Julius Stinde
Frau Buchholz im Orient
Julius Stinde

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An der Gasthof-Tafel waren alle Nationen vertreten. Ich kam neben einem armenischen Erzbischof zu sitzen, der sieben lebendige Sprachen mit gleicher Undeutlichkeit brabbelte, wenn er sie alle so zusammenkaute wie das Deutsch, was er lieferte. Der Seife hatte er ganz entsagt, war aber sonst ein fideles Heft. Den obersten Platz am Tische nahm Herr Dr. Schmidt, der Kanzler des deutschen Konsulats ein. Wenn die Fremdenzeit vorüber ist, speist er selbander mit dem Armenier, bis die ersten Zugvögel kommen und das Hotel sich wieder mit Gästen füllt, etliche ehrliche, schwäbelnde Zimmergesellen als Nothkellner eingestellt werden und Herr Feil die schwere Aufgabe löst, die verschiedenartigsten Ansprüche der Reisenden mit den unzulänglichen Hülfsmitteln, die in Jerusalem zu Gebote stehen, dennoch zu befriedigen. Ich erkundigte mich, wo man einen Plan und Beschreibung der Stadt kaufen könne, da wir uns in Kairo nicht damit versahen und erfuhr denn, daß es in ganz Jerusalem keine Buchhandlung gäbe. Keine Zeitung erscheint, obgleich die Stadt etwa zwanzigtausend Einwohner zählt. Man hat verschiedene Male versucht, ein Blatt ins Leben zu rufen, allein der Pascha verlangte jedesmal unerschwingliche Abgaben und erwürgte so das Unternehmen im Keim. Die Steuern werden überhaupt nach Gutdünken abgeschätzt. Liegen die Garben auf dem Felde, dann geht der Ackersmann zu dem Beamten und sagt: »Komm und nimm Deinen Antheil.« – »La,« erwidert der Beamte. – »Ich bitte Dich, das Korn fällt aus, es ist hohe Zeit, es einzuheimsen.« – »La!« – »So komme doch, die Vögel des Himmels fressen meine Ernte.« – »La!« . . . Und so lange sagt der Steuereinnehmer »la«, bis der Landmann ihm ausreichendes Bakschisch in die Hand drückt. Dann läßt er sich erweichen zu zehnten und zu fünften, wie es ihm beliebt. Ebenso ergeht es dem Weinbauer, der seine Trauben erst lesen darf, wenn die Erlaubniß vom strengen Steuerbeamten erkauft wurde, und so in allen Dingen. Jeder Hammel im weiten türkischen Reiche ist besteuert, und fehlt es an Moneten, wird die gesammte Hammelsteuer gegen Vorschuß an Geldinstitute verpfändet. Wie ein Alpdruck liegt dies Steuersystem auf den Bestrebungen der Kolonisten, die das gelobte Land der Kultur nachhaltiger erobern würden, als noch so viele Kreuzzüge vermöchten, wenn statt der Willkür das Recht herrschte. Wie oft wird über die Zustände bei uns geklagt, wie schrecklich wird mit der Steuerschraube zur Zeit der Wahlen gekämpft, wie dumm kommt Einem jedoch das vor, wenn man im Orient wirklich »Zustände« kennen lernt. Mr. Pott meinte, unter solchen Verhältnissen würde ein Amerikaner irrsinnig. Unser Leutnant sprach nur von gründlich aufräumen. Mein Karl fand es bewundernswerth, wie sich so etwas überhaupt halten könne. »Meine Herren,« sagte ich, »deshalb reist man ja eben in andere Länder, um zu sehen, ob es dort besser zugeht als bei uns. Stößt man hierbei auf den konträren Gegensatz, so giebt das wenigstens einen klaren Kopf.« – Da wir jedoch nicht aus politischen Gründen hergekommen waren, wurde das Gespräch herumgedreht. Unser Leutnant erzählte von seinem Ritt durch das Land, und daß er einen Schakal erschossen. »Er war wohl aus der Gegend von Ramleh,« sagte ich. »Wir haben seine Familie um ihn heulen gehört.« – Es kamen Handelsleute mit Photographien und Schnitzarbeiten aus Oelbaumholz; wir kauften verschiedene Sachen zum Andenken und verfügten uns zur Ruhe. –

Es läßt sich nicht leugnen, die Stadt Jerusalem zieht doch mit unwiderstehlicher Kraft an; man sehnt sich, sie abermals zu durchwandern, die Stellen zu betreten, die Orte zu sehen, deren Namen uns von frühester Jugend an vertraut sind. Hier also stand die Burg Davids; dies war Sion. Jetzt hauste türkisches Militär dort. Und was für Militär. Unser Leutnant verfiel in Erstarrung, als er es sah. Allein schon das Fußzeug. Etliche liefen barfuß, etliche hatten Schuhe, etliche Stiefel, und zwar hungrige, mit Blätterteigsohlen darunter. Die Uniformen waren auf das beste ventilirt. Geplatzte Nähte und Löcher auf den Ellbogen sorgten für Zugluft; an dem letzten Faden hängende Schulterlitzen und ausgefranste Hosenbeine sollten wahrscheinlich Fliegen scheuchen. Das Knopfputzen war überflüssig, da die meisten Knöpfe fehlten. Wer das nicht mit eigenen Augen gesehen, hält es für unmöglich. Unser Leutnant sagte, zu so viel Arrest, wie die Kerle haben müßten, gehörten Jahrhunderte. Aber was wollte er von den Gemeinen, liefen doch Offiziere mit entzweiem Hosenboden! – »Wozu wohl die Steuern verwendet werden?« fragte mein Karl. »Unser Militär kostet Geld, dafür sind wir aber auch forsch, und so leicht wagt sich Keiner heran.« – »Karl,« entgegnete ich, »mancher Hausstand würde mit der Hälfte Kalbsbraten auskommen, mit solchen Soldaten könnte keine Köchin ausgehen.«

Menschenleere Gassen führten uns nach dem Sionsthor, vor dem das Grab König Davids gegen Bakschisch gezeigt wird. In dem armenischen Kloster besahen wir die Kirche. Sie wurde des nahenden Osterfestes wegen mit Straußeneiern ausgeschmückt. Ein Priester besprengte uns mit geweihtem Rosenwasser, wofür Bakschisch. Vom armenischen Viertel kamen wir in den jüdischen Stadttheil. Schmutz und übler Geruch spotteten aller Beschreibung. Durch den abscheulichsten Abwurf führte man uns an die Stelle, wo ein Stück Mauer vom Tempel Salomonis erhalten sein soll. Die kolossalen Felsblöcke erinnern an ägyptische Bauten und stammen sicher aus ältester Zeit. In dem engen Gäßchen hatten sich viele Juden versammelt, in Feiertagsgewänder gekleidet. Sie lehnten theils stehend, theils kauernd gegen die Mauer und lasen laut aus ihren Büchern. Abseits hockten die verschleierten Frauen; kleine Lämpchen brannten neben ihnen. Willig gewährte man uns den Zutritt und machte Platz, daß wir gut sehen konnten. Würdige Greise sammelten Bakschisch ein und die Betenden schauten über ihre Bücher hinweg, ob wir auch kargten. So viel steht fest: im Bakschisch sind alle Religionen in Jerusalem einig.

Am Nachmittage holte der Konsulatskawasse uns zum Besuche der Omar-Moschee ab. In seiner malerischen Tracht, den krummen Säbel an der Seite, schritt er voran; die türkischen Wachtposten, an denen wir vorbeikamen, machten Honneurs. Wären sie weniger ruppig gewesen, hätte ich wohl gewünscht, die Polizeileutnanten hätte Zeuge sein können, wie wir anpräsentirt wurden, aber so fiel der Effekt doch zu sehr aufs Schofle aus. Im Hospiz vereinigten wir uns mit den Fremden, die gerade in diesem gastlichen Heim wohnten, das früher alleinige Unterkunft gewährte, als noch keine Hotels in Jerusalem existirten. Geist der Ordnung und Sauberkeit waltet hier, redliches deutsches Wesen. Die prächtige Hausmutter schlug das Fremdenbuch auf und wies auf einen Namenszug, den wir alle mit Wehmuth betrachteten: »Friedrich Wilhelm, Kronprinz von Preußen« stand in mannhaften Schriftzügen zu lesen.

Die Omar-Moschee erhebt sich auf der Stelle des Salmonischen Tempels. Zwei Höhen hatte das alte Jerusalem, den Berg Sion und den Berg Moriah, die Senkung zwischen den beiden füllte die Stadt mit ihren Gassen und Häusern aus, und so ist es noch heute. Darum steigen und fallen auch die Straßen und sind mit Stufen versehen. Der Tempelplatz ist gar groß und schön. Ebenes Steinpflaster bedeckt ihn. Grasflächen sind vorhanden, auf denen Oelbäume stehen und hohe Zypressen. Vor nicht vielen Jahren durfte kein Ungläubiger die Omar-Moschee betreten, die über dem schwebenden Felsen erbaut ist.

Auf diesem Steine errichtete, der Sage nach, Abraham den Altar, um Isaak zu opfern, auf ihm stand die Bundeslade. Als Mohammed einst betete und in den Himmel entrückte, wollte der Fels ihm nachfliegen. Der Engel Gabriel aber griff rechtzeitig zu und hielt ihn. Der Eindruck von Gabriels Hand wird noch heute an dem Felsen gezeigt, der seit jener Zeit in der Luft schwebt. Damit er nicht wieder fällt, ist eine Steinmauer darunter gezogen, die ihn stützt. Schweben thut er aber doch. Danach kann man jeden Mohammedaner fragen.

Das Innere der Moschee ist anders, wie sonst üblich, da der gelbliche unbearbeitete Stein beinahe die ganze Mitte einnimmt. Die köstliche Zusammenstellung von Gold, Marmor, Alabaster und Mosaik wirkt in der dämmerigen Beleuchtung der bunten Glasfenster außerordentlich. Gewiß gehört diese Moschee zu den schönsten des Orients, wenn auch das Aeußere bereits der Kassura anheimfällt: das Gold ist von der Kuppel gespült und die blauen Kacheln der Thorbogen bröckeln ab. Die zweite Moschee des Tempelplatzes war früher eine christliche Kirche und enthält außer den gewaltigen Kellerbauten, die noch zum größten Theile voller Schutt liegen, viele Merkwürdigkeiten, wie z. B. den Platz, an dem der Prophet Elias am liebsten betete, und die Wiege Christi, welche jedoch – nach professorischen Traditionen, wie der Erklärer sagte – nicht echt sein soll. Mir erschien sie eine marmorne, gewesene Fensternische. Zwei dicht neben einander sehende Säulen heißen die Pforte des Paradieses. Wer sich zwischen diese Säulen hindurchzwängen konnte, kam in das Paradies, wer jedoch zu dick war, der hatte keine Hoffnung. Natürlich grämten die einigermaßen Fetten sich sehr, wenn sie stecken blieben, und thaten sich sogar körperlichen Schaden, weshalb nunmehr dieser Dummheit durch ein eisernes Gitter ein Ende gemacht worden ist, das ein deutscher Schmied gearbeitet und befestigt hat. Ich war dem Manne im Stillen sehr dankbar, denn hätten wir probirt, wer weiß, ob ich durchgekommen wäre, selbst mit Drücken und Ziehen? Und für Schweningerkur war die Zeit zu kurz bemessen. Ueberdies hatte ich noch nie gehört, daß man sich den Eingang ins Himmlische durch Verdünnerungsmittel erwerben könnte.

Wie oft war ich als Kind in dem Tempel gewesen! Hatte uns der Lehrer nicht erzählt, wie Salomo ihn erbaute, wie viel Zedernholz, Gold und Silber er aus dem königlichen Schatze gab und wie er Jehova das Haus weihte? Trauerte nicht mein junges Herz, als es vernahm, wie der Tempel von den Heiden vernichtet wurde, half es nicht in Gedanken an seiner Wiederherstellung und freute sich des Werkes? In den heiligen Räumen war ich, als der Christusknabe dort lehrte und die Eltern ihn suchten; als der Herr die Wechsler und Händler hinaustrieb; als der Vorhang vor dem Allerheiligsten in zwei Stücke zerriß. Und dann wurde er wieder zerstört und mit ihm die Stadt Jerusalem.

Ist es doch die heilige Geschichte, die von frühester Kindheit an, uns mit der Stadt Davids vertraut macht, und den Traum-Sinn beschäftigt. Wie hafteten die Blicke auf den Bildnissen, die uns der Lehrer zeigte, wie fest sind alle diese Eindrücke geblieben: so unerschütterlich, daß die Wirklichkeit vergebens sucht, sie auszulöschen. Und doch mußte man sich sagen: alle deine Vorstellungen von der heiligen Stadt und den heiligen Orten sind verkehrt, denn du hast sie den Zeichnungen und Gemälden solcher Künstler entnommen, die sie nicht mit leiblichen Augen sahen, sondern sich künstlerische Bilder ersannen. Daher sieht Jerusalem bei den Italienern italienisch aus und bei den deutschen Malern wie Alt-Nürnberg und setzt sich in unserer Gedankenwelt aus ihren Anschauungen zusammen und darum ist die Enttäuschung beim Betreten der heiligen Stadt eine so einschneidende, weil wir die lieblichen Bilder, die unser Inneres hegt, gewaltsam für abstoßende Wirklichkeit eintauschen müssen. Wären die Unwahrscheinlichkeiten, die dem Gläubigen für echt ausgegeben werden, wenigstens schön – auch das nicht einmal.

Der Tempelplatz wird nach Sonnenaufgang zu von den Mauern der Stadt begrenzt, auf die man hinauf kann. Dem Besteigenden erscheinen sie nur niedrig, blickt er aber die Außenseite hinunter, dann schreckt er unwillkürlich zurück, denn ein jäher Abgrund gähnt dort unten. Nun erst gewahrt man die Höhe des Tempelberges, den ein schluchtartiges Thal von dem gegenüberliegenden Bergzuge trennt – von dem Oelberge. Thal Josaphat heißt die Schlucht, der Kidron ist der Bach, dessen trockenes Bette jetzt keinen Tropfen Wasser hatte. Der seltsame spitze Rundbau rechts in dem Thal ist das Grabmal Absaloms und dort in jenem Araberdorfe mit seinen niedrigen Steinhütten entspringt die Quelle Siloah, der weißliche Weg in der Einsenkung geradeaus führt nach Bethanien, und links vor uns der Garten, über dessen Mauern aschfarbene Oelbäume und dunkle Zypressen hervorragen, ist der Garten Gethsemane.

Noch weiter hin nach links, die kahlen Höhen mit Felseneingängen, denen ähnlich, wie wir zu Theben sahen, sind Gräber von Königen und Patriarchen. Die Grabkammern sind längst ausgestohlen und die Steinplatten, die sie verschlossen, liegen zertrümmert unten im Thale. Nur der Feigenbaum legt seine biegsamen Zweige um die Felsen und der Schatten seiner jungen Blätter ist die Thür zu den entweihten Grüften. Das Zeltlager auf der nördlichen Seite des Oelberges gehörte Herrn Thomas Cook und Sohn und beherbergte englische Gesellschaftsreisende. Lustig wehte die rothe Flagge mit der Firma »Th. Cook & Son«auf dem großen Zelt, in welchem die künstlichen Beduinen ihre gemeinschaftlichen Mahlzeiten einnehmen. Warum auch nicht?

Dicht an der Mauer des Tempelberges ist ein mohammedanischer Friedhof gelegen; von der Tempelterrasse führt das goldene Thor dort hinaus. Dieses Thor ist zugemauert, denn es geht die Sage, wenn es eröffnet würde, verlöre der Islam seine Herrschaft über Jerusalem zurück und ein neuer König zöge ein. Nach meiner festen Meinung zieht nicht ein neuer König durch das goldene Thor, sondern Thomas Cook & Son, ein Trupp Ladies und Gentlemen hinterdrein.

Nachdem wir für die Aussicht, den Besuch der Moscheen und die Erklärungen der Führer das verlangte Geld abgeladen, verließen wir den Tempelplatz. Nur für eins bezahlten wir nichts, – für das große Talent, das sie dort überall haben, die Stimmung der Andacht bis auf den letzten Rest auszutilgen.

Während die Herren sich entschieden, bei Leuthold am Jaffa-Thor eine Flasche Pschorr-Bräu zu trinken, machte ich mich mit dem Wiener Doktor noch einmal nach der Grabeskirche auf. Es war ja möglich, daß ich ihr im ersten Augenblicke der Enttäuschung Unrecht gethan hatte, daß sie dennoch würdiger und weihevoller, als sie mir erschien, daß sie in ihrer Weise ein Werk frommer Ueberzeugung und hingebender Opferfreudigkeit und nur den Fehler besaß, anders gestaltet zu sein, als ich mir gedacht hatte.

Es half aber nicht. Das Geschrei der Händler verletzte mich noch mehr als das erste Mal, denn ich wußte jetzt, daß ich wirklich in Jerusalem war. Ich hatte den Oelberg vor mir gesehen und Gethsemane, den Garten. Ich hatte auf dem Platze gestanden, der einst Jehovas Heiligthum trug. War denn Niemand da, der diesen Schacher von der Schwelle der Grabeskirche trieb?

Die türkische Tempelwache befremdete mich nicht mehr, nachdem ich erfahren, daß auch die Mohammedaner dem Grabe und dem Kalvarienberge Ehrfurcht bezeugen.

Es war viel Volks in der Kirche. Dienende Brüder füllten die Lampen für das nahende Osterfest, und in dem geheimnißvollen Dämmern, in dem dumpfen Gemurmel der um das Grab Knieenden erklang das schnurrende Rasseln der auf- und niedergezogenen Lampenketten wie weltliches Geschäft.

Wir konnten nicht lange in der Nähe des Grabes verweilen, unnennbarer Geruch verpestete die Kuppelhalle; es war das Aergste, was an Unheiligem denkbar.

Auch auf Golgatha hatten sich Menschen zahlreich eingefunden, theils aus Andacht, theils aus Neugier, theils, um ein wenig zu plaudern. Bei dem Altar rechts ging es lebhaft zu; eine Versammlung verschleierter Weiber legte dem Mundwerk kein Hemmniß an, es wurde geschwatzt, gekichert und verwundert gethan, wie in einem Damenkaffee, so daß es schien, als sei dieser Ort, der in heißer Jahreszeit Kühle bietet, ein beliebter Platz für Stelldicheins. Schon wollte ich dem Wiener Doktor sagen, daß es mir leid thäte, nochmals hergegangen zu sein, und daß ich hoffte, weder das Grab, noch dies Golgatha wären die rechten Orte, da sie mitten in der Stadt liegen, statt draußen vor, und von vielen Seiten bestritten werden, als mit raschen Schritten ein Mann die Felsentreppe hinaneilte. Ein lichtgraues Pilgergewand umschloß die kraftvolle Gestalt; der Muschelhut beschattete ein schönes, sonnenverbranntes, bärtiges Antlitz. Wie ein Offizier in Tracht eines Wallfahrers, so ließ der Mann. Oben angelangt, machte er Halt. Seine Arme breiteten sich aus, seine Augen richteten sich brennend auf die heilige Stätte; dann sank er in die Kniee, küßte den ersehnten Boden, den sein staubbedeckter Fuß betreten, und bitterlich schluchzend senkte er das Haupt.

War es ein Gelübde, das ihn zwang; ließ ihn das Gewissen nicht ruhen, bis er den Ort erreichte, der seiner Seele Frieden geben sollte; trieb ihn Reue, daß er Vergebung an heiligster Stelle erflehte? Darauf konnte nur er selbst Antwort geben, er, der Heimath, Rang und Stand verlassen, um im dürftigen Gewande der Entsagung nach Golgatha zu wallfahrten. Er aber sah nicht und hörte nicht, er beugte sich vor Gott und betete an.

Was der fromme Prunk nicht vermochte, nicht das Gold und Silber der Lampen und Leuchter und der Bildnisse des Altars, das that eines einzigen Menschen Demuth: tief ergriff mich der Anblick des Pilgers und ich fühlte zum ersten Male in Jerusalem, daß ich auf geweihter Stätte stand.

Wir trafen im Hotel mit den Herren wieder zusammen. Unser Leutnant hatte einige Landsleute begrüßt, die einen Abstecher nach dem Jordan, dem todten Meer und Jericho machen wollten, und gedachte sich natürlich zu betheiligen. Kaum hörte der Wiener Doktor davon, als der auch Salzsee-Gelüste bekam. Ich verzichtete. Zwei Tage zu Pferde, über Stock und Stein würden meinen Geist weiter nicht angreifen, sagte ich, ich fürchtete aber sehr, daß ich dabei vom Knochengerüst fiele.

»Sie müssen doch das todte Meer sehen,« versuchte der Leutnant mich anzutreiben,«wo Sodom und Gomorrha untergingen und Lots Frau zur Salzsäule ward, als sie sich umsah.« – »Daß die Lot'n sich umdrehte, fühle ich ihr nach,« sagte ich, »denn wie leicht kann der Mensch etwas vergessen haben.« – »Aber Jericho wird Sie interessiren?« – »Wo die Mauern vom Posaunenschall umfielen? Ich kenne eingestürzte Neubauten, ohne daß geblasen zu werden brauchte, wieso kann mich Jericho reizen? Geht nur allein, liebe Kinder, und bringt mir ein Häppchen Salz mit, wenn es da noch welches herumzuliegen giebt. Ich laß die Bergfeldten mal zur Warnung dran lecken.«

Die Schinderei wäre mir über geworden, ich spürte es, obgleich ich nicht leugne, daß ich ungeheuer gern am Ufer des Jordans gesessen hätte, und wäre es auch nur ein Viertelstündchen gewesen; ist doch er der Fluß, den das Kinderherz von allen Flüssen zuerst lieben lernt. Und mit dem Jordan konnten sie nichts aufgestellt haben, der mußte sich von Alters her einigermaßen gleich geblieben sein.

Am Abend waren wir bei Herrn Dr. von Tischendorf, dem Konsul des Deutschen Reiches. Er wohnt vor dem Jaffa-Thor ziemlich weit hinaus. Mauern aus Felsgestein umziehen Hof, Haus und Garten, und wer nicht geführt wird, der findet im Dunkeln schwerlich hin. In dem Hause selbst ist es hübsch.

Der gewölbte Hauptraum mit Teppichen, Vorhängen und gediegenen Möbeln macht nicht nur einen stilvollen, sondern höchst gemüthlichen Eindruck, ebenso die Nebenräume, das Speisezimmer, die Bücherei und die Arbeitsgelasse; man vermuthet es drinnen kaum so behaglich, wenn man draußen vorübergeht, während bei uns unendlich viel mehr auf die Außenseite der Häuser gegeben wird. Ein heutiger Architekt muß ja Konditor lernen, sonst kriegt er bei dem Fassadenwettbauen die Spritzarbeit nicht heraus.

Trotzdem alles tadellos war, vermißte ich dennoch etwas, und zwar die liebende Konsuls-Gattin. Die kleine zahme Gazelle, welche den Gästen wie ein Kind zum Nachtisch vorgestellt wurde und Zigaretten aß, ist allerdings niedlich und eine besonders seltene Art von Stubenvogel, aber in ihrem schwarzen, seelenvollen Auge schien mir der Vorwurf zu liegen, daß, wenn eine Frau im Hause wäre, ihr nicht so viel Eßtabak gegeben würde, woran sie sicher noch einmal und Grunde geht. Ich konnte dann auch nicht umhin, die Anspielung einzuflechten, daß wir, wenn wir wieder einmal nach Jerusalem kämen, in diesem freundlichen Heim eine Hausfrau anzutreffen hofften. Herr Dr.. von Tischendorf theilte diese Ansicht vollkommen und fragte, ob die Familie Buchholz noch eine Tochter für ihn hätte; die würde er sofort nehmen. Nie habe ich etwas leiderer verneinen müssen, als dies. Nicht nur, daß die Einrichtung mir gefiel, nein, der Mann erst recht; der wäre so ein Schwiegersohn aus dem Vollen gewesen, so in die Kutsche zu setzen und mit herumzufahren.

Das Konsulische hätte man seiner Tochter schon beibiegen lassen: das feinere Benehmen erlauchteren Grades, das Sprachliche in verschiedenen Welt-Zungen und das Huldvolle, ohne sich etwas zu vergeben. Da er sehr für Gazellen ist und Schlangen, die er in Käfigen zu krauchen hat, sowie für anderes Gethier, das ihm die Araber bringen, mit Ausnahme einer lebendigen Hyäne, die er ihnen retour gab, weil sie wohl nicht zum Möblement paßte, würde eine vorsorgliche Schwiegermutter das Zoologische als den unumgänglichsten Vordergrund der Erziehung betrachtet haben. Eine Padde in die Hand nehmen oder einen ungekochten Aal, das müßte ohne Schaudern eingeübt werden, und was wäre es werth gewesen, wenn man dem Dr. Wrenzchen quartalsweise hätte zu verstehen geben können, um wie viel Trittleitern in der menschlichen Gesellschaft der Konsul-Schwiegersohn höher stände als er, wo Emmi sich nachgerade mehr dünkt als ihre Schwester Betti, die nur einen Fabrikanten hat, obgleich mit Wolle spinnen auch Seide gesponnen wird. Und erst die Polizeileutnanten, und die Krausen! Ich fürchte nur, es würde zu mächtig an ihnen zehren. Der Bergfeldten müßte man die ungemeine Bedeutung der Diplomatik erst auseinander polken, und das wäre nur der halbe Glanz. Was aber halfen die schönsten Luftschlösser – sie waren schon Kassura, ehe sie unter Dach kamen.

Dieser Zwischenfall störte das allgemeine heitere Gespräch jedoch nicht, denn ich ließ weder den Konsul noch meinen Karl merken, wie sehr ich den Mangel einer unbegebenen Tochter bedauerte. Wir erfuhren manches über das Land Palästina einst und je und wie fruchtbar es gewesen und bei rechter Behandlung wieder werden könnte. Von Palästina brachten die Kreuzfahrer den Weinbau mit nach den deutschen Landen, nachdem sie gesehen, wie die Reben auf felsigem Grunde gedeihen, heute sind es nur die Kolonisten, die wirklichen Wein gewinnen. Wir kosteten solchen, der nach Art des Rheinweines erzeugt war und ein Gewächs aus dem Konsulatsgarten, das süß und feurig, von den Herren dem Tokayer nahestehend erachtet wurde. Aber der Islam legt den Weinbau in Aegypten brach und so auch hier, und den Bestrebungen der Kolonisten tritt die Verwaltung der Türken hindernd entgegen. Wüßten jedoch Unternehmer in Europa, einen wie vorzüglichen Wein Palästina zu liefern vermag und würden sie Abnahmequellen eröffnen, könnten trotzdem große Geschäfte angebahnt werden. Vielleicht geschieht dies später einmal aus Noth, wenn die Reblaus in Europa weiter um sich frißt.

Die Gazelle war schon schlafen gegangen und für uns ward es auch Zeit, denn in der Frühe wollten die Jerichoreisenden nach dem todten Meere abreiten, und wir hatten uns vorgenommen, auf den Oelberg zu gehen. Der Kawasse und zwei arabische Diener mit Laternen brachten uns ins Hotel zurück. Die Nacht war klar und still, nur Hundegeheul unterbrach von Zeit zu Zeit die Ruhe, welche über der Stadt Jerusalem lag und dem Thale Gihon, durch das der Weg nach Bethlehem führt und das uns allmorgentlich eine liebliche Aussicht gewährte.

Um uns am nächsten Morgen durch die Stadt zu geleiten, wollte Herr Feil uns seinen nubischen Hausknecht mitgeben, den Chamis, was soviel heißt wie der fünfte Tag und mit Robinsons Donnerstag übereinkommt, aber wir gedachten ohne ihn zurechtzufinden. Schon wiederholt hatte der Chamis uns gebeten, ihn mit nach Alemannia zu nehmen, allein er eignete sich nicht zum Privatwilden, einmal, weil er einen zu fürchterlichen Meppelkopf hatte, mit einem Mund, sich selbst etwas ins Ohr zu sagen, und zweitens, weil er nach dem Ausspruche der Aufwärter »zu wüscht saufe thät.« Da das Wurm sich jedoch auf Bakschisch gespitzt hatte, gab mein Karl ihm, worüber er dermaßen in Dankbarkeit gerieth, daß er die Säume unserer Gewänder küssen wollte. »Nicht anrühren,« schrie ich, »was sollen die Leute davon denken?« – Von dem Empfangenen nahm er die Hälfte, Durstschulden bei dem Oberkellner abzutragen, mit dem Rest wird er wohl Mohammeds Gebot übertreten haben. Gutmüthig war er sonst; die Vorderzähne waren ihm von einem Pfeil ausgeschossen, als die Sklavenjäger ihn einfingen. Nun erfreute er sich seiner hausknechtlichen Freiheit und trank Branntwein dazu.

Durch das Jaffathor, die Via Dolorosa hinab bis zum Stephansthor, ist eine verhältnißmäßig kurze Strecke, es liegt Alles nicht weit von einander. Als wir durch das Stephansthor in das Freie traten, erhob sich vor uns sanft ansteigend der Oelberg. Nur vereinzelt stehen die graublättrigen Bäume auf der grasigen Halde, die theils mit Korn besäet und Gartenfrüchten bestellt ist, theils aber den kahlen Felsen zeigt. Lose auf einander gehäufte Steinmauern scheiden die einzelnen Felder, und an den hinaufführenden Wegen finden sich hin und wieder viereckige Häuser mit plattem Dache. Eine neu erbaute griechische Kirche mit glänzenden Kuppeln auf etwas halber Höhe, der Thurm der Himmelfahrtskirche oben auf dem Berge und das Minareh einer Moschee, welche über die Kronen der Oelbäume hinausragen, beleben das Bild, das ohne sie den Eindruck der Vernachlässigung hervorbringen würde. Vielleicht war es früher anders, als es in den Gärten Davids und Salomos noch knospete und herbeigeleitetes Wasser von der Höhe in die Tiefe rieselte, denn das Bewässern hatten die Israeliten in Aegypten kennen gelernt. Damals mag es hier geblüht haben, wie es heute noch im Gebirge Juda blüht: Granatbäume und Balsamstauden standen inmitten würziger Kräuter und die Weinrebe schlang sich um die Stämme schattenspendender Bäume; vermögen doch Wasser und fleißige Hände unter diesem Himmel dürres Feld in Blumen- und Fruchtbeete zu wandeln. Jetzt aber siecht der Oelberg wie ein Verdurstender, und schwierig scheint es, den entwaldeten wieder zu begrünen.

Ein ödes, schmales Thal trennt den Berg von der Stadt. Steil hinab führt der Fußpfad bis an das trockene Bett des Baches Kidron, den man überschreitet, um in den sich aufwärts windenden, mit Steinmauern eingehegten Weg zu gelangen. An den Mauern lagern die Aussätzigen und strecken den Wandernden die von der Krankheit abgenagten Armstümpfe entgegen. Auf verkrüppelten Füßen schleppen sie sich heran; ihre narbendurchfurchten Gesichter bitten, die schwärenden Augen flehen, der ausgedorrte Mund jammert um eine Gabe. Mehr aber als das Elend des entstellten Leidens schreit ihre Gemiedenheit um Mitleid. Sie bleiben ängstlich in scheuer Entfernung und schieben mit den Krücken den Napf auf den Weg, daß der Almosengebende ein Scherflein hineinwerfe. So sind sie lebend dennoch ausgeschieden wie Todte von der Gemeinschaft der Lebendigen.

Der ummauerte Garten Gethsemane blieb rechts von dem Wege liegen, den wir einschlugen, wenn man eine mit Geröll gefüllte Rinne als Weg bezeichnen will. Er war beschwerlich zu gehen, denn allmälig ward er steiler und kein Baum wehrte den Strahlen der Sonne. Bei einem schmutzigen arabischen Dörflein endigte er oben. Wir gingen, wie uns gesagt war, in den Vorhof der Moschee, wo wir, gegen den frischen Morgenwind geschützt, ausruhten, und gastfreundlich mit Kaffee und kühlem Zisternenwasser bewirthet wurden. Dann erschloß ein Araber die zum Minareh führende Thür und wir gingen die steinerne Treppe zur Brüstung hinauf.

Welch ein Anblick von hier oben! Vor uns im Morgensonnenschein Jerusalem! In den starren, traurigen Hohlweg des Thales Josaphat stürzt sich eine schroffe Böschung hinab, ein wildes Durcheinander von Steinen und trockenem Sand, nur hier und da faßt kümmerlicher Pflanzenwuchs Wurzel. Auf diesem natürlichen Walle erheben sich schartenbewehrte, zinnengekrönte Mauern, die wie ein gefaltetes Band die Stadt umgürten: das heilige Jerusalem mit seinen Kuppeln und Thürmen, Minarehs, hohen Häusern und niedrigen Hütten, Gassen und Gäßchen. Und wie die Sonne das graugelbe Gestein der Gebäude mit fröhlichem Lichte überzieht, die Kuppeln vergoldet, jeden Farbenfleck aufsucht und zum Leuchten bringt, ersteht Jerusalem in wunderbarer Pracht gegen den blauen Himmelshintergrund, den keine Wolke trübt. Verschwunden sind Trümmer und Armseligkeit, die Entfernung deckt sie zu, und der Gegenwart vergessend, wähnt das Auge in die Vergangenheit zu schauen. Wie schön warst Du, Jerusalem. Um Dich weinte Jesus.

Wie gefangen haftet der Blick, er vermag sich nicht von dem Tempelplatz zu lösen, der in gewaltiger Ausbreitung fast die Hälfte der uns zugewandten Stadtseite einnimmt. Wer ihn hätte sehen können mit dem strahlenden Hause Jehovahs, mit Schaaren Anbetender in festlichen Gewändern, die den Altar umstanden, auf dem das Brandopfer rauchte. Ob wohl der Wind den Gesang der saitenspielenden Chöre und den feierlichen Hall der Posaunen hierher trug, bis an den blühenden Berg?

Die Anhöhe jenseits des Tempelplatzes ist Sion, der viereckige Thurm, der sich scharf gegen die reine Luft abzeichnet, wird der Thurm Davids genannt, weil dort einst die Königsburg stand. Sie war der höchste Punkt Jerusalems, zur Festung wohl gewählt. Die Stadt selbst zwängte sich zwischen Sion und den Tempelberg ein, wie noch heute, und erweiterte sich allmälig nach Norden zu, wo der Weg gen Damaskus führt. So giebt sich die älteste natürliche Anlage kund, an der die Zeit nichts zu ändern vermochte, denn was auch zerstört und umgebaut wurde, die Berge blieben an ihrer Stätte, die Thäler verschwanden nicht wie die Gassen.

Und noch Eins war wie vor Jahrtausenden: der Blick vom Oelberg nach der anderen Seite in das Land, das der Jordan durchströmt. Unterhalt des Oelberges reihen sich Höhenzüge an Höhenzüge mit schwarzgrauen Kuppen, kahlen, felsigen Abhängen und wellenförmigen Senkungen, die der Ackersmann bestellt. In weiter Ferne zieht sich ein hohes Gebirge hin, das, in bläulichen Duft gehüllt, zuletzt mit dem Himmel verschwimmt, so daß sich ein ungeheures Thal dem Auge darbietet. Inmitten des Thales, das dunkle Grün, umrandet die Ufer des Jordans und die blaue, langgedehnte Fläche, die im Sonnenglanze schimmert wie azurfarbene Seide, ist das todte Meer. Nun sahen auch wir den Salzsee, nach dem die Freunde geritten waren.

Als wir den Rückweg antraten, versuchten wir, einen ebeneren Pfad zu gehen, es wäre uns das jedoch bald übel bekommen, denn er führte uns zu einer Baumgruppe, in deren Schatten sich mohammedanische Frauen und Kinder mit Schaukeln und allerlei Spielen die Zeit vertrieben, wobei sie schrilles Freudengekreisch ausstießen, wie wir es auf der koptischen Hochzeit in Kairo nicht greller gehört hatten. Kaum wurden sie unserer ansichtig, als sie in heftiges »Ruch«- und »Imschi«-Schreien ausbrachen, Steine aufrafften und nach uns warfen. Wir entrannen eilends, denn zum Gesteinigtwerden verspürten wir keinerlei Neigung. Ich hatte geglaubt, das Steinigen wäre längst aus der Mode, und schon in den Schuljahren hielt ich es mehr für eine poetische Redensart, als praktisch brauchbar wegen des Straßenaufreißens. Wenn man jedoch den Steinreichtum bei Jerusalem sieht, erscheint es billig und leicht.

Mit der gehobenen Stimmung, in die uns der auf dem Oelberg verlebte Morgen versetzt hatte, was es vorläufig vorbei. Als wir uns der Stadt näherten, grauste uns das wüste Thal Josaphat wie ein durchwühlter Kirchhof an, und als wir durch das Thor des heiligen Stephanus wieder in den Schmutz und die Verkommenheit traten, fragten wir uns: Wo ist das Jerusalem geblieben, das wir vor wenigen Stunden sahen, das so schön war? –

Als der Tag zur Rüste ging, befanden wir uns auf dem Wege nach Bethlehem. Der Chamis hatte, unzuverlässig wie er war, ein Gefährt besorgt, das nur noch eben in den Gräten zusammenhing, mit ein paar Mähren davor, die der arabischen Rasse zur Schmach gereichten. Wir mußten jedoch zufrieden sein, denn viel Auswahl giebt es nicht.

Meine Idee war, Bethlehem nur im Zwielicht zu sehen, um nichts von den orientalischen Beigaben zu gewahren, die dem europäischen Empfinden widerstreiten. Um so wie gedacht, geschah es auch. Auf der gut erhaltenen Chaussee kamen wir rasch vorwärts, und als der sich abzweigende Seitenweg zu steinig und halsbrecherisch ward, stiegen wir aus. Einem Hirten mit seiner Schafheerde folgend, zogen wir in die engen Gassen des kleinen Ortes ein. Wir gingen nicht weit, denn von einer Anhöhe ließ sich der an einem Bergabhange hinziehende Flecken überblicken. Die Häuser glichen den kunstlosen Steinbauten der übrigen Ortschaften Palästinas, nur der Name war es, der diese Stätte von ihnen unterschied.

Langsam brach die Nacht an. Freundlich erleuchteten sich hier und da die Fenster, und der Lärm auf der Straße spielender Kinder durchhallte die Abendluft. Doch auch dieser erstarb; still und leise schlief der Tag ein. Am Himmel entzündeten sich die Sterne, seine ganze Herrlichkeit breitete er über dem Dunkel der Erde aus. So war es auch in der Weihenacht gewesen.

Die schattigen Umrisse Bethlehems gegen den Nachthimmel, die irdischen Lichter hier unten, die himmlischen Lichter dort oben, das ist das Bild, wie ich es mit mir nahm.

Wir ließen den Wagen vorfahren. Dieser Felsenweg ist der nächste gen Jerusalem, auf ihm trieb David seine Heerde heimwärts, diese Straße zogen die Weisen aus dem Morgenlande, über dies breite Gestein wandelte Maria, selig im Mutterglück, den Knaben im Tempel darzubringen.

Schweigend gingen wir in der sternenhellen Nacht. Im Osten kündete der Mond sich an und zur linken stand die klimmende Pyramide des Zodiakallichts am Himmel. Weihnachtsbilder tauchten auf, Worte, verklungen geglaubt im Geräusche des Lebens, einten sich wieder zu den frommen Erzählungen, die einst des Kindes Seele mit heiliger Weihe erfüllten. Wie milde Erquickung entthauten sie der Erinnerung.

Als wir Jerusalem erreichten, war der Mond aufgegangen, die hohen Mauern und Festungsthürme von Sion warfen ihren finsteren Schatten in das Thal Gihon hinein. An dem Thore hielt eine Karawane, die Kameele reckten ihre langen Hälse in die Luft. Rauchende und plaudernde Syrier saßen in ihren weiß und braun gestreiften Ueberwürfen vor dem arabischen Kaffee. Eine Prozession singender und tanzender Juden zog vorüber. Unter einem Baldachin wurden die Gesetzesrollen getragen, von Lampenhaltenden und Feiernden umdrängt. Handtrommel, Schalmeien und Tambourin erklangen zu dem Gesange und den Sprüngen der Tanzenden, welche, das Gesicht den Rollen zugewandt, rückwärtsschreitend den Zug anführten. Ein dichter Menschenschwarm folgte. Bald verschwand er in dem aufgewühlten Staube der Straße und nur noch das seltsame Schrittmaß der Trommel ertönte aus der Ferne.

Der Tag hatte des Wechselnden viel gebracht, zu viel, um dem Einzelnen mit vollem Nachdenken gerecht zu werden. Was das Auge erschaute, waren keine gleichgültige Gegenden, sondern Stätten, deren Anblick das Innerste bewegte, und nicht wollte das Fluthen der Gefühle sich legen, so sehr auch der Körper nach Ruhe verlangte. Immer wieder kehrte der Gedanke an die Vergänglichkeit des Irdischen.

Aegyptens Trümmerwelt, die Verwüstung des gelobten Landes: welche Zeugen vom Unbestand der Dinge! Leben wir nur der Vernichtung?

Eine bange Beklommenheit bemächtigte sich meiner. Ist auch der Mensch verloren, wie das, was Menschenhand schuf?

Ist er ein Staubkorn, das verweht, oder nimmt ihn die Ewigkeit auf, wenn sich sein Auge für immer schloß?

Furchtbare Ewigkeit! Schrecklicher Gedanke, verlassen zu sein in aller Ewigkeit. Denn wer bin ich, daß sich Jemand meiner annähme?

So irrte mein Sinnen und wußte keinen Weg. Dann aber kam es wie Trost über mich: Du bist ja im gelobten Lande. Ist nicht Gott im Himmel unser Aller Vater, sind wir nicht seine Kinder? Mehr liebt er dich, wie du ihm Liebe je entgegenbringen kannst. Zage nicht. Vom gelobten Lande aus ging die frohe Botschaft des Heiles. Zerfallen auch Tempel und Städte, vergehen Macht und Herrlichkeit, es bleibt das Wort der Verheißung. – O laß mich fröhlich sein, wie ein Kind im Vaterhause.

 

 


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