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Siebentes Kapitel.

Doktor Sältens Neujahrsbetrachtungen und Frau Rohrdrommels »Visite«.


Doktor Änotheus Sälten saß am Neujahrsmorgen an seinem Schreibtische; so fand ihn jeder anbrechende Tag, wissenschaftlicher Arbeit hingegeben; er wußte längst keinen Grund mehr, etwa eines Festtags wegen von dieser seiner Gewohnheit eine Ausnahme zu machen. Heute fühlte er doppelt lebhaft das Bedürfnis, den tiefen Eindruck, welchen er von der unerwarteten Begegnung der letzten Nacht empfangen hatte, durch angestrengtes Nachdenken zurückzudrängen. Der echte Jünger der Wissenschaft darf seinem Gemüte keinen Anteil gestatten an der Wahl des Weges oder gar des Ziels seiner Forschung, er hat nur der Notwendigkeit der Konsequenz zu gehorchen. Er stellt die Thatsachen fest, er leitet sie ab und so sind sie erklärt, sind sie notwendig; endlich wird sich auch die Formel entdecken lassen, die das letzte Geheimnis des Seins enthüllt und alles Geschehen wie mit eisernem Ringe in den lückenlosen Kreis eines ewig unabänderlichen Ablaufs bannt. Es ist wahr, seine Zweifelsucht hatte nicht nur alle Regionen einer übersinnlichen Welt längst entvölkert, sondern oft auch, wie hinter seinem Rücken, diese Ansprüche der »souveränen« Wissenschaft (diesen Ausdruck hatte gestern Professor Päpker gebraucht) in Frage gestellt. Um so entschlossener und rücksichtsloser war er dann von Folgerung zu Folgerung vorgeschritten. Auch heute fand er sich in einer solchen Stimmung.

Freilich als er die durch seine gottlosen Lehren angerichtete, zerstörende Wirkung an seinem Jugendfreunde wahrgenommen hatte, war er sich schuldig vorgekommen wie einer boshaften Grausamkeit, welche die Qual eines todmüde gehetzten Wildes noch vermehrt; denn er konnte sich ja den Eindruck seines Buches auf Zirbels leicht erregbares Gemüt, wenn er seines einstigen Freundes gegenwärtige, gedrückte Lage und die hinzugekommenen niederschlagenden Nachrichten in Betracht zog, psychologisch leicht vermitteln und mußte sich eingestehen, daß dies Zusammentreffen körperlichen Zusammensinkens und feindlichen Druckes auf den Geist verhängnisvoll ausschlagen könnte.

So war dem Doktor das Erlebnis in der Nachwirkung der ersten Überraschung erschienen. Heute morgen sah er es in klarerem, ruhigerem Lichte. Es war doch nur ein unglücklicher Zufall, der seine Schrift dem Korrektor zugeführt hatte, ein Ungefähr, für das er, der Autor, auch im geringsten nicht irgend eine Verantwortung trug. Für Zirbelsche Gemüter hatte er ja nicht geschrieben; Gesellschaftskreisen, zu denen sein Freund von ehemals gehörte, war seine Lehre nicht bestimmt. Gewiß, da kann sie nur stören, verwirren, da ist ihr der Boden, sich einzuwurzeln, noch nicht bereitet, und auch des allgemeinen sozialen Wohles wegen besser, die Masse bleibt von solchen Aufschlüssen ausgeschlossen. Und wirklich, es hat auch keine Not, daß sie dahin dringen, dem »Volke« fehlt das Bedürfnis und in der harten Arbeit des Lebens die Zeit, sich mit solchen Fragen zu beschäftigen.

Der Gelehrte ging mit seinem Sinnen diesem Gedankenzuge weiter nach. Vielleicht, dachte er, drängt die moderne Bildung doch zu stürmisch vorwärts und über die Grenzen der Wissenden und Berufenen zu unbedacht hinaus; sie vergißt, daß alles geistige Fortschreiten der Menschheit einem schmalen Rinnsal gleicht im breiten Strome der Geschichte, dessen Gewässer im übrigen träge hinschleicht oder gar versumpft. Es wird nie gelingen, das ganze Strombett in lebendigen Fluß zu bringen; man soll's auch nicht versuchen; aber ebensowenig können und dürfen die Bewegungen der stets vorwärts drängenden Wellen aufgehalten werden.

Diese Auffassung von der Wissenschaft und ihrer Aufgabe hatte etwas Beruhigendes. Der Forscher hat nur auf die hinlänglich Empfänglichen und Vorbereiteten Rücksicht zu nehmen und trägt den Zurückgebliebenen und noch an herkömmlichen Vorurteilen Hangenden gegenüber keine Verantwortung. Vielleicht sind sie für immer zum Zurückbleiben bestimmt, und die Evolution der Menschheit zum Vollbesitz der geistigen Freiheit beschränkt sich ewig nur auf eine erlesene Minderheit, während die Menge zum unabänderlichen Beharren unter der Herrschaft vererbter Ideen bestimmt ist. –

Der Gelehrte erhob sich von seinem Sitze und trat ans Fenster. Die vielstöckigen Häuser hüben und drüben wurden zwar dort von mancher in die klare Winterluft hinaufsteigenden Fabrikesse überragt, aber kein Kirchturmkreuz sah er in der Neujahrssonne blitzen. Andre Monumentalbauten, als die gen Himmel strebenden Dome und Münster des phantastischen Mittelalters, sind es, mit denen eine moderne Großstadt sich schmückt, und der Blick ihrer Kinder, wenn er sich in die Höhe richtet, begegnet auf ihnen freudenreicheren Wahrzeichen, als dem düstern Wahrzeichen des Kreuzes. –

Doktor Sälten ward sich dessen bewußt, während er durchs Fenster blickte, als Glockengeläut sein Ohr traf. So undeutlich er den Ton vernahm, er konnte nicht umhin, danach zu lauschen. Gewiß, es läutete zu einem Frühgottesdienste: da und dort erblickte er einen Kirchgänger mit dem Gesangbuche unterm Arme. Wie lange hatte er solchen Trieb nicht gefühlt, wie lange war ihm auch der Gedanke daran nicht gekommen, daß der Ruf einer Kirchenglocke auch ihm gelte! Hatte er jemals gebetet? Ja, er besann sich, gewohnheitsmäßig in der Kindheit, wie es ihm gelehrt war; aber seitdem und aus eignem innern Drange? Wirklich, dachte er beim Hinabblicken, zwischen unsrer, der Wissenden, Denkart und der Seele so eines Kirchgängers, der's aufrichtig meint, besteht doch eine unendliche Kluft. Und wieder trat das Bild seines unglücklichen einstigen Freundes von gestern nacht vor seine Seele.

Auch so ein Gefühlsmensch, der sich an überschwengliche Hoffnungen klammerte, die endlich der Druck und Lauf der Welt zerstören mußte; aber wie teuer müssen sie ihm gewesen sein, wenn ihr Hinfall ihn in so tiefe Nacht des Jammers stürzen konnte? Ob wohl das Weib da draußen in der Tracht der Armut, das so eilig an den Menschen vorüber drängt mit dem Gesangbuch in der Hand, um nur nicht zum Gottesdienst sich zu verspäten, zu dem sie ohne Zweifel durch doppelte Hausarbeitsplage sich die Zeit hat abstehlen müssen – ob ihr wohl auch solche überirdische Hoffnung winkt? Denn gewiß, der Mensch glaubt, damit er hoffen kann, und bis in den Himmel reicht dieser Anker nur, wenn ihn das Tau des Glaubens hält. Des Glaubens! Hatte er in seinem Buche in gründlicher psychologischer und anthropologischer Untersuchung nicht nachgewiesen, wie diese Illusion auf bestimmter Kulturstufe naturnotwendig entsteht, mit höherer geschichtlicher Entwickelung sich mannigfaltig umbildet, bis die Epoche erreicht wird, in der sie verschwindet?!

Der Zusammenhang seiner Gedanken brachte ihn auf das Manuskript, das ihm zur Prüfung übergeben war und noch immer seiner Durchsicht harrte. Doktor Sälten schritt an sein Pult, auf dem es lag, langte es herab und nahm von ungefähr einige Blätter daraus in seine Hand.

»Der Mann ist wenigstens bescheiden,« murmelte er mit seinem gewohnten spöttischen Lächeln, nachdem er eine Weile gelesen hatte, »er gesteht selber zu, der Glaube habe kein Recht innerhalb der Wissenschaft, sondern seinen besondern Ort, wo er gelte – hm, den können wir ihm wohl gönnen. ›Der Glaube stört eure Forschung nicht, aber er kann auch nicht von ihr entrechtet werden, noch bedarf er ihrer Unterstützung.‹ – Nun wieder, wie zuversichtlich!« – sagte Doktor Sälten vor sich hin. »Keine Untersuchung,« las er weiter, »keine Erklärung der seienden Welt wird den Weg zur sein sollenden finden; aber ist diese darum weniger gewiß, weil sie mit Schlüssen nicht nachgewiesen werden kann? Gewiesen wird sie von den ewigen Bedürfnissen des Gemüts, von den Forderungen des Gewissens, von der Unverrückbarkeit des sittlichen Gebots, das als heiliges der Wille anerkennen muß, auch wenn er ihm widerspricht. Wie wollt und könnt ihr die Gültigkeit dieser Ideen leugnen nur darum, weil ihr zum Nachweis der Gesetzmäßigkeit in allem Geschehn ihrer nicht braucht? Die Bedeutung eines Buchstabens ist nicht erkannt mit der Gesetzmäßigkeit der Muskelbewegung in den Fingern, die ihn schreiben; der Sinn eines Wortes nicht erschlossen mit der Erkenntnis der Sprachwerkzeuge und ihrer Thätigkeiten, durch die es hervorgebracht wird. Aber dem verstehenden Geiste ist Sinn und Bedeutung von Anfang an klar. So mögt ihr, wie ihr euch schmeichelt, endlich dahin gelangen, aus einer Formel alles Geschehen der daseienden Welt abzuleiten; damit seid ihr ihrem Verständnis noch keinen Schritt näher gekommen, und kein rechtmäßiger Schluß eurer Wissenschaft, sondern ein Entschluß eures Gewissens entscheidet darüber, ob ihr im Unglauben (der auch ein verzerrter Glaube ist) allen Sinn der Welt leugnen und verzweifeln, oder ihr denjenigen andichten wollt, den euch des Herzens Dünkel empfiehlt. Wir aber warten nicht, um unsre Stellung zu nehmen, auf das Ergebnis eurer Forschung, sind auch nicht in Sorgen darum; uns hat die Welt einen Sinn, das Schicksal und das Menschenleben auch, einen unergründlichen, beseligenden: ihn auszudrücken ist alles geschaffen, und endlich wird er rein und unentstellt hervorleuchten: das hoffen wir, und darum glauben wir an Gott.« –

»Ich will nicht weiter lesen,« sagte Doktor Sälten zu sich selbst und legte das Blatt aus der Hand. »Das eben ist der breite Graben, über den ich nicht hinüber kann – oder will?« setzte er nach einer Pause zögernd hinzu. »Nun freilich, der Mann sagt's ja selbst: es ist das eine Sache individueller Entschließung; von der Erziehung, Gewöhnung, vom Temperament hängt's ab, wie sich einer in diesen Dingen verhält. Darauf komm' ich am Ende ja auch in meinem Buche hinaus!« Und seine schmalen Lippen zogen sich spöttisch zusammen bei dem Gedanken, welches Ganglienbündel seines Hirns wohl die Ursache sein möchte, daß bei ihm alle Glaubensideen »rudimentär« geblieben wären. Er erinnerte sich der armen Frau mit dem Gesangbuche wieder, und wirklich etwas wie Gefühl eines Mangels beschlich ihn; aber nur einen Augenblick, im nächsten war er sich stärker denn zuvor der Überlegenheit seiner Denkweise bewußt, die ihn vor so vielen störenden Gefühlsregungen bewahrte, wie sie etwa den armen Schelm da in seiner Kammer überfallen und desto elender gemacht hatte.

Wie mochte es wohl geworden sein mit dem kranken Freunde von ehemals? Sälten sah nach der Uhr, indem er sich so fragte. Schon vor einer Stunde hatte er nach der Vizewirtin geschickt, um Nachricht darüber zu erhalten; aber noch war ihm kein Bescheid geworden. So stand er in Gedanken, als er anklopfen hörte.

Auf sein »Herein« öffnete sich die Thür, und Frau Rohrdrommel wurde sichtbar. Sie trug heute nicht ihr gewohntes Umschlagetuch, sondern über ihrem Kleide um die Schultern einen Umhang von unsagbarer Gestalt, die vielleicht nach dem Muster irgend eines auf einem Papyrus zu findenden Priestergewandstückes gebildet war, worüber unsre Ägyptologen am besten Aufschluß geben könnten. Fest steht, daß dies ihr Ephod und Schulterkleid noch aus ihrer einstigen vorrohrdrommelschen Glanzzeit stammte, wie es denn mit dieser selbst längst verblichen war, desgleichen daß es weniger eine praktische als ornamentale Bestimmung hatte; denn seine Besitzerin bezeichnete es beständig nur als ihre »Visite«. Die »Visite« drohte stets von den Schultern herniederzugleiten und erforderte daher ein beständiges Festhalten der vorderen Enden, so daß Frau Rohrdrommels sonst ziemlich entwickelte Gestikulation, insofern eine Hand davon ganz ausgeschlossen blieb, erheblich gedämpft ward, so oft sie ihr Kleiderprachtstück angelegt hatte. Dieser Umstand erhöhte denn auch jetzt entschieden die Feierlichkeit ihrer Miene, mit der sie hereintrat; denn ohne Zweifel fühlte sie sich, dem Tage entsprechend, in einer festlichen Gratulationsstimmung, welche die herkömmliche Entgegennahme von allerlei Trinkgelderdeputaten aus den Händen dankbar verpflichteter Mietsleute angenehm nüancierte. –

Die eintretende Tischlerwitwe verneigte sich vor dem Gelehrten mit der Entfaltung des ganzen Anstandes, der an ihr von je her bewundert wurde und auch einstmals ihren Rohrdrommel in seinen besseren Zeiten entzückt hatte.

»Nun, wie geht es unserm Kranken?« fragte Sälten, und wies zugleich mit einladender Handbewegung auf einen Stuhl in ihrer Nähe.

Aber die Dame bewegte sich nicht von der Stelle; sie blickte nach dem Stuhl mit gesammelter Würde, und nach dem Doktor mit noch gesammelterer; dann sagte sie: »Behüte, Herr Doktor, be – hü – te! – Herrschaften sind gütig gegen unsereinen – gut – muß unsereiner auch die Güte annehmen?! – Ich weiß, was mir zukommt, Herr Doktor – ich dank' Ihn'n, Herr Doktor, – be–hüte – be–hü–te!«

An dem Nachdruck, mit dem sie ihre den Stuhl ablehnende Beteuerung wiederholte, merkte Sälten die Unerschütterlichkeit ihrer Entschließung, sich nicht zu setzen. Ohne weitere Förmlichkeit richtete er also seine Frage noch einmal an sie: »Wie geht's dem Korrektor?«

»Ach schlecht, Herr Doktor,« erwiderte sie, »ganz schlecht! – Heut früh, wie ich oben komm', um mich zu erkundigen, seh' ich natürlich gleich nach 'm Thee, ob er den getrunken hat. Und wie ich hinseh, und der Topf ist leer und die Tasse auch, so wird mir ganz leicht ums Herz und ich denk', nu wird alles gut. Erst kriegt er 'n Stechen im Kopf, dann 'n Sausen in den Ohren, 'nen Zwang in der Brust, 'n Kribbeln in den Fingern und 'n Ziehn in den Füßen; hernach in 'ner halben Stunde kommt 'n Frost und nach 'm Frost Hitze und 'n Schwitz. Alles, Herr Doktor, wie 's in der Gebrauchsanweisung steht. Na, und wenn der Schwitz kommt – ist der Mensch jedesmal durch. – So hab' ich die beste Hoffnung, wie ich den Topf seh' und ist kein Thee mehr drin. – Aber ach! Du meine Güte, der Schreck, wie ich nu ans Bett trete und seh den guten Herrn liegen! Er schläft nicht, er wacht nicht; er murmelt was vor sich hin, und sieht mich an mit großen Augen; ich frag' ihn, red' mit ihm: er nickt, als hätt' er mich verstanden – aber gleich wieder weit weg und der Atem fliegt ihm so! –

»Da sag' ich zu mir: Rohrdrommeln, sag' ich, was ist das? Und ich wend' mich um nach dem Herrn Grim, von dem ich Ihn'n erzählt hab, Herr Doktor, was der andre einzelne Herr da oben ist. Er steht an die Kommode gelehnt und sieht vor sich hin. Ich seh ihn scharf an und sag': ›Herr Grim‹, sag' ich, ›er hat den Thee getrunken?‹ – ›Ja, Frau Rohrdrommeln‹, sagt er. – ›Wann, Herr Grim?‹ sag' ich. – ›Vor 'ner Stunde‹, sagt er und dreht an seinem Schnauzbart. – Da seh ich ihn noch schärfer an und sag': ›Herr Grim, hier ist was nicht richtig!‹ denn ich hatt' mit der Weil' 'nen Krug gesehn auf der Kommode, vor den er sich gestellt hatte. So tret' ich vor ihn hin und sag': ›Wo ist der Thee, Herr Grim?‹ Da tritt er beiseite, weist nach 'm Krug und sagt: ›Frau Rohrdrommel, ich seh', Sie merken alles; hier hab' ich ihn eben hineingegossen, wie ich Sie kommen hörte; ich dacht' Sie sollten sich nicht drüber ärgern, daß er ihn nicht genommen hat.‹« –

Der Dame ging es auf ihren Gedankenfahrten, wie etwa den alten Phöniziern auf ihren Seefahrten. Sie hielten sich, auch wenn ihr Kurs sie dahin wies, nie lange an der Küste, sondern im Unternehmungsdrang, dem sie nicht widerstehen konnten, lenkten sie immer bald ins uferlose Meer hinaus. Freilich, sie entdeckten dabei die Inseln der Seligen.

Aber Sälten hatte doch Grund, die Tischlerwitwe auf ihrem Redestrome nicht so weiter ins Ungewisse treiben zu lassen. Er unterbrach sie also und fragte, ob sie erfahren hätte, was denn gestern dem Korrektor während seiner Abwesenheit vom Hause zugestoßen wäre.

»Gütiger Himmel, lieber Herr Doktor,« rief die Witwe und faßte ihre Visite fester, »der gute Korrektor ist einmal ein Unglückskind. Tausend Menschen, gesund und stark, denen 'ne Abkühlung gut thäte, gehn hundertmal über 'ne Brücke, und da fällt nichts, springt nichts, stürzt sich nichts, rein gar nichts ins Wasser, und sie bleiben in ihren Kleidern trocken, wie 'ne Bürste. Aber nu das arme Wurm steht in sei'm ganzen Leben zum erstenmal da, er sieht runter und grad' im selben Augenblicke muß jemand ertrinken wollen. Mein Korrektor springt nach – natürlich, so ist er – heut' 'n Kind mitbringen, morgen jemand aus 'm Wasser ziehen – was würd' er nicht! – was fragt er danach! – Ach, er ist 'n Unglückskind!«

Frau Rohrdrommel weinte und führte die Vorderenden ihres Prachtgewandstückes nach den Augen. »Entschuldigen Sie,« sagte sie dabei; denn sie fühlte, daß in einer »Visite« Thränen zu vergießen oder gar solche mit einer »Visite« zu trocknen, den Anstandsregeln nicht ganz entsprach, auf deren strenge Beobachtung Herrschaften gegenüber sie sich so viel zu gute that.

»Was Sie mir mitteilen, geht mir sehr nahe,« sagte Sälten, »wirklich sehr nahe,« und wunderte sich unterm Sprechen selber darüber, wie völlig es ihm gelang, in seine Versicherung so ganz den Ton der Teilnahme an dem Schicksal eines ihm Fremden zu legen. Er fühlte wohl, daß sein Mitleid um so edler erscheinen müßte, und eine Regung der Scham wie über eine Heuchelei stieg in ihm auf. Aber ohne Mühe redete er weiter wie er angefangen hatte, als stellte er hier dieser Frau gegenüber eine andre Person vor: »Ich nehme den innigsten Anteil an Herrn Zirbel,« sagte er, »und möchte gern ihm seine Lage erleichtern. Ich hoffe von Herzen, sein Zustand wird sich zum Bessern wenden und Sie wollen dem Herrn sagen, daß er sich um die Wohnung keinerlei Sorge mache. Ich komme für die vollständige Miete auf und habe außerdem hier etwas (er wies auf ein in Papier gewickeltes Päckchen auf dem Tische) zur ersten Linderung der gegenwärtigen Not bestimmt, was Sie in geeigneter Weise ihm geben oder für ihn verwenden wollen. Aber es versteht sich, liebe Frau, daß Sie dabei meiner nicht erwähnen; er darf meinen Namen nicht erfahren – es würde mir sehr peinlich sein.«

»Wie gut Sie sind, Herr Doktor!« sagte Frau Rohrdrommel, und die Freude, einen solchen Mietsmann zu haben, sprach aus dem Blicke, mit dem sie ihn ansah. Ihm war ihr Lob weder lieb noch ärgerlich; es galt ja nicht ihm, sondern der andern Person, in deren Sinn er gesprochen hatte. Aber als er die Vizewirtin auf sich zuschreiten sah und merkte, wie sie beabsichtigte, ihm die Hand zu küssen, so zog er schnell beide Arme hinter seinen Rücken und bewirkte damit, daß die gute Frau, ohne große Verlegenheit zu zeigen, an ihre Bewegung nicht die beabsichtigte Huldigung, sondern eine anstandsvolle Abschiedsverbeugung knüpfte: »Ich dank' Ihnen, lieber Herr Doktor, ich dank' Ihnen!« sagte sie dabei, ihre Visite in die normalste Lage zurückziehend.

Aber plötzlich schien sie den Vorsatz, jetzt das Zimmer zu verlassen, wieder aufgegeben zu haben. Sie schritt nicht der Thür, sondern dem vorhin abgelehnten Stuhle zu, legte auf denselben ein kleines Bündel, das sie unterm Überwurf hervorgezogen hatte und fing an, es sorgfältig auseinanderzubreiten.

»Erlauben Sie gütigst, Herr Doktor,« begann sie, während sie so beschäftigt war. »'s ist von der Spießbachen. O, die weiß, wie 'nem Menschen zu Mute ist, wenn da zwei Beine sind und bloß 'n Ärmel dazu, oder es fehlt 'n paar Hosen und es gibt nur 'nen Rock – mit ihren sieben Jungen. Aber sie kriegt's Ihn'n zurecht, Herr Doktor, sie kriegt's immer zurecht. Eben noch, wie ich bei ihr im Grünkramkeller bin, kommt der dritte rein, was der Schorsch ist und mein Pate, in 'nem ganz neuen Anzug, daß ich den Bengel kaum wiedererkenne. ›Seh'n Sie sich doch mal seine Hosen an, Rohrdrommeln,‹ sagt sie, ›merken Sie nichts?‹ Ich drehe den Jungen um und um und sage: ›Nee, Frau Spießbachen.‹ Da lacht sie los und sagt: ›Rohrdrommeln, die sind ja aus Ihrem Baschlick zurecht geschnickert!‹«

Sie hatte unterdessen einen Faden gelöst, mit dem etliche Tuchläppchen umschnürt gewesen waren, die sie vorgesucht, und nahm daraus einen kleinen, in Papier gehüllten Gegenstand. Den überreichte sie dem Doktor. »Ich wollt's Ihnen gleich zeigen,« sagte sie, »ob's wirklich von Gold ist und echt. Zu glauben ist's wohl, das hat auch die Spießbachen gesagt: wie vor zwei Jahren drüben No. 205 im Holzstall die Bettelfrau starb, die sich da hingeschlichen hatte. Sie hat immer bis zuletzt auf ihre Kiepe hingewiesen und von'n Paar Hosen sim'liert, die sollte ihr »Willem« haben. Na, die Spießbachen hat denn auch so 'ne schlechte Drillichhose vorgeholt und nach 'm Begräbnis sie 'nem Menschen gegeben, der sich gemeldet hat und der Alten ihr Sohn war. Und wie er die Hosen nachsieht, da find't er drei Thaler eingenäht – drei Thaler und 'ne Bettelfrau! Die Polizei hat nichts davon erfahren. Der Mensch, was ihr Willem war, hat gelacht, 's Geld genommen und die Hosen weggeschmissen.«

Während ihrer Erzählung hatte Doktor Sälten das Papier entfaltet und hielt einen Henkeldukaten in der Hand. Es war eine Schaumünze, auf der Vorderseite mit dem Bilde des Heilandes, wie Johannes ihn tauft, auf der Rückseite mit einem Bibelspruche.

»Woher haben Sie das?« fragte er hastig und erschrak über seine Frage; denn die hatte er selbst gesprochen und nicht als die andre Person, die er bis jetzt so gut vorgestellt hatte. Wirklich sah ihn die Vizewirtin überrascht an, so daß er sich beeilte, einer Frage von ihr zuvorzukommen, und in der ruhig teilnehmenden Weise von vorhin, nur noch zurückhaltender sagte: »Ich meine, liebe Frau, wie sind Sie zu der Münze gekommen?«

»Ach,« rief die Dame, »sagt' ich's Ihn'n denn noch nicht? Du mein! – so vergißt man eins übers andre. Na, Frau Spießbachen schneidt die Jacke unterm dritten Knopfloch durch, unten weg, denn sonst gab's den Rückenteil für 'n Paletot nich raus. Da konnt' sie mit der Scheere nicht weiter, trennt's Futter auf und find't 's Geldstück; nämlich im Kind seiner Jacke, das Ihn'n sonst nichts auf 'm Leibe hat, als so 'n einzig dünn Kliftchen. Wie sie mir nu die Jacke gezeigt haben, so hab' ich gleich an die Spießbachen gedacht und gesagt: die macht den schönsten Mantel draus. Und was für einen hat sie draus gemacht, mit Taschen und Aufschlägen. Hier ist er,« fügte sie mit Stolz auf die Leistung ihrer kunstreichen Freundin hinzu und hielt ihr Bündel dem Doktor entgegen.

»Sie sprachen von einem Kinde?« fragte Sälten.

»Ach, du meine Zeit,« rief Frau Rohrdrommel wieder, »hab' ich's denn nicht gesagt: vom mitgebrachten Kinde ist die Rede – natürlich. Der gute Herr Korrektor hat sich's geben lassen, wie 's ging und stand – und nur die Jacke dazu, du lieber Gott – er würd 's mitgebracht haben, wenn sie ihm seinen eignen Rock obendrein dafür abgefordert hätten.«

»Hm, wie alt ist das Kind?«

»So bei fünf oder sechs Jahren,« antwortete die Frau.

»Knabe oder Mädchen?«

»'n allerliebster Junge, Herr Doktor; die Augen liegen ihm so groß im Kopf, mit so 'nem tiefen, ruhigen Blick und 'n Glanz ist drin – ich weiß nicht, und hab's heut' noch zur Spießbachen gesagt, wie 'n Kind 'nen Menschen so ansehn kann – ha, und wenn er lacht; ich sag' Ihn', Herr Doktor, 's lacht ein'n die ganze Welt an, wenn man's Kind lachen sieht und hört.«

»Ich möcht's wohl auch sehen,« sagte Doktor Sälten, und wieder fühlte er, daß er das selber sprach und die andre Person vergessen hatte, die hier mit der Frau redete. »Ich meine,« setzte er nachlässig hinzu, »es wird sich wohl einmal die Gelegenheit dazu finden.«

Er war doch ein großer Gelehrter, sicher im Umgang und durfte sich dieser geringen Frau gegenüber im Glanze der Vornehmheit fühlen; dennoch wußte er sich jetzt vor ihr unfrei, und sah zu Boden, bloß weil er sich fürchtete, ihrem Blicke zu begegnen. Aber er fühlte, daß sie ihn ansah.

Eine Pause entstand.

»Und die Münze, Herr Doktor?« fragte endlich die Tischlerwitwe.

»Ach so,« erwiderte er mit der gleichgültigsten Miene, »ja, es ist Gold, ich denke gewiß, es ist Gold.« –

Schon eine geraume Weile hatte die Frau sein Zimmer verlassen; er war allein und von niemandem beobachtet, vor dem er sich zu zwingen brauchte und als ein andrer zu scheinen, als der er war. Dennoch bewahrte er noch immer dieselbe Stellung, dieselbe Miene, die er vorhin gezeigt hatte. Er war noch immer die andre Person, all den Dingen fremd, die hier gesprochen worden waren; er zwang sich sie zu sein – vor sich selbst. Oder vielmehr, er wurde dazu gezwungen, er that gar nichts dazu; die Gedanken jagten sich in seinem Hirn, kamen und schwanden von selbst. Furchtbare Gedanken von einem Menschen, der ein Weib schimpflich betrogen und verraten hatte; von einem Vater, der sein Kind ins Elend gestoßen, so frech in seinem Thun, so feige die Folgen auf sich zu nehmen. »Gestorben – Verdorben,« der Reim, er wußte selbst nicht, woher er ihn kannte, summte ihm dazu in den Ohren. Und im Rauschen des Feuers, in dem er neulich nachts den ungelesenen Brief verbrannt hatte, hörte er die Musik dazu. Ja, wirklich, das visionäre Bild aus derselben Nacht vom wimmernden Weibe stellte sich auch wieder ein, und das Wimmern ward zum gellenden Fluch über den ehrlosen Mann; ja fürwahr, ein ehrloser Mann, der den Retter und Wohlthäter seines Kindes zum Danke des letzten Trostes und Halts der Seele beraubt hatte.

Wahrlich, das waren Gedanken, um einen Menschen toll zu machen; aber er ging sie mit der Kühle eines unbeteiligten Beobachters durch; er fühlte seinen Puls – der hielt den ruhigsten Takt. Der Mann von damals war nicht er selbst – wenigstens er wollte es nicht sein, und dazu bedurfte er gar keiner Anstrengung. Die Helligkeit unsers Selbstbewußtseins geht ja nur immer über ein kleines Gebiet unsrer Vorstellungen, die meisten bleiben im Dunkel, und eben diese bewußten Vorstellungen sind unser Ich. Der Mensch nach seinem Bewußtsein ist immer nur ein Teilbewußtsein und selbstquälerisches Brüten wär' es, sein Ich über das Ganze ausbreiten zu wollen. Seines besuchte jetzt längst verlassene Provinzen; Thorheit und Wahnsinn wär's, sich da wieder anbauen zu wollen oder auch nur aufzuhalten. –

In seinen Gedanken hatte er des Zettels nicht geachtet, in dem das Goldstück eingewickelt gewesen war und den er noch in der Hand hielt. Das Papier war beschrieben:

»In deine Hand leg' ich mein Herz,
Wie Tau im Rosenkelche ruht;
Schließt er die Blätter überwärts
Zum Schutz ihm vor der Sonne Glut?
Gilt's gleich ihm, ob verzehrt vom Brand
Er spurlos fliegt in alle Welt?
Ich weiß es nicht, doch unverwandt
Mein Wille fest das Eine hält:
Mein Herz leg' ich in deine Hand,
Thu du mit ihm, wie dir's gefällt.«

Unterm Lesen war's ihm, als ertönte mit den Worten eine süße, längst verklungene Stimme wieder ganz nahe an seiner Seite, und ein Kindergesicht drängte sich zu ihm heran mit Augen, deren Blick er wohl kannte.

»Wieder so eine sentimentale Regung!« sagte er ärgerlich und warf den Zettel hin, »wie sie in diesen Tagen schon öfter mich stört und mir die Haltung nimmt. Ich will nicht mehr dran denken!«

Aber er hatte sich kaum wieder vor seinen Arbeitstisch gesetzt, als er mit seinen Gedanken aufs neue bei dem Kinde war, und er sah ihm ins lachende Gesicht und in die großen sinnenden Augen, ganz wie die Frau vorhin es ihm beschrieben hatte.

»Ich bin hier wie bezaubert,« dachte er, »und 's ist kein Wunder nach allem, was mir hier in diesen Tagen begegnet ist. Will ich mich selbst behaupten, so muß ich jedem ferneren Eindringen dieser trübseligen Dinge in mein Denken vorbeugen; ja, ich muß weiteren Begegnissen aus dieser Sphäre aus dem Wege gehen. Was kann ich dem armen Zirbel da oben noch nützen bei dieser Katastrophe, die nahe zu sein scheint, und – was dem Kinde – hm – vielleicht ist's mir ganz fremd, und was mir die Münze in Gedanken gebracht hat – ein leeres Schreckbild!«

Er war selbst überrascht, als er sich bei diesem Ausdruck ertappte, der doch so ungeeignet war, wie möglich. Er erschrecken! – Vor was denn? –

Desto eifriger ging er daran, den Entschluß auszuführen, den er gefaßt hatte. Er wollte verreisen – wohin, wußte er selbst noch nicht; nur gleich, nur irgendwohin, wo ihn niemand kannte, in die Verborgenheit. Sich in eine Spezialforschung vergraben, sich ausschließlich mit einem Problem der exakten, experimentierenden Wissenschaft beschäftigen – dessen bedurfte er jetzt, danach verlangte ihn.

Einige seine plötzliche Abreise anzeigende und die Unterlassung eines Abschiedsbesuches begründende Zeilen an seine Braut waren bald zu Papier gebracht; der witzige, satirische Ton, den er in seinem Briefe gebraucht hatte, brachte seinen Mund zum spöttischen Lachen. Das war so die gewohnte Art ihres Verkehrs untereinander, wie überhaupt in diesen geistreichen Kreisen; überraschende Wendungen zu gebrauchen, in scherzhaften Anspielungen sich auszudrücken, sich und andre zu ironisieren, das war einmal so herkömmlich, wie standesgemäßes Wohnen, Essen und Trinken, und die einzige Scheidemünze des Umgangs, die Kurs hatte; nur daß zuzeiten, wie zur Abwechslung, das Register der Emphase gezogen wurde, wie zum Beispiel gestern von Päpker, dem Ästhetiker, und Tömlank, dem Dichter, in ihren Reden. –

»Aber glauben denn diese Kerle, daß jemand ihre tönenden Tiraden ernst nimmt; thun sie es denn selber?« dachte Sälten unterm Falten und Verschließen seines Briefes.

Nun hatte er das Nötigste geordnet, auch handschriftliche Notizen zu sich gesteckt, die er mit zu seinen Studien brauchen wollte. Da lag noch das Manuskript; sollte er es mitnehmen zur Durchlesung? Nein; es hatte schon vorhin das Bruchstück, das er angesehen, sein Nachdenken auf unersprießliche Bahn gezogen; Positives war ja doch in keiner Hinsicht daraus zu gewinnen und jetzt galt es, seinen Weg der Forschung ungehemmt weiter zu verfolgen. Das war sein fester Wille. –

Aber als er das Blatt der Handschrift, das er vorhin aus der Hand gelegt hatte, wieder an seinen Ort bringen wollte, konnte er nicht umhin, eine Stelle zu lesen, auf welche von ungefähr sein Blick fiel.

»Nicht nur der angezogenen Spitze der Magnetnadel, sondern ebenso der abgestoßenen weist der Pol ihre Richtung an; so wird Gott nicht allein von dem unstillbaren Verlangen des Menschen nach Heiligung und Frieden beglaubigt, sondern nicht minder, wenn der schuldig Gewordene ihn leugnet und vor ihm flieht und vor sich selbst und – verzweifelt; denn nicht immer bleibt gegenüber dem, was der Mensch im Grunde ist, der blinde Punkt im geistigen Auge, wie auf der Netzhaut des leiblichen; sondern endlich sieht er den Grund als Abgrund vor sich und taumelt hinunter. Weil er nicht sein will, was er ist, in dieser Zeit, hält die Ewigkeit ihn fest in dem, was er nicht sein will; es sei denn, daß er vor Gott zu sich selber kommt. Dann sind seine Gebeine erschrocken und seine Seele ist sehr erschrocken; aber auch das Heil ist nahe und die Hilfe!«

Wieder dies dumme, unmännliche Wort: erschrecken! Es durchzuckte ihn, als es ihm durch die Seele tönte, das Gefühl, wie wenn mit dem Menschen, der vor sich selber nicht sein will, der er ist, er selber beschrieben wäre just in dieser Stunde! Und ärgerlich schob er das Blatt mit den andern des Manuskripts beiseite.

»So sind sie alle!« rief er heftig. »Wenn's mit Gründen nicht weiter geht, so muß ›der arme Sünder‹ heran. Sünde! so ein hölzerner, steifer Begriff, nachgerade zu plump auch für die blöde Menge; reiß diese Katechismusschlinge durch – und du bist im Freien.«

Er nahm die Brust voll Atem, als käme er aus dumpfer Schwüle; dann machte er sich mit vermehrter Eile zu seiner Reise fertig. Aber als er schon der Thür zuschritt, wandte er sich noch einmal zurück.

»Es ist doch immer interessant,« sprach er bei sich, »den Namen des Autors zu erfahren, der sich in diese Vorstellungsreihen so fest hineingesogen hat; ernst nimmt er's mit ihnen, das fühlt man ihm ab. Auch solche Ausnahmen charakterisieren unsre Zeit.

»Auf dem Titelblatt fehlt noch der Name,« fuhr er unterm Aufschlagen des Heftes fort, »oder der Verfasser will anonym bleiben dem Publikum gegenüber. Aber am Ende seines Werkes wird er sich doch genannt haben.« Er warf die Blätter herum –: »Richtig, da steht er geschrieben: – Ludwig Zirbel

Wenn Doktor Sälten, wie er sonst zu thun pflegte, so oft er zum Ausgehen fertig war, jetzt vor den Spiegel getreten wäre, so würde er auch beim flüchtigsten Blicke bemerkt haben, daß jede Spur des spöttischen Lächelns, zu dem sie sich so gern zusammenzogen, von seinen Lippen gewichen war; und er hätte als geübter Selbstbeobachter gewiß richtig geschlossen, daß es genau in dem Augenblick geschehen war, in welchem er den Namen unterm Manuskript gefunden hatte. Wahrscheinlich hätte er auch dann nicht vermocht (einen solchen Versuch vorausgesetzt), dies sein spöttisches Lächeln wiederzugewinnen.

Doch das ist nur Vermutung.

Denn er dachte nicht daran, sich im Spiegel zu sehen, sondern griff mit Hast nach seinem Hute und eilte aus dem Zimmer, als gälte es vor irgend etwas Schrecklichem hier zu fliehen, dessen Nähe er nicht mehr ertragen konnte.


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