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Mitstreiter

Komponist und Verleger

Dem Satz: »Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen«, steht mit gleicher Wahrheit der andere gegenüber: »Im Kampfe sollst du dein Recht finden.«

R. v. Ihering.

Erfolge zu erringen wird jetzt in Deutschland ungemein schwer. Hierzu ist nicht nur nötig, das Glück zu besitzen, Talent zu haben, sondern auch das Talent zu besitzen, Glück zu haben.

Liszt.

Daß ein Genie sich Bahn breche, ist eine ebenso oberflächliche wie allgemein beliebte Redensart; weit öfter bricht es sich das Genick. Man braucht wahrlich nicht erst Beispiele zu suchen, um zu beweisen, daß Künstler fast niemals zu ihren Lebzeiten auch nur einen Teil des Erfolges finden, den sie verdienen. Andererseits sehen wir geschäftskundige Leute, die nicht Künstler, sondern höchstens Kunsthandwerker sind, gar oft Ruhm, Ehre und irdische Güter jeder Art mühelos mit Scheffeln ernten. Zu geschäftlichem Erfolge gehört im wesentlichen nur eins: dem Publikum das bieten, was die große Masse sucht. (Es braucht nicht gerade blöder Kitsch zu sein, muß aber doch einen mühelosen Genuß gewähren.) Zu künstlerischem Erfolg aber gehört zweierlei: ein großer Künstler sein, und beim Publikum als solcher gelten. Das erste hängt vom lieben Gott ab, das zweite von den Vermittlern zwischen Künstler und Publikum, unter denen für den Wort- und Tondichter der Verleger die Hauptrolle spielt.

Gar mancher Künstler vom Range Griegs hat seine Kompositionen zeitlebens auf eigene Kosten drucken lassen und sie einer kleinen Firma zum Vertrieb übergeben müssen, die dann nichts für die Verbreitung der Werke tat. Grieg dagegen hatte das Glück, im Jahre 1863 den Inhaber einer Weltfirma für sich zu gewinnen, der nach und nach seine sämtlichen Werke verlegte und sie sogar gut honorierte. Etwa fünfzehn Jahre später war er ein weltberühmter Künstler, dessen Werke in den Schaufenstern aller Musikalienhandlungen auslagen, in allen Musikzeitungen besprochen wurden, die Konzertsäle überfluteten und bis in die bescheidensten Wohnungen der Musikfreunde aller Länder drangen. Gewiß hat Grieg selbst sehr viel zu seinem Erfolge beigetragen; denn seit er in Troldhaugen wohnte, widmete er Neuschöpfungen weit weniger Zeit als der Propaganda seiner bereits geschaffenen Werke, die er auf zahllosen Konzertreisen als Pianist und Dirigent interpretierte. (Wobei seine Frau oft als Sängerin mitwirkte.) Aber daß er überhaupt so viele Einladungen zum Konzertieren aus aller Welt erhielt, verdankt er doch erst der Verbreitung, die seine Werke infolge der rührigen Tätigkeit seines Verlegers gefunden hatten. Es versteht sich von selbst, daß ein Mann wie Dr. Max Abraham, der Inhaber des C. F. Peters'schen Verlages in Leipzig, über weitreichende Beziehungen verfügte; aber das genügte natürlich nicht. Jede wirkungsvolle Propaganda erfordert gewaltige Geldopfer, und da niemals der Erfolg sicher ist, besteht in jedem Fall ein bedenkliches Risiko. (Das der Komponist selten tragen kann und der Verleger noch seltener übernehmen will.) Dr. Abraham war nun nicht nur ein Mann, der die geschäftlichen Erfolgsmöglichkeiten vortrefflich zu berechnen wußte, er verfügte zugleich über eine ungewöhnliche Energie und verstand es, wie jeder geniale Kaufmann, viel zu wagen, um viel zu gewinnen. Nur eins muß man ihm zum Vorwurf machen: daß er sich niemals für einen deutschen Komponisten mit gleicher Großzügigkeit eingesetzt hat wie für den Norweger Grieg. Auch ein anderes Welthaus, die Firma Breitkopf & Härtel, trat frühzeitig mit Grieg in Verbindung; sie verlegte seine Klaviersonate op. 7 und seine Violinsonate op. 13. Aber ihr Leiter zeigte nicht denselben Scharfblick und noch weniger denselben Wagemut wie Dr. Abraham, tat überhaupt recht wenig für die beiden Werke, so daß sie erst dann allgemein bekannt wurden, als der Peterssche Verlag das Recht erworben hatte, sie gleichfalls zu verkaufen. Jeder Leser, der eines der beiden Werke besitzt, möge sich davon überzeugen, daß auf dem inneren Titelblatt stets die Firma Breitkopf & Härtel verzeichnet ist; er möge sich dann den Umschlag ansehen, denn der entscheidet, welche Firma das Werk verkauft hat Von neunundsiebzig Exemplaren, die der Verfasser dieses Buches in Privathäusern mehrerer Länder sah, trugen vierundsiebzig den Petersschen Umschlag, waren also von dieser Firma geliefert, während die mindestens gleich große Firma Breitkopf & Härtel nur fünf Exemplare abgesetzt hatte. Gerade diese Gegenüberstellung beweist, wie sehr der Erfolg eines Komponisten von der Tätigkeit seines Verlegers abhängt. Hätte Grieg seine Werke bei Müller & Schulze in Buxtehude herausgegeben, so wäre er vielleicht bis auf den heutigen Tag wenig beachtet geblieben.

Kein Wunder, daß Grieg seinem Verleger die größte Verehrung entgegenbrachte und es sich angelegen sein ließ, den klugen und nützlichen Mann zum Freunde zu gewinnen. Seine freundschaftlichen Empfindungen wurden von Dr. Abraham bald mit gleicher Herzlichkeit erwidert, und der Briefwechsel zwischen dem Tondichter und seinem Verleger zeigt daher zum großen Teil einen von geschäftsmäßiger Nüchternheit weit entfernten vertraulichen Ton.

Als Grieg seine Villa erbaute, schrieb er an Dr. Abraham den folgenden launigen Brief: »In diesen Tagen weiß ich wahrhaftig nicht, ob ich Musiker oder Baumeister bin. Jeden Tag geht's mit der Bahn hinaus nach der Villa und wieder zurück. Alle Ideen werden dort oben verbraucht, und ungeborene Werke werden massenhaft von dem Erdboden verschluckt. Wenn sie einmal kommen, brauchen wir nur zu graben, und norwegische Chor-, Orchester- und Klaviersachen quellen aus der Erde hervor! Daß sie wie Erbsen und Kartoffeln und Radieschen aussehen, darf uns nicht irre machen, denn es steckt wirklich Musik darin. Um mich aber davon zu überzeugen, daß ich noch Musiker bin, habe ich vorige Woche ein Konzert gegeben. Daß die Suite ›Aus Holbergs Zeit‹ eigentlich für Orchester geschrieben ist, werden Sie daraus erfahren. Ich war sehr gespannt, das Perückenstück zu hören, und wie groß war meine Freude, daß es so sehr gut klang und daß ich das Konzert einige Tage nachher wiederholen mußte.« Als die Villa dann fertig war, vergaß Grieg nicht, seinen Verleger sofort einzuladen: »Sie werden den Ort himmlisch schön finden. Das Fremdenzimmer, oder besser das Freundesstübchen, ist parat – wundervolle Aussicht – also herzlich willkommen!« Einige Jahre später heißt es: »Björnson schrieb von seinem norwegischen Landsitz an seinen Verleger in Kopenhagen, zu dem er in demselben freundschaftlichen Verhältnis stand, wie ich zu Ihnen: ›Du warst niemals hier, und doch bist Du immer hier!‹ Das erste wird leider auch immer auf Troldhaugen passen, das zweite aber glücklicherweise ebenfalls.« Kam Grieg einmal nach Deutschland, so versäumte er selten, seinen Verleger in Leipzig zu besuchen; auch andern Orts, wie z. B. an der Riviera, traf er öfter mit ihm zusammen. Und dann pflegten die beiden sich regelmäßig daran zu erinnern, daß sie nicht nur in musikalischer, sondern ebenso in kulinarischer Hinsicht die gleichen Neigungen hatten: Sekt und Austern. Als Dr. Abraham im Jahre 1900 gestorben war, schrieb Grieg an dessen Neffen, Herrn Hinrichsen: »Das war ein harter Schlag! Wäre ich doch in Leipzig, um noch einmal seine Hand zum letzten Abschied drücken zu können! Wie Ihnen zu Mut sein muß, kann ich mir aus meiner eigenen Stimmung vorstellen. Mir war er im besten Sinne ein väterlicher Freund, und er hat in mein Leben mit segensreicher Tatkraft hineingegriffen, wie nur wenige. Als wir uns vor vierzig Jahren kennen lernten, war in den ersten Jahren unser Verhältnis allerdings nur von geschäftlicher Natur, bald aber entdeckte ich hinter dem Geschäftsmann den Menschenfreund und das persönliche Wohlwollen, was meinerseits eine Sympathie für ihn hervorrief, welche nie aufgehört hat, sondern sich im Gegenteil immer steigern mußte.« (Dieser Satz ist nicht ganz wörtlich zu nehmen.) »Ich bin tief bewußt, welch' große Dankbarkeit ich ihm, seinem Andenken schuldig bin … Wie leer war alles um mich her gestern abend, als ich die Nachricht erhalten hatte! Und nun kommt heute früh wie ein letzter Gruß des Verklärten sein lieber, letzter Brief, in welchem er mir seinen Dank ausspricht! Ein großer Trost ist mir dieser letzte Gruß! Ich möchte denselben um vieles nicht vermißt haben.« Daß Griegs Trauer aufrichtig und nachhaltig war, zeigt ein Brief aus dem nächsten Jahre, in dem es heißt: »Nach Deutschland werde ich kaum kommen. Dr. Abrahams Tod hat mir vorläufig jede Freude an Leipzig genommen.« Auch den Nachfolger seines Verlegers (den schon erwähnten Herrn Hinrichsen) scheint Grieg sehr geschätzt zu haben. Aus einem hübschen Neujahrsbrief an ihn seien ein paar Sätze erwähnt: »Empfangen Sie von meiner Frau und mir die herzlichsten Wünsche zum neuen Jahr und die nicht weniger herzlichen Glückwünsche für Sie und Ihre Frau zu Ihrem op. 1. Mögen noch viele Opuse folgen! Hoffentlich hat das Opus Klavierfinger! Die neueste Mode erheischt Violinfinger, für ein Töchterchen sind aber Klavierfinger gesünder. Wer weiß übrigens, was die nächsten fünfundzwanzig Jahre für drollige Moden bringen werden? Vielleicht wird das Töchterchen in reiferem Alter nach dem Kontrabaß verlangen. Und die Eltern werden im Jahre 1925 nichts mehr zu sagen haben!« (Sie haben schon seit dem Jahre 1919 nichts mehr zu sagen. Wenigstens in dem schönen neuen Deutschland nicht. Wie schade, daß der humorvolle Prophet die denkwürdigen Demonstrationszüge der Berliner Schuljungen nicht erlebt hat; welch trollhaftes Lachen hätte ihm das Plakat »Kinder, erzieht eure Eltern!« erweckt.) Grieg nannte Dr. Abraham oft seinen »zweiten Vater« und hat, auch als er ein gefeierter Meister geworden war, nie vergessen, daß er als der Jüngere dem älteren Freunde eine gewisse Rücksicht und Ehrerbietung schuldete. Er war halt ein altmodischer Mensch. Heutzutage umschmeichelt man die Verleger, solange man noch nichts ist, und zeigt ihnen seine Verachtung, wenn man es mit ihrer Hilfe zu was gebracht hat. Tempora mutantur …

Gatte und Gattin

Hätte Gott die Frau dem Manne zur Herrin bestimmt, so hätte er sie aus Adams Kopfe genommen; hätte er sie ihm zur Sklavin bestimmt, aus den Füßen; aber er nahm ihm die Frau aus der Seite, weil er sie ihm als Gefährtin, als sein Seitenstück bestimmte.

Der Heilige Augustinus.

Die Beständigkeit des Glückes ist nur möglich durch den gänzlichsten und absolutesten Verzicht, wie ihn nur die Liebe in Augenblicken ihrer reinsten Erhabenheit begreift.

Liszt.

Tschaikowsky schildert in seinen »Erinnerungen«, wie er im Jahre 1888 Grieg und seine Frau kennenlernte: »Während der Probe des neuen Trios von Brahms, bei welcher ich mir inbetreff der Tempi einige Bemerkungen erlaubte, die vom Komponisten sehr gütig aufgenommen und befolgt wurden, trat ein Herr von sehr kleinem Wuchs, von schwächlichem Aussehen, mit Schultern von ungleicher Höhe, hochwallenden, blonden Locken und spärlichem, beinahe jünglingshaftem Bartwuchs ins Zimmer. Die Gesichtszüge dieses Mannes, dessen Äußeres aus irgendwelchem Grunde bei mir sofort Sympathie erweckte, hatten nichts Besonderes, man konnte sie weder hübsch, noch regelmäßig nennen, aber ungewöhnlich anziehend. Mittelgroße blaue Augen, die an den Blick eines unschuldigen Kindes erinnerten, nahmen sofort den Beschauer gefangen. Ich war nicht wenig erfreut, als es sich bei der gegenseitigen Vorstellung erwies, daß der Besitzer dieser mir so sympathischen Augen und der Träger dieses mir so sympathischen Kopfes ein Musiker war, dessen tiefempfundene Melodien schon lange mein Herz gewonnen hatten. Es war Edvard Grieg, der ausgezeichnete norwegische Komponist … Zugleich mit Grieg trat eine leicht ergraute, äußerlich ihm sehr ähnliche, ebenso zart und sympathisch aussehende Dame ins Zimmer. Es war seine Frau und zugleich seine Cousine, wodurch sich die Ähnlichkeit erklärt. In der Folge hatte ich Gelegenheit, Frau Griegs verschiedenartige wertvolle Eigenschaften kennenzulernen. Erstens erwies sie sich als vortreffliche Sängerin, obgleich sie keine Ausbildung gehabt hatte« (das ist ein Irrtum), »zweitens entpuppte sie sich als eine ausgezeichnete Kennerin unserer Literatur, für die übrigens auch Grieg selbst sich sehr interessiert, drittens überzeugte ich mich sehr bald, daß sie ebenso seelengut, kindlich und arglos war wie ihr berühmter Gatte.«

Diese kurze Beschreibung ergänzt der russische Komponist später durch eine kleine Anekdote: Eine Dame habe in einem Konzert auf ihn und die beiden Griegs gezeigt und dabei geäußert, da sitze Tschaikowsky mit seinen Kindern. »Das wurde ganz ernsthaft gesagt und ist auch gar nicht so wunderlich, wie es auf den ersten Blick sich ausnimmt, denn ich bin grau und greisenhaft, und Grieg, der fünfundvierzig Jahre alt ist, und seine Frau sehen, zumal sie klein von Wuchs sind, von weitem sehr jugendlich aus.« Als Griegs Frau in einer privaten Veranstaltung das Lied »Letzter Frühling« sang, soll Tschaikowsky vor Ergriffenheit geweint haben. Er sandte der Sängerin dann seine eigenen Lieder mit einer sehr herzlichen Widmung. Von den Werken des nordischen Tondichters spricht er in seinen »Erinnerungen« mit großer Wärme, und Grieg hat eine gleich gute Meinung von den Schöpfungen seines russischen Kollegen gehabt. Als die Büste Griegs im Leipziger Gewandhaus aufgestellt werden sollte, schrieb dieser an seinen Verleger Hinrichsen: »Ich hoffe, ich habe das Glück, in der Nähe meines verehrten Freundes Tschaikowsky zu stehen. Das ist ein Meister nach meinem Sinn.« Aus dem gleichen Anlaß äußerte er gelegentlich mit komisch übertriebenem Ausdruck: »Zu viel Ehre für den nordischen Skald.« Diese Worte enthalten eine hübsche Anspielung: Der eitle Dichter Ölenschläger landete einst in Christiania, als die Feste Akershus aus irgendeinem Grunde Salutschüsse abfeuerte, bezog die Schießerei irrtümlich auf seine Person und gab daher den denkwürdigen Ausspruch von sich.

Über Frau Griegs äußere Erscheinung, als sie sechzig Jahre alt war, finden sich einige Worte in einem Brief der Frau des amerikanischen Musikschriftstellers Finck: »Sie ist klein und etwas gedrungen, mit einem Gesicht, dem die von ihr bekannten Bilder nicht gerecht werden, denn in ihm ist eine eigentümliche Mischung von Schüchternheit und Lebhaftigkeit, die auf der Photographie nicht wiederzugeben ist; ihr Haar ist grau und kurzgeschnitten, und ihre Augen sind dunkelblau mit sehr intelligentem Ausdruck.« Über Nina Griegs Stimme heißt es an derselben Stelle: »Sie ist nicht mehr frisch und jung, aber man vergißt das beim Zauber ihres Gesanges; sie schattierte und phrasierte so wundervoll, legte so viel Gefühl hinein, ging so ganz darin auf, daß ich tief ergriffen wurde. Herrlich singt sie pathetische Lieder, noch besser dramatische oder auch solche heiteren Inhalts mit nationaler Färbung.« Der Sänger Steenberg schildert den Gesang der Gattin Griegs folgendermaßen: »Keiner verstand so wie sie, Griegs Eigenart zu geben und in plastische Form zu fassen. Für sie galt als oberstes Gesetz, das hervorzuheben, was er zu betonen wünschte, wenn es sein mußte, ohne Rücksicht auf die konventionelle Gesangskunst … Sie erfaßte nicht nur die Grundstimmung der Dichtung, sondern vertiefte sich in jedes einzelne Wort … Durch ihren Vortrag lernten wir nicht nur das Nationale, sondern auch das Universelle der Griegschen Lieder erkennen und verstehen. Es kommt mir jedoch vor, als ob sie ihr Bestes in dem leistete, was ich als den Kern von Griegs Kunst betrachte, in den melodischen Stimmungen und Klängen seiner Heimat, wie sie uns besonders in den Björnson-, Ibsen- und Vinje-Liedern begegnen. Diese Farben lassen sich in keine andere Sprache übertragen, und niemand versteht sie zu mischen wie Frau Grieg. Konnte in Dänemark jemand Grieg singen, so durfte man sicher sein, daß sie ihm Meisterin gewesen war.«

Fast immer hat Frau Grieg ihren Gatten auf seinen vielen Reisen begleitet; überall sang sie für ihn, kämpfte sie mit ihm, und gleichzeitig sorgte sie unablässig für sein Wohlergehen mit jener mütterlichen Zärtlichkeit, deren ihr kränkelnder Gatte so sehr bedurfte. Die schönste Schilderung eines öffentlichen Auftretens von Nina Grieg verdanken wir dem Dichter Herman Bang (Münchener Neueste Nachrichten 1907): »Es war in Paris. Bei Raffaëlli, dem Maler; in seinem Atelier. Da waren wir versammelt, ›tout Paris‹, während an der Wand ›Gambetta auf der Rednertribüne‹ über uns thronte. Jeder Name zählte, und zwei Weltteile konnten unter diesen Fünfhundert auf ihre Besten weisen. Grieg zu Ehren waren sie gekommen. Und auf dem Podium, das unter den Augen des ›Befreiers‹ aufgestellt war, spielten Grieg und Busoni. Und man huldigte ihnen, und man feierte sie, und sie – hatten nicht eingeschlagen. War Grieg nicht disponiert oder waren die Fünfhundert es nicht? Wer kann das wissen? Aber die trübe Kühle der Höflichkeit lag über dem Saal, und ich glaube, daß jeder einzelne von uns, der den Norden und Norwegen und Grieg liebte, sich beklommen fühlte. Frau Nina Grieg saß neben mir. Langsam aber unablässig hatte sie, während Grieg und Busoni spielten, den großen Fächer vor ihrem Gesicht hin und her bewegt, das fortfuhr zu lächeln. Jetzt hatte sie ihn zusammengeklappt, als ich flüsterte, ihr ins Ohr und ganz leise: ›Frau Grieg, sie müssen singen.‹ Sie hatte mich verstanden und wußte, was ich wollte. Aber sie antwortete: ›Ich traue mich nicht.‹ ›Sie müssen‹, antwortete ich, und ebenso leise: ›Hier kommt es darauf an.‹ Aber noch einmal sagte sie, und ich spürte, daß sie zitterte: ›Ich traue mich nicht.‹ Da sagte ich: ›Aber Sie müssen. Oder Sie gehen geschlagen fort.‹ In demselben Augenblick hatte sie sich erhoben, und sie ging vorwärts, die Stufen des Podiums hinauf, und stand da. Verblüffter ist ›tout Paris‹ nie gewesen, als es jetzt dasaß. Wie ein Mütterchen stand sie da. Wie ein Pudel mit einem allzu großen Kopf sah sie aus. Und doch, ich weiß nicht, ich hatte keine Angst mehr. Aber ›tout Paris‹ hatte es gleichsam einen Ruck gegeben. Und dann sang sie. Stiller war es nie bei einer Messe, als da unter den Fünfhundert von Paris. ›Wir lieben dich, du bist uns Mutter …‹ Das war nicht Jubel, was da losbrach. Es war ein Tosen, ein Orkan. Aber so wie Nina Grieg an diesem Tage sang, um für den zu siegen, den sie ihr Leben lang liebte, so singt auch nur die Liebe.« –

Nur selten verdunkelten Gewitterwolken den ehelichen Himmel. Theoretisch hatte Grieg allerdings mancherlei gegen die Institution der Ehe einzuwenden. So schrieb er z. B. an den Dichter John Paulsen: »Mich dünkt, ich lese eine Liebesnovelle zwischen den Zeilen Deines Briefes. Erinnere Dich: Die Frauen wollen spielen, und damit Punktum! Das klingt hart und materiell, aber es liegt nun schon etwas Wahres darin. Eine Frau hat nie erfaßt und wird nie erfassen das Große, Wilde, Unbegrenzte in eines Mannes, eines Künstlers Liebe. Und habe ich hierin recht, so habe ich zugleich auch bewiesen, daß ein Künstler sich nicht verheiraten soll.« Eine recht dürftige Philosophie. Das Problem der Künstlerehe läßt sich denn doch nicht mit so ein paar vagen Worten erledigen. Gewiß, für die meisten Künstler ist es das beste, daß sie nicht heiraten; aber nicht etwa, weil die Frauen bloß spielen wollen, sondern weit eher deshalb, weil das Bedürfnis der Künstler, die Liebe tausendfältig zu erleben (um sie dann in ihren Werken tausendfältig zu besingen) mit der lebenslänglichen Fesselung an eine einzige Frau schwer zu vereinen ist. Wenn das »Große, Wilde, Unbegrenzte in eines Künstlers Liebe« als etwas Hohes und Edles gelten soll, so kann es nur qualitativ verstanden werden, und dann müßte der Verzicht auf die Frau näher liegen als der Massenkonsum von Weiblichkeiten aller Art. Im übrigen gelten für Künstler keine anderen Normen als für die gewöhnlichen Sterblichen, und wenn die Ehe sich als die beste aller denkbaren Regelungen der Geschlechtsverhältnisse erwiesen hätte, so würden die Künstler allein keine Befreiung von Fesseln beanspruchen können, die allen höheren Menschen unter Umständen unerträglich erscheinen. Die ewig unbefriedigte Sehnsucht nach der Verwirklichung eines Ideals, die den echten Don Juan von einer Frau zur andern treibt, und der faustische Erkenntnisdrang, der von der Frau weg, über sie hinaus führt, ist der Mehrzahl aller Künstler völlig unbekannt. Auch Grieg hat nichts davon verspürt. Aber er hat, wie alle erfolgreichen Künstler, viel edle und schöne Frauen kennengelernt, deren Wesen ihn anzog, und deren Besitz er im stillen begehrte. Das führte dann dazu, daß er sich theoretisch zuweilen gegen die Ehe erboste. Doch siegte in ihm stets die praktische Vernunft und die Liebe zu seiner Gattin, die so treu für ihn sorgte und ihm in allen Lebenslagen ein so guter Kamerad war. Irgendwelche »interessanten« Liebesgeschichten sind also von Grieg nicht zu berichten, wie es denn überhaupt in seinem Leben weder aufregende Erlebnisse noch tragische Konflikte gegeben hat. Abwegige Gedanken mag er hin und wieder gehabt haben (wer hätte die nicht zuweilen?), und mancher kleine Kampf ward wohl im stillen Kämmerlein durchfochten; aber nichts davon ist jemals nach außen gedrungen. So verlebten die beiden Gatten viele Jahre ruhigen Glückes, lediglich getrübt durch das körperliche Leiden Griegs, und anno 1892 feierten sie dann das schöne Fest der silbernen Hochzeit, das der Meister selbst beschreiben mag: »Das Wetter war himmlisch schön nach vierzehn Tagen Regenguß. Ehe wir noch das Schlafzimmer verlassen hatten, intonierte die Brigademusik unten im Garten ›Eine feste Burg‹ und nachher eine Serenade für die Gelegenheit. Die Wirkung der ersten Töne an dem wunderbaren stillen Morgen vergesse ich nimmermehr. Zahlreiche Blumenspenden waren schon angelangt, und als im Laufe des Vormittags mehr als hundert Gratulanten sich einfanden, die alle Blumen mitbrachten, wurde Troldhaugen zuletzt wie in einem Meer von Blumen begraben; und dann die Masse von Geschenken! Kunstfreunde in Christiania schickten mir ein großes Bild von Wehrenskjöld, Künstler aus derselben Stadt ein riesiges Bärenfell, ein wahrhaftes Prachtexemplar, Kunstfreunde in Bergen den erwähnten Steinway-Flügel« (die Schilderung seiner Ankunft ist hier weggelassen), »eine Musikschule in London ein schönes silbernes Schreibzeug. Aus Norwegen, Schweden und Dänemark kamen Möbel, Silbersachen und andere Geschenke. Kurz, ich erkannte mein Zimmer gar nicht mehr. Als nun die Vormittagsgäste wegen der Bahnzüge bald fort mußten, kam mir plötzlich die flotte Idee, die ganze Gesellschaft für den Abend einzuladen. Dies wurde mit Jubel akzeptiert. Aber die Küche! Wir waren auf fünfzig Gäste eingerichtet, und hier handelte es sich um hundertdreißig! Meine Freundin, Frau Beyer, die ein wahres häusliches Genie besitzt, besorgte aber alles per Telephon und Telegraph so meisterhaft, daß abends auf einmal alles dastand wie in dem Märchen. Im Garten wurden viele Tische gedeckt, und viele schöne Damen fungierten als Wirtinnen. Um neun Uhr abends erschienen zweihundertdreißig Sänger, die sehr schöne Festgedichte zu Musik vortrugen. Zwischen drin wurde nun geredet, Klavier gespielt (von mir) und gesungen (von meiner Frau), vor allem aber getrunken, denn der Punsch floß wie der Rheinwein im Heineschen Gedicht. Dazu donnerten die Kanonen auf den umliegenden Inseln, während schöne bengalische Lichter und gewaltige Johannisfeuer sich in der See widerspiegelten. Auf dem Fjord wimmelte es von Booten, und wo wir hinsahen, waren alle Hügel schwarz von Menschen. Mehr als fünftausendfünfhundert Menschen sind an diesem Abend mit der Bahn befördert worden. Das Ganze wurde also durch den Zufall eine Art Volksfest und ist als solches als einzig gelungen zu bezeichnen.« –

Neben Nina Grieg, die zur Zeit (1922) als rüstige Achtzigerin in Kopenhagen lebt, haben sich viele bekannte Sängerinnen für die Griegsche Lyrik eingesetzt. Unter ihnen verdient Desirée Artôt auch deshalb besondere Erwähnung, weil sie in Musikerkreisen als Griegs erste Liebe gilt. Wie diese Meinung entstanden ist, zeigt ein Brief von Siegfried Ochs (an den Verf.), in dem ein Abend bei der Künstlerin geschildert wird: »Tschaikowsky begleitete Frau Artôt zu Liedern von Grieg; Grieg spielte dann die Begleitungen zu Liedern von Tschaikowsky. Bei Tisch stießen die drei auf ›Sichnichtbekommenhaben‹ an, wobei herauskam, daß sowohl Tschaikowsky wie auch Grieg um die Hand der berühmten Sängerin angehalten hatte.« Dem widerspricht Lola Artôt de Padilla in einem Briefe an den Verfasser: Ihre Mutter sei mit Grieg nie verlobt gewesen, auch habe sie ihn erst 1883 in Bergen kennengelernt. »Dort konzertierte sie. Er war im Konzert. Auf dem Programm stand kein Lied von Grieg, sondern meine Mutter gab ›Primula veris‹ und ein anderes Lied als Zugabe. Es wurde eine sehr schöne langjährige Freundschaft.« Die damals achtundvierzigjährige Artôt war acht Jahre älter als der seit fünfzehn Jahren glücklich verheiratete Grieg. Das Anstoßen auf ein »Sichnichtbekommenhaben« kann sich also wohl nur auf die Tatsache bezogen haben, daß Tschaikowsky 1868 mit Desirée Artôt verlobt war und diese 1869 den spanischen Baritonisten Padilla y Ramos heiratete.


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