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VII.

Unten im Gastzimmer lag Meister Josephus finster und majestätisch wie ein grollender Löwe auf zwei Stühlen hingestreckt. Der eine diente ihm als Sitz, der zweite als Stützpunkt für das geprellte Knie, das kokett in seinem Zillertaler unschuldweißen Leinenunterkleid zwischen der gestickten Hose und den Wadenstutzen herauslügte. Der Verwundete selbst rauchte eine Zigarette, trommelte, gedankenvoll zur Decke aufblickend, mit den Fingern auf das Wams und warf zuweilen über den goldenen Zwicker hinweg einen ruhigen Olympierblick auf die Engländerinnen und Amerikanerinnen, die den Mann aus der Gletscherspalte im Halbkreis und mit offenem Mund umsaßen.

Ellinor trat lächelnd zu ihm. »Lassen Sie doch die Komödie, lieber Freund! Sie sind ja gar nicht blessiert!«

Er sah düster zu ihr empor. »Und ob! Mein Knie schmerzt mich infam!«

»Weil Sie immer gleich so wehleidig sind! Wie ein Kind, das sich gestoßen hat. Versuchen Sie nur einmal zu gehen. Dann wird es gleich besser. Der Abend ist prachtvoll!«

Er brummte etwas in seinen Siegfriedbart, erhob sich aber fügsam und humpelte auf sie gestützt hinaus. Schon auf dem Flur verlor sich das Hinken und als sie vor das Hotel traten, in die sternenhelle, herbe Höhennacht des Hochsommers, hatte er es selbst vergessen und atmete mit tiefen Zügen die dünne, kalte Luft ein.

»Lotte schläft!« sagte seine Begleiterin.

Er machte eine ungeduldige Bewegung plötzlich aufsteigenden Zorns. »Lotte! Wenn ich nur nichts mehr von Lotte hören müßte – wenn ich sie nur nicht mehr zu sehen brauchte ... die törichte Jungfrau! Sie macht mich dumm! Sie macht mich klein! Ich mag das nicht mehr!«

Sie sah ihn erstaunt und ungläubig an.

»Ich mag das nicht mehr!« wiederholte er hartnäckig. »Wohin führt denn die Lotte und all das Treiben? Man wird ein Zwerg, ein Schneidergeselle – ein herzoglicher Hofrat unter all den Weibern und Männern. Das sind alles Affen! Lotte an der Spitze! Die sollen mich in Ruhe lassen!«

»Aber, lieber Meister ...«

»Ach was, Meister! Lieber Stümper – müssen Sie sagen – lieber Tonkneter ... lieber Esel ... Wo ist denn mein Meisterwerk – he? Ja – im Kopf hab' ich's – und in der Faust fühl' ich die Kraft – die Zuversicht, wie ich sie schon als Geißbub gefühlt hab', eh' ich eine Ahnung gehabt hab', was Meißel und Marmor sind – die Zuversicht, mein' ich, daß man's zu etwas bringt! Aber rühr' ich denn den Finger dazu, um es auszuführen? Nein – ich vertrödele meine Tage ... als ein Komödiant, ein Schürzenjäger, eine Hofschranze – o pfui über mich! Pfui! pfui!«

Er war nahe daran, bitterlich zu weinen. Sie legte ihm die Hand auf die mächtige Schulter, derb und fest, wie ein guter Kamerad, und nickte ihm halb ungläubig zu, als wollte sie sagen: »Recht so! Fahr nur so fort!«

»Pfui über mich!« erklärte er noch einmal verstört und entschieden. »Haben Sie im Zirkus gesehen, liebe Ellinor, wenn ein Kunstreiter auf einem ungezäumten Pferd sitzt? In Wirklichkeit hat das Pferd doch einen Zaum – aus ganz, ganz dünner, dunkler Seide – die sieht niemand im Publikum. An solch einer unsichtbaren Seidenschnur werden wir im Leben auch gelenkt. Heut hab' ich's bemerkt. Da hat es mich hinausgetrieben auf den Gletscher und in die Spalte hinein – bloß damit ich einmal Gelegenheit hatte, zerknirscht in solch einem Käfig über mich selber nachzudenken – so lang die törichte Lotte nicht plapperte ...«

»Nun lassen Sie doch endlich einmal das Kind ...«

Er zog erstaunt die Stirne hoch. »Ein Kind? Die Lotte ist viele tausend Jahre alt! Ich kenne sie! Seit Anbeginn der Welt! Aber einerlei! Da hab' ich mich gefragt: Wenn dich nun wirklich der Teufel holt – unter uns gesagt, liebe Ellinor, wenn's schon sein muß, zieh' ich die Hölle vor – also wenn du unter allgemeinem Beifall eingescharrt bist – was hast du dann hinterlassen? Nichts – nichts – nichts, was deiner würdig wäre! Stümperkram – bestellte Arbeit – Ateliereinfälle ... Aber das Große fehlt – du selbst – du bist nicht darunter! Du hast deinen Marmor gegen Bankeffekten und Orden in Tausch gegeben. Aber Geld kann jeder Damenschneider hinterlassen. Dazu bin ich nicht auf der Welt!«

»Nein, Meister!« Ellinor setzte sich neben ihm auf eine Bank. »Das hab' ich Ihnen alles schon oft gesagt!«

Er stützte reumütig das blonde Löwenhaupt in beide Hände. »Freilich! Aber hab' ich's geglaubt? Nein – oder vielmehr geglaubt und nach fünf Minuten wieder vergessen, was noch viel schlimmer ist. Aber jetzt wird es anders! Sehen Sie, Ellinor – daß ich heute noch einmal die Sterne über mir schauen darf und Ihr liebes Gesicht – das ist doch das reine Geschenk vom Himmel! Ebensogut könnte ich doch in der Eisfalle vermodern, in die mich die törichte Jungfrau hineingelockt hat! Die Lotte! Das Schaf! Heute hab' ich mein Leben zum zweitenmal geschenkt bekommen, und diesmal will ich es besser nutzen!«

Er faßte mit kräftigem Druck ihre Hand und schüttelte sie, ohne sie anzusehen, zwei-, dreimal, wie um seiner inneren Bewegung Herr zu werden. Dann wurde er ganz geschäftsmäßig und brannte sich, während noch die Tränen in seinen blauen Augen standen, eine neue Zigarette an.

»Also ... aus is!« sagte er energisch. »Der Meister Seppl ist tot und begraben. Der Kerl hat lange genug gelebt. Der liegt oben im Rothtalgletscher. Und an seiner Stelle gibt es jetzt den stillen, fleißigen Joseph Ranggetiner, der es auf seine alten Tage noch zu etwas Großem bringen will. Und bringt es auch! Jetzt geht es erst nach Griechenland ... Das ist wie ein Bad im warmen, durchsonnten Meer ... Da spült man sich den Philisterstaub ab – ah – wird das wohltun ... aber die Lotte nehmen wir nicht mit ... die schicken wir nach Hause ... irgendwohin zu Verwandten ... jetzt gleich ... ich will sie gar nicht mehr sehen, das kleine Scheusal!«

Ellinor verneinte. »Das geht nicht! Allein kann ich doch nicht mit Ihnen reisen. Es ist schon für zwei Schwestern auffallend genug – wenn wir auch immer in getrennten Hotels absteigen und alles vermeiden, was ...«

»Philister über dir!« sagte er melancholisch. »Ewig die Philister. Na einerlei – also die Lotte kommt mit. Aber 's Mäulchen soll sie halten! Und während wir in Griechenland sind, löse ich brieflich alles in Deutschland auf – meinen Hausstand, mein Atelier ... meine Klasse ... wer will, kann den Krempel übernehmen. Ich bin ein freier Mann!«

Sie sah ihm mit ungläubigem, freudigem Schrecken ins Gesicht. »Und dann, Meister?«

»Dann muß ich noch einmal in den ekelhaften Norden zurück. Sie wissen, der Herzog von Siebenwalden hat mir sechs Wochen Bedenkzeit gegeben, ob ich nicht doch sein Anerbieten annehmen und seine Zopfresidenz mit den vierundzwanzig Statuen seiner Vorfahren schmücken will. Ein schöner Auftrag ... zehn von den besten Lebensjahren nach einem fremden Willen schaffen und solche mittelalterliche Esel anschauen. Und wenn man fertig ist und wieder frei, fällt einem selber nichts mehr ein. Man hat das Können verlernt. Ich will gar nichts gegen einen Herzog sagen. Aber ich bin ein König! in meiner Kunst! Da soll mir keiner dreinreden!«

»Nein, Meister!«

»Also ... Ich hab' ihm versprochen, ihm persönlich im Engadin die Antwort zu bringen. Sie wissen – was ein bißchen was Besseres unten der Potentaten ist, versammelt sich um die Zeit in St. Moritz. Ich werde ausnahmsweise mein Wort halten, hinkommen und sagen ... kurz und bündig: Hoheit! Nein! Der lustige Meister Seppl, der Ihnen die Langeweile vertreiben soll, im roten Frack mit Ihnen zur Fuchsjagd reiten, im schwarzen Frack Ihnen und Ihren Lords und Landgräfinnen nach der Tafel Schnadahüpferln vorsingen und die Zither schlagen – und mit den alten Baroninnen Whist spielen, und mit den jungen Komtessen vortanzen wie ein höherer Hofnarr, und je nach Wunsch witzig oder bescheiden oder blödsinnig sein soll und in letzterem Zustand nebenbei Ihre zwei Dutzend Ahnen aushauen – bedaure, Hoheit – dieser Seppl ist tot! Leer und öde wie eine Sektflasche bei Morgengrauen. Er nutzt Ihnen nichts mehr! Lassen Sie ihn in Frieden fahren!«

»Aber wohin dann?«

Seine Augen leuchteten in einem schwärmerischen tiefen Glanz, den sie noch nie an ihm gesehen. »Kennen Sie Florenz? Mein Florenz! Wo ich als Akademieschüler auf der Stipendienreise in den Uffizien geweint und gelacht hab' und nachts in meinem Stübchen gekniet und zu der lieben Frau von Medici gebetet, daß ich ein Künstler werden möge? Das ist ja nun lange her, und ich bin mit einem Beine schon Hofrat des Herzogs von Siebenwalden. Aber ich zieh' das Bein zurück! Ich entfliehe! In Toskana bau' ich mir mein Nest. Was gibt es für herrliche Villen rings um Florenz ... schwarze Zypressen herum und der Blick über die lachenden Rebhügel – alles feierlich und lieblich zugleich wie unsere Kunst. Dort werd' ich Künstler! Dorthin folgt mir keiner, der mich wieder zum Tiroler Seppl macht, zum Zillertaler, zum Possenreißer. Dort bin ich, wenn ich will, ganz allein – das heißt ... wenn ich sag' allein ... dann mein' ich die anderen ... die Bekannten ... die Frauenzimmer ... all das Affenpack, das sich ewig an mich hängt. Aber meine Freunde mein' ich damit nicht! Freilich – wieviel Freunde hab' ich denn eigentlich? Einen! Da sitzt er neben mir! ... Wenn ich nach Florenz gehe, liebe Ellinor – ziehen Sie dann auch dorthin?«

Sie nickte nur, langsam und ergeben, als wollte sie sagen: du weißt ja, ich hab' keinen Willen neben dir!

»Sie sind gut!« sprach er weich und zärtlich. »Immer. Der einzige gute Mensch, den ich in meinem Leben getroffen hab'! Der es wirklich von Herzen redlich mit mir meint!«

»Ja, Meister!«

»Vielleicht sind Sie überhaupt der einzige anständige Mensch auf der Welt! In Ihnen ist kein Falsch! Ihnen vertrau' ich! Wir wollen recht miteinander und nur füreinander leben. Sie sollen mein mahnendes Gewissen sein, noch mehr als bisher in den dreizehn Jahren, seit wir uns kennen und wo sich immer wieder fremde Menschen zwischen uns gedrängt haben. Und Sie haben so rührend an dem gottlosen, dummen Seppl festgehalten in der langen Zeit – so rührend treu! Sie haben so große gute Augen. Die schauen mir bis ins Herz! Das tut so wohl. Wenn ich Sie nicht hätte, Ellinor ... was wär' ich für ein Kerl ...«

Sie wendete den Kopf ab. Er sollte nicht sehen, daß sie bleich wurde vor Angst, einer unruhigen, seligen, quälenden Angst, wie sie ein Kind am Weihnachtsabend empfindet.

»Was für ein greulicher Kerl!« wiederholte er träumerisch. »Ohne meinen guten Geist! Sie sollen mich auf dem rechten Weg halten – Sie sollen in mein Atelier kommen, und wenn Sie sehen, daß ich wieder etwas leichtsinnig zusammengeknetet hab', wie der Münchener Seppl von einst – dann geben Sie einfach dem Diener einen Wink, und er wirft den ganzen Toni in den Arno, wo er am tiefsten ist! Wollen Sie das, Ellinor?«

Sie lachte leise. »So, wie Sie's eigentlich meinen, daß ich in Ihrer Kunst und Ihren Schöpfungen leben soll wie bisher die dreizehn Jahre – das gerne!«

»Dreizehn Jahre!« Er schaute zu dem Sternenhimmel auf. »Wenn ich dreizehn Jahre an etwas festhalten könnt' ... ich komme mir so klein neben Ihnen vor, Liebe ... ich hab' so ein schlechtes Gewissen ...«

»Gegen mich! Dazu haben Sie mir gegenüber wirklich keinen Grund!«

»Nein!« Er seufzte. »Dank Ihnen! Denn ein Kerl wie ich ... Ich bin ja nun einmal so niederträchtig veranlagt. Ich geh' mit mir selber durch, wenn's über mich kommt. Da gibt's kein Halten! Und unter uns gesagt: die Weiber machen es einem nicht gerade schwer! Aber dank Ihnen ist es bei der Freundschaft zwischen uns geblieben. Darüber bin ich jetzt so froh.«

»Ich auch!« sagte sie kurz und heiter.

»Es ist so was Reines! So was Nettes! Etwas angenehm Rätselhaftes – für mich! Aber was haben Sie, Ellinor, in all der Zeit geopfert?«

»Ich wüßte nicht was!«

»Sie hätten zum Beispiel doch heiraten können?«

»O gewiß. Ein paarmal!«

»Und haben'g nicht getan?«

»Nein – ich hab' nicht gewollt!«

»Warum denn nicht?«

Sie schwieg. Er sah sie sanft, beinahe ängstlich von der Seite an und dann wieder in die Höhe, zum Himmel hinauf.

»Es war Ihre beste Lebenszeit!« murmelte er endlich. »Die beste Zeit für eine Frau. Von zwanzig bis dreißig!«

Sie lachte mit pochendem Herzen. »Ach – sorgen Sie sich nicht um mich! Ich werde eine ganz vergnügte alte Jungfer ...«

»Ja – das sagen Sie wohl, um mich zu trösten!«

»Was hab' ich denn zu verlieren? Meine Jugend? Es kommt doch darauf an, wie alt man sich fühlt. Und ich fühle mich, trotzdem meine Haare vor der Zeit grau werden, so jung und rüstig wie je! Eine Bergsteigerin wie ich! Was war das heute wieder für eine Tour am Lawinentor. – Und mein Geld? Nun ja – das bißchen Vermögen, das ich hatte, das hab' ich in den dreizehn Jahren so ziemlich aufgebraucht – am meisten für Lottes Erziehung. Denn deren Erbteil ist unberührt. Sie muß doch ein bißchen Mitgift haben. Und endlich meine Schönheit? Lieber Gott – ich bin ja nie schön und nie häßlich gewesen! Ich seh' jetzt besser aus als mit zwanzig Jahren. Ja – wenn ich schön gewesen wäre wie Lotte ...«

»Lotte!« Er sprang zornig auf. »Lotte! Ewig Lotte! Wenn ich nur nichts mehr von dieser unnützen Lotte hören müßte. Ich werd' ein alter Mann, und ewig kommt man mir mit solchen Puppen, mit solchem Spielzeug, mit solchen törichten Lottchen ... Die sind ja gerade mein Unglück im Leben! Das sage ich Ihnen gleich, liebste Freundin: die Lotte kann ich in Florenz nicht brauchen. Verheiraten Sie sie inzwischen oder stecken Sie sie ins Kloster oder werfen Sie sie in einen Brunnen ... mir ganz egal ... nur bringen Sie sie nicht mit! Sonst werd' ich böse!«

»Ja aber ...« sie suchte mühsam nach den Worten ... »denken Sie doch nur ... so ganz allein ... in der fremden Stadt ...«

Er sah unwirsch weg, in die Nacht hinaus. »Nun ja ... allein ...« brummte er in den Bart, »... das freilich ...«

»Ich muß doch in einer Pension wohnen ...« fuhr sie stockend fort, »... und nun die langen Abende ... wenn Sie in der Künstlerkneipe sind ... oder eingeladen ... wir können doch nicht immer beisammen sein.«

Er trat rasch auf sie zu. »Warum denn nicht?« sagte er mit einem beinahe barschen, unsicheren Klang in der Stimme. »Es gibt doch ein sehr einfaches Mittel ... ein allgemein bekanntes, daß zwei Menschen zusammen leben ... ein Mann und eine Frau, mein' ich! O Gott ... o Gott ... nun fängt sie an zu weinen ... unaufhaltsam ... aber liebste Freundin ... es ist doch nichts so Schreckliches ... es wäre doch das einzig Richtige ... das einzig Vernünftige ... so weinen Sie doch nicht so fortwährend ...«

Er verstummte ratlos. Sie schluchzte, auf der dunklen Bank vor ihm kauernd, leise vor sich hin.

»Überlegen Sie sich's!« sagte er sanft und tröstend wie zu einem Kind. »Es ist ja ein bißchen spät, nachdem wir uns dreizehn Jahre kennen! Aber ich bin eben jetzt ein anderer Mensch. Oder ich werd' es ... in Griechenland! Und mit dir ...« Er legte ihr seine beiden breiten Hände auf die Schultern und küßte sie auf die Wange. »Und sagen tun wir's vorderhand niemand! Das ist unser Geheimnis zwischen dir und mir! Das geht die anderen gar nichts an ... nicht wahr, du?«

Sie nickte nur, willenlos unter seinen Händen, während er stark und sanft wie ein großes, gutgelauntes Raubtier mit seinem heißen Atem ihr blasses, tränenüberströmtes Gesicht streifte. Da klangen Schritte auf dem Kies. Vom Hotel her kam eine Gestalt, sich suchend umblickend, langsam auf die beiden zu.

Meister Josephus brummte einen bayrischen Kernfluch in seinen Bart. Er erkannte an der etwas verwachsenen Schulter Ellinors Genossen auf ihrer heutigen Bergfahrt. Mit zornigen Augen und lautlos wie eine Katze schlich er in das Dunkel hinein.

»Verzeihen Sie!« hörte er die Stimme des Fremden. »Ich möchte mich nur von Ihnen verabschieden, mein Fräulein. Ich will heute noch von Lauterbrunnen mit dem Wagen bis Interlaken. Und morgen nach Baden- Baden!«

»O!« Sie sammelte mühsam ihre Gedanken. »Hat das solche Eile!«

»Wie man's nimmt! Es sind jetzt dort die Rennen. Die berühmte ›große Woche‹. Und morgen wird der Große Preis gelaufen. Also auf Wiedersehen bis zu unserer nächsten Bergtour.«

»Ich glaube – ich werde keine mehr machen!«

»Nicht? Mein Gott – was haben Sie denn? Sie haben ja die Augen voll Tränen! Es ist doch nichts Schlimmes ...«

Sie stand auf. »Im Gegenteil! Oder vielmehr gar nichts Besonderes. Ich dachte nur noch einmal an heute ... wenn ich meine Schwester und meinen Freund verloren hätte ...«

»Und deswegen wollen Sie nicht mehr auf die Berge?«

»Vielleicht! Höchstens bei der Rückkehr von Griechenland noch einmal! Zum Abschied.«

»Dann versprechen Sie mir wenigstens, daß wir die letzte Tour zusammen machen! – Wir sind doch Kameraden geworden, in diesen Jahren, oben auf den Höhen! Wollen Sie es mir versprechen – ja? Sie wollten doch auch noch ins Engadin! Ich bin dort. Bei dem Herzog von Siebenwalden!«

»Woher kommen Sie denn zu so hohen Bekanntschaften?«

»Mein Gott ... er ist mein Freund!« Der unscheinbare Fremde lachte. »Oder vielleicht bin ich's selber!«

Sie schüttelte den Kopf. »Das sind Sie nicht! Den Herzog kenn' ich von Ansehen wohl! Aber nach dem Engadin kommen wir! Freilich mit einer Absage! Professor Ranggetiner scheint entschlossen, den Auftrag abzulehnen!«

»Schade! Also auf Wiedersehen!« Er schüttelte ihr die Hand zum Abschied. »Adieu, mein liebes Fräulein! Oder darf ich sagen ›Kamerad‹?«

»Adieu, Kamerad!« erwiderte sie lachend, und der Fremde verschwand im Dunklen.

 


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