Julius Stinde
Frau Buchholz im Orient
Julius Stinde

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Das gelobte Land.

Das Land Gosen. – Potiphar und Heuschrecken. – Auf dem Sueskanal. – Port Said. – Jaffa. – Durch das Gebirge Juda. – Vor Jerusalem. – Die Grabeskirche. – Volkswirthschaftliches. – Der Leutnant erlegt einen Schakal. – Der Tempelberg und die Omarmoschee. – Das Thal Josaphat. – Von Frau Lot und der Bergfeldten. – Die Gazelle. – Der Oelberg. – Bethlehem. – Einkehr.

Kairo hatte noch Mancherlei zu bieten, aber der Chamsihn machte den Aufenthalt verzweiflungsvoll. Freilich setzte er einige Tage aus, aber wenn man ihn am wenigsten brauchte, kam er wieder angeblasen und ermattete die Lebensgeister. Wir kürzten daher den Aufenthalt ab, um die so gewonnenen Tage in Palästina anzubringen, zumal der Wiener Doktor und der Leutnant die gemeinschaftliche Reise nach Jerusalem der Trennung vorzogen. Da auch Mr. Pott wohlbehalten wieder auf der Bildfläche erschien, waren wir vollzählig. Herr Zwilchhammer hatte einen italienischen Photographen gefunden, mit dem er handelseins geworden und glaubte seinen Unterhalt erwerben zu können. Unter praktischer Leitung wird er wohl allmälig selbst praktisch werden.

Von Berlin lagen gute Nachrichten vor, Mackenzies Versicherungen erhoben unsere Hoffnungen zur Gewißheit, froh sahen wir der Zukunft und den nächsten Wochen entgegen. Dann kam das Abschiednehmen von den Landsleuten. Wir hatten gar viel zu danken. –

Am dreiundzwanzigsten März fuhren wir gegen Mittag nach Ismailiya ab. Die Eisenbahn geht durch fruchtbares Deltaland, das keine auffälligen Ansichten bietet, bis der Zug in Zakazik hält, wo eine längere Stärkungspause gemacht wird. Auf dem Bahnhofe wimmelte es von Antiquitäten-Wilden, die in den Schutthaufen der gänzlich verschwundenen Stadt Bubastis Krümelkram genug finden. Hier soll es in ältester Zeit sehr munter zugegangen sein. Männer und Frauen feierten dort das Fest der ägyptischen Liebesgöttin, wobei mächtig gepichelt wurde, denn damals hatte der mohammedanische Glaube den Weinbau noch nicht aufs Trockene gesetzt. Die Kinder ließe sie zu Hause. Es wird auch wohl nichts für die gewesen sein. Ueberhaupt muß man Kinder nicht zu All' und Jedem mitnehmen, aber das ist ja gerade der ewige Streit wegen der Enkel. Hierin könnten Emmy und Dr. Wrenzchen von den alten Aegyptern lernen.

Als wir eine Strecke weiter gefahren waren, fragte der Wiener Doktor mich, für was ich das Land ansähe, durch das wir jetzt kämen. – »Für gediegenes Ackerland,« erwiderte ich. – »Das ist das Land Gosen,« sagte er. – »Darunter habe ich mir ganz etwas Anderes vorgestellt,« rief der Leutnant entrüstet. »Nachgerade fange ich an, den ganzen Orient für Schwindel zu halten. Die Unordnung, die Unsauberkeit, das ist ja gräßlich. Ich bin froh, daß ich herauskomme aus dem – –.« Das letzte Wort nahm er nicht in den Mund.

»Herr Leutnant,« ermahnte ich ihn, »solche Propperteh wie in Berlin finden Sie allerdings nicht im Orient, aber warum murren Sie über das Land Gosen? Hat es Ihnen denn Extraes versprochen?« – »Finden Sie es denn hübsch?« – »Es ist fruchtbar.« – Der Wiener Doktor nahm das Buch und las: »Im Anfange dieses Jahrhunderts war dieser Landstrich unter der Türkenherrschaft so verkommen, daß kaum viertausend Araber spärliche Nahrung fanden, jetzt aber, nachdem Lesseps den Süßwasserkanal durchlegte, gewinnen mehr als zwölftausend Landbebauer jährlich reiche Ernten. Hier rechts von der Bahn haben wir den Kanal.« – Nun wurde unser Leutnant ganz aufgebracht. »Der schäbige Graben ist der berühmte Süßwasserkanal, von dem so viel Geschrei gemacht wird? Erbärmliches Ding.« – Ohne ihn würde der Sueskanal nicht fertiggestellt sein und könnten weder die Städte Sues, Ismailiya, noch Port Said existiren, die ihr Trinkwasser einzig und allein durch diesen Kanal erhalten. Von Ismailiya aus wird das Wasser durch eiserne Röhren nach Port Said geleitet. Sollten diese einmal platzen, träte in Port Said Wassermangel ein, und Tausende müßten verdursten. Es wird daher ein zweiter fahrbarer Kanal nach Port Said angelegt, der, gleichzeitig für kleinere Schiffe geeignet, den Sueskanal entlasten soll.

Unser Leutnant beruhigte sich. Unzufrieden sein und quesen mußte er, sonst wäre er kein richtiger Seconde gewesen. Meistens sah er jedoch mit ziemlicher Plötzlichkeit ein, daß er sich umsonst aufgeregt hatte und legte die Krakehlfedern wieder glatt.

Da wir doch einmal im Lande Gosen waren, verlor sich das Gespräch in die ältesten Zeiten. Die Pyramiden von Giseh sollen schon vor Abrahams ägyptischer Reise bereits mehrere Jahrhunderte gestanden haben.

»Man würde solche Bejahrtheit kaum für möglich halten,« sagte ich, »wenn die Forscher sie nicht berechneten, ebenso wie die Wissenschaft an den Mumien nachweist, wie unglaublich lange der Mensch todt sein kann.« – »Ob sie die Potiphar wohl noch finden?« fragte der Leutnant. »Wenn die nicht gewesen wäre, hätte Joseph sein Glück schwerlich gemacht.« – »Wir wollen sie lassen,« sagte ich, »Daß dieses Weib nebst mehreren andern Geschichten in Deutschland noch nicht polizeilich konfiszirt worden ist, kommt wohl nur daher, weil den kleinen Kindern das Sündhafte sonst nicht anschaulich genug wird. Sprechen wir nicht weiter von ihr, sondern besehen wir uns die Gosener Gegend, Herr Leutnant.«

Man konnte in dem schmalen grünen Fruchtlande, das den gelben Sand der arabischen Wüste durchschneidet, an einigen Stellen die segensreiche Wirkung des Süßwasserkanals so recht deutlich erkennen. Den üppigen Feldgewächsen stellten aber leider Heuschrecken nach. Wir fuhren fast eine halbe Stunde durch einen Schwarm dieser Thiere, die im Sonnenlichte halbaufgeklappten Taschenmessern mit Perlmutterschale gleichen und in weiten Abständen von einander fliegen. Dann kam die Haltestelle Ramses, wo die Israeliten Nilschlammziegel streichen mußten, – wegen welcher bedrückender Arbeit der Auszug durch das rothe Meer stattfand. – Gegen ein Uhr Waterbury-Zeit waren wir in Ismailiya, nach des Leutnants Uhr war es Nachmittags vier.

Eine niedliche Stadt, dieser Ort, eine Oase in der Wüste am Rande des Timsach-Sees gelegen, so genannt, weil er früher voll von Krokodilen war. Jetzt gab es außer dem Koffer unseres Leutnants keinen Timsach in der ganzen Gegend. In dem New-Hotel eines Elsässers waren wir gut aufgehoben. Wir durchwanderten die Stadt, deren Häuser in Baumalleen und Gärten liegen und mit Vordächern versehen sind, wie es in Indien Gebrauch sein soll. Das Ende einer solchen Allee ist gewöhnlich gelber Sand mit einer Aussicht auf eine weite gelbe Fläche – die pure Wüste.

Gegen Abend ward es kalt. Die Frösche quakten und der Mond schien. Ich mußte unwillkürlich an Ramleh bei Alexandrien denken, wo sie auch im Mondlicht sangen. Damals war uns Aegypten eine gänzlich fremde Welt, nun hatten wir es kennen gelernt, wie Durchreisende es vermögen, und liebgewonnen durch die Landsleute, denen es zur zweiten Heimath geworden. Seltsam, daß Paddenkonzerte den Anfang und Schluß einleiten.

Am nächsten Morgen peitschte ein heftiger Wind das Wasser des blauen Timsach-Sees so ungestüm, daß der kleine Dampfer nicht an der Landungsbrücke anlegen konnte, sondern uns ein Stück weiter hinauf im Sueskanal erwarten mußte. Der Hotelomnibus war sofort gefüllt. Wer einen Esel erwischte, war froh, und wer keinen Platz neben den Koffern auf einem Gepäckwagen fand, mußte den fast halbstündigen Weg zu Fuß marschiren. Es waren viele Reisende da; die von Cook expedirten hatten einen Dampfer für sich und die Nichtcooker den anderen. Beide waren gerappelt voll.

Anfangs verlief die Fahrt angenehm, der frische Wind kühlte. Vom Kanal sieht man rechts und links die hohen Wälle, die der Wind langsam wieder in den Kanal hinein stäubt; allerdings nur wenig Sand auf einmal, aber nach und nach doch so viel, daß die Baggermaschinen streckenweise vollauf zu thun haben. Das Bewußtsein, sich auf dem vielbesprochenen Weltwunder zu befinden, muß jeglichen Mangel an landschaftlichem Genuß ersetzen. Wenn jedoch ein riesiger Indienfahrer langsam daher kommt oder sonst ein Handelsschiff, gegen das die kleinen Passagierdampfer sich wie schwimmende Pantinen ausnehmen, dann dämmert auch dem einfachen Menschenverstand die Bedeutung dieser künstlichen Wasserstraße auf, die, indem sie Zeit und Kohlen spart, jährlich Millionen einbringt.

Der frische Morgenwind hörte auf und der Himmel überzog sich allmälig mit dichtem Dunst. Von Stunde zu Stunde ward die Luft schwüler und sandiger und die Hitze nahm in beängstigender Weise zu. Das war Chamsihn, wie wir ihn noch nicht erlebt hatten. Wer saß, bliebt sitzen, wer sich rühren mußte, stöhnte. Und dabei kein Tropfen Selterwasser an Bord. Wenn Mr. Pott sich nicht mit einer Ladung Apfelsinen versehen hätte, von der er mildiglich abgab, wir wären verschmachtet, bevor die Station El-Kantara erreicht wurde, deren Hotel genannte Bretterbude die Passagiere im Sturm nahmen. Dort konnte man für theures Geld wenigstens Wasser bekommen. In meiner Hinfälligkeit vermocht ich nur die volkswirthschaftliche Betrachtung zu machen: »Karl, so'n Chamsihn in Berlin, wie da wohl die Bieraktien fliegen.« –

Und weiter ging es in Dunst und Gluth. Die Wasserfläche links sollte den Menzaleh-See vorstellen. Das war mir unglaublich gleichgültig, ich verlangte Schatten, Ruhe vor den Fliegen und vor einem unartigen Jungen, der von seiner Mama zum Störenbold verzogen wurde. Soviel Kraft, den Bengel gehörig durchzupeinigen, hätte ich noch zusammengeschrapt, aber ließ die Kröte sich steuern? Ih bewahre. Mir fehlte leider das nöthige Englisch, ihm zu sagen: »Laß das Herumrabbatzen und das Drängeln und das Quängeln, Dir gehört das Schiff nicht allen.« – An dem wird der großbritannische Krauts noch mal sein Vergnügen haben. Langsam trieben wir nach Port Said. Von der Stadt war nichts zu entdecken, sie lag in Staubnebel.

Auf der Landungsbrücke der Kampf mit den Wilden um das Gepäck war schon nicht mehr schön. Ich saß auf unseres Leutnants Timsach, die anderen Stücke wie Pyramidentrümmer vor mir, die Nilpeitsche in der Hand, von der Sonne, die mattweiß am Himmel stand, angeschmort, während die Herren ihre Handtaschen und Kofferchen auf dem Dampfer erfochten. Erst in dem Hotel de France, bei leidlicher Verpflegung, erholten wir uns. Kühles Wasser war die größte Labsal. Wir priesen den Süßwasserkanal, und der Leutnant stimmte mit in den Lobgesang ein. Er schalt ja auch nur immer anfangs.

Vorläufig waren wir auf Port Said angewiesen, denn das Schiff, das uns nach Palästina bringen sollte, fehlte noch. Man vermuthete es in der Nähe auf dem Meere; die Einfahrt in den Hafen war jedoch wegen des Chamsihns unmöglich, da man keine fünfzig Schritt weit sehen konnte. Um vier Uhr zertheilte sich glücklicherweise der Dunst und der »Said« konnte herein. Das Gepäck wurde an Bord gebracht und dann unternahmen wir eine kleine Bootfahrt. Zufällig lag der Dampfer »Baiern« vom Norddeutschen Lloyd aus Bremen im Hafen und wir machten ihm einen Besuch. Welch ein stolzes, schönes Schiff, wie praktisch eingerichtet und wie kostbar. Darauf nach Indien zu reisen, muß schon mehr Wonne sein. Und diese militärische Ordnung und Sauberkeit! Unser Leutnant erließ eine glänzende Kritik. Wir wurden herzlich als Landsleute bewillkommnet. Vorzügliches Bremer Bier aus dem Eiskasten labte den ausgetrockneten Gaumen, deutsche Rede erquickte den Sinn. Aus dem Speisesaal drangen die Klänge der Matrosenkapelle herauf, die den Reisenden ausgezeichnete Tafelmusik machte. Wir fühlten uns wir auf deutschem Boden und waren es ja auch, denn über uns am Hauptmaste flatterte der Wimpel schwarz-weiß-roth. –

Port Said ist eine Hafenstadt; die Konsulate und Agenturen der Dampfschifffahrts-Gesellschaften, die Läden mit Schiffsbedarf und häufigen Branntweins-Apotheken lassen das nicht minder erkennen wie die Konzertlokale für das seefahrende Volk, in denen böhmische Damenkapellen und ausgeschrieene Sängerinnen aus aller Herren Länder sich hören lassen. Mit jeder Gesangshalle ist gleichzeitig eine Spielhölle verbunden. Unser Leutnant wollte dem Roulette ein Opfer bringen, aber es wurde nicht gelitten. »In die Tingeltangel bin ich der Wissenschaft wegen mitgegangen und weil mich hier Niemand kennt,« sagte ich, »Hasard ist jedoch ein Laster, und wer das thut, hat bei mir ausgespielt. Betrachten Sie das Geld, das Sie besitzen, als gewonnen, dann sind Sie schön heraus und machen sich die Hände nicht fleckig.« – Ich war froh, als wir um neun an Bord waren und zwischen uns und der Verführung das Wasser lag, denn mein Karl schielte auch schon nach den geldklappernden Bankhaltern, als hätte er Lust, zu verlieren. Und wie Mancher hat Weib und Kind verspielt. Mein Trost wäre jedoch gewesen: viel Glück hätten sie mit mir auf dem Sklavenmarkt nicht gehabt.

Um ein Uhr in der Nacht setzte sich der »Said« in Bewegung. Wir konnten nicht in die Koje kriechen, weil das Einladen der verspäteten Fracht einen Mordsspektakel machte. Die Luft war dick, die Sterne drangen kaum durch. Nur die rothen und grünen Lampen der Seezeichen und das elektrische Licht des großen Leuchtthurms von Port Said blieben lange sichtbar. So sahen wir von Aegypten zu guter Letzt nur, was abendländische Kultur dahin gebracht hat. Wie lange wird es dauern, bis das heutige Aegypten späteren Reisenden nur noch in Ueberbleibseln vor die Augen kommt und man Museen für die Trümmer der arabischen Herrlichkeiten anlegt, die jetzt noch entzücken, so sehr sie auch der Kassura verfallen sind? »Der Orient geht an Verwahrlosung zu Grunde,« sagte ich zu Mister Pott, »er leidet bedenklich an Entzweiigkeit.« – »Dafür bricht sich das Neuere immer mehr Bahn,« erwiderte er. »Alles gleicht sich aus in der Welt, warum sollte Aegypten zurückbleiben?« – »Ich bin froh, daß ich es sah, wie es jetzt noch ist,« antwortete ich. »Gute Nacht, Mister Pott.«

Der »Said« gehörte der Messageries Maritimes, und war ein älterer Dampfer, der jedoch mit dem »Gwalior« keinen Vergleich aushalten konnte, und mit dem »Baiern« erst recht nicht. Man vermißte die pünktliche Reinlichkeit, die sich bis auf das Kleinste erstreckende Sorgfalt. Hätte es meinem Karl sonst geschehen können, daß er mit seinem Bette durchbrach? Für die Kürze der Zeit Ansprüche machen, war nicht der Mühe werth: zur Kaffeezeit tauchte die Küste von Palästina aus dem Meere auf und nach dem Frühstück warf der »Said« die Anker aus. Die Uhr ging natürlich wieder ganz anders, als sie sollte. Gerade jetzt, da es sich um Ankünfte und Abfahrten handelte, war kein Verlaß darauf, und so tappten wir immer in muthmaßlichen Zeitangaben herum.

Das Baumkahle, was sich wie ein kleines Gebirge aus Häusern aufbaut, war Jaffa. Aus den Kreuzfahrerzeiten her stand noch Festungsgemäuer, das der Stadt einen romantischen Anstrich verlieh und von der Sonne beschienen, erweckte sie das Verlangen zu näherer Bekanntschaft. Die Boote ruderten auch schon heran, uns abzuholen. Wie sie auf den Wellen schaukelten. Bald waren sie oben, bald unten, wie die Karren auf einer Rutschbahn. »Wenn das nur gut geht,« dachte ich. Unser Dampfschiff lag nämlich auf offener See, die von dem Winde der letzten Tage sich noch nicht beruhigt hatte. Vor dem Hafen von Jaffa, dessen Wasser sich kaum regte, bildete ein Halbkreis von niedrigen Felsen und Klippen einen natürlichen Damm. Nur eine schmale Einfahrt gestattete den Zugang. Mit großem Geschick wußten die Ruderer stets die Wellen zu benutzen, welche glatt durchgingen, diejenigen Wogen dagegen, welche gegen die Steine prallten und schäumend in die Höhe spritzten, würden die Barken bis an den Rand mit Wasser gefüllt haben. In der That ist die Ausschiffung bei Jaffa eine Ertrinksache und unmöglich, wenn die See hoch geht. Ein Dampfschiff, das vier Tage später anlegte, mußte mit sämmtlichen Reisenden wieder abziehen. Diese sahen das gelobte Land, konnten aber nicht heran.

Wir hatten mehr Glück. Freilich war es eine zurückschreckende Arbeit, in die Boote zu kommen, die in einem Augenblicke unmittelbar an die Schiffstreppe gehoben wurden, im nächsten Moment dagegen wie in einen Abgrund wegsanken. Aber ebenso gut wie Säcke werden auch die Passagiere von handfesten Matrosen stückweise verladen. Ehe man sich's versieht, sitzt man in dem Boote und wippt auf und nieder, bis es Fracht genug hat. Unter Geschrei und wuchtigem Anziehen der Ruder ging es durch die Brandung, der salzige Schaum floß uns ins Gesicht, die Woge hob das Boot und wie ein Pfeil schoß es in den ruhigen Hafen.

Wir stiegen aus. Ein schmaler mit Kisten und Kasten voll gestapelter Quai war der erste Streifen gelobtes Land, den wir betraten. Da die Rinnsteine Jaffas nach diesem Landungsplatze hinabfließen, war Vorsicht beim Hineintreten geboten, die jedoch insofern wenig nutzte, als fortwährend Kameele herangetrieben wurden, denen man die Ballen und Kisten abnahm, welche stehen blieben, wo sie gerade hinfielen. Dazu kam das Angedränge der Lastträger, der Hotelleute und müßiger Zuschauer. Einem unglücklichen Zollmenschen, der das Gepäck nachsehen wollte, wurden die Koffer einfach unter den Händen weggenommen, weshalb er sich damit begnügte, die Fremden um einen Bakschisch für die Douane anzugehen. Das war ein Pröbchen türkischer Wirthschaft.

Strenger dagegen war der Paßmensch. Alle Pässe, welche kein türkisches Visum trugen, wurden abgenommen und konnten später für acht Franken wieder eingelöst werden. Wir hatten die unsrigen glücklicherweise in Berlin auf der türkischen Botschaft stempeln lassen. Angeärgert und angeekelt folgten wir unsern Gepäckträgern in die Stadt. Enge Straßen, schlechtes Pflaster oder gar keins, ein Marktplatz mit vielen orientalisch gekleideten Leuten, ohne Nettigkeit, enttäuschten uns sehr. Malerisch mochte Manches sein, aber das Schmierige überwog. Wir mußten durch die Stadt klettern, durchwateten dann einen Sandweg und gelangten hierauf zum Hotel Jerusalem, dessen Besitzer Hardegg heißt. Hier war nicht nur Jaffa zu Ende, sondern auch der Schmutz.

Wohlgepflegte Gärten, Häuser in heimischer Bauart, ein Kirchlein, eine Schule, von grünen Bäumen und Palmen umgeben, mit Aussicht auf das Meer, durchhaucht vom Dufte blühender Orangen, schienen uns anreden zu wollen: »Willkommen in Deutschland«, worauf wir natürlich nichts antworten konnten als: »Nanu, was ist denn hier los?«

Wir waren ja schon einigermaßen einexerzirt, von den gegensätzlichsten Eindrücken förmlich gebufft zu werden, daß ich öfter sagte: »Sobald wir vom Orient retour sind, lasse ich mein Gehirn ausbeulen,« aber dieser unterschied zwischen vernachlässigender Gleichgültigkeit und sorgsamer Pflege so eng neben einander gab uns dennoch einen heftigen Schlag. Wir erfuhren denn auch bald, daß der freundliche Vorort die deutsche Kolonie sei, von Württembergern begründet und treulich erhalten. Und so könnte es im ganzen Orient sein, wenn der rechte Sinn für Ordnung und Sauberkeit, die Freude an der täglichen Arbeit an die Stelle des eingerissenen Schlendrians träten, denn Land und Witterung helfen dem Fleiße in jeder Beziehung.

Obgleich in allen Zungen geredet wurde, blieb das Schwäbische hier die Landessprache. Die Bauern, welche ihr Fuhrwerk nach Jerusalem anboten, schwäbelten nicht nur, sondern mußten auch einen Schneider haben, der ihnen die Röcke genau nach heimathlichem Schnitt anmaß, und die Frauen und Mädchen sahen so deutsch aus in Tracht und Benehmen, als wären sie eben angekommen und frisch ausgepackt. Die Bauernwagen gefielen uns nicht besonders, da sie hauptsächlich aus Unbequemlichkeit und ledernen Vorhängen gebaut waren, die jegliche Aussicht versperrten. Während Mr. Pott hierüber sein Mißfallen zu verstehen gab, näherte sich ein kleiner jüdischer Mann, der uns zuflüsterte, er wisse ausgezeichnet schöne Kutschen. Wir ließen uns von ihm zu einem Fuhrwerksbesitzer führen, bei dem Mr. Pott einen alten aber geräumigen Landauer aussuchte, sowie die besten Pferde und den sichersten Kutscher. Dieser, ein wetterbrauner älterer Syrier, hieß Hassein und sprach Arabisch mit Schwäbisch mang, das er sich nach und nach angenommen. Und dies muß den braven Württembergern dort zur Ehre nachgesagt werden: sie bleiben zäh bei ihrer Muttersprache, die leider so mancher Deutscher in der Fremde zu vergessen sich die Mühe giebt, – die Sprache seines siegreichen und mächtigen Volkes. Schande werth.

Unser Leutnant hatte sich ein Pferd genommen, er wollte nach Jerusalem reiten. Wir baten ihn, Quartier zu bestellen, und lustig galoppirte er auf seinem arabischen Schimmel, vom Führer begleitet, die staubige Landstraße dahin. Wir speisten; Mr. Pott sorgte für Mundvorrath, und um ein Uhr rummelten auch wir mit dem Landauer los.

Durch die Apfelsinenanpflanzungen, in denen die köstlichsten und größten Früchte unzählbar wachsen, ging der Weg, die Stadt Jaffa blieb rechts liegen. Ein sanft ansteigendes, mit Saaten bestelltes Gelände bot freundliche Aussicht, einzelne Dörfer ließen an den erdhügeligen Hütten erkennen, daß sie von Arabern bewohnt wurden. Die Hecken des Weges bestanden meist aus hohen Kaktusbüschen, deren obere junge Triebe vorüberziehende Kameele sich abgenagt hatten. Ganz anders war die Landschaft als in Aegypten, und dennoch fremdartig genug. Vor uns in der Ferne ward ein Gebirge sichtbar – das Gebirge Juda. Wir waren im gelobten Lande.

Als nächstes Ziel hatte Mr. Pott Ramleh ausersehen. Auch Palästina hat sein Ramleh, das so viel wie Sand bedeutet. Einst hieß dieser Ort Arimathia. Wir erreichten ihn vor dem Dunkelwerden. Minarehs, Palmen, die Mauern eines alten Klosters, Wachtthürme und Ruinen aus der Zeit der Kreuzfahrer geben dem Städtchen ein eigenartiges Ansehen, als wenn Abendland und Morgenland ineinander gerathen wären, wie Hasseins Schwäbisch und Arabisch. Das Wirthshaus an der Heerstraße war draußen und drinnen wieder württembergisch. Es gab gute Kost, Jaffabier und Jerusalemwein, Orangenblüthenhonig, Maulbeersyrup, mit Selterserwasser zu trinken, und Fliegen.

Der Mond versteckte sich hinter Wolken, es waren die ersten, die wir nach langer Zeit sahen. Glühwürmchen krochen auf dem Grase im Wege, aus der Ferne wurde von Zeit zu Zeit ein heiseres Gekläff hörbar. »Des isch Wawi,« sagte Hassein. Wir schlugen im Buche nach und fanden, ›Wawi‹ heiße Schakal.

Früh am nächsten Morgen ging es weiter. Die erträglich gehaltene Chaussee erleichterte den Pferden das Berganziehen; nach einigen Stunden hielten wir vor dem Ausspann zum halben Wege, wo Hassein seinen Thieren Futter gab. Hier nun öffnete sich das Thal, welches das Gebirge Juda durchschneidet. Schon vorher blühte es farbig am Wegesrande, das Gestein der Berge aber war mit Büschen und Blumen wie bekränzt. Rothe Anemonen leuchteten im Morgensonnenschein Rubinen gleich, Alpenveilchen sproßten zu Tausenden, daß man meinte, die Felsen wären erst eben in sie hinabgerollt. Wir pflückten Kornblumen und weiße Cistrosen und wanden Sträuße zur Erinnerung an diesen Feldblumengarten. Der laue Wind war schwer von Wohlgeruch, den die Strahlen der Sonne aus den Balsamkräutern und Stauden zogen. So Herrliches hatten wir in Aegypten nicht gefunden; die freie Natur kargt dort mit Blühendem, wie sie hier verschwendet.

Der Wiener Doktor griff eine Schildkröte, die in duftendem Lavendel spazieren ging. Wir staunten, daß so etwas wild herumkröche. Ein Ziegenhirt trieb seine Schaar durch das Gebüsch, ein brauner Knabe in weiß- und braungestreifter Kameelhaardecke. Das war ein anmuthiges Bild. Wir schritten den Weg vorauf. Hassein folgte mit dem Wagen.

So wanderten wir durch das sonnige, blühende Thal. Ich konnte immer noch nicht begreifen, daß wir auf dem Wege nach Jerusalem seien. Es ist so wundersam, sich zu sagen: »Du gehst jetzt nach Jerusalem, dieser Weg führt dahin.«

Dann rasteten wir bei einem Brunnen im Schatten hoher, dichter Bäume. Weißer Palästinawein und Jaffa-Apfelsinen waren für den Durst; den Hunger stillten wir mit Gothaer Zervelatwurst. Mr. Pott hatte sie bei Hardegg in Jaffa entdeckt. Sie war in Blechdosen eingekocht und vortrefflich. Die Konserven lernt man im Orient schätzen, sie sind eine große Wohlthat und dem reisenden Europäer unentbehrlich.

Die Straße war belebt. Reiter zogen vorüber, Fußgänger im gestreiften Burnus, beladene Kameele mit ihren Führern, Hirten mit Schaf- und Ziegenheerden. Die Männer trugen lange Flinten über dem Rücken und Waffen im Gürtel. In Aegypten sahen wir selten ein Schießgewehr, hier aber schien die Selbstvertheidigung nothwendig zu sein. Das Rauben soll auch nicht zu den Ungewöhnlichkeiten gehören. Unser Kutscher schaute sich oft nach dem hinten aufgeschnallten Gepäck um, namentlich wenn uns verdächtig aussehende Wandersleute begegnet waren, die stillstehend den Koffern noch lange Zeit begehrliche Blicke nachsandten.

Bergauf, bergab geht der Weg, fortwährend ansteigend. Auf der Höhe ist das Land felsig und unfruchtbar. In einer Senkung wurde den Pferden wieder Ruhe gegönnt; das Kaffeneion eines Griechen gewährte Unterkunft. Dort oben am Gebirge, das Dörfchen mit den gelblichen Häuserchen aber war Emmaus. Wir waren nicht mehr weit von Jerusalem.

Noch eine steile, steinige Strecke mußte überwunden werden, und die letzte Höhe vor der heiligen Stadt war erklommen. Hassein trieb die Rosse an, auf staubigem Wege fuhren wir zwischen Mauerzäunen und einzelnen Gebäuden dahin; eine Art Kaserne oder sonstiges Massenquartier versperrte die Aussicht. Die Häuser und ummauerten Gärten mehrten sich, der Wagen bog links ab auf einem ungeebneten freien Platz und hielt vor einem stattlich aussehenden Gebäude mit dem Schilde über der Thür: »Hotel Feil«. Unser Leutnant trat heraus und rief: »Endlich sind Sie da. Es herrscht schon gewaltiger Kampf um die Zimmer. Eilen Sie.«

Mir war in diesem Augenblicke Alles einerlei, so entsetzlich enttäuschte mich die Ankunft in Jerusalem. Diese Neubauten auf öder Flur stimmten nicht mit dem Bilde, das ich im Innern trug. Wo war denn die heilige Stadt, welche die Kreuzfahrer mit Thränen begrüßten, bei deren Anblick sie niederknieten und die Erde küßten? »Wo ist Jerusalem?« fragte ich unwillig. – »Da vor Ihnen, die hohe Mauer mit dem viereckigen Thurm ist die Festung Sion: die Stadt sieht man von hier aus nicht.« – »Und die Kreuzritter?« fragte ich nach. – »Die kamen von der anderen Seite.«

Zum Glück war Herr Feil wieder ein Württemberger und ein lieber Herr mit schwarzem Sammetkäppchen und Puschel dazu. Er hatte gar viel zu thun, denn sein Haus hatte keinen Raum mehr für Gäste. Ostern führt die meisten Fremden nach Jerusalem. Hätten wir unsern Leutnant nicht als Quartiermacher gehabt, es wäre schwer gewesen, ein so annehmbares Unterkommen zu finden.

Mich aber trieb die Unruhe, ich wollte Jerusalem sehen. Am Nachmittage schritten wir zusammen fürbaß. Nach etwa zehn Minuten waren wir vor dem Thor. Ein jäher Abhang, mit Festungsmauern gekrönt, wie man in alten Büchern abgebildet sieht, fällt in eine tiefe Schlucht ab. Dies ist die Augenseite des Berges Sion. Die Schlucht heißt das Thal Hinnom, wie der Wiener Doktor sagte, und darin stand der Moloch, dem die lieben kleinen Kinder in die glühenden Arme gelegt wurden, was mir von jeher zu gräßlich vorgekommen ist. Das Thor wird das Jaffa-Thor genannt, und gleicht dem Eingange in eine alte Burg. Viele Leute wanderten daraus hervor, mit Feiertagsgewändern angethan. In seidene Kaftane waren Manche gekleidet, von rother und grüner Farbe, auch himmelblau und goldgelb. Andere gingen einfacher in schwarzen Gewändern, doch mit bunten Gürteln. Auch trugen sie pelzverbrämte Kappen und lange herabhängende Korkzieher-Locken an den Schläfen. Das waren Juden, die das Passafest feierten. Freundlich grüßten die Alten, die Jüngeren verhielten sich modern gleichgültig. Die Frauen hatten weiße Tücher umgethan, und das Antlitz mit dunklen, großgemusterten Schleiern verbunden; sie hielten sich truppweise zusammen und lustwandelten vor dem Thore. Wir drängten uns in die Stadt hinein. Ein kleiner Platz, auf den enge Straßen mündeten, kümmerliche Läden mit Schnitzarbeiten aus Oelbaumholz und Perlmutter, Rosenkränzen und ähnlichen Erzeugnissen frommen Gewerbefleißes und Thomas Cook und Sons Firmenschild bildeten den Anfang, noch engere bogenüberspannte Straßen mit düsteren Häusern, krautbewachsenen, fensterlosen Mauern schlossen sich diesem Anfange an. Ein Wagen kann in den Straßen nicht fahren, theils sind sie zu schmal, theils sind sie getreppt, ein bald kürzeres, bald längeres bergauf, bergab. Kameele, Pferde und Esel besorgen die Lasten; der Mensch geht zu Fuß oder bedient sich eines Reitthiers, wenn ihm der Schmutz zu arg wird. Und der ist arg, so arg, daß die Hunde mit Vorliebe auf den platten Dächern wohnen. Daß dieses Elend von Stadt Jerusalem sein mußte! Nichts von all' dem Glanz, nichts von aller Pracht, die von frühester Kindheit an die Farben zu dem Bilde lieh, das sich die Phantasie ausmalte, wenn der Name Jerusalem genannt wurde: nur graues Gemäuer, Müll in den Winkeln, glitschiger Schmutz auf den Gassen und arme Leute. Wir waren miteinander stumm und still. Ich weiß auch warum? Uns that Allen das Herz weh.

Das sogenannte Christenviertel, das die heil. Grabeskirche umgiebt, war reinlicher gehalten als die belebte Hauptstraße, aber nicht viel. Die Via Dolorosa, der angebliche Weg der Kreuztragung dagegen unterschied sich wenig von einer verbreiterten Gosse. Das Straßenfegen liegt im Allgemeinen nicht in der menschlichen Natur, aber daß die Abneigung gegen diese gesellschaftliche Nothwendigkeit solche Hartnäckigkeit annehmen könnte, war mir selbst den ausgeschütteten Thatsachen gegenüber unfaßbar. »Ob es in alten Zeiten wohl ebenso war?« fragte ich den Wiener Doktor. – »Das Volk nahm Kleider und legte sie auf den Weg, als Christus auf dem Füllen der Eselin einzog,« antwortete er. »So steht geschrieben. Auch war wohl die Enge der Gassen eine ähnliche, denn die Stadt konnte sich nicht weit über die Grenzen ihrer natürlichen Befestigung, die Abhänge des Berges Sion und des Berges Moriah, frei ausdehnen. Der Boden des alten Jerusalem liegt tief unter dem Schutt, auf dem die jetzige Stadt steht. Doch ist anzunehmen, daß die zerstörten Häuser stets wieder so erbaut wurden, wie sie den Bedürfnissen des Orientalen von jeher entsprachen, und abgesehen vom Tempel und den Palästen gewährte Jerusalem jederzeit aus der Ferne wahrscheinlich einen nicht allzu verschiedenen Anblick von dem heutigen. Das Baumaterial stammt seit Jahrhunderten aus den nämlichen Steinbrüchen, theils sind alte Trümmer verwendet, und deshalb haben wir uns die alte Stadt in der gleichen Färbung zu denken, welche Wind und Wetter auch der neuen verliehen haben. Abrechnen müssen wir jedoch den Verfall in den ärmsten Vierteln, die Ruinen der Festungswerke, die Minarehs, die Kuppeln der Kirchen und Moscheen, und die europäischen Gebäude vor dem Jaffathor. Vom Königsbau Davids und von dem goldgedeckten Tempel Salomonis, dessen Ruhm sogar in Aegypten, dem Lande der Wunderbauten, Widerhall fand, können wir uns keinerlei Vorstellung machen. Doch nun müssen wir in der Nähe der Grabeskirche sein.«

Wir bogen um eine Ecke, etliche Treppenstufen führten zu einer Art Hofraum hinab, dessen Hintergrund die verwitterte Eingangseite der Kirche bildete, die über dem heiligen Grabe errichtet wurde. Auf dem Hofraum hatten Händler ihren Kram ausgebreitet: Rosenkränze, Kreuzchen, Wachskerzen, Heiligenbilder und allen möglichen Jahrmarktstand. Begehrlich umdrängten sie uns, ihre Ware anpreisend, lärmend und zeternd versperrten sie uns den Weg, bis kräftige »Ruch« und »Imschi« freie Bahn schafften. Die Sarrafs, die Wechsler, klapperten mit dem Gelde auf ihren Glastischen wie überall im Orient. Von den Doppelthüren der Kirche ist die eine Hälfte mit Felssteinen roh vermauert, die andere stand offen. Man sah kniende Andächtige in der Vorhalle, die den Salbstein küßten, über dem eine Reihe Kuppellampen hing. Der jetzige Stein soll vor einigen Jahren erneuert sein. Links bei dem Eingange, in einer Nische der Kirche, saßen türkische Soldaten mit untergeschlagenen Beinen und kochten, Tabak rauchend, ihren Kaffee. Es war die Wache, welche Ordnung stiftet, wenn die Christen sich entzweien. Die Grabeskirche ist nämlich in verschiedene Reviere getheilt: das eine gehört den Griechischen, das andere den Römisch-Katholischen, ein drittes den Armeniern, und viertes den Kopten, und weil nun jede Parte der anderen den richtigen Glauben abspricht, giebt es unterweilen Zank, doch schreiten die drei bis vier Mann Militär nur bei feierlichen Prügeleien ein.

Wir fielen zweien jungen koptischen Priestergehülfen in die Hände, welche ihren Kollegen von anderer Richtung zuvorkamen, das Bischen Bakschisch als Führer durch das wirre Nebeneinander der Kirchenräume und Kapellen zu ergattern. Sie zeigten uns viele heilige Dinge, leuchteten mit Lichterchen in die Ecken und Kapellchen und sagten, es seien heilige Stätten. Das werden es auch wohl gewesen sein. Ich hatte kein Recht, zu zweifeln, aber überzeugt bin ich auch nicht. Namentlich wegen Adams Schädel, den sie aufbewahren, hätte ich Virchow'n gern in der Nähe gehabt.

Unter der großen Kuppel ist das heilige Grab, eine Felsenhöhlung, über der eine kleinere Kapelle errichtet wurde. Vor dem Eingange stehen silberne und goldene Leuchter, etliche fast mannshoch, mit riesigen, goldgeringelten Wachskerzen darauf, und Lampen hängen unzählige rund herum. Wir krochen in das erleuchtete Grab. Zwei Priester waren darin. Der eine wies dem anderen ein silbernes Kettlein, damit er den Werth desselben schätze. Dieser wog es in der Hand und gab es dem Eigner lächelnd zurück.

Als ich das sah, überkam es mich unfromm. Die letzte Spur von Weihe schwand. Rückwärts krochen wir wieder aus dem Grabe, um dessen Besitz Tausende ihr Leben ließen, als sie das Kreuz nahmen und gegen die Ungläubigen zogen, zu dem alljährlich Tausende pilgern, daß sie Segen in dem Heiligthume empfangen. Von Rußland kommen sie schaarenweise und lagern in dem kasernenartigen Gebäude vor dem Jaffathore, die Osternacht zu erwarten. In dieser Nacht bricht aus dem Grabe ein Feuer hervor, an welchem die Pilger Kerzen entzünden, wobei ein blutrünstiges Gedränge entsteht, weil Jeder der Erste sein will und keiner dem Andern nachgiebt. Ist die Kerze am Erlöschen, dann wird eine neue daran angebrannt, so weit die Reise auch sein mag, damit sie die heilspendende Flamme mit in die Heimath bringen. Man zeigte uns das Loch, aus dem das Osterfeuer herausschlägt; wie die Priester es anstiften, wurde jedoch nicht verrathen. – »Wohin nun?« fragten wir die Führer.

»Hier hinauf, nach Golgatha,« sagte der Jüngere, und deutete auf in Felsengestein gehauene Stufen. Ich zauderte. Würde ich die heiligste Stätte so erblicken, wie sie mir vorstand, den vom Schauer des Todes umschatteten Hügel, wo erbarmende Liebe bei Menschen kein Erbarmen fand, unberührt den Ort, auf dem das Kreuz sich erhob?

Auch hier wölbte sich eine Kuppel wie über dem Grabe. Viele, viele Lampen hingen an glitzernden Ketten herunter, ein goldenes Kreuz von kunstvoller Arbeit dazwischen, Marmortäfelung bedeckte den Fußboden, in Silber getriebene Figuren standen hinter dem Altar, der nach Art eines Betschemels über der Stelle errichtet war, an der das Kreuz aufgerichtet gewesen sein soll. Ihren ganzen Prunk hat die griechische Kirche aufgehäuft und Golgatha unter glänzendem Geräth begraben. Die Führer forderten eindringlich ihr Trinkgeld. Wir gaben ihnen reichlich. Sie verlangten mehr und wir gaben noch einmal. »Ruch« und »Imschi« wären richtig gewesen, aber wer mochte es hier sagen?

Abgestumpft wie nach übermäßiger Anstrengung schlichen wir aus der Grabeskirche. Wir hatten ein Heiligthum erwartet und nicht gefunden.

Große erhabene Kunst allein wäre im Stande gewesen, Ehrfurcht zu erwecken, die Gefühle, mit denen man herantritt, zu erhöhen und das Gemüth andächtig zu stimmen. Die nichtssagenden Kostbarkeiten ließen uns kalt wie das blinkende Metall, aus dem sie gefertigt sind.

Mister Pott war längst vor uns gegangen, wir trafen ihn draußen. »Ich glaube wohl,« sagte er, »daß Alles aus sehr frommem Sinne hervorgebracht wurde, aber ich kann mich in diese Manier nicht hineindenken. Ich will nicht sehen, was die Priester hinstellen, sondern das, was wirklich gewesen ist oder davon übrig blieb. Darum ging ich hinaus, um den Himmel zu betrachten, den haben sie nicht entstellen gekonnt mit Mosaik, Lampen und schlechten Gemälden.«

Nahe der Grabeskirche liegt der Bazar, ein Aneinander von überdachten Gassen mit wenig Licht und geringer Auswahl. Handwerker sind thätig und die Landleute der Umgegend kommen, ihren Bedarf zu decken. Unmittelbar hieran stößt die Ruine des Johanniter-Hospitals. An dem Thorbogen ist, auf Holz gemalt, der preußische Adler. Dieses Grundstück schenkte der Sultan Abdul Assis an Kaiser Wilhelm. Der Kronprinz nahm es öffentlich in Besitz, als er in Jerusalem weilte, und damals wurde der Adler angebracht. Der altherrliche Bau ist eine Ruine, in einer Halle befindet sich die einfach gehaltene protestantische deutsche Kirche. Wie köstlich wäre es, wenn sich auf dieser Stelle ein Dom erhöbe, unseres Reiches würdig, damit Fremde und Einheimische in Jerusalem auch daran erkennen, daß Deutschland nicht Zerfall ist, sondern blühendes, kraftvolles Leben.

Als wir durch das Jaffathor zurückgingen, begegneten uns zahlreiche russische Pilger, die Männer in langen, warmen Röcken, die Frauen in ebenfalls warmen Kleidern mit schweren Schaftstiefeln an den Füßen. In den Händen hielte sie kleine Wachslichte, um sie in der Grabeskirche zu opfern. In zuversichtlicher Hoffnung auf die ewige Seligkeit wandelten sie dahin. –


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