Rudolph Stratz
Arme Thea!
Rudolph Stratz

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X.

Die American-Bar war um diese Stunde gesteckt voll. Vorn an den Glasfenstern des schmalen, langen Raumes saßen dicke Gruppen von Trainern, Jockeys und anderen Turfleuten, weiterhin schimmerten die bunten Mützen einiger Kavallerie-Offiziere, die an der Bar mit der allerhand Cobbler und andere, raffinierte »Drinks« mischenden Weiblichkeit schäkerten, die weißröckigen Kellner glitten hin und her, und ganz im Hintergrund, dicht an der eisernen Wendeltreppe, zeichnete sich eine Tafelrunde höchst zweifelhafter Physiognomien – überkorrekt gekleidete Stutzer und verlotterte, spitzbübisch lächelnde Lümpchen, würdevolle alte Herren und hagere, bleiche Gesellen – im Halbdunkel ab, zwischen denen, nur an den wehenden Favoris und der Glatze erkenntlich, der greise Freiherr thronte.

»Was sind denn das nun wieder für Menschen?« fragte Thea ängstlich ihren Freund.

»Es scheinen Winkelbuchmacher zu sein! Warten Sie hier außen, Thea! Das ist kein Lokal für Sie. Ich gehe hinein und befördere Papa ans Tageslicht!«

Beim Nähertreten bemerkte Georg, daß Herr von Hoffäcker sehr grimmig aussah. Die Unterredung mit der Haushälterin schien nicht nach Wunsch verlaufen zu sein.

Nicht ohne Mühe entfernte er ihn aus dem Kreise der Catilinarier, deren einer, wahrscheinlich um einen »großen Schlag« zu feiern, die ganze Gesellschaft mit allerhand amerikanischem Greuelzeug freihielt, und führte ihn durch das Lokal.

Unterwegs teilte er ihm das Ereignis mit.

Der alte Herr schien ganz fassungslos, als sie ins Freie zu Thea traten. Er sprach kein Wort, seine Augen waren feucht, die Wangen dunkel gerötet.

Georg und Thea tauschten einen betrübten Blick. Kein Zweifel: Herr von Hoffäcker hatte schon wieder stark gefrühstückt!

»Haben Sie's ihm denn auch ordentlich gegeben, Textor?« fragte er dumpf nach einer Weile.

»Leider nicht genug!«

»Oh doch!« unterbrach ihn Thea . . . »Schrecklich war's! Mir schaudert, wenn ich daran denke!«

»So . . . hm . . .« der alte Herr wandelte schwerfällig mit ihnen die Linden hinunter . . . »nun . . . dann können wir ja jetzt spazieren gehen!«

Das konnte man allerdings! Für den Freiherrn war die frische Luft auch jedenfalls gut. Thea schob ihren Arm in seinen, wie um sich von ihm führen zu lassen, und stützte seine zittrigen Schritte.

Georg ging nebenher. Zuweilen sahen sie einander stumm an. »Wie wird das nun werden?« lasen sie aus ihren Blicken. »Wir beide sind jung und stark! Wir schlagen uns zur Not durchs Dasein. Aber diese Ruine von einem Menschen zwischen uns . . . wie sollen wir auch die noch retten?«

Es war ein schweigsamer Spaziergang durch die sommerlich grünenden, vielfach geschlängelten Tiergartenpfade. Man hatte ja nur über die eine Frage sprechen können: »Wovon werden wir nun weiter leben?« Und gerade auf diese Frage fand man im Tiergarten keine Antwort.

Denn die Menschen alle, denen sie hier in diesem vornehmen Walde des Westens begegneten, die hatten zu leben! Offiziere von Kriegsakademie und Generalstab, junge und alte Dandies zu Pferd, greise Millionäre in Rollstühlen, die Familie und den Lieblingshund um sich. Schwärme sorglos spielender Kinder, eilfertig den Park durchquerende Geschäftsleute, promenierende Damen, denen im Schritt die Equipage folgte, die Gesellschafterin neben sich . . . ach ja . . . diese Leute waren satt und würden morgen satt werden und in vier Wochen auch, wogegen sie drei in vier Wochen vielleicht den letzten Taler sich wehmütig als ein Kuriosum von Hand zu Hand reichten, ehe sie ihn – und gewiß auf recht unvernünftige Weise – ausgaben!

Diese Betrachtungen stimmten sie nieder. In stillschweigendem Einverständnis drehten sie endlich um und wanderten an den prunkvollen Villen der Tiergartenstraße entlang wieder der Mauerstraße zu, die Georg und Thea vor etwa zwei Stunden verlassen.

Pfui . . . wie häßlich und kahl war das alles, wo man eben noch Luxus und Glanz, wenn auch nur von außen, geschaut.

Aber Thea war nicht gewillt, sich entmutigen zu lassen. »Da hat er gelegen und mit den Beinchen gezappelt . . .« sagte sie befriedigt, auf die mit ein paar kleinen Blutspritzern bedeckten Dielen des Redaktionsraumes zeigend . . . »ich erzähle dir noch, wie alles kam, Papa! Ich will nur erst Hut und Handschuh . . .«

Sie blieb sprachlos an der Türe ihres Zimmers stehen.

Das Zimmer war leer! Völlig leer! Nur in der Ecke ihre zwei Kofferchen, die paar Kleider und sonstigen Effekten unordentlich hinein und darüber gelegt, sonst die vier kahlen Wände!

Sogar die Gardinen fehlten! Und in den Vorderräumen, in die sie fassungslos zurückkehrte, waren die Fenstervorhänge auch weg. Darum waren ihr die Zimmer beim Eintreten so angenehm hell erschienen.

Auch der große Lehnstuhl und zwei der anderen Stühle waren verschwunden. Außer dem Redaktionstisch, dem Papierkorb und dem Bett des alten Herrn war fast nichts mehr da.

Und die Küche? Völlig ausgeräumt! Auf der Kochmaschine, deren Feuer erloschen, lagen, eine alte Zeitung als Unterdecke, ihre Einkäufe für das heutige Mittagsmahl. Und kein Glas, kein Teller, nichts mehr zu sehen.

»Ja . . . was ist denn das?« murmelte sie mit tonloser Stimme.

Frau Kautz, die Schusterfrau von unten, war heraufgekommen.

»Sie hat sich nich halten lassen!« berichtete sie . . . »was nämlich die frühere Haushälterin hier war. Vor 'ner Stunde kam sie angerückt . . . mit 'ner Fuhre und zwei Männer dabei . . . ihr Onkel . . . gloob ich . . . und noch eener . . . und wie 'ne Furie 'ruff in die Zimmer . . . und fort mit dem Zeug! Was ihr gehöre, das nehme sie mit . . . sagt' sie . . . und das könnt' ihr nicht passen, sagt' sie, hier auf einmal 'rausgeschmissen zu werden . . . wegen der Tochter . . . und 'nen Gruß . . . und sie zöge zu 'nem Doktor in der Brunnenstraße! . . .«

»Das ist 'ne nette Geschichte!« sagte Georg.

»Ja, lieber Jott!« Das Schusterweib zuckte die Achseln . . . ». . . so übel können Sie das der Frau nicht nehmen! Wenn man nu mal seine schöne eigene Wirtschaft hat . . . det paßt nicht jedem, dann einfach 'ne fremde Dame darin wohnen zu lassen . . .«

Sie blickte im Weggehen verstohlen und etwas mißtrauisch nach Thea. Aber die war nicht mehr im Zimmer.

Hinten in dem kahlen Gemach kauerte sie auf einem ihrer Köfferchen und starrte trostlos vor sich hin.

Wo waren nun alle Hoffnungen und Pläne geblieben?

Wie schön hatten sie sich das gestern beim letzten Glase Sekt ausgedacht, hier zusammen zu arbeiten und zu hausen. Nun war das altes vorbei.

Und sie war daran schuld!

Sie allein! Wegen ihr war die Haushälterin mit Sack und Pack davongezogen und hatte den alten Herrn hilflos zurückgelassen. Wegen ihr hatte es den Streit mit Heinlein gegeben, durch den Georg die eben gewonnene Stellung und ihr Vater sein letztes bißchen Brot verlor.

Und sie hatte es doch so redlich gemeint! Sie war überzeugt gewesen, eine gute Tat zu begehen, als sie das Telegramm ihrer Verwandten unbeantwortet ließ, um mit dem armen, alten Manne drüben Mühsal und Not zu teilen.

Und nun war sie für ihn nichts als ein Bleigewicht, das ihn noch tiefer und tiefer hinabzog.

Heiße Tränen liefen über ihre Wangen. Wo blieb da die Gerechtigkeit der Welt? Hätte sie denn etwa ihrem Vater kaltblütig wieder den Rücken kehren sollen und herzlos in das warme Nest in Posen zurückschlüpfen – mochte aus dem Greise werden, was da wolle?

Nein! Sie verließ ihn nicht!

Sie stand auf und trocknete ihre Tränen. Er sollte sie nicht weinen sehen! Dann zerrte sie ihr Köfferchen über den Flur in das Vorderzimmer, wo es ja jetzt an Sitzgelegenheit mangelte, und zwang sich, während sie die Tür aufklinkte, zu einem sorglosen Lächeln.



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