Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Der Mühen größtes Teil blieb freilich dein
Vorerst, mein teures, tapfres Mütterlein!
Denn das will Arbeit, bis drei wilde Knaben
Die rechte Zucht bei rechtem Frohmut haben.
Und bis heranwächst unter Frauenhand
Ein richtger Mann für Haus und Vaterland.
Du hasts vollbracht! Mit deinem klaren Blick
Hast du uns fest durch allen Sturm geleitet;
Was immer kam –: dein Arm war ausgebreitet.
Dein Herz erlebte unser Leid und Glück.
Das spürten wir schon in den frühen Jahren,
Wo sich die griechische Grammatik schwer
Auf junge Seelen legt nebst einem Heer
Von sonstgen Kümmernissen und Gefahren!
»Nur frischen Mut! Es muß der Mensch sich plagen,«
So hörten wir dich oft mit Lächeln sagen,
Und früh beim Lichte standest du schon auf
Zur Winterszeit, damit des Lernens Bürde
Dem emsgen Schüler hold erleichtern würde,
Und führtest abends selber uns hinauf.
Und schloß der letzte dann die Mappe zu
Mit müden Augen – dann erst schliefst auch du.
Du warst so zart; wir habens oft gemerkt,
Wenn du tief atmetest beim Abendkuß;
Doch hat die
Seele dir den Leib gestärkt,
Denn man
kann leben, wenn man leben
muß!
Und über allem Schaffen, Sorgen, Schauen
Lag leuchtend warm dein endlos Gottvertrauen.
Und doch war das noch eine leichtre Zeit;
Denn andres Lernen hält uns noch bereit
Des Lebens Drang, des Herzens Sturmgewalt,
Wo jede Lehre sich mit Herzblut zahlt.
Wie warst du da so fest und gut und klar,
Du wußtest alles, was mit jedem war,
Und hast mit jedem seine stille Not
Durchkämpft: den Zweifel, der dem Schaffen droht,
Den Kummer, der ein junges Herz bedrängt,
Wenn es zuerst an jungem Herzen hängt, –
Wem wärs erspart, dies alles zu erleben!
Doch so es teilen – wem ist das gegeben?
Und als wir endlich unsre Wege fanden,
Beruf und Ziel – wie hast du uns verstanden,
Wie lebte sich dein Sinn, der feine, schöne,
Hinein ins Tun und Denken deiner Söhne!
Wir haben alles mit dir durchgesprochen,
Die frohen Feste und die sauren Wochen,
Und manches Wort war ein lebendger Keim.
Du hast uns nie beengt daheim gehalten,
Denn Männer müssen in der Fremde schalten.
Doch unser Herz blieb überall daheim.
Gern kam ein jeder von der Wanderfahrt
Und baute sich sein Haus nach eigner Art,
Besorgt, für Weib und Kind sich einzurichten.
Da sahst du freundlich auch dies Neue an
Und sprachest still: »Mein Tagwerk ist getan.
Und Mutterliebe kennt ja das Verzichten.«
So folgt dein Auge unsern Lebenswegen,
Und deine Nähe ist ihr Schutz und Segen.
Nun bist du bei uns in dem kleinen Haus
Allsommerlich – und ruhst vom Leben aus
Im Lehnstuhl, droben in dem blauen Zimmer,
Die milden Züge so gedankenklar,
Das Herz so warm, wenn dir das dunkle Haar
Die Sonne streift mit ihrem Abendschimmer.
Und auf dem Schemel dir zu Füßen ruhen
Die Enkelkinder neben deiner Rast
Und strecken sich in ihren kleinen Schuhen:
Ob du nicht noch ein schönes Märchen hast?
Sie haben dich wie eigne Kinder lieb;
Du aber streichelst sie und träumst daneben
(Wie es einst Andersen ins Buch dir schrieb):
»Das schönste Märchen ist das Leben.«
Das Leben, ach! – O Mutter, bleib am Leben!
Spinn noch dies schöne, alte Märchen fort
Und teil mit uns, was du uns ja gegeben.
Es ist so traut im alten Lehnstuhl dort,
Wenn ich die Hände leg in deine Hände,
Wenn sich dein Herz auf alte Zeit besinnt;
O sag: »Noch ist das Märchen nicht zu Ende!« –
Und ich will lauschen – wie ein selig Kind.
*