Julius Stinde
Frau Buchholz im Orient
Julius Stinde

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Durch das Delta.

Wie die Steuern und Zinsen rieseln. – Von den Fellachen und ihren Behausungen. – Von Sykomoren, Mandarinen u. dgl. – Warum Wilhelmine den Käse nicht ißt. – Der Büffel und Darwin – Von den sieben bis acht Plagen. – Handelsgebräuche. –Der Flieder und die Pyramiden. –

Noch einen Händedruck, und der Schnellzug schied uns von den Landsleuten, denen wir Tage verdankten, die auch bei trübem Wetter sonnig gewesen wären. So aber kam beides zusammen: klarer Himmel und ein erfreutes Herz.

Nun fuhren wir in das Delta hinein, wie von Alters her das flache Land genannt wird, durch das der Nil sich verzweigt und die Kanäle gegraben wurden, die Felder zu tränken, da die Feuchtigkeit hier nicht, wie bei uns, aus den Wolken auf die Erde fällt, sondern unten dem Nil entsteigt. Ueberall sind Schöpfräder angelegt, die, mit Büffeln, Eseln oder Kameelen betrieben, das Wasser in aneinandergereihten Krügen heben, aus denen es in Rinnen plätschert und in engen Gräben weiter auf das Land rinnt. Jedes Acker muß begossen werden, Tag für Tag, unaufhörlich, sonst verdorren die Saaten, und der Fellache kann die Steuern nicht beschaffen, die in Gestalt von Zinsen nach Europa rieseln, dem Nilwasser ähnlich, erst in breiten Strängen, dann in kleineren Läufen, bis die einzelnen Inhaber der Schuldverschreibungen ihren Antheil abbekommen, wie jeder Halm das erhaltende Naß. So schöpfen die Fellachen die Rente fremden Kapitals aus dem Flusse, denn das gewonnene, goldige Getreide wird im Handel zu klingender Münze.

Die Bahn fährt über den Mahmudiye-Kanal an dem Sumpfsee vorbei in eine weite, grünende Ebene. Den eingedeichten Nil sieht man im Anfange der Fahrt nicht, wohl aber verrathen die merkwürdigen Segel der Barken seinen Lauf, da sie, vom Winde gebläht, über die grauschwarzen Dämme hinwegragen. Bald sind solche dreieckige Segel näher, bald ferner, je nach den Krümmungen des Nilarmes, und heben sich weiß von der klaren, blauen Luft ab. Auf den Dämmen aber, die als Landstraßen dienen, ziehen die braunen Aegypter ihres Wegs, Männer, Frauen, Kinder, zu Fuß, zu Pferde, meistens jedoch zoddeln sie auf Eseln. Dann wieder treten Kameele daher, einzeln geleitet, oder truppweise im Gänsemarsch hinter einander. Der Führer bindet den Zaum des folgenden Kameels an den Sattel des vorangehenden, das Letzte der Reihe trägt eine Glocke am Halse, deren regelmäßiger Klang ihm meldet, ob alle beisammen sind. Ihnen vorbei treiben Fellachen ihre Rinder, Ziegen und Schafe. Manchmal sitzt der Hirte statt auf dem Esel, auf dem Rücken des grauen Büffels oder der rothbraunen Kuh. Wie die Figuren eines Theatrum Mundi kommen Menschen und Thiere geschritten, immer auf demselben schmalen Wege, in einer Linie, als wären sie auf ein Band gezogen, und stundenlang immer dasselbe Bild.

Die Felder neben der Bahn wurden für die Saat beackert. Mit einem Holzpflug ohne Räder, vor den Ochsen oder auch Büffel und Kameele gleichzeitig gespannt werden, reißt der Fellache den schwarzen Boden auf. Fellache bedeutet keine besondere Rasse, sondern heißt so viel wie Pflüger oder Bauer, und wie dieser sich anderwärts von den Städtern unterscheidet, so auch hier. Seine Manieren rühren von seiner Thätigkeit her, von dem Umgang mit dem lieben Vieh, und seiner Art zu hausen. Ueberall tauchen aus dem Grün der Landschaft Fellachendörfer auf, dicht aneinander geklackte, graue Klumpen, mit einem Thürloch darin, entweder rund, wie ein mißrathener Topf oder, weiter nach dem Süden zu, mehr im Stil von Cigarrenkisten. Weiber, Kinder, Hühner und Hunde siehlen vor den Eingängen ihrer Schlamm-Sommerfrischen auf der Erde und lassen sich von der Sonne bescheinen. Darüber strecken die Dattelpalmen ihre Federkronen aus, aber unter diesen Palmen zu wandeln, ist für jedes Reinlichkeitsgefühl abstoßend. Oft macht die Gegend den Eindruck wie ein Stück Oderbruch, flach und frei von Wald. Die großen, halb Eíchen, halb Linden gleichenden Bäume, die vereinzelt in den Feldern stehen, sind Sykomoren, wie Mister Pott erklärte, und Bädeker bestätigte. Hin und wieder wogte es zwischen grünen Aeckern wie himmelblaues Gewässer im Winde, da war blühendes Leingefilde. Fruchtbar, unendlich fruchtbar ist dies Land.

Die Baumwolle war noch nicht heraus, nur das abgeschnittene Gestrüpp vom vorigen Jahr wurde auf Kameele geladen und nach den Dörfern gebracht, wo es als Feuerung benutzt wird. Was sie sonst brennen ist schrecklich, nämlich den Mist von Kameelen, Eseln und Rindern, aus dem sie platte, runde Kugeln knautschen, die, an die Wände der Hütten geklebt, in der Sonne dörren. Fuhren wir nahe an einem Dorfe vorbei, sahen wir zuweilen Weiber solche Kameel-Briquettes backen. Mich schuddert noch, zumal wenn ich bedenke, daß sie mit denselben Händen den Käse kneifen, der an den Bahnhalten feilgeboten und wirklich gekauft wird. Aber nur von den Wilden. Auch Mandarinen-Apfelsinen bringen die Eingeborenen an den Zug, wenn er bei einer Stadt Halt macht, gekochte Eier und Brot. Die Städte sind ansehnlich, die zugespitzten Thürme der Moscheen, die Minarehs, die hellgestrichenen Häuser, untermischt mit Baracken aus Schlammziegeln, geben ihnen ein eigenartiges Aussehen, das durch die Bevölkerung nur noch eigener wird. Wir passirten Ortschaften, in denen gerade Mark abgehalten wurde. Hunderte von Wilden grimmelten auf dem Platze, vergebens spähte man nach einer europäischen Tracht. Vorwiegend war die Gewandung blau, aber auch braune Kameelhaarkittel kamen vor, und die Vornehmeren trugen schwarze Kaftans über den farbig gestreiften Untergewändern aus Seide. Weiße Turbane sah man zumeist, dann auch rothe Fez und die bräunlichen Filzkappen der Fellachen. Etliche hatten nur eine Art von weißer, runder Nachtmütze auf. Immer ägyptischer wurden die Wohnplätze, je weiter wir mit dem Schnellzuge südwärts eilten, und ununterbrochen hatte das Auge Beschäftigung. Selbst die Kanalgräben am Bahndamm boten Unterhaltung. Reizende kiebitzartige Vögel tänzelten am Ufer, weiße Kuhreiher strolchten durch den Klee, und wenn es einem Büffel zu heiß geworden war, kroch er in den Graben und spielte auf eigene Faust ein bischen Nilpferd. Nur der vierkantige Kopf lugte aus dem trüben Wasser hervor. Wenn er das Jahrtausende fortsetzt, wird er zuletzt ein Flußochse nach Darwin.

Lotosblumen, die man so häufig in Gedichten findet, kamen uns nicht zu Gesicht, dagegen Binsen und Schilf und dazwischen richtige Bumskolben, wie sie in der Havel nicht schlechter gedeihen. Deshalb hätte man nicht nöthig gehabt, herzureisen.

Wunderbar berührte dagegen der Anblick, als der Zug auf einer langen Eisenbrücke den Nilarm von Rosette überschritt. Nun sahen wir zum ersten Male den uralt heiligen Strom. Sonnenlicht flimmerte auf der blauen Fluth, die sich wie ein See ausbreitete, und in dem glimmernden Lichte schwankten die Masten und Segel der Barken und am Ufer die Wedel vereinzelter Palmen. Bis ferne hin erstreckte sich das Flachland, angethan mit dem Schmucke sprießenden Pflanzenlebens. Das war das Delta in seiner Schönheit.

Mister Pott theilte ganz meine Meinung, als ich sagte »der Nil hat doch so seine Reize«, fand aber die Hitze belästigend und den Staub und die Fliegen. Obgleich die Eisenbahnwagen ein doppeltes Dach haben, um den Sonnenbrand abzuhalten, und er die Fenster, sorgsam berechnend, gegen Sonne und Staub verschloß und verhängte, konnte man doch nicht hindern, daß mit der Aussicht auch Wärme, Fliegen und Staub in das Kupeh drangen. Mr. Pott behauptete, die Fliegen seien noch Reste von den sieben Plagen, die Moses gegen Pharao anwandte, als dieser die Juden mit Intoleranz bewirthete, der Staub wäre die achte gewesen, die habe er wohl nur vergessen, aufzunotiren. »Ich gebe Ihnen Beifall, Mister Pott,« sprach ich, »diese Insekten sind eine plaghafte Zugabe, soviel Fliegenpapier, um die zu vergiften giebt es nicht auf der ganzen Welt. Und schlägt man mit dem Taschentuch nach ihnen, wedelt man blos den Staub auf. Hoffentlich sind wir bald in Kairo. Karl, wie lange fahren wir noch?« Mein Karl sah nach der Uhr. – »Nun?« – »Sie steht,« sagte er betroffen. »Du hast sie wohl eine Minute zu wenig gedreht?« – »Aufgewunden ist sie!« Zum Glück hatte er die Anleitung zur Behandlung der Uhr in der Westentasche und brachte sie durch Hinundherwiegen in Gang, nachdem er sie nach Mr. Potts Chronometer gestellt hatte. In mir dämmerte jedoch die Besorgniß auf, daß sie durch unberechtigte Arbeitseinstellung Verlegenheiten herbeiführen könnte, da richtige Zeit auf Reisen ebenso nothwendig ist, wie richtiges Geld. Auch mein Karl schien mißtrauisch, denn er betrachtete von nun an öfter die Uhr, als die Gegend. Als die Station Benha erreicht war, sagte Mr. Pott, daß es hier die vorzüglichsten Mandarinen gäbe, wie er in seinem Reisebuch gelesen, und wir erstanden denn auch von diesen stark nach Pommeranzen duftenden Apfelsinen, deren Schale locker sitzt, wie zu weit gewordenes Fell, und deren kernloses Fleisch zuckersüß ist. Massenhaft schleppten Wilde die gelbrothe, zum Zuschandenessen billige Frucht herbei. Der Handel ging sehr einfach vor sich. Wir hielten ihnen einen halben Piaster vor die Augen, und sie hielten uns eine Handvoll Apfelsinen hin, der eine drei, der andere vier, der dritte fünf, wie bei eine Submission. Wer am reichlichsten gab, bekam den Nickel. Das war das ganze Arabisch.

Wir erquickten uns im Wagen an den Mandarinen, und die Fliegen sogen mit an dem Safte.

Während die nähere Gegend in gleicher Weise beiblieb, änderte sich die Ferne. Zwischen das Grün der Felder und das Blau des Himmels schoben sich sandgelbe, ansteigende Flächen, wie lange schmale Keile, sowohl auf der rechten, wie auf der linken Seite, und dahinter wurden Höhenzüge sichtbar. Ich befragte den Bädeker nach dieser Naturerscheinung. »Karl,« rief ich, »das ist Wüste, das gelbe im Sonnenschein Leuchtende.« – »Jawohl,« sagte Mister Pott, »und rechts ist das arabische, links das libysche Gebirge. Fünf Minuten hinter der Station Tuch sollen die Pyramiden erkenntlich werden.« – »Wo ist Tuch? Karl, steck die Waterbury ein und gieb auf Tuch acht.« – Endlich kam der Ort; am Bahnhof stand der Flieder bereits in voller Blüthe. Dies war herzig, aber die Erwartung der kommenden Dinge spannte zu sehr, als daß wir unserer Lieblingsblume volle Aufmerksamkeit widmen konnten. »Nun, mein Karl, sieh auf die Uhr, wenn die fünf Minuten um sind, öffnen wir Gardinen und Fenster.« – »Sie streikt. Ich fürchte, sie kann das Eisenbahnfahren nicht vertragen,« antwortete er kleinmüthig. – Ich also heran an das Fenster: offen gemacht, Staub geschluckt und von der Sonne angeglüht. Noch war nichts zu sehen. Aber da, über einem Palmenwäldchen hinweg, erschienen, seltsamer und befremdlicher, als Alles, was wir bisher erlebt, wie aus bläulichem Dunst gebildet, spitze Dreiecke am Himmelrand. Ich holte tief Athem, dann rief ich: »Karl, nun geht die Zauberflöte los. Da sind sie.«

Es waren wirklich die Pyramiden, die immer deutlicher hervortraten. Wie oft hat man sie abgebildet gesehen, wie viel von ihnen gehört. Hätte man aber je für möglich gehalten, daß Menschenhände Berge aufrichten? Ihr Anblick ist der erste Gruß von Alt-Aegypten, das vor tausenden von Jahren das Weltgespräch des Erdkreises bildete, als Berlin noch nicht einmal Fischerdorf war. Von den sieben Wundern der Welt sind nur sie allein übrig geblieben, und schon aus der Ferne zwingen sie noch heute zu Staunen.

Mit jedem Kilometer näherten wir uns einer großen Stadt. Das merkte man an den Landhäusern und Gärten, an dem lebhafteren Verkehr auf den Wegen. Mister Pott ordnete sein Handgepäck und wir folgten seinem Beispiele; nach der alten quatschen Uhr konnten wir uns nicht richten. Es dauerte auch nicht lange und wir fuhren in den Bahnhof ein. Ein Blick aus dem Fenster zeigte mir schaudernd den ganzen Steig voll von Wilden, die enterten den Zug, als wären wieder Ereignisse ausgebrochen. »Karl,« schrie ich, »vertheidige das Gepäck bis auf den letzten Athemzug; ich wehre mich mit Kratzen!«

Dies war die Ankunft in Kairo.

 

 


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