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Von der Familientrumpfsieben und dem Wunschzettel – Von strömendem Wasserdampf und Schwindelgegenden – Ein glückliches Brautpaar und ein Wiedersehen – Von Engelsstimmen
Den zweiten Weihnachtstag hab ich sie Alle bei mir, dann gehen die respektiven Philippinen aus, den Verdruß über den Ausfall ihrer Geschenke zu vertanzen und die Herrschaften suchen Unterkommen in einem Restaurant. Meine Dorette aber hilft mir und geht ein andermal. Es giebt ja auch Trinkgeld und ihr Bräutigam denkt an Selbstständigkeit. Er ist sehr häuslich in unserer Küche und schlimm betreibt er es nicht mit dem Rauchen, zumal ich ihm des besseren Aromas wegen bisweilen eine Zigarre aus meines Mannes Vorrath widme, wofür er sich in allerlei Handreichungen nützlich erweist. Und Dorette erkennt es hoch an.
Auch Sanitätsraths kommen, da Emmi wieder kann und die Kinderfrau den Jüngsten sehr in Obacht nimmt, der, wie ich natürlich voraussah, ein Junge ist.
»Lieber Rath,« hielt ich dem Vater vor, »es hätte ein Mädchen sein müssen oder wieder Zwillinge, damit nicht das Restküken wie eine Familientrumpfsieben immer drunter durch ist, indem die großen Brüder ihm überall den Rang ablaufen. Das scheinen Sie nicht genügend berechnet zu haben und ist offen gesagt, geradezu unverantwortlich.«
»Ganz meiner Meinung,« entgegnete er, »aber Sie verschwenden Ihren Zorn an einen Unwürdigen, verehrte Schwiegermutter. Wenn einer ihn verdient, ist es doch wohl der Storch.« – »An die unschuldige Kreatur habe ich wirklich nicht gedacht,« rief ich. »Na, vielleicht macht er seinen Fehler wieder gut und bringt gelegentlich etwas Passendes dazu.« – »Das versteht sich. Allein schon, um Ihre Zufriedenheit zu erwerben,« sagte der Rath, verschmitzt lächelnd. – »Wie soll er denn heißen?« – »Otto.« – »Was das nun wieder ist? Gesetzt den Fall, bei Onkel Fritz käme ein kleiner Otto, und anders thut er es nicht, dann wären wieder zwei Gleiche da und mit ihnen ewiger Kuddelmuddel. Nennen Sie ihn Wilhelm. Etwas können Sie mir auch mal zur Liebe thun.« – »Es wird mein Bestreben sein, mir Ihr Wohlwollen zu erhalten,« versicherte er, »wenn meine Frau damit einverstanden ist.« – »ich Bitte mir den Namenwechsel als Weihnachten aus. Billigeres finden Sie in ganz Berlin nicht.«
Fritz und Franz weilten einige Wochen bei uns in der Landsbergerstraße, wie ich es für richtig hielt und der Rath schließlich nachgab. Das Brüderchen war ihnen zwar recht, aber sie hatten es sich doch wohl mehr zum Spielen vorgestellt und waren enttäuscht, daß es nicht mit jacherte, denn nur aus diesem Grunde kann ich die allgemeine Hausklage über ihre Unbändigkeit verstehen, die derart ausartete, daß der Rath ihnen androhte: »Ihr bekommt nicht ein Stück zum Weihnachten. Dafür bedankt Euch bei Großmama.« – Den Zusatz hätte er sparen können.
Wenn sie bei mir mal herumranzten – ich kenne Kinder, die hundertmal tobiger sind – gleich waren sie wie die Häschen und lauschten, wenn ich vom Weihnachten anfing und wie wir einen Wunschzettel aufsetzen wollten. Warum hatte ich sie denn sofort gehorsam?
Nun weinten sie, daß sie nicht an den Weihnachtsmann schreiben durften. – »Wir sind so unartig gewesen,« klagte mir Franz, »wir kriegen nix.« – »Kriegt Papa was?« fragte Fritz. – »Gewiß, er ißt seine Suppe...« – »Angebrannte nich',« sagte das kluge Kind. – »Er schreit nicht,« lobte ich weiter. – »Kriegt Baby was?« – »Baby kriegt was?« – »Baby kriegt was?« – »Baby schreit den ganzen Tag.« – »Hm.« – »Großma', bringt der Weihnachtsmann Papa, was Du aufschreibst?« – »Ich denke doch.« – »Ein Pferd ordentlich mit'n Schwanz für Papa?« forschte Fritz, »und 'n Trommel und n' ganzen Berg Nüsse?« – »Und noch 'n Pferd,« meldete sich nun Franz, »und noch 'n Trommel...« Ich hatte Fritz schon beim Wickel und küßte ihn. »Du bist mit Spreewasser getauft,« rief ich. »Sieh' Einer die Krete an?« – Franz nahm ich an die andere Seite und knutschte ihn auch ab. Ich hatte einen Kasten mit Kegeln für sie zum Weihnachten, aber ich konnte nicht anders, ich gab ihn jetzt schon her. Zu lieb, die Jungs.
Ob Max und Frieda uns die Ehre schenkten, das stand noch aus. Ich wollte, sie kämen. Man denkt leicht bitter über Leute, die man vernachlässigt. An solchem Feste wird, was ausrutschte, oft wieder ins Loth gebracht. Und Felix fehlt was, wenn Max ausbleibt.
Weigelts dürfen nicht absagen. Auguste bedarf aufheiternder Zerstreuung und da ihr Mann einsehen mußte, was sie an Butsch haben, wird es ihm wohl genehm sein, den neuen Schwiegervater auch vielleicht bei uns zu treffen, wenn das Geschäft ihn losläßt. Merkwürdig: die Bergfeldten paßt wie darin aufgewachsen und die Karre geht.
Augustens Elsa war ja krank, erst mit Hausmitteln und dann gleich die höchste Gefahr. Butsch eins, zwei, drei den Rath geholt, das Kind in die Droschke genommen und in die Klinik, wo sie die Luftröhre schnitten und es auch durchbrachten. Und sie, die Butschen alles gethan, was in ihren Kräften stand. So in der Noth krempelt sie sich völlig um.
Aber weil das Kind von den bösartigsten Bazillen gehabt hatte, kamen die Leute von der städtischen Desinfektionsanstalt und alles eingepackt, da der Rath früher schon verordnet hatte, das Kranke in die helle, beste Stube zu legen. Die Betten nahmen sie, die Plüschmöbel und die blauen Portieren und rubbelten die Tapeten ab und beizten den Fußboden mit Insektengift, daß alles schädliche Gethier entweder todt auf den Rücken fiel oder wimmernd floh. Auguste sagte: die Angst um das Kind und die Verwüstung dazu, das wäre kaum zum Ueberleben gewesen und wie die schönen Sachen, die sie mit so vieler Mühe angeschafft hatten, wieder gebracht wurden, da hätte sie nicht gewußt, ob sie überhaupt noch weinen könnte. Alles ruinirt, Alles dahin. Im strömenden Wasserdampf waren die Sessel gewesen und die Clavierdecke und der Teppich und jedes Stück. »Nicht wieder zu erkennen,« sagte sie, »ihre ganze Freude an dem bischen Hab und Gut verbrüht... Und mein Weigelt außer Rand und Band hin nach der Desinfektionsanstalt und Schadenersatz beansprucht. Hat ihm aber nichts genützt. Die Sanitätskommission beordert die Desinfection, die Stadt liefert nur die Mittel zur Ausführung und ist nicht verantwortlich für etwaige Ruinirung der Gegenstände. Die Hauptsache war, daß die Bazillen sich nicht mehr rührten und Herr Weigelt die Kosten bezahlen mußte. Aber hat er geschimpft. Ja, er wollte auswandern, nach Freiland oder sonst so ne Schwindelgegend, wo der Mensch wahrhaft frei wäre und kein strömender Wasserdampf ihn um die Frucht jahrelangen Fleißes brächte. Zum Glück kam gerade die Nachricht von der verkrachten Freilandexpedition, daß er sich besann und Berlin seine holde Gegenwart nicht entzog.
Ich fragte den Rath, ob es kein Mittel gäbe, die Bazillen zu morden ohne gleichzeitig die Möbel umzubringen und die Polstersachen. Er meinte, Schering's Formalin desinfizierte und beschädigte, weil es gasartig verdunstet wird, nicht das Geringste, aber der Wasserdampf sei nun einmal offiziös. – Da seufzte ich.
Hat jedoch der Dampf Herrn Weigelts Hochmuth etwas gedämpft, wäre der Nutzen nicht gering anzuschlagen. Aber als er getröstet wurde, der Wissenschaft müsse man sich beugen, selbst wenn sie Hemmniß und Entwerthung brächte, stieß er solche Magistratsbeleidigungen aus, daß ihm in der Feudalzeit sicherlich lebenslängliches Verließ aufgebrummt worden wäre. Heute denkt man toleranter. Wer hoch steht, was thut es dem, wenn mal ein Quatschkopf belfert? –
Wo die Tage jetzt blieben, das weiß ich: unterwegs. Es war so vielerlei zu besorgen, die Steckenpferde und die Trommeln für Fritz und Franz, dann Niedliches für Wilhelmine, für Betti ihre, für Weigelt's, für Frieda's – ich wollte sie so gerne behalten – für die Großen und – für meinen zweiten Feiertag.
Erika hatte den Plan entworfen und ich und Dorettens Bräutigam, der Tapezierer und Dekorateur ist, wir führten ihn aus, indem das Berliner Zimmer durch gut halb mannshohe Zeltwände aus billigem Stoff und hölzernen Trägern in verschiedene Puppenstuben umgebaut wurde, aber derart, daß die Kinder selber darin spielen konnten und so zu sagen ihre eigenen Puppen waren, während wir Erwachsenen von oben hineinsehen konnten in das Getriebe der Kindheit.
Da war eine Wohnstube, eine gute Stube, eine Küche, ein Kaufladen, eine Wache, und in der Mitte die Straße, und am Ende vor der Anrichte stand der Tannenbaum.
Die Abtheilungen waren möblirt eingerichtet, jede in ihrer Art, die Küche mit einer Aufwasche, einem Heerd und so reizendem irdenen Geschirr, daß ich mich auf das Bänkchen setzte und am liebsten damit gespielt hätte. Sollte ich deshalb erröthen? Ist unser ganzes Leben nicht am Ende nur ein Spiel und Jemand, der weiß, wie große Kinder wir sind, sieht von oben zu und lacht uns nicht aus, weil er uns lieb hat mit all unseren Schwächen und Thorheiten. Und wir spielen bis das letzte Licht am Weihnachtsbaum herabgebrannt ist und es heißt: nun sagt gute Nacht, Kinder, es ist Zeit heimzugehen!
Ich hatte es so eingerichtet, daß die Kleinen am Nachmittage allein kamen und dann die Großen, um damit das Spiel der Kinder im Gange wäre, und wir sie sich selbst überlassen könnten. Aber die Eltern spielten mit, bis ich sie mit Gewalt an die Verpflegung trieb. Onkel Fritz half exerciren, Betti in der Küche, Felix in dem Kaufmannsladen, aber weil er immer Rosinen zugab, daß das Kästchen bald leer war, kündigten sie ihm und Weigelts Franz übernahm den Handel.
Als Parade gespielt wurde, mußten auch die kleinen Mädchen mit in Reih und Glied und wurde getrommelt und geblasen, daß es nur so dröhnte. Und dann wurde das Militär eingeladen und speiste in der guten Stube, wo Klein-Wilhelmine die Wirtin machte. Und dann spielten sie Braut und Bräutigam. Franz Weigelt war der Bräutigam und Klein-Wilhelmine die Braut.
Sie kamen zu uns in das Zimmer und wir mußten sie leben lassen. Gerade als Onkel Fritz rief: »Das Brautpaar hoch, dreimal hoch,« traten Dr. Zehner und Henni ein. Sie kamen aus Lingen, glücklich am Weihnachtsabend verlobt. Das war denn eine große Freude. Und Butsch und Frau erschienen; Herr Weigelt war durchaus nett gegen sie. –Max und Frieda hatten sich brieflich entschuldigt.
Während Dorette und ihr Tapezier zum Abendbrot deckten, gingen wir zu den Kindern, wo ich an Groß und Klein verschiedene Scherzgeschenke vertheilen wollte.
Der Tannenbaum brannte und nun kam eine Ueberraschung, die Erika mit den Kindern heimlich vorbereitet hatte. Unter dem Baum standen Fritz und Franz, in der Mitte klein Wilhelmine, die Knaben in rauhen Gewändern, die Erika verfertigt, mit Schäferstäben als Hirten, Wilhelmine in ihrem weißen Kleidchen mit zwei kleinen Flügeln und einem Schneeglöckchenkranz als Engel. Und dann sangen sie ein Weihnachtslied. Wir waren alle still; am stillsten Onkel Fritz.
Sie hatten es noch nicht ausgesungen, als Dorette mir zuflüsterte, es sei wer die Hintertreppe heraufgekommen; so elend; eine Frau. – »Mit einem Knaben?« fragte ich. – »Ja.« – Draußen war ich.
»Frau Naue, da sind Sie ja. Und Nante. So ist's recht.« – Die Frau schluchzte. Wie war sie verhärmt, wie jammervoll. Da war was geschehen, das sah ich auf den ersten Blick. »Warum kamen Sie nicht schon längst?« warf ich ihr liebreich vor. »Dorette, gieb der Frau erst mal eine Tasse Fleischbrühe und ein Brödchen und dem Kleinen desgleichen.«
»Ick wußte nich wo un nich wer,« sagte sie, »aber als se mir in't Jlinik brachten, da fragte ein Herr, wo Nante bei den Hut käme, det wäre ja seinen Fritz seiner; da hab ick ihn't jesagt. Und jefragt, ob er die Frau kennen däthe? Und auf die Art bin ick hier.«
»Sie sind krank gewesen?« fragte ich.
»Ick bin't noch, aber et jeht. Sieber hat mir'n Tritt jejeben, von wegen Naten sein feinet Zeig, dett ick bin lang hinjeschlagen. Det war zu ville.«
»Frau, Frau, welch ein Glück, daß Sie in der Klinik mit meinem Schwiegersohn zusammentrafen und Nante das rothe F vorm Kopf hatte und der Rath es auch sah. Und Sie wollten nichts mehr von mir wissen, wo ich doch den Jungen so lieb hab. Wie es ihm schmeckt. Kommen Sie, Frau Naue, Sie sollen Weihnacht mit uns feiern. Ich seh' mir was drinn, daß Sie sich gerade heute hergefunden haben. Es giebt keinen Zufall, es giebt eine Lenkung über uns. Kennen Sie die Geschichte von dem Kandidaten im Stelzenkrug? Nein? Ich erzähle Sie Ihnen gelegentlich, mein Karl wird leichte Arbeit für Sie haben. – Oder müssen Sie wieder zu Ihrem Mann?«
Sie schüttelte das Haupt, und alles je erduldete Leid vergrämte das schmale Gesicht.
»Unser Jlück ist dahin für de jute Sache. Se sagen ja: det Weib is frei. Ick bin frei von ihn'n.« – Das sprach sie mit merkbarer Aufathmung. Dann brach sie zusammen und weinte bitterlich.
Mein Karl suchte mich. Ich setzte ihm die Bewandtniß rasch auseinander. Die Frau blieb. Wir können nicht Allen helfen, aber doch jeder, wo er kann.
Frau Naue fühlte sich gestärkt, mein Karl hatte drinnen erzählt wie es war, der Herr Rath erinnerte sich des Zusammentreffens, als er und Butsch die kleine Elsa Weigelt zur Operation brachten und ich führte die Frau und den Knaben hinein.
Allerdings muß ich sagen, für regelrecht Veranlagte war das mit Zeltwand durchschorene Berliner Zimmer eine Klappssache, für Nante aber eine Entrückung in eine ungeahnte Welt. Er war scheu und stumm, er sah nur. Dann redeten die Kinder mit ihm und gaben ihm von den Sachen, die sie vorher empfangen.
Als er sich eingesehen und eingelebt hatte, betrachtete er immer noch die geflügelte kleine Wilhelmine mit verwunderten Augen und blödem Unverständniß. Das fühlte sie wohl, und während Dorette die Pastetchen hineintrug, die wir zur Fleischbrühe haben wollten, und darauf Rinderbraten – aber kein altes Rückenkissen, sondern saftig und beißbar – nahm das resolute kleine Ding Fritz und Franz bei der Hand und ging mit ihnen an die Singstelle, und sie sangen unter dem strahlenden Weihnachtsbaum.
Wir kannten das Lied schon von vorher, aber Nanten war es neu. Er lehnte sich an seine Mutter und umklammerte ihre Hand. Als sie seine hochrothen Wangen sah und die leuchtenden Augen, überflog auch ihr wachsbleiches Antlitz ein Schimmer von Glück, und mir schien, als wenn sie wie in Erinnerung mit einstimmte:
Alle Jahre wieder Kommt das Christuskind Auf die Erde nieder, Wo wir Menschen sind. |