der Spott gegen Darwin's Theorie von Seiten der Kirchlichen, der Altgläubigen, der Offenbarungs- und Wundermänner, wohl zu begreifen; sie wissen was sie thun und haben allen Grund und alles Recht, ein ihnen so feindliches Princip auf Leben und Tod zu bekämpfen. Jene spottlustigen Artikelschreiber dagegen – sind sie denn Gläubige? Der überwiegenden Mehrzahl nach gewiß nicht; sie schwimmen mit dem Strome der Zeitbildung, sie wollen vom Wunder, von dem Eingreifen des Schöpfers in den Lauf der Natur nichts wissen. Gut; wie erklären sie also die erste Entstehung des Menschen, weiterhin den Hervorgang des Organischen aus dem Unorganischen, wenn sie Darwin's Erklärung so lächerlich finden? Wollen sie den Urmenschen als solchen, d.h. wohl so roh und ungebildet wie sie mögen, aber doch als diesen menschlichen Organismus, unmittelbar aus dem Unorganischen, aus dem Meere, dem Nilschlamm u. dgl. hervorgehen lassen? Schwerlich sind sie so verwegen; aber wissen sie denn auch, daß ihnen dann nur die Wahl zwischen dem Wunder, der göttlichen Schöpferhand, und Darwin bleibt?
Darwin ist nicht der erste Urheber der Lehre gewesen, die jetzt meistens mit seinem Namen bezeichnet wird; ihre Anfänge schreiben sich schon aus dem vorigen Jahrhundert her, und zu Anfang des jetzigen ist sie durch den Franzosen Lamarck als geschlossene Theorie aufgestellt worden. Allein es fehlten ihr zur rechten Lebensfähigkeit noch wesentliche Mittelglieder; Lamarck führte nur den Satz durch, daß die Arten in der Natur nichts Festes seien, sondern sich aus einander, insbesondere die höheren aus den niedrigeren, durch Umbildung entwickelt haben; aber auf die Katechismusfrage: »Wie geschiehet das?« suchte er wohl, aber wußte keine rechte Antwort zu geben. Hier ist die Stelle, wo Darwin der Theorie nachgeholfen, und sie dadurch aus einer wissenschaftlichen Paradoxie, was sie bis dahin war, zum einflußreichen System, zur weitverbreiteten Weltanschauung gemacht hat.
Auch so ist die Theorie unstreitig noch höchst unvollständig; sie läßt unendlich vieles unerklärt, und zwar nicht blos Nebensachen, sondern rechte Haupt- und Cardinalpunkte; sie deutet mehr auf künftig mögliche Lösungen hin, als daß sie diese selbst schon gibt. Aber wie dem sei, es liegt etwas in ihr, das wahrheits- und freiheitsdurstige Geister unwiderstehlich an sich zieht. Sie gleicht einer nur erst abgesteckten Eisenbahn: welche Abgründe werden da noch auszufüllen oder zu überbrücken, welche Berge zu durchgraben sein, wie manches Jahr noch verfließen, ehe der Zug reiselustige Menschen schnell und bequem da hinaus befördert! Aber man sieht doch die Richtung schon: dahin wird und muß es gehen, wo die Fähnlein lustig im Winde flattern. Ja, lustig, und zwar im Sinne der reinsten erhabensten Geistesfreude. Wir Philosophen und kritischen Theologen haben gut reden gehabt, wenn wir das Wunder in Abgang decretirten; unser Machtspruch verhallte ohne Wirkung, weil wir es nicht entbehrlich zu machen, keine Naturkraft nachzuweisen wußten, die es an den Stellen, wo es bisher am meisten für unerläßlich galt, ersetzen konnte. Darwin hat diese Naturkraft, dieses Naturverfahren nachgewiesen, er hat die Thür geöffnet, durch welche eine glücklichere Nachwelt das Wunder auf Nimmerwiederkehr hinauswerfen wird. Jeder, der weiß, was am Wunder hängt, wird ihn dafür als einen der größten Wohlthäter des menschlichen Geschlechts preisen.
An einem andern Orte schon habe ich gesagt, unsrem Goethe hätte keine größere Freude werden können, als die Ausbildung der Darwin'schen Theorie noch zu erleben. War es doch das Auftreten eines Fortsetzers von Lamarck, der Streit zwischen Geoffroy St. Hilaire und Cuvier in der französischen Akademie, der ihm wichtiger erschien als die gleichzeitig ausgebrochene Julirevolution, und ihn zu einer ausführlichen Abhandlung über den Gegenstand veranlaßte, die erst im Monate seines Todes zum Abschlusse gekommen ist. »Ich habe mich,« sagte er damals zu Soret, »seit 50 Jahren in dieser großen Angelegenheit abgemüht; anfänglich einsam, dann unterstützt, und zuletzt zu meiner großen Freude überragt durch verwandte Geister.«
Seine Nachweisung des Zwischenknochens im Oberkiefer des Menschen, wodurch die Stetigkeit der organischen Entwicklung zwischen Thier und Mensch beurkundet wurde, seine Ideen über die Metamorphose der Pflanzen, später auch der Thiere, sind bekannt. In der ganzen organischen Welt glaubte er auf der einen Seite ein allgemeines Urbild, einen feststehenden Typus, auf der andern eine unendliche Beweglichkeit und Veränderlichkeit der Form, eine ewige Versabilität und Variabilität des Grundtypus, zu beobachten. Als das Veranlassende dieser Veränderungen betrachtete er hauptsächlich »die nothwendigen Beziehungsverhältnisse der Organismen zur Außenwelt,« zum Trocknen oder Feuchten, Warmen oder Kalten, zu Erde, Wasser oder Luft. »Das Thier wird durch Umstände zu Umständen gebildet. So bildet sich der Adler durch die Luft zur Luft, der Maulwurf zum lockern Erdboden, die Phoca zum Wasser.« Auch innerhalb einzelner Thiergeschlechter sucht Goethe diese Umbildung durch die elementaren Einflüsse nachzuweisen. »Ueberdenk' ich,« sagt er einmal, »das Nagergeschlecht, so erkenn' ich, daß es zwar generisch von innen determinirt und festgehalten sei, nach außen aber zügellos sich ergehend, durch Um- und Umgestaltung sich specificirend, auf das allervielfachste verändert werde. Suchen wir das Geschöpf in der Region des Wassers, so zeigt es sich schweinartig im Ufersumpf, als Biber sich an frischen Gewässern anbauend; alsdann immer noch der Feuchtigkeit bedürfend, gräbt es sich in die Erde und liebt wenigstens das Verborgene; gelangt es endlich auf die Oberfläche, so wird es hupf- und sprunglustig, so daß es aufgerichtet sein Wesen treibt, und sogar zweifüßig mit wundersamer Schnelle sich hin- und herbewegt.«
Doch nicht nur die verschiedenen Pflanzen- oder Thiergeschlechter für sich, auch die beiden Grundformen des organischen Lebens, das Thier- und Pflanzenreich im Ganzen, hat Goethe darauf angesehen, ob sie sich nicht als zwei auseinanderlaufende Aeste des Einen großen Lebensstammes begreifen lassen möchten. »Wenn man Pflanzen und Thiere in ihrem unvollkommensten Zustande betrachtet,« sagt er, »so sind sie kaum zu unterscheiden. Ein Lebenspunkt, starr, beweglich oder halbbeweglich, ist das, was unsrem Sinne kaum bemerkbar ist. Ob diese Anfänge, nach beiden Seiten determinabel, durch Licht zur Pflanze, durch Dunkelheit zum Thier hinüberzuführen sind, getrauen wir uns nicht zu unterscheiden, ob es gleich hierüber an Bemerkungen und Analogien nicht fehlt. So viel aber können wir sagen, daß die aus einer kaum zu sondernden Verwandtschaft als Pflanzen und Thiere nach und nach hervortretenden Geschöpfe nach zwei entgegengesetzten Seiten sich vervollkommnen, so daß die Pflanze zuletzt im Baume dauernd und starr wird, das Thier im Menschen zur höchsten Beweglichkeit und Freiheit sich verherrlicht.«
Ueber die Entstehung des letztern insbesondre hat uns Eckermann eine merkwürdige Auslassung Goethe's aufbehalten. Mit dem Münchener Naturforscher v. Martius, der ihn besuchte, war er auf die Menschenracen zu reden gekommen. Der Naturforscher, kirchlich befangen, suchte die Abstammung aller Menschen von dem einen erstgeschaffnen Paare durch den Satz zu bestätigen, daß die Natur in ihren Produktionen höchst ökonomisch verfahre. »Dieser Meinung muß ich widersprechen,« entgegnete Goethe, und erwies sich schon hierdurch dem Professor der Naturwissenschaft überlegen. »Ich behaupte vielmehr, daß die Natur sich immer reichlich, ja verschwenderisch erweise, und daß es weit mehr in ihrem Sinne sei, anzunehmen, sie habe, statt eines einzigen armseligen Paars, die Menschen gleich zu Dutzenden, ja zu Hunderten hervorgehen lassen. Als nämlich die Erde bis zu einem gewissen Punkte der Reife gediehen war, die Wasser sich verlaufen hatten, trat die Epoche der Menschwerdung ein, und es entstanden die Menschen durch die Allmacht Gottes überall, wo der Boden es zuließ, und vielleicht auf den Höhen zuerst. Anzunehmen, daß dieses geschehen, halte ich für vernünftig; allein darüber nachzusinnen, wie es geschehen, halte ich für ein unnützes Geschäft, das wir denen überlassen müssen, die sich gern mit unauflösbaren Problemen beschäftigen, und die nichts Besseres zu thun haben.«
Der Schleier, den Goethe über dem Vorgang liegen lassen will, ist nur der Rest von Unbestimmtheit, der in seiner ganzen Vorstellung von diesen Verhältnissen geblieben ist. Es wird nirgends recht klar, wie sich Goethe die umwandelnde und aufsteigende Entwicklung der Naturwesen gedacht hat: ob so, daß die einzelnen Thierarten selbst sich allmählig umgeformt, aus Wasser- zu Sumpf- und endlich Landthieren sich gestaltet haben; oder ob nur die Natur sich erst in diesen, dann in jenen Gestaltungen versucht, jede derselben aber aus freier Hand, nicht aus den vorhergehenden heraus, gebildet habe. Dachte sich Goethe die Sache in der letztern Form, insbesondre also den Menschen nicht aus einer höhern Thierart hervorentwickelt, sondern gleichsam aus dem blanken Boden auf einmal hervorgetreten: so ist dieß freilich eine Vorstellung so ungeheuerlicher Art, daß es rathsam ist, einen Vorhang darüber zu werfen.
Noch ein anderer deutscher Denker ist es, den wir unter den Vorgängern Darwin's zu verzeichnen haben: derselbe, der uns bereits als Vorläufer von Laplace in Bezug auf den gesammten Weltbau begegnet ist, der Philosoph von Königsberg. Und obgleich der naturforscherische Trieb und Blick sammt den Grundlinien seiner Naturanschauung in Goethe älter waren als Kant's Kritik der Urtheilskraft, so ist doch auf die bestimmteren Ergebnisse, wie wir sie so eben dargelegt haben, der Einfluß dieses epochemachenden Werkes kaum zu verkennen.
Obwohl sich nämlich Kant hier durchaus in der kritischen Reserve hält, weder einen nach bewußten Zwecken thätigen Weltschöpfer, noch eine unbewußte Zweckthätigkeit der bildenden Natur, gleichsam eine ihrem Mechanismus immanente Teleologie, behaupten, sondern nur so viel feststellen zu wollen, daß der Mensch vermöge der Einrichtung seines Erkenntnißvermögens sich gewisse Gebilde der Natur, die lebendigen nämlich, nicht anders als mittelst der Hülfsvorstellung des Zwecks begreiflich machen könne: so widersteht er doch der Versuchung nicht durchaus, wenigstens für einen Augenblick und mit dem Bewußtsein, damit nur »ein Abenteuer der Vernunft zu wagen«, die vorsichtig gezogene Grenzlinie zu überschreiten. »Die Uebereinkunft so vieler Thiergattungen in einem gewissen Schema,« sagt er, »das nicht allein in ihrem Knochenbau, sondern auch in der Anordnung der übrigen Theile zum Grunde zu liegen scheint, wo bewundernswürdige Einfalt des Grundrisses durch Verkürzung einiger und Verlängerung anderer, durch Einwicklung dieser und Auswicklung jener Theile, eine so große Mannigfaltigkeit der Species hat hervorbringen können, läßt einen, obgleich schwachen, Strahl von Hoffnung in das Gemüth fallen, daß hier wohl etwas mit dem Princip des Mechanismus der Natur auszurichten sein möchte.« Diese Analogie der Formen in der Natur nämlich verstärke die Vermuthung, daß sie auch wirklich der Abstammung nach im Zusammenhange stehen möchten, und lasse uns eine stufenartige Entwicklung der organischen Wesen annehmen »vom Menschen an bis zum Polyp, von diesem sogar bis zu Moosen und Flechten, und endlich zu der niedersten uns merklichen Stufe der Natur, der rohen Materie, aus welcher und ihren Kräften nach mechanischen Gesetzen, gleich denen, wornach sie in Krystallerzeugungen wirkt, die ganze Technik der Natur (die uns in organisirten Wesen so unbegreiflich ist, daß wir dazu ein andres Princip zu denken uns genöthigt glauben) abzustammen scheint.«
In besondrer Beziehung auf den Menschen ist eine Aeußerung Kant's in einer Note gegen den Schluß seiner Anthropologie bemerkenswerth. Er gedenkt hier der Thatsache, daß unter allen Thieren nur allein der neugeborene Mensch sein Dasein durch Schreien ankündige. Das habe zwar jetzt im Culturzustande, der sogar unter Wilden ein schützendes Familienleben mit sich bringe, nichts auf sich; im vorangegangenen rohen Naturzustande dagegen wäre es ein Signal gewesen, das reißende Thiere herbeigelockt, und so die Erhaltung der Gattung gefährdet haben würde. In diesem Urzustande könne demnach jenes Schreien der Neugeborenen noch nicht stattgefunden haben, sondern erst in einer zweiten Epoche, wo es nichts mehr schaden konnte, eingetreten sein. Diese Bemerkung, setzt Kant hinzu, führe weit, z. B. auf den Gedanken, ob nicht auf diese zweite Epoche, im Geleite großer Naturrevolutionen, noch eine dritte folgen dürfte, da ein Orang Utang oder ein Schimpanse seine Geh-, Tast- und Sprechwerkzeuge zum menschlichen Gliederbau, sein Gehirn zum Denkorgan ausbilden und durch gesellige Cultur allmählig weiter entwickeln könnte.
Die äußern Umrisse der Lamarck-Darwin'schen Theorie sind hiemit bereits gegeben; auch von den Springfedern, welche die Bewegung innerhalb derselben bestimmen, bereits etliche eingesetzt. Wie nach Goethe das Thier durch Umstände zu Umständen gebildet wird, so sind nach Lamarck die Augen des Maulwurfs durch seinen Aufenthalt unter der Erde verkümmert, während der Schwan durch das Bedürfniß des Ruderns die Häute zwischen den Zehen, den langen biegsamen Hals aber durch sein Nahrungsuchen auf dem Grunde des Wassers sich verschafft hat. Zu dergleichen Erklärungen schüttelte das Publikum die Köpfe, und auch Darwin, obwohl von der Richtigkeit der Theorie an sich überzeugt, fand doch diese Stützen derselben ungenügend.
Eine Liebhaberei, wie es scheint, gab ihm die Mittel an die Hand, haltbarere aufzufinden. Als Engländer und englischer Gutsbesitzer war er Taubenzüchter, bemüht, alle möglichen Spielarten dieses Vogels theils zusammenzubekommen, theils zu erzeugen. Hiebei fand er, daß Formen, die dem ersten Anblick nach so weit von einander abstehen, daß sie als verschiedene Arten erscheinen, sich vielmehr nach und nach im Verlaufe mehrerer Generationen durch künstliche Züchtung von der einfachen Grundform aus hervorbringen lassen. Der Züchter findet z. B. unter seinen gewöhnlichen Tauben ein Exemplar, das eine Schwanzfeder mehr oder einen etwas größeren Kropf als die übrigen hat; sofort sucht er für jedes von beiden ein zweites Exemplar des andern Geschlechts, bei dem sich die gleiche Abweichung findet; beide paart er, und es müßte seltsam zugehen, wenn nicht unter ihrer Nachkommenschaft mit der Zeit Exemplare auftauchten, bei denen die Schwanzfedern noch weiter vermehrt, wohl auch vergrößert, der Kropf noch mehr aufgetrieben wäre. So ist über Ablauf vieler Jahre und Geschlechter aus der einfachen Stammart einerseits die Pfauentaube, andrerseits die Kropftaube, und ebenso die übrigen Spielarten dieses Vogels gezüchtet worden; wobei die Abweichungen außer Federn und Farben zuletzt bis zum Knochenbau und den Lebensgewohnheiten sich erstrecken.
Daß durch ein ähnliches Verfahren mit andern Hausthieren, mit Pferden, Hunden, Schafen und Rindern, ebenso mit Pflanzen, insbesondere Blumen, ähnliche Ergebnisse erzielt werden, ist bekannt. Möglich werden dieselben durch das schon erwähnte Naturgesetz, daß die organischen Typen, bei aller Beständigkeit im Ganzen, doch in den Theilen veränderlich sind, und diese Abweichungen sich auf die Nachkommen vererben; wirklich herbeigeführt aber werden jene auffallenden Schlußergebnisse, ich meine jene staunenswerthe Verschiedenheit der erzielten Spielarten von dem Urstamm, durch willkürliches Eingreifen des Menschen, indem er die seinem Zweck entsprechenden Exemplare paart und ihre Vermischung mit andern hindert. Der Mensch erzeugt Spielarten, denen die Anerkennung als neue Arten zu weigern, zuletzt nur ein Wortstreit sein kann, durch künstliche Zuchtwahl: ließe sich etwas dieser Auswahl ähnliches auch im Gebiete der freien Natur nachweisen, so wäre der Weg gezeigt, das Auseinandergehen des organischen Lebens in diese verschiedenen Arten und Formen, die wir vor uns sehen, zu erklären.
Gibt es also etwas in der Natur, was bewirkt, daß in Pflanzen- und Thiergeschlechtern entstandene Abweichungen sich erhalten und steigern, daß mithin, als Bedingung davon, durch Generationen hindurch nicht gleichmäßig alle, sondern vorzugsweise nur gewisse so und so beschaffene Individuen sich fortpflanzen? und wo ist dieses Princip, dieses Weltferment, zu suchen?
Es ist bezeichnend, wo es der Engländer gesucht und gefunden hat: er brauchte es gar nicht erst zu suchen, da er rings um sich her in seiner Heimath die Thätigkeit wie die staunenswerthen Wirkungen dieses Princips vor Augen hatte; er brauchte es nur von der Menschenwelt auf den Haushalt der Natur zu übertragen: die Concurrenz. Darwin's »Kampf um das Dasein« ist nichts andres, als dasjenige zum Naturprincip erweitert, was wir als sociales, industrielles Princip schon lange kennen. Wir sehen die organischen Wesen mit dem Trieb und der Fähigkeit ausgestattet, weit mehrere ihresgleichen zu erzeugen, als sich in die Länge ernähren können. Nicht blos die Thiere machen einander die Weide, sondern ebenso Gräser und Bäume den Boden und die Sonne streitig. Können nicht alle sich erhalten, sondern nur einige, so werden diese einigen in der Regel die stärkeren, tüchtigeren, geschickteren sein. Gehen die schwächeren, die plumperen frühzeitig zu Grunde, so werden sich vorzugsweise die besser ausgestatteten fortpflanzen. Geht es in solcher Weise durch mehrere Generationen fort, so werden sich immer größere Abweichungen der Abkömmlinge von den Stammeltern herausstellen.
Auf diesem Wege können Thiergeschlechter Gliedmaßen, Waffen oder auch Zierden erwerben, die ihren Stammeltern fremd gewesen find. Goethe sagte, man werde künftig nicht mehr behaupten, dem Stier seien die Hörner gegeben, damit er stoße, sondern man werde untersuchen, wie er Hörner haben könne, um zu stoßen. Lamarck lehrte, eben von der Liebhaberei und Gewohnheit des Stoßens habe der Stier seine Hörner. Nach Darwin geht es damit doch so ganz einfach nicht. Er schiebt seinen Kampf um's Dasein dazwischen. Man setze eine Rinderheerde der Urzeit noch ohne Hörner, nur mit dem starken Nacken und der wulstigen Stirne. Die Heerde wird von Raubthieren angefallen; sie wehrt sich durch Anrennen und Gegenstoß mit dem Kopfe. Dieser Stoß wird um so kräftiger sein, der Stier um so eher den Raubthieren widerstehen, je stärker und härter die stoßende Stirne ist. Fände sich bei einem oder dem andern Exemplare die Verhärtung bis zum beginnenden Hornansatze ausgebildet, so würde ein solches die meiste Wahrscheinlichkeit haben, sich am Leben zu erhalten. Wären die minder bewehrten Stiere einer solchen Heerde zerrissen, so würde eben jenes so ausgerüstete Exemplar das Geschlecht fortpflanzen. Ohne Zweifel würden sich unter seiner Nachkommenschaft wenigstens einige Individuen finden, an denen die väterliche Rüstung sich wiederholte; und wenn nun bei neuen Anfällen abermals diese, und zwar diejenigen vorzugsweise, bei denen die Hörner sich am meisten herausgebildet hätten, am Leben blieben, so kann es nicht fehlen, es wird nach und nach, durch Vererbung dieser Waffe auch auf das andre Geschlecht, eine durchaus gehörnte Art entstehen. Zumal wenn dieses andre Geschlecht auch für sich den so gezierten Männchen den Vorzug geben wird: und hier greift in Darwin's Theorie neben der natürlichen die sogenannte geschlechtliche (sexuelle) Zuchtwahl ein, der er neuestens ein eignes Werk gewidmet hat.
Zunächst indessen scheint hiemit nur eine Steigerung, eine Vervollkommnung innerhalb derselben Art, keine Differenzierung in mehrere, gegeben zu sein. Allein auf dem Gebiete der Industrie wenigstens treibt die Concurrenz die Thätigkeiten nicht blos in die Höhe, sondern auch auseinander. Wollten alle englischen Fabrikanten ausschließlich Baumwolle verarbeiten, so würden sie schlechte Geschäfte machen. Darum hat sich ein Theil auf Wolle, ein andrer auf Seide, ein dritter auf Eisen oder Stahl geworfen. Die steigende Concurrenz unter den Aerzten ist die Veranlassung, daß sich die nachstrebenden immer mehr auf Specialitäten legen, der eine dieses der andre jenes besondre Organ des menschlichen Körpers zu seinem Arbeitsfelde macht.
Auch in der Natur ist es nicht anders. Gesetzt, die Menge der Mitbewerber in der fetten Ebene treibe eine Anzahl von Grasfressern auf die Höhen; die Verdrängten gewöhnen sich wohl oder übel an die kargere Nahrung, den steinigen Boden, die schärfere Luft; nach einer Reihe von Generationen sind ihnen die neuen Verhältnisse bereits zur gewohnten Heimath geworden, damit aber auch in ihrem Bau entsprechende Veränderungen eingetreten: sie sind schlanker, kletter- und sprungfähiger, fernsichtiger geworden; es wird sich schließlich eine neue Art gebildet haben. Oder man nehme ein Vogelgeschlecht. Unter den Kreuzschnäbeln werden bekanntlich Kiefernkreuzschnäbel und Fichtenkreuzschnäbel unterschieden: jenes eine kräftigere Art, die sich von den schwerer aus den Zapfen zu brechenden Kiefernsamen ernährt; dieses eine schmächtigere, die sich vermöge ihres schwächeren Schnabels auf die feineren Fichtenzapfen angewiesen sieht. Hier bietet sich die Voraussetzung, daß sich die stärkere Art in Landstrichen ausgebildet habe, die nur die derbere Nahrung boten; aber wir können auch annehmen, daß der durch zahlreiche Concurrenz eingetretene Mangel die kräftigern Individuen der Gesammtart veranlaßt habe, nach dem schwerer zu gewinnenden Preise zu ringen, den jene Schwächlinge ihnen nicht, und von Geschlecht zu Geschlecht immer weniger, streitig machen konnten.
Das wäre alles gut; allein so lange die sich hervorbildende Abart mit der alten Art denselben Wald, dieselbe Ebene bewohnt, wird es jeden Augenblick vorkommen, daß Exemplare von dieser mit Exemplaren von jener sich paaren; wovon die Folge sein wird, daß die Nachkommen immer wieder in die ursprüngliche Art zurückschlagen, die selbstständige Abzweigung der neuen verhindert wird. Die Absperrung der Exemplare, in denen eine Variation angelegt ist, von den gewöhnlichen, jene Isolirung, durch welche allein die künstliche Züchtung ihre Ergebnisse erreicht, scheint in der Natur zu fehlen, und damit auch ähnliche Ergebnisse in ihr unmöglich zu sein.
Sie fehlt nicht in der Natur! bemerkte ein deutscher Naturforscher, aber die Theorie hat hier eine Lücke. Die Entstehung neuer Arten ist ohne Absperrung allerdings nicht möglich; aber die Natur hat absperrender Barrieren genug, wodurch sie dieselbe möglich macht. Unser vielgereister Moriz Wagner erinnerte sich von seinen Wanderungen in Algerien, wie dort die Flüsse, die vom Atlas herunter in's Mittelmeer gehen, ohne sehr breit zu sein, doch schon merklich absperrend wirken. Für gewisse kleinere Nage- und Kriechthiere, gewisse Käfer- und Schneckenarten, fand er, bildet der Schelif eine Grenze, die sie nicht überschreiten. Noch einschneidender wirken breitere Ströme, wie Euphrat oder Mississippi, Meeresarme, wie die Straße von Gibraltar; die am stärksten trennende Schranke aber bilden geschlossene Gebirgsketten wie die Pyrenäen oder der Kaukasus. Hier ist hüben und drüben die Thierwelt, von den Arten abgesehen, die der Mensch willkürlich verpflanzt oder unwillkürlich mitnimmt, in den minder leichtbeweglichen Arten eine merklich verschiedene, und selbst die Flora nimmt an den Abweichungen der Fauna Theil. Denn sowohl Pflanzensamen als Thiere, die leichtbefiederten auf beiden Seiten abgerechnet, gelangen nur schwer, nur selten und zufällig über einen Meeresarm, eine himmelhohe Gebirgsmauer, hinüber. Aber den Trieb dazu haben sie: den Wandertrieb Thiere wie Menschen, den Trieb sich auszubreiten die Pflanzen; und er ist bei allen hie Folge des Kampfes um das Dasein; die Concurrenz ist es, die Colonien gründet, den Zufall nicht ausgeschlossen, der einmal ein oder mehrere Individuen in ferne Gegenden verschlägt. Also denken wir uns ein Paar Käfer, die ein Sturm oder ein Kahn über den Schelif oder Euphrat führt; ein Paar Kriechthiere, oder beiderseits auch nur ein befruchtetes Weibchen, das die Anden, die Pyrenäen überschreitet. Die Wanderer bringen ihre individuelle Eigenthümlichkeit, wodurch überall in der Welt des Lebens jedes Einzelwesen von allen andern unterschieden ist, mit sich, die sich fortan ungekreuzt weiter entwickeln kann; und da der neue Aufenthalt nicht selten auch andres Klima und theilweise andre Nahrungsmittel bietet, so kann es in die Länge an Abweichungen von der in der Heimath zurückgebliebenen Art nicht fehlen. Daß aber Exemplare von dieser den ausgewanderten nicht so geschwind nachrücken, dafür ist durch die dazwischenliegende Barriere gesorgt. Bis ein zweites Paar glücklich nachkommt, mögen Reihen von Generationen vergehen, und mittlerweile haben sich die Nachkommen jenes ersten Wanderpärchens längst als neue Art constituirt. Nur so können wir, urtheilt Wagner, den Umstand erklären, daß jenseits solcher Grenzen dieselben Arten nicht, aber statt ihrer ganz ähnliche, sogenannte vicarirende Arten sich finden.
Dergleichen Mittel und Wege, welche die Natur in Anwendung gebracht hat und noch bringt, sich zu differenziiren, oder subjectiv ausgedrückt, dergleichen Erklärungsgründe für die Mannigfaltigkeit der organischen Formen auf der Erde, wird die Naturforschung mit der Zeit immer mehrere finden; sie schließen sich nicht aus, sondern wirken alle zur Lösung des großen Räthsels zusammen.
Für die ältesten Zeiten liegt jedenfalls ein Haupthebel dieser Veränderungen in den Wandlungen, welche die Oberfläche unsres Planeten während langer Reihen von Jahrtausenden, in Absicht auf Temperatur, Mischung der Atmosphäre, Vertheilung von Wasser und Festland erfahren hat.
Bekanntlich ist uns die Geschichte dieser Wandlungen, die Bildungsgeschichte der Erdoberfläche, urkundlich aufbewahrt in der Aufeinanderfolge ihrer Schichten und den Resten vorweltlicher Pflanzen und Thiere, die sie einschließen. Zwar liegen uns diese Geschichtsbücher, gleich denen eines Livius oder Tacitus, bis jetzt nur sehr fragmentarisch, mit bedeutenden Lücken vor, theils weil besondere Umstände dazu erforderlich waren, wenn überhaupt dergleichen Reste erhalten werden sollten, und selbst unter solchen Umständen viele ihrer geringen Dauerhaftigkeit wegen zu Grunde gegangen find, theils weil nur auf wenigen Punkten der Erde die Archive erschlossen, d. h. der Erdboden unter seiner Oberfläche untersucht ist. Dennoch sprechen sie nicht nur durch die Aufeinanderfolge verwandter Formen für die Umwandlungstheorie überhaupt, sondern zeigen uns auch, wenn wir uns nur nicht durch scheinbare Abweichungen irre machen lassen, eine im Ganzen aufsteigende Entwicklung.
Schon Cuvier hat erkannt, daß die fossilen Thierarten von den jetztlebenden um so verschiedener seien, je tiefer die Schichten liegen, die sie enthalten. Daß aber die späteren sowohl Pflanzen- als Thierformen im Allgemeinen die vollkommneren sind, wenn gleich manche der früheren massenhafter und gewaltiger waren, auch einzelne wirklich rückschreitende Bildungen nicht fehlen, das zeigt uns der Augenschein, wenn wir in den Schichten aufwärts steigen. Da folgen im vorweltlichen Pflanzenreich auf die anfänglichen Algen oder Tange erst die farnkrautartigen Pflanzen ohne Blüthen, dann unter den Blüthepflanzen erst die unvollkommnerm Nadelhölzer, endlich die Laubhölzer mit andern vollkommen blühenden Gewächsen. Ebenso finden wir von Thieren in den untersten Schichten nur die niedrigsten – weiter herauf immer mehr entwickelte Weichthiere; nach diesen Krustenthiere, hierauf von den Wirbelthieren nacheinander Fische, Kriechthiere, Vögel und zuletzt Säugethiere; diese sämmtlichen Klassen so, daß auch innerhalb ihrer die unvollkommneren Formen den vollkommneren vorangehen, bis endlich in den obersten Schichten menschliche Ueberreste erscheinen.
Der Mensch tritt zwar nicht ganz so spät auf, als man bis vor Kurzem anzunehmen pflegte, nämlich nicht erst mit der gegenwärtigen Entwicklungsperiode des Erdkörpers und der jetzigen Thierwelt; die seit den letzten Jahrzehnten in verschiedenen Höhlen von Frankreich, Belgien, England und Deutschland gemachten Funde lassen die Thatsache nicht länger bezweifeln, daß derselbe schon in einer früheren Erdperiode als Zeitgenosse ausgestorbener Thiergeschlechter, des Mammuth, des Höhlenbären, vorweltlicher Hyänen- und Rhinocerosarten, gelebt hat. Dafür aber kommt er auch zuerst in einem äußerst unvollkommenen Zustande vor: die ältesten der aufgefundenen Menschenschädel zeigen eine sehr niedrige Bildung und sind von kümmerlichen Steinwerkzeugen und von Thier- und Menschenknochen umgeben, deren gespaltener Zustand es wahrscheinlich macht, daß sich diese unsre Vorfahren neben dem Fleisch und Mark der erlegten Thiere auch das erschlagener Menschen schmecken ließen. Und bedenkt man wie erst von gestern her es ist, daß diese Entdeckungen über das frühere Vorkommen und die ältesten Zustände des Menschen gemacht worden sind, so muß es höchst wahrscheinlich werden, daß wir noch lange nicht am Ende dieser Aufschlüsse stehen, daß wir vielleicht künftig den fossilen Menschen noch auf einer viel tiefern Stufe seiner Entwicklung, noch weit näher seiner thierischen Abstammung überraschen werden.
Denn an dieser letzteren kann für uns nach allem Bisherigen kein Zweifel sein, und wenn wir uns nun nach demjenigen Thiergeschlecht umsehen, das uns die größte Annäherung an den Menschen, mithin die geringste Kluft zu überspringen bietet, so finden wir uns, es kann nicht fehlen, zu den größeren Affenarten hingeführt.
Da stünden wir also bei der berüchtigten Abstammung des Menschen vom Affen, dem sauve qui peut nicht nur der rechtgläubigen und der zartfühlenden Welt, sondern auch manches sonst leidlich vorurtheilsfreien Mannes. Wer diese Lehre nicht gottlos findet, der findet sie doch geschmacklos; wer nicht gegen die Würde der Offenbarung, der sieht wenigstens ein Attentat gegen die Menschenwürde darin. Wir lassen einem jeden seinen Geschmack; wir wissen, es gibt Leute genug, denen ein durch Liederlichkeit heruntergekommener Graf oder Baron immer noch schätzbarer ist als ein Bürgerlicher, der sich durch Talent und Thätigkeit emporgebracht hat. Unser Geschmack ist der umgekehrte, und so sind wir auch der Meinung, daß die Menschheit weit mehr Ursache habe, sich zu fühlen, wenn sie sich von elenden thierischen Anfängen durch die fortgesetzte Arbeit einer unzählbaren Geschlechterreihe allmählig zu ihrem jetzigen Standpunkt emporgearbeitet hat, als wenn sie von einem Paare abstammt, das, nach Gottes Ebenbild geschaffen, später aus dem Paradiese geworfen, und immer noch lange nicht wieder auf der Stufe angekommen ist, von der es am Anfang herabgesunken war. Wie nichts den Muth so tief darniederschlägt, als die Gewißheit, ein verscherztes Gut doch nie ganz wiedergewinnen zu können, so hebt denselben nichts mehr, als eine Bahn vor sich zu haben, von der gar nicht abzusehen ist, wie weit und hoch sie uns noch führen wird.
Ich will den Wortlaut der Theorie aus Darwin's neuestem Werke hiehersetzen. »Die größte Zahl der Naturforscher,« sagt er, »ist Blumenbach und Cuvier gefolgt und hat den Menschen in eine besondere Ordnung des Thierreichs, unter dem Titel der Zweihänder, gebracht. Neuerdings hingegen sind viele unsrer besten Naturkundigen zu der zuerst von Linné ausgesprochenen Ansicht zurückgekehrt, und haben den Menschen in eine und dieselbe Ordnung mit den Vierhändern (Affen) unter dem gemeinsamen Titel der Primaten gestellt. Der große Anatom und Philosoph Huxley« – sagt immer noch Darwin – »hat diesen Gegenstand ausführlich erörtert und ist zu dem Schlusse gekommen, daß der Mensch in allen Theilen seiner Organisation weniger von den höheren Affen abweicht, als diese von den niedrigeren Gliedern derselben Gruppe verschieden sind. Folglich ist es nicht gerechtfertigt, den Menschen in eine besondere Ordnung zu stellen. Dagegen werden die menschenähnlichen Affen, nämlich der Gorilla, Schimpanse, Orang und Hylobates, von den meisten Zoologen als eine besondere Untergruppe von den übrigen Affen der alten Welt getrennt. Wird dieß zugegeben, so kann man auch schließen, daß irgend ein altes Glied dieser anthropomorphen Untergruppe dem Menschen die Entstehung gegeben habe. Ohne Zweifel hat der Mensch in Vergleichung mit seinen (thierischen) Verwandten unendlich viel mehrere Modifikationen erfahren, und zwar hauptsächlich in Folge seines bedeutend entwickelten Gehirns und seiner aufrechten Stellung. Nichts desto weniger dürfen wir nicht vergessen, daß er nur eine der verschiedenen bevorzugten Formen der Primaten ist. Es ist wahrscheinlich, daß Africa früher von jetzt ausgestorbenen Affen bewohnt wurde, welche dem Gorilla und Schimpanse nahe verwandt waren; und da diese beiden Species jetzt die nächsten Verwandten des Menschen sind, so ist es fast noch mehr als wahrscheinlich, daß unsre frühen Urerzeuger auf dem africanischen Festland, und zwar hier früher als sonstwo, gelebt haben. Doch dürfen wir nicht in den Irrthum verfallen, etwa anzunehmen, daß der Urahnherr des ganzen Stamms der Simiaden, den Menschen miteingeschlossen, mit irgend einem jetzt existirenden Affen identisch oder ihm auch nur sehr ähnlich gewesen sei.« Die große Lücke, die sich unleugbar zwischen dem jetzigen Menschen und den jetzigen höhern Affen findet, erklärt Darwin aus dem Umstande, daß Zwischenformen ausgestorben, und weil sie in dem geologisch noch so wenig erforschten Africa oder Asien begraben liegen, noch nicht wieder aufgefunden seien; wobei er darauf hinweist, wie künftig jene Lücke noch größer erscheinen werde, wenn einmal einerseits die niedrigsten affenartigsten Menschenracen, andererseits die großen anthropomorphen Affen vollends werden ausgerottet sein.
Auch Schopenhauer hat sich schon mit dieser Frage in gleichem Sinne beschäftigt, und, während Darwin und seine Nachfolger als Urerzeuger des Menschen ein altes ausgestorbenes Glied der anthropomorphen Affengruppe betrachten, geradezu den Schimpanse als Stammvater des schwarzen africanischen Menschen, d.h. der äthiopischen Race, den Pongo als den des braunen asiatischen Menschen, der mongolischen Race, bezeichnet, während er den weißen kaukasischen Menschen für eine abgeleitete, in dem kältern Klima gebleichte Race ansah. Die ursprüngliche Entstehung des Menschen hat nach ihm nur in der alten Welt und nur zwischen den Wendekreisen vor sich gehen können; jenes, weil in Australien die Natur es zu gar keinem Affen, in Amerika nur zu langgeschwänzten Meerkatzen, nicht aber zu den kurzgeschwänzten, geschweige zu den obersten ungeschwänzten Affengeschlechtern gebracht hat; dieses, weil in den kälteren Zonen der neuentstandene Mensch im ersten Winter schon zu Grunde gegangen wäre.
Kleinste Schritte und größte Zeiträume! können wir sagen, sind die beiden Zauberformeln, mittelst deren die jetzige Naturwissenschaft die Räthsel des Universum löst; die beiden Dietriche, durch welche sie die Pforten, die früher nur dem Wunder sich aufzuthun im Rufe standen, auf ganz natürlichem Wege öffnet.
Was für's Erste die Zeiträume betrifft, so sind aus den sechs Jahrtausenden, die man in der christlichen Schule seit der sogenannten Welt- und Menschenschöpfung zählte, längst ebensoviele Zehn- wo nicht Hunderttausende von Jahren nur seit der Entstehung des Menschen geworden, und diese Rechnung hat, bei aller Schwierigkeit einer sichern Schätzung, in der Lage menschlicher Ueberreste unter Anschwemmungen, die so lange Zeit brauchten um sich zu bilden, einen ungleich festern Boden, als die frühere in den biblischen Zahlangaben von dem Alter der Patriarchen u.s.f. Die Funde der Pfahlbauten, der Steinwaffen, mit denen sich die Menschen vor der Erfindung der Kunst, erst das Kupfer, dann das Eisen zu bearbeiten, behalfen, weisen uns in Zeiten hinauf, in Vergleichung mit denen die der ägyptischen Pyramiden als junge und moderne zu betrachten sind. Aber auch jene Steinzeiten erscheinen bereits als Zeiten der Cultur, wie jede Zeit, in welcher der Mensch außer den ihm angeborenen Werkzeugen und Waffen, den Armen, Nägeln und Zähnen, schon auch von außen ergriffener, und weiter statt der in ihrem ursprünglichen Zustande belassenen, wie Steine und Baumäste, künstlich geformter, wie eben jener Steinwerkzeuge, sich bedient. So ungeheuere Zeiträume stehen mit dem ungeheuren Zwischenraume, den der Mensch vom Affen auch nur bis zur Stufe des neben Thier- auch Menschenfleisch fressenden Wilden zu durchmessen hatte, im richtigen Verhältniß.
Und diesen ungeheuren Fortschritt macht uns dann für's Andere das Zerspalten desselben in eine Unzahl kleinster unmerklicher Fortschritte begreiflich. Divide et impera! ist auch hier das Losungswort. Es war gewiß keine Kleinigkeit, bis in jener affenartigen Horde, die wir als die Wiege des Menschengeschlechts anzusehen haben, erst nur der wirklich und beharrlich aufrechte Gang statt des watschelnden oder halb vierfüßigen der höhern Affen Mode wurde; aber es ging damit Schrittchen für Schrittchen, und es fehlte dazu im Mindesten nicht an Zeit. Und ebensowenig an Motiven, sich an die neue Stellung zu gewöhnen, die die Hände frei machte erst zur Führung von Steinen und Keulen, und dann zur Verfertigung und Handhabung künstlicher Geräthe, mithin im Kampf um das Dasein förderlich war. Noch gewaltiger erscheint der Fortschritt von dem wilden Schrei des Affen zu der articulirten menschlichen Sprache. Indeß eine Art von Sprache, wie die meisten höhern Thiere, haben auch die Affen: sie stoßen Warnungsrufe aus, wenn sie die Annäherung einer Gefahr bemerken; sie geben in verschiedenen Affecten verschiedene Laute von sich, die von ihresgleichen verstanden werden. Allerdings sehen wir bei keiner der jetzigen Affenarten dieses Vermögen sich weiter entwickeln; was er auch sonst lernen mag, sprechen lernt der Affe auch in der Umgebung des Menschen nicht. Aber die Stimmorgane, die bei seinen Vettern sich bis zur Sprache entwickelt haben, fehlen ihm keineswegs; und überdieß ist ja hier nicht von dem jetzigen Affen die Rede, sondern von einem vorweltlichen Urstamm, der unter seinen Zweigen auch einen zählte, dessen höhere Entwicklungsfähigkeit ihn mit der Zeit zur Menschlichkeit aufwärts führte, während die übrigen Zweige in die zum Theil noch jetzt bestehenden Affenarten auseinandergingen. Bis jener vormenschliche Zweig sich nach und nach etwas wie Sprache angebildet hatte, mögen unermeßliche Zeiten vergangen sein; aber als er sie einmal, wie unvollkommen auch, gefunden hatte, ging es gegen früher mit beschleunigter Geschwindigkeit weiter. Die Fähigkeit zu denken, die im vollen Sinne erst mit der Wortbildung eintritt, muß auf das Gehirn gewirkt, es erweitert und ausgearbeitet, und hinwiederum diese Ausbildung des Gehirns auf die ganze Thätigkeit des seltsamen Mittelgeschöpfs zurückgewirkt, seine Ueberlegenheit über die Stammverwandten entschieden, seine Menschwerdung vollendet haben.
Menschwerdung! Wer sollte denken, daß so viele – nicht blos Laien, sondern selbst Naturforscher, zwar an die Menschwerdung Gottes glauben, aber eine Menschwerdung des Thiers, einen Entwicklungsfortschritt vom Affen zum Menschen unglaublich finden? Die alte Welt, und auch jetzt noch der höhere Orient, dachten und denken hierüber anders. Die Lehre von der Seelenwanderung verknüpft dort Mensch und Thier, schlingt ein geheimnißvolles heiliges Band um die gesammte Natur. Erst das den Naturgottheiten feindliche Judenthum, das dualistische Christenthum haben diese Kluft zwischen Mensch und Thier gerissen. Es ist merkwürdig, wie eben in unsrer Zeit eine tiefere Sympathie mit der Thierwelt unter den besseren Culturvölkern erwacht, und sich in den da und dort sich bildenden Thierschutzvereinen Wirksamkeit gibt. Man sieht daraus, wie dasjenige, was auf der einen Seite Ergebniß der heutigen Wissenschaft ist, das Aufgeben der spiritualistischen Herausnahme des Menschen aus der Natur, sich gleichzeitig dem allgemeinen Gefühl ankündigt.
Dagegen aber bleibt nun nicht allein die gemeine Vorstellung, sondern auch die – wenn der Ausdruck erlaubt ist – altgläubige Naturwissenschaft dabei, die Menschen- und die Thierwelt als zwei gesonderte Reiche zu betrachten, über deren trennende Kluft schon deßhalb keine Brücke führen könne, weil der Mensch eben nur dadurch Mensch sei, daß er von Hause aus, vom Anfang der Schöpfung an, etwas besitze, was dem Thiere fehle und immer fehlen werde. Die Thiere machte Gott, laut der mosaischen Schöpfungsgeschichte, gleichsam aus einem Stücke; beim Menschen dagegen formte er erst dessen Leib aus einem Erdenkloß, dann blies er ihm den Lebensodem in die Nase, »und also ward der Mensch eine lebendige Seele.« Aus dieser lebendigen Seele des alten jüdischen Schriftstellers hat dann in der Folge das Christenthum eine unsterbliche Seele gemacht, ein Wesen ganz anderer Art und Würde als die gemeinen Seelen, die man den Thieren freilich nicht absprechen konnte. Oder ließ man die Seele dem Thiere mit dem Menschen gemeinsam sein, gab aber dem letztern noch dazu den Geist als das immaterielle Princip der höheren intellectuellen und moralischen Thätigkeiten, wodurch er sich vom Thier unterscheidet.
Allein hiegegen kehrt sich der auf dem Boden der Naturwissenschaft unverkennbare Umstand, daß die Fähigkeiten der Thiere von den menschlichen nur dem Grade, nicht der Art nach verschieden sind. Die Thiere, sagt Voltaire mit Recht, haben ja ebenso Empfindung, Vorstellung, Gedächtniß, und andrerseits Begehren und Bewegung wie wir, und doch denkt Niemand daran, ihnen eine immaterielle Seele zuzuschreiben; warum sollen denn wir für das unbedeutende Mehr jener Fähigkeiten und Tätigkeiten, dessen wir uns erfreuen, einer solchen bedürfen? So unbedeutend freilich, als Voltaire es hier rednerisch verkleinernd darstellt, ist dieses Mehr auf Seiten des Menschen nicht, vielmehr ist es ungeheuer; aber doch immer nur ein Mehr, nicht etwas Anderes. Schon bei Thieren ganz niederer Klassen: die Gewohnheiten und geistigen Kräfte einer Ameise zu beschreiben, sagt Darwin, würde einen Band füllen. Mit den Bienen ist es nicht anders. Ueberhaupt ist es merkwürdig: je genauer das Leben und Treiben irgend einer Thierart beobachtet wird, desto mehr findet sich der Beobachter veranlaßt, von ihrem Verstande zu reden. Die Erzählungen von dem Gedächtniß, der Ueberlegung, der Lern- und Bildungsfähigkeit des Hundes, Pferdes, Elephanten, gehen in's Unendliche. Aber auch bei sogenannten wilden Thieren zeigen sich ähnliche Eigenschaften. Von den Raubvögeln sagt Brehm: sie handeln, nachdem sie vorher wohl überlegt haben; sie machen Plane und führen sie aus. Derselbe von den Drosseln: sie erfassen schnell und urtheilen richtig, benutzen insbesondre alle Mittel und Wege, um sich zu sichern. Die in den stillen menschenleeren Wäldern des Nordens großgewordenen Arten sind leicht zu berücken; Erfahrung aber witzigt sie sehr bald, und diejenigen, die einmal betrogen worden, lassen sich auf dieselbe Weise so leicht nicht wieder täuschen. Auch unter den Menschen, denen sie zwar nie ganz trauen, wissen sie doch zwischen gefährlichen und ungefährlichen wohl zu unterscheiden: sie lassen den Hirten näher an sich herankommen als den Jäger. Uebereinstimmend berichtet Darwin von dem fast unglaublichen Grade von Scharfsinn, Vorsicht und List, der sich in den pelztragenden Thierarten Nordamerikas in Folge der anhaltenden Nachstellungen von Seiten des Menschen entwickelt hat.
Neben den Verstandeskräften sucht Darwin in den höhern Thieren insbesondere noch die Anfänge des moralischen Gefühls nachzuweisen, die er mit ihren socialen Trieben in Beziehung bringt. Eine Art von Ehrgefühl, von Gewissen, ist bei edleren und wohlbehaltenen Pferden und Hunden kaum zu verkennen. Und wenn man das Gewissen beim Hunde nicht ganz mit Unrecht auf den Stock zurückführt, so läßt sich dagegen fragen, ob es denn beim roheren Menschen sich viel anders damit verhalte? Ganz besonders aber sind im Thierreiche als ein Ansatz höherer moralischer Fähigkeiten die Triebe anzusehen, die sich auf die Pflege der Jungen, die Sorge, Mühe und Aufopferung für dieselben beziehen. Hier ist, um einen Ausdruck Goethe's gegen Eckermann zu gebrauchen, schon im Thiere dasjenige als Knospe angedeutet, was hernach im Menschen zur Blüthe kommt.
Wir sind erstaunt, sagt mit seinem in dergleichen Dingen so richtigen Sinne Voltaire, über das Denken, aber das Empfinden ist ebenso wunderbar; eine göttliche Kraft offenbart sich in den Empfindungen des niedersten Thiers, wie in dem Gehirn eines Newton. In der That, wer das Greifen des Polypen nach der wahrgenommenen Beute, das Zucken der gestochenen Insectenlarve erklärt hätte, der hätte damit zwar noch lange nicht das menschliche Denken begriffen, aber er wäre doch auf dem Wege dazu und könnte es erreichen, ohne ein neues Princip zu Hülfe zu nehmen. Im Gegentheil, die deutliche Ausscheidung und reiche Entwicklung, die der materielle Apparat des Empfindens und Vorstellens im Gehirn und Nervensystem des Menschen und der höheren Thiere gefunden hat, muß uns bei ihnen die Erklärung leichter machen, als uns z. B. bei dem so viel unvollkommneren Bau der Biene oder Ameise die Erklärung ihrer geselligen und Kunsttriebe wird.
»Wenn die Seele ohne das Gehirn nichts leisten kann,« sagt Virchow, »wenn alle ihre Thätigkeiten an Veränderungen von Gehirntheilen gebunden sind, so kann man eigentlich nicht sagen, daß das Bewußtsein oder irgend etwas anderes unmittelbare Attribute der selbstständigen Seele seien;« sondern wir können ebensogut geradezu
»auch das Gehirn empfindend und denkend nennen, selbst wenn sich feststellen ließe, daß das Bewußtsein davon erst durch etwas, das von ihm verschieden ist, erregt wird.« Aus diesem Gebundensein der geistigen Thätigkeit an das Gehirn, mit dessen Wachsthum und Ausbildung sie sich entfaltet, wie sie später mit seinem Dahinschwinden im Alter abnimmt, und durch sein Erkranken oder seine Verletzung alterirt wird, hat besonders unumwunden Carl Vogt (er ist sonst nicht mein Mann, aber in diesem Felde stimme ich ihm durchaus bei) den Schluß gezogen, daß die Annahme einer besondern Seelensubstanz »eine reine Hypothese ist; daß keine einzige Thatsache für die Existenz einer solchen Substanz spricht; daß überdieß die Einführung dieser Hypothese durchaus unnöthig ist, da sie nichts erklärt, nichts anschaulicher macht.«
Im Gegentheil, eine Menge von Schwierigkeiten, die das Problem des Empfindens und Denkens beim Menschen umgeben, wurzeln lediglich in dieser Voraussetzung eines von den leiblichen Organen verschiedenen Seelenwesens. Wie von einem ausgedehnten nichtdenkenden Ding, dergleichen der menschliche Leib ist, auf ein nichtausgedehntes denkendes Ding, dergleichen die Seele eines sein soll, Eindrücke übergehen, wie von dem letztern auf das erstere Ding Antriebe zurückgehen, wie überhaupt zwischen beiden irgend eine Gemeinschaft möglich sein solle, das hat noch keine Philosophie erklärt, und wird nie eine erklären. Viel leichter muß es doch in jedem Falle zu verstehen sein, wenn man es nur mit einem und demselben Wesen zu thun hat, das an seinem einen Ende ein ausgedehntes am andern ein denkendes ist. Natürlich sagt man uns: ein solches Wesen ist nicht möglich. Wir sagen dagegen: es ist wirklich; wir alle sind selbst solche Wesen.
Es ist unglaublich, wie verstockt die Menschen, selbst die wissenschaftlichen, Jahrhunderte lang vor ein solches Problem sich hinstellen können, und es natürlich eben darum auch unlösbar finden müssen. Gar zu lange her ist es allerdings noch nicht, daß das Gesetz von der Erhaltung der Kraft gefunden ist, und man wird noch lange zu thun haben, es in seiner nächsten Beziehung auf den Uebergang von Wärme in Bewegung und umgekehrt in's Klare zu setzen und näher zu bestimmen. Aber ferne kann doch der Zeitpunkt nicht mehr sein, wo man einmal die Anwendung davon auf das Problem des Empfindens und Vorstellens machen wird. Wenn unter gewissen Bedingungen Bewegung sich in Wärme verwandelt, warum sollte es nicht auch Bedingungen geben, unter denen sie sich in Empfindung verwandelt? Die Bedingungen, den Apparat dazu haben wir im Gehirn und Nervensystem der höheren Thiere und in denjenigen Organen, die bei den niedrigern Thierordnungen deren Stelle vertreten. Auf der einen Seite wird der Nerv berührt, in innere Bewegung gesetzt, auf der andern spricht eine Empfindung, eine Wahrnehmung an, springt ein Gedanke hervor; und umgekehrt setzt auf dem Wege nach außen die Empfindung und der Gedanke sich in Bewegung der Glieder um. Wenn Helmholtz sagt: »bei (Erzeugung von Wärme durch) Reibung und Stoß geht die Bewegung der ganzen Massen in eine Bewegung ihrer kleinsten Theile über; umgekehrt bei der Erzeugung von Triebkraft durch Wärme die Bewegung der kleinsten Theile wieder in eine solche der ganzen Massen« – so frage ich: ist das etwas wesentlich anderes? ist das Obige nicht die nothwendige Fortsetzung davon?
Man wird mir sagen, ich rede da von Dingen, die ich nicht verstehe. Gut; aber es werden andere kommen, die sie verstehen, und die auch mich verstanden haben.
Wenn man hierin den klaren crassen Materialismus ausgesprochen findet, so will ich zunächst gar nichts dagegen sagen. In der That habe ich den oft mit so vielem Lärm geltend gemachten Gegensatz zwischen Materialismus und Idealismus, oder wie man die dem erstern entgegenstehende Ansicht sonst nennen mag, im Stillen immer nur für einen Wortstreit angesehen. Ihren gemeinsamen Gegner haben beide in dem Dualismus, der durch die ganze christliche Zeit herunter herrschenden Weltansicht, die den Menschen in Leib und Seele spaltet, sein Dasein in Zeit und Ewigkeit scheidet, der geschaffenen und vergänglichen Welt einen ewigen Gott-Schöpfer gegenüberstellt. Zu dieser dualistischen Weltanschauung verhalten sich sowohl Materialismus wie Idealismus als Monismus, d. h. sie suchen die Gesammtheit der Erscheinungen aus einem einzigen Princip zu erklären, Welt und Leben aus einem Stücke sich zu gestalten. Dabei geht die eine Theorie von oben, die andere von unten aus; diese setzt das Universum aus Atomen und Atomkräften, jene aus Vorstellungen und Vorstellungskräften zusammen. Aber sollen sie ihrer Aufgabe genügen, so muß uns ebensowohl die eine von ihrer Höhe bis zu den untersten Naturkreisen herabführen und zu dem Ende sich durch sorgfältige Beobachtung controliren; wie die andere die höchsten geistigen und sittlichen Probleme in Rechnung nehmen und lösen muß.
Bald entdecken wir überdieß, daß jede dieser Betrachtungsweisen, consequent durchgesetzt, in die andere hinüberführt. »Es ist ebenso wahr,« sagt Schopenhauer, »daß das Erkennende ein Product der Materie sei, als daß die Materie eine bloße Vorstellung des Erkennenden sei; aber es ist auch ebenso einseitig.« »Wir sind in unsrem Rechte,« setzt der Verfasser der Geschichte des Materialismus dieß weiter auseinander, »wenn wir für alles, auch für den Mechanismus des Denkens, physische Bedingungen voraussetzen; wir sind aber nicht minder in unsrem Rechte, wenn wir nicht nur die uns erscheinende Außenwelt, sondern auch die Organe, mit denen wir diese auffassen, als bloße Bilder des wahrhaft Vorhandenen betrachten.« Immer bleibt es dabei, daß wir nicht einen Theil der Functionen unsres Wesens einer physischen, einen andern einer geistigen Ursache zuzuschreiben haben, sondern alle einer und derselben, die sich entweder so oder so betrachten läßt.
Darum, meine ich, sollten beide Systeme ihre Waffen für jenen ihren wahren und noch immer gewaltigen Gegner sparen, sich selbst aber gegenseitig als Bundesgenossen mit Anerkennung, oder doch wenigstens mit Anstand behandeln. Der hohe, bald schulmeisternde bald fast ketzerrichterliche Ton, den manche Philosophen gegen die materialistische Naturforschung anzunehmen lieben, ist ebenso tadelnswerth und selbst unklug, als andrerseits das ungeschlachte Schimpfen auf die Philosophie, womit uns die Materialisten so gerne unterhalten, aber nicht erbauen. Und beinahe ist auf dieser letzteren Seite die Verkennung, der andern noch hartnäckiger als aus jener. Daß dem Philosophen naturwissenschaftliche Kenntnisse unentbehrlich, die Bekanntschaft mit den neuesten Entdeckungen der Chemie, Physiologie u. s. f. unerläßlich sei, wird auf philosophischem Boden heute kaum mehr irgendwo geleugnet; weit öfter sehen wir die Vertreter der exacten Naturwissenschaft aufgelegt, die Philosophie zur Astrologie und Alchymie in die Rumpelkammer zu verweisen. Sie hat sich eine Zeit lang darnach aufgeführt, das ist nicht zu leugnen; aber, wenn mir die Herren einen Scherz ad hominem erlauben wollen, als Naturforscher sollten sie doch die Mauser von tödtlichem Kranksein zu unterscheiden wissen. Daß die Philosophie seit geraumer Zeit in der Mauser begriffen ist, liegt leider vor Augen; doch die Federn werden ihr schon wieder wachsen. Das Zeichen einer gesunden Krisis ist schon die Diät, die wir sie dabei beobachten sehen. Sie beschäftigt sich vorzugsweise mit ihrer eigenen Geschichte, und hat in diesem Fache jetzt Arbeiten aufzuweisen, denen an Gründlichkeit und Verständniß keine frühere Zeit etwas an die Seite zu setzen hat. Der sicherste Weg offenbar, sich darüber zu verständigen, was sie kann und was sie soll, was sie zu thun und noch mehr was sie zu lassen hat. Und wenn jemand ihr bei ihren Bestrebungen, sich wieder herzustellen, den besten Erfolg wünschen müßte, so wäre es die Naturwissenschaft. Denn die feinsten der Werkzeuge, womit der Naturforscher jede Stunde operirt, die Begriffe von Kraft und Stoff, Wesen und Erscheinung, Ursache und Wirkung u. s. f. kann ihn nur die Philosophie als Metaphysik richtig bilden, dieselbe als Logik richtig anwenden lehren; den Ariadnefaden durch das Labyrinth der täglich sich mehrenden Einzelbeobachtungen hat er einzig aus der Hand der Philosophie zu erwarten; über die letzten Fragen aber, Anfang und Ende, Grenze oder Grenzenlosigkeit, Zweck oder Zufälligkeit der Welt, kann ihm ohnehin nur die Philosophie diejenige Auskunft ertheilen, die überhaupt in diesen Regionen möglich ist.
Dieses Zeugniß für die Philosophie, die Widerlegung ihres Sprödethuns gegen dieselbe, trägt die heutige Naturforschung bereits in sich selbst. Was liegt denn dem allgemeinen Antheil, den in ihren Kreisen die Darwin'sche Theorie gefunden, zum Grunde, als das philosophische Interesse, das, weit über die einzelnen Thatsachen hinaus, auf die unendliche Perspektive geht, die sie eröffnet? Gewiß, die sogenannte Naturphilosophie hat anstatt der Juno die Wolke umarmt und darum keine Frucht gebracht; aber die Darwinsche Theorie ist der, wenn auch vorerst nur heimlichen Ehe zwischen Naturforschung und Philosophie erstes Kind.
»Darwin's Theorie zeigt, wie Zweckmäßigkeit der Bildung in den Organismen auch ohne alle Einmischung von Intelligenz, durch das blinde Walten eines Naturgesetzes entstehen kann.« Wenn Helmholtz in diesen Worten den englischen Naturforscher als denjenigen bezeichnet, der den Zweckbegriff aus der Naturerklärung entfernt habe, so haben wir ihn früher als denjenigen gepriesen, der das Wunder aus der Weltbetrachtung weggeschafft habe. Und beides kommt auf dasselbe hinaus. Der Zweck ist ja der Wundermann in der Natur, er ist es, der die Welt auf den Kopf stellt, der, mit Spinoza zu reden, das Hinterste zum Vordersten, die Wirkung zur Ursache macht, und dadurch den Naturbegriff geradezu zerstört. Die Zweckmäßigkeit in der Natur, besonders im Reiche des organischen Lebens, ist es, worauf von jeher diejenigen sich beriefen, die erweisen wollten, daß die Welt nicht aus sich selbst, sondern nur als Werk eines intelligenten Schöpfers zu begreifen sei.
»Wäre das Auge,« sagt Trendelenburg, »indem es sich bildet, dem Lichte zugekehrt, so würde man zunächst vermuthen, daß der berührende Lichtstrahl sich dieses köstliche Organ zubereite. In der Kraft des Lichts würde man die wirkende Ursache vermuthen. Aber das Auge bildet sich im Dunkel des Mutterleibs, um, geboren, dem Lichte zu entsprechen. Ebenso ist es mit den übrigen Sinnen. Zwischen dem Licht und dem Auge, dem Schall und dem Ohr u. s. w. zeigt sich eine vorherbestimmte Harmonie, und diese scheint auf eine die Glieder umfassende Macht hinzuweisen, in welcher der Gedanke das A und O ist.«
In ähnlicher Weise wird aus den Instincten der Thiere argumentirt. »Bei allen Thieren,« diese Worte von H. S. Reimarus sind für die ideologische Vorstellungsweise noch heute klassisch, »bemerkt man gewisse natürliche Triebe, Instincte oder Bemühungen, dadurch sie dasjenige, was ihnen die vollkommenste Vernunft zu ihrem Wohl hätte anrathen können, ohne alle eigene Ueberlegung, Erfahrung und Uebung, ohne allen Unterricht, Beispiel oder Muster, von der Geburt an, mit einer erblich fertigen Kunst, meisterlich zu verrichten wissen. So wenig nun Kunst, Wissenschaft und Klugheit ohne Verstand und Absicht in Handlungen statthaben können, so wenig kann man alles dieses den unvernünftigen Thieren selbst beimessen. Es offenbaret sich darin ein unendlicher Verstand, welcher aller möglichen Erfindung und Wissenschaft ursprüngliche Quelle ist, und ein Mittel gewußt hat, der blinden Natur jeder Geschöpfe ihr benöthigtes Theil davon, als eine Fertigkeit, einzupflanzen.«
Der intelligente Baumeister der Organismen, der persönliche Einpflanzer der Instincte war nun freilich für das moderne, durch die fortgeschrittene Naturwissenschaft unsrer Tage gebildete Denken nicht mehr wohl zu halten. Man hatte gar zu deutlich erkannt, daß unser Bewußtsein und Selbstbewußtsein erst auf dem Boden der Sinnlichkeit möglich wird, daß unser Denken an einen körperlichen Apparat, insbesondre an Gehirn und Nervensystem gebunden, mithin durch eine Schranke bedingt ist, die wir von dem absoluten Wesen fernehalten müssen. Daher der Einfall des Verfassers der »Philosophie des Unbewußten«, ein bewußtloses Absolute anzunehmen, das als Weltseele in allen Atomen und Organismen wirkend, mittelst einer »hellsehenden, der jedes Bewußtseins überlegenen Weisheit« den Inhalt der Schöpfung und des Weltprocesses bestimme. Dabei geht indessen das Unbewußte ganz ebenso zu Werke wie ehedem das bewußte und persönliche Absolute: es verfolgt einen Plan und wählt dazu die geeignetsten Mittel aus, nur angeblich ohne Bewußtsein; die Erklärungen, die E. v. Hartmann von der Zweckmäßigkeit in der Natur gibt, gleichen denen des alten Reimarus auf ein Haar; weder die Wirkung noch die Wirkungsart wird anders vorgestellt, sondern einzig das wirkende Subject. Damit ist aber nur ein Wort geändert, in der Sache nicht geholfen. Lag früher der Widerspruch in dem Subject, dem Verhältniß seiner unvereinbaren Attribute der Absolutheit und der Persönlichkeit: so liegt er jetzt in dem Verhältniß des Subjects zu seiner Thätigkeit; einem Unbewußten werden Leistungen und ein Verfahren dabei zugeschrieben, die nur einem Bewußtsein zukommen können.
Soll ein Unbewußtes zu Stande gebracht haben, was uns in der Natur als ein Zweckmäßiges erscheint, so muß ich mir sein Verfahren dabei als ein solches denken können, wie es dem Unbewußten zukommt; d. h. es muß, mit Helmholtz zu reden, als blinde Naturkraft gewaltet, und doch etwas zu Stande gebracht haben, was einem Zweck entspricht. Auf die Höhe dieses Standpunkts hat uns die neuere Naturforschung in Darwin geführt.
Wenn Reimarus von den Instincten sagt: »Sie sind eine von Gott den Thierseelen eingepflanzte Fertigkeit,« und dagegen Darwin sie als einen Erwerb betrachtet, den unzählige Generationen mittelst Anhäufung vieler kleinen, aber im Kampf um das Dasein nutzbaren Abänderungen unter Leitung der natürlichen Zuchtwahl allmählig gemacht und den Nachkommen vererbt haben: so tritt hierin die ganze Kluft zu Tage, welche die neue Weltanschauung von der alten trennt, der ganze Fortschritt, der seit einem Jahrhundert im Verständniß der Natur gemacht wurden ist. Trendelenburg steift sich darauf, daß das Auge nicht im Licht, also auch nicht durch das Licht, sondern im Dunkel des Mutterleibes, und dennoch für das Licht gebildet sei, und schließt aus dieser Zweckbeziehung, die nicht zugleich eine ursächliche in sich begreife, auf eine absolute, zwecksetzende und zweckausführende Intelligenz. Allein das Auge des Embryo bildet sich nur im Mutterleibe eines solchen Wesens, dessen Auge lebenslänglich dem Einflusse des Lichts ausgesetzt gewesen ist, und das die Modifikationen, die das Licht dabei in seinem Auge hervorgebracht, auf die Leibesfrucht vererbt. Das sehende menschliche Individuum ist es freilich nicht, welches mit dem Lichte zusammenwirkend sich oder seinem Sprößling das Auge macht; daraus folgt aber nicht, daß ihm dasselbe durch einen außer ihm stehenden Schöpfer gemacht sein muß; das Individuum sieht sich hier in den Gebrauch eines Werkzeugs eingesetzt, das seine Vorfahren von Urzeiten her sich nach und nach, und immer vollkommener zurecht gemacht haben. Gerade vom Auge sagt Helmholtz, was aber gleicherweise von jedem Organe gilt, hier falle das, »was die Arbeit unermeßlicher Reihen von Generationen unter dem Einfluß des Darwinschen Entwicklungsgesetzes erzielen kann, mit dem zusammen, was die weiseste Weisheit vorbedenkend ersinnen mag.« Unter diesen Vorfahren und Generationen sind natürlich nicht blos die menschlichen zu verstehen, die ja alle das Auge schon fertig überkommen haben; selbst über das berühmte Lanzettfischchen müssen wir bis in die ersten Anfänge des Lebens hinaufsteigen, wo aus der trüben Empfindungsmischung sich die einzelnen Sinne erst nach und nach ausgeschieden, und dem Drange des Bedürfnisses folgend deren Organe sich allmählig vervollkommnet haben. Dabei kann überall das einzelne Individuum, obwohl der Gebrauch das Organ stärkt, das Wenigste thun; aber indem diejenigen Individuen, die in Folge zufälliger Variation das lebensförderliche Organ in vollkommnerer Beschaffenheit besitzen, besser fortkommen und eher zur Fortpflanzung gelangen als andere, vervollkommnet sich im Laufe der Generationen das Organ. Mit den thierischen Instincten ist es derselbe Fall. Die heutige Biene ist es wohl nicht, die ihre Kunstwerke aussinnt, ebensowenig aber ein Gott, der sie dieselben lehrt; sondern in Reihen von Jahrtausenden, seit aus dem unvollkommensten Kerbthier sich allmählig die Hautflügler in ihren verschiedenen Gattungen entwickelten, haben an der Hand des im Kampf um das Dasein sich steigernden Bedürfnisses nach und nach jene Künste sich ausgebildet, die den jetzigen Geschlechtern mühelos als Erbstücke sich überliefern.
Erinnern wir uns hier an das Kantische: »gebt mir Materie, ich will euch zeigen, wie eine Welt daraus entstehen soll;« ein Unternehmen, von dem er urtheilte, daß es sich zwar an der unorganischen Massenwelt durchführen lasse, doch schon an »einer Raupe« scheitern müsse. Die heutige Wissenschaft hat es, nicht blos einschließlich der Raupe, sondern selbst des Menschen, wenn auch noch nicht geleistet, doch den sichern Weg gefunden, auf dem sie es künftig wird leisten können.
Wie von einzelnen Naturzwecken, so konnte auch von einem Zweck der Welt oder der Schöpfung im Ganzen füglich nur so lange die Rede sein, als ein persönlicher Schöpfer vorausgesetzt und die Erschaffung der Welt als ein freier Act seines Willens betrachtet wurde. Von diesem Standpunkt aus gaben die älteren Theologen und Philosophen als Zweck der Weltschöpfung bald die Verherrlichung Gottes, bald die Beglückung der Geschöpfe an; während sie zugleich streng darauf bestanden, daß Gott der Welt nicht bedurft, seine Vollkommenheit und Seligkeit durch sie keinen Zuwachs erhalten habe.
Es ist eigen, wie es dieser Versicherung während des letzten Stadiums der neuern Philosophie ergangen ist. Wäre Gott schon ohne die Weltschöpfung im Besitze der allerhöchsten Vollkommenheit gewesen, sagte Schelling, so hätte er keinen Grund zur Hervorbringung so vieler Dinge gehabt, durch die er, unfähig, eine höhere Stufe von Vollkommenheit zu erreichen, nur weniger vollkommen werden konnte; aus einer so klaren und durchsichtigen Intelligenz, wie der gewöhnliche Theismus sich das göttliche Wesen vor der Weltschöpfung denke, sei ein so sonderbar verworrenes, wenn auch in Ordnung gebrachtes Ganze wie die Welt nicht zu erklären. Auch nach Hegel hat der Weltgeist nur darum die Geduld gehabt, die ungeheure Arbeit der Weltgeschichte zu übernehmen, weil er durch keine geringere das Bewußtsein über sich selbst erreichen konnte.
Ungleich gröber sprechen sich über diesen Punkt Schopenhauer und seine Anhänger aus. Das müßte ein übel berathener Gott sein, sagt jener zunächst gegen den Pantheismus, der sich keinen bessern Spaß zu machen wüßte, als sich in eine so hungrige Welt wie die vorliegende zu verwandeln, um daselbst in Gestalt zahlloser Millionen lebender, aber gequälter und geängsteter Wesen, die sämmtlich nur dadurch eine Weile bestehen, daß eins das andre auffrißt, Jammer, Noth und Tod ohne Maß und Ziel zu erdulden. Und den Meister wo möglich noch überbietend der Verfasser der Philosophie des Unbewußten: hätte Gott ein Bewußtsein vor der Schöpfung gehabt, so wäre diese ein unentschuldbares Verbrechen; nur als Resultat eines blinden Willens sei ihr Dasein verzeihlich; der ganze Weltproceß wäre auch eine bodenlose Thorheit, wenn sein einziges Ziel, ein selbstständiges Bewußtsein, schon vor ihm vorhanden gewesen wäre. Sätze, wovon der erstere mehr an die Schelling'sche Lehre von der Weltschöpfung als dem Werke des dunkeln Grundes in Gott, der andre mehr an die Hegel'sche Aeußerung über die Bedeutung der Weltgeschichte erinnert.
Fragen wir, was es denn sein soll, das diese Welt so unwürdig eines göttlichen Schöpfers mache, so antwortet Schopenhauer: Schmerz und Tod können nicht in einer göttlichen Weltordnung liegen; es ist insbesondre der Kampf um das Dasein mit seinen zahllosen Qualen und Gräueln, der ihm den Weg zu einer befriedigenden Weltvorstellung versperrt. Gerade diesen Kampf um's Dasein aber, mit allem was daran hängt, haben wir oben als das Ferment erkannt, das allein Bewegung und Fortschritt in die Welt bringt; und, sonderbar genug, auch Schopenhauer fehlt diese Erkenntniß nicht. »Sich zu mühen,« sagt er einmal, »und mit dem Widerstande zu kämpfen, ist dem Menschen Bedürfniß, wie dem Maulwurf das Graben. Der Stillstand, den die Allgenugsamkeit eines bleibenden Genusses herbeiführte, wäre ihm unerträglich. Hindernisse überwinden ist der Vollgenuß seines Daseins, sie mögen materieller oder geistiger Art sein; der Kampf mit ihnen und der Sieg beglückt. Fehlt ihm jede Gelegenheit dazu, so macht er sie sich wie er kann, um nur dem ihm unerträglichen Zustand der Ruhe ein Ende zu machen.« Diese Einräumung würde zwar Schopenhauer dadurch unwirksam zu machen suchen, daß er die beschriebene Eigentümlichkeit der menschlichen Natur bereits zu der Verkehrtheit dieses ganzen Weltwesens rechnete; dennoch könnte es nicht schwer halten, aus ihr heraus seinen ganzen Pessimismus zu widerlegen. »Jede Bewegung,« sagt Lessing, »entwickelt und zerstört, bringt Leben und Tod; bringt diesem Geschöpfe Tod, indem sie jenem Leben bringt: soll lieber kein Tod sein und keine Bewegung? oder lieber Tod und Bewegung?«
Jenes andre Wort Lessings: wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit, und in seiner Linken den einzigen immer regen Trieb darnach, obschon unter der Bedingung beständigen Irrens, ihm zur Wahl vorhielte, würde er, in Anbetracht, daß die Wahrheit selbst doch nur für Gott allein sei, diesem demüthig in seine Linke fallen und sich deren Inhalt für sich erbitten – dieses Lessing'sche Wort hat man von jeher zu den herrlichsten gerechnet, die er uns hinterlassen hat. Man hat darin den genialen Ausdruck seiner rastlosen Forschungs- und Thätigkeitslust gefunden. Auf mich hat das Wort immer deßwegen einen so ganz besondern Eindruck gemacht, weil ich hinter seiner subjectiven Bedeutung, noch eine objective von unendlicher Tragweite anklingen hörte. Denn liegt darin nicht die beste Antwort auf die grobe Schopenhauer'sche Rede von dem übelberathenen Gott, der nichts besseres zu thun gewußt, als in diese elende Welt einzugehen? Wenn nämlich der Schöpfer selbst auch der Meinung Lessings gewesen wäre, das Ringen dem ruhigen Besitze vorzuziehen?
Es scheinen dieß Phantasiespiele auf unsrem Standpunkte, der keinen selbstbewußten Schöpfer vor der Welt mehr kennt; allein die Beziehung auf diesen läßt sich unsrer Betrachtung leicht abstreifen, und ihr Gehalt bleibt doch. Können wir die Wahl zwischen einem Sein ohne Schmerz und Tod, aber auch ohne Bewegung und Leben, und einem solchen, worin Leben und Bewegung durch Schmerz und Tod erkauft sind, nicht mehr in einen Gott verlegen, so stellt sich doch für uns die Wahl, ob wir das Letztere zu verstehen suchen, oder in unfruchtbarer Verneinung dessen was ist darauf beharren wollen, das Erstere vorzuziehen.
Sofern wir also noch von einem Weltzweck reden, bleiben wir uns bestimmt bewußt, daß wir uns lediglich subjectiv ausdrücken, und daß wir nur das darunter verstehen, was wir als das allgemeine Ergebniß des Zusammenspiels der in der Welt wirksamen Kräfte zu erkennen glauben.
Wir nahmen aus dem vorigen Abschnitt statt eines persönlichen Gottes als das Letzte, worauf unser Wahrnehmen und Denken uns führte, oder als die Urthatsache, über die wir nicht hinauszukommen wußten, die Idee des Universum herüber. Im Laufe unsrer weiteren Betrachtung bestimmte sich uns dasselbe näher dahin, daß es in's Unendliche bewegter Stoff sei, der durch Scheidung und Mischung sich zu immer höhern Formen und Functionen steigert, während er durch Ausbildung, Rückbildung und Neubildung einen ewigen Kreis beschreibt. Als das, was bei dem Bestande der Welt herauskommt, erscheint uns mithin im Allgemeinen die mannigfachste Bewegung oder die größte Fülle des Lebens; im Besondern diese Bewegung oder dieses Leben moralisch wie physisch als ein sich entwickelndes, sich aus- und emporringendes, und selbst im Niedergange des Einzelnen nur ein neues Aufsteigen vorbereitendes.
Die alte religiöse Weltvorstellung sah die Erreichung des Weltzwecks am Ende der Welt. Dann sind so viele Menschenseelen als möglich oder als vorherbestimmt war erlöst, die übrigen sammt den Teufeln der verdienten Strafe überantwortet; die geistigen Wesen sind fertig und dauern fort, während die Natur, die nur zur Unterlage ihrer Entwicklung diente, untergehen mag. Auch auf unsrem Standpunkte scheint der Zweck der Erdentwicklung heute, wo die Erde mit Menschen und ihren Werken angefüllt, zum Theil von geistig und sittlich hochgebildeten Nationen bewohnt ist, seiner Erreichung ungleich näher zu sein, als vor so und soviel hunderttausend Jahren, wo dieselbe noch ausschließlich von Schal- oder Krustenthieren, zu denen später die Fische, dann die gewaltigen Saurier mit ihren Anverwandten, endlich die urweltlichen Säugethiere, doch noch ohne den Menschen, kamen, eingenommen war.
Allein schließlich muß doch einmal eine Zeit kommen, wo die Erde nicht mehr bewohnt sein, ja wo sie als Planet gar nicht mehr bestehen wird. Dann wird nothwendig alles, was dieselbe im Lauf ihrer Entwicklung aus sich erzeugt und gleichsam vor sich gebracht hat, alle lebenden und vernünftigen Wesen und alle Arbeiten und Leistungen dieser Wesen, alle Staatenbildungen, alle Werke der Kunst und Wissenschaft, nicht blos aus der Wirklichkeit spurlos verschwunden sein, sondern auch kein Andenken in irgend einem Geiste zurückgelassen haben, da mit der Erde natürlich auch ihre Geschichte zu Grunde gehen muß. Entweder hat nun hiemit die Erde ihren Zweck verfehlt, es ist bei ihrem so langen Bestande nichts herausgekommen; oder jener Zweck lag nicht in etwas, das fortdauern sollte, sondern er ist in jedem Augenblick ihrer Entwicklungsgeschichte erreicht worden. Das Ergebniß des irdischen Geschehens aber, das sich durch alle Stadien der Erdentwicklung hindurch gleich blieb, war nur theils die möglichst reiche Lebensentfaltung und Lebensbewegung im Allgemeinen, theils insbesondere die ringende, aufsteigende und mit ihrem Aufsteigen selbst über den einzelnen Niedergang übergreifende Richtung dieser Bewegung.
Auf- und Niedergehen sind überhaupt nur relative Begriffe. Das Leben der Erde z.B. ist in der gegenwärtigen Periode ebenso gewiß in einer Hinsicht in der Abnahme, als in anderer in der Zunahme begriffen. Abgenommen hat die Wärme, die üppige Fruchtbarkeit, die gewaltige Bildungskraft; zugenommen die Feinheit, die Ausarbeitung, die Vergeistigung. Es ist wahrscheinlich, daß der Erde in einer wenn auch fernen Zukunft Zeiten bevorstehen, wo sie noch kälter, trockener, steriler werden wird als sie jetzt ist; man mag geneigt sein, sich die Menschheit jener künftigen Periode herabgekommen, verschrumpft, samojedenhaft vorzustellen; aber mindestens ebenso denkbar ist, daß die ungünstiger gewordenen Daseinsbedingungen in ihr neue geistige Hülfsquellen eröffnet, sie erfinderischer, der Natur und ihrer selbst mächtiger gemacht haben werden.
Müssen wir so schon bei jedem Theilganzen im Universum, dergleichen das Leben unsrer Erde ist, daran festhalten, daß es seinen Zweck, wenn auch in beziehungsweise immer höhern Manifestationen, doch an sich in jedem Augenblick erreicht: so gilt von dem Universum als dem unendlichen Ganzen ausschließlich das Letztere. Das All ist in keinem folgenden Augenblicke vollkommener als im vorhergehenden, noch umgekehrt, es gibt in ihm überhaupt einen solchen Unterschied zwischen früher und später nicht, weil in ihm alle Strafen und Stadien der Ein- und Auswicklung, des Auf- und Absteigens, Werdens und Vergehens neben einander bestehen und sich gegenseitig in's Unendliche ergänzen.
Dabei bestimmt sich jedoch der allgemeine Weltzweck oder das Weltresultat für jedes Theilganze, jede Klasse von Wesen wieder besonders. Wird auch die Lebensmannigfaltigkeit, das Ringen der Kräfte und die aufsteigende Richtung auf einem Planeten wie auf dem andern, in einem Sonnensystem wie in dem andern vorhanden sein, so werden sie doch in jedem andre Regeln ihres Wirkens, andre Formen ihres Erscheinens haben. Und ebenso wird auf der Erde unter den verschiedenen Lebewesen das Ergebniß sich verschieden gestalten: etwas andres wird herauskommen und menschlich zu reden herauskommen sollen bei der Entwicklung des Hunde- oder Katzengeschlechts, und etwas andres bei der Entwicklung des Menschengeschlechts. Was bei dieser herauskommen soll und herauskommt, das, hoffen wir, wird sich uns ergeben, wenn wir schließlich noch die letzte der oben aufgeworfenen Fragen zu beantworten suchen, nämlich die Frage: