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Eine neue Art Heringskartoffeln und wattirte Kniescheiben – Warum Wilhelmine heiser wird und Betti Brotkrumenißt – Von warmen Handschuhen und schlaflosen Nächten – Vom Finanzminister und von chinesischen Münzen – Warum Wilhelmine überzeugt ist – Vom amerikanischen Giftkompot – Warum Wilhelmine unheimlich wird und Betti einen Kursus giebt – Von Pantomimen und der heutigen Jugend – Warum der schwarze Mann leid thut und Wilhelmine nicht an Lessing geht – Von dem Patentleuchter und Lästerung in Gefahr – Warum Karl als Statue steht und Wilhelmine Schildwache liegt
So sehr man auch zum harmonischen Zusammenvertragen veranlagt ist, ganz lassen sich Auseinandersetzungen mit nachfolgendem Uebelnehmen nicht vermeiden, wenn man auf derselben Etage wohnt und verschiedenes Rechtsbewußtsein hat.
Ich gebe nach, wo und wie ich kann, und meiner Betti muß ich nachrühmen, daß sie ihre Bockigkeit, mit der sie mir in den geflochtenen Zopfjahren manchen Verdruß in der Gegenwart und manche Sorge für die Zukunft machte, bis auf einige kaum merkbare Knubben abgestoßen hat, aber ganz einige werden wie in mehreren Dingen doch nicht und da ich gewöhnlich recht habe, fühlt sie sich gekränkt oder thut wenigstens so.
Sie ist so vernünftig, sich Auskunft bei mir zu holen, wenn sie in irgend einen Hausstandszweifel geräth, ob sie den Schmolkohl gleich mit Fett ansetzen soll, was Einige thun, oder erst abwellen und dann langsam das Schmalz mit feiner Empfindung daran geben, wie ich's von meiner Mutter lernte, die bekannt war, für einen gediegenen Happenpappen zu kochen. Oder wegen der Wäsche, oder es ist mit einem Kinde Abweichendes, oder sie kommt doch man so, da Thür an Thür in Freundschaft nie nahe genug ist. Aber viel zu dicht bei in Feindschaft.
Wovon sie nichts wissen will, ist die alte Gewohnheit, daß man Geschäftskunden zum Mittagbrot bittet, das heißt auswärtige Kunden, die anständig kaufen und bestellen und Wünsche haben, die beredet und bethan werden müssen. Betti meint, solche Tischeinladungen wären krähwinkelige Gebräuche, aber so gemüthlich, bei einem Püllecken feinerer Röthe fluschen die Aufträge ganz anders als ungefrühstückt, und schon manches Groß Socken, das den Morgen über festgesessen hatte, wurde Mittags bei umsichtiger Tränkung locker. Da ist es die Pflicht der Hausfrau, eine hinziehende Prepelung zusammenzustellen, während der Gatte in den Keller steigt, einfach nur, um das Geschäft schwunghaft zu erhalten.
Nun ist Felix Geschäftstheilhaber und Betti seine Frau, woraus sich selbstverständlich ergiebt, daß sie endlich und schließlich die Anfütterung der Kunden mit übernehmen müssen, meinen Karl und mich zu entlasten. Und das will Betti nicht.
»Betti,« sagte ich, »wer mit vom Geschäft reißen will, muß auch einschießen.«
»Es reißt sich nicht,« antwortete sie. »Der letzte Abschluß hat die Hoffnungen, die Felix bisher noch hegte, sehr heruntergestimmt.«
»Die Zeiten sind schlecht, Dein Vater klagt über die nordamerikanischen faulen Zustände, die sich bis in unsere Fabrik hineinerstrecken, aber gerade deswegen darf man nichts verabsäumen, was den Absatz begünstigt. Kunden fangen ist nicht schwer, Kind, für jeden Artikel, den Du unter dem Kostenpreis weggiebst, findest Du Abnehmer, zumal mit endlosem Kredit obendrein; aber einen propperen Zahler halten, das will verstanden sein: das geschieht vermittelst Gediegenheit der Waare, vereint mit freundschaftlicher Beziehung. Und wie willst Du Beziehungen befestigen, ohne ein kleines Bundesmahl? Auf trockenem Wege erreicht man nichts.«
»Mama, es ist mehr Mode, die Kunden in ein feines Restaurant mitzunehmen; das macht weniger Umstände.«
»Aber horrende Kosten. Bei Dressel mußt Du Sekt geben, wenn auch nicht ozeanweise, so doch bis nach Mitternacht und später. Zu Hause dagegen, wenn Papa sagt, ›die Sektgläser scheinen vergessen‹, dann weiß ich, daß eine Flasche auf der Bestellung stehen kann und frage: ›die Schalen oder die Kelche?‹ Sagt er ›Schalen‹, giebt es von dem guten aber billigen Lothringer von Wachenhusen und Prutz, sage er ›Kelche‹ kommt ›Deutz und Geldermann‹ ran. Mit dieser Zeichensprache sparen wir manchen Groschen und unsere Tischgäste fühlen sich trotzdem hochgeehrt. Und man kann reichlich geben, was immer dankbar haftet.«
»Davon haben wir als Kinder nie etwas gemerkt.«
»Kinder dürfen auch nicht zu klug gehalten werden, doch finde ich es sträflich, wenn Töchter, zumal erwachsene, sich wie die Sphinxe betragen.«
»Wen meinst Du damit, Mama?«
»Nichts, Kind. Man sagt wohl mal etwas, ohne gerade ein Corpusdelicti zu haben, dankt jedoch seinem Schöpfer, wenn nachher Alles gut abläuft...«
»Aber so sag' doch, Mama...«
»Was soll ich sagen? Ich weiß nichts.«
»Doch...«
»Wirklich nicht.«
»Kannst Du ›wahrhaftigen Gott‹ darauf sagen?«
»Ich bitte Dich, Betti, wer wird so neugierig sein? Neugierde ist und bleibt ein Charakterfehler, der viele bei näherer Bekanntschaft häßlich entstellt, wie beispielsweise die Krausen. Richte Dich nur immer nach Deiner Mutter, die hat das längste Ende vom Leben gesehen und ist nicht gieperig auf den Rest.«
In diesem Moment klingelte die Glocke vom Telephon, das von der Fabrik in die Wohnung leitet und mein Karl meldete einen Gast.
»Bon! Schluß!« hallte ich durch den Draht retour, und sagte darauf zu Betti: »Es wäre mir sehr angenehm, wenn Du und Dein Mann heute bei mir essen wolltet, ich habe eine neue Manier von Heringskartoffeln, nicht das Ganze aber doch noch reichlich, und dann können Du und Dein Mann gleich sehen, wie sich die Behandlung der Kunden je nachdem einrichtet. Mein Karl und ich, wir haben allerlei Winke, damit keiner über seine Fähigkeiten angestrengt wird.«
»Mir paßt es,« nahm Betti an, »ich habe doch nur Aufgewärmtes und das gönnt Felix der Kinderfrau ohne Beschränkung der Wohlthätigkeit.«
»Behaltet Ihr sie noch lange?«
»Karla hängt so sehr an ihr. Ueberhaupt, ich bin mit ihr und meinem Mädchen sehr glücklich dran.«
»Ich nicht mit meinem. Uebrigens Deine gießt immer das Kohlwasser auf die heiße Asche, daß der Gestank die ganze Wohnung verpestet. Und dabei habe ich es ihr schon wiederholt streng verboten.«
»Das ist es alleben; sie läßt sich von keiner andern etwas sagen, als von ihrer Herrschaft und die bin ich. Mit Heftigkeit richtest Du bei der garnichts aus.«
»Bin ich heftig?«
»Mama, Du meinst es ganz gewiß gut... aber«
»Wie aber?«
»Die Mädchen wollen nicht mehr, daß man auf sie herabsieht, sie verlangen respektirt zu werden, und aufrichtig gesagt: ich habe gefunden, daß man mit Freundlichkeit weiter kommt, als mit der mittelalterlichen Strenge.«
»Ich werde mir die Kniescheiben wattiren lassen und die Philippine nur noch fußfällig anflehen, die Kartoffeln zu schälen, wenn ich sie mir mit der Pelle leid gegessen habe,« entgegnete ich nicht ohne einen Anflug von Hohn.
»Dem dienenden Geist, dem ich mein Liebstes, meine Kinder anvertraue, muß ich mit Achtung begegnen, dann kann ich auch verlangen, daß er seine Pflicht mit voller Hingebung in Artigkeit und Freundlichkeit thut.«
»Ich verlange von meiner Nichts und auch das macht sie noch verkehrt. Uebrigens was nützt das Meinungen austauschen, schließlich nimmt jede selbständige Frau doch ihre eigene wieder mit sich nach Hause. Aber ich sage Dir, wenn ich eine Meinung habe, ist sie nicht nur meine, sondern auch die richtige. Sag' Deinem Manne, Punkt drei essen wir.«
»Findest Du Heringskartoffeln nicht etwas sehr bürgerlich?«
»Für diesen Kunden nicht. Hätte Papa telephonirt, wir essen um Vieren, dann würden Umstände gemacht; jede viertel Stunde später bedeutet einen Gang mehr.«
»Seid Ihr aber anschläg'sch,« lachte sie, denn es macht Kindern stets Freude, wenn sie mit zunehmendem Verständniß immer mehr die elterliche Bedeutung einsehen und neue Achtungswürdigkeiten entdecken.
»Besondere Kleiderkunststücke haben heute wohl keinen Zweck?«, fragte sie im Abgehen.
»Nimm das Perlgraue, es liegt eine gewisse Finesse darin. Geht man alltags ziemlich sonntäglich, sehen die Kunden, daß man so ganz billig nichts giebt. Eine Kleinigkeit hat oft Folgen, wie man sich im Traume nicht denkt.« – Daß ich hiermit eine leider nur zu unangenehme Wahrheit aussprach, sollte ich noch an demselben Tage erfahren und zwar ehe er sich um Mitternacht wendete. Daran werde ich denken. –
So gegen Dreien erschien mein Karl mit dem Tischkunden.
Mein erster Gedanke war: ›die Längde‹; mein zweiter: hat das Oberviertel oder das Unterviertel zu viel Meter?
»Herr Niedlich,« stellte mein Mann ihn vor.
»Auch nicht übel« dachte ich, aber ehe ich mir Bettis Gesicht ausmalen konnte, wenn sie erführe, daß ein so überlebensgroßes Gestell auch noch niedlich hieß, sagte der Mann in einer Art hoher Knabentonlage: »Mit einem t«.
»Wie habe ich das zu verstehen?«, fragte ich.
»Mein Name ist Niedlich mit einem t, nicht mit einem d. Er kommt von Nieten her...«
»Haben Sie schon viele gezogen?« fragte ich unwillkürlich. Solche, die sich jedesmal mit der Nummer vor dem Gewinner beglücken, sind ja nicht selten und dieser Extra-Laban schien mir zu ihrer Partei zu gehören.
»Er kommt von Nieten her,« fuhr er unbeirrt fort, »von solchen Nieten, die zum Nieten der Dampfkessel dienen, nie und nimmer von niedlich mit einem d.«
Wenn Einer einen Erkältungstenor hat, muß er mit dem I-Laut keinen Mißbrauch treiben, um den Zuhörern das Verlangen nach Huststangen zu ersparen. Genug, mir wurde von der ersten Probe schon heiserig. ›Was dies wohl für ein ende nimmt?‹ fragte ich die allgemeine Unbewußtheit, die eine Vorahnung wohl aufkommen läßt, sie jedoch stets mit Unangenehmheiten beantwortet. Bei mir wenigstens noch nie anders.
Betti und Felix traten an. Felix war auf Stadtkundschaft ausgewesen, weshalb ihn der Riesennietlich ebenso überraschte wie Betti, die ihn erstaunt musterte, wobei sie mehrere Absätze machte, wegen seiner Länge.
»Herr Nietlich,« stellte mein Mann vor.
»Mit einem t,« sagte dieser ganz gerade, akkurat genau ebenso wie vorher.
»Allmächtige Güte« fing ich an zu denken, als er auch schon weiter haspelte: »Mein Name ist Nietlich mit einem t, nicht mit einem d. Er kommt von Nieten her.«
»Haben die Nieten große Vorliebe für Sie?« fragte Betti.
Der Lange seufzte, es klang wie entfernte Lokomotiven. »Den Witz bin ich schon gewohnt« sagte er, »den machen Alle. Nein, mein Name kommt von solchen Nieten her...«
»Ich glaube die Suppe ist aufgetragen,« unterbrach mein Karl die Nietengeschichte. »Kommen Sie.« Dabei nahm er ihn an der Hand, die an einem langen Arm saß, wie der Griff an einem Pumpenschwengel. Betti lächelte mir vergnügt zu, als wenn sie sagen wollte: »Es kann ja noch recht hübsch werden.«
Als wir nun zu Tisch gingen, mein Karl, der Nietliche, Betti, Felix und meine Wenigkeit, sagte ich, während wir andern bereits saßen: »Bitte, Herr Nietlich, nehmen Sie doch Platz,« worauf er stillschwieg und mich mit einem so wehleidigen Blick ansah, daß ich ihn für noch tapsiger hielt als bei der ersten Schätzung.
»Geniren Sie sich durchaus nicht. Thun Sie, wie in Ihren eigenen vier Pfählen. Setzen Sie sich doch.«
»Ich danke, ich sitze bereits« gab er zurück, wie ein leichter Herbstwind durch ein vorstehendes Bodenfenster.
»Das ist recht von Ihnen« suchte ich meinen Beobachtungsfehler wieder gut zu machen, denn er saß wirklich. Aber wer ahnte auch, daß er auf dem Stuhle noch länger wurde, so daß er zwischen uns hockte, wie ein einziger Erwachsener am Kindertische, was sich überdies, da er sehr hager und sehr bleich mit tiefliegenden Augen und tornisterkurz geschnittenem Haar und schwarzen brillenartigen Augenbraunen war, sich am hellichten Tage ganz geisterhaft ausnahm und dabei eng bis an den Hals zugeknöpft. Betti aß Brotkrumen, was sie sonst nie thut. Ohne dieses Vorbeugungsmittel hätte sie sicherlich losgeprustet, zumal die Philippine, jetzt, da wir die Suppe so nothwendig hatten, uns ungebührlich warten ließ.
Mein Karl schenkte, um uns aus der Verlegenheit zu helfen, einen kleinen Vortrunk ein und sagte zu Felix: »Herr Nietlich hat mehrere Erfindungen, die er uns anbietet. Da ist namentlich ein Hülfsapparat zum Weben von Handschuhen, der mich des Versuches werth dünkt. Haben Sie das Muster noch bei sich, Herr...?«
Herr Nietlich machte sich ganz schmal, fuhr mit der einen Hand an sich herunter und langte einen Handschuh aus irgend einer Tasche hervor. »Ih, du meine Güte« rief ich, als ich den Sah. Betti that ihrer inneren Fröhlichkeit keinen Zwang mehr an.
»Eine neue Sorte von Pavianspfoten« sagte Felix.
»Was wollen Sie damit behaupten?« fragte ich, um jeglicher Kränkung des Gastes vorzubeugen.
»So nennt man die verrückten englischen Handschuhe in ganz Berlin, Sie kennen doch die gestrickten Flossenfutterale...«
»Die sogenannten Ringwood's,« fiel mein Karl erläuternd ein. »Ihrer Zeit ein gutes Geschäft.«
»Dieses Muster ist noch unkluger« fuhr Felix fort. – »Beinahe, als wenn es einem besonders bunt getigerten Leoparden aus dem Fell geschnitten wäre,« sagte ich.
Der Lange lächelte – oh es war ein so anatomisches Lächeln, daß mich fror, als hätte der Tod mir zugescherzt – und sprach meckernd »So ist es auch gedacht. Jedes Pelzmuster kann mit meiner Patentvorrichtung nachgestrickt werden. Ich gehe von der Idee aus, daß das Auge die übrigen Empfindungen verstärkt. Was einladend aussieht, schmeckt besser als unappetitlich Aufgetischtes; je geschliffener das Glas, um so feiner der Wein, einen je pelzartigeren Eindruck der Handschuh macht, um so wärmer kommt er den Leuten vor...«
»Ganz gewiß« stimmte ich zu. »Ich kenne Zeug, das Schweiß treibt, blos wenn man Andere es anhaben sieht. Karl in diesen Tigerklauenhandschuhen liegt Gangbarkeit.«
»Wenn der Artikel Mode wird, kann er möglicherweise gehen« redete Felix. »Wären die Zeiten nicht so miserabel, würde ich zu einem Versuch im Großen rathen. Wie aber, wenn wir mit der Waare sitzen bleiben? Angenommen, wir fabriziren im besten Vertrauen auf die Konjunkturen: es kommt ein kleiner Zollkrieg und wem warm bei den Handschuhen wird, das sind wir.«
»Ich habe wochenlang schlaflose Nächte durchsonnen bis ich meine Idee recht erfaßt hatte,« sang der lang Aufgeschossene »sie muß, sie wird die Welt erobern...«
Zum Glück kam die Suppe, eine kräftige Fleischbrühe mit Schwemmklöschen; ich gebe die Eier heiß in den abgerührten Teig, dadurch kochen sie nicht ab, selbst wenn sie lange stehen und auf den frühschoppenverhinderten Hausherrn warten müssen. Herr Nietlich fand die Klöße delikat, was ich ihm aufs Wort glaube, denn anderwärts kriegt er sie so nicht. Während der Suppe sah ich, daß er vor uns allen einen Vortheil hatte, indem wir pusten mußten, wogegen bei ihm jeder Löffel voll auf dem weiten Wege vom Teller bis an den Mund sich von alleine abkühlte. So sorgt die Natur für jedes ihrer Wesen, daß selbst anfangs unfaßbare Ungebachertheit, bei näherer Betrachtung doch noch ihren Nutzen abwirft.
Nach der Suppe fragte Felix: »Sie haben noch mehr Patente?«
»Eine Maschine, Ellenwaaren abzumessen, um einen Verkäufer zu sparen,« erwiderte der Lange und seufzte.
»Sehr praktisch« lobte ich. »Da haben Sie gewiß immense Abnehmer?«
»Ach nein. Die Maschine kam zu theuer, weil häufige Reparatur daran war. Nun ist das Patent verfallen und ich habe blos die Kosten davon. Die schlaflosen Nächte, die ich zum Nachdenken brauchte, rechne ich nicht mal mit.«
»Die bezahlt wohl auch Niemand« sagte Betti spöttisch.
»Man setzt viel beim Erfinden zu« erwiderte der Lange klagend, »ich spür' es an meiner Gesundheit. Ich kann nicht schlafen, wenn ich erfinde. Die Ideen lassen mir keine Ruhe. Ich fürchte, selbst im Sarge nicht.«
»Erfinden Sie doch einen Patentschlummerpunsch,« rieth ihm Betti.
Der Lange merkte, daß Betti ihn aufziehen wollte und sah schief von oben auf sie herunter. Ich gab Betti einen leichten Wink mit meiner Fußspitze auf ihren Spann, damit sie nicht weiter ginge. Denn kann sie Einen nicht ausstehen, wird sie manchmal sehr scharf. Und den Langen mochte sie nicht.
Hingegen die Heringskartoffeln mochten sie Alle; dazu Saucischen. Weil nun die neue Art reichlich Bollen sowie Pfeffer in sich begreift und das Salzige durch angequirlte Eier lieblich wird, mundete ihnen nicht nur das Feste, sondern auch das Flüssige und die Stimmung nahm steigende Tendenz. Der Lange lächelte mir aus der Höhe zu, worauf ich sagte: »Ich bin fest überzeugt, wenn Sie ordentlich essen und trinken, schlafen Sie auch die Nächte ordentlich.«
»Wann soll ich denn erfinden?« fragte er. »Am Tage muß ich meine Ideen verwerthen. Aber es ist so schwer, an die Minister zu kommen.«
»Was haben die Ihnen gethan?« fragte Betti.
Herr Nietlich sah wieder ganz schief auf Betti herab; ich gab ihr einen Tritt, aber einen festeren als vorher. Der Lange wandte sich von ihr ab und milde lächelnd mir wieder zu, als bäte er um Hülfe.
»Man erfindet doch auch staatserhaltende Patente,« sagte ich, »wie z. B. den Dowe'schen Panzer oder den von selbst fliegenden Luftballon oder die Aluminiumkürassiere...«
»Ich wollte zu seiner Exzellenz dem Herrn Finanzminister Miquel...« fistelte der Lange.
»Eine Patentsteuerschraube?« fragte mein Karl mit einem Anflug von Humor, den wir Alle belachten.
»Ach nein!« zirpte der Lange und suchte an sich mit der Hand herum. Dann drückte er oder riß er an einem Knopf – genau konnte ich es in der Geschwindigkeit nicht sehen – und ritsch sprangen alle Knöpfe auf und der Rock stand offen. Hierauf holte er aus der Westentasche ein Papier, aus dem er einige Geldstücke wickelte und sagte: »Meine beste Idee.«
»Patentfalschmünze?« fragte Betti, den Spuren ihres Vaters folgend. Ich winkte in der vorhergehenden Manier ab, da ich sah, wie sehr ihre Randglossen den Langen verdrossen, der, wenn auch recht wegwünschenswerth, doch immer unser Gast war.
Herr Nietlich räusperte sich und holte zu einem längeren Feuilleton Luft.
»Jeder Mann,« begann er »jede Frau, jedes Kind, jedes Mädchen, jeder Diener...«
»Wir sind mit einem Häppchen zufrieden,« wehrte ich ihm, »das Ganze nimmt wohl zu viel von Ihrer schätzbaren Zeit in Anspruch.«
»O, ich habe Zeit,« spann er weiter, »genug, Jeder hat schon die Gelegenheit gehabt, sich in den Münzen unsers Deutschen Reichs zu vergreifen, ein Fünfzigpfennigstück für ein Zehnpfennigstück auszugeben, ja selbst ein Zwanzigmarkstück mit einem Nickel zu verwechseln.«
»Das kommt nicht vor« rief ich.
»Doch,« erwiederte der Lange: »in später Nacht...«
»In später Nacht giebt man keine Zwanzigmarkstücke aus. Nicht wahr, mein Karl?«
»Nein,« antworteten mein Mann und mein Schwiegersohn wie aus einem Munde.
»Sehen Sie. Es giebt keiner Nachts Zwanzigmarkstücke aus.«
»Man thut es, aber man sagt es nicht, und wer leugnet macht sich verdächtig,« entgegnete der Lange.
Nun ward Betti falsch, es stieg so in ihr auf. Ich trat wieder zu. Es nützte aber nichts: »Sie müssen sehr merkwürdige Erfahrungen gemacht haben,« sagte sie spitz.
»Viele böse,« antwortete er, »aber auch viele liebe.« Dabei lächelte er mich wieder an und zirpte weiter:
»Am leichtesten ist die Verwechslung im angeheiterten Zustande, und bei dem grünlichen Gasglühlicht in den Nachtkaffees sieht das Gold so bleich wie Silber oder Nickel aus, da giebt Mancher...«
»Ich glaube nicht, daß Ihre Erfindung uns interessirt,« unterbrach ihn Felix.
»Durchaus nicht,« stand Betti ihrem Manne gereizt bei. »Wir verstehen überhaupt nicht, was Sie mit Ihren Reden wollen.«
Ich trat energisch zu.
»He, he« lachte der Lange.
Betti wurde funkelnd roth.
»Also bitte Ihre Erfindung,« mahnte mein Karl, »die Nebensachen sind zwecklos.«
»Nach meinem Patent ist jede Verwechslung ausgeschlossen. Sehen Sie diese Probemünzen. Hier Gold: ein Geldstück wie bisher mit geriffeltem Rande, voll und massiv. Hier Silber: eine Münze mit einem lateinischen V durchbohrt und hier Nickel mit einem kleinen Kreise durchlocht. Da ist die Fälschung erschwert und jede Verwechslung sogar im Dunkeln und im Dämmerlicht der Pferdebahnen unmöglich.«
»Wenn man Ihre Handschuhe nicht dabei anhat,« sagte Betti.
»Auch selbst dann. Man hält die Münze gegen irgend eine Lichtquelle, wenn sie auch noch so fern ist und sieht ob rundes Loch »Nickel«, ob V-förmiger Einschnitt »Silber«, ob vollrandig »Gold«.
»Ein Patent werden Sie darauf wohl nicht erlangen,« sagte Felix, »denn solche durchbrochene Münzen sind schon seit Jahrtausenden gang und gäbe bei den Chinesen und anderen asiatischen Völkern.«
»Wenn man Dusel hat, werden die ältesten Projekte patentirt. Aber auch, wenn ich wieder mal Unglück hätte, würde ich mich mit einer Staatsbelohnung begnügen.«
»Für Löcher giebt der Finanzminister nichts, der ist froh, wenn er keine sieht,« sagte mein Karl. »Aber da Sie ein solches Talent sind, warum erfinden Sie nicht einmal etwas Praktisches?«
»Das hab' ich. Hier meine selbstöffnenden Knöpfe.« Bei diesen Worten deutete er auf seine bis oben hin zugeknöpfte helle Weste, sah lächelnd von oben herab, wie ein Zauberer von der Bühne, zog irgendwo und schnapp sprang die ganze Knopfreihe auf.
Unter der hellen Weste hatte er eine dunkle mit ebensovielen Knöpfen. Schnapp, auf war sie. Auch der Hemdeneinsatz war knöpfig wie ein Liftjunge.
»Bitte,« rief ich, »lassen Sie das Patent nicht weiter spielen, wir können es jetzt. Es ist sehr schön, aber zu viel davon doch wohl nicht für Damengegenwart geeignet.« Ich hatte das Angstgefühl, er würde nun so ebenmäßig weiter aufschnappen bis auf das baare Rückgrat. Dann aber Betti!
Er griff unter den Tisch.
»Nein, nein,« wurde ich eindringlich. »Wir sind vollkommen überzeugt. Bemühen Sie sich nicht unnöthig.«
Betti murmelte blos das Wort »Unerhört«, wohl weil ich den Fußtelegraphen zu eindrucksvoll handhabte. Der Lange ließ sich jedoch nicht hindern, je mehr ich abredete, um so freundlicher nickte er mir zu. »Es ist grade für Damen,« sagte er, »die allein haben ein sachgemäßes Urtheil.« Er zog nun aus irgend einer Tasche ein Stück Taljentheil mit seinem Patentsprechanismus hervor, ihn näher zu erläutern, aber Betti sagte:
»Das ist nichts für den Mittelstand.«
»Aber bedenken Sie, wie viel Zeit dadurch erspart wird.«
»Die haben wir Gott sei Dank noch über,«entgegnete sie.
Ein kleiner behaglicher Kalbsrücken mit Salat und Kompot unterbrach die Vorstellung. Er war wie immer bei Buchholzens. Das Kompot dagegen erregte keinen Beifall.
»Was hast Du da?« fragte mein Karl. »Das Zeug schmeckt ja niederträchtig.«
»Die Essigpflaumen sind bekanntlich verdunstet,« erwiderte ich, »und da versuchte ich die amerikanischen Ringäpfel, die sehr gepriesen werden.«
»Der Geschmack ist Zink,« sagte Herr Nietlich. »Die Amerikaner trocknen das Obst auf verzinkten Drahthürden; die Säure der Aepfel löst das Metall auf, es bildet sich apfelsaures Zink, das nicht nur schlecht schmeckt, sondern auch giftig ist...«
»Woher wissen Sie das?« fragte Betti ungläubig.
»Ich bin Techniker. Schon viele Nächte habe ich darüber nachgedacht, das Zink zu ersetzen...«
»Dieses amerikanische Giftkompot wünsche ich nicht wieder,« sagte mein Karl. »Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Nietlich, daß Sie uns vor üblen Folgen behütet haben.«
Dies sah Betti auch ein und ward freundlicher gegen den Mageren, der entschieden mehr Kenntnisse hatte als Fleisch auf den Rippen. »Ihnen ist wohl schon Manches schief geglückt?« fragte sie.
»Ich ersinne Neues,« entgegnete er. »Wir werden sehen, wer mehr Ausdauer hat, ich oder das Patentamt?«
Hierauf gab es wie üblich Butter, Brot und Käse. Der Lange fummelte wieder in seinen Taschen und brachte eine Art gepolsterter Wäscheklammer zum Vorschein.
»Was ist das für ein technologisches Kunstgeräth?« fragte ich.
»Meine siebenundvierzigste Erfindung, zum Patent angemeldet, eine Vorrichtung, um beim Verspeisen von altem Käse nicht von dessen Geruch belästigt zu werden.«
»Einzig!« lobte ich ihn, »aber bei meinem Schwiegersohn, dem Doktor, werden Sie keine Gegenliebe finden, der ißt Kuhkäse nur mit der Nase.«
Da dies Instrument Niemand begeisterte, standen wir auf und verfügten uns ins Wohnzimmer, den Mokka zu schlürfen.
Nach dem Kaffee ging erst Betti, dann Felix, der längst heraus hatte, daß mein Karl den Patenterich los sein wollte, um eine kleine Nachmittagsfahrt in das Reich der Träume zu unternehmen.
»Ich erwarte Dich gleich im Kontor,« log er noth, »es sind wichtige Sachen zu erledigen.«
»Ich komme sofort nach,« log mein Karl mit, als Felix ging.
»Ja, ja,« sagte ich, um nur etwas zu sagen, da der Lange schweigsam auf dem Stuhle sitzen blieb.
»Sie haben auch noch in der Stadt zu thun?« fragte mein Karl.
»Heute nicht mehr.«
»Ich meinte, Sie heute Morgen dahin verstanden zu haben...«
»Man ändert seine Absichten manchmal,« sagte er und lächelte mir mit der einen Gesichtshälfte zu, während er meinem Karl mit der andern Hälfte kühle Nichtachtung zuschnitt. Dies konnte er und es sah greulich aus. Ueberhaupt hatte er mich an seinen Blicken wie an der Leine, ich fühlte wie sie mir folgten, wo ich ging und wo ich stand und wenn ich mich umwendete, glupte er mich richtig an.
Und jetzt beunruhigender ich seine Betrachtungsweise empfand, um so öfter mußte ich mich überzeugen, ob er immer noch nach mir sähe und jedesmal sah er fest und stier und lächelte. Mir ward ganz unheimlich.
Wie oft hat man von Leuten gehört, die zu den Maschinen, die sie ausgrübeln, alle eigenen Schrauben gebrauchten bis sie keine mehr im Kopfe hatten und auch Winters Sommerfrische in Dalldorf beziehen mußten. Der Lange schlief ja nie; er erfand in einem fort. Das hält auf die Gehirnfasern.
»Karl,« sagte ich deshalb, »gehe lieber nicht ins Komptor, ich wäre Dir sehr dankbar, wenn Du mir Gesellschaft leistetest.«
»Wie so, Frau?«
»Mir ist so, ich weiß nicht wie....« –
Ich lehnte mich an den Tisch.
»Ist Dir nicht wohl? Sollen wir zum Arzt schicken?«
»O nein, in der Ruhe wird sich's schon geben.« – Nun, dachte ich, wird der Lange wohl so schlau sein und um seinen Abschied einkommen. – Denkt nicht dran; klebt weiter.
»Sollte Ihre Kundschaft Sie nicht vermissen?« fragte mein Karl. – »Wenn ich in einem Hause bin, wo ich verstanden werde, liegt der Erwerb weit hinter mir in nebelgrauer Ferne,« entgegnete der Lange und neigte sich wie ein Dampfschiffschornstein vor der Brücke nach mir herüber.
»Das ist sehr nett von Ihnen, aber ich muß Sie doch bitten, sich wegen Ihres Handschuhpatentes in diesen Tagen wieder vorzubemühen. Also auf ein andermal.«
Das half. Er reckte sich hoch und ging auf mich zu. Ich wollte schreien, konnte aber nicht, denn wie er einige Schritte vor mir stand, ratsch schlug er Rock auf, ritsch die Weste, und aus einer Seitentasche nahm er ein messingnes Rohrartiges, das er mir so zierlich überreichte wie seine Windmühlenarme gestatteten.
»Mein neuestes Patent, ein Lichtstumpfhalter. Hier oben befestigt man das Licht, hier unten diese Federn fügen sich jeder Leuchteröffnung. Das kleinste Stümpfchen brennt bis zuletzt auf, eine riesige Ersparniß für jeden Haushalt. Darf ich Ihnen dies Exemplar als ein Zeichen meiner aufrichtigsten, innigsten Zuneigung verehren? Ja ich darf, ich weiß, ich darf. Ich verstehe jeden Wink des Herzens.« Dabei sah er von ganz oben aus der Höhe auf seine großen Füße herab. »Schon mehr Möbelwagen« mußte ich bei dem Anblick dieser Tretorgane denken.
Ich nahm den Lichtsparer und reichte ihm einige Dankbarkeitsfinger. Er aber nahm die ganze Hand und drückte sie mit einer zärtlichen Gewaltsamkeit, daß mir ganz blümerant wurde. Ehe ich ihm zurufen konnte, »Herr, was fällt Ihnen ein,« seufzte er hörbar pfeifend und zog ab. Mit drei von seinen Schritten hatte er die Thür. Mein Karl eilte ihm nach, um zu verhüten, daß er zurückkäme und ich stand da mit dem Patentlichtstumpfhalter und wußte nicht wie mir war.
»Ist er weg?« fragte ich, als mein Karl wieder eintrat.
»Weg. Wie ist Dein Unwohlsein, Wilhelmine?«
»Auch weg,« entgegnete ich, »mit dem Menschen. Karl, wenn Castan den sieht, der gießt ihn für die Schreckenskammer in Wachs. Wie konntest Du mir den anthun?«
»Ich ward ihn nicht los. Ich fragte ihn, damit er ginge, ob er nicht zu Mittag essen wolle? Er sagte »danke, zu liebenswürdig« und blieb.«
»Daß Du nicht dafür konntest, ist mir klar, oder dachtest Du, falls die Häringskartoffeln zu sehr nach dem neue Rezept schmeckten, würde ein Gast sie aus Höflichkeit vertilgen, damit sie Dir nicht wieder vor die Gabel kämen? Denn Karl, im Essen bist Du etwas egoistisch. So, nun lege Dich hin, ich springe eben hinüber, Betti einen Kursus über geschäftliche Verpflichtungen angedeihen zu lassen.«
»Die Kartoffeln waren vorzüglich,« sagte mein Karl.
»Dann schlafe den Schlaf der Unschuld, aber ein bißchen rasch. Es ist schon spät.«
»Ich muß ins Komptor, der Patentmann hat meine Zeit mitgenommen.«
»Lauf hinterher,« sagte ich, »wenn der auf dem Werderschen Markt ist, triffst Du seinen Schatten noch in der Königsstraße.«
Er lachte, der gute Karl, und schlug vor: »Wir gehen heut Abend rechtzeitig in die Baba und holen das Versäumte nach.« – »Das thun wir, mein Karl. Wen man seine Arbeit und seine Pflicht vollendet hat, stellt sich Seelenfrieden ein. Ein gut gemachtes Federbett und ein gutes Gewissen sind eine schöne Schlafstubeneinrichtung und, Gott sei Dank, die haben wir. Du sollst sehen, wir liegen wie ungewiegte Murmelthiere.«
So sprach ich aus voller Ueberzeugung. Aber was sind Ueberzeugungen, wenn man sechs bis zwölf Stunden älter ist?
Als ich bei Betti kam, fragte die spöttisch: »Ist der Dauerbesuch alle oder bleibt er zum Abendbrot?«
»Betti,« sagte ich mit Mäßigung, »etwas , was Du noch viel zu wenig nimmst, sind Rücksichten. Du konntest nicht im Voraus wissen, welche geschäftlichen Beziehungen noch mit dem Langen angeknüpft würden...«
» An den Langen, wolltest Du wohl sagen...«
»Betti, ich trieb bereits deutsche Sprache, eh' Du geboren wurdest und abonnire auf Nachhilfestunden bei Dir daher nicht. Von mir dagegen kannst Du manche Vollkommenheit erwerben, zum Beispiel wie man Gäste artig behandelt, auch wenn sie kaum angenehme Gesellschaft für einen Regensonntagnachmittag wären. Und ich gab Dir ein Zeichen nach dem andern, Deine Sticheleien nicht an den fremden Herrn zu verschwenden.«
»Mir Zeichen?« fragte Betti wie aus den Wolken gefallen.
»Immerzu!«
»Dann waren sie so fein, daß ich sie nicht bemerkte.«
»Mich wundert, daß Du nicht ein einzigmal Au geschrieen hast.«
»Waren Deine Pantomimen denn so komisch?«
»Betti, willst Du mich dumm machen? Hast Du denn kein Gefühl mehr? Ich trat doch nicht schlecht zu.«
»Du tratest? Gern möglich, aber doch nicht mich!«
»Nicht Dich?« rief ich in plötzlicher Ahnung.
»Nein.«
»Sollte ich am Ende gar...«
»Wen anders? Bei der unendlichen Länge mußten seine Füße Dir zum Treten sehr bequem liegen.«
»Betti, Kind... das ist schrecklich. Ich muß mich setzen, diese Erkenntniß drückt mich nieder. Und je heftiger ich trat, um so lächelnder ward er.«
»Er feixte wie ein Verrückter.«
»Was mag er von mir gedacht haben?«
»Die Welt denkt immer gleich das Schlechteste,« sagte Betti und lachte.
Ich fühlte mein Antlitz wie eine Feuerlilie aufblühen. Der Lange dachte weltlich. Betti wollte nur einen Scherz machen, aber mir ward dieser Scherz zum Schlüssel für das Benehmen und die schwulmigen Redensarten des Patentdenkers. So ein Unsal bildete sich ein, ich kokettirte mit ihm, wo nur eine Verwechslung der Familiengliedmaßen vorlag! Ueberhaupt mir so etwas zuzutrauen, in unmittelbarer Nähe meines Mannes, meiner verheiratheten Tochter und deren Gatten! Unerhört! »Ja,« rief ich empört, »ist dies die Moral der heutigen Jugend, dann muß das Ende des Jahrhunderts zusammenbrechen, dann ist nichts mehr heilig.«
»Warum so aufgebracht, Mama? Dir kann doch sehr gleichgültig sein, was der Knopffritze von Dir denkt.«
»Was er denkt, ja. Aber was er weiter erzählt. Und dann kommt es entstellt Deinem Vater zu Ohren....«
»Was denn, Mama?«
»Nichts. Du hast recht; es ist mir sehr egal.« – Ich versuchte Betti durch Vergnügtheit abzulenken, und um zu sehen, wie ich die Mimik fertig brächte, warf ich einen Blick in den mir gegenüber befindlichen Trümeau. Es ging; noch etwas freundlicher wie beim Photographen; noch einen Schuß Wohlwollen. So war's gut. Als ich derart mein Spiegelbildniß einrenkte, bemerkte ich, daß ich gerade einen guten Tag hatte und mit dem bischen Röthe und den aufgeheiterten Zügen es noch mit mancher Jüngeren aufnehmen konnte, die nichts an Gesundheit geerbt hatte und das in Gesellschaften verthut; wodurch sie stark in das abgeblaßt Lederige hineinschattirt. Aber wenn ich mich gut konservire, ja sogar ausgezeichnet, und dabei menschenfreundlich bin, verwahre ich mich entschieden gegen jegliche falsche Auffassung. Mir that der schwarze Mann mit den Aufspringwesten und der Schlaflosigkeit furchtbar leid – allein schon so ein langes Leib täglich zu füllen – ja ich hatte beim ersten Ueberdieschwellelaatschen das Bewußtsein: Der bringt Unglück oder hat Unglück oder was sich sonst auf Pech reimt. Und so war es.
Aber nur nicht nachgeben. Mit einigermaßenem Willen kann sich jeder Mensch aufrappeln und das that ich. Flüchtig den Spiegel streifend erhob ich mich und sagte zu Betti: »Mein Kind, Du siehst, wie das Leben seine verschlungenen Pfade geht, wie man Menschen trifft und getroffen wird, wie es so ist. Aber der schlimmste Feind sind Mißverständniß und niedrige Auslegung. Ich stehe rein da, das weiß Dein Papa auch....«
»Mama,« unterbrach mich Betti, als mein Geist nach Luft rang, um den richtigen Akzang zu finden, »Mama, – wir haben doch nur wenig getrunken, weder Schalen noch Kelche.« – Rasch steigerte ich mein Unterhaltungsvermögen. »Stimmt. Du siehst wie dämlich mich der Besuch gemacht hat. Ich wollte Dir ja nur sagen, Betti, wie unrecht es von Dir ist, sich den geschäftlichen Verpflichtungen zu entziehen. Den nächsten Kunden habt Ihr zu Mittag.«
»Fällt mir garnicht ein,« lehnte sie ab. – Und das ist meine Tochter!
Da ich nicht mehr sagen wollte, was mich anbelangte und nicht für gut hielt zu sagen, was sie anbelangte, kürzte ich das Zusammensein, obgleich über den Herrn mit den Patentknöpfen doch noch allerlei zu besprechen gewesen wäre, zum Beispiel, ob ich ihm wirklich gewissermaßen einen jugendlichen Eindruck machte? Doch wozu sich Bemerkungen aussetzen? Kinder, zumal Töchter, sind oft lieblos. –
Als mein Karl zum Abendbrot kam, war ich äußerlich gefaßt, aber innerlich in peinigender Unordnung.
Getreten hatte ich den fremden Herrn, das konnte ich nicht leugnen. Er hatte gelächelt, ich auch, aber doch nur aus gegenseitigem Irrthum. Während wir aßen – ich war nicht im Stande, auch nur an die geringste Ernährung zu denken – legte ich meinem Karl den Zwiespalt meiner Seele dar.
»Alte,« sagte er, »liebe Alte, rege Dich doch nicht unnöthig auf.«
»Bin ich reell so alt?«
»Unsinn.«
»Karl, Du liebst mich nicht mehr; ich bin Dir gleichgültig.«
Nun rückten die Ereignisse des Tages mit ihrer ganzen Schwere auf mich ein und selbst die hervorbrechenden Thränen schufen mir keine Erleichterung. Immer wieder kam der Gedanke nach oben: der lange Patentmensch erzählt von dir und zeigt als Beweis seine blaugetretenen Schienbeine. Vielleicht hat er da auch Knöpfe.
Der Abend verlief trübselig mit total unwirksamen Aufheiterungsversuchen.
Als die Uhr die Zeit soweit gedreht hatte, schlug mein Karl Feierabend vor und aufrichtig gesagt: wir wußten auch mit diesem Tage nichts mehr anzufangen.
Konnte ich aber schlafen? Mein Engelsmann hatte mir verziehen, Betti wußte nur Halbes, aber ich, ich hätte klarer sehen müssen, denn nun gab es einen Menschen in Berlin, einen schrecklichen, der falsch von mir dachte, falsch von mir sagte. Wenn man nicht weiß, daß irgend ein Stiefel einen herumbringt, ist es ja gut, aber wenn man weiß, es trägt einer was herum und nicht weiß was es ist, das martert. Mein Karl war müde, mir war als hätte ich noch nie von Schlaf gehört. Ich ging also etwas Leserliches auftreiben. Wenn man aber etwas zum Lesen haben will, ist nie nichts vorhanden. Schiller und Goethe stehen freilich da, auch Lessing, allein wer geht heran? Unsere anderen Bücher kannte ich. Wie ich auch suchte, ich fand nichts Kurzweiliges.
»Wilhelmine,« sagte mein Karl, »thu mir den Gefallen und leg' Dich, ich möchte schlafen.«
»Karl, gleich! Nur einen Momang. Lange will ich nicht machen, nur so lange dieses Lichtendecken brennt, womit ich gleich die Erfindung von dem, wie heißt er nur noch ausprobiere. Es ist doch schrecklich, er schläft nie. – Kannst Du schlafen, mein Karl?«
»Minchen, laß mir meine Ruh!«
»Gewiß, mein Karl.« –
Ich klemmte die Messingfedern des Patents in meinen Porzellanleuchter, bohrte das Licht darauf, das gar nicht hacken wollte und schlüpfte ins Bett, zuletzt doch blos mit der Zeitung.
Ich mußte, trotzdem ich las, immer an den Langen denken. Wie schaudervoll, wenn man so in gar kein menschliches Bett paßt und dabei immer wach liegt und erfindet. »Schläfst Du schon, Karl?« – »Ich bitte Dich, Mine.«
Ich las weiter. – »Laß ihn erzählen«, dachte ich, »schließlich ist man doch zu erhaben. Wie gräßlich lang er ist. Wen er hier so herein käme.«
»Karl« rief ich, »Du schnarchst.« – »Ich habe noch kein Auge zu. Lösch doch das Licht, Wilhelmine.« – »Gleich bin ich mit dem Roman fertig.« – »Ist der denn so fesselnd?« – »Nein, wie gewöhnlich. Sie kriegen sich und kein Mensch erfährt, wie unglücklich sie nachher leben.« – »Schmeiß das Zeug doch weg.« – »Das Quartal ist bezahlt.« – »Morgen ist auch noch ein Tag?« – »Aber jetzt ist Nacht. Ich kann den Menschen nicht los werden, er grinst mich überall an. Du hättest ihn mir nicht bringen müssen.« – »Quatsch morgen weiter, ich will schlafen; ich habe keine Mittagsruhe gehabt, gönne mir jetzt mein Theil.« – »Karl, waren die Heringskartoffeln nicht exellent? Und jetzt bist Du so? Ich komme den geschäftlichen Verpflichtungen in jeder Beziehung nach, ich leide sogar darunter, ich...«
In diesem Augenblick geschah etwas Unerwartetes. Ob es Spuk war oder ob die Erfindung es so an sich hatte, wird wohl ewig räthselhaft bleiben, genug, der Patentlichtstumpfhalter machte mit einem hörbaren Schnurr einen Satz aus dem Leuchter und flog mit sammt dem brennenden Licht in die vierte Dimension.
»Karl«, rief ich, »das Licht!«
»Nun ist es von alleine ausgegangen« lachte er, »ein sehr vernünftiges Licht.«
»Ausgegangen?« fragte ich, als hätte ich mich verhört, »das Licht ausgegangen?«
»Natürlich. Es ist ja stickenduster.«
»Damit beruhigst Du Dich? Weißt Du denn, wohin es geflogen ist? Mir schien, es segelte oben nach dem Spinde zu und gerade da liegt allerlei Brennbares.«
»Unsinn, es losch im Fliegen aus, das sah ich deutlich.«
»Karl, wie kannst Du ein außes Licht sehen? Das ist ja unmöglich. Wenn Du es sahst, brannte es auch, und das Brennende sieht man. Wenn es blos nicht zündet.«
»Wenn Du wüßtest, wie müde ich bin.«
»Staub liegt sehr auf dem Spinde. Abstäuben thun die Philippinen nicht, sie kucken statt dessen aus dem Fenster. Karl, hast Du nie von Staubexplosionen gelesen?«
»Ich glaub' nicht alles, was in den Zeitungen steht.«
»Bis Du es an Deinem eigenen Körper erfährst. Wenn es losplatzt, ist es zu spät. – Karl riechst Du nichts?«
Wir schnubberten Beide in die Dunkelheit hinein. »Es wird immer stärker.« – »Nicht die Bohne.« – »Gieb Dir nur Mühe, ich rieche es deutlich.« – »Es riecht nach ausgeblasenem Licht, ja.« – »Ganz anders, nach Wolle. Entschieden nach ausgebrannter Wolle. Karl, es sengert irgendwo. Das muß ausgelöscht werden.«
Mein Karl ward mittlerweile besorgt und fing ebenfalls an, brandigen Geruch zu verspüren. Er machte Licht und stand auf. – »Karl, so nicht; zieh Dir was über.«
»Wo ist denn das Malefizding hingesprungen?« fragte er und leuchtete in allen Ecken umher.
»Karl, sei vorsichtig, stifte nicht noch mehr Brand an den Gardinen und so.«
»Ich frage, wo das Licht hingeflogen ist?« wiederholte er deutlich.
»Ich sagte schon einmal, es nahm einen Wuppdich im Bogen auf das Spinde zu. Aber wenn Du natürlich Licht anstichst, kannst Du die schwach kohlende Feuersbrunst nicht wahrnehmen.«
»Soll ich denn warten, bis die ganze Bude brennt?«
»Ich sagte Dir ja: auf dem Spinde.«
»Den Patentfritzen soll der Teufel holen,« fluchte mein Karl.
»Ich glaube nicht, daß er seinetwegen anspannt« erwiderte ich, weil ich solche Lästerung bei drohender Gefahr in aller Nacht für sehr vermessen hielt. Gerade jetzt, da mein Mann einen Stuhl auf den Tisch baute, um auf dem Spinde nachzusehen, wie leicht konnte er da fallen oder sonst hart bestraft werden? »Karl« rief ich, angesichts des Gerüstes, – wenn er auch beinah wie in weißem Tricot aussah, ist er deshalb doch kein Akrobat – »klettere nicht auf dies Trapez, das endigt mit der Klinik. Nimm lieber die Kanne und gieße behutsam so viel Wasser oben auf das Spinde, bis Du zischen hörst. Dann ist das Feuer aus.«
Diese List fand seinen Beifall. Er also die Kanne geholt, auf den Tisch gestiegen und zu gießen angefangen, ganz wie eine antike Statue mit erhobenem Kruge von unten malerisch durch eine flackernde Kerze mit Helldunkel beleuchtet.
Plötzlich giebt's einen Krach, das Bild verschwindet und es plätschert.
»Karl, was war das?« rief ich. »Bist Du gestürzt? Lebst Du noch?«
»Der Henkel von der Kanne brach ab. Mach' rasch Licht, damit ich vom Tisch herunter kann.«
Ich im Nu heraus, noch geschwinder als vorhin das unglückselige Patent, aber sofort mit den Füßen in den Wasserplantsch. Doch das war in der Angst nicht von Belang.
»Karl, wo sind die Schweden?« – »Auf meinem Nachttisch.« – »Karl, halte Dich noch zwei Sekunden; ich bringe Rettung.«
Zitternd, theils vor Angst, theils vor Schreck, theils wegen nasser Sohlen tastete ich mich an den Betten herum, nach meines Karls Seite zu gelangen. Mit einem Male trete ich auf etwas Scharfes und schrei auf.
»Was hast Du?« fragt mein Mann. – »Karl, rühr' Dich nicht; noch einen Schritt und Du fällst. Ich trat eben auf einen Gegenstand; hier hab' ich ihn schon. Es ist der Patentleuchter.« – »Dann zünde ihn rasch an.« – »Er ist mit ohne Licht.« – »Dem Erfinder dreh' ich das Genick um.« – »Karl, versündige Dich nicht, Du bist noch nicht aus aller Gefahr.«
Bei dem nothdürftigen Flämmchen eines Zündholzes erreichte mein Karl die ebene, wenn auch überschwemmte Erde. Da erlosch der Span.
»Mache doch Licht, Weib,« schrie er mich an, als die Finsterniß wieder hereingebrochen war und wir Beide Wasser traten. Ich einen Zündbolzen angerissen und an seine Kerze gehalten. Aber ich wollte nicht, sie knisterte und empfahl sich.
»Da soll doch...« begann er wild. – »Karl, es ist nur eine Kneippkur,« suchte ich ihn zu besänftigen, »mit halbseitigem Guß und im Feuchten waten.«
»Wird es bald mit dem Licht? Ich muß mich von Kopf bis zu Fuß umziehen, daran bist Du allein Schuld.«
»Ich? Wer anders hat den Henkel untergraben als das Mädchen? Sie bufft ja nur so mit dem Geschirr, daß es knapp mit den Gräten zusammenhängt. Die lapp' an, nicht mich.«
Mittelst der Utan-Swafel gelang es mir, ins Wohnzimmer hinein und mit der hellstrahlenden Lampe zurück zu kommen. Wie war mein Karl naß; total vollgepladdert. Er fror jedoch weniger, als daß er brummte.
Da ich half, war er bald trocken und wieder im Bett und auch ich legte mich.
»Siehst Du wohl« sagte ich »ich hatte das untrügliche Vorgefühl, der lange Mensch würde Unheil bringen und so erfüllt es sich. Eine Stolperung im Dunkeln auf dem Tisch und Du schmetterst hin. Oder das Licht flog in die Bettvorhänge.... Karl, wo ist das Licht?... Die Spinde war blinder Lärm. Sollte es an einer anderen Stelle gefangen haben?«
»Dreh die Lampe aus, ich will schlafen. Wenn wir morgen als Asche aufwachen, werden wir das Nähere wohl wissen.«
Ich stellte auf sein Geheiß Düsterheit her, nahm mir aber vor, kein Auge zu schließen, um bei der ersten auflohenden Flamme als Feuerwehr einzugreifen. So lag ich Schildwache und mußte in einem weg an den Langen denken, der nun auch gewiß mit offenen Augen lag und Unfug für seine Nebenmenschen ersann.
»Karl,« fragte ich, weil ich es garnicht mehr aushalten konnte, »bist Du fest der Meinung, daß das Licht aus war, als es flog?«
»Ja.«
»Du glaubst nicht, daß heimlich wo was glimmt?«
»Nein.«
»Es könnte aber doch sein. Es schwehlt manchmal tagelang.«
Er antwortete nicht.
»Karl, wie hoch steht unser Haus in der Brandkasse?«
Er seufzte schwer.
»Hast Du Alpdrücken, mein Karl?«
Keine Antwort.
Das also war der Dank für alle Sorge und Mühe, für Lasten und Beschwerden, die man auf sich nimmt, damit es dem Manne wohl gehe und dem Geschäft. Doch welche Thorheit, sich auf Dank zu spitzen, wo Alles, was man thut, einfach als angeheirathete Pflichtschuldigkeit ohne Quittung hingenommen wird. Fordere nie, Wilhelmine, Du kriegst doch nichts. Leide weiter, dulde und ertrage, bis sie Dir den hölzernen Schlafrock anziehen und Dich in die kühle Erde betten, wenn Du nicht vorher, ohne Reise nach Gotha, verbrannt bist.
So lag ich wachend und wartete auf den Ausbruch des Feuers. Da es aber nicht ausbrach, und mein Karl besonders boshaft schnarchte, sah ich nicht ein, warum ich mich nicht auch an meine Portion Schlaf machen sollte? Und das that ich.