Julius Stinde
Frau Buchholz im Orient
Julius Stinde

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Alexandrien.

Afrika in Sicht. – Die Landung. – Was die Palmen sagten. – Mr. Pott. – Straßenleben. – Backschisch. – Ramleh. – Von den Ereignissen. – Der Neger im Baumwollenballen. – Arabische Frauen. – Warum Mohammed den Schleier verordnete. – Verbotene Ueberraschung.

Der Morgen kam.

Das also war Afrika, jener grauliche Streifen über dem Wasser gerade vor uns, der nur wenig anwuchs als wir uns näherten. Dann unterschieden wir einen Leuchtthurm und etliche größere Gebäude in dem Dunst der Frühe. Vorsichtig fuhr das Schiff in den Hafen. Ei, wie schön! Die Masse von Schiffen, die hübschen hellen Häuser, das Schloß dort auf der Anhöhe, die spitzen Thürme, wie aus einem Bilderbuch herausgeschnitten und doch leibhaft vor unseren Blicken ausgebreitet. »Karl,« sagte ich, »Afrika sieht ganz anders aus, als man sich denkt. Dies Alexandrien macht ja einen höchst vernünftigen Eindruck.« – »Man merkt, hier ist Handel und Wandel,« entgegnete er. »Aber wo bleiben die Wilden?«

»Da sind sie,« rief ich. An dem Quai, bei dem der Dampfer anlegte, standen sie hinter einem Absperrungsgitter und lauerten auf die Fremden, richtige Kamerungesichter. Die neuen Hafenanlagen haben den früheren Empfangsfeierlichkeiten mit den Booten ein Ende gemacht. Die Wilden schrieen und winkten mit den Händen, ihre Dienste anzubieten. Zur Bequemlichkeit der Ankommenden haben die Hotelwirthe ihren negerigen Hausknechten den Namen des Hotels mit leserlicher Schrift auf die Brust nähen lassen. »Karl,« rief ich, »hier ziehen sie die Firma als Weste an, dort der Mohrenkopf gehört zum Hotel »Khedivial«, wohin wir wollen, den nehmen wir.« Ich erhob mich etwas über den Schiffsrand und rief: »Du da, großes Muffi, Hotel Khedivial, kannst Du unsere Sachen tragen?« – »Sehr wohl, Madam,« rief er zurück.

Ein Glück, daß ich mich an einem Strickleitertau hielt, sonst wäre ich lang hingeschlagen. »Spricht das Deutsch und ist ganz schwarz dabei.«

Noch waren die Gesundheitsbeamten an Bord und die Wilden durften nicht heran. Wie sie sich anließen und was sie anhatten, das war unglaublich. Alle Farben waren vertreten und alle Stoffe. Einige hatten Löcher in einen alten Kaffeesack geschnitten, eins für den Hals und zwei für die Arme, und dann als neue Kluft angezogen, um den Kopf ein verblichenes buntes Tuch gebunden, oder solchen hohen rothen Mützenkopf ohne Krempe mit Puschel auf. Andere gingen in langen blauen Hemden, andere in weißen oder in gestreiften Kattun-Schlafröcken, wieder andere hatten karmosinvergnügte Baubaujacken an, Turbane um den Schädel gewickelt und farbige Binden um den Leib, aber jeder seine Mode für sich. Barbeinig waren sie und braun wie man Kaffee röstet, von ganz hell an, bis verbrannt, alle Schattirungen durch. Die total Schwarzen, die Neger, sahen aus wie die Besinge. Als jetzt das Gitter geöffnet wurde, rasten die Wilden auf das Schiff. Im Nu waren überall welche, in den Kajüten, in den Kabinen, oben und unten, wie die Ratten. Unser Schwarzer kam mit noch einigen Kumpanen an. »Hier Khedivial,« sagte er. »Wo Bagasch'?« – Er folgte uns in die Kabine, mein Karl gab ihm das Gepäck, das der Schwarze wieder den mitgebrachten Leuten aufpackte. Er zählte blos die Stücke und hielt so viel Finger hoch als Tragsachen da waren. »Saba,« sagte er. – »Was hat er gesagt,« fragte ich meinen Mann. – »Ich hab' ihn nicht verstanden.« – »Was meinen Sie?« fragte ich den Wilden. »Saba,« sagte er und streckte sieben Finger vor. – Ach so, er meint sieben Stück Gepäck, wofür er aufzukommen hat. »Karl, saba heißt nämlich sieben, du brauchst blos dabei an Sabbath zu denken, den siebenten Wochentag. Wir müssen uns klar machen, daß jetzt das Mohammedanische anfängt und wir nur noch arabisch sprechen. Nein, wir glücklich ich bin, daß der Wilde deutsch verstehe. Zu prachtvoll. Nu man tayib yalla yalla!!«

Der Neger drehte die Augäpfel ein paar Mal in ihren Höhlen herum, grinste mich an und zog ab. Wir folgten ihm und den Gepäckträgern.

Nun hatte ich mir schon in Berlin die schwärmerischen Empfindungen vergegenwärtigt, mit denen ich den ersten Fuß auf den afrikanischen Boden zu setzen gedachte, so gewissermaßen von unten nach oben heraufgruselnd, da das Betreten eines Welttheils, wovon es auf Erden überhaupt nur fünf giebt, zu den denkwürdigsten Erlebnissen gehört, aber weil ich die Leute mit yalla, yalla angetrieben hatte, mußten wir den Einzug rennend machen und kamen erst wieder zu uns, als wir im Hotelomnibus saßen. »Karl,« sagte ich, »dieser erhabene Moment ist in die Brüche gegangen. Man kann mit fremden Sprachen nie vorsichtig genug sein.«

Auf der Douane wurden die Pässe nachgesehen und die Koffer durchsucht. Es geht auf dem Zoll in Alexandrien ordentlich her, höflich und nicht schikanös, obgleich Alles genau nachgesehen wird. Wir führten auch nichts Steuerbares; Schmuggeln ist zu sehr mit Heidenangst verknüpft.

Als wir unsere Pässe wieder hatten, die Koffer verschlossen und die Träger abgelohnt, fuhren wir nach dem Hotel.

Zunächst führte der Weg durch Gassen mit niederen Häusern, denen man auf den ersten Blick ansah, daß sie auf afrikanischem Boden gewachsen waren, und die Menschen, die dort ein- und ausgingen, die Männer, welche mit Früchten, Gemüsen, Federvieh und anderen Handelswaaren straßauf straßab strichen, die kleinen Kinder, bei denen wegen Naturfarbe das Waschen überflüssig ist, die schwarz verschleierten, in eine Art von dunkel- und graublau gestreiften Bettlaken eingewickelten Weiber paßten genau zu den Wohnungen; es war Alles so ganz anders wie bei uns. »Karl,« sprach ich, »hefte Dir diese volksthümlichen Anblicke genau ins Gedächtniß, damit Du, wenn ich in Berlin davon erzähle, nicht sagst, ich flunkere.« – »Wilhelmine,« antwortete er, »so weit die Leute sich bekleiden, nehmen sie Alles, was sich anziehen läßt. Wenn sie zahlungsfähig sind, könnte man hier die ältesten Lagerhüter los werden.« – »Karl, Du hast natürlichen Scharfblick, übe ihn nur unentwegt, denn so viel spüre ich: in Aegypten ist was gefällig.«

Und darin hatte ich, wie schon oft, Recht. Mit jeder Umdieeckebiegung gab es neue Erstaunlichkeiten, bis wir an einen großen baumumpflanzten Platz kamen, auf dessen Mitte ein Reiterdenkmal stand, während breite Fahrstraßen und europäisch gebaute Häuser ihn einrahmten. Dies waren die »Linden« von Alexandrien oder, wie sie dort sagen, der Mehmed Ali-Platz. Man hätte nun wegen der Droschken und der glanzvollen Schaufenster der Läden glauben können, sich in einer deutschen Stadt zu befinden, die während der Friedensjahre Muße und Mittel fand, sich baulich zu erweitern und neue Fa çaden vorzubinden, aber die Akazienbäume glichen nicht unseren Linden, und neben den Droschken standen die Reitesel und neben den Eseln die braunen Treiberjungens bloßbeinig und bunthemdig. Auf den Bürgersteigen gingen Europäer nach der neuesten Pariser Mode und arabische Leute in ihren Fastnachtgewändern.

Was aber am fremdländischsten berührte, das waren die Palmen. Hier sah man sie über einem halb fertig gebauten Hause hervorragen, dort verriethen sie die Anwesenheit eines Gartens, überall entdeckte das verwunderte Auge die Kronen dieser Bäume, die im Verein mit dem tiefblauen Himmel sagten: Hier ist der Orient! Viel zu früh für unsere Sehenslust hielten wir vor dem Hotel.

Durch das Vorhandensein eines deutschen Portiers wurden unsere Spracherwerbnisse hinfällig. »Karl,« sagte ich, »an dieses Land gewöhnen wir uns leicht, es herrscht ein zivilisirter Ton. Hörtest Du, wie man mich mit »Gnädige Frau« anredete?« – »Dafür zahlen wir auch Jeder täglich zwanzig Franken Pension, ohne die Getränke.« – »Das holen wir mit Nilwasser wieder ein. Ich habe gelesen, daß Nilwasser zu den köstlichsten Genüssen zählt. Und dann bedenke dies hohe, große Zimmer, die Betten, mit Moskitonetzen umzogen, und die belehrende Aussicht vom Altan auf die Straße. Weiter hin stehen Mengen von Palmen. Ein wahres Millionärunterkommen!«

Er antwortete nicht, sondern machte sich in die Reihe, den Deutschen Besuche abzustatten, an die er empfohlen war. Von den Wilden konnte mein Mann keine geschäftlichen Aufschlüsse erhalten. Auch ich stellte mich sehenswürdig her. Hierauf verfügten wir uns in den Speisesaal, der im Garten lag, und zwar in einem Palmengarten, wo mir unbekannte Sträucher große rothe Blüthen trugen und allerlei Rankgewächse, ebenfalls blühend, an den Mauern in die Höhe kletterten. Der Speisesaal, mit orientalischen Vorhängen und Teppichen dekorirt, stand unter der Leitung eines französischen Oberkellners, was für uns eine harte Sache war, vornehmlich weil der Mann einen rasend geläufigen Akzang hatte. – »Daß hier auch kein Deubel deutsch versteht,« rief ich ärgerlich. – »O bitte,« sagte hierauf einer von den bereits am Tische sitzenden Herren, »womit kann ich Madame von Nützlichkeit sein?« Ich erröthete bis an den Scheitel über meine Aeußerung und entgegnete: »Mein Mann und ich möchten frühstücken, aber wir stoßen auf mangelndes Verständniß.«

Wir stellten uns nun durch Visitenkartenaustausch gegenseitig vor. Er war ein Mister Pott aus Amerika, der längere Zeit in Berlin gelebt hatte, und sich unserer in verbindlichster Weise annahm. Mit wahrer Begeisterung sprach er von der Kaiserstadt an der Spree, daß es ihm so gut dort gefallen habe und er froh sei, Jemand von dort seine Dienste anbieten zu können, wo er in kurzer Zeit vergessen hätte, ein Fremder zu sein.

Mit Nilwasser ließ sich dies Bündniß nicht begießen. Mein Karl stieg in die Weinkarte, Mister Pott sorgte, daß der gute Bordeaux auf das sorgfältigste gekühlt wurde, da seiner Behauptung nach die Zimmertemperatur in Aegypten für Schloßabzüge zu hoch sei. Wir mußten ihm beipflichten, Wärme nimmt dem Rothspohn das Erquickliche. Zu kalt darf er natürlich auch nicht sein; man muß ein passendes Mittelmum zu Wege bringen. Ich glaube, wir säßen noch bei einander, wenn mein Karl nicht hätte fort müssen, denn Mr. Pott spendirte Erinnerungs-Champagner an Berlin, und dachte noch lange nicht an Aufbruch, aber es mußte sein. Ich ging oben, an Betti zu schreiben. Bevor ich mich jedoch mit der Dinte einließ, nutzte ich den Balkon aus und betrachtete die Menschen auf der Straße.

Gerade gegenüber an der Ecke der Straße, an deren Ende sich die Wölbung des Kairo-Bahnhofs erhebt, hockten ein halbes Dutzend braune Araber, die rauchten und plauderten, ohne daß der Schutzmann sie wegwies. Der Schutzmann war ebenfalls ein Brauner, in dunkelgrüner Uniform mit rothem Kragen und rothen breiten Armlitzen, rother Kappe und Seitengewehr. In Berlin würde er Auflauf von Neugierigen verursachen, in Alexandrien aber, wo es mehr Trachten giebt als Farben im Tuschkasten, erscheint er sogar in amtlicher Gemessenheit den englischen Soldaten in ihren siegellackrothen Röcken überlegen. Vornehme Araber kleiden sich mit feinem Geschmack, die Stoffe sind kostbar und würdig wandeln sie einher. Junge Araber dagegen, die sich als Zierlappen aufspielen, ziehen über das faltige Kostüm einen Sommerpaletot von modernstem Schnitt, worin sie Wunder meinen, was sie sind, ohne zu ahnen wie unzusammenpassend sich das ausnimmt.

Das Straßengetriebe wird erhöht durch die eleganten Kutschen, in denen Damen der europäischen Gesellschaft ausfahren, prachtvoll in Toiletten, die braunen Diener in meist dunklen, goldgestickten Livreen. Dazwischen wieder Männer und Frauen auf Eseln, Verkäufer von Brot, Apfelsinen, Tomaten und allem möglichen Handelbarem, sowie Arme und Bettler. Und doch muß ich sagen, daß das Gebettel in Alexandrien lange nicht so massenhaft und belästigend ist wie ein Neapel. Ja die Blumenhändler in der Friedrichstraße sind aufdringlicher und unverschämter als die Dürftigen Alexandriens, die nach ihrer Religion doch das Recht haben, Almosen zu fordern. Die Eseljungen und die kleinen Stiefelputzer, echte Schwarze und Dunkelbraune, geniren allerdings, wenn sie Jemand als Kunden erachten, da sie schlecht los zu werden sind.

Ungerne gab ich die weitere Betrachtung auf, aber die zu Hause hatten Anspruch auf Nachrichten; von den bloßen Gedanken, die man hinüber fliegen läßt, verspüren sie in der Heimath nichts. In der Schreibmappe bewahrte ich die Photographien der Unsrigen. Ich baute sie vor mir auf dem Tische auf und war so mitten unter ihnen. Wie lieb die ganze Versammlung: Betti und ihr Mann, Onkel Fritz und Erika, der Doktor, Fritz und Franz. Wie ähnlich die Zwillinge dem Doktor werden, das ist merkwürdig, als wenn der Vater durchgezeichnet wäre. Und nun setzte Großmama sich hin, ihrer Aller in dem Briefe zu gedenken. Das ist doch das Schönste.

Freilich war es warm, und von draußen lockte der Straßenlärm zum Ausschauen, doch die guten Vorsätze behielten die Oberhand. Den sich meldenden Durst vertrieb ich mit dem laulichen Inhalte der Wasserflasche. Frisches Wasser zu bestellen, traute ich mich nicht. Denn wie hieß es?

Als mein Karl zurückkehrte, begleitete ihn Herr Maubach, an den er von Berlin adressirt worden war, und dieser hatte die große Freundlichkeit, uns den Nachmittag zu opfern. Das Gespann hielt bereits vor dem Hotel, und durch neue Straßen und alte fuhren wir zunächst nach der Pompejussäule, die jeder Fremde gesehen haben muß, obgleich sie einen sehr einsamen Eindruck macht. Sie ist aber das einzige wohlerhaltene Denkmal von verschwundener Pracht. Die Tempel, Paläste, Bäder und Bibliotheken, die Theater und Schulen, die einstmals den Ruhm der Alexanderstadt weithin verbreiteten, sind nur noch als entzweie Bruchstücke vorhanden, und da, wo die Bürger ihre Häuser hatten, liegen jetzt Scherben- und Erdhaufen, die der Weg für die Eisenbahn durchschneidet. Angepflöckte Beduinenzelte beleben die kahle, traurige Schuttwüstenei, und unfaßbar bleibt es, wie das Alles zu Müll werden konnte. Aber Parteihader und Streit, Aufstände und Kriege zerstören, was Friede und Wohlstand erbauten. Schliemann war gerade in Alexandrien gewesen, das Haus der Kleopatra auszugraben, und er hat auch einige Stufen freigelegt, denen blos der dazugehörige Palast fehlt. Wegen mohamedanischer Umtriebe mußten die Forschungen aufgegeben werden, so interessant es gewesen wäre, zu erfahren, wie diese Frau wohnte, gegen deren Schönheit Niemand ankonnte. Makart hat sie ja öfter gemalt.

Nicht weit von der Pompejussäule liegt ein arabischer Kirchhof. Jedes Grab stellt eine Art von oberirdischem Sarg aus weißem Marmor vor, an dessen Kopf- und Fußende sich die Denksteine erheben, so daß das Ganze den Eindruck einer Stadt mit seltsamen, weißen Häußerchen macht, die bis auf das Dach und die Schornsteine in die Erde gesunken sind. Schreckliche Kinder stürmten aus dem Armenviertel herbei und riefen mit ausgestreckten Händen unaufhörlich: »Backschisch, Backschisch.« Das heißt: »Geschenk, Geschenk.« Ueberall, wo Sehenswürdigkeiten Fremde hinziehen, sammeln sich Schnorrer an, es mag sein, wo es will, aber bei uns wird man nicht so umsprungen und umhüpft, wie von diesen kleinen Teufeln mit den schwarzen Gnisteraugen in ehemals bunten Kattunhemden, die trotz sichtlich größter Nothwendigkeit, nach dem ersten Zusammennähen, nie wieder mit Nadel und Faden in Berührung gekommen waren. Und doch klang das Backschisch Geschrei nicht kläglich, sondern wie geschäftsmäßig eingelernt. Einige lachten sogar vergnügt dabei, als sei Betteln eine Lustbarkeit.

Erst als wir wieder im Wagen saßen, wurden ihnen einige Kupfermünzen zu Theil. Die Folgen davon war ein Knäuel kindlicher Gliedmaßen mit allen denkbaren und undenkbaren Rück- und Vorderansichten, sie alsbald von aufgewühltem Staub verhüllt wurden. So gewaltig fuhren sie auf die in den Sand geworfenen Geldstücke los und grapsten. Es waren eben junge Wilde.

Von hier gelangten wir an Häusern und Feldern vorbei an den Mahmudiye-Kanal, der von Mohammed Ali, dessen Reiterstatue in der Stadt steht, angelegt wurde und mit dem Nil in Verbindung steht. Wir erfuhren seine Wichtigkeit für den Binnenlandhandel und die Wasserversorgung von Alexandrien. »Also, man kann das berühmte Nilwasser schon hier haben?« fragte ich. »Gewiß!« war die Antwort. »Brunnen giebt es nicht, da schon in geringer Tiefe salziges Meerwasser eindringt.« – »Dann habe ich schon welches getrunken,« rief ich enttäuscht. »Es schmeckt naß, das war Alles. Und ausdrücklich stand in den Büchern, daß es köstlich sei.« – »In Büchern steht viel,« sagte mein Karl.

Ueber den Kanal weg erblickt man eine weite Wasserfläche, den Mareotischen See. In alten Zeiten umgab den See eine fruchtbare Niederung, viel Wein wurde gebaut, Heerden fanden fette Weide, Aecker trugen reiche Frucht. Als aber unter den Arabern und Türken der See mehr und mehr ausgetrocknet war, geriethen die im Jahre 1801 Alexandrien belagernden Engländer auf den unglückseligen Gedanken, die Landenge zu durchstechen und den See mit etwas Mittelmeer aufzufüllen. Das Wasser strömte ein und verwandelte die ergiebigen Fluren zugleich mit hundertfünfzig Ortschaften in einen Sumpfsee; freilich wurde der Durchstich wieder zugedämmt, aber der Schaden ist geblieben. Die Pflanzen gedeihen nicht auf Salzboden.

An der Seeseite, jenseits des Kanals, kam nun Etwas zum Vorschein, worüber ich mir eine Erklärung ausbat. »Sagen Sie blos, was ist das?« – »Ein Fellachendorf.« – »In den grauen Puddings wohnen Menschen?« – »Wie Sie sehen. Die backofenartigen Hütten sind aus Nilschlamm ohne viel Kunst aufgeführt.« – »Diese Armuth!« rief ich. – »Der Fellache hat wenig Bedürfnisse. Er baut den Acker, zahlt seine Steuern – –« – »Die auch noch?« – »Jeder Palmbaum ist besteuert, Grund und Boden ist besteuert, jedes Schöpfrad, jeder Esel, jeder Hammel; von dem Ertrage der Ernte wird der Zehnte eingefordert.« – »Dann kann er es freilich nicht weiter bringen, als bis zur Schlammhütte. Und das läßt er sich ruhig gefallen?« – »Er ist es nicht anders gewohnt und fügt sich in das Unabänderliche. Außerdem weiß er, daß er dereinst im Himmel ewige Freuden kosten wird. Mohammed, der Prophet, hat sie ihm verheißen. So ist er ergeben und geduldig bis zur Schlaffheit.« – »Aegypten scheint mir aus zwei entgegengesetzten Gesichtshälften zu bestehen,« erwiderte ich, »die eine strotzt in Schwellung, die andere vegetirt in Dürftigkeit, woraus sich das räthselvolle Bild der Sphinx von selbst ergiebt.«

Mein Karl sah mich verblüfft an; wenn aber die Gedanken an einem Ort wie Afrika nicht höher fliegen, wo dann? Wirklich waren Blutarmuth und üppiger Reichthum nur durch die Breite des Kanals getrennt, denn auf unserer Seite lag Garten neben Garten, Palast neben Palast: Besitzthümer des Vizekönigs und seiner Familienangehörigen, sowie Villen von Staatswürdenträgern und vermögenden Geschäftsleuten. Wir besuchten den Garten des Herrn Antoniadis, eines reichen Griechen, eine Parkanlage, die jeden Nordländer in Verwunderung setzen muß, weil unsere im Zimmer mühselig gepflegten Gewächse dort frei gedeihen, und die ich mir, soweit dies möglich war, mit Namen und Nutzen vorstellen ließ. Der Oleander bildet breite Schattengänge, mit Goldfrüchten beladene Mandarinenbäume stehen in Wäldern zusammen, Bambusdickicht schießt haushoch auf, indische Feigen senken Luftwurzeln von den Zweigen in die Erde hinab, mächtige Sykomoren unterbrechen das Buschwerk aus gelbblühenden, duftenden Akazien und anderem entzückenden Gesträuch, Feigen treiben junges Grün und Bananen reifen ihre schweren Fruchttrauben unter windzerfetzten Riesenblättern. Wohlgepflegte Kieswege führen von Anlage zu Anlage, zu den Teichen und Springbrunnen, den Beeten, auf denen im Februar Veilchen und Narzissen blühen und Rosen in den schönsten Sorten. Zwischen dem fremdartigen Gelaube stehen Marmorbilder, Vasen mit duftenden Blumen und Bänke zum Ausruhen. Wir setzten uns und ließen unsere Blicke spazieren gehen. Das Fellachendorf lag drüben, man konnte es von hier aus nicht sehen, tropische Gewächse und Blüthengehänge verdeckten es. Und dennoch war es da . . . . die Armuth in den Erdhöhlen hatte sich zu fest eingeprägt.

Für den Jardin Pastre, in welchem Freitags und Sonntags Nachmittags Militärmusik spielt, versparten wir die Besichtigung auf einen der folgenden Tage, da alsdann die vornehme Welt am Kanal Korso fährt; jetzt brachen wir auf, weil mein Karl uns für den Abend versagt hatte. Eine Einladung nach Ramleh, die er mir nun erst mittheilte, sollte uns Gelegenheit geben, mit Deutschen zusammenzusein, die ihrerseits den Wunsch geäußert hatten, Frau Buchholz bei sich zu sehen, als sie ihre Ankunft in Aegypten erfuhren. Wie Recht er hatten, den Heimlichen zu spielen, spürte ich gar wohl, denn die landschaftlichen Reize verblaßten vor dem Gedanken, nach langer Entbehrung ein deutsches Heim zu betreten. Man kommt sich in fremder Umgebung mit unverständlichen Mundarten so kaltgestellt vor.

Durch die Rosettestraße erreichten wir das Hotel wieder. Wenn diese Straße im Thiergartenviertel vorhanden wäre, würde sie das größte Aufsehen erregen, so bildschön ist sie. Bis zum Abgange des Zuges waren wir komplet. Ich hatte mein Grauseidenes angethan und die Haube für Best war vermöge ihrer Unterkunft in einer Blechbüchse unzerknittert geblieben.

Wir gingen nach dem Bahnhofe, in dessen Nähe der tausendjährige Platz zu sehen ist, an dem die nach Newyork übergesiedelte Nadel der Kleopatra früher stand. Ortskundige Führung half uns über die Schwierigkeiten am Fahrkartenschalter hinweg, wir stiegen ein und dampften ab. Ramleh ist nämlich für Alexandrien dasselbe, was Westend für Berlin. Jede Stunde geht ein Zug, und nach halbstündiger Fahrt ist man dort. Die Geschäftsleute wohnen in Ramleh und halten sich in der Stadt nur so lange auf, als ihre Thätigkeit erfordert, namentlich im Sommer, wenn die Hitze zwischen den Mauern unerträglich wird, und der kühlere Seewind den Gärten der Villenkolonie abendliche Erfrischung zuweht. Ganz eigenartig war das Gefühl, eine Menge Eingeborener in dem Zuge zu wissen. Wenn man meistens geglaubt hat, die Araber sprengten nur auf ihrem Roß durch die Wüste, so kommt es Einem spanisch vor, sie auf der Eisenbahn zu sehen, als wäre das seit Pharaos Zeiten Landesgebrauch gewesen. Auf den Haltestationen stiegen Beduinen aus und ein, herrlich gebaute Gestalten mit stolzen Gesichtszügen, in weiße Wollenmäntel gehüllt, die sie malerisch raffen. Sie werden gerne als Nachtwächter gedungen und erhalten für die Behütung eines Hauses in Ramleh monatlich sechzehn Mark nach unserem Gelde. Dafür schlagen sie ihr Zelt im Garten auf, wenn die Herrschaft verreist ist, und erfüllen die eingegangenen Verpflichtungen auf das sicherste. Das einbruchslüsterne Gesindel, dem sie das Handwerk legen, stammt durchschnittlich aus Europa.

Wenn man durch die Scherbenhügel gefahren ist, von denen es räthselhaft ist, wie sich solche Massen zerbrochener Töpfe aufhäufen konnten, erblickt man nach einer Weile links einen Palast, den der verflossene Khedive Ismael Pascha erbauen ließ. Als der Bau ziemlich vollendet, behagte er dem hohen Herrn nicht, und wie ein glücklicher Zufall fügte, brach Feuer darin aus, worauf nach neuem Plan ein neuer Palast entstand. Dieser aber ist wegen gänzlicher Unterhaltungslosigkeit im Zusammenbruch begriffen. Niemand wird hineingelassen, theils damit herabfallende Decken ihn nicht erschlagen, theils damit die Gerste nicht zertreten wird, die der Hauswächter im Schloßhofe säet. Hieraus konnte ich mir bereits eine schwache Idee davon machen, warum die Fellachen so in der Steuerklemme drin sitzen.

Obgleich der Mond noch nicht voll war, leuchtete er dennoch mit einer Kraft, daß Weg und Steg, Gesträuch und Bäume wie bei Tage hervortraten. Die Sandwege und die Villen erschienen eingeschneit, so weiß ruhte das Licht auf hellen Gegenständen. Dies war Sommerschnee, der wirkliche hüllte das Land ein, dem der Frühling einige Monate später naht. Die Frösche quackten in den kleinen Teichen der Gärten, es waren Baßpadden mit tiefer Stimme, sonderbar anzuhören. Bei einem Gartenthor stand ein schwarzer Diener, der die Ankommenden erwartete, an ihn verschwendete der Mondschein seine Mühe vergebens. Aus dem erleuchteten Hause, dessen Thüren weit aufstanden, die milde Nachtluft einzulassen, begrüßte uns ein herzliches »Willkommen«. Wir waren bei Herrn Georg L. Müller in Ramleh.

Wie doch die Laute der Heimath im fremden Lande die Menschen so rasch von dem Zwange befreien, der sonst die ersten Viertelstunden einer Gesellschaft eineist. Wenn die Polizeileutnanten neue Bekanntschaften gebeten hat, ist es anfangs wie in einer Pferdebahn, wo Einer dem Anderen den Platz nicht gönnt, viel weniger ein Wort; erst später, gegen Ende der Speisung, beginnt das Aufthauen, und wenn man Gute Nacht sagt, bedauern Jegliche die Kürze der Zeit. Hier aber war es, als wenn Fragen und Antworten nur auf das Losgelassen gewartet hätten. Müllers sind Schweizer; wir berichteten von dem Lawinensturz auf der Gotthardbahn. Das wußten sie noch nicht, da die letzten Zeitungen zugleich mit uns herüber gekommen waren, und diesen Unfall noch nicht brachten. Sie erkundigten sich, wie es »draußen« aussähe. Draußen ist für die Deutschen in Aegypten nämlich Europa, Deutschland insbesondere. Wir fragten, was Dies und Jenes zu bedeuten habe, was wir gesehen und nicht verstanden. Darüber ward uns Auskunft. So tauschten wir miteinander aus. Auch nach Emmi und Betti fragte man, und nach Onkel Fritz. Das Interesse für die Familienverhältnisse rührte mich ordentlich. Daß mein Karl die Absicht hegte, die hiesigen Bedürfnisse in der Wollenbranche zu studiren und den Geschmack der Wilden zu ermitteln, soweit es die Fabrik betrifft, fand Beifall, und manche Anleitung hierzu wurde gegeben. Wir waren jedoch nicht die einzigen Gäste. Es waren da der Graf Marogna, Mitglied des internationalen Tribunals, Herr von Tschudi mit seiner Gattin und Herr Menshausen und Frau, eine geborene Berlinerin. Wären die schwarzen Diener nicht gewesen, hätten nicht ausländische Blumen und Früchte die Tafel geziert, man wäre versucht gewesen, sich in Deutschland zu wähnen, namentlich als die Damen des Hauses die Anwesenden durch zweistimmigen Gesang erfreuten und Wort und Weise erklangen wie da »draußen«. Ich hatte mir Afrika bedeutend anders vorgestellt, wenn auch nicht derart, wie Hagenbecks Nubier, die im Zoologischen Garten Hammel in der Asche brieten und fingerdicken Talg in die Naturperrücken kneteten, so doch in geselliger Hinsicht auf einer Nichtrühran-Stufe. Und nun kam es so.

Am folgenden Tage lernten wir von Tschudi's gastliches Patrizier-Heim kennen; am Abend waren wir wieder in Ramleh bei Menshausens, wo edelster Wein vom Rhein manche begeisterte Rede weckte und das entzückende Spiel der Hausfrau auf einem herrlichen Flügel von Westermayer in Berlin Ohr und Gemüth gefangen nahm, daß es nur ihr lauschte. Als aus Morgen und Nachmittag wieder Abend geworden, waren wir wieder in Ramleh, diesmal bei Herrn Magnus, dem eine Tochter unseres berühmten Professor Dove als Gattin nach Aegypten folgte. Während die Vaterstadt im Schnee lag, konnte sie ihren Gästen Bananen frisch aus dem eigenen Garten zum Nachtisch vorsetzen, eine rothe indische Art von Geschmack wie Erdbeere, Himbeere und Pfirsich zusammen. Schade, daß der Zug schon ging, es war reizend da.

Auf unsere Renaissance-Sprünge ist man in der deutschen Kolonie Alexandriens, soweit ich Kenntniß habe, noch nicht gekommen, das Stilvolle besteht aus echten Teppichen, orientalischen Stickereien, Divans und Geräth, wie es schön und bequem ist. Schließlich kommt es ja auch nicht darauf an, daß man sich einrichtet, wie der Architekt und der Tapezier für gut finden, sondern daß man sich gemüthlich in seinen vier Pfählen fühlt. Und das thun sie dort.

Den Tag über beschäftigten uns die Sehenswürdigkeiten; uns war ja Alles sehenswerth. Den Hafen befuhren wir, wo mächtige Dampfschiffe und Segelschiffen von allen Weltgegenden her ankern und hunderte von Booten, mit bunt gekleideten Wilden kreuzen. Wir hatten nämlich die Erlaubniß, das Privat-Dampfschiff des Exkhediven Ismael Pascha in Augenschein zu nehmen, auf dem er einmal eine Reise nach Konstantinopel gemacht hat, um es nachher nie wieder zu benutzen. Nun hat es keinen anderen Zweck, als langsam zu Grunde zu gehen mit sammt seinen vergoldeten Möbeln, Seidentapeten, Mosaiktischen und allem nur erdenkbaren Luxus. Das heißt richtig Millionen ins Wasser werfen.

Auch in das Schloß Ras-et-Tin hatten wir Einlaß. Die Säle und Gemächer sind in französischem Geschmacke gehalten, denn als es neu hergestellt wurde, gab es nur Pariser Industrie. Die Unternehmer sollen riesig verdient haben, nicht an dem, was sie lieferten, sondern das, was bloß auf der Rechnung stand, brachte Geld, jedes Stück wurde so ungefähr zwölfmal aufgeschrieben und, was beachtenswerth ist, auch zwölfdoppelt bezahlt. »Karl,« sagte ich: »wie einbringend, wenn Du von jedem Dutzend nur die Probenummern abladen brauchtest.« Er fragte. »Möchtest Du die Fellachendörfer auf dem Gewissen haben?« – Nein,« antwortete ich und hakte ihn unter, »Leben und leben lassen ist besser, da hat man nicht nöthig, sich mit Verschwendung zu betäuben.«

Und was ist schließlich in den Prunkgemächern dieses Schlosses? Ein Raum ist mit dünnbeinigen Stühlen in Gelb, der andere in Hellblau, der dritte in Rosa, der vierte in Lachsfarbe, der fünfte in Lila und so fort aufgedonnert, dazwischen orientalische Divans. Von den Decken hängen riesige Kristallkronen, und die Gardinen von schwerer Seide mit halbmeterhoher Posamentierarbeit am Saum von denselben Farben ist doch nur bramsig. Trotz der theuren Stoffe gleicht das Ganze einer unwohnlichen Ausstellung von Sitzgelegenheiten. Es fehlen die Bilder an den Wänden. Unwillkürlich erinnerte ich mich der italienischen Palazzos, denen die Werke der Maler unvergänglichen Ruhm eintragen, neben den Trinkgeldern der vielen Fremden. Auch ein runder Thurmsaal ist da, dessen Fenster auf den Hafen hinaus gehen. Jedes Fenster bietet eine Aussicht wie ein Gemälde. Einfach wunderbar.

Was mich amüsirte, war der Speisesaal, in welchem zwei Anrichten standen von so elender Arbeit, daß sie kein Budiker bei uns sich hinstellen würde. Daran erkannte man, wie leicht es gewesen sein muß, dem verflossenen Khediven etwas aufzuhängen.

Wie ganz entgegengesetzt ist, was der Gemeinsinn der Alexandriner, das heißt der Kaufmannschaft geleistet hat. Eine freiwillige Besteuerung von jedem Centner der Ausfuhr hat ihnen die Pflasterung, vorläufig der Hauptstraßen, mit Lavaplatten aus Pozzuoli ermöglicht. Draußen in St. Stephano haben sie ein Klubhaus, das seines Gleichen sucht, und auf Brandstätten von den Ereignissen her erheben sich stattliche Neubauten.

Gar oft wurde von den Ereignissen gesprochen, nach denen überhaupt die neuere Zeit von den Alexandrinern berechnet wird. Es sind dies die fürchterlichen Wochen und Monate vor und nach dem 11. Juli 1882, an welchem die blühende Handelsstadt von den Engländern beschossen wurde.

Ob das Bombardement nothwendig war, darüber streiten die Völkerrechtsgelehrten noch, die tieferen Gründe sollen so verwirrt sein, daß die klügsten Leute vergeblich daran kämmen. So viel steht jedoch fest: Der alte Khedive hatte Aegypten derart auf den Damm gebracht, daß es bedenklich an zu rutschen fing und dem jungen Khediven schier unmenschliche Schulden hinterlassen. Damit die Zinsen richtig ausgezahlt würden, überwachten die europäischen Regierungen die ägyptischen Finanzen, denn nur mit dieser Bedingung ward weiterer Borg gestattet. Obgleich das Land somit halbwege unter Kuratel stand, befürchtete man Unheil, und die Großmächte fragten, wie liegt die Sache? Antwort war schwierig. Nun wurden allerlei Schiebungen gemacht, die Ordnung lockerte sich, das Militär ward aufständisch, und Arabi Pascha besetzte Alexandrien. Um diesen Befehlshaber der Rebellen einzuschüchtern, schossen die Engländer von ihren Kriegsschiffen auf die Stadt. Die erbitterten Einwohner rächten sich an den Europäern und sengten und erschlugen die Andersgläubigen, wo sie ihrer habhaft wurden, zumal die Pfaffen hetzten. Erst die Landung der englischen, deutschen und amerikanischen Marinesoldaten und die Hinrichtung ergriffener Mordbrenner machte dem Schrecken ein Ende.

Wenn die Sprache auf die Ereignisse kam, war es stets, als wenn ein gräßliches Gespenst ungesehen in das Zimmer trat, dessen Nähe den lauten Ton der Stimme dämpfte. Auch unser Landsmann, der ausgezeichnete Afrikareisende Professor Dr. Schweinfurth, wäre ein Opfer der ihn verfolgenden Meute geworden, wenn er nicht rechtzeitig die Wohnung Herrn Friedheims erreicht hätte, der mit ihm floh. Wir sahen den Balkon, von dem sie sich mit Lebensgefahr herabließen, den Palmengarten, der sie deckte, bis sie die Koptische Kirche gewannen, die ihnen Zuflucht gewährte. Wohl lasen wir damals in den Zeitungen von den Greueln, aber wo die stattfanden, waren ja nur kleine schwarze Punkte auf der Landkarte. Und doch ist jeder solcher Punkt ein Ort, an dem Menschen wohnen wie wir, die alle fühlen wie wir und zitterten, wie wir zittern würden, wenn wir mächtigen Schutzes entbehrten. Nun trat das Geschehene lebendig vor unser Auge, als wir aus dem Munde Herrn Friedheims das Miterlebte erfuhren. Daß sein sehenswerthes Privat-Bilder-Museum der Zerstörung entging, ist ein wahrer Glücksfall; alte Meister werden bekanntlich immer rarer.

Wäre nicht ein reges Geschäftsleben in Alexandrien, wie könnte es in so wenig Jahren wieder hoch gekommen sein? Einen kleinen Begriff von dem Handel erlangt man auf dem Minet el Bassal, dem Baumwollenmarkt, wo die Kaufleute ihre Kontore haben und die Landleute hundertweise mit den Baumwollenproben antreten. Die erhandelte Waare wird theils in Nilbooten gebracht, theils auf Kameelen, in weiten Speichern gereinigt und mittelst riesiger Dampfpressen zu schweren Ballen geformt, damit sie auf den Schiffen nicht zu viel Platz wegnimmt. In den Preßraum einer solchen Maschine hatte sich einmal während der Mittagszeit ein Negerjunge schlafen gelegt, dieweil es kühl darin war. Als aber die Arbeit wieder begann, füllte die Baumwolle den Raum, und die eisernen Wände drückten auch den Neger zusammen. Erst an dem fertigen Ballen, der bluttriefend aus der Presse rollte, erkannte man, was geschehen. Die mohammedanischen Arbeiter entsetzten sich zwar, gar bald kamen sie jedoch überein, daß Allah es gewollt, denn ohne Allahs Willen geht nichts auf der Welt vor sich, einerlei ob gut oder böse, wo doch Jeder Vernünftige sagen mußte, der Junge hatte selbst Schuld. Bequem ist es allerdings, den lieben Gott für jegliche eigene Dummheit verantwortlich zu machen, aber der Gleichgültigkeit und Nachlässigkeit wird dadurch mehr Herrschaft eingeräumt, als diese Art Frömmigkeit verantworten kann.

Dem arabischen Bazar widmeten wir ebenfalls unsere Aufmerksamkeit, obgleich er nichts Hervorragendes bietet. In engen Straßen befinden sich rechts und links die kleinen Buden der Handwerker und Kaufleute. Jede Gattung wohnt in einer Straße: die Tischler, die Schuster, die Schneider, die Klempner und Schlosser und was sonst an Gewerben denkbar ist. Die Stoff- und Zeughändler sind in langen Durchgängen beisammen, und nur vereinzelt werden Waaren von orientalischer Pracht angeboten. Zwischendurch zerstreut haben Kaffeewirthe ihre verräucherten Lokale und Garköche, die Hammelfleisch am Spieß rösten und vor den Augen Aller Gerichte aus Gemüsen, Reis, Seethieren, Muscheln bereiten, fremdartig anzusehen und gewiß auch fremdartig zu genießen. Nirgends trifft man Frauen oder Mädchen bei der Arbeit, Männer und Knaben besorgen die Geschäfte, welche bei uns den Frauen obliegen, wie Kochen, Waschen, Plätten, Nähen, Sticken und Stricken. Sie können auch nicht mitthun, da sie sich öffentlich nur verschleiert zeigen dürfen und die meiste Arbeit frei an der Straße vorgenommen wird. In ganz niederen Ständen besorgen jedoch die Frauen den Haushalt.

Dagegen schlurfen sie mit Vorliebe von einem Ladenfenster zum andern und im Bazar von Handelsmann zu Handelsmann, die Zeit mit Feilschen zu verbringen, denn Vorschlagen ist Sitte, und das Herunterdingen erfordert Stunden. Oft sieht man sie gemeinschaftlich auf Rollwagen verladen, die als uranfänglichste Omnibus dienen, in das Bad fahren, wo sie halbe Tage verweilen und unter sich sehr vergnügt sein sollen, singen, tanzen und sich putzen. Das Umhängetuch verbirgt dem Begegnenden die besten Kleider und den Schmuck, welchen sie zum Neid ihrer Freundinnen anlegen, obgleich es oft genug vorkommt, daß sie wiederum scheel sehen, wenn im Bade Andere ohne jegliche Zierrath über sind. So ein Wagen voll eingemummelter Weiber hat von Weitem täuschende Ähnlichkeit mit einer Fuhre blau überzogener Lehnstühle, dicht bei jedoch lassen sich die dunklen Augen erkennen und mitunter auch blau eintättowirte Muster auf der Stirn; die Nägel und Fingerspitzen haben sie dagegen mit den Blättern vom Hennastrauche brandroth gefärbt. Von den Wangen an, über Mund und Kinn fällt ein bis fast zur Erde reichender schwarzer, schmaler Schleier, der durch ein geringeltes Metallrohr, je nach den Vermögensumständen aus Gold oder Messing, gehalten wird. Das gut daumendicke Rohr hängt gerade vor der Stirn, und da sie das Uebertuch mit einer Hand vor dem Kopf zusammenhalten, damit ein Wind oder sonst ein Zufall ihr Gesicht nicht entschleiere, muß man rathen, ob es menschliche Wesen sind oder Lemuren, wie sie im Viktoriatheater herumspalkten, als die zweite Hälfte von »Faust« gegeben ward. Mir kam dieser unkleidsame Schleier so lange unerforschlich vor, bis ich im Bazar ein keifendes Weib sah, das seiner Galle Luft machte. Sie war ungeheuer munter unter der Nase, aber der Schleier bereitete ihr doch Hindernisse. Nun begriff ich, wie weise Mohammed gebot: er wollte ihnen den Munde verbinden, ohne das Athemholen zu verwehren. Außerdem kann kein Mann über die Frau eines anderen sprechen und sie hübsch oder häßlich finden, ihn weder bedauern noch beneiden. Sie soll ihrem Manne gefallen und nicht den Nachbarn, das ist der Sinn. Die Aengstlichkeit, mit der die Frauen ihr Antlitz den Blicken der Männer entziehen, mit Ausnahme des eigenen natürlich, geht so weit, daß sie sich selbst beim Gebet verschleiern, weil doch Allah ein Mann ist. Mit den Füßen sind sie dagegen ungenirt, sie probirten auf dem Bazar Schuhe an, als wären sie von häuslicher Verschwiegenheit umgeben.

Gehört der alexandrinische Bazar auch nicht zu den berühmten, so fesselt er den Ankömmling doch in hohem Grade, wie eine Scene auf der Bühne. Bei uns spielt man Komödie, wo es nur angeht, Jeder will Anderen gegenüber mehr vorstellen, als er ist; dort geben die Eingeborenen sich, wie sie sind, obgleich ihr äußeres Leben uns wie Komödie erscheint. Das liegt in den farbigen Gesichtern und den bunten Trachten. Eine Litfaßsäule erbleicht dagegen.

Wir blieben länger, als planmäßig vorgenommen war. Die Liebenswürdigkeit unserer Landsleute litt die Abreise nicht, und schwer ward uns das Scheiden von Alexandrien und dem Gartenstädtchen Ramleh.

So packten wir denn die Koffer. Wo aber mit dem dicken Ueberzeug bleiben, das für die Herfahrt unentbehrlich, in dem sommerlichen Klima überflüssig geworden war? »Weißt Du,« sagte ich zu meinem Karl, »wir bündeln es ein und verfrachten es an den Doktor, der meint dann, es käme wenigstens eine geräucherte Sphinx an. Das Gesicht, wenn er statt dessen deinen Winterkaftan auswickelt und meinen Mantel!« – »Keine derartigen Ueberraschungen,« erwiderte er. »So lustig sie auch beim Ausdenken erscheinen, so wenig erfreuen sie hernach den Getäuschten. Im Gegentheil, sie verbittern. Ich bin gegen solcherlei Späße.« – »Schaden könnte es nicht. Emmi wird durch ihn auch schon bedeutend groschensüchtig. Recht viel für die Kinder mitbringen, verlangt sie. Ich versprach ihr, nachzusehen, ob junge Pyramiden da wären.« – »Das kannst Du halten, die Du willst. Das Zeug wird an's Geschäft geschickt; ich lege verschiedene Sachen bei für die Fabrik, und damit Punktum.«

Mir war, als würden meine zartesten Gefühle von einem Brauerwagen übergefahren, denn böse hatte ich es nicht gemeint. Scherze bestehen doch meistens darin, daß Einer leicht angeärgert wird.

Wir hatten nach Kairo an das Hotel geschrieben, weil es hieß, der Fremdenzufluß sei außergewöhnlich stark, und Depesche erhalten, daß ein Zimmer zur Verfügung stände. Empfehlungsbriefe von den neu erworbenen Freunden in Alexandrien an Landsleute in Kairo eröffneten uns die Aussicht, auch dort nicht unter die Räder zu gerathen. Außerdem war Mister Pott da, der sich entschloß, denselben Zug zu benutzen. Dies war um so vortheilhafter, als er das Reiseleben angenehm zu gestalten verstand, ohne Lärm und Aufsehen zu erregen. Eines Morgens, als in dem zum Frühstück gereichten Honig endlose Fliegen krabbelten, sagte er dem Kellner mit ausgesuchter Höflichkeit, er glaube, die Gäste würden ihm dankbar sein, wenn er den Honig für sich servirte und die Fliegen für sich, damit Jeder sie nach eigenem Geschmacke mischen könnte. Seitdem bekamen wir den Honig unlebendig.

 

 


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