Julius Stinde
Wilhelmine Buchholz' Memoiren
Julius Stinde

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Eine kleine Handarbeit.

Woran Studierte erkannt werden – Vom vollgeweinten Taschentuch und dem italischen Kalender – Vom Sonnenschein an der Wand und Grundzügen der Schnelldichtung – Vom Localcolorit

Sich von unter Einem stehenden Menschen schlecht behandeln lassen müssen und nichts dazu sagen dürfen das schrinkt.

Und so war es mir nach dem Tanz mit der Magdalene, bei dem mir die Puste ausging, während sie in der Küche keine andere Melodie sang als »Siehste wohl da kimmt se, große Schritte nimmt se« und wie ich aus jedem Ton heraushörte, mir zum Tort.

Sollte ich hingehen und ihr Gesinge verklagen? Was wird hernach, wenn der Richter unmusikalisch ist und sich nichts drin sieht? Das Ende von dem Liede kenne ich, das heißt: die Buchholz muß die Musike berappen.

Aber die Herrschaft, bei der sie vor mir gedient hat! Oder ist man gezwungen ›konditioniren‹ zu sagen, um die Völkergerechtsame der ›Fräuleins‹ zu respektiren? Schon blos um dies nicht zu müssen, hätte ich Lust dem deutschen Sprachverein beizutreten und jedes unnöthige ausländische Wort abzuschwören, das man durch ein gutes deutsches ersetzen kann. Aber wie fällt die Unterhaltung mit Gebildeten aus, wenn blos einfach weg gilt, da doch nur Fremdworte gewählten Ausdruck ermöglichen? Man müßte sich wirklich schämen. Und Studirte erkennt man doch meistens daran, daß sie ihre Rede mit den Fremdwörtern spicken, die sie auf den Gymnasien erwerben; dadurch erzielen sie eine Art Nimbus, den Gewöhnliche nicht herausbringen, wie ich an meinem Schwiegersohn ersehe. Wenn der seine Behauptungen mit Sätzen vertheidigt, worin Ausdrücke aus den Nachschlagebüchern ordentlich grassiren dann schlichten sich Meinungsverschiedenheiten in der hälften Zeit, als unter Ungebildeten, weil keiner von uns es auf den Tippel versteht und Jeder glaubt, er hat Recht bekommen, und nachgiebt.

Mit der Herrschaft hingegen, die die Philippine mit einem so unantastbaren Zeugniß auf den Schub brachte, daß ich sie in aller Leichtgläubigkeit miethete, rede ich simplemang direktes Deutsch von der behältlichen Qualität, die man so bald nicht vergißt. Irgendwo muß der Mensch sein Recht finden. Der Staat kann doch unmöglich dulden, daß die Unintelligenz auf der Intelligenz herumtrampeln darf?

Ich kann wohl sagen, es that mir leid, mehr als ich meinem Karl eingestehen mochte, daß ich ihn und Onkel Fritz an dem Franzosensieg über das Mädchen theilnehmen ließ, namentlich den Letzteren. Mein Karl verzeiht nicht nur, sondern redet auch nie wieder von hinreichend Erledigtem, Onkel Fritz dagegen ist ein zu guter Haushalter, der hebt auf, was er gebrauchen kann und nichts ist ihm mehr Theater, als mir nachzuweisen, wenn ich mich mal ein Bischen verhauen habe. Daß er dies nächstens thut, ist so sicher, wie die Sonne hinter dem Friedrichshain aufgeht, blos das »wann« hängt wie das Richtschwert des Damokles an dem Faden der Ungewißheit über mir.

So dachte ich, wenn auch nicht in dem poesiereichen Stil, in den ich erst kürzlich, und wie ich annehmen muß, durch Gewissensbisse des Schicksals hineingerieth.

Mein Kummer war nicht groß, wenn ich ihn mit anderen größeren Kümmernissen verglich, es hätte sich ja Schlimmeres ereignen können, wem aber die Hühneraugen schmerzen, dessen Busen füllt sich nicht gerade mit besonderer Liebe für den Schusterstand, und weil ich durchaus nicht einsah, weshalb ausgerechnet ich zu solchem Verdruß erwählt wurde, erschien mir die Welt in sehr schwarzem Licht und als dunkelster Punkt darin: wie Herrschaft und Dienstboten umgekehrt im Verhältniß zu früher liegen. Von dieser Betrachtung aus war meine Gedrücktheit für Jeden verständlich, der auch einmal unverdient in die harte Hand der Vorsehung gerathen ist. Und wem passirte das noch nicht? Allein es ist keine Grube so rief gegraben, daß sie nicht wieder zuzupflastern wäre; auch das vollgeweinteste Taschentuch trocknet im Sonnenschein der Fröhlichkeit und Alles wird nach wie vor eben und rein.

Der Erdkreis besteht zum Glück aus mehreren Etagen und nichts wirkt erhebender, als wenn man zu den höheren hinzugezogen wird. Dies erfuhr ich so recht eindringlich, als in meiner melancholischen Stimmung ein Brief ankam, der mich aufforderte, für einen Kalender, an dem nur die neueren Klassiker arbeiteten, einen geschätzten Beitrag einzusenden und dabei weniger auf Honorar zu sehen als auf das Bewußtsein meiner Hingabe für einen guten Zweck. Ein Muster des vorjährigen Kalenders folgte anbei.

Genau weiß ich nicht mehr, wie der Wortlaut der mit einer Vervielfältigungsschreibmaschine hergestellten Zuschrift lautete, denn da ich sie ziemlich in der Familie rund zeigte – nicht wegen etwaiger Ruhmsucht, nein, sondern weil man es späteren Enkeln und dergleichen schuldig ist – ging sie bald in Unleserlichkeit über.

Mein Karl sagte, als es gelesen hatte:

»Wilhelmine, seit wann reitest Du den Pegasus?« –Woso?« entgegnete ich.

»Nun, es wird in dem Zirkulair doch ein Gedicht von Dir verlangt.«

Darüber habe ich ganz hinweggesehen. – Aber Karl, ich sagte bereits zu. Weißt Du, wenn sie Einem so liebenswürdig kommen...«

»Einem? – Ich glaube verschiedenen Dutzenden.« – »Karl, Du mußt die Literatur nicht mit Deinem Geschäft vergleichen. Und dann ist das Ganze für einen guten Zweck. Da kann ich mich nicht ausschließen. Bedenke, für Zwecke stellen sich die adligsten Damen in einen Bazar hin und nehmen zwanzig bis hundert Mark für einen selbsteingeknopflochten Rosenstengel und nebenan steht eine von der Operette und kriegt dasselbe. Nein, ausschließen darf man sich nicht, wenn man sich für Wohlthätigkeiten hergeben kann. Ich dichte, darauf kannst Du Dich verlassen.«

»Willst Du lieber nicht vorher anfragen, ob es nothwendig Gereimtes sein muß? Darin hast Du doch keine Uebung.«

»Karl, wenn Alle, die reimen, erst lange üben wollten, wann käme dann wohl die Jugend zum Wort? Nein, das Dichten ist etwas Natürliches. Und dann stelle Dir vor, daß es ein »römischer Kalender deutscher Nation« ist, dessen voll und ganze Bedeutung zum Vorschein kommen muß, wenn erst die Italiener einen deutschen Kalender italischer Nation herausgeben, wodurch die gegenseitigen Beziehungen gekittet werden. Außerdem besteht der Kalender aus langen Papierstreifen, wie kleine Handtücher, oben kunstgewerblich von zwei bleiernen Schafsköpfen zusammengehalten und mit Aussprüchen aus Dichtermünden bedruckt. Ich dränge mich nicht dazwischen aber mit den ersten Tageslichtern zusammen an die Wand gehängt zu werden, kann man doch nicht ohne Weiteres ablehnen, schon allein um der Enkel willen. Ich halte es sogar für die Pflicht der Vorfahren, sich der Nachkommen möglichst würdig zu benehmen.«

»Ich sehe schon, Dir ist nicht zu rathen.«

»O doch, ich bin für jeden guten Rath dankbar, das war ich stets und je, aber wozu soll ich mir abrathen lassen, wenn ich nicht einsehe warum?«

»Hast Du schon mit Anderen gesprochen?«

»Einzig und allein mit dem Doktor.«

»Was meint der denn?«

»Karl, Du weißt doch, daß ich mich immer am besten dabei stehe, wenn ich das Gegentheil von dem thue, was er begutachtet. Hätte er geäußert: ›Nur munter zu, Schwiegermutterchen‹, ich sage Dir, Karl, die Feder in nicht die la main, aber da er nach der ersten Mittheilung sich seinerseits ablehnend verhielt, ward ich meinerseits nur um so geneigter.«

»Wilhelmine, an seinem Geburtstag kannst Du ihn mit so viel Gedichten überschütten, wieder er eben vertragen kann, und sie haben den Vorzug, daß sie in der Familie bleiben.«

»Wer die Poesie für Papierverschwendung hält, für den stürzt man die Musen nicht in Unkosten. Außerdem habe ich der Krausen einige Andeutungen gemacht...«

»Also hast Du doch mit noch Jemand darüber gesprochen.«

»Gesprochen durchaus nicht, nur so leicht hingeworfen, daß ich nächstens auch zur Verbrüderung mit Italien beitragen würde – sie ist ja gegen den Dreibund, und macht Alles, was mit Italien zusammenhängt schlecht, um mir das Land zu verekeln, wo wir so herrliche wiedererzählbare Wochen verlebten. Aber das gelingt ihr gründlichst vorbei. Kann man den Sonnenschein an der Wand übermalen? Die Krausen doch am allerletzten. Selbst wenn sie verbreitet, im italienischen Salat sind Trichinen, eß ich ihn unentwegt. Und der werd' ich zeigen, was es heißt, in die Leier greifen.«

»Ziep nur nicht daneben. Nun mußt Du heran; die Krausen wird Dir keine Ruhe lassen. Es wäre besser, Du hättest sie nicht zu Deiner Vertrauten erwählt.«

»Vertraute? Nicht über den Weg trau ich ihr. – Ja, Karl, wie kann ich Dir klarlegen, wenn Du weggegangen bist... wie der ganze Sachverhalt zum Ursprung kam?«

Als ich mit ruhiger Ueberlegung sann, wollte mir fast scheinen, als wenn mein Karl nicht ganz Unrecht gehabt hätte, und je tiefer ich mich in das gegebene Versprechen versetzte, um so mehr empfand ich, ein wie abscheuliches Gefühl es ist, dichten müssen und lebhaft begriff ich, weshalb die Dichter immer so mager und elend abgebildet werden und selten ein einigermaßenes Alter erreichen. Es sind so zu sagen zwei Gefühle: das eine was sollst Du dichten, das zweite: wie sollst Du dichten und dazu das dritte, mehr im Hintergrund hochkommende: du wirst Dich schön blamiren.

Ob ich Betti um Hilfe anging? Sie hatte ja bei Leuenfels gelernt. Aber sie war nicht mit in Italien, ihr fehlte die innerliche Anschauung.

Zum Glück saß ich dabei, während Leuenfels sie in die Grundzüge der Schnelldichtung einweihte und wieder einmal bewies sich die Wahrheit des Wortes, daß man Alles einmal gebrauchen kann, was man gelernt hat und wäre es das Dümmste.

Ich also zunächst die Reime gesucht, und als ich ein halbes Schock hatte, sie mit Gedanken versehen, gerade so wie Betti und ich es machten, als wir glaubten, sie könnte durch solche Beschäftigung das Lebensglück erringen, nach dem sie sich sehnte. Das Glück sah aber ganz anders aus, es hatte zwei kräftige Arme, mit denen es sie umfing und einen rothen Mund zum Küssen. Ob das Glück darin besteht, daß der rothe Mund sie küßt oder sie ihn, will ich dahingestellt sein lassen, ein Kuß ist so wie so ein Nichts, worin sich noch Zwei theilen.

Aus dem Wege konnte ich dieser Strafarbeit nicht mehr gehen, so oft ich auch Lust hatte, Müdigkeit vorzuschützen: lieber im Barnim als im Munde der Krausen. Und siehe da es ging. Am Abend las ich meinem Karl meine Verfertigung vor.

Ode
        Zur Feder hab auch ich gegriffen
Und schreibe schüchtern ein'ge Linien
Zu der Orangen Preis und Pinien,
Die Lorbeerblätter inbegriffen.

Italien hat mich sehr ergriffen,
Als ich es sah mit seinen Pinien
Und seiner Maler Meisterlinien,
Obgleich sie Manches auch vergriffen.

Doch Fehlerhaftes ist erschienen
So lang die Welt sich dreht in Angeln:
Selbst können nicht der Menschheit dienen
Pompejis klassische Ruinen
Weil Thür und Fenster gänzlich mangeln.

Wilhelmine Buchholz.

Als ich geendet, brauchte er eine ziemlich meterlange Spanne Zeit zur Sammlung.

»Nun, Karl, was sagst Du?« stieß ich ihn an.

»Ich meine... mich dünkt... ist das Gedicht nicht etwas zu lang?« fragte er.

»Zu lang? Kürzer kann es nicht sein. Ich habe bei Goethe nachgezählt, der hat sie von derselben Länge.«

»Vielleicht, wenn Du Deinen Namen wegließest. Eine Reihe macht mitunter viel aus.«

»Daß diese spinöse Person Dir immer und immer maßgebend ist, begreife ich nicht. Kehre Dich doch nicht an ihr Gerede.«

»Karl, klatschen kann sie so viel über mich wie sie will, aus der kommt die Bosheit nie rein heraus und wenn man sie durch die Wringmaschine zieht. Hat sie jedoch einen Splinter Thatsache zu ihren Verleumdungen: Gute Nacht Reputation. Ich habe gesagt, ich würde dichten, thu' ich es nicht, so redet sie mir eine Biographie nach, die wir mit stillschweigendem Mißvergnügen laufen lassen müßten. Denn wo hört die bilderreiche Ausschmückung auf und wo fanden die kongentionellen Lügen an?«

Mein Karl seufzte.

»Du hast noch nichts über den Inhalt gesagt. Ich meine, es ist Wahrheit darin, nach der wird jetzt ja am meisten geschrieen.«

»Reichst Du Dein Gedicht schon bald ein, oder zeigst Du es noch Leuten, die mehr davon verstehen als ich?«

»Morgen dem Doktor.«

»Versäume es nicht.« –

Als ich meinem Schwiegersohn das Gedicht vorgelesen hatte, fragte er:

»Haben Sie das selbst gemacht?«

»Wer denn sonst?«

»Ich glaub' es nicht.«

Dies genügte mir. Es mußte gut sein, weil er mir es nicht zutraute.

Mit einem über den Parteien schwebenden Lächeln steckte ich es wieder zu mir. »Die Hauptsache ist das Colorit des Lokals« sagte ich, »wovon ungemein viel Wesen in den Kritiken gemacht wird. Es war nicht leicht, aber wenn man selbst auf den Trümmern Pompejis gesessen hat, bringt man die erforderlichen Lokalkenntnisse mit. Adje, lieber Schwiegersohn.«

Am Abend schickte ich das Gedicht an Herrn Anton Breitner, den Herausgeber des römischen Wandhängekalenders und schloß mit dem Satze:

»Seien Sie human gegen diese kleine Handarbeit von mir. Hat sie Ihren Beifall, senden Sie mir bitte zwei Exemplare, eins für mich und eins für eine Freundin, der ich damit eine Freude machen möchte.

Ihre ergebenste              
u. s. w.

 


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