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Wie sich die Neujahrshoffnungen von Kapitel 1 und 2 verwirklichen. Ein Begräbnis und sonst nötige Nachrichten.
Doktor Sälten war eben die Stufen der Treppe hinabgeschritten, als er wieder die Tischlerwitwe vor sich sah. Ehe er noch versuchen konnte, ihr auszuweichen, hörte er sich von ihr angeredet – diesmal ohne Gebrauch ihrer gewohnten Höflichkeitsausschmückungen.
»Du meine Güte,« rief sie eifrig, »daß ich Sie noch treffe, Herr Doktor! – Nämlich Herr Grim war eben bei mir – so vergeb's – im Vorbeigehn, und da hab' ich nebenbei erfahren – denn er sah gar so erbärmlich aus und ich fragt' ihn natürlich, was ihm wär' – und er hat mir gesagt, daß er gar so 'ne große Angst hätt' hinaufzugehen und dem armen Herrn da oben noch 'ne schlechte Nachricht mehr zu bringen, da er doch 'ne gute versprochen hätt'. Da hat er mir erzählt von 'ner gelehrten Schrift des Herrn Korrektors, und wie der sie an Herrn Sohn geschickt hätt', was ein Buchdrucker ist und überhaupt sich mit Büchern abgibt. Da hat sich der Herr Grim bei Herrn Sohn wollen Bescheid holen, und wie 's mit der Schrift würde, wo sie ihn aber abgewiesen haben und 'nen schlechten Trost gegeben und gesagt, die Schrift wär' bei 'nem Gelehrten; was der davon hielt'.«
Es war gewiß sehr verwunderlich, daß Sälten diesen langen Bericht so geduldig anhörte, da er es doch eilig hatte; aber Frau Rohrdrommel fiel das gar nicht auf; sie kannte ja seine Leutseligkeit und Menschenfreundlichkeit.
»Er hat nach dem Namen gefragt?«
»Hat er nicht, Herr Doktor!« erwiderte die Frau, indem sie mit dem Zeigefinger ihrer rechten Hand nach ihrer Stirn wies, als den Ort, wo gewissen Leuten kluge Gedanken kommen sollten, aber nicht kommen. »Was wird so ein Mannsmensch, wie Herr Grim, danach gefragt haben!« sagte sie dabei. »Sondern er ist Ihn'n rein still geblieben und mit 'm Jammer inwendig fortgegangen, wie er 's sollte dem Herrn Korrektor beibringen. – ›Lieber Gott,‹ hat er zu mir gesagt, ›Sie werden 's erleben, dies mit seiner Schrift, wenn er hört, daß es nichts mit seiner Hoffnung ist, – Frau Rohrdrommeln – das bringt ihn um. Denn,‹ sagte Herr Grim noch, ›ich weiß, was er dran gesetzt hat, Müh' und Arbeit Tag und Nacht;‹ und einmal hat er zu Herrn Grim gesagt, wenn nur die Schrift nicht umsonst wär' und vergeblich, so wär's sein Leben auch nicht.« –
Sie hielt inne, wohl weil sie wartete, Doktor Sälten sollte wieder eine Frage stellen, vielleicht nach dem Grunde, aus welchem sie es so wichtig hätte, von diesen Dingen ihm Mitteilung zu machen. Aber er schwieg, und es war ihm dabei, als müßte er darüber wachen, daß der Schrecken von vorhin nicht ausbräche aus der Stube, die er doch so fest hinter sich verschlossen hatte.
»Da hab' ich denn,« fuhr die Frau fort, »zum Herrn Grim gesagt, wir wollen die Sache so nicht stecken lassen, und ich will sehen, wie dem Korrektor mit der Nachricht zu helfen ist, auf die er wartet. So hab' ich den Herrn Grim hinaufgeschickt und bin gleich hergekommen, daß ich Sie aufsuchte, Herr Doktor.«
»Mich, Frau?« rief Sälten – »aber was kann –«
»Hat doch erst gestern wieder der Postbote bei mir ein Paket an Sie abgegeben,« sagte die Frau ihn unterbrechend, »und so schon oft vorher, auf dem gedruckt war ›Absender: Sohn und Söhne‹. Das ist mir gleich eingefallen, und so wissen Sie vielleicht auch um die Schrift Bescheid – –?«
Er fühlte sich von ihrem beobachtenden, forschenden Blick getroffen, und ehe er wußte, was antworten, sagte sie: »Ach, Herr Doktor, sehen Sie, ich wußte, es ist so, und ich brauch' nicht jetzt selber hinzugehen zu Herrn Sohn und die Sache ins Reine bringen und mich nach 'm Herrn erkundigen, wie er heißt, nach dem Herrn Grim nicht mal gefragt hat –«
»Nein,« sagte Doktor Sälten schnell, »das wünschte ich nicht, – ich meine,« setzte er sich verbessernd hinzu, »das ist nicht nötig;« und unterm Sprechen ward's ihm fühlbar, daß ihm zwar der Mut gefehlt hatte zu leugnen, dafür aber in seinem Zugeständnis ein desto kühnerer Trotz sich geltend machte. »Es ist durchaus von dem Herrn Korrektor die Hoffnung auf Annahme seiner schriftstellerischen Arbeit durch Herrn Sohn nicht aufzugeben. Was ich selber dazu thun kann, nach meiner Rückkunft, wird gewiß geschehen. Lassen Sie den Kranken, wenn er fragt, das wissen – aber, mir liegt daran, ich wiederhole es: es soll dabei mein Name nicht genannt werden; nein, Frau, wie ich mir schon ausgemacht habe: er wenigstens soll ihn nicht erfahren – es ist mir peinlich.« –
Sie waren unterm Gespräch bis zur Hausthür gelangt, die Sälten schon in der Hand hatte, um sie zu öffnen.
»Sie verreisen, Herr Doktor?« fragte ihn da die Vizewirtin.
»Ja,« antwortete er, »ich wollte Ihnen das noch anzeigen, auf kurze Zeit – nur auf kurze Zeit!«
»Und wohin sind Briefe und Nachrichten zu schicken?«
»Kann alles liegen bleiben,« antwortete er.
»Herr Doktor,« sprach die Witwe eindringlich, »dann werden Sie nicht abreisen, ohne hinaufzugehen vorher – nein, das können Sie nicht und Ihr gutes Herz leidet es nicht! – Sehen Sie, da sitzt der Herr Grim voll Angst, daß der Korrektor sich besinnt und merkt, daß er zurück ist und fragt ihn – und Herr Grim weiß, wenn er ihm sagt, es ist nichts, so übersteht's der arme Korrektor nicht. Ach, und ihm kann gewiß kein Doktor mit Medizin mehr helfen, 's ist auch mit 'm Thee zu spät; aber so 'ne Freude vielleicht – wie ist sie ihm zu gönnen! Bringen Sie ihm die, Herr Doktor; helfen Sie ihm die bringen! – Sie brauchen gar nicht in die Stube hinein, Herr Doktor, und sich mit 'm Kranken aufhalten; Sie winken nur den Herrn Grim heraus, setzen ihm 's auseinander, 's ist in 'ner Minute gesagt.«
Er hinaufgehen? Jetzt, da er sich diesem allen entziehen wollte? – Aber warum nicht? Dies war die Probe, daß er den Schrecken da oben wirklich überwunden, daß er sich wiedergefunden hatte und mit seinen Grundsätzen der Stärkere geblieben war. – So schnitt er auch der Frau die weitere Einmischung ab, und in der Überwindung, die er sich immerhin auferlegte, bewies er doch sich selbst auch eine edelmütige Gesinnung. Wirklich, sonst hätte seine Reise einer Flucht geglichen, so hatte er sie sich auch oben wohl zuerst vorgenommen; aber nun wollte er beweisen, daß er sich nicht in Furcht hätte jagen lassen durch die düstern Worte von Schuld und Sünde.
»Der Kranke schläft?« fragte er, »oder ist ohne Teilnahme?«
»Er ist immer noch weit weg,« sagte Frau Rohrdrommel, »und nur nach 'm Kinde sieht er sich um dann und wann.«
Trieb ihn die Erwähnung des Kindes hinweg oder zog sie ihn hinauf? Vielleicht konnte er es als Unbeteiligter erblicken – warum nicht? Schwäche wär's, sich davor zu fürchten – ob wohl des Knaben Blick so sein würde, wie er ihn oben sich vorgestellt hatte? –
»Gut, Frau,« sagte er, »bemühen Sie sich nicht weiter um diese Sache; ich kann wohl etwas für die Schrift des Herrn Korrektors beim Verleger thun; ich werde hinaufgehen und dem Herrn Grim Mitteilungen machen, die wohl imstande sind, dem Kranken, wenn er nach seinem Buche noch einmal fragen sollte, wieder Mut zu machen. – Es ist nicht nötig,« setzte er hinzu, als er eine Bewegung der Frau bemerkte, ihm zu folgen, »daß Sie mich geleiten. Ich kenne ja den Weg nach der Wohnung oben von gestern her.« –
Als er gleich danach mit leichtem und sicherm Schritt die Hintertreppe hinanstieg, stand sie unten still und horchte auf den Schall seiner Tritte. Denn es war ihr, als würde er etwa sich anders besinnen und wieder umkehren. Aber sie hörte ihn höher und höher steigen ohne Aufenthalt. –
»Rohrdrommeln,« sagte sie da, während sie in ihre vizewirtliche Thür trat, »das hast du gut gemacht. Du meine Güte, wie sich das alles getroffen hat! Und ob er wohl noch verreist, wenn er oben gewesen ist? – Was man nicht alles erlebt, du meine Güte, und am Neujahrstag!« –
Leise klopfte oben der Gelehrte an; unser Freund Gracioso öffnete und winkte ihm ins »Entree«. Aber noch hatte der Eintretende die erste Frage nach dem Befinden des Kranken nicht gethan, als Andres von drinnen gerufen wurde mit schwacher Stimme; aber Sälten wußte wohl, wessen sie war. – Andres wandte sich mit wehmütiger Freude im Gesicht zurück: »Das erste Wort seit 'ner Stunde!«
»Gehen Sie nur,« sagte Sälten, »und sehen Sie nach ihm; ich warte hier, denn ich möchte mit Ihnen allein sprechen.«
Als der Schattenkünstler hineingegangen war, hatte er die Stubenthür so weit offen gelassen, daß der Besucher nicht bloß jedes Wort hörte, das drinnen gesprochen wurde, sondern auch das Lager des Kranken zum Teil sah, sein Antlitz aber nicht, das dem Fenster zugekehrt lag.
»Andres, wie hat sich Herr Sohn über mein Buch entschieden? – Nein, Andres, sieh nicht weg – gib mir Bescheid –«
»Ach, Herr K'rektor, ich dacht' wohl diese ganze Zeit, daß Sie danach fragen würden, und es ist mir keine Ausrede eingefallen. Er hat's noch nicht angesehen, auch noch keine Nachricht drüber von 'nem gelehrten Herrn, der's für ihn durchlesen sollte.«
»So sinkt denn auch diese Hoffnung hin – den andern nach!«
Wie war die Trauer, mit denen diese Worte gesprochen wurden, so sanft und so tief. – »Ach, Andres, ich dachte, mein Wort könnte manchem nötig sein und dienlich in dieser verworrenen Zeit – so voller Täuschung und Betrug; und der Gedanke daran stärkte mich immer, wenn die Niedergeschlagenheit über mein nutzlos Leben mich beschlich. – Aber es war wohl eine Eitelkeit dabei und ich nicht wert solcher Freude! Vergib, Herr, vergib!« – Und zwei ineinander gefaltete Hände erblickte Sälten, die sich fromm erhoben. Dann ward eine Stille. –
Aber jetzt sprach er wieder: »Andres, welch einen süßen Duft spür' ich – o wie süß und erfrischend – als wehte er von einer Blumeninsel her, der ich zusteure – nie gesehen und doch vertraut!«
»Sehn Sie, Herr K'rektor, jetzt merken Sie ßon auf alles wieder,« lautete die Antwort, »'s ist die Blüte vom Heliotrop, die ich Ihn'n da aufs Bett gelegt hab'.«
»Zu Blumen gehören Kinder,« sprach's wieder vom Bett her, »Andres, wo ist unser Kind?«
Jetzt hörte Sälten Schritte sich dem Lager nähern, jetzt bog er sich unwillkürlich vor, besser zu sehen, und jetzt erblickte er durch den Thürspalt ein Kinderangesicht, seine Wangen gerötet wie vom gesunden Schlaf, und Augen, so glänzend und fröhlich, so träumerisch geheimnisvoll und zugleich so offen und vertrauend, wie ihresgleichen ihn nie angeblickt hatten – ja, doch – schon einmal ganz mit demselben Glanz, ganz mit demselben Vertrauen – sie sind nun längst dahin – nein, da tauchen sie auch auf, dort ganz nahe über des Kindes Haupt, gewiß, sie sind's, aber ihr Glanz ist ganz erloschen und mit ihm jede Spur der Freude und des Glaubens von diesem zergrämten Gesichte weggewischt.
Der Gelehrte bog sich seitwärts, denn ihm war's als hätten diese beiden Augenpaare ihn schon erblickt und könnten nur auf ihn gerichtet sein. Er wollte fliehen, aber fand dazu den Mut nicht, als gähnte vor ihm ein Abgrund (hatte er nicht von solchem Abgrunde gelesen oben erst in der Handschrift?) und aus seiner ewigen Tiefe starrten ihm allerorten diese Augen entgegen. –
»Mein Werk«, hörte er wieder drinnen sprechen, »war vergeblich, und, ihr Armen, auch mein Versuch, euch zu helfen. – Aber getrost, Florentine, Er hat dich deinem Kinde zugeführt, so ist auch Gott mit dir.«
Es waren doch lauter sanfte und gelinde Worte, die Sälten von drinnen hörte, und keine Drohung war für ihn dabei, und auch jetzt vernahm er nichts als das verhaltene Schluchzen eines armen Weibes mit zerdrücktem Herzen. Aber im Ohre des lauschenden Gelehrten dröhnte das alles wider wie Donnerrollen des Gerichts: er, der schon lange und eben noch Schuld und Sünde als Begriffe wesenhaft nur für den Pöbel belächelt hatte, fand jetzt in seiner Schuld das einzig Wesenhafte und Wirkliche, und der Schrecken vor ihm selber, hinter dem er kurz zuvor die Thür verschlossen hatte, überfiel ihn so stark, daß er nicht zu fliehen vermochte. Er hielt ihm still, seine Gebeine waren erschrocken, seine Seele war sehr erschrocken, wie es unten im Manuskript gestanden hatte. –
Plötzlich überkam ihn der Gedanke, daß die Stimme da drinnen verstummen könnte, ohne daß sie noch einmal zu ihm geredet hätte, wie die Gewißheit der Verdammnis, und seine neue Schuld als die schwerste und abscheulichste, wenn er die Tropfen der Freude, welche er jetzt allein noch in den Kelch der schweren Leiden fließen lassen könnte, diesem verrinnenden Leben mißgönnte!
Schon stand er am Schmerzenslager. »Ludwig, Ludwig!« rief er, »kennst du mich noch, deinen Jugendfreund, den falschen, der dich betrogen hat und verraten und ist an dir schuldig geworden – o, so tief – kannst du ihm vergeben?«
Staunend blickte ihn der Kranke eine Weile an, dann sprach er feierlich: »O Gottlob Sälten, wer schon für sich die Wage klingen hört in der Hand des Richters über alle und weiß, es ist allein die unendliche Erbarmung, die seine Schale zum Sinken bringt: wie klein erscheint ihm jeglich Unrecht, das ihm im entfliehenden Leben geschehen ist. Wie gern vergeb' ich dir, und gewiß auch Gott, denn er führt dich her, wie's auch sonst mit deinem Kommen zugegangen sein mag.«
Er suchte mit seinem Blick Mutter und Kind, die beim Eintreten Sältens vom Lager zurückgewichen waren.
»Sieh,« sprach er, »mein Freund, dort die beiden, die mein schwacher Arm nicht führen und schützen kann, aber die er retten durfte und dir zuführen. Du hast an ihnen viel gut zu machen, Gottlob Sälten; sie sind dein, verlaß sie nicht!«
Doktor Sälten wandte sich dem Weibe zu; sie war bleich geworden, ganz bleich, und die Augen, mit denen sie ihn anblickte, hatten wieder Glanz gewonnen; aber einen solchen, der ihm in die Seele drang, als ob er sie verzehren wollte.
Er trat einen Schritt auf sie zu und sagte: »Florentine, vergib auch du mir; laß ihn für mich auch zu dir gesprochen haben!«
Aber sie zog mit ihrem linken Arm den Knaben näher an sich heran, als müßte sie ihn verteidigen, und die rechte Hand streckte sie gegen Sälten aus, ihr Atem flog, und die gedämpfte Stimme, mit der sie ihre Worte hervorstieß, bezeugten die Mühe, mit der sie den Tumult in ihrem Innern zurückhielt: »Gottlob Sälten,« sprach sie, »als ich an jenem Herbstabend, von aller Welt verlassen, auf dich wartete mit steigender Seelenangst und endlich sah, daß du mich hintergangen hattest, da hab' ich dir geflucht, und mein Fluch hat das Rauschen des Windes durch den Wald übertönt. Und dann, als ich nach unnennbaren Schmerzen dies unser Kind, kümmerlich eingehüllt, zum erstenmal in meinen Armen hielt, da hab' ich, noch zum Tode matt, den Fluch wiederholt über dich, der es so fühllos ins Jammerdasein gestoßen hatte. Und hernach bei jeder neuen Schmach, die meine Sünde über mich gebracht hat, und in jeder neuen Qual und Not hat's mich getröstet, daß damit auch deine Last und Schuld größer würde –«
»Nicht so, Florentine,« unterbrach er sie, »nicht so darfst du sprechen in der Nähe dieses Edlen!«
»Ich bin schuldig geworden an ihm damals,« sagte sie, »und jetzt auch wieder trag' ich die Schuld, daß er da liegt. – Weh, weh! und beidemal hast du teil daran.« – Sie barg ihr Gesicht in ihre beiden Hände und weinte heftig.
Der Korrektor hatte von der Unterredung der beiden nichts vernommen; denn er lag die Zeit über still und wie versunken in Gedanken über die sich entwirrenden Rätsel seines Lebens. Jetzt winkte er, und Gracioso, der ihm zu Häupten stand, ihm die Kissen zurechtzurücken und in allem auf ihn achtzuhaben, machte Doktor Sälten bemerklich, daß der Kranke mit ihm zu sprechen wünschte.
Der Gelehrte neigte sich zu ihm nieder.
»O mein Freund,« sprach er, »zur rechten Stunde bist du gekommen. Gottes Engel hat dich hergeführt.«
»Du bist sein Engel gewesen,« sagte Sälten. »Mir, Ludwig, war deine Schrift zur Prüfung übergeben, und als ich drin las, wehrte ich mich gegen das strafende Licht, das sie in meine Seele warf, und trotzte auf meinen Starrsinn; aber die göttliche Wahrheit, ewig alt, aber mir neu und verdeckt, hat gegen mich gewonnen.«
»So sendest du mir, Herr, auch diese Freude noch, voller und tiefer, als ich je wähnte,« sprach der Korrektor mit dankbarem Blick nach oben, »und ich habe nicht vergeblich dies Werk vollbracht!«
»Nein,« sprach Sälten, »und es wird viele nach mir, die auch geblendet sind von dem Wahn der bezauberten Welt, zum Lichte der Wahrheit befreien, und dein bescheiden kühnes Wort werden dir Tausende danken.«
Der Korrektor sagte dazu nichts, sondern lag still mit geschlossenen Augen. An der vermehrten Mühe, mit welcher die müde Brust den Atem zog, merkte Sälten wohl, daß die letzten Kräfte sich schnell verzehrten.
»Er bedarf der Ruhe,« sagte er leise und trat vom Lager zurück.
Aber schon nach kurzer Weile suchte Ludwigs rechte Hand (die linke hielt noch immer die duftende Blume) auf der Decke hin und her, ohne daß er doch die Augen öffnete.
»Er sucht nach dem Kinde,« flüsterte Gracioso, der wie zuvor am Kopfende Wache hielt.
Als die Mutter es herangeführt hatte und die große Hand die kleine hielt, schien ihm der gewünschte Schlaf zu kommen, wie damals das Kind an seiner die Erquickung des Schlummers gefunden hatte. –
Minuten vergingen, nicht schneller und langsamer an sich, wie viele andre, die von uns wie Stunden und Jahre achtlos vergeudet werden; aber allen Seelen, die hier um dies Lager standen, wie wichtig waren sie ihnen, und jedes hielt den Atem an, als gingen Engelsheere feierlich vorüber. Doktor Sälten hatte so manchmal Menschen gesehen in diesen Minuten, ob nun von ihnen herbeigesehnt, oder über sie gekommen, wie Stricke des Jägers; er kannte genau den physiologischen Vorgang dieser letzten Erfahrung der Sterblichkeit und war stolz darauf gewesen, die Gesetzmäßigkeit ihres Ablaufs mit der Ruhe zu beobachten, wie man eine Uhr ablaufen sieht. Aber hier war's ihm, als säh' er zum erstenmal ein wirklich Sterben und vernähme das geheimnisvolle Flügelrauschen der Ewigkeit, in die unser Leben verschwindet. – Ach, hier nahe neben ihm stand die Wiedergefundene – aber wie sollten sie sich wirklich und wahrhaft zusammenfinden ohne ihn?! Wer wird das aussöhnende, heilende Wort sprechen, wenn sein Mund es nicht gesprochen hat! –
Er sah nieder zu dem Knaben und nieder zu der welken Hand, die eine rettende geworden war für das Kind, für dessen Mutter, für ihn selbst. Aller Drang seiner gewohnheitsmäßig seit Jahren niedergezwungenen und wie erstorbenen weicheren Gefühle entfesselte sich, stürmte in ihm auf und schmolz zu wohlthätigen Thränen der tiefsten Rührung. Er suchte sie doch zu verbergen und neigte sich tief über des Schlummernden Hand. Vielleicht war es solch ein Tropfen aus seinen Augen, auf des Schlafenden Hand gefallen, der diesen jetzt erweckte.
Mit einem langen Blick, als müßte er sich zurückbesinnen, sah er der Reihe nach auf die Umstehenden. Alsdann richtete er sich ein wenig auf, wobei Andres ihn unterstützte, nahm Florentinens Hand und legte sie in die seines Freundes. Darauf fügte er die des Kindes zu den beiden und berührte wie segnend die drei Hände mit seiner Rechten.
»Verlaßt euch nicht!« sagte er dabei ganz leise.
Als er dann erschöpft ins Kissen zurückgesunken war und emporsehend Florentinen erblickte, mit ihrem Haupte an Sältens Brust gelehnt und fühlte der beiden Händedruck, so ging ein unaussprechlich süßes Lächeln über sein Angesicht. Wie ein Schatten davon war noch darauf haften geblieben, da er sein Haupt ein wenig zur Seite gewandt hatte, als wollt' er schlafen.
Sälten fühlte mit seiner Hand nach dem Herzen: »Es steht still,« sagte er.
Und sie knieten nieder ums Lager des Toten. –
* * *
Strömender Regen vom grauen Himmel; rieselndes Naß an Wänden und Mauern; gelbe Pfützen auf den Straßen; triefende Schirme, gegen die klatschenden Tropfen gestemmt; triefende Kleider; verdrießliche Menschen! – Selbst die Gäule dort vor dem Leichenwagen dritter Klasse, die doch gewiß, sofern man Pferdekreaturen derlei Lebensklugheit zutrauen darf, in ihrem Berufe Anspruchslosigkeit gelernt haben – wie sie mit tiefgeduckten Hälsen dastehen und ihre Augen hinter den Ausschnitten der schwarzen Trauerdecken kaum öffnen, sondern nach kurzem Blinzeln immer wieder schließen – selbst diese Leichenwagengäule geben sich heute solcher Schläfrigkeit ohne Zweifel nicht aus Gewohnheit, sondern aus Mißvergnügen hin und wollen von der Welt nichts sehen, weil sie ihnen zu schlecht gefällt. Höchlich mißvergnügt hockt der Kutscher auf seinem durchnäßten Sitze und betrachtet, wie zum verzweifelten Zeitvertreib, mit grimmiger Aufmerksamkeit die gebräunten Tropfen, die, wenn er sich ein wenig rechts oder links beugt, aus den Seitenspitzen seines schäbigen Filzhutes niederrinnen; er weiß, er darf sich beleidigt fühlen von einem Weltlauf, in dem Leute bei solchem Wetter sich begraben lassen. Er könnte wohl darüber allerlei philosophische Betrachtungen anstellen, wie er es sonst thut unterm Warten an der Kirchhofsmauer, z. B. ob an solchen kränkenden Vorkommnissen die schlechte Welt im allgemeinen schuld ist oder die schlimme Art von Leuten, die sich darauf steifen, zu so unpassender Zeit zu sterben: aber heut hat er auch dazu keine Lust; er ist nur ungeduldig und kann nicht begreifen, warum sie noch nicht fertig sind.
Als er wieder nach dem offnen Kirchhofthor blickt, mildert sich ein wenig seine verdrossene Miene, und er rückt sich auf seinem Kissen zurecht. Die sechs Männer, auf die er gewartet hat, sind sichtbar geworden; sie treten je zwei, wie sie nach ihrer Größe abgepaart sind, aus dem Kirchhofsthor heraus, in derselben Reihenfolge, die sie immer innehalten, wenn sie einen Sarg auf ihren Schultern haben; zwei kleine, zwei mittelgroße, zwei lange: zwei mit Speck-, zwei mit Leder-, zwei mit Spinnen-, alle mit Schnapsgesichtern. Sonst wenn sie mit einem Begräbnis so weit sind, es ist alles besorgt und geht nach Hause, so sind sie guter Laune, und selbst die Spinnengesichter lachen, wenn ein Speckgesicht einen Witz macht. Aber wo soll heut und bei solchem Wetter die gute Laune herkommen! Sie sind alle verdrießlich, höchst verdrießlich. Als sie auf die Straße getreten sind, beraten sie sich, ob sie nicht drüben in die Branntweinschenke einkehren sollen: aber nur ein Spinnengesicht und ein Speckgesicht entschließen sich dazu und sie waten, den triefenden Florstreifen festhaltend, über die Straße. Die andern vier winken dem Kutscher zu, den sie für eine Art Untergebenen ansehen, und setzen sich in den Leichenwagen, indem sie die Beine so weit als möglich nach sich ziehen.
Wie sie sich zurechtgerückt haben, stopft sich das Speckgesicht die Nase voll Schnupftaback, eins der beiden ledernen nimmt einen Schluck aus einer grünen Flasche, und das Spinnengesicht in der Mitte murmelt etwas von einer »plundrigen Leiche«. Darauf variieren sie alle den Laut der äußersten Verachtung, den etwa die menschlichen Stimmwerkzeuge hervorzubringen vermögen, und der zweite Lederne sagt, indem er ein schmutziges Tuch hervorgreift, sich die Hände daran zu trocknen: »Sie haben selber nichts.« Wenn diese Äußerung eine Milderung des eben festgestellten Endurteils über die Schätzung des Begrabenen von seiten dieser ihn bedienenden Herren hat bedeuten sollen, so gesteht sie freilich keiner zu. »Keinen Pfennig!« sagt das Spinnengesicht wieder mit erneuter Verachtung und um diese Sache ein für allemal abzuschließen. Die Thatsache, als ein Beweis äußerster menschlicher Erbärmlichkeit, ist zu schreiend. Muß ihr Hervortreten nicht aufs tiefste betrüben und zu edlem Unwillen aufregen? Und vier verdrossene Gesichter mehr sehen aus dem zurückfahrenden Leichenwagen in die graue, regnende Welt.
Inzwischen vertrinken die zwei in der Schenke das Geld, welches sie auf dem Kirchhofe, abseits von den andern, unverschämt genug gewesen sind, dem armen Andres abzupressen – seine letzten Groschen. –
Während dessen ist drinnen auf dem Friedhof der Totengräber dabei, die Grube völlig zuzuschaufeln.
Die beiden Frauen, die zur Leiche gefolgt waren, haben mit dem Kinde, das sie an der Hand führten, den Begräbnisplatz eben verlassen. Aber Sälten und Andres sind am Grabe zurückgeblieben; keiner spricht ein Wort; sie sehen schweigend dem Totengräber zu, wie er eine Scholle zur andern wirft. Er ist kein Shakespearescher; er singt weder Schelmenlieder, noch gibt er Rätsel auf, noch stellt er irgendwelche Betrachtung an, außer etwa die, welche ihm bei diesem unaufhörlichen Regen kommt, ob er nicht doch besser bei seinem früheren Handwerk geblieben wäre; denn er ist bis vor kurzem Dachdecker gewesen und deckt nun zwar auch, aber doch viel tiefer gelegene Kellerwohnungen; allein es kommt ihm auf sichres Brot an und tägliche Arbeit, denn er ist jung und will heiraten. Darum hat er zu seinem jetzigen Posten gegriffen. Der Regen macht ihn zwar verdrießlich, aber er denkt an seine Braut und beschließt, bei seiner Hantierung zu bleiben. –
Der Regen wird heftiger und der stoßweis kommende Wind peitscht im Wirbel von den kahlen Akazien und grünschwarzen Lebensbäumen den beiden sprühende Tropfen ins Gesicht. Unfern an der Friedhofsmauer erblickt Sälten eine offne vergitterte Halle mit überhängendem Dach, das am Giebel die Inschrift trägt: »Hier erlischt die Familie Laatze.« Nach dem Bau dieser Halle zu schließen, grünten (so zu sagen) die letzten Zweige am Laatzeschen Stamme in Wohlstand und Kunstsinn. Denn der Giebel, griechisch-klassisch gebildet, ist »säulengetragen«, und drinnen in der Nische stützt sich ein marmorner Genius zierlich auf eine umgestürzte Fackel.
Die Erlaubnis dieses Genius und der gegenwärtigen wie der zukünftigen Inhaber der Halle voraussetzend, treten die beiden hinein, sich vor dem Unwetter zu bergen. Sie sehen aber nicht durchs Gitter nach dem marmornen Traurer hin, sondern vor sich nach dem Grabe drüben, wo der junge Mensch, der an seine Braut denkt, schaufelt und schaufelt.
Jetzt scheinen Wind und Regen gerade hier auf dem Kirchhof in Liebe oder Haß (wer kann's wissen?) sich um die Wette zu jagen, daß das kahle Gezweig mit hohlem Rauschen zusammenschlägt und die graugrünen Lebensbäume ächzen, als wenn es ihnen ans Leben ginge. Das eiserne Thürlein dort überm eingesunkenen Grabe am Kreuz, dessen Schloß zerbrochen ist, stößt der Wind unermüdlich auf und zu, so daß es einen schrillen Ton gibt; vielleicht steht ein rührender Spruch von Liebe und unvergeßlichem Schmerz da geschrieben, und der Wind glaubt nicht daran, sondern weiß es besser und gibt sich Mühe, dies Thürlein auszuheben, wie der Lehrer aus dem Hefte eines Schülers ein Blatt ausreißt mit zu groben Fehlern. Oder auch vielleicht ist das nicht der Fall, und dem Kirchhofswinde gefällt eben der schrille Ton, wenn sich das Thürlein in den Angeln dreht, und darum spielt er mit ihm.
Aber Sälten klingt er ins Ohr, wie eine schauerliche Begleitung zum Lärmen des Straßenlebens, der von draußen an diesem Ort zwar gedämpft und verworren, aber wie ein gleichmäßig anschwellendes und wieder sich senkendes Meeresbrausen vernommen wird.
»In diese Gräberstatt,« sagt er ernst, »wie dringt die Welt mit ihrem Marktgeschrei so schrill und mißtönend! – Solche Fremdlinge, wie er, deren sie nicht wert ist, kann sie nicht brauchen – und doch, was wäre sie ohne sie! – Sie leben und leiden nicht vergeblich, sondern wirken für eine Welt, die kommen soll. – Indessen taumelt die jetzige über die Gräber ihrer Ausgestoßenen weiter den Wahngebilden ihrer Hoffart, ihres prahlerischen Ruhmes, ihres Glücks- und Genußhungers nach – wohin? – O, was ist das Leben?«
»'n Sßattenßpiel, Herr Doktor,« antwortete Andres, als wäre die Frage an ihn gerichtet, »so sagt' ich neulich nachts zum armen Herrn Zirbel, und er meinte, ich hätt recht.«
»Aber leider ein gar gefährliches,« spricht Sälten nachdenklich, »und so verzweifelt ernsthaft. Denn der Mensch nimmt den Schatten fürs Wesen und das Wesenhafte und Wirklichste zerfließt ihm zum leeren Schemen. Während ihm der Glanz jedes Ideals erblindet, lockt ihn das Nichtige mit trügerischem Irrlichtfeuer; die Phantasie, des würdigen Inhalts beraubt, verzieht das Nächstliegende zum Zerrbilde, und der Mensch, der den Himmel von sich stößt, um nur fürs Diesseits zu leben, mitten in seinem nüchternen Zählen, Wägen, Feilschen, Genießen, Thatsache-auf-Thatsache-, Erfindung-auf-Erfindung-Häufen, wird zum ärgsten Phantasten. Ach, und wenn dann die Täuschungen zerfließen, dann ist er im Nichts.«
»Wie im Sßattenßpiel,« sagte Gracioso wieder.
* * *
Es war bald in den betreffenden Kreisen bekannt, daß die Vermählung Fräulein Hildas mit Doktor Sälten nicht mehr bevorstünde. Zwar hatte der Herr Kommerzienrat die Verlobung nicht formell aufgehoben, aber es war die geschehene Auflösung des Verhältnisses ein offenes Geheimnis, und erste Regel, desselben wie auch des einst hier so gefeierten Gelehrten in den gesellschaftlichen Zusammenkünften mit keinem Worte zu erwähnen. Doktor Sälten war weder in diesen noch in andern Zirkeln der geistigen Aristokratie mehr sichtbar, »als hätte ihn die Erde verschluckt,« citierte Professor Päpker aus Wallenstein. –
»Aber was in aller Welt ist denn vorgefallen, lieber Professor?« wurde er wohl als Freund des Hauses von einem andern Freunde, der ihn an das Fenster des Salons gezogen hatte, vertraulich gefragt.
»Pst,« flüsterte er dann mit hochgezogenen Augenbrauen, »man spricht nicht davon – romantische Konflikte, wie's scheint – höchst pikant in unsrer prosaischen Zeit.«
Übrigens kritisiert, ästhetisiert, musiziert und floriert in jeder Hinsicht der Gundermannsche Kreis nach wie vor, und jüngst erst las Professor Schärwenzel zu allgemeinem Beifall sein neustes Manuskript vor: »Zur Geschichte des Verständnisses der korsischen Poesie in Deutschland«; er hatte darin der Päpkerschen Verdienste um die neueste Litteratur des Eilandes mit keinem Worte Erwähnung gethan, was diesen zwar nicht abhielt, die Arbeit laut zu loben, aber im stillen zu dem festen Vorsatz bestimmte, im »kritischen Wegweiser«, den er bekanntlich redigiert, die Arbeit des armen Schärwenzel feierlich und in aller Form zu guillotinieren. –
Von Doktor Sälten weiß man unter seinen Freunden nichts Bestimmtes. Vielleicht hat er sich wirklich, wie das Gerücht geht, in einer kleinen Landstadt draußen angesiedelt, dort einen Hausstand gegründet und praktiziert unter Bürgern, Bauern und Tagelöhnern als Arzt. Sein schon gedrucktes, so vielseitig erwartetes Werk hat er zurückgekauft und freilich mit der Entschädigung, die er seinem Verleger zu zahlen hatte, seine Mittel aufs äußerste erschöpft. Ob er die Absicht hat, sein Buch etwa einer Neubearbeitung zu unterziehen, und wohin überhaupt seine litterarischen Absichten, wenn er deren noch hegt, gehen, davon sind wir nicht benachrichtigt. Gewiß ist aber, daß er die Herausgabe eines Werkes betreibt: »Das ewige Recht des Glaubens«, welches er bevorworten wird. Sollte Sohn und Söhne sich von der geschäftlichen Behandlung des Buches noch kein hinlänglich klares Bild machen können und also noch zögern, den Verlag zu übernehmen, so würde es uns freuen, wenn wir gleich an dieser Stelle auch im Namen und Auftrage des geneigten Lesers den Wunsch aussprechen dürfen, die berühmte Firma möge jedes Bedenken aufgeben und uns recht bald das Buch in die Hände legen.
Frau Rohrdrommel ist (der Leser weiß den inhaltlichen Reichtum dieses kurzen Satzes zu würdigen) in jeglicher Hinsicht dieselbe geblieben – mit zwei Ausnahmen, die doch auf eine zurückzuführen sind. Sie hat nämlich seit jenem Neujahrstage die abgünstige Meinung, die sie von Herrn Grim grundsätzlich nährte, mehr und mehr abgelegt, endlich auch (dies ist die zweite Veränderung) ihren Namen und den Witwenstand, ist Frau Grim geworden und hat also den einstigen Schattenkünstler zur Würde eines Vizewirts erhoben.
Sie bereut es nicht und hat noch jüngst zur benachbarten Frau Spießbach geäußert: »Er mag gewesen sein, wie er will; jetzt hat er keinen Fehler. Den Schlapphut und seinen fürchterlichen Schnauzbart hab' ich ihm nun auch abgewöhnt, und mit einem Wort, 'nen bessern Mann kann ich mir nicht wünschen.«
Er seinerseits macht sich wirklich auf allerhand Weise nützlich und hat der brotlosen Kunst gänzlich den Abschied gegeben. Nur seine Maultrommel holt er noch zuweilen hervor, wenn's Abend ist. Dann setzt er sich in einen Winkel und haucht wunderbare Töne durch die schweigende Stube. Manchmal hält er inne und sagt zu seinem still zuhörenden Weibe: »Ach, wie war er so ein stiller, guter Herr!«
Darauf führt sie ihre Schürze nach den Augen und spricht: »Ja, Gott tröst' ihn.«