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Sechstes Kapitel

Häuptlinge und Tabus

Wir pflegten das feine und galante Benehmen des Häuptlings Taipi-Kikino außerordentlich zu bewundern. Ein eleganter Tafelgast, geübt im Gebrauch von Messer und Gabel, ein tapferer Held, wenn er, das Gewehr über der Schulter, auszog auf Hühnerjagd in den Wäldern, immer dienstbereit, immer liebenswürdig und heiter: ich wunderte mich manchmal, woher er seinen Frohsinn nahm. Er hatte sich bei seinem geringen amtlichen Gehalt genug abzuplagen, wie mir schien. Seine Ausgaben – er trug immer blendend weiße Gewänder – mußten sein Einkommen von sechs Dollars jährlich oder ungefähr zwei Schilling monatlich weit übersteigen. Er hatte kein Vermögen, sein Haus war das ärmlichste im Dorf. Man vermutete allgemein, daß sein älterer Bruder Kauanui ihm aushalf, aber wie kam es, daß sein älterer Bruder das Familiengut erbte und nun ein reicher Bürger war, während er, der jüngere, ein armer Mann, als Häuptling über Anaho herrschte? Daß der eine reich und der andere fast mittellos war, erklärt sich wahrscheinlich aus irgendeiner Adoption, denn verhältnismäßig wenig Kinder wachsen im Elternhause auf oder erben den Besitz ihrer Erzeuger. Daß der eine an Stelle des andern Häuptling war, erklärt sich aus der Tatsache, daß überhaupt keiner wirklich das Oberhaupt ist, ähnlich wie in Irland.

Seit der Rückkehr und den Kriegen der Franzosen wurden viele wirkliche Häuptlinge abgesetzt und viele scheinbare Häuptlinge neu ernannt. Wir sahen in einem Hause einen solchen Emporkömmling mit zwei abgesetzten Inselbourbonen beim Trinkgelage, Männern, deren Wort wenige Jahre zuvor Leben und Tod bedeutete, die jetzt aber zu Bauern herabgesunken waren, gleich ihren Nachbarn. Wenn also die Franzosen das Erbtyrannentum zerstörten, die gemeinen Leute auf den Marquesas zu freigeborenen Bürgern der Republik erklärten und ihnen das Stimmrecht verliehen für den Generalrat auf Tahiti, so glaubten sie sich wahrscheinlich auf dem Wege zur Popularität, in Wirklichkeit aber brachten sie das Volksempfinden in Aufruhr. Die Absetzung der Häuptlinge war vielleicht manchmal notwendig, ebenso wie die Ernennung neuer, aber die Angelegenheit war jedenfalls sehr delikat. Die Regierung Georgs II. verbannte viele schottische Hochlandsmagnaten, aber sie dachte nie daran, Ersatz zu schaffen, und wenn die Franzosen kühner waren, so müssen wir den Erfolg erst abwarten.

Unser Häuptling von Anaho wurde stets Taipi-Kikino genannt und nannte sich auch selbst so, aber das war nicht sein Name, sondern nur eine Kennzeichnung seiner falschen Stellung. Sobald er zum Häuptling ernannt worden war, geriet sein Name – der, wenn ich mich recht erinnere, »Prinz unter Blumen geboren« bedeutete – in Vergessenheit, und er wurde mit dem bezeichnenden Titel Taipi-Kikino belegt: »Hochwasser = Mann ohne Bedeutung« oder etwa »Bettler hoch zu Roß«, ein witziger und boshafter Hieb. Ein Spitzname zerstört in Polynesien fast ganz die Erinnerung an den ursprünglichen Namen. Wenn wir Polynesier wären, würde man von Gladstone heute nichts mehr wissen, man würde unseren Nestor nur noch als » Grand Old Man« bezeichnen und anreden, und er selbst hätte seine Briefe so unterschrieben. Hier muß man also nicht den üblichen Gebrauch, sondern die Bedeutung des Spitznamens beachten. Die neue Autorität genoß von Anfang an wenig Achtung. Taipi ist bereits eine Zeitlang im Amt und scheint sich durchaus zu bewähren. Er ist durchaus nicht unpopulär, und doch ist seine Macht gleich Null. Er ist Häuptling für die Franzosen und frühstückt mit dem Residenten, aber in der Praxis würde eine Puppe dieselben Dienste leisten.

Als wir drei Tage in Anaho waren, erhielten wir den Besuch des Häuptlings von Hatiheu, eines Mannes von Ansehen und Ruhm, früher Anführer in einem Krieg gegen die Franzosen, Gefangener in Tahiti und der letzte Menschenfresser von Nuka-hiva. Vor nicht allzu vielen Jahren sah man ihn einherstolzieren am Strand der Bucht von Anaho, den Arm eines Getöteten auf der Schulter. »So ergeht es den Feinden Kooamuas!« brüllte er den Vorübergehenden zu und biß in das rohe Fleisch. Und nun stelle man sich diesen Edelmann vor, der von den Franzosen klugerweise wieder in sein Amt eingesetzt wurde, wie er uns in europäischen Kleidern einen Morgenbesuch machte. Er war der Mann mit dem ausgeprägtesten Charakter, den wir bisher kennenlernten: sein Benehmen klug und sicher, seine Figur groß, sein Gesicht verwittert, schlau und furchtbar, aber er besaß eine gewisse Ähnlichkeit mit Gladstone, abgesehen von der braunen Haut und der Tätowierung eines Oberhäuptlings, die eine Seite ganz und die andere zur Hälfte gleichmäßig blau bemalt. Die nähere Bekanntschaft verstärkte unsere hohe Meinung von seinem Verstande. Er betrachtete die »Casco« in einer damals noch ganz neuen Weise, prüfte ihre Linienführung und das Arbeiten des Steuerruders, verbrachte wohl zehn Minuten mit der geduldigen Beobachtung einer Strickarbeit, ließ nicht ab, bevor er die Grundregeln erforscht hatte, und war bis zur Erregung interessiert für eine Schreibmaschine, die er zu handhaben lernte. Als er fortging, nahm er eine Liste seiner Familie mit, seinen eigenen Namen hatte er selbst zum Schluß geschrieben. Ich muß hinzufügen, daß er sicher viel Humor besaß und kein geringer Heuchler war. So erzählte er uns, er sei von einer peinlichen Nüchternheit, wie er es seiner hohen Würde schuldig sei; die gemeinen Leute mochten immerhin Säufer sein, der Häuptling aber dürfe sich nicht so tief erniedrigen. Und wenige Tage später sahen wir ihn grinsend einhertorkeln, den Wimpel der »Casco« am beschmutzten entweihten Hut.

Aber uns geht hier der Zweck seines Besuches in Anaho an jenem Morgen an. Der Teufelsfisch, so schien es, vermehrte sich nur langsam auf dem Riff; man war also der Ansicht, daß man eine Schonzeit verhängen müsse, wie wir es nennen würden. In Polynesien muß zu diesem Zwecke ein »Tabu« erklärt werden, aber wer sollte das tun? Taipi? Er hätte es tun müssen, es gehörte zu seinen Pflichten, aber würde irgendjemand das Verbot eines »Bettlers hoch zu Roß« anerkennen? Er mochte Palmzweige einpflanzen: daraus folgte durchaus nicht, daß der Ort heilig war; er mochte den Zauberspruch aufsagen: man nahm pfiffig an, die Geister würden nicht lauschen. Und so mußte der alte legitime Kannibale über die Berge reiten, um es statt seiner zu tun, und der ehrenwerte Beamte im weißen Kleid durfte nur neidisch zuschauen. Ungefähr zu derselben Zeit, wenn auch auf andere Art, erließ Kooamua ein Waldschutzgesetz. Man beobachtete, daß die Kokospalmen litten, denn das Abpflücken von grünen Nüssen schwächt die Bäume und bringt sie schließlich in Gefahr. Nun konnte Kooamua zwar das Riff mit Tabu belegen, denn es war Staatseigentum, aber nicht anderer Leute Bäume, und der Ausweg, den er fand, war interessant; er belegte seine eigenen Bäume mit dem Bann, und sein Beispiel wurde in ganz Hatiheu und Anaho nachgeahmt. Ich fürchte, Taipi hätte alles für tabu erklären können, was er besaß, und niemand wäre ihm gefolgt. Das beweist die Mißachtung, die man der Würde eines aufgezwungenen Häuptlings entgegenbringt, und ein einziger Umstand zeigt, was diese Leute selbst von sich halten. Ich habe nie einen getroffen, der nicht bei der ersten Gelegenheit seine besondere Lage erklärt hätte: ja, es sei wahr, er sei nur ein ernannter Häuptling, wie er hier vor mir stehe, aber irgendwo sonst, etwa auf einer andern Insel, sei er Häuptling von Geblüt, er bat mich also gewissermaßen, ich möge sein zweifelhaftes Ehrenamt entschuldigen.

Staunend wird man feststellen, daß beide Tabus ihren durchaus vernünftigen Zweck hatten. Staunend, sage ich, weil die Natur dieser Maßnahmen in Europa vielfach mißverstanden wird. Man glaubt meistens, es handle sich um bedeutungslose, willkürliche Verbote, wie man heute noch in manchen Ländern Frauen das Rauchen untersagt oder früher in Schottland den Sonntagsspaziergang verbot. Der Irrtum ist ebenso natürlich wie ungerecht. Die Polynesier sind im scharfen und praktischen Denken des alten Rom nicht geübt, der Begriff Gesetz deckt sich bei ihnen mit dem Begriff von Schicklichkeit und Sitte, so daß das Tabu alles beherrscht und stets eine Handlung als verbrecherisch, unsittlich, gegen das allgemeine Wohl gerichtet, unziemlich und, wie wir sagen würden, gegen die gute Form verstoßend kennzeichnet. Manche Tabus waren infolgedessen lächerlich genug, wenn zum Beispiel Wörter aus der Sprache ausgemerzt wurden, besonders solche, die sich auf die Frauen bezogen. Vieles war den Männern verboten. Frauen war, wie man behaupten kann, wenig erlaubt. Sie durften nicht auf dem Paepae sitzen, nicht die Treppe hinaufgehen, kein Schweinefleisch essen, sich keinem Boot nähern, auf keinem Feuer kochen, das ein Mann angelegt hatte. Vor einiger Zeit, als die Wege gebaut wurden, sah man die Frauen an den Rändern durch das Strauchwerk schlüpfen und bei den Brücken durch das Wasser waten: Straßen und Brücken waren das Werk von Männern und tabu für den Fuß der Frau. Selbst den Sattel eines Mannes, der ein Eingeborener ist, wagt keine Dame von Selbstachtung zu benutzen. So besitzen auf der Anahoseite der Insel nur zwei Weiße, Mr. Regler und der Gendarm M. Aussel, Sättel, und wenn eine Frau eine Reise anzutreten hat, muß sie ihn von dem einen oder anderen borgen. Man beachte, daß diese Verbote zumeist auf eine verschärfte Trennung zwischen den Geschlechtern hinauslaufen. Die Achtung vor der weiblichen Züchtigkeit ist die gewöhnliche Entschuldigung für jene Entbehrungen, die die Männer mit Vorliebe ihren Frauen und Müttern auferlegen. Hier aber fehlt diese Achtung, und trotzdem sind die Frauen an Händen und Füßen gebunden durch bedeutungslose Formalitäten! Frauen, die noch in den alten Zuständen lebten, geben zu, daß das Leben nicht wert war, gelebt zu werden. Aber selbst damals gab es Ausnahmen. Es gab weibliche Häuptlinge und außerdem, wie man mir versichert, Priesterinnen; galante Sitten schmeichelten großen Damen; im heiligsten Innenraum eines Tempels zeigte man Pater Simeon Delmar einen Stein und erzählte ihm, es sei der Thron einer hochwohlgeborenen Dame. Wie genau entspricht das europäischem Brauch, wenn man Prinzessinnen gestattet, die strengste Klausur zu verletzen, und Frauen über ein Land herrschen dürfen, in dem man ihnen gleichzeitig das Recht verweigert, ihre eigenen Kinder selbst zu erziehen.

Aber häufiger sind Tabus Mittel zu weiser und notwendiger Beschränkung. Wir haben gesehen, wie sie väterlichem Regiment dienstbar gemacht werden. Sie dienen außerdem dazu, die Rechte des Privateigentums zu schützen, in dem seltenen Fall, da jemand sie schützen will. So erklärt ein Mann, der des ewigen Kommens und Gehens von marquesanischen Besuchern überdrüssig ist, seine Tür für Tabu, und bis auf den heutigen Tag kann man das Zeichen des Palmzweiges sehen. Oder ein anderer Fall. Anaho ist bekannt als »das Land ohne Popoi«. Das Wort »Popoi« dient auf den verschiedenen Inseln als Benennung der Hauptnahrung; so bezeichnet es auf Hawaii ein Gericht aus Taro, auf den Marquesas die Brotfrucht. Und ein Marquesaner hält das Leben nicht leicht für erträglich ohne seine Lieblingsspeise. Vor einigen Jahren richtete eine Dürre die Brotfruchtbäume und Bananen im Distrikt von Anaho zugrunde, und aus diesem Unglück und der Freigebigkeit, die auf der Insel herrscht, entstanden merkwürdige Verhältnisse. Das gut bewässerte Hatiheu hatte unter der Trockenheit nicht gelitten; jeder Familienvater in Anaho überquerte also den Paß, wählte irgend jemand in Hatiheu aus, »gab ihm seinen Namen« – ein lästiges Geschenk, das man aber nicht zurückweisen darf – und begann von diesem neuernannten Verwandten seine Nahrungsmittel zu beziehen, als ob er regelrecht dafür bezahlt hätte. Daher der ständige Verkehr auf der Straße; zu jeder Tageszeit kann man irgendeinen kräftigen Burschen, im Lendentuch, schweißbedeckt, einen Stock auf den nackten Schultern, unter einer Doppellast von grünen Früchten hastig dahertraben sehen. Und auf der andern Seite der Schlucht bezeichnen ein Dutzend Feldsteine am Wege im Schatten eines Hauses die Ruheplätze der Popoiträger. Etwas abseits vom Strande und keine halbe Meile von Anaho fand ich zu meinem großen Erstaunen eine gut entwickelte Gruppe von Brotfruchtbäumen, vollreif zur Ernte. »Warum nehmt ihr diese nicht?« fragte ich. »Tabu!« sagte Hoka, und ich dachte nach der Art stumpfsinniger Reisender bei mir selbst, wie kindisch und töricht diese Leute seien, Lasten über das Gebirge zu schleppen und die Nachbarn zu schädigen, da die Lebensmittel so dicht vor den Toren wüchsen. Um so mehr täuschte ich mich. Bei der allgemeinen Zerstörung reichten diese Bäume nur aus für die Familie des Eigentümers, und durch das einfache Mittel des Tabu erzwang er sein Recht.

Die Heilighaltung des Tabu ist ein Aberglaube, die Strafe entweder Siechtum oder Tod. Eine schleichende Krankheit folgt dem Genuß von Tabufisch und kann nur geheilt werden durch die Gräten desselben Fisches, die unter allerlei Mysterien verbrannt werden müssen. Das Kokosnuß- und Brotfruchttabu wirkt schneller. Hat man beispielsweise Tabufrucht gegessen am Abend, so ist der Schlaf unruhig; morgens ist der Hals geschwollen und schwarz, und die Färbung dehnt sich nach oben zu bis auf das Gesicht aus. In zwei Tagen muß man sterben, wenn man sich nicht der Kur unterzieht. Das Heilmittel wird aus zerriebenen Blättern des Baumes bereitet, von dem der Kranke Früchte gestohlen hat, so daß er nicht gerettet werden kann, ohne dem Tahuku die Person zu nennen, die er schädigte. Mein Gewährsmann hatte fast nie Tabus in Kraft treten sehen, außer den beiden beschriebenen, er hatte also keine Gelegenheit, Natur und Wirkung der andern kennenzulernen, und da die Kunst der Anwendung von den alten Leuten eifersüchtig gehütet wurde, wird nach seiner Ansicht das Geheimnis bald aussterben. Ich muß hinzufügen, daß es kein Marquesaner, sondern ein Chinese war, der seit seiner Kindheit auf der Insel wohnte und ehrfürchtig an die Zauberei glaubte, die er beschrieb. Die Weißen, zu denen Ah Fu sich rechnete, waren unantastbar, aber er erzählte von einer Tahitierin, die zu den Marquesanern gekommen war, Tabufisch gegessen hatte und, obwohl über Schuld und Gefahr nicht unterrichtet, erkrankte und genau wie ein Eingeborener geheilt wurde.

Zweifellos ist der Glaube stark; zweifellos ist er bei dieser weichen und phantasiebegabten Rasse in vielen Fällen stark genug, um zu töten; besonders stark aber bei denen, die ihre Bäume heimlich unter Tabu stellen, um einen Übeltäter an seiner Krankheit zu erkennen. Oder man muß vielleicht den Gedanken des versteckten Tabu anders auffassen, nämlich als schlaues Hilfsmittel, Angst zu erwecken und so Schuldbekenntnisse hervorzulocken. Wenn jemand krank wird, soll er sich den Kopf zerbrechen über die Möglichkeit eines Vergehens und sofort zu jedem Besitzer schicken, dessen Rechte er verletzt haben könnte. »Hattest du ein Tabu versteckt?« hören sie ihn gewissermaßen fragen, und ich kann mir nicht vorstellen, daß der Eigentümer es bestreitet. Und das ist vielleicht das sonderbarste an diesem System, daß es äußerlich mit soviel naiver geistiger Ehrfurcht betrachtet wird und, wenn man es von innen her scharf prüft, so viele offenbare Anzeichen der Absichtlichkeit trägt.

Wir lesen in Dr. Campbells Poenamo von einer jungen Neuseeländerin, der man törichterweise erzählte, sie habe Tabuyam gegessen, und die sofort erkrankte und innerhalb zweier Tage aus bloßer Furcht starb. Der Zeitraum ist derselbe wie bei den Marquesanern, die Symptome waren ohne Zweifel auch die gleichen. Wie sonderbar die Vorstellung, daß ein Aberglaube von solcher Gewalt möglicherweise wohlüberlegt eingeimpft wurde und daß, falls er ursprünglich auch nicht erfunden wurde, alle Einzelheiten offenbar von einer Art polynesischem Polizeipräsidium arrangiert worden sind. Erklärlicherweise ist der Glaube heute – und war es wahrscheinlich immer – durchaus nicht allgemein. Die Hölle ist bei uns daheim für manche ein starkes Abschreckungsmittel, für andere ein gleichgültiger Gedanke; wieder andere machen sich öffentlich darüber lustig, wenn sie auch ihrer Sache nicht ganz sicher sind, und so geht es auf den Marquesas mit dem Tabu. Mr. Regler hat beide Extreme des Skeptizismus und der naiven Furcht beobachtet. In dem Hain der Tabubäume entdeckte er einen jungen Burschen, der lachend und ohne Scheu wie ein Straßenjunge Brotfrucht stahl, und nur durch Androhung einer Anzeige ließ er sich etwas aus der Fassung bringen. Der andere Fall war in jeder Beziehung das genaue Gegenteil. Mr. Regler bat einen Eingeborenen, ihn auf einer Reise zu begleiten. Der Mann folgte frohgemut, aber plötzlich entdeckte er einen toten Tabufisch auf dem Boden des Bootes, sprang mit einem Schrei zurück und konnte selbst durch das Versprechen eines Dollars nicht veranlaßt werden zurückzukommen.

Die Marquesaner leben also, wie man sieht, in der alten Vorstellung, daß Glaube und Pflicht örtlich verschieden sind. Die Weißen sind nicht nur von den üblen Folgen ausgenommen, sondern ihre Übertretungen scheinen auch keinen Abscheu zu erregen. Mr. Regler hatte den Fisch getötet, aber der gläubige Eingeborene war nicht etwa aufgebracht gegen ihn, sondern weigerte sich nur, sein Boot zu betreten. Ein Weißer ist ein Weißer: der Diener anderer und liberalerer Götter sozusagen, und man darf ihn nicht tadeln, wenn er von seiner Freiheit Gebrauch macht. Die Juden brachen vielleicht zum ersten Male diesen alten Frieden zwischen den verschiedenen Religionen, und der jüdische Geist lebt noch immer im Christentum. Alle Welt muß unsere Tabus beachten, sonst knirschen wir mit den Zähnen.


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