Julius Stinde
Frau Buchholz im Orient
Julius Stinde

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Heimwärts.

Varna. – Die bulgarische Frage. – Bukarest. – Sinaja. – Dornröschen und die Lieder einer Königin. – Kronstadt – Nur zwei Tage in Pest. – Wien. – Was der Orient lehrte.

Das Schwarze Meer war bald erreicht. Die Rettungsstation auf dem Gebirgsufer bei der Einfahrt erfreut sich der Anerkennung aller Seefahrer. Die Kliffe und Riffe, welche aus dem Wasser hervorragen, waren schon den alten Griechen als gefährlich bekannt: die beiden größten nannten sie die Symplegaden und behaupteten, die Felsen hätten früher stoßweise zusammengeklappt, um die Schiffe zu zermermeln, die richtige Lesart wird wohl die sein, daß die Fahrzeuge einfach gegen rannten.

Varna war unsichtbar, als wir nach vierzehnstündiger Fahrt am Frühmorgen hielten; Nebel und nichts als Nebel. Die Kähne kamen. Gottlob die letzte Ausschiffung, die der Landung bei Jaffa an unfreiwilliger Einladung zum Bädernehmen wenig nachgiebt. Paß und Zoll und Bakschisch wie in der Türkei. Dann auf die Eisenbahn.

Je weiter wir nach Bulgarien hineinkamen, einen um so besseren Eindruck machte es. Hier fing Ackerbau wieder an, und wenn auch Manches noch hochgradigen türkischen Beigeschmack hatte, merkte man doch Vorwärtsbestrebungen. An den Bahnhöfchen verwelkten gerade die Guirlanden, welche Fernant'n zu Ehren angehängt waren, der vor etlichen Tagen sein Land bereist hatte. So fuhren wir mitten durch die bulgarische Frage.

Nach sieben Stunden kam Rustschuk mit dreiviertelstündiger Dampfschiff-Uebersetzung über die Donau nach Giurgewo. Paß- und Zollrevision. Orient-Expreßzug. Bahnsprache französisch, mit Stummheit und richtigem Blick geantwortet. Viel Hochwasser hatte die Donau geliefert, sie glich stellenweise einem großen See.

Also dies war nun Rumänien. Die Feldbestellung erschien reichlicher; auf den Stationen wurden Massen von Getreide verladen. Was man von dem schnellfahrenden Zuge aus sah, Aecker, Ortschaften, Wald und Wege, unterschied sich von dem Türkischen himmelweit. Es war Zucht darin. Das Land ist schön bis nach Bukarest hin, fruchtbar und bearbeitet.

Vor zehn Jahren soll Bukarest eine Stadt gewesen sein, die an allen Mängeln orientalischer Städte litt, jetzt hat sich sie glänzend herausgemacht. Wenn Konstantinopel nur den hälften Aufschwungsgeist besäße, könnte es froh sein. Wir wissen ja aus eigener Erfahrung, was zehn Jahre Städteumkrempelung bedeutet, aber so etwas will gemacht sein. Durchwandelt man Bukarest, selbst die ärmeren Viertel, giebt sich wohl Kleinstädtisches kund, aber niemals das Unsaubere des echten Orients. Es herrscht ein allgemeiner Sinn für Ordnung und Reinlichkeit. Die Hauptstraßen sind so großstädtisch, wie man nach den Schilderungen nicht erwartet. Fuhrwesen, Beförderung stehen auf hoher Stufe. Die Hotels sind neuzeitlich, an eleganten Restaurants und stilvollen eigengebrauten Bierhallen gebricht es nicht. Der Wein des Landes, von dem uns gesagt war, ist nicht nur vortrefflich, sondern ein großer Ausfuhrartikel nach Frankreich. Warum holen wir ihn nicht selbst, machen wie die Franzosen Bordeaux daraus und bringen wieder Waaren als Gegentausch dorthin?

Es herrscht Bildschönheit. Die Toilette erste Mode. Hier hätte unser Leutnant mehr kokettirt, als ich ihm gestattet haben würde. Entweder er brach Herzen oder das seine zerklüftete. Wozu hatte er sich dann mit dem Jordanwasser beladen?

Wir hegten nur noch einen Wunsch, der in Konstantinopel angeregt worden war, nämlich den, das Schloß Pelesch zu sehen.

Wir kamen auch dahin. Nach etwa vierstündiger Eisenbahnfahrt durch weite Strecken wallender Kornfelder, an Ortschaften vorbei, deren Kirchenkuppeln goldig in der Morgensonne schimmerten, brachte uns der Zug über Flüsse und Bäche in das Gebirge hinein bis nach Sinaja. Vor vielen Jahren war hier nur Walddickicht, darin ein Kloster stand, als sei es vergessen. Jetzt aber ist das Mönchshaus nicht mehr allein, ein wunderhübsches Badestädtchen mit großen Hotels, Kaltwasseranstalt, Parkanlagen: Sinaja, der Sommeraufenthalt wohlhabender Bukarester leistet ihm Gesellschaft. Auf manchen Landkarten sucht man Sinaja vergebens, es ist kaum vierzehn Jahre alt, denn es erstand seit der Zeit, als König Karl der Erste von Rumänien sein Lustschloß Pelesch zu bauen begann, das ganz von der Thalschlucht geborgen wird, durch die der Peleschbach plätschernd der Tiefe zuströmt.

Wer den Waldweg entlang schreitet und bei der Biegung das Schloß erblickt, steht wie gebannt. Wo bleiben nun die Paläste des Orients, die Marmor-Serais und Kiöschke? So prangend sie auch waren, dies Eine hatten sie nicht: den Zauber der Romantik, den wir Alle kennen, denen die Mutter in heimlicher Dämmerstunde erzählte: »Es war einmal«. – Wie alte Sagenzeit steht Schloß Pelesch da. Riesentannen umschatten es, Felswände, schroffe, schneewahrende schirmen es und der Waldstrom umrauscht es Tag und Nacht.

Und wie von außen, so ist das Schloß auch drinnen; Kunst ist ihm eigen, nicht die todte Pracht der Sultanspaläste. In dem Lichthofe plaudert der Springbrunnen mit den Helden der Nibelungensage, die an den Wänden dargestellt, den Eintretenden fragen: »Weißt Du auch von uns, daß wir Deutsche waren?« Die Gemälde der alten und neuen Meister in den königlichen Gemächern fragen: »Warum seht ihr uns so verzehrend an?« – »Wir kommen aus dem Orient,« sprachen wir, »wo man begreifen lernt, was dem Leben fehlt, wenn es der Kunst entbehren muß. Nun sättigen sich unsere Augen an Eurem Anblicke.« – Das Arbeitszimmer der Königin hat einen Erker, durch dessen glasgemalte Fenster das Dornröschen zusieht, wenn Carmen Sylva sinnend am Schreibtisch sitzt und dichtet. Viele meinen, der Wald und der Peleschbach flüsterten der Königin zu. Das glaube ich nicht. Tiefes Leid und nimmer versiegende Liebe kennt weder der Wald noch der Bach, die kennt nur das Menschenherz allein, und aus dem Herzen kommen die Lieder einer Königin. Auf dem Schreibtische lag ein beschriebenes Blatt, ein Gedicht, die Dinte noch frisch. Die Worte habe ich nicht mehr behalten, wohl aber den Sinn. Eine Gunst ersehnt die Dichterin: Des Mondes Licht zu sein, daß sie zwei theure, weit getrennte Gräber zu gleicher Zeit umarme.

Dem König und der Königin begegneten wir und erhoben die Augen frei, wie wir unserem Kaiserpaare froh ins Antlitz schauen. Der König gleicht etwas dem Kaiser Friedrich in den Gesichtszügen, von Gestalt ist er kleiner. Die Königin ist schlank und schön gewachsen; das fromme, holde Angesicht vergißt nie, wer es einmal sah. –

Obgleich ich gegen Politik bin, weil zu viele Leute, statt sich in ihrem Gewerbe zu vervollkommnen, die nutzbarste Zeit verkannegießern, konnte ich doch nicht umhin, als wir am nächsten Tage von Sinaja nach Kronstadt eisenbahnten und ein ziemliches Stück Rumänien beaugenscheinigt hatten, zu bemerken: »Wenn die Balkan-Menschen klug wären, wählten sie Rumänien zum Oberstaate, so wie Preußen in Deutschland. Dann könnte etwas Großes werden. Aber thun sie es? Nein, sie politisiren.« –

Kronstadt ist eine deutsche Stadt in Ungarn. Wenn man die Deutschen in Ruhe läßt, basteln sie feste gediegene Verhältnisse zusammen, wohin sie kommen. So bei Jaffa, Sarona, Jerusalem, so in Kronstadt, denn der Deutsche liebt den Boden, den er bebaut. Von dem Kapellenberge sieht man wie aus einem Luftballon hinunter auf die Stadt, ohne daß man schweben braucht. Dies ist sehr merkwürdig.

Wer durch Ungarn fuhr, darf mitsprechen, wenn von Fruchtbarkeit die Rede ist. Sobald aber klar gemacht werden soll, wie eine Pußta sich anläßt, dann sagt man, die ist so groß, die geht gar nicht in Euren Kopf. Und diese Unmenge Schweine. Sie sind sehr verschieden in Größe und schwarzer Geflecktheit, in der Wurst kommen sie jedoch Alle auf dasselbe aus. Die, welche wir in Groß-Wardein bekamen, war ohne Einwand einzig; dazu Zigeuner-Musik auf dem Bahnhofe, Ungarwein und schäumendes Bier. Alles das nahmen wir mit einer gewissen dankbaren Freudigkeit entgegen, und wunderten uns, daß den heimischen Mitreisenden diese unschätzbaren Dinge gering und selbstverständlich erschienen. Jedoch bald fanden auch wir uns wieder in die gewohnten Annehmlichkeiten des Lebens. Nichts ist flatterhafter als Erkenntlichkeit.

Wie wir bei der Hinreise allmälig in den Sommer hineinfuhren, so merkten wir jetzt, wie das Dampfroß uns in die Kultur des Abendlandes beförderte.

Für Pest hatten wir nur zwei Tage. Viel zu wenig. Die Donau mit der Kettenbrücke nach Buda hinüber, die Margarethen-Insel, die Andrassy-Straße, wohl die schönste Straße, welche die Neuzeit überhaupt aufzuweisen hat, die Umgegend, das Volksleben, die Theater beanspruchen, daß man ein längeres Lager aufschlägt. Mein Karl wurde aber sparsam mit der Zeit; seitdem der Besitz einer richtig gehenden Uhr ihm diebischen Spaß machte, fing er an zu treiben, indem er behauptete, der Orient sei hier alle.

Auf nach Wien!

Nun waren wir wirklich aus dem Fremdländischen heraus. Wie das wohl that. »Karl,« sagte ich, »wir geben einen Tag mindestens zu. Laß uns den Genuß auskosten, wieder Deutsch zu verkehren. Nicht mehr auf Dolmetscher, Portiers, Kellner und Radebrechen angewiesen sein, ist wie von einer Zwangsjacke befreit. »Ruch« und »Imschi« und »Haide git« sind abgethan, wen Du auch anredest, er giebt Dir freundlich Auskunft. Das Alles macht Wien für uns noch viel fesselnder, als es in Wirklichkeit schon ist.« – Welch' eine Wonne, diese Pracht-Ringstraße im feschen Fiaker durchkutschiren. Wenn er langsam fährt, steht immer ein gelehrt aussehender Mann mit Brille in Uniform da, der die Zusammenrempelungen leitet, weil auch die anderen Wagen thun, als wollten sie anhalten, wodurch der Kurs versperrt wird. Ist er an dem glücklich vorbei, jagt er fix los. »Karl,« bemerkte ich, »dies geschieht, damit man fühlbar gegen die herrschende Ordnung trifft. Da wir so lange ohne Eingreifen straßenpolizeilicher Mächte lebten, halten wir ihren Uebereifer natürlich für hemmender, als er wohl ist, denn noch ging es ohne Unfall ab.«

Wir hatten das Rathhaus, die Universität, die Votivkirche, das Parlamentsgebäude, den Justizpalast und das neue Burgtheater bereits früher in Abbildungen gesehen, aber die langen nicht an den natürlichen Anblick heran. »Schade,« sagte ich, »daß die deutsche Botschaft in Konstantinopel nicht in Wien bestellt wurde, hier verstehen sie, das Imposante schön zu machen, und mit sinnreichen Anspielungen zu versehen. Dort oben auf dem Parlament die bespannten Siegeswagen zeigen an, daß die Parteien, jede für sich nach einer anderen Richtung, auseinander streben, wodurch in der Mitte ein unbekümmerter Platz entsteht.« – »Nein,« entgegnete mein Karl, »die vielen Gäule auf dem Dache sollen andeuten, welche Pferdearbeit es ist, ein Land aufzuregen.« – »Das glaube ich nicht, da hätte er besser eine Dampfmaschine hinaufgestellt, die doch mehr leistet als die Rösser.« – »Die ist kein künstlerisches Attribut.« – »Denn nicht.«

Wenn ich je etwas vermeide, so ist es das Streiten über Kunst. Was geht Andere an, was mir gefällt oder nicht?

Am Abend waren wir in der Oper, man gab die »Meistersinger«. Welche Kluft zwischen der Musik des Orients und diesem Werke; es ist, als wenn Jahrhunderte das Abendland vom Morgenlande trennten. Im alten Burgtheater sahen wir auch spielen. Die Räumlichkeiten waren mehr als bescheiden, aber die Künstler um so berühmter. Man sagte mir, wenn Einer fünfundzwanzig Jahre spielte, wird er Herr »von«, das heißt richtig, nicht wie sonst ein Jeder in Wien. Nach fünfzig Jahren wird er Freiherr und nach fünfundsiebzig Fürst, und nach hundert Jahren müssen sie ihn zum König von Böhmen machen. Das ist jedoch noch nicht vorgekommen.

Die Gemäldegalerien, die Ambraser Sammlung konnten wir nur flüchtig durchwandern, denn die Kunstausstellung, die Gewerbeausstellung in der Rotunde und der Prater wollten auch besucht sein. Es war viel zu viel für die wenigen Tage. »Wien muß ich wiedersehen,« sagte ich. »Da reisen so viele Leute nach Paris, warum gehen sie nicht vernünftiger nach Wien? Hier lebt es sich gemüthlich. Die schöne Stadt mit ihrer herrlichen Umgebung muß ja Jeder liebgewinnen.«

Möge sie blühen und gedeihen, die Kaiserstadt an der Donau, in unvergänglicher Jugendfrische. Zwei stolze Töchter hat Germania, zwei Schwestern, Wien die ältere und Berlin die jüngere, die zusammengehören in guten wie in bösen Tagen. Denn so weit die deutsche Zunge klingt ist das Vaterland.

Die Vaterlandsliebe aber ist die heilige Kraft, der unüberwindliches Leben, Fülle und Segen entsprießt. Das hat mich der Orient gelehrt, dessen Blüthe langsam dahin welkt.

Ende.

 

 


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