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Denderah. – Der Samum. – Bei den Straußen. – Schloß Gesihre und Lauchhammer. – Der Leutnant und die Haremswächter. – Zwilchhammers Unglück. – Beim Schech-es-Sadat. – Tanzende und heulende Derwische. – Die Mumien der Pharaonen. – Eine Koptische Hochzeit. – Wozu lange Traureden gut sind.
Die Rückfahrt auf dem Nildampfer – ›Amkeh‹ hieß er – gestaltete sich zu einer recht geselligen. Am Tage: Betrachtung der Gegend, ungemein bildende Gespräche, verschrobene Bücheransichten von Zwilchhammer, der seine letzte Platte daran wandte, ein Gruppenbild von uns zu nehmen, Zorn des Leutnants, dessen großer Koffer nie den richtigen Platz fand, und am Abend ein kleiner Nil-Skat: das war unser Lebenswandel. Bei Kenneh wurde etliche Stunden Halt zur Besichtigung des Hathortempels bei Denderah gemacht. Eselritte, Schutthügel, Bakschischfellachen waren wie gewöhnlich, der Tempel dagegen ist fast unbeschädigt. Würde die Malerei aufgefrischt und räucherte man die Fledermäuse aus, wäre er ein Pomp Aegyptens. Das Portrait der Kleopatra ist an der Außenwand noch erkennbar, wenn sonst auch die Angesichter der halberhaben gearbeiteten Figuren, wie überall, ausgekratzt, und die Sphinxe und Statuen geköpft sind. Was die Mohammedaner stehen ließen, kleben jetzt nachträglich die Wespen fest zum, die ihre Nester in den Vertiefungen der Inschriften und den Umrissen der Wandfiguren anlegen. Haushohe, bilderreiche Mauern sind von den fleißigen Thieren verkrustet, als wären sie mit Nilschlamm überzogen. Ob nun die Kleopatra ähnlich ist, wer kann das sagen? Jedenfalls sah sie hübscher aus als alle ägyptischen Antlitze, die das Schicksal vor der Zerstörung bewahrte. Von Leibe war sie lang und rank, und ihre etwas dicken Lippen lächelten. Das werden die Wespen ihr wohl nächstens besorgen.
Lobenswerth fand ich, daß der Tempel gegen das Eindringen der Fellachen abgesperrt ist, obgleich der Aufenthalt in der großen Halle Gesellschaft wünschenswerth macht, denn oben an den Säulen sind nach jeder Himmelsrichtung die Gesichter der Göttin Hathor angebracht, und von allen Seiten glupen die Augen der ägyptischen Liebesgötzin auf Einen herunter. Anfangs amüsirt einen das, schließlich aber wird man bange. Unter den Fellachen, die am braunstaubigen Ufer mit Antiquitäten und Früchten hökerten, war ein Mädchen von vielleicht acht bis neun Jahren von einer so hinreißenden Schönheit, wie ich seither in diesen Gegenden nicht sah. Das Ebenmaß der Glieder, die Feinheit der Hände und Füße, das liebreiche Gesicht mit Augen, wie ein Reh, sind nicht zu beschreiben. Das blaue Lumpenhemdchen zeigte mehr, als es verhüllte, und wie sie so dastand, die Frucht der Dumpalme mit rührender Anmuth anbietend, glich sie einer Bronzestatue aus Künstlerhand. Wir nannten sie die kleine Kleopatra, um sie der Erinnerung einzuimpfen. Mitten im schreienden Gesindel war sie ein himmlisches Geschöpf.
Der Postdampfer kam von Kenneh wieder zurück, holte uns ab, und weiter ging es. Am Abend sollten wir in Girgeh sein, wo große Messe mit allen möglichen Jahrmarktsbelustigungen abgehalten wurde, auf die der Postkapitän unsere gesammte Neugier lenkte. Als wir jedoch vor Girgeh anlangten, rannte das Schiff auf eine Sandbank und wir saßen fest. Die Dampfpfeife heulte. Nachen kamen vom Ufer, die Post zu holen und Männer zu bringen, uns flott zu machen. Die Wilden sprangen ins Wasser und schoben. Dabei sangen sie: ›Timsach, Timsoch.‹ – Timsach heißt Krokodil. Ob das ihnen helfen sollte? Nach einer Stunde Timsach-Timsoch-Geschrei bewegte das Boot sich vorwärts, hackte aber gleich wieder an.
»Drüben sind die Meßvergnügten und wir sind die Mißvergnügten,« sagte mein Karl. – »Solche Witze verbitte ich mir,« entgegnete ich. »Dafür ist mir der Nil zu heilig. Laß' uns lieber einen kleinen Skat unternehmen.« – Wie Recht ich diesmal hatte, ging darauf hervor, daß ich zwanzig Piaster gewann. Schön mitzunehmen, die zwei Märkelchen. Hätten sie Piaster Tarif berechnet, wären es vier Mark gewesen, aber da der Spielsold mir zuflog, wurden Piaster Kurant gemeint, die blos die Hälfte gelten. Sogenannte Eden suchen stets zu schädigen.
Am Nachmittag des folgenden Tages waren wir in Assiut. Wir ritten in die Stadt, wo auf dem Marktplatz lustiges Leben herrschte. Tänzerinnen und Sängerinnen fanden den Beifall der Menge. Wir wurden, nach dem Gelächter der Wilden zu schließen, mit Spottliedern angesungen, als wir, auf den Eseln haltend, zusahen. Einige in das Tamburin geworfene Münzen schienen jedoch den Text zu ändern, denn die jetzt geleisteten Verse wurden von den umstehenden Wilden mit lautem »Ya Salahm« und anerkennenden Blicken auf uns begleitet. Auch den Bazar durchritten wir, der sich noch echt orientalisch erhalten hat, handelten Räucherwerk und einige rothe Thonpfeifen zum Mitbringen ein, worauf wir wieder an Bord gingen, allwo wir die Nacht verblieben.
Der Eisenbahnzug brachte uns am nächsten Tage nach Kairo. War die Hinfahrt schon grausam, die Rückfahrt überbot die Marterei um Vieles. Die Luft wurde schwüler und schwüler, der Himmel war weißlich grau, als sei Mehl ausgebeutelt: es wehte Chamsihn. In der Wüste heißt dieser Wind Samum, bläst er heiß aus Südwest herüber, nennt man ihn Chamsihn. Er pflegt zwei bis drei Tage anzuhalten, verschwindet und stellt sich beliebig wieder ein. Dies Spiel dauert fünfzig Tage, und daher hat er den Namen, denn Chamsihn ist so viel wie fünfzig. Ich war dem Wiener Doktor für die Erläuterung sehr dankbar, aber mein Gehirn glich einem ausgedorrten Acker ohne große Empfänglichkeit, und deshalb sagte ich: »Herr Doktor, ich kann Ihnen nicht folgen. Die Wilden haben den Aequator zu stark geheizt.«
Auf der Station Bulak-Dakrur war der telegraphisch bestellte Wagen vom Hotel; jedoch für uns und das Gepäck dreiviertel zu klein. Trotzdem wurden wir fest darauf mitsammt dem Timsach, wie wir das Ungethüm von Leutnants-Koffer benamsten, nur frage man nicht wie? Es waren ebensoviel Gliedmaßen außerhalb der Karrete, wie drinnen. Die Schwärze der Nacht bedeckte gnädig diese Fuhre und unser Erröthen.
Im Hotel waren Briefe. Zu Hause stand Alles wohl, von den letzten Tagen konnten auch noch keine Mittheilungen darin sein. Die französisch erscheinenden Zeitungen Kairos brachten dagegen eine Depesche, die bestimmt meldete, daß Kaiser Friedrich sich von San Remo nach Charlottenburg aufgemacht. Weder Schnee noch Kälte noch die ununterbrochene Fahrt hatten Schaden gethan, im Gegentheil, über den Gesundheitszustand lagen die günstigsten Nachrichten vor. Das Alles erfüllte uns mit Freude und Hoffnung. Mehrmals mußte der Leutnant diese frohe Botschaft vorlesen, so unerwartet, so köstlich war sie. Mit welcher Spannung wir den deutschen Zeitungen entgegensahen, empfindet nur, wer, wie wir in den letzten Tagen, wußte, daß gewaltige Veränderungen vorgingen, ohne Näheres darüber erfahren zu können. Jetzt standen wir wenigstens halbwegs mit der Welt in Verbindung. –
Kairo war uns bekannt und dennoch wieder neu wie am ersten Tage; das Getümmel der farbigen Menschheit hatte Nichts von seiner Anziehungskraft eingebüßt. Und nun erst die nähere und weitere Umgebung der Stadt. In Sakkara fanden wir die Gräberherrlichkeit Oberägyptens wieder, nur daß die Stufenpyramide und die merkwürdigen Apisgräber mit den ungeheuren Steinsärgen der balsamirten Stiere Novitäten waren. Dann Helwan, der Badeort mit seinen Schwefelquellen die so sehr gesund sein sollen. Wenigstens schickt man die Lungenleidenden, welche von Europa nach Kairo weggeschafft werden, aus der staubigen Stadtluft hierher. Mit will es scheinen, daß zwei Tage Chamsihn einem Schwindsüchtigen mehr Kräfte nehmen, als wochenlanger Aufenthalt in dem milden Klima Aegyptens ihm geben kann. Ein kranker Nordländer muß in der Hitze erschlaffen, und was hat er dann zuzusetzen? Dagegen hat die Stärkungskur, wie sie auf Falkenstein im Taunus von Dr. Dettweiler geleitet wird, durch ihren abhärtenden Einfluß heilsame Erfolge, wie ich aus bekannten Kreisen weiß. Das Schädlichste ist Verpimpeln.
Auch nach Heliopolis machten wir eine Ausfahrt. An dem Wege dahin liegen das europäische Hospital, die Sternwarte, Kasernen und das Palais des Vizekönigs Taufick, mit Hütten untermengt. Dann kommt, von Gärten umgeben, das Dorf Matariye, wo der Baum steht, unter dem einst die heilige Familie auf der Flucht nach Aegypten gerastet haben soll. Der jetzige Baum, eine Sykomore, ist jedoch im Jahre 1672 neu gepflanzt, weil sein Vorgänger abgestorben war. Die Balsamstaude, von welcher der Balsam stammt, mit der die Königin von Saba Salomon beschenkte, wuchs früher hier. Der alte beturbante Gärtner reichte uns einige streng riechende Blätter von einem Strauche, aber der Leutnant schwor Stein und Bein, es seien keine Balsam-, sondern Mastixblätter. Es wird ja auch nichts so sehr gefälscht als heilige Orte. Wir tranken einen Becher klaren Wassers aus dem Schöpfbrunnen, dessen doppelte Räder Tag für Tag von Büffeln getrieben werden müssen, damit der Garten grün bleibt, und fuhren dann nach Heliopolis, wo sie in den ältesten Zeiten den Vogel Phönix hatten, der sein Nest anzündete, sobald er sich bei Jahren fühlte, und verjüngt aus der Asche flatterte, wie man immer in den Zeitungen liest, wenn für einen Umbau Reklame gemacht wird. »Das Verbrennen macht Siemens bedeutend verbessert,« sagte ich; »blos das verjüngte Fortfliegen hat er noch nicht heraus.« – Der Wiener Doktor erklärte das Ganze für eine, mit dem Sonnendienst zusammenhängende Sage, dem in Heliopolis ein Tempel erbaut war, der nach dem Buche zwölftausend Priester, Beamte und Unterbeamte beschäftigte, die Zwilchhammer natürlich wörtlich glaubte. Die Tochter eines dieser Priester war die Gemahlin Josephs, der damals das Korn-Monopol erfand und von Pharao mit dem Lande Gosen dotirt wurde, das bei Heliopolis seinen Anfang nahm. Hoher Schutt hat sich um den Obelisken gehäuft, der allein übrig geblieben ist, und wo einst Künste und Wissenschaften so in Blüthe standen, daß die griechischen Weisen, wie z. B. Plato, dort in die Lehre gingen, werden jetzt Strauße auf Aktien gezüchtet, und kann man gegen Entree die Erzeugung der Straußfedern von Anfang an miterleben. Da sind die mit Petroleumlampen erwärmten Brutkästen, der Sonnenladen, durch den vom Dunkeln aus das Wachsthum um Ei verfolgt wird, die Ställe und Gehege für die jungen Strauße und die Laufplätze für die alten. In einem dreiviertel mit Sand, Kies und sonstigen Unverdaulichkeiten angefüllten Eimer wurde der Inhalt eines krepirten Straußenmagens gezeigt, wovon der Führer uns eine Handvoll zum »Souvenir« anbot. Unserm Bedenken, daß durch solche Freigebigkeit diese Sehenswürdigkeiten der Anstalt sich bald auf den leeren Eimer beschränken werde, begegnete er mit dem Geständniß, daß sie immer wieder Steinchen nachfüllten. Es lag auch genügend Reliquien-Vorrath draußen. – Ich kaufte einige Federn, frisch ausgerupfte Qualiteh für Emmy, bin aber doch noch im Zweifel, ob ich sie mir nicht selbst anthue.
In der Abendkühle fährt die vornehme Welt auf Gesihre spazieren. Dies ist eine vom Nilarme umschlossene Insel, mit Alleen und Anlagen, Kaffeehäusern, Spielplätzen für die englischen Offiziere, einer Rennbahn, und dem Schloß Gesihre, das von Franz Pascha in den sechziger Jahren für den Vizekönig erbaut wurde. Da das Schloß bewohnt wurde, durften wir es nur von Außen betrachten, dagegen war der Kiosk betretbar, der als das schönste moderne arabische Gebäude Aegyptens bezeichnet wird. Die offene Mittelhalle und der Springbrunnen sind aus Eisen und in Lauchhammer gegossen. Die Hinfracht allein hat über vierzigtausend Mark nach unserem Gelde gekostet. Hiernach läßt sich das Uebrige ausdividiren, wenn man von anderen Kleinigkeiten noch zwei Onyxkamine im Schlosse hinzurechnet, die zusammen mit hundertzwanzigtausend Mark bezahlt worden sind. Uns war es angenehm, zu hören, daß bei diesen Bauten vielfach deutsche Arbeit verwendet war, wenn auch die meisten Möbel und Möbelstoffe aus Paris bezogen wurden. Aber hatten wir in Deutschland dazumal ein Kunstgewerbe wie jetzt, daß es den Völkern sagen konnte: Seht her, was wir leisten, und kauft? Man fing eben an, daran zu denken. Das Einrichten von Gewerbemuseen ging erst los, die alten Muster wurden aufgesucht und werthgeschätzt. Der ganze Geschmack wurde unermüdlich durch Ausstellungen, illustrirte Blätter und Nachbildungen schöner Sachen bearbeitet, bis wir unmerklich in das Stilvolle hineinglitten und die kunstgewerbliche Ausschmückung des Alltags unentbehrlich ward. Wie sehen jetzt die öffentlichen Gebäude aus, die Bahnhöfe, die Läden, die Dekorationen auf den Theatern, die Gemächer der Vornehmen, die Stuben der Bürgerlichen? Kein Vergleich gegen ein Früher von knapp fünfundzwanzig Jahren. Und gar erst die Bierpaläste! Das sind Extra-Spezialitäten, bei denen das denkende Gemüth die Frage aufwirft: Wie kann Wasser so große Dinge thun?
Wir waren zu jener Zeit nicht so weit und deshalb ging das schwere orientalische Gold nach Paris, wenn die Sultane, Paschas und Reichen ihre Paläste dem europäischen Geschmacke nachgepaßt haben wollten. Was aber nützt dem Muselmann ein dünnbeiniger Pariser Salonstuhl, da er sich doch daneben auf seinen Natursitz niederläßt?
Die großgedachten Gartenanlagen mit Teichen und Grotten, indischen Gewächsen und seltenen Bäumen entbehren der Pflege und auch die leeren Käfige der vizeköniglichen Menagerie verrathen Einschränkung der Ausgaben. Ein Geier, ein Flamingo, eine Antilope, deren Hörner aussahen, als wenn sie Spazierstöcke auf dem Kopf trug, und eine Kaninchenfamilie bildeten den Bestand. Von den Löwen und Tigern waren nur noch die Gitternummern übrig. Denselben geldmangelnden Eindruck machte das Schloß Giseh, das hart an der Pyramidenstraße liegt. Die Kassura frißt ungehindert um sich. Es ist sehr bedauerlich, wie so bitter wenig für die Erhaltung der Bauten geschieht, die Millionen verschlungen haben. Und alle diese Summen entstammen dem Nil, der das Land befruchtet: der trägt die Kosten.
Das Korsofahren auf der Insel Gesihre ist im höchsten Grade fesselnd. Ueber die Nilbrücke rasseln die Equipagen heran, die Vorläufer in reicher goldgestickter Tracht vorauf. In den Straßen machen die Läufer dem Wagen Platz, hinter der Brücke bleiben sie zurück und warten bis zur Heimkehr der Herrschaft.
In den offenen Kutschen sieht man die elegantesten Toiletten der europäischen Damen sowohl wie die der Haremsfrauen, die natürlich verschleiert sind, aber nicht schwarz wie die Weiber des Volkes, sondern nach türkischer Weise mit weißem, halbdurchsichtigen Muslin. Reiter zu Pferde und auf Eseln, englische Offiziere, arabische Stutzer in schwarzen Kaftans und farbigen seidenen Untergewändern suchen die Aufmerksamkeit der Fahrenden auf sich zu lenken und der Himmel mag wissen, was sich da Alles anspinnt. Umsonst schneiden die schwarzen Haremswächter auf dem Kutscherbock wohl keine so grimmigen Gesichter, als wollten sie ungemüthlich werden. Ich hatte meine liebe Noth mit dem Leutnant, bis er wenigstens die Butzenscheibe nicht mehr ins Auge klemmte.
Vor einigen Jahren war die Schubra-Allee der Sammelplatz der spazierenfahrenden feinen Welt, jetzt dagegen ist die Gesihre Mode geworden.
Der siebente März war der ernste Tag, an dem die Deutschen Kairos den Trauergottesdienst für unsern heimgegangenen Kaiser feierlich begingen. Die protestantische Kirche hatte nicht Raum für Alle, die gekommen waren; Viele blieben in dem Vorgarten, um den vizeköniglichen Ministern, den englischen Stabsoffizieren und den Angehörigen der Konsulate anderer Staaten den Vortritt zu lassen. In den zur Kirche führenden Straßen bildete das ägyptische Militär Spalier und Wagen auf Wagen mit Herren und Damen in tiefer Trauer fuhren vor. Die englische Militär-Kapelle führte die Musik während des Gottesdienstes aus. Herr Pastor Boit sprach schlicht und innig die Rede zum Gedächtnisse Wilhelms des Siegreichen und Gütigen, und in gemeinsamem Gesange vereinigten sich die Stimmen der leidtragenden Kinder des fernen Vaterlandes.
Am Nachmittage wurden Briefe geschrieben; man mußte sich mit den Seinigen aussprechen. Wie wir nun in diese, durch die Hitze des Tages erschwerte Arbeit versunken da sitzen, klopft es. Mein Karl, der nicht daran denkt, daß ich mich der afrikanischen Kleidlosigkeit hingegeben, ruft »Herein«. Ich habe kaum Zeit mich in den Plaid zu wickeln, der glücklicherweise zur Hand lag, als Herr Zwilchhammer auch schon eintritt. »Na nu?« frage ich. »Was ist denn los? Sie sehen ja aus, als sollten Sie hingerichtet werden?« – »Ach,« rief er, »es ist Alles vorbei, alle Mühe, alle Arbeit vergebens.« – »Ich habe mir gleich gedacht, daß Ihr Kuckkasten nicht gehen würde.« – »Um den handelt es sich nicht, . . . aber meine Platten, . . . meine Platten!« – »Herr Zwilchhammer, für Parlamentsreden haben wir keine Zeit. Also bündig heraus damit: was ist Ihnen?« – Sich kurz fassen, ist ihm nun einmal nicht angeboren, man muß ihn darauf stoßen.
Nun kam denn das Unglück zum Vorschein. Er hatte mit einem Photographen in Kairo das Uebereinkommen getroffen, in dessen Dunkelzimmer die Aufnahmen von Oberägypten herauszuarbeiten, und ihm dafür eine Entschädigung zu zahlen. Das war vernünftig. Aber wie er die Angelegenheit anfing, das war richtig zwilchhammerisch. Er also die Plattenkasten genommen, und einem Wilden zum Hintragen gegeben. »Ging der Wilde damit durch?« fragte ich. – »Er lieferte sie richtig ab. Aber als ich die erste Platte entwickelte, ward sie über und über schwarz, und so die zweite, die dritte und vierte. Alle, alle wurden schwarz.« – »Hatten Sie denn lauter Neger aufgenommen?« – »Sie spotten noch über mein Geschick. Es war Licht an die Platten gekommen, helles afrikanisches Sonnenlicht.« – »Wie ging denn das zu?« – »Ich dachte nicht an die Neugier des eingeborenen Packträgers. Der hat unterwegs den Kasten geöffnet, um zu sehen, was darin war?« – »Mit Gewalt aufgebrochen?« – Herr Zwilchhammer ließ den Kopf hängen und besah sich den Fußboden. »Ich hatte ihm die Schlüssel mitgegeben,« gestand er bedrippt. – »»Die Schlüssel zu den Plattenkasten?« – Er nickte blos noch. – »Ist unsere Gruppe auch hin, die Sie auf dem Schiffe aufnahmen?« – »Die Platte befand sich noch in der Kassette.« – »Gut. Hiervon werden wir Alle mehrere Abdrücke nehmen, daß Sie wenigstens Handgeld haben.« – »Ich hoffe, sie wird wenigstens theilweise brauchbar sein,« sagte er mit auffälliger Unsicherheit im Tonfall. – »Zeigen Sie mal her.« – Er gab uns die Platte. – »Was sind dann das für welche, die mit den Hörnern?« fragte ich, nachdem ich das photographische Erzeugniß seiner Fähigkeiten durchgegrübelt hatte. – »Ich vergaß, daß diese Platte schon einmal belichtet war,« entgegnete er verlegen. »Ich hatte eine Büffelheerde darauf aufgenommen. Die ist nun zwischen die Gruppe gerathen.« – »Und wie! Ich habe vier Ochsenbeine gekriegt, und meinem Karl sieht so'n Apis durch die Weste. Herr Zwilchhammer, auf dieses Historienbild können wir leider nicht abonniren. Onkel Fritz hat Familie, wenn der es sähe, der kriesche seine Kinder zu Waisen.« – Er zuckte schmerzlich mit den Mundwinkeln. »Auf Oberägypten hatte ich gerechnet,« sprach er verzagt. »Das übrige Land ist längst abphotographirt. Fast jeder Reisende hat einen Apparat mit sich, wohin man kommt, sind Photographen, entweder vom Fach, oder Dilettanten. Woher soll ich nun die Mittel nehmen, meine optischen Pläne zu verwirklichen, meine Erfindung zu konstruiren und zu patentiren? Warum wird überall geschrieben, Afrika sei das Land der Zukunft, und von der Konkurrenz kein Wort erwähnt? O, die verfluchte Druckerschwärze.«
»Herr Zwilchhammer,« verwies ich ihm, indem ich mich, in das Plaid gehüllt, ziemlich pharaonenhaft erhob, »solche Stoßseufzer verletzen nicht nur mein Ohr, sondern die gesammte Kultur. Druckerschwärze und wohlfeiles Petroleum sind die Grundelemente des Fortschritts.« – »Wilhelmine, kniee nur nicht zu tief hinein,« warf mein Mann dazwischen. – »Karl, Deine Lebensaufgabe ist Wolle, was redest Du? Herr Zwilchhammer sieht jetzt ein, daß es in den überseeischen Welttheilen ebenso schwer ist, ein Geschäft anzufangen, wie im eigenen Lande. Wohin man kommt, sitzt von Einer von derselben Sorte. In Kamerun mag es leichter sein, aber ist da menschenwürdige Bildung?« – »Wilhelmine, spare Deine Leitartikel. Herr Zwilchhammer hat Verluste gehabt, darum handelt es sich.« – Er zog seinen Rock an und verschwand mit ihm.
Als mein Karl wiederkam, sagte er: »Ganz ohne Mittel ist Zwilchhammer nicht, wenn seine sonstigen Aufnahmen etwas taugen, sind die Auslagen nicht verloren.«– »Wie viel hast Du ihm geliehen?« – »Findet er eine Stellung bei einem Photographen, gelingt es ihm hoffentlich, sich zu halten. In der Fremde ist Mancher mit einer bescheidenen Existenz zufrieden, die er aus anerzogener Großspurigkeit in der Heimath für Schande hält. In dieser Beziehung sind wir trotz Druckerschwärze und Petroleum zurück.« – »Karl, laß das Sticheln unterwegs. Der Mensch muß nach Höherem sterben; nicht Jeder kann Hausknecht werden.« – »Das ist unumstößlich wie Gußstahl. Ich meinte, Du wolltest Briefe schreiben?«
Nur mit sorgfältiger Zeiteintheilung konnten wir Kairo einigermaßen ausgrasen. Da war noch die Insel Rhoda mit dem Nilmesser, an dem das amtliche Schwellen des Stromes und die Steuer der Fellachen festgestellt werden. Je höher das Wasser in dem Brunnen, um so höher die Steuer, wo sie bei uns jetzt nach beeidigter Selbstschätzung steigern. An dem Ufer dieser Insel soll Pharaos Tochter den kleinen Moses gefunden haben, der nachher ein so großer Mann wurde, und ein heiliger Baum steht dort, der dicht mit Lappen behangen ist. Wer ein krankes Glied hat, umwickelt dasselbe mit einem Tuche, und bindet dieses dann um einen Zweig des Baumes, worauf Gicht und Plage heilen. Mir fiel die Grunerten ein, welche ähnliche Sympathie mit dem Hollunderbusch trieb, als die Zahnschmerzen meinen Karl folterten, und oft, wenn ich solche Fetzen zu demselben Zwecke an die Gitterfenster mohammedanischer Kapellen geknüpft sah, dachte ich: sonderbar, wie weltverbreitet doch so'n Aberglaube ist. Hier sind Waggonladungen von Aufklärung nöthig.
Links vom Eingange der Muski ist ein Thorweg, über dem ein altägyptisches geflügeltes Sonnenrad und der Name »Parvis« angebracht sind. Tritt man ein, findet man erst einen Lebensmittelmarkt und kommt dann in die Möbelfabrik und Niederlage von Parvis, deren Besichtigung uns dringend aufgetragen war. Was wir sahen gleich einer Gewerbeausstellung von Möbeln in altarabischem Stile, geradezu entzückend. Uns waren im Kiosk von Gesihre bereits Spinden und Anrichten von eingelegter Arbeit und eigenartiger Form aufgefallen und nun befanden wir uns an der Quelle. Diese feinen Gitterwerke – die Mascherabiyen – in den Spindenthüren, die Mosaiken von Elfenbein, Perlmutter und farbigen Hölzern, diese niedrigen Tischchen, Lesepulte, Eckschirme, Divans mit Goldstickerei, Metallkrüge, Hängelampen, das Alles war köstlich. Unser Leutnant bekam unbändige Lust zum Heirathen, blos um sich mit solchen Möbeln einzurichten. Vorläufig ließ er sich an einer hübschen Auswahl für sein Rauchzimmer genügen.
Herr Parvis, ein Italiener von Geburt, hat klein angefangen, jetzt besitzt er ein Weltgeschäft. Und wodurch? Dadurch, daß er sich ganz in die altarabische Kunst einarbeitete, anstatt den französischen Fludder nachzuahmen. Die Araber mißachteten das, was ihre Vorväter im Kunstgewerbe leisteten, und ließen es verkommen, ihnen war das sogenannte Moderne von draußen her lieber; Parvis aber fand das Alte schöner und seinen Geschmack theilen die Fremden, die nun bei ihm bestellen. Er führte uns in den Palast des Mufti, in einen Saal, der im Einsturz begriffen ist. Tausende bot er dem Mufti für die Ruine, um sie ergänzt bei sich aufzustellen, aber der Mufti sagte: »Nein.« – Die glasirten Kacheln fallen von den Wänden, die Decke ist auf den Mosaikspringbrunnen gestürzt, die bunten Glasfenster sind nur noch Scherben, die gezackten Marmorflächen an der Wand, über die das Wasser rieselte, worauf dann das farbige Licht der Fenster fiel, sind geborsten, die goldbemalten Tragebalken drohen Menschen zu erschlagen, Gräuel der Verwüstung erfüllt den Raum. Jetzt hat Herr Parvis dem eigensinnigen Mufti den Saal abgemiethet, und ahmt ihn auf das genaueste nach, den Besuchern seiner Werkstatt zu zeigen, wie phantasievoll und herrlich die Kunst in diesem Lande war. Der Mufti ist ein solches Gnuff, daß er auch nicht die kleinste Klamotte von dem Schutt hergiebt.
Ein anderer altarabischer Saal, gut erhalten, wenn auch durch etliche Pariser Zuthaten entstellt, ist in dem Hause des Schech-es-Sadat, welcher Häuptling der Nachkommen des Propheten ist. »Frau Buchholz muß den Schech und das Haus sehen,« sagte Graf Arco, der uns dort einführte. Der Schech, in hellviolettem Hermelin-Kaftan, mit grünem Turban auf dem Haupte und recht wohl genährt, war sehr zuvorkommend. Der Konsulatskawasse in seiner reichen Livree redete als Dolmetscher. Wir wurden auf Divans genöthigt, und kaum saßen wir, als vier Diener, mit den abgelegtesten europäischen Anzügen angethan, in Strumpfsocken aufmarschirten. Der mittelste brachte auf einem Teller von getriebener Arbeit das Kaffeegeschirr, das mit einer reich goldgestickten rothen Sammetdecke verhüllt war, und schenkte ein, nachdem er diese über die Schulter geschlagen. Die anderen Drei ergriffen gleichzeitig die Täßchen, welche in edelsteinbesetzten Becherchen aus Silberfadenarbeit standen, und boten sie so gleichzeitig an, daß Keiner auch nur eine halbe Sekunde später bedient wurde, als die anderen. Zögerung wäre gegen den Anstand gewesen. In derselben Weise wurden Zigaretten gereicht. So viel Gäste anwesend sind, so viel Diener müssen aufwarten.
Viel hübscher hätte es ausgesehen, wenn die Muffis arabisch gekleidet gewesen wären, aber in den Augen des Schechs waren mühlendämmrige Röcke und Hosen vornehmer als die landesübliche Tracht.
Leider machen wir ähnliche Mißgriffe. Wie liegt z. B. das Vornehme, wenn wir statt »danke« und »Verzeihen Sie« uns mit »merci« und »pardon« aufputzen. Dieselben Worte braucht in Frankreich jeder Stallknecht. Wo also sitzt ihre Feinheit?
Mein Karl meint zwar, man müsse Jedem sein Vergnügen lassen, aber wie meilenweit die Ansichten über Vergnügen auseinander gehen, das haben mit die tanzenden und die heulenden Derwische beigebracht. Wenn die Leute überzeugt sind, daß sie Allah'n einen besonderen Gefallen thun, so ist das ihr Standpunkt, der meinige befindet sich am entgegengesetzten Ende.
Das Kloster der tanzenden Derwische verräth von Außen nicht viel Heiligkeit und inwendig gleicht es einem Zirkus. Ein runder Saal, dessen Mitte ein mit niedrigem Holzgeländer abgesteckter Kreis einnimmt, bildet den Schauplatz. Die Zuschauer stehen außerhalb des Kreises oder hocken sich hin, wenn sie Gläubige sind und mit beten.
Wir mußten lange warten, ehe die Vorstellung begann. Dann schritt ein gebückter Greis in den Kreis, dem etwa anderthalb Dutzend Derwische folgten. Sie hatten farbige Umschlagtücher übergeworfen und trugen hohe, hellbraune Filzkappen auf dem Kopfe. Der Alte kauerte sich auf einen Teppich, dem Eingange gegenüber, die jüngeren Derwische stellten sich an dem Geländer auf. Nun wurde ein langer Salm gesungen. Mit dem gläubigen Niederwerfen und Wiederaufstehen dauerte dieses Vorspiel geraume Zeit. Darauf erklang von einer oberen Gallerie, die für mohammedanische Frauen zum Theil vergittert war, eine langsame, klagende Flötenmusik. Dreimal umwandelten die Derwische im Gänsemarsch den Kreis, und so oft sie an dem Teppich vorüberkamen, reichten sie sich die Hand und machten eine Art von Verbeugung. Dies war die Polonaise.
Die Musik nahm jetzt eine schnellere Gangart an, die Derwische warfen den Umhang ab und standen plötzlich weißgekleidet da. Eine Aermeljacke und ein langer, bis an die Enkel reichender, in der Hüfte enger, unten sehr weiter Faltenrock war die Tracht. Wie auf Kommando fingen Alle, bis auf den Alten, sich an zu drehen, daß die weißen Weiberröcke sich blähten und die Derwische aussahen, wie die Brummtriesel.
Dabei streckten sie die Arme seitwärts, die rechte Hand emporgerichtet, die linke abwärts. Das Haupt neigten sie der rechten Schulter zu und schlossen die Augen, als schliefen sie dreiviertel. Mit den bloßen Füßen gaben sie sich auf dem glatten Boden den richtigen Schwung, und obgleich sie Alle in lebhaft kreisender Bewegung wirbelten, berührte dennoch keiner den Anderen mit dem Saum des weit abfliegenden Gewandes.
Nach etwa zwanzig Minuten verließen wir die religiösen Solowalzer-Tänzer und stiegen in den Wagen, um die heulenden Derwische aufzusuchen, die an demselben Tage arbeiteten.
Die Vorstellung war bereits in vollem Gange, als wir ankamen. Wild fanatisch aussehende Kerle mit langen Bärten und lang herabhängenden Haaren standen im Halbkreise in dem Kuppelraume ihrer Moschee. Der Vorbeter gab ihnen die Touren an. Erst machten sie, ohne sich vom Platze zu rühren, langsame Verbeugungen und riefen jedesmal ›uch!‹ Dann wurden die Beugungen des Körpers rascher und niederer, die Arme und Köpfe schlenkerten, die schwarzen Mähnen flogen und das ›uch! uch! uch! uch!‹ nahm an Geschwindigkeit zu, als wenn eine Lokomotive auskratzt. Die Musik feuerte nach, gräßliche Trompeten und Pauken, die bis dahin geschwiegen, wurden losgelassen und die Wuth der Grölenden steigerte sich ins Unmenschliche. Thierisches Gebrüll kam aus dem schäumenden Munde, das Weiße der Augen unterlief mit Blut, und als wären die Körper aus den Gelenken gedreht, zappelten die Gliedmaßen. Immer ärger rasselten die Trommeln und gellten die Trompeten und immer wahnsinniger wurde das Rasen. Dann verstummte die Musik. Keuchend und stöhnend hielten die Derwische inne, ordneten das schweißtriefende Haar und kamen allmälig wieder zur Besinnung. Nach einer kurzen Pause begann die künstliche Tobsucht aufs Neue mit dem langsamen ›uch! uch!‹ Man sagte uns, nun würde es erst schön, bei den Wiederholungen gäbe es Krämpfe und Ohnmachten, aber ich ließ mich nicht halten. »Auf dieses Vergnügen verzichte ich,« antwortete ich dem Manne, der das Trinkgeld für den gehabten Genuß einsammelte. – Was für Unfug die Menschen anstellen, um dem lieben Gott angenehm zu sein, das ist schier vernunftwidrig.
Den folgenden Morgen verwandten wir auf das Museum in Bulak. Sobald Geld genug in den khedivialen Bänken ist, soll ein Prachtbau in dem Esbekiye-Garten für die Schätze des Alterthums errichtet werden, welche unter ihrem jetzigen Dach und Fach nicht einmal Raum zur Aufstellung finden. In dem Garten des Museums erhebt sich das Grabmal Mariette's, dessen Verdienst um die Erforschung Alt-Aegyptens und um die Begründung der Sammlungen Weltruf haben. Vier Sphinxe lagern vor seinem Sarkophage, und über lebensgroße Pharaostatuen halten die Todtenwache. »Hier wird die Wissenschaft geehrt,« sagte ich, »und das ist fürstlich.«
Wir fingen nun an zu besehen; ich für meine Person merkte aber bald, daß ich den Katalog wieder vergessen haben würde, bevor ich in Kairo zurück wäre. Dies ist beispielsweise eine kalksteinerne Darstellung, wie der Bewahrer der Essenzen des königlichen Schatzes und Hüter der königlichen Diademe Rom-a, seine Frau Su-cha, seine Tochter Ta-pu, sowie sein Enkel Ni-hi-a-i vor Osiris, Isis und Horus anbeten. Nun kann mir Einer Zucker versprechen, wenn ich ihm einen Saal weiter noch sagen soll, wer die Tapu war, und wer der Osiris, und wer die Isis oder die Sucha? Den Ni-hi-a-i behalte ich überhaupt nur so lange, als ich ihn buchstabire. Und so sind Tausende von Nummern in dem Museum, die gelernt sein wollen, wozu Jahre gehören.
Manche Sachen dagegen, wie der Schmuck einer Königin, der Fächer aus Goldblech und Holz, an dem noch die Löcher für die Straußfedern erkennbar sind, ihr Diadem, ihre Armbänder und Kostbarkeiten, die der Mumie als Leichenschmuck beigegeben wurden, sind auch den Ungelehrten begreiflich. Die alten Aegypter verstanden nicht nur die Erbauung großer Tempel, sondern leisteten auch in zierlichen Geräthen Bewunderungswürdiges. Ihre Gold- und Silberschmiede, ihre Elfenbein- und Holzschnitzer, ihre Glasbläser und Töpfer waren nicht minder geschickt wie ihre Bronzegießer und Schmelzarbeiter. Vielerlei machen sie vor tausenden von Jahren, wie heute die Eingeborenen noch arbeiten. Ein aus Schilf geflochtener Korb von anno 2855 vor Christi Geburt sieht den jetzt am oberen Nil verfertigten Körben zum Verwechseln ähnlich, und das in einem Grabe gefundene Musterchen eines Hauses aus Ziegelerde zeigt, daß die Fellachenwohnungen bei Qurna noch immer ebenso gebaut werden wie damals. Sogar reguläre Würfel zum Ausknobeln von Getränk gab es in der grauen Vorzeit. Wahrscheinlich entstammen sie dem Grabe eines Studenten.
Der Wiener Doktor und unser Leutnant spürten die bemerkenswerthesten Gegenstände auf und gaben die Erklärungen aus dem Buche dazu, was die Mühe des Durchfindens wesentlich erleichterte. So kamen wir zuletzt in den Saal der Königsmumien, deren leere Gräber uns in dem Felsenthale bei Theben mit Staunen erfüllt hatten. Die Museumswilden zogen die grauen Decken von den Glaskästen und nun sahen wie die Pharaonen von Angesicht zu Angesicht.
Es überlief mich mit kaltem Schauer. Dieser braune Leichnam, mit den über der Brust gekreuzten dürren Händen, aller Pracht entkleidet, nur von den Fetzen der Leinwandbinden bettelarm umhangen, war Seti der Erste, der Pharao, dem die Tochter das Mosesknäblein brachte, daß er sich seines annähme. Lag auch damals die Würde und Milde auf seinem Antlitz, wie jetzt in dem tausendjährigen Todesschlafe, als er den Bitten der Prinzessin willfahrte und befahl, den Findling mit den jungen Aegyptern aufzuziehen, die er seinem eigenen Sohne zu Gespielen gab, daß der Prinz Lebensweisheit im Umgange mit Kameraden lerne?
Und dessen Sohn, Ramses der Große, liegt nun in einem Glaskasten neben dem Vater. Scharf ausgeprägt sind seine Züge. Hoch ist die Stirn, kraftvoll die stark gebogene Nase. Den Pharao der Unterdrückung nennt ihn die Bibel; den Sieger und Eroberer, den Liebling der Götter, heißen ihn die Inschriften der Tempel, die er erbaute. Seinem Szepter beugten sich die Völker, und jetzt – ist er eine Sehenswürdigkeit im Museum zu Bulak.
Warum schloß man die den Fellachen entrissenen Mumien nicht wieder in den Steinsarg, nachdem festgestellt, daß sie die einbalsamirten Leichname altehrwürdiger Könige? Von ihren Thaten spricht die Geschichte, von ihrer Macht zeugen die Ruinen Oberägyptens. Sind sie jetzt nur noch gut genug, dem Begaffen witzelnder Neugier zu dienen? Zwei junge Reiselaffen wollten sich über die hageren, eingeschrumpften Mumien in den elenden Palten vor Lachen ausschütten. Was war ihnen Ramses, was die Wissenschaft, die der Welt diesen Anblick preisgab? Ein Spektakel. Scheu entfernte ich mich. Mir war schon zu viel, daß die Buchholz aus der Landsbergerstraße den todten Pharaonen in die erloschenen Augen schauen durfte; jenes aller Ehrfurcht bare Benehmen ertrug ich nicht.
Als wir das Museum verließen, kamen wir wieder an Mariette's Grabmal vorbei. »Wo wäre der Ruhm dieses Mannes,« dachte ich, »wenn Aegypten nicht unter den alten Königen geblüht hätte? Er aber ward königlich bestattet und sie liegen da wie Plunder.«
Diesen verletzenden Eindruck zu verwischen, beschlossen der Wiener Doktor und der Leutnant, am nächsten Tage Sakkara noch einmal zu besuchen, und die Trümmer, in denen die Größe vergangener Zeit sich spiegelt, auf sich wirken zu lassen. Wir fanden im Hotel eine Einladung zu einer koptischen Hochzeit vor, zu der ein geborener Kairener aus angesehenster Familie, ein Bekannter des Herrn Kaulla, uns führen wollte.
Um fünf Uhr am andern Nachmittage fuhren wir mit Herrn Selim Gandur Bey, einem hochgebildeten jungen Manne, der in Europa studirt hatte, durch endloses Straßengeschlängel nach dem Hause des Hochzeiters, der, kaum zwanzig Jahre alt, eine Stellung als englischer Uebersetzer an der Polizei einnahm. Wir wurden auf das freundlichste willkommen geheißen. Der Vater des Bräutigams reichte uns die Hand und geleitete uns durch den mit roth und grün geviereckter Zeltleinwand überdachten Vorgarten auf den Treppenvorsatz des Hauses, der den besten Ueberblick gewährte. Der Vorgarten war in ein geräumiges Zelt verwandelt. Ringsum waren hohe Sitze angebracht und in der Mitte, ebenfalls von Sitzen umgeben, befand sich der Platz für die Musik, die später den Abend verherrlichen sollte. Nach und nach stellten sich Gäste ein. Die dicht verschleierten Frauen gingen durch einen Seiteneingang zu den im oberen Stock gelegenen Haremsgemächern, wo sie mit lautem Freudengeschrei empfangen wurden.
Diese Art von Begrüßung klingt, als wenn eine Lokomotive trillern wollte. Dazu ertönte das Gebrumm von Topftrommeln und Handpauken, wie es bei den Arabern geschieht. Die Kopten, obgleich christlicher Religion, haben mancherlei Gebräuche mit den Mohammedanern gemeinsam, wie das Verschleiern der Frauen und die Sitte, daß der Bräutigam die Braut erst nach der Hochzeit zu sehen bekommt. Die Mutter sucht sie für ihn aus. Der Mohammedaner ist nur insofern besser daran, als er die Anvermählte wieder wegschicken kann, wenn sie ihm nicht gefällt, der Kopte muß sie dagegen behalten. Wie unserem koptischen Bräutigam an diesem entscheidenden Tage zu Muthe sein mochte, das ist schwer zu ergründen, kommt es doch selbst bei uns vor, daß Jemand die Hochzeit sein ganzes Leben bereuen muß, obgleich er freie Wahl hat. Aufgeregt war er, das sah man ohne Opernglas. Er wanderte, wie von einem inneren Perpendikel getrieben, ruhelos umher, machte sich zu schaffen, wo nichts zu thun war, unterhielt sich, ohne anzuhören, und that, als suche er verlorene Stecknadeln in der Luft. Seine leicht bräunliche Gesichtsfarbe war einige Schattirungen heller als die seiner Freunde, welche kamen und ihn mit einem Kuß auf beide Wangen begrüßten. Diese gingen theils in arabischer Tracht, theils wie er in der schwarzen Stambulina, der türkischen Amtstracht, mit dem rothen Fez auf dem Kopfe.
Herr Selim Gandur war zur Stadt gefahren, eine amerikanische Familie zu holen, welche er uns später vorstellte. Es waren Herr Smith und Frau, geborene Bougthon, aus New-York. Sie freute sich, die Buchholzen persönlich kennen zu lernen. Daß dies in Kairo auf einer koptischen Hochzeit geschähe, kam ihr höchst wunderbar vor. – »Frau Smith,« entgegnete ich, denn sie sprach allerliebst Deutsch, »dieser Tag, der mich mit einer bis dahin unbekannten Freundin zusammenführt, wird mir nicht aus der Erinnerung schwinden.« – Sie hatte so etwas Anmuthiges in ihrem Wesen und war so hübsch, daß ich mich ungemein zu ihr hingezogen fühlte.
Die Braut kam immer noch nicht. Pünktlichkeit ist im Orient Nebensache. Um die Zeit auszufüllen, wurde Hochzeitskaffee gereicht, der seltsam kräuterig schmeckte, weil er mit Gewürznelken abgekocht war. Wir plauderten, gingen umher, tranken Kaffee, betrachteten die neuen Gäste, entsetzten uns über das Freudengekreisch, tranken wieder Kaffee und widmeten unsere Aufmerksamkeit der Küche, die zwischen dem Hochzeitshause und dem Nachbarhause im Freien eingerichtet war. Auf den aus Feldsteinen geschichteten Herden standen die Kochtöpfe, große und kleinere; Kohlenfeuer glühte darunter. Ein Palmenbaum neigte sich herüber, seine federigen Zweige gaben den emsigen Köchen Schatten, die eifrig mit der Bereitung des Hochzeitsmahles beschäftigt waren. Ein Mann mit gefülltem Schlauche auf dem Rücken trug Wasser herbei, und unter den Gästen kreiste die Moje-Gulle fleißig von Mund zu Munde.
Endlich erscholl Musik aus der Ferne. Die Braut nahte und Alle drängten hinaus auf die Gasse. Auf dem fast unfahrbaren Wege schwankte die geschlossene Brautkutsche heran. Vorauf liefen jubelnde Kinder der Nachbarschaft, und dann kam die Musikbande mit Blasinstrumenten. Die Nigger und Araber, etliche in alten Uniformen, andere in weißen und bunten Kaftans, brachten einen ordentlichen lustigen Marsch zu wege, der viel Leute herbeilockte. Oben auf den flachen Dächern wurden Zuschauer sichtbar. Die mit rothen Taschentüchern und Schellen behangenen Pferde der Kutsche hielten. Aus dem Wagen stiegen die weiblichen Anverwandten der Braut. Diese selbst blieb noch darin. Zwei Männer zerrten jetzt einen Hammel herbei, warfen ihn an der Schwelle nieder, und im Nu war dem Schöpsen die Gurgel mit scharfem Messer durchschnitten. In rothem Strome stürzte das Blut hervor und breitete sich zu einer dampfenden Lache aus. Rasch wurde das noch zuckende Opferthier entfernt, und nun erschien die Braut in dem geöffneten Wagenschlag. Ihr Antlitz war mit goldgesticktem Schleier dicht verhüllt, ein weißer leichter Stoff umgab ihre ganze Gestalt, doch verschob sich derselbe und ließ den Saum des golddurchwirkten Rosa-Seidenkleides sehen und den zierlichen Fuß, den ein knapper Seidenschuh von gleicher Farbe umschloß. Mit dem zarten Füßchen mußte sie in das Blut treten, so wollte es altes Herkommen. Mir kam das grimmig heidnisch vor und gewissermaßen schrecklich. Freudengekreische und Tambouringepauke zeigten nach einigen Minuten den Eintritt der Braut in die Frauengemächer an.
Als es dunkelte, fand die Trauung in einem großen Zimmer des ersten Stockes statt. Das Gemach war gepfropft voll, doch hielten die weiblichen Verwandten sich in den Nebenräumen auf, und sahen ängstlich verschleiert durch die geöffneten Thüren zu. Der Bräutigam saß, mit einem Mantel aus Goldbrokat angethan, auf einem Stuhle, neben dem leeren Stuhle für die Braut. Vor dem Bräutigam war ein Tisch, auf welchem Wachskerzen, strahlig geordnet, blaakten; sie warfen hellen Schein auf eine uralte Bibel, die in silbernem Futteral von uralter getriebener Arbeit aufbewahrt wurde. Der Priester in schwarzem Talar, mit schwarzem Turban auf dem Haupte, hatte seinen Platz zwischen dem Tisch und dem Bräutigam. Links von diesem in der Ecke des Zimmers waren die Chorknaben aufgestellt, in weißen langen Kitteln mit Goldstoffschärpen umgürtet und dem rothen koptischen Kreuze auf der Brust. In den Händen hielten sie brennende Kerzen. Ein alter schwarz gekleideter Küster führte die Oberaufsicht über die Jungens. Der Priester begann die Handlung mit Vorlesungen aus der Bibel. Dann fielen die Chorknaben mit ohrenzerreißendem Gesange ein: Melodien seltsamer Art. Und wieder wurde gelesen, und wieder gesungen, Triangel und Becken klangen dazwischen. Und dann nahm das Lesen und Singen noch lange kein Ende. Die Brüder und Freunde des Bräutigams traten an den Tisch, und Jeder trug laut einen Abschnitt aus der Schrift vor. Der Geistliche setzte sich so lange auf den platten Fußboden, worin jedoch keiner der Einheimischen etwas fand. Dieser Theil der Feierlichkeit nahm über eine Stunde in Anspruch.
Hierauf faßte der Priester einen der dreiarmigen Leuchter und ging mit den Chorknaben in das Frauengemach. Dem Bräutigam war heiß geworden. Ein guter Freund stellte sich neben ihn und wehte ihm mit einem Fächer Kühlung zu. Man spürte die vielen Kerzen und Menschen in den geschlossenen Raum. Dazu kam der betäubende Qualm von Räucherwerk.
In geordnetem Zuge kehrten jetzt der Geistliche und die Knaben zurück. Die Lichter brannten in ihren Händen, singend und klingend traten sie ein, und vom Vaters des Bräutigams und dem eigenen Vater mehr getragen, als geführt, folgte ihnen die Braut. Eine große, lange Negerin, vermuthlich die Pflegerin ihrer Kindheit, in violettblauem Kleide, begleitete sie fächernd und blieb auch neben ihr, unaufhörlich den Fächer schwingend, als die Braut an der Seite des Bräutigams saß.
Aufs Neue ward gelesen und gesungen und geräuchert. Dann setzte man dem Paare Kronen von vergoldetem Blech auf, umwand sie mit einer rothen Schnur und nähte die Muslinschleier zusammen, die von den Kronen herabhingen.
Die Ringe wurden gewechselt, doch unter dem weißen Schleiergewande, das die Braut verhüllte. Zum ersten Male berührte der junge Mann die Hand seiner Gefährtin für das ganze Leben, die wie ein Postpacket neben ihm saß. Der Geistliche segnete das Paar ein, und mit einem schmetternden Gesange endete die Trauung.
Die neu Vermählte ward in das Frauengemach zurückgebracht, von Freudenschreien begrüßt. Sie aber war mehr todt als lebend. Man nahm ihr den erstickenden Schleier ab. Das reizende Gesichtchen war aschgrau, die Augen waren geschlossen, man hielt es für Zeit, sie zur Ruhe zu bringen.
Unten im Hause und im Zelte hatten sich mittlerweile zahlreiche Gäste angesammelt. Die Musikbande blies ein Stück nach dem andern auf der Straße und die Kinder tanzten dazu. Der Bruder des jungen Gatten ging hin und bestellte »Heil Dir im Siegerkranz«, das sie zwar nicht ordentlich konnten, aber doch einigermaßen. Uns rührte diese Aufmerksamkeit und wir sprachen unsern Dank aus, worüber der junge Mann sich sehr freute.
Wir wurden nun gefragt, ob wir europäisch mit Messer und Gabel, oder arabisch mit den Fingern zu speisen wünschten.
»Was meinen Sie, Missis Smith?« tastete ich. – »Arabisch,« antwortete sie, »man muß Alles mitmachen.« – Sie erzählte mir, daß sie dem Neuvermählten gesagt habe, sein Weibchen sei reizend, worauf er erwidert habe: »Ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt.« Und doch bekommt er sie erst nach acht Tagen zu sehen.
Mir war unerfindbar, wo die vielen Menschen essen sollten, da ich kein größeres Gelaß und keine gedeckte Tafel bemerkt hatte, obgleich Herr Selim Gandur sagte, daß über hundertfünfzig Gäste bewirthet würden. Das Einzige, was ich sah, war ein großer blauhemdiger Araber, der fortwährend mit einem runden Brette auf dem Kopfe, über das ein hoher Korbdeckel gestülpt war, zwischen der Küche unter dem Palmenbaum und dem Hause ab und zu ging. So viel war klar, daß er Gerichte hineintrug und leere Schüsseln zurück. Endlich nöthigte man uns hinein. »Wie dies wohl wird?« dachte ich.
In dem Zimmer, das als Speisegemach diente, standen zwei Gestelle von Stuhlhöhe und auf jedes derselben war ein rundes grünlackirtes Blechbrett gelegt. Zehn runde flache Weißbrote lehnten an dem Rande dieses also hergestellten Tisches, und je zwei Löffel, einer aus Horn, der andre aus Elfenbein, lagen daneben. Niedrige, geflochtene Sessel standen drum herum, und zu Zehnt nahmen wir Platz an einer der Tafeln. Die zweite war für den Hochzeitsvater und dessen Freunde bestimmt. So saßen zwanzig Personen leichtiglich in einem verhältnißmäßig engen Raume zu Tisch. Ein Polizeioberst und sein Söhnchen waren mit bei unserer Gesellschaft. Er und Herr Gandur gaben uns die nöthige Anleitung und unter Heiterkeit und Scherzen ließen wir uns anleiten, da wir nicht gewohnt waren, uns mit den Fingern zu behelfen.
Das Voressen bestand aus scharf eingemachten Kürbis- und Melonenschnitten, die, in ein kremartiges Gemisch von saurer Milch und süßer Sahne eingetaucht, vorzüglich schmeckten und den Appetit reizten. Hierauf kam Reissuppe von Hammel. Diese wurde mit dem Hornlöffel geschöpft. Der Araber entfernte sie und setzte das gekochte Fleisch auf, zu dem Radieser eine passende Beilage bildeten. Man nahm das Fleisch mit den Fingern. Der Griff besteht darin, daß Jeder nur den Bissen berührt, den er abreißt, wodurch diese Eßweise viel sauberer verläuft, als man anfangs denkt, und viel manierlicher und gebildeter aussieht, als das Essen mit dem Messer. Die Finger wischt man in einem hübschen Tuche ab, das dem Speisenden über die linke Schulter gelegt wird. Dann folgte gebratene Hammelschulter. Ich habe nie ein delikateres Fleisch gegessen, als dieses geradezu vollendet geröstete. Nach dem Braten wurde ein stark mit Salbei gewürztes Gullasch aufgesetzt. Hierbei mußten wir das Herausfischen der Fleischwürfel mittelst eines Stückchen Brotes erst einüben. Die kleinen, mit Fleischteig gefüllten Pasteten dagegen, die jetzt kamen, waren uns verständlich. Zur Abwechselung erschien nunmehr eine Schüssel Zitronen-Gelee und alsdann Huhn in einer Knoblauchtunke. Um den strengen Geschmack zu dämpfen, kam eine Torte, die von den im Orient beliebten Dolmas abgelöst wurde: das ist ein Gemenge von Reis, gehacktem Fleisch und Gewürzen, welches, in Weinblätter gewickelt, geschmort wird und wie Würstchen aussieht. Ein makronenartiges Mandelgebäck fand auch noch Zuspruch, den dann gebotenen Reis mit Pilzen und Safran kosteten wir nur der Wissenschaft wegen. Rosengelee, mit Mandelkernen bestreut, machte den Schluß. Die süßen Speisen wurden mit dem Elfenbeinlöffelchen genommen, die andern mit den Fingern oder mit einem Stückchen Brot. Wir bekamen auch Wein, trefflichen Bordeaux; der junge Gatte und sein Bruder ließen es sich nicht nehmen, uns einzuschenken. Auch Tischreden wurden ausgebracht, deutsche, englische und arabische, und das Dolmetschen hatte nur so Art. Es war eine lustige Hochzeit.
Nach dem Essen kamen zwei arabische Diener mit Waschbecken und Kanne, goßen uns laues Rosenwasser über die Hände und reichten uns weiche Tücher zum Abtrocknen.
Inzwischen waren die arabischen Sänger eingetroffen. Weidlich ergötzte sich die rauchende, Kaffee und Wasser trinkende Gesellschaft an ihren Leistungen. Wir blieben bis zehn Uhr und immer noch trug der große Araber mit unerschütterlichem Gleichmuth Speisen von der Küche in das Haus. Dann brachen wir auf.
Da der Wagen bei Nacht die Straße ohne Gefahr des Umwerfens nicht passiren konnte, gingen wir ihm entgegen. Der Polizeioberst und zwei seiner Leute begleiteten uns, bis wir ihn trafen. So viel steht fest, wenn Mohammed seinen Gläubigen den Wein erlaubt hätte, müßte er unbedingt gleichzeitig eine Wegeordnung herausgegeben haben.
Die Nacht war schön. Die Sterne glänzten am Himmel. Von Zeit zu Zeit hörte man das laute Rufen der Nachtwächter, erst in der Nähe, dann die Antwort des Zweiten und Dritten aus weiterer Ferne, wie ein Echo.
Als wir im Wagen dahin fuhren, sagte ich: »Ich wünsche, daß die Beiden recht glücklich werden; es sind ja so nette Leute. Wenn eine lange Traurede hilft, die haben sie gekriegt.«