Julius Stinde
Wilhelmine Buchholz' Memoiren
Julius Stinde

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Großer Thee.

Von den Schattenseiten – Warum Schutzleute den Asphalt probiren und Onkel Fritz keine Rücksicht nimmt – Warum Emmi Wachspuppen einladen soll und der Freilichtmaler empfindlich ist – Warum Antonie nicht schwach wird und der Lohndiener schwankt – Von Helgoland nach Sansibar und von der Negerfarbe – Warum Säuglinge lächeln und Kaulmann einen Tenor haben müßte

Die Tage wurden merkbar länger und mit dem wachsenden Lichte schritt auch die Genesung vor, ja sie überholte die Entwicklung der sogenannten besseren Jahreszeiten, indem Kälterückfälle eintraten und die Kohlen im Preise stiegen.

Wie sollte ich mich den Schwiegersohn nun in unvergeßlicher Manier erkenntlich zeigen? Mit gemünztem Gelde? Das schleppt er auf die deutsche Bank. Mit Betheuerungen in ausgesuchten Satzbildungen? Er kann so ein Gesicht machen, als ob ihm etwas gefiele, aber das ist äußerlich. Mit einem Angebinde? Er wünscht sich einen elektrischen Beleuchtungsapparat mit Magenfernrohr, die inneren Krankheitsbilder zu betrachten, wie Emmi sagt, aber es ist doch unfein, aus Dankbarkeit Brauchbares zu schenken.

Ich schlug die Sitzmarmorfigur des sterbenden Schwindsüchtigen aus der letzten Kunstausstellung vor, aber mein Karl fand sie sogar für abgehärtete Hospitalwärter zu naturwahr, und kam zu dem Schluß: »Es ist das Beste, er schickt seine Rechnung.«

»Dazu bist Du noch nicht kräftig genug. Wenn er seine Bemühungen in kassenärztliche Points umrechnet, kannst Du ruhig Deinen Concurs anmelden; da hättest Du Dich mit dem Besserwerden sputen müssen, daß sie nicht so anliefen. Es ist ja halbe Nächte nicht von deinem Bette weggekommen und noch immer horcht er an Dir herum und zählt den Puls, es fehlt blos noch, daß er Dir Fenster einsetzt.... Weißt Du, er wird doch wohl am meisten Spaß an der innerlichen Lichtquelle haben und Dich müßte er bedeutend genauer untersuchen, denn ganz bist Du mir noch nicht auf dem Damm. Aber ohne Extrahonorar.«

»Ich lag auch zu sehr drinn. Erkundige Dich bei einem seiner Kollegen...« – »Was die Maschine kostet? Heute noch. Er selbst verkneift sie sich; so sehr er für fortschreitende Neuerungen ist, an die Tasche dürfen sie ihm nicht kommen.«

Gleich nach Tisch machte ich mich auf. Aus Geselligkeit esse ich meines Mannes beschränkte Kost mit und werde, wie er, mit einem Glase Maurodaphne belohnt, mit dem köstlichen Wein, den die deutsche Gesellschaft Achaja in Patras baut. Das ist ein Tropfen mit mildem Feuer, zu beleben und zu erwärmen. Der Sanitätsrath verordnet ihn immer statt des sogenannten Tokaiers und anderer süßer Ungarweine, mit denen zu arger unlauterer Wettbewerb betrieben wird. Ueber den landläufigen Malaga und Madeira schüttelt er nur den Kopf. Ein Fehler ist, daß man den griechischen Stärkungstrank durch Friedr. Ott in Würzburg beziehen muß anstatt aus einer Filiale in Berlin. Aber wo vonvornherein keine Schattenseiten sind, macht der Mensch künstliche. So fing Adam an und seitdem ist die Welt nicht schlauer geworden.

Der Dr. Zehner ist ein jüngerer Heilkünstler, der die letzten Errungenschaften der Wissenschaft noch frisch hinter den Ohren hat und mit mir zum Mechaniker fuhr.

Billig wird die Sache nicht, aber wie vielen Leidenden kann sie nützen. Ich sagte, Bescheid würde erfolgen und wenn mein Mann den Preis bewilligt, sollte der Kasten mit Zubehör am sechsundzwanzigsten Januar Morgens ohne Aufsehen in des Sanitätsraths Haus gebracht werden. Der Mechaniker versprach Pünktlichkeit und da man sich auf das Wort eines richtigen Berliner Geschäftsmannes verlassen kann, gondelten wir weiter nach Onkel Fritz, der Herr Dr. Zehner und ich.

Ich hatte dem Schwiegersohn eine poetische Doppelfeier zugeschworen und seine Frau und Onkel Fritz waren dabei, um so mehr als meines Karls Influenza, (warum muß er auch Alles mitmachen wollen?) mich sowohl um die Ober- als Unterleitung brachte. Onkel Fritz und Dr. Zehner konstituirten sich als ständiges Festkomitee, das jedoch meistens auf Skatklopfen ausfiel, wozu sie, obgleich bei der herrschenden Arbeitslosigkeit an dritten Männern mehr Angebot als Nachfrage ist, die nicht zu entschuldigende Verruchtheit begingen, ein junges unschuldiges Mädchen in die Laster des Kartenspiels einzuweihen und zwar Erikas jüngste Schwester Henni, die zum Besuch gekommen war, sich Residenzschliff anzugewöhnen. Ihre Vaterstadt kriegt Erdbeben, wenn sie mit Onkel Fritzens Ausbildung wieder antritt. Möglich ist aber auch, daß er die Alten, die ihn so schunden, mal wieder ein Vergnügen anthun will. –

»Fritz,« fragte ich daher, »wie kannst Du? Wo Du doch weißt, daß sie bei ihr zu Hause nicht mal Visitenkarten anfassen, viel weniger gestempelte Stralsunder?« – »Die Henni hat ausgeprägten Skatsinn, die lernt es leichter als Du. Sie fürchtet sich nicht mal mehr vor einem Nullouvert.« – »Das ist doch keine Ausbildung im Hausstande und dergleichen. Wie steht es damit? Hat sie Talent für die feinere Küche?«

»Riesig, Caviarbrödchen ißt sie schon.«

»Du mußt wissen, was Du zu verantworten hast; das arme Mädchen!« – »Laß sie, Wilhelm; sie ist jung und lebensfroh und zum erstenmale in Berlin, gönne ihr die paar Sonntage. Du hast keinen Besen, die Wolken wegzufegen, wenn der Himmel sich bezieht.« – »Was sagt Erika dazu?« – »Wie einfältig Du fragst, eine Frau ist stets voll und ganz, unverkürzt und unentwegt der Meinung ihres Gatten.« – »Hm. – Und wie weit seid Ihr mit den Vorbereitungen zu des Doktors Geburtstag und der Sanitätsratheinweihung.« – »Wilhelm, Galavorstellung im Opernhause ist die reine Holzauktion dagegen.« – »Nur nicht zu hübsch, davon ist er kein Freund.« – »Was ist denn ville: ein bischen Musik und Gesang, ein paar lebende Bilder...« – »Die denk ich mir überirdisch.« – »Es kann sein, es kann ooch nich sind. Wir haben einen jungen Maler modernster Richtung, der stellt sie.« – »Wie kommt ihr bei den?« – »Wo warm gegessen wird, finden sich auch Leute, die die Gesellschaft durch ihre Gegenwart heben.« – »Ach ja, solche Reliefgäste. Die Hauptsache ist, daß der Abend nicht auf Herrenbad und Damenbad ausfällt.« – »Du meinst, die Herren für sich und die Damen für sich, dann gemeinschaftliche Hauptfütterung, abermalige Trennung der Geschlechter, bis endlich Dankesehrschöngewesenseinsagen kommt, Trinkgeldsteuer, Keinennachtwagenkriegen und Nichteinsehen, wozu die Umstände.« – »Fritz Du hast manchmal Verstand, wenn blos deine Orthographie weniger vogtländsch wäre.« – Und was gab er mir zurück? »Familienfehler sind leider unheilbar.«

»Adje,« sagte ich.

Genau abgezirkelt zehn Tage vor dem Geburtstage kam die Einladungskarte »zum Thee«. Sie war als Ehrendiplom etwas zu klein, für an den Spiegel stechen etwas zu groß, aber bei Otto untern Linden hergestellt, das ist das Hochfeinste. »Wenns schon so anfängt,« sagte ich, »wie wirds dann enden, ich fürchte, Onkel Fritz läßt zum Schluß noch Raketen aus dem Schornstein steigen. Der Gedanke einer poetischen Feier stammte allerdings von mir, aber was wird aus einer Idee in verkehrten Händen? – Nackenschläge. –

Der Thee machte mir Sorgen, aber absagen durfte ich nicht, obgleich mein Karl sich die Strapatze noch nicht zutraute und zeitiges Zubettgehen für zuträglicher hielt als die Familiennacht, denn ich hatte ihm heilig versprechen müssen, hinzugehen.

Wie ich beim Kaffee über die Zeitung hinweg schwarz sehe, tobt in einer Aufregung Onkel Fritz herein.

»Hast Du gelesen?« ruft er »Hast Du?« – »Nein, was denn?« – »Natürlich siehst Du erst die Wochenbettdepeschen durch und das Wichtigste, das Größte entgeht Dir: Bismarck kommt nach Berlin. Wir sehen ihn wieder! Gewiß und wahrhaftig, er kommt!« – »Fritz, wäre das möglich?« – »Ja, es ist. Ihr haltet wohl noch Winterschlaf? Wo steckt Deine andere Dir angetraute Schlummerhälfte?«

»Karl ging eben ins Kontor.« –

»Denn laß' ihn, kannst ihm's nachher erzählen. Also der Kaiser hat dem Fürsten durch seinen Adjutanten eine Flasche des ältesten edelsten Rheinweins aus seinem Keller gesandt. Und ihn eingeladen. Und am sechsundzwanzigsten kommt er. Wilhelm, ich hab es immer im Stillen gehofft. Sie waren ja einst Freunde – auf einem Bilde zusammen photographirt in Friedrichsruh – und haben Beide ein deutsches Herz.«

Ich las. Fritz hatte recht, so stand es in der Zeitung. Rasch telephonirte ich meinen Karl herbei und wir beschlossen, am sechsundzwanzigsten Januar unter die Linden zu gehen, zum Einzug des Fürsten Bismarck. »Und alle Kinder mit. Wenn ihnen die Nasen abfrieren, um so besser behalten sie den Tag,« sagte Onkel Fritz. – Wie die Zeit hinstürmte bis zu dem Tage. Rechtzeitig waren wir zwischen der Friedrichstraße und dem Brandenburger Thor. Die Straßen waren geschmückt, wie sich's in der kurzen Frist beschaffen ließ, überall Fahnen und Gewinde aus Tannengrün und Winterblumen, auf dem Schlosse die Kaiserstandarte, auf den Kasernen die Flaggen, nur der Rathhausthurm stand kahl, wie ein großer Nachttisch in der guten Stube, am Ende der Lindenaussicht. Für den Ehrenbürgere Berlins hatte der kein Willkommszeichen.

Das war auch gleichgültig. Bürger Berlins standen von Friedrich dem Großen bis zum Lehrter Bahnhof wie die Mauern und aus den Fenstern sahen sie mit Weib und Kind und auf den Dächern saß es dicht bei dicht. Und alle warteten sie auf die Ankunft des Einzigen, ihn zu begrüßen, ihm zuzujubeln.

Der Asphalt war frei, nur von Zeit zu Zeit probierten reitende Schutzleute ihn, ob er noch hielt, und wer stand, blickte nach dem Thor zu. Gesprochen wurde nicht viel, es wußte Jeder ja, wie es sein Nachbar meinte und Genaues konnte doch Keiner antworten, was man auch fragen möchte. Aber Jeder fühlte.

Dann war es wie ein fernes Singen, das kam näher und schwoll an zu lautem brausendem Jubel. Durch die Säulen des Brandenburger Thores ritt das Ehrengeleite ein, ihm folgte der Wagen, worin der Altkanzler des Reiches saß. Entblößten Hauptes grüßten die Männer und aus ihrem weißen Tüchlein machte jede Frau eine wehende winkende Friedensfahne. Wir hätten gern sein Angesicht gesehen, ach, wie gerne, doch es wehte kühl und besser, wir verzichteten, als daß böser Wind ihm schadete.

Unsere Gedanken begleiteten ihn bis in das Schloß, wo Kaiser und Kanzler sich die Hand reichten und Auge in Auge blickten wie einst. Und manchen Mannes Gemüth war tief bewegt und in seinen Augen standen Thränen, Freudenthränen.

Onkel Fritz redete nichts. Er hielt die kleine Wilhelmine auf seinem Arm, damit sie sehen konnte. Als der Wagen mit dem Fürsten verschwunden war, drückte er sie innig an sich und küßte sie lange. Auch sagte er ihr etwas, aber zu leise für andere. Ihn fragen wäre umsonste Anstrengung. Oefter ziehe ich gar keine Antwort von ihm vor, als eine, die danach ist.

Warum gingen wir nun nicht nach Hause? – Warum er immer auf und ab und wir hinterdrein? – – Er keine Rücksicht genommen? – – – Weder auf seine Frau, noch auf seinen Besuch,. – – – – Nicht einmal auf meinen Karl. – – – – – Auf mich erst recht nicht.

»So,« sagte ich, »wir – das wir dreifach unterstrichen – wir gehen jetzt in ein Restaurant und legen etwas vor, damit wir heut Abend nicht wie die Steppenwölfe in den Rathsthee fallen. Und Du wirst schon flau, nicht wahr, mein Karl?« –

»Ihr denkt an essen?« fragte Fritz. – »Du etwa nicht?« – »Erst recht. Komm Weib, komm Schwägerin. Hin, wo die größten Portionen sind, die Familie Buchholz will prepeln.«

Diese ungehörige Bemerkung verletzte mich dermaßen, daß ich schwur, den Mund nur zur Absorbirung des Menus zu öffnen und mit Onkel Fritz überhaupt für längere Zeit zu grollen. Meinem Karl schien sie dito nicht behagt zu haben, oder auch, er fühlte sich angegriffen, genug, die Speisung dehnte sich zu erheblicher Länge wegen der durch Ueberhäufung verlangsamten Bedienung aus, und da ich die Stumme von Portici spielte, nahmen die Männer Zeitungen zum Kaffee, während wir aus dem Fenster Beobachtungen anstellten und begutachteten, was sie anhatten – Erika's Schwester konnte sich nicht satt sehen an so viel Völkerschaft; wir Berlingewöhnten sprachen vom Rathsabend und daß ich früher hinginge, um helfend einzugreifen.

Da wurde es unruhig draußen im Volk; es gab Gedränge; Viele blieben stehen. Und nun ein Ruf, den Niemand that, den aber Jeder hörte, »der Kaiser,« hieß es, »der Kaiser«.

Und eins zwei drei bezahlt und hinaus. Da kam der Kaiser auch schon geritten, vom Schloß her. Wie königlich er zu Pferde saß, wie sein Auge blitzte, wie freundlich lächelte sein Mund. Gewiß, er war froh, und Alle, die ihn sahen, wurden es auch und riefen ihm Hoch zu und Hurrah. Am lautesten aber rief Onkel Fritz und schwenkte den Hut: »Hurrah! Hurrah!«

Mein Ingrimm war geschwunden. »Du kannst ja wieder Hurrah rufen,« sagte ich, und fragte mit einem Blicke, den er allein verstand: »War es das?«

»Ich kann's aus voller Brust,« erwiderte er freudestrahlend. »Fast hätte ich erwartet, Bismarck würde bei ihm sein; es wird ihm wohl zu viel. Ich wollte nicht nach Hause, ich wußte, ich würde ihn heute noch sehn, ich mußte ihn sehn.«

»Wen, Fritz?«

»Meinen Kaiser! Nun bin ich zufrieden.«

»Ich auch, aber Karl muß an's Haus und wir sollen nachher zum Rath, zum Thee.«

»Thee?« lachte er. »Heute blutet sein Weinkeller, darauf kannst Du Dich verlassen.« – »Fritz, Emmi wünscht sich heute höchste Etepetigkeit.« – »Da hätte sie sich Wachsonkel und Tanten aus dem Panoptikum einladen müssen. Paß auf, wie die sich schneidet. Ich bin zu vergnügt.«

»Auf Wiedersehn, Fritz« –

Bei Emmi war Alles zum Empfang der Gäste bereit, als ich in meinem neuen Penseegeblümten erschien. Der Lohndiener machte die Thürenhonneurs (man hätte ihn für den Herrn des Hauses halten können). Daß die Tafelassistenten ebenso in Frack und weißer Binde gehen, wie die Gäste, ist ein sogenannter gesellschaftlicher Widersinn, da doch dem entsprechend, bei großen Feezen, die aufwartenden Dienstmädchen in Schleppkleidern traben müßten. Das Warum liegt wohl darin, weil bei der öffentlichen Meinung, nach der sich Alles richtet, der rechte Verstand so sehr oft mit dem linken vertauscht ist.

Auf dem Corridortische lag das jetzt vielfach beliebte Platzkommando ausgebreitet, kleine Kärtchen mit der Order: Herr Soundso wird gebeten, Frau oder Fräulein Soundso zu Tisch zu führen, wie in diesem Falle Herr Sanitätsrath Dr. Paber mich.

Meine Tochter, die Räthin, sah wonnig aus in ihrem Gebrochenlavendelfarbigen, so blühend, wie eine Braut, die vor den Altar soll. Die Erregung war ja auch begreiflich: wie leicht konnte etwas mißrathen und wer hatte dann die Nachrede? Nicht der Traiteur, denn warum nahm man just den? Nein, die Frau vom Hause. Und die mußte sich auf fremde Leute verlassen, auf den Koch, auf den Lohndiener, auf den Maler, der die lebenden Bilder stellte und Onkel Fritz als Festkomitee. Lieber Gott, da mußte ihr ja fieberig werden.

»Was ist denn das?« dachte ich, »Ihr habt so keinen Platz und baut noch eine Staffelei mit einem Gemälde und künstlicher Beleuchtung zum Darüberfallen auf. Was soll der Blödsinn?« – – – »Mama, ich bitte Dich, nur unter der Bedingung, daß wir eins von seinen Kunstwerken ausstellten, übernahm Herr Oxenstirna das Arrangement der Tableaux vivants. Er ist Ausländer, Pleinairist mit aufsehensvoller Zukunft, und sehr empfindlich.« – »Was ist denn eigentlich mit dem Bilde los, ich werde nicht klug daraus?« – »Sielräumung in der Potsdamerstraße bei Nacht mit Lichtflimmereffecten.« – »Thu es weg, Emmi, es verschimpfirt das ganze Lokal: Alles ist festlich bis auf die gemalte Kanalisation.« –

»Nein, es muß bleiben. Vielleicht behalten wir es sogar in Anerkennung seiner künstlerischen Mitwirkung bei den Gruppirungen.« – »Er nimmt auch weniger. Weißt Du, wir stellen das Gemälde auf den Kopf, und sagen, es sei der Vesuv mit Ausbruch. Lava ist anständiger als Siel. Bedenke, wir die Leute sich mokiren.«

Rasch drehten wir das Kunstwerk auf die entgegengesetzte Kante und es glich nun wirklich einem vulkanischen Unglück im Dunklen.

»Die wahre Kunst hat mehrere Seiten,« sagte ich.

Die ersten Herrschaften kamen. Der Rath in einem neuen Frack, so gräflich, daß ich unwillkürlich dachte: jetzt fehlt blos noch der Orden. Ob er wohl das Aeußerliche weniger unterschätzte, wenn er einen tragen dürfte?

Allmälig füllte es sich bis zur Aengstlichkeit, da keine der berechneten Absagen eingetroffen war. »Emmi,« rieth ich, »sobald wie möglich zu Tisch, damit das Berliner Zimmer frei wird und die Herrschaften sich ausdehnen können.« – »Das geht nicht. Erst wird musizirt, – nach dem Essen singt Keiner und Keine – darauf die lebenden Bilder, dann wieder Clavier, die Zeit für den Abbruch der Bühne auszufüllen. Dann Abendbrot.« – »Also lange Nacht.« – »Du wolltest es so, Mama, Du fingst von poetischer Feier an.« – »Nun ja, einige Guirlanden, rechtzeitig zu Tisch, einen ordentlichen Happenpappen und dann Gesang und Scherz, so ist meine Auffassung von Poesie.« – »Schützenfeste werden bei mir nicht gegeben,« sagte Emmi schnippisch. – Mit solchen Sorgen Jedem, der fragt, wie es geht, lächelnd zur Antwort geben, danke, ausgezeichnet, das ist mehr als Tortur, aber man muß. Der Thee fand Zuspruch und ebenso das Theegebäck. Kaulmann, den sie gebeten hatten, weil seine Antonie als Clavierrelief geladen war, sagte mir, er hätte schon vier Tassen; ob es noch lange dauerte? »Ich hoffe, sie fangen bald an,« erwiderte ich. – »Antonie ist auch ziemlich dünne; ich habe ihr schon einige von den Kakes zugesteckt, damit ihr nicht schwach wird.«

Ich eilte hinter des Raths Sprechzimmer, wo Theatergarderobe war. »Was wird noch genelt?« rief ich, »die Herrschaften mopsen sich schon.« – »Wer sind Sie?« fragte ein junger Herr mit Seehundsfrisur, spitzem Knebelbart, weißer Weste, hohem Stehkragen und Manschetten, mindestens wie ein Gesandtschaftssecretair. – »Wo ist der Pleincarriere-Maler?« – »Mein Name ist Oxenstirna.« – Ich hatte mit Einen mit wallendem Gelock und Sammtjacke, im Freien mit übergeworfener Talentwindel und Schlapphut vorgestellt und nun war es ein Patentgesteppter. »Sehr angenehm,« erwiderte ich, »aber es ist die höchste Eisenbahn.« – »Gleich,« sagte er, »ich bitte die Damen zu rufen und die Herren sich in das Bühnenzimmer zu verfügen; sobald der Knabe fertig ist, beginnen wir.«

Dem Rath eine besondere Aufmerksamkeit zu erweisen, sollte Sansibar und Helgoland von Franz und Fritz gestellt werden. Weil Er einmal auf Helgoland war und dort so billige Hummer aß, hat Er eine Schwäche dafür. Franz war bereits in der Tracht des jüngsten Reichsgebietes und Fritz, als Wilder, wurde gerade von dem Künstler schwarz angemalt. »Er ist nicht genug realistisch,« sagte der Maler, »er muß ganz in Natur dastehen.« – »Bitte,« sagte ich, »wir sind nicht in Ostafrika.« – »Aber die Brust und die Arme muß.« – Und ehe ich ihm wehren konnte, hatte er Fritzen das schwarze obere Tricot ausgezogen und bearbeitete den Jungen mit einem großen Pinsel und allerlei braunen, rothen, schwarzen und blauen Farben, was dem Kleinen unendlich spaßig vorkam. – »So,« sagte der Maler, »der Ton ist fein.« – »Wie kriegen wir das wieder herunter?« fragte ich. – »Das weiß ich nicht,« sagte der Maler, »die Hauptsache ist der Ton. Der Ton ist echt; so, das bläuliche Braun.« Dabei blinzelte er seine Künstlerleistung an, als wäre er Raphael und Rubens in einer Person.

Drinnen baritonte Einer, ich weiß nicht wer und was, denn als ich in der Küche nach dem Rechten sehen wollte, schalt der Koch, wenn es noch lange dauerte, garantirte er nicht mehr für das Essen, dann hätte man es auf später bestellen müssen. Er war sehr großneesig mit der weißen Schürze. Und das Mädchen sagte mir, zwei Flaschen Rum wären zum Thee getrunken; ihr däuchte, der Lohndiener schwankte schon jetzt.

Es waren vierzig Personen beieinander, sehr beieinander. Wie in einem Treibhause.

Einige Herren baten eine Dame, – mir war sie fremd, – um einige Lieder. Sie aber weigerte sich in einem zu, und damit nicht noch mehr Zeit vertrödelt würde, unterstützte ich die Bitten. »Ich kann heute nicht, ganz gewiß nicht,« wehrte sie ab, bis ich sie mit scherzendem Zwange an das Clavier führte.

Na, sie sang. Die Gesellschaft sah sich gegenseitig bestürzt an; sie konnte wirklich nicht singen. Aber sie war sehr hübsch. Nach meiner Meinung taugte ihre Stimme höchstens zum Feueranmachen. Und ihretwegen die Verpflegung hinausschieben.

Sofort kamen jetzt die lebenden Bilder. Die Thür zum Berliner Zimmer war mit einem Goldrahmen verstellt, den ein Vorhang ausfüllte, dahinter befand sich die kleine Bühne und dahinter standen zusammengerückt die gedeckten Tische.

Die Damen wurden vor den Rahmen gesetzt, die Herren standen in Reih und Glied hinter ihnen. Rühren konnte sich Keiner. Einige redeten von Dampfbad, aber mit Medizinern muß man es so genau nicht nehmen und das waren wohl die meisten. Alle kannte ich sie nicht.

Nun wurde dunkel gemacht, der Vorhang ging auf. Das erste Bild: Kaiser Rothbart im Kyffhäuser. Onkel Fritz mit langem Bart im Talar, geisterhaft beleuchtet. Sehr schön. Applaus. Pause.

Und was für 'ne Pause; ich saß wie auf glühenden Sprungfedern und wollte schon hin und dem Maler seinen Standpunkt klar machen, als das zweite Bild erschien: eine Dame in japanischer Tracht. Sehr schön. Applaus. Pause.

Diese Pause war noch mehr Pause. Es fielen Bemerkungen mit nachfolgendem Gelächter.

Drittes Bild: Abschied. Dr. Zehner und Erika's Schwester, er als Wallensteiner, sie in weißem Atlas. Ein allgemeines »Ah« und sofortiger Applaus. Sie sah aber auch zu entzückend aus, ein Mädchen mit der Schönheit eines Weibes und keine Ahnung davon, wie schön. Dies Bild mußte dreimal gezeigt werden. Stürmischer Applaus. Pause.

Nun wurde das Publikum unruhig. »Lieber Rath,« rief Einer, »Deine Bildergalerie ist exquisit, aber weitläufig.« – »Den Rest besehen wir morgen,« schlug ein Anderer vor. »Morgen ist schon jetzt,« rief ein Dritter. Hohngelächter. Man hörte den Maler hinten schimpfen, auf ein Publikum, das nichts von Kunst versteht; er danke für die übrigen Bilder. Rasch ging der Vorhang auf: »Sansibar und Helgoland.« – »Reizend – süß, zu niedlich,« riefen die Damen. »Ach, die Kinder müssen hier bleiben« und eins zwei drei Franz aus dem Rahmen gehoben und Fritz auch. »Sehen Sie sich vor,« rief ich, »der Schwarze ist frisch gestrichen.

Allgemeiner Aufschrei und Aufstand. Der Gas wurde hochgedreht, aber es war schon zu spät. Die Eine hatte blos schwarzgefleckte Handschuhe gekriegt, ein älteres kinderküsseriges Fräulein war im Gesicht geschwärzt und an der Taille und Emmis Gebrochenlavendelfarbiges hatte das Kind so eingesielt, daß zwei Bahnen wenigstens erneuert werden mußten. Das Gethu und Gehabe und Gerede und Gebarme. Der Rath holte Salmiakgeist, Emmi Tücher und nun ging es an Fleckenausmachen, eine Art von Gesellschaftsspiel. Dazu trug noch Antonie ihre verabredeten Clavier-Nummern vor, ohne jedoch, wie Kaulmann nachher klagte, die Aufmerksamkeit zu finden, die ihr Talent beanspruchte.

Ich zog Fritz mit mir – immer eine Armweite vom Kleide – ins Schlafzimmer. Aber Wischen half nicht, es war zu viel Negerfarbe auf ihm. Hier konnte nur ein Bad reinen Grund schaffen.

Die Badewanne her, Wasser hinein, so dickköpfig die Philippine auch aufbegehrte, sie hätte keine Zeit, und rin mit Fritzen. Ich ihn geseift und gethan. Andere Arbeitskraft war nicht vorhanden, Großmama war gerade dazu passend, das Dulderlamm aus dem Afrikanischen ins Europäische zurückzuversetzen.

Wie ich nun denke, er ist wieder menschlich und nehme ihn aus der Wanne, sieht er beinahe noch greulicher aus, wie vorher. Das schwarze Fett schwamm oben und hackte immer wieder an, sobald er hoch kam, selbst da, wo vorher kein ›Ton‹ gesessen hatte. Wie so ein Leopard.

Neues Wasser, neuer Kampf mit der Philippine, neues Seifen. Dann schöpfte ich das Oberste mit einer Untertasse ab, wie Sahne von der Milch, wobei Fritz schrie, wenn er das Köpfchen untertauchen mußte, und dann stieg er wie Amor an's Licht. Das heißt, genau besehen war er stellenweise doch noch mulattig. Ich hatte ihn noch nicht 'mal angezogen, als Emmi hereinstürzte. »Mama, wo bleibst Du? Es soll zu Tisch gegangen werden und Du fehlst.« – »Ich halte Schafwäsche,« sagte ich ruhig. »Emmi, wie sieht Dein Kleid aus.« – »Mir ist das Weinen näher als das Lachen, durch den Salmiakgeist ist mein Kleid ganz verdorben.« – »Das bischen Helgoland kommt theuer zu stehen,« bemerkte ich. »Was das Kind sonst noch einschweinerirt hat, wird sich morgen wohl ausweisen. Aber Frist ist nicht schuld, sondern der Ochsenkopf. Schöne Kunst, etwas voll schmieren und es nicht wieder wissen reine zu machen.« – »Komm nur, Mama!«

Das Mahl verlief wie alle solche Mähler, anfangs still wegen Ueberhungrigkeit, dann lebhafter und lebhafter bis zu heiteren Tischreden und ausbrechender Lustigkeit. Onkel Fritz machte sich unsterblich verdient, daß selbst die von Sansibar angeschornsteinfegerten Damen und deren Männer sich in ihr Schicksal fanden und dachten, Spindlern Morgen in Nahrung zu setzen, heute aber fünf gerade sein zu lassen.

Es ist ein altes praktisches Rezept, den Verdruß zu ertränken und das geschah. Nicht, daß Onkel Fritz alle Toaste selber hielt, nein, er brachte den ersten Trinkspruch auf den Kaiser aus, dessen Geburtstag glücklicherweise erreicht war, und dann erst später einen auf die Damen, dagegen aber veranlaßte er die übrigen Herren zum Reden, auf den Rath, dessen Geburtstag gestern gewesen, auf die Räthin, auf die Kinder, auf meinen Karl und mich, auf die lebenden Bilder, auf die Sänger und Spieler; und immer austrinken. Und das muß ich dem Rath nachrühmen, er knappste nicht mit deutschem Schaumwein und gediegener Röthe. Onkel Fritz dirigirte den Kellerschlüssel. Das erklärte auch Vieles.

Nur einer war mißvergnügt, der ausländische Maler nämlich; wahrscheinlich weil ich Deutsch mit ihm geredet hatte. Daraus machte ich mir wenig, mehr aber aus dem, was ich sah, als ich den Tapezier und seinen Gehülfen von einer theuren Flasche Schloßabzug verjagte, wie ich vor Tisch nachschaute, ob sie die Bühne zusammengepackt hätten. Auch daß der Lohndiener vorbeischenkte, kam nicht darauf an, das Tischtuch war doch schon wie durch das rothe Meer gezogen.

Sie sangen und wurden recht fröhlich, wie es sein muß, und als es Gesegnete Mahlzeit hieß, wären die Meisten am liebsten sitzen geblieben. Warum aber vorher so lange zoddeln, da man doch nachgerade weiß, daß erst nach dem Essen die wahre Gemüthlichkeit hereinbricht. Wegen der freundlichst gelieferten Kunst? Wenn die Leutchen wüßten, wie viel mehr Beifall sie nach Tisch finden, als in der Hungerperiode vor Tisch, sie würden nicht so grausam klassisch sein. Lächeln doch auch die Säuglinge in der Wiege nur, wenn sie satt sind.

Und wie viel humoristische Unterhaltungen kamen jetzt zum Vorschein; schade, daß es schon so spät war und die Trennung heranrückte.

Der Maler war verschwunden. Als er sein gekantetes Gemälde sah, dem ein ziemlich rechtwinklig blickender Jüngling lebenswahre Auffassung zurühmte, nahm er seinen Klapphut und verließ die Festräume. Draußen hat er unter Vergessung des Trinkgeldes höhnisch auf deutsches Pack geschimpft. »Wäsche wie in Gipsverband,« sagte die Philippine, »aber natürlich Waschgeld schuldig. Ich hab ihm beim Herunterleuchten die Frackschlippen unter seinem Paletot nicht schlecht mit Stearin bedrippt.« – Sie erhielt einen Verweis, aber nicht sehr. Das Rinnstein-Gemälde brauchten Raths jetzt, Gottlob, nicht mehr zu behalten. Das war wenigstens ein Gewinn.

Auch der elektrische Apparat wurde bewundert, er stand als Geburtstagsgeschenk bekränzt im Salon. Der Rath erklärte ihn den Kollegen und den Damen, und Kaulmännchen mußte sich hinsetzen, worauf ihm der Kehlkopf erleuchtet wurde, und die Damen sehen konnten, wie seine Stimmbänder schwingen. »Sagen Sie A,« befahl der Rath. »A,« krächzte Kaulmann. – »Jetzt O« – »O«, kam es etwas unklar, – »jetzt U.« Das U gurgelte er nur, jedoch nicht lange. Mit vorgehaltenem Taschentuch stolperte er in schleunigster Eile hinaus, wie er sich nachher entschuldigte: er hätte das kiddeln im Halse nicht länger aushalten können.

Hat die Philippine aber gescholten. Es war in der That keine schöne Arbeit. Warum aß er auch so viel? Die Aerzte erklärten, den völlig normalen Stimmbändern nach zu urtheilen, müßte Herr Kaulmann einen Heldentenor ersten Ranges haben. »Hätte ich den, belachte ich die ganze Sonntagsruhe,« sagte er, »und sänge blos noch Sonntags, ohne Strafe, für Heidengeld. Aber leider ist nicht.« – Was nützt der Apparat, wenn er zu solchen Resultaten führt? – Es war spät, als aufgebrochen wurde. Ich langte mir Onkel Fritz. »Du,« sagte ich, »Du bist mir der Rechte. Mit meinen eigenen Augen habe ich gesehen, wie Dr. Zehner die Henni umarmte und küßte. Was sagst Du dazu?«

»Das schmeckt kalt ooch jut,« lachte er.

Ich schwieg. Mit ihm war heute 'mal garnichts anzufangen. Im Uebrigen endete der Thee ja sehr animirt und alle waren beim Abschied dankerfüllt. Wenn Raths 'mal wieder Aehnliches beabsichtigen, werde ich sagen: »Kinder, macht was Ihr wollt, nur nehmt keine modernste Kunstrichtung dazwischen, die weiß noch nicht Bescheid mit den Farben.«

 


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