Julius Stinde
Wilhelmine Buchholz' Memoiren
Julius Stinde

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dienstmädchennoth.

Wenn das Schicksal einen Krach fügt – Von Logik und Chlorkalk und was den Pastoren bleibt – Warum Wilhelmine ein zu scharfer Schütze ist und die Lene Ozon verlangt – Warum mein Karl den Faden findet und Onkel Fritz in die Schlummerrolle beißt – Warum Wilhelmine den Zettel schreibt und die Zuckerdose putzt – Warum man nie auslernt

Und was Sie auch anstellen... ich thu's doch nicht. Ganz gewiß nicht, Herr Verleger!

Allerdings haben Sie insofern Schlau- und Spürsinn, als Sie in den geheimsten Fächern meines Schreibsecretairs einen Posten Aufzeichnungen vermuthen, denn ich sage mit Goethe, was man schwarz auf weiß notirt, das besitzt man, aber ich lasse es mir nicht aus dem Hause tragen. Mir fiel nämlich vor längeren Jahren ein, das Allernöthigste, was fehlt, ist eine Grammatik über Dienstmädchen, woraus eine junge Frau oder Eine, die Aussicht hat, an die höhere Krippe gebunden zu werden und womöglich schon im Standesamtskasten befestigt ist, sich über die dienende Rasse gerade so genau belehren kann wie die Primaner über die alten Griechen und Römer, womit sie nachher ihr Fortkommen auf den Universitäten und in der höheren Staatsbeförderung bewerkstelligen.

Ich dachte dabei vorwiegend an meinen Augapfel, an Onkel Fritzens Wilhelmine, die noch den ganzen gewundenen Lebenslauf vor sich hat und keine Ahnung, wie schwer es ist, Großmutter zu werden. Wenn ich so auf mich zurückblicke und mir sage: dem holdreichen süßen Engel wird nichts von Alle dem erspart, was Du hast probiren müssen, Wilhelmine, wie Du Dich abmarachtest, wie drange es manchmal ging, wie es darauf ankam, im rechten Augenblick das Richtige anzuordnen, wie es Lebens Süßigkeiten mit dem Theelöffel zugemessen werden, die Bitternisse hingegen eimerweise und immer gerade von den Dienstmädchen, Einem direkt vor die Füße, da erklärt es sich von alleine wie Brotschneiden, daß man auf das Schreibbedürfniß von solchem Buche verfällt. Keine Erfahrung wollte ich verschweigen, sogar solche nicht, woran ich selber schuld war, auf daß mein Herzblatt im Kampfe mit den Küchendrachen alle ihre Schliche kennt und schon längst da war, wenn sie etwas Herrschaftsärgerliches vorhaben, ihr sonstwie dumm kommen, die Männer aber behaupten, man hätte nicht die rechte Art, die Mädchen zu halten. Selbst mein Karl vertritt zeitweise die Ansicht, und wenn ich eben meine, ihn vom Gegentheil überzeugt zu haben, fügt das Schicksal gewöhnlich einen Krach mit der Besenfee, auf den er dann spottlächelnd hinweist und sich logisch rühmt. Nachgerade bin ich mir jedoch völlig klar, was die Männer unter Logik verstehen: wenn wir sie nämlich für uns beanspruchen, ist es Rechthaberei.

Letzthin kam Onkel Fritz. Ich war im Nebenzimmer, nachdem ich so eben mit meinem Manne einen kleinen Meinungsstreit über Logik gehabt hatte – denn wer wirkliche Logik hat, zieht sich zurück – und sah seine Wäsche nach, weil ich keine bin, die sich mit unangenähten Knöpfen rächt, und die Beiden zählten wohl auf meine Abwesenheit, da sie sonst jedenfalls nicht in einen Dialog ausgeartet wären, der selbst die Familiengrenzen überschritt, die in Bezug auf Rücksichtslosigkeit leider Gottes selbst im gebildeteren Mittelstande genug gezogen zu sein pflegen.

»Wo ist Deine Olle?« fragte Onkel Fritz.

Anstatt sich diesen Kasernenausdruck zu verbitten, schlug Herr Karl Buchholz in dieselbe Kerbe und erwiderte: »sie booßt sich!«

»Woso?« untersuchte Onkel Fritz.

»Du bist doch auch verheirathet, was fragst Du? Zuerst legte sie sich mit der Philippine an, dann fing sie mit mir an, weil mich der Zank nichts anging, dann wurde ich ärgerlich und nun ist sie ärgerlich, weil ich ärgerlich ward, daß sie mit dem Mädchen ärgerlich wurde. Aber das Schlimmste ist, zuletzt wurde sie logisch.«

»Ei, wei Backe!« rief Onkel Fritz in einem Tone, daß ich nicht erst abzuzählen brauchte, ob er Partei für die Schwester nahm oder für den Gatten? Weshalb auch noch das Gehirn mit Scharaden anstrengen, da doch die Männer den Frauen gegenüber stets einig sind? Ein großes Glück, daß sie uns nicht entbehren können. Wie mein Karl wohl manchmal ginge, wenn ich nicht für seine Außenseite strebte? Habe ich, um nur anzudeuten, je seine Hemden außer dem Hause dem Chlorkalk überantwortet? Aber sieht er es ein?

Ich hätte leicht ein Hinwerfgeräusch mit einem Nähkastengegenstand verursachen können oder eine Erkältung mit Kröcheln heucheln, jedoch wozu Mätzchen machen, da mein Karl wissen mußte, daß ich mich in der Hörweite befand und wenn er nicht von einem plötzlichen Staar befallen war, sehen mußte, wie sperrangelweit die Thür aufstand. Mindestens drei Handbreit.

»Sehr grollig?« fragte Fritz.

»Das Gewitter zieht wohl wieder ab,« sagte mein Karl nach einer Pause. »Ich gebe Dir die Versicherung: an mir lag es nicht.«

»Brauchst Du nicht erst bemeineidigen: wer mault, hat Unrecht.«

Daß ich nicht auf- und dazwischen fuhr, war ein Beweis unmenschlicher Selbstbeherrschung; ich hätte blos sehen mögen, wenn ich die Krausen gewesen wäre.

Ich lächelte vor mich hin, aber es war das sogenannte eisige Lächeln, das in Romanen immer da zum Vorschein kommt, wo die Sache schief geht. Ich maulte, demzufolge hatte ich Unrecht! Und das nennen die Männer Logik.

Erstens maulte ich durchaus nicht, sondern hatte mich nur absentirt, um meinen Karl zu schonen, weil Aerger ihm schadet und er, wenn er erst im Zuge ist, mit Marlicen anrückt, die er sich nach und nach von Onkel Fritz angenommen hat. Ich bat ihn ja blos, eine ernste Mahnung an das Dienstmädchen zu richten, da ich das mir zu Gebote stehende Konversationslexikon ohne eine Spur von Erfolg erschöpft hätte.

Und was antwortete er? »Wilhelmine, wenn alle predigen wollen, was bleibt dann den Pastoren? Dein ewiges Kanzeln nützt nichts, es macht sie höchstens gleichgültig. Jedes Uebermaß stumpft ab.«

»Eben weil sie gleichgültig sind, muß ihre Achtsamkeit geweckt werden. Wenn Du etwas zweimal sagst und sie thun es nicht und noch dreimal und erst recht nicht und zum viertenmale und dann verdreht, kannst Du dazu schweigen? Nein, dann fährst Du mit ihnen ab und zwar auf den gesetzlich vorgeschriebenen Bahnen, weil sie sonst mit Dir abfahren und Du liegst drinn. Siehst Du, so verstehe ich Uebermaaß und ich kann nicht sagen, daß es ich abstumpft; im Gegentheil, meine Nerven werden jedesmal so spitz darnach, daß ich sie ordentlich kribbeln fühle.«

»Ich auch,« entgegnete er, »sie stechen förmlich.«

Als er dies gesagt hatte, ging ich; hier wäre jedes weitere Eingehen vom Uebel gewesen und das wollte ich vermeiden. Von Maulen konnte also keine Rede sein.

Und Recht hatte ich.

Onkel Fritz wußte von Nichts, der war ja nicht dabei gewesen. Aber das ist ja die heutzutagige Oberflächlichkeit: man merkt sich irgend einen Satz und bringt ihn als Weisheit an, er mag klappen oder nicht. Nein, mein verehrter Herr Bruder: nicht wer mault hat Unrecht, sondern man mault sehr oft nicht, obgleich man das volle Recht dazu hat, findet jedoch für solche Entsagung keine Anerkennung. Kann man es den Damen daher verdenken, wenn die Frage nach den Frauenrechten immer dringender wird?

Wenn ich ferner meinen Karl bitte, einmal ein Machtwort in das häusliche Getriebe zu schleudern, muß doch wohl Nothwendigkeit vorliegen. Aber auch hiervon hatte Onkel Fritz keinen blassen Schimmer, denn sonst hätte er unmöglich meinen Karl aufgeputscht, indem er sagte:

»Weißt Du Schwager, sie (mit dem einfach kleingeschriebenen ›sie‹ war ich gemeint) ist ein zu scharfer Schütze für ein kleines Revier. Früher, als die Familie noch beisammen war und Ihr sie sogar mit Stützen erweitertet, da konnte sie sich hinreichend loslassen, ohne daß der Einzelne zuviel abkriegte. Jetzt aber, wo sie ihre Gesammtthätigkeit auf den einen Dienstbolzen konzentriert, – Dich rechne ich nicht mit, weil Du Kummer gewohnt bist – hat sie das Unglückswurm natürlich gleich zur Strecke.«

»Und unser jetziges Mädchen ist so still und bescheiden, so anspruchslos...«

Dies war mir zu viel. Mich jedoch bezwingend, ruhig und gemessen trat ich wie die Medea aus dem Schauspielhause in meinem roth und schwarz gestreiften Morgenrock ein und rief nur das allerdings hinziehende Wort:

»Karl, Du irrst Dich gründlich.«

Die Wirkung war wie ich voraussah. Mein Karl wußte nicht wie bekehrt er war und Onkel Fritz machte ein so deutliches Fluchtversuchsgesicht, daß ich sagte: »Bleib, Du sollst nun auch mich anhören, mir kann es nicht gleich sein, ob man falsch über mich denkt oder aufrichtig und von meinem Karl verlange ich, daß er mir beisteht, denn die Lene ist eine so scheinheilige Kreatur, wie mir bis jetzt noch keine von der Vorsehung beschieden war. Du nennst sie anspruchslos, Karl, aber was sagst Du dazu, daß sie beansprucht, wenn es an ihrem Ausgehe-Sonntagnachmittag regnet, ich ihr in der Woche einen extra mit gutem Wetter freigebe, um sich in der Luft zu erholen. Als ich ihr geziemender Weise sagte, sie müßte sich an Falb wenden, der regierte das Klima, fragte sie gegen, wer das Krankengeld bezahlte, wenn sie aus Mangel an Ozon ihre Gesundheit zerrüttete? Mich wundert blos, daß ich ihr keine Equipage halten soll.«

Sie sieht auch bleich aus, nahm mein Karl sie in Schutz.

»Weil sie den ganzen Hafen Essigpflaumen ausgefuttert hat. Ich halte sie immer als Dauerkompott, weil sie in der Mehrzahl zu brandsauer sind und den abgehärtesten Schlünden widerstehen. Das spart mein Karl. Kein Wunder, wenn sie aussieht wie ihr eigenes Gespenst. Und das mußt Du doch selbst sagen, Fritz, für Eine, die so mit der Säure aufräumt, ist das süße Eingemachte nur ein Hauch.«

»Ich habe für Kompötter kein Verständniß,« lehnte Onkel Fritz das seinerseitige Eingreifen in die Verhandlung ab. »Uebrigens,« fügte er nach einiger Ueberlegung hinzu: »setze ihr einen Topf voll doppelsohlenkauendes Nashorn hin, das ist gut gegen Säure. Vielleicht nascht sie sich gesund.«

»Ich werde der Schleckerliese für mein Geld Natron kaufen, wenn sie sich den Magen mit meinem Eingemachten verkolkt. Das wäre zu übertriebene Unfallversicherung. Nein, ich lasse sie antreten und Du, mein lieber Karl, schärfst ihr ein, wie unzufrieden ich mit ihr bin und daß sie sich ändern muß, widrigenfalls ernste Maßregeln ergriffen werden. Du kannst einen Schutzmann mit einflechten oder sonst was Einschüchterndes... bedenke, wenn sie über mich triumphirt, bin ich so lange drunter durch als sie im Hause ist. Ihren Zettel habe ich so wie so geschrieben. Hat sie Ozon verlangt, stell' ich ihr die komplete Atmosphäre zur Verfügung.«

Ohne den Herren der Schöpfung Zeit zu sogenannter logischer Besinnung zu lassen, gab ich der elektrischen Klingel einen festen Druck und zog Onkel Fritz mit mir in das Zimmer nebenan, dessen Thür ich soweit andrehte, daß hinreichende Schallwellen durchkonnten.

Ich bin nicht für Horchen, denn es ist höchst schenant, wenn die Dienstmädchen die Schlüssellöcher als Telephonübertragung benutzen, hier jedoch, in diesem Falle, galt es aus dem Hinterhalt die Person in ihren eigenen Schlingen zu fangen. Auch war ich gespannt, wie mein Karl sich dabei haben würde so zu sagen als Ankläger, Vertheidiger und Gerichtspräsident in einer Person. Onkel Fritz freute sich unbändig darauf, er schmunzelte schon im Voraus.

Diejenige kam; wir lauerten wie angenagelt.

»Der Herr haben geklingelt?« fragte sie.

Mein Karl brachte seinen Kehlkopf in Ordnung und sagte »Hm!«

Onkel Fritz wollte losbrechen, aber ich winkte ihm strengstes Stillschweigen.

Nun fiel mir ein, meinem Karl das Schlimmste von der Philippine noch gar nicht erläutert zu haben. Daß nämlich, weil wir doch wegen der immerwährenden Gasometerdifferenzen draußen ebensowohl Petroleum brennen wie in den inneren Gemächern, sie, als neulich die Flurlampe gequalmt hatte, was ihre Sache ist, sie mir auf einen so ruhig wie möglichen Verweis entgegenschnodderte: ›Das wird wohl der Herr gewesen sein‹. Wo bleibt der männliche Respekt des Hausherrn, wenn die dienende Person ihn für die Dielenlampe verantwortlich macht oder mir anmuthen will, ich könnte eine Havannah nicht von einem Rundbrenner unterscheiden?

Solche Gedanken gehen mit Photographirschnelle vor sich, ja, ich hätte noch eine Mandel ähnlicher denken können, ehe mein Karl seine sonst so geläufigen Rednertalente entfaltete.

Ich wollte ihn schon anpurren: »Karl, drucks' zu« als er den Faden bereits gefunden hatte.

Wir beide also nicht schlecht gehorcht.

»Lene« fing mein Karl an – »oder Helene... ich weiß nicht, wie Sie eigentlich heißen... –«

»Magdalene,« flötete sie. Und ich bin fest überzeugt, sie machte solche unschuldig verschleierte Augen dazu wie stets, wenn sie etwas gerade eben kaput geschmissen hat und mir aufbinden will, sie hätte es nicht anders als zertöpfert gekannt. – Sage ich: »es war heil« sagt sie »aber nicht zu meiner Zeit«. Beweise hat man nicht und muß neu ergänzen, weil Herrschaften bei der Gesetzgebung in jeder Beziehung den Kürzeren ziehen.

Es ward meinem Karl furchtbar schwer.

»Also Magdalene?« begann er wieder.

»Zu dienen,« antwortete sie schmachtend.

»Ein hübscher Name,« sagte mein Karl.

Onkel Fritz warf sich auf das Sopha, daß sie den Knack drinnen hörten, da mein Karl den Tonfall plötzlich änderte und recht bekümmert sagte:

»Magdalene, läßt es sich denn gar nicht ändern, daß meine Frau immer mit Ihnen schelten muß?«

»Ach,« entgegnete sie, »machen der Herr sich darüber nur keine Sorge, ich mache mir auch nichts daraus.«

Ich war starr, als ich dies vernahm. Onkel Fritz dagegen biß in die Schlummerrolle und ruderte mit Händen und Füßen, als sei er in die Spree gestürzt und müßte ertrinken.

Meinen Karl hatte die Antwort verdrossen und mit einer mir wohlthuenden Strenge sagte er darauf:

»Ihre Bemerkungen lassen Sie besser unterwegs. meine Frau ist mit Ihnen im höchsten Grade unzufrieden, und wenn Sie es so weiter treiben, mache ich von den Rechten Gebrauch, die mir gesetzlich zustehen.«

»Ich habe meine Schuldigkeit überall gethan, wo ich war,« sagte sie sanft, »und überall die besten Zeugnisse. Madame hat mein Buch ja selbst gelesen.«

»Seine Schuldigkeit muß Jeder thun, das ist kein besonderes Verdienst. Hier handelt es ich aber um Essigpflaumen, um einen ganzen Hafen voll Essigpflaumen. Wo sind die geblieben?«

»Es waren schon keine mehr da, als ich kam,« log sie mit solcher Treuherzigkeit, daß ich selbst einen Augenblick zweifelte, ob sie nicht wirklich alle gewesen sein könnten. Aber das waren die vorvorjährigten.

»Gar keine?« fragte mein Karl mit einer gewissen polizeilichen Pfiffigkeit.

»O ja... aber die...«

Nun fing sie an zu weinen. Ich strammte mein Trommelfell, Onkel Fritz tauchte in die Höhe, da wir Beide den gemeinsamen Gedanken hatten: Was kommt denn nanu?

»Wie war es mit den Pflaumen?« fragte mein Karl, der natürlich ebenso gespannt auf die Fortsetzung war wie wir.

»Madame hatte die große Güte,« bekannte sie mit Thränenschluckunterbrechungen, »und gab mir eines Sonntags welche, aber ich konnte nur eine herunterkriegen und die nicht einmal ganz. Und da...«

»Weinen Sie nur nicht. Und da...?«

»Da gab ich sie Abends meinem Bräutigam,... und seit der Zeit... ist er nicht wiedergekommen. Uh...hu!«

Nun war es aus. Onkel Fritz brach los und schlug mit den Hacken einen Triller auf den Fußboden, während ich vor Wuth über solche Durchtriebenheit nicht wußte, was ich angeben sollte. Hingehen und ihr vor den Kopf sagen, wie eine Lügenkatze sie sei und ihr dennoch das Gaudium bereiten, daß ich nebenan gelauert und ihre Anzüglichkeiten Buchstaben für Buchstaben genossen hatte? Oder sich stellen als wäre man auf dem Boden gewesen und ihr sagen, es müßte nothwendig gefegt werden? Doch dies ging auch nicht.

Onkel Fritz hatte durch sein ungesittetes Gelächter unsere Gegenwart jenseits der vorstehenden Thür verrathen. Er taugt eben nicht als Gallerie bei feierlichen Angelegenheiten, er ist sogar im stande der Maria Stuart zu einem glänzenden Lacherfolge zu verhelfen.

Die Donna war gegangen; mein Karl kam zu uns.

»Nach vierzehn Tagen bin ich von ihr erlöst,« sprach ich, »wenn nicht eher. Jetzt gleich gebe ich ihr den Zettel. Wie ihr Zeugniß ausfällt, daran wird sie ihr Wunder haben. Ich sage Euch, es wird ausfallen.«

»Nur keine Uebereilung Wilhelmine.«

»Ich schreibe es erst in Kladde. Vorher aber fange ich sie. Wie eine Eingebung von oben ist mir der Gedanke an eine unfehlbare Falle gekommen, und ich sage Euch nochmals, ich lange sie mir. – Du hast Deine Sache lobenswerth durchgeführt, mein Karl, aber das wird Dir klar geworden sein: Die ist Dir über. Und Du, Fritz, Du solltest Dich was schämen.«

Damit verließ ich die Herren der Schöpfung, und sie konnten sich über Logik weiter unterhalten.

Der Philippine gegenüber that ich, als wenn garnichts geschehen sei. Die verstockte Person nahm auch den Zettel ohne irgend welche Gemüthsbewegung und ging an ihre Arbeit, die darin bestand, daß sie den leeren Pflaumenhafen ausbrühen mußte. Den daraus verschwundenen Inhalt berührte ich mit keiner Silbe, ich weiß wann es Zeit ist, sich etwas zu vergeben und wann nicht. –

Mit Ruhe folgte ich der Offenbarung, die mir plötzlich von oben gekommen war. Ich glaube nicht an das Hineinragen einer Geisterwelt, weil die Vossische Sonntagsbeilage lese, aber daß es viel Unerklärliches giebt, lasse ich mir nicht abstreiten. Woher kam denn der flintenkugelige Gedanke an die Zuckerdose mit dem Glasdeckel, die ich von meiner Großtante her in der Servante zu stehen habe? Weil ich an das Bodenfegen dachte und an Abseiten-Gerümpel und alte Sachen? Nein, weil eine höhere Macht mir den Weg zeigen wollte, Trug und Hinterlist zu entlarven. Denn bei dem Zucker war sie mir auch schon gewesen.

Ich nahm die Dose, putzte den Beschlag eigenhändig mit Silberseife und nahm sie in Gebrauch. So oft ich nachzählte, fehlten einige Stücke, was mir um so rechter war, als ich daraus sah, wie die Magdalene auf den Kurs der Sünde schlich. Mal ein Stück Zucker, davon will ich nichts sagen, aber täglich mehrere, das fällt unter Raub.

»Karl,« erklärte ich am vierten Tage, »heute läuft ihr Maaß über. Gieb acht, wie ich sie greife.«

»Verschone mich, ich habe genug von der Zucht!«

»Aber ich nicht. Paß' auf: Du wirst dich freuen, wie schlau Deine Alte ist.«

Er lächelte mir zu, der gute Karl, ich deutete es als Beifall. Einige Stunden später wußte ich, daß es seine alte Liebe gewesen war, die Mitleid mit mir gehabt hatte, um meine Hoffnungspläne nicht zu zerstören.

Als ich nämlich nach Hause kam – ich war zu längerer Visite ausgegangen, wie ich dem Mädchen vorgab, während die Zuckerdose ganz unschuldig auf der Anrichte verblieb – lenkte ich meine ersten Schritte nach eben dieser Dose, denn die war die gedachte Falle.

In diese selbe Zuckerdose hatte ich vier Fliegen gethan; öffnete sie jemand stehlenshalber, flogen die kleinen Verräther davon und das sogenannte Indizium war unanfechtbar.

Ohne Opernglas erkannte ich sofort, daß ein geübter Griff voll fehlte, aber wie ich genauer hinsehe, krabbeln die Fliegen munter drin herum und machen Gletscherpartieen auf den schneeweißen Würfeln.

»Aha« denke ich, »es waren Konservative mang, die sitzen, wo sie sitzen. Die andern werden schon auf und davon sein.« Wie ich aber nachzähle werden es immer mehr. Vieren hatte ich eingesetzt, nun waren es Sechsen.

Ich alsogleich die Lene zitiert.

»Sie haben Zucker aus der Dose genommen,« fahr ich sie an.

»Nicht daß ich wüßte.«

»Jawohl, die Fliegen verrathen Sie. Jetzt sind zwei mehr darin als vorher. Wie geht das zu?«

»Die Biester werden wohl Junge gekriegt haben.«

»Wahrscheinlich« sagte ich obenhin. Denn wie ist es mit den Fliegen? Brehms Tierleben hatte ich nicht zur Hand und in eingesperrter Angst ist am Ende Vieles möglich. Ich war geschlagen.

Konnte ich meinem Manne dies erzählen?

Nein, oder doch erst sehr später.

Kann man überhaupt ein Lehrbuch der Dienstmädchenkunde schreiben?

Nein.

Warum nicht?

Weil man eben bei der Gesellschaft nie auslernt.

 


 << zurück weiter >>