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Herr Meyer erklärt mir sein Gärtchen

Meine Leser erinnern sich vielleicht, daß ich Herrn Meyer gebeten hatte, mir sein Gärtchen zu erklären, in einer unvorsichtigen Anwandlung von Zuvorkommenheit. Denn, offen gestanden, es reute mich grimmig nachher. Oder kennen Sie eine fürchterlichere Fron, als sich zwangsweise über Dinge belehren zu lassen, die einen nicht interessieren? Das ist ja der reinste Schulzwang! Nicht als ob ich nicht gerne ein hübsches Gärtchen sähe, doch den Zivilstand jeder einzelnen Pflanze dulden zu müssen, dafür danke ich. Allein was machen? Versprochen hatte ichs nun einmal, und wenn es doch sein mußte, lieber früher als später. «Also denn, Herr Meyer, hier bin ich. Wenn Sie wollen, so kanns losgehen. Nur bitte, machen Sies gnädig», und streckte beide Hände vor, zum Zeichen, daß ich mich ihm gebunden überlieferte.

«Mut, Mut», lächelte er und kniff ein Auge zu, «wir wollens kurz machen!» Im Tone eines tröstenden Zahnarztes.

«Fangen wir denn gleich fleißig an, Herr Meyer. Also was ist das zum Beispiel für eine Staude?»

Er zog mich am Arm fort. «Das dürfen Sie gar nicht ansehen, sonst beleidigen Sie mich. Ja, was haben Sie denn da schon wieder? Warum halten Sie an? Sie werden doch hoffentlich nicht vor einem einfältigen Tulpenbaum stehen bleiben wollen?»

«Tulpenbaum, das ist wohl, was wir Magnolie nennen, nicht wahr?»

«Ja, wenn Sie einen Krebs einen Fisch nennen wollen, können Sie meinetwegen auch einen Tulpenbaum Magnolie nennen. Verwandt sind sie freilich, doch Verwandtschaft beweist noch nicht die Notwendigkeit der Konfusion. Auch Verwandte werden mit Vorteil nicht miteinander verwechselt. Übrigens, da Sie sich für Magnolien zu interessieren scheinen –»

«Gewiß interessiere ich mich dafür, ungemein sogar. Nur ist Magnolie nicht gerade etwas Seltenes. Ich dächte, Sie zeigten mir lieber –»

«Die Art Magnolie, die ich Ihnen zeigen will, ist etwas sehr Seltenes, so Seltenes, daß sie in unserm Klima einstweilen nur als Versuchspflanze gelten kann. Ich meine die Magnolia grandiflora.»

«Großblumige Magnolien habe ich schon manche gesehen, sogar in Stuttgart.»

«Es handelt sich nicht darum, ob die Blumen groß oder klein seien. Um so weniger, als alle Magnolienblumen groß sind, mit einem Vergißmeinnicht verglichen. Es kann eine Magnolie riesige Blumen tragen und ist darum noch lange keine Grandiflora. Sondern die Grandiflora ist eine besondere Art, die mexikanische, mit immergrünen Lorbeerblättern, die erst im Spätsommer blüht.»

«Rot oder weiß?»

«Weiß.»

«Weiße habe ich doch auch schon gesehen, zum Beispiel in Karlsruhe.»

«Gütiger Gott, jetzt fangen Sie wieder das alte Lied an! Karlsruhe, Stuttgart. Wenn ich Ihnen doch sage, ‹immergrüne Lorbeerblätter› und ‹blüht erst im Spätsommer›. Wohlverstanden, ich meine, in Italien blüht sie im Spätsommer.»

«Und wann blüht sie in Luzern?»

«Nie.»

«Aha, darum also der Name ‹Grandiflora›!»

«Sie sind boshaft! Doch spotten Sie immerhin. Ich für meinen Teil sage Ihnen: Auch ohne jede Blüte, nur allein wegen des wunderbaren Blattes – wenn mir zum Beispiel jemand die Wahl ließe, entweder eine drei Meter hohe Grandiflora, die reichlich blüht, oder eine sechs Meter hohe, die niemals blühen würde, ich würde die letztere wählen.»

«Das ist Geschmackssache. Ich danke für Magnolien, die nicht blühen!»

«Ich sehe schon, mit Magnolia grandiflora ist mit Ihnen nichts anzufangen. Zur Strafe dafür zeige ich Ihnen auch keine, und wenn Sie mich jetzt noch so sehr darum bitten würden. Wären Sie fein artig gewesen, hätte ich Ihnen erlaubt, den Magnolien die Käppchen und Handschuhe auszuziehen.»

«Käppchen? Handschuhe?»

«Gelt? Wenn Sie das wüßten. Aber das haben Sie nun verwirkt. Kein Wort mehr davon. Hingegen Lorbeer, das muß Ihre Sache sein. Sie schriftstellern ja ein wenig, wie man behauptet.»

«Bitte, Herr Meyer, keine schlechten Witze.»

«In Ermangelung des guten Witzes tut ein schlechter denselben Dienst. Doch was wollen wir lange philosophieren. Da, schauen Sie sich zum Beispiel meine Kirschlorbeerhecken an. Hm? Gefällt Ihnen das? Wie das funkelt in der Sonne?»

«Riesige Blätter, wahre Teller!»

«Ja, Kirschlorbeer und Vierwaldstättersee, das versteht einander! Viele bis zu fünfundneunzig Zentimeter Länge, ich habe sie gemessen. Ja, mein Bester, mit dem Erfrieren allein ist nicht alles getan, es kommt auch ein wenig darauf an, wie sich eine Pflanze im Sommer entwickelt, ob sie nur so mühsam fortkümmert oder ob sie fröhlich gen Himmel gabelt und blüht und Früchte trägt.»

«Die weißen Sträuße, das sind alles Blüten?»

«Gewiß. Nicht wahr, durchaus nicht zu verachten, Kirschlorbeerblüten, wenn sie in üppiger Menge aufsprießen?»

«Aber das Blatt ist doch sonst dunkler, spitziger?»

«Gibt es auch. Sehen Sie zum Beispiel dort unten. Es sind halt verschiedene Arten, die hellgrünen breiten und die dunklen spitzigen.»

«Es scheint überhaupt ziemlich viele Arten Lorbeer zu geben?»

«Eine Unmenge, wenn man wie bei uns die Prunus- und Viburnumsorten dazu rechnet. Zum Beispiel, was gerade vor Ihren Füßen steht, diese Art.»

«Wo? Was? Ich sehe nichts als einen kranken Kirschlorbeer.»

«Ich wünsche Ihnen, daß Sie immer so gesund bleiben mögen, wie dieser Lorbeer da.»

«Aber so sehen Sie doch hin! Er hat ja ganz krumme Blätter.»

«Die Eule hat auch einen krummen Schnabel und ist deswegen doch nicht krank. Das ist eben seine Natur. Der krummen Blätter wegen heißt er Laurus camellifolia, kamelienblättriger Lorbeer. Hingegen das daneben, das kennen Sie ohne jeden Zweifel?»

«Ist das nicht? – nein, das ist unmöglich.»

«Doch das ist. Es ist keineswegs unmöglich. Nur mutig heraus mit der Sprache.»

«Wahrhaftig – Winterlorbeer?»

«Ja, so lautet sein Übername in einigen Gegenden der Schweiz oder auch kurz und einfach Lorbeer. Als ob es keine andere Spezies Lorbeer gäbe! Bei den Gärtnern dagegen lautet der Name Laurus tinus oder noch genauer Viburnum tinus.»

«Der blüht ja sogar! Und wie schön! Aber den halten Sie jedenfalls im Winter nicht draußen?»

«Im höchsten Grade draußen, nicht einmal mit einem Tannenzweig geschützt. So wie er da steht, frei dem Schnee und Eis ausgesetzt. Sagen Sie allen Ihren Bekannten einen schönen Gruß von mir und sie sollten doch ihre Winterlorbeeren nicht in den Kübeln herumzerren, sondern ins Freie setzen. Die kommen da ganz anders. Blühen den ganzen Winter ein wenig und im Frühjahr so reich und so rein, wie nie im Keller. Und erst der Busch! Nicht wiederzuerkennen. Ins Freie gesetzt, ist Winterlorbeer von allen Sträuchern, die ich kenne, der dankbarste; ich wenigstens weiß keinen, der so viele Monate lang ununterbrochen blüht. In die Sonne stellen und dann einige Tannenzweige darüber gegen die Wintersonne. Es geht zwar auch ohne Tannenzweige, wie Sie sehen, aber mit Tannenzweigen kommen mehr Knospen davon und die Mehrzahl der Blüten entwickelt sich später, im Frühjahr, also zu günstigerer Zeit. Hinaus mit Ihrem Winterlorbeer, glauben Sie mir!»

«Auf Ihre Verantwortung?»

«Auf meine Verantwortung. Das einzige, was Sie höchstens dabei riskieren, ist, daß sie Ihnen erfrieren.»

«Ach so. Dieser Nachsatz ist mir ungemein wertvoll.»

«Was meinen Sie aber zu jenem ansehnlichen Busch von drei Meter Höhe? Was ist das?»

«Jedenfalls kein Lorbeer.»

«Zerzupfen Sie gefälligst ein Blatt und riechen Sie.»

«Das riecht, das riecht – wonach riecht doch nur gleich das?»

«Soll ich Ihnen auf die Spur helfen? Nach einem wohltätigen Zweck?»

«Richtig, jetzt hab ichs, nach Braten.»

«Ja, mit einer Sauce darum und Lorbeerblättern in der Sauce. Das ist Kochlorbeer oder Edellorbeer, der klassische Lorbeer, der Lorbeer Apollos und der Poeten, der Lorbeer der Männerchöre und Turnvereine.»

«So! Hm! Das also wäre der Edellorbeer! Besonders schön, ich muß gestehen, kann ich ihn nicht finden, eher das Gegenteil. Jedenfalls unser gewöhnlicher Kirschlorbeer ist denn doch viel schöner.»

«Sie urteilen, wie die Italiener urteilen und wie jedermann auf den ersten Blick urteilt. Aber auf den zweiten und noch viel mehr auf den tausendsten Blick ändert sich das Urteil. Stellen Sie sich einmal etwas weiter von dem Busch weg, gerade neben mich. Gut. Nun beobachten Sie, wie sich die Zweiglein vom blauen Himmel abheben. Eine Fland voll spitziger, zierlicher, edler Fingerchen, mit Manschetten von Blütchen und von Beerchen ums Handgelenk, nicht wahr? Das ist der eine Vorzug: die edle, stilisierte Silhouette. Jetzt der zweite Vorzug: Bemerken Sie, der eine Büschel hat Schatten, der andere Licht, der dritte spielt im Zwischenlicht. Und nur ein ganz klein wenig Glanz. Nämlich Vollglanz ist für das malerische Auge eine fragwürdige Tugend. Schauen Sie zur Vergleichung nach dem Kirschlorbeer zurück. Diese gewaltigen, funkelnden Handspiegel sind für ein Gemälde kaum zu gebrauchen, sie sind zu plump, wiederholen stets das nämliche Lichtmotiv, während der Edellorbeer mit Luft und Licht beständig neue Verbindungen schließt, so daß man ihm ewig etwas Neues absieht. Der Edellorbeer ist das Ideal dessen, was unsere nordischen Laubbüsche erstreben; er bietet ähnliche Gruppenbildungen und Lichtgeheimnisse auf der höchsten denkbaren Stufe, zugleich mit dem derben, kräftigen, satten Blatt, wie es eben nur perennierende Pflanzen haben.»

«Ich höre zu und glaube Ihnen. Zu sehen vermag ich es offen gestanden nicht.»

«Bedenken Sie aber auch, daß Sie es mit einem kümmerlichen Knirps von drei Metern zu tun haben. Wenn Sie die Lorbeerbäume –»

«Lorbeerbüsche!»

«Verzeihen Sie, Bäume. Bäume bis zu vierzehn Metern.»

«Warum nicht gar! Wo?»

«Nur um die Ecke herum, am Comersee. Selbst gesehen. Spazieren Sie nur zum Beispiel von Urio nach Carate.»

«Da will ich einmal hin. Aber jener Edellorbeer – den jedermann in den Kübeln hat – wie verhält sich der zu dem Ihrigen? Nehmen Sie mirs nicht übel, jener ist schöner, dunkler, großblättriger, und die Blätter sind mehr gewellt.»

«Sie meinen die belgischen Lorbeerkronen und Pyramiden? Das ist ganz dieselbe Pflanze, nur üppiger gefüttert, gemästet. In florentinischem Klima macht der Edellorbeer auch schönere Blätter als am Comersee. Also Sache der Nahrung und des Klimas. Wollen Sie noch mehr Lorbeer oder haben Sie genug davon?»

«Ja, haben Sie denn noch mehr?»

«Zu dienen. Dort drüben zum Beispiel steht ein dunkelblaugrüner Busch mit hängendem Blattwerk und roten Stengeln. Können Sies sehen?»

«Wie ein immergrünes Pflaumenbäumchen?»

«Ja, das ist der portugiesische Lorbeer: Prunus lusitanica, denn Pflaume und Lorbeer sind ja Geschwisterkinder. Von dem haben sie in Rom in der Hauptstraße eine ganze Allee, wie bei uns Roßkastanien. Er gilt für ziemlich empfindlich gegen die Kälte, doch hat er sich in Luzern schon seit Jahrzehnten bewährt. Sibirische, Ausnahmewinter, rauben ihm zwar die Blätter wie dem Kirschlorbeer, hernach schlägt er aber fröhlich wieder aus. So und jetzt, weil Sie so geduldig gewesen sind, erlasse ich Ihnen die letzte Sorte Lorbeer, die ich noch habe. Was wollen wir nun vornehmen? Nadelhölzer zur Abwechslung? Wollen Sie sich mit mir etwas weiter hinunter bemühen?»

«Eine hübsche Rottanne», bemerkte ich, um zu beweisen, daß ich doch auch etwas verstehe. Zwar weiß ich einen Kuckuck, was eine Rottanne und was eine Weißtanne ist, doch wenn man aufs Geratewohl das eine oder das andere sagt, trifft mans öfters.

Herr Meyer maß mich mit einem spöttischen Blick.

«Weißtanne wollte ich sagen», verbesserte ich mich rasch, «ich habe mich nur versprochen.»

«Weder Weißtanne noch Rottanne», höhnte Herr Meyer, «sondern eine Libanonzeder. Doch Zedern, das versteht sich in unserm Klima von selbst; die hat jeder, der da will. Hingegen Kryptomerien?»

«Den Namen höre ich heute zum erstenmal.»

«Und haben selber eine Kryptomerie in Ihrem Garten! Da lebt nun ein Herr auf Erden, der nicht einmal weiß, was er in seinem eigenen Garten hat, und macht sich über mich lustig und geht hin und gibt mich in der ‹Neuen Zürcher Zeitung› dem öffentlichen Gespött preis, noch dazu mit meinem vollen Namen! Kryptomerie ist, wenn ein Baum kein Tannenbaum, keine Fichte, keine Kiefer, keine Zeder ist und man doch meint, es gehöre da hinein, und sich über den Baum höchlich verwundert, weil er so etwas Merkwürdiges, Sonderbares, Abenteuerliches, Geringeltes, Geschnörkeltes hat, so daß man nicht recht weiß, soll man ihn bewundern, oder soll man darüber lachen. Ein Fastnachtsbaum, wenn Sie wollen; halt eben etwas Japanesisches, das sieht man ihm sofort an. Wie die Kryptomerie in Japan selber aussieht, können Sie bei Pierre Loti lesen: Baumriesen, kolossale Wälder bildend, mit kahlen Stämmen, die Kronen durcheinander, so daß das Licht nicht durchdringt. Hier in Europa gibt es noch immer stattliche Bäume, in Luzern zum Beispiel weiß ich zwei Exemplare von Hauseshöhe, immer wie gesagt, von sonderbarem, etwas an die Araukarien erinnerndem Aussehen, schon von weitem durch die trompetenförmigen Rüssel-Krümmungen der Äste zu erkennen … Ich kann Ihnen freilich bei mir nur ein ganz kleines Exemplar zeigen, das man unmöglich schön nennen kann. Überhaupt ist die typische Baumkryptomerie nicht nach jedermanns Geschmack. Dagegen die Buschformen, zum Beispiel die pyramidale hier, was sagen Sie dazu?»

«Wundervoll! Was für zierliche, feine Zweigformen, wie –»

«Wie Stickereimuster oder Goldschmiedearbeit, nicht wahr?»

«Und dann im Winter, wenn die Nüßchen daran hangen, und die neuen Zweiglein durch die Nüßchen hindurch wachsen, oder auch im Frühling zur Blütezeit.»

«Warum setzen Sie das nicht in Ihren Garten, wenn es Ihnen denn so gut gefällt?»

«Ja, aber der Preis?»

«Einer der billigsten aller Bäume, billiger als eine unserer feineren Weißtannen. Sagen Sie Ihrem Gärtner, er solle Ihnen schleunigst eine Cryptomeria japonica Lobbi aus Italien verschreiben. Und nun eine andere Buschform, dieselbe, die Sie in Ihrem Garten haben, die feinfasrige, die Elegans; denn elegans, beiläufig bemerkt, heißt in der Gärtnersprache nicht ‹elegant›. sondern zipp-zierlich, feinblättrig, merken Sie sich das.»

«Das ist ja aber ein ganz anderer Baum als die andern Kryptomerien.»

«Und ist doch so sehr derselbe Baum, daß aus der Form Elegans später die Baumkryptomerie herausschlüpft. ‹Elegans› ist nur das Jugendkleid, das lustige Kinderröckchen.»

«Also aus dieser Kryptomerie da wurde nach ein paar Jahren jene Kryptomerie?»

«Doch nicht. Nämlich die Jugendform ist fixiert worden, das heißt durch Stecklinge so lange weiter vermehrt, bis der Jugendform schließlich die Lust, sich in die ausgewachsene Form zu verwandeln, vergangen ist, etliche Velleitäten abgerechnet. Darum aber, weil die Vermehrung nicht durch Samen, sondern ewig nur durch Stecklinge geschieht, bleibt die Elegans ein bloßer Busch, allerdings ein Prachtsbusch, der, wie Sie beobachtet haben werden, ein paar Male im Jahre die Farbe wechselt, vom leuchtendsten Hellgrün bis zum prächtigsten Purpurviolett. Es gibt indessen doch auch förmliche Bäume der Art Elegans. In Villa Carlotta, wenn ich nicht irre, oder in Villa Serbelloni steht ein violetter Riesenbaum.»

«Und wer hat denn die Geduld gehabt, die Elegans zu ‹fixieren›. wie Sie sagen?»

«Chinesen und Japanesen. Mit solchen Kunststückchen vertreiben sie sich in Asien die Jahrtausende. Aber hübsch ist es doch. Kryptomerien sind die Trompeter, die Himalajakiefer ist der Tambourmajor dazu. Ein stattlicher Bursch, nicht wahr, mit seinen graublauen Sträußen? Mit Araukarien darf ich nicht prahlen; ich habe nur die zwei kleinen Exemplare dort unten. Wenn Sie eine schöne Araukarie sehen wollen, von Hauseshöhe und vollkommen, so gehen Sie zu Gärtner Wettstein.»

«Araukarie? Das ist, was wir ‹Zimmertännchen› nennen?»

«Ja, gute Nacht! Um ‹Zimmertännchen› im Freien zu sehen, müssen Sie sich schon nach Neapel bemühen. ‹Zimmertännchen› ist Araucaria excelsa, dagegen was wir hier im Freien haben Araucaria imbricata. Wir sind übrigens mit Imbricata reichlich zufrieden; denn das ist ein effektvoller Baum.»

«Wie Schlangen und Drachen! Ich muß gestehen, Araukarien finde ich denn doch viel edler als Kryptomerien.»

«Ich auch. Dafür sind sie aber auch teurer. Und wie! Für eine einzige Araukarie können Sie sechs Kryptomerien von derselben Höhe erstehen.»

«Ihrem ausdrucksvollen Gebärdenspiel nach zu schließen, ist wohl Araucaria imbricata so ziemlich der teuerste Baum?»

«So ziemlich, ja. Doch nicht ganz. Der teuerste Baum ist meines Wissens vielmehr die japanesische Schirmtanne, Sciadopitys verticillata. So teuer, daß jeder Gartenfreund sie zwar möchte – denn es ist ein sensationelles Ding – aber keiner sie erstehen mag. Ich wenigstens weiß keinen Privatgarten, in welchem eine Sciadopitys stände. Und was das Ärgerlichste ist, der Baum käme noch vortrefflich fort bei uns, denn er hält alle Winter aus. Wenn Sie also einmal etwas ganz Besonderes haben wollen, das niemand hat, so verschreiben Sie sich eine japanesische Schirmtanne. Oder eine blaue Atlaszeder aus Genf, das ist billiger und dankbarer, wächst schnell, während die japanesische Schirmtanne nicht vom Fleck will. Aber jetzt zu der Hauptsache, zu meinen Zypressen!»

«Aha, Ihre geliebten, angebeteten Zypressen! Nun bin ich gespannt. Die schwarze da, um die habe ich Sie schon oft beneidet, von meinem Fenster aus, die ist wirklich wundervoll, wenngleich noch etwas klein.»

«Das da? Das ist ja gar keine Zypresse, sondern ein Säulentaxus (Taxus hibernica). Drehen Sie sich um, hinter Ihnen stehen die Zypressen.»

«Da ist aber dann der Taxus ein anderer Kerl!»

«Natürlich! die alte Geschichte! Selbstverständlich ist ein auserlesenes Exemplar von einem ausgewachsenen, alten Säulentaxus schöner als ein kleiner, magerer Backfisch von Zypresse, denn eine Zypresse von fünf bis sechs Metern ist ja nur ein Backfisch. Ich meine, schöner an Farbe, nicht an Wuchs. Überhaupt hat ja die Zypresse eine unscheinbare, graugrüne, mitunter sogar fuchsige Farbe –»

«Na, na! Die schwarzen Zypressen Italiens!»

«Gibt es nicht.»

«Ich muß doch bitten, zum Beispiel die Böcklinschen Zypressen!»

«Jetzt kommen wir zur Hauptsache, jetzt wird es kritisch. – Sie geben zu, daß die nächste Zypresse, vor welcher wir eben stehen, hellgraugrüne Nadeln hat?»

«Ja, gewiß, graugrün und die jungen Triebe fast grasgrün.»

«Einverstanden. Jetzt folgen Sie mir. Nun stehen wir zehn Meter weiter weg, wie sieht sie jetzt aus?»

«Etwas dunkler, doch immer noch hell.»

«Aber jene dort ganz unten in der Ecke an der Straße?»

«A la bonne heure! das ist, was ich eben meinte, die ist nun schwarz! Oder behaupten Sie etwa das Gegenteil?»

«Ich behaupte allerdings das Gegenteil. Denn jene ist genau ebenso hell wie diese vor unsern Augen, nur die Entfernung läßt sie schwarz scheinen. Sie glaubens nicht? Bemühen Sie sich mit mir hinzu. Nun, hab ich recht oder nicht?»

«Merkwürdig! Wahrhaftig! Also wäre die schwarze Farbe der Zypressen bloß eine optische Täuschung?»

«Allerdings, die Zypresse erscheint schwarz aus ähnlichen Gründen, wie die Schmetterlings- und Vogelflügel bunt erscheinen. Die Buntheit der Schmetterlingsflügel beruht auf den übereinander geschichteten Lagen der braunen Stäubchen, die das Licht brechen; die Schwärze der Zypresse beruht auf den Tausenden von Schlagschatten, die sich in den Unmassen von dicht durcheinander gelagerten Zweigen fangen. Die vermeintliche Schwärze stammt nicht von der Färbung, sie stammt von der Finsternis. Und gerade darum ist das Zypressendüster malerisch so unvergleichlich wertvoll. Es haftet nicht starr am Baum, sondern bildet sich, verwandelt sich. Ich sage Ihnen: Keinen Augenblick ist die Zypressenfarbe sich selber gleich. Bald ist sie grau, bald grün, bald rötlich, bald finster. Bei gewisser Beleuchtung, zum Beispiel des Morgens, ist sie so hell, daß sie charakterlose Flecken im Garten bildet; bei anderer Beleuchtung, zum Beispiel wenn eine Wolke die Sonne verhüllt oder bei Gewitterschwüle oder bei untergehender Sonne vom tiefsten Schwarz. Das heißt, die jungen Exemplare, wie bei mir. Dagegen die älteren, die breiter sind, sammeln jeder Zeit Schatten genug, um aus der Ferne beständig schwarz zu scheinen. Erst von sechs Meter Höhe an beginnt ja die Zypresse etwas vorzustellen. Vorher scheint sie dem unaufmerksamen Auge lächerlich und häßlich. Aus alledem geht hervor, daß Sie, um eine Zypresse zu würdigen, sich so aufstellen müssen, daß Sie der Sonne das Gesicht zuwenden, mit andern Worten, einen nördlichen Stand wählen, den Rücken nach Norden, das Auge gen Süden. Bei umgekehrtem Stand, wenn Sie sich zwischen Sonne und Zypresse aufstellen, die Sonne im Rücken, kommt eine Zypresse nie zur Geltung.»

«Ich verstehe nicht ganz. Wo muß denn die Zypresse selber stehen?»

«Passen Sie auf, nichts einfacher. Sie schauen von Norden nach Süden, nicht wahr? Das ist doch nicht schwer? Gut. Jetzt sind vier Möglichkeiten für den Stand der Zypresse. Entweder es steht überhaupt keine Zypresse da, dann sehen Sie sie natürlich nicht. Oder es steht eine hinter Ihrem Rücken, dann sehen Sie sie wieder nicht. Oder die Sonne steht vor Ihnen und die Zypresse hinter der Sonne; dann sehen Sie nur die Sonne, die Zypresse dahinter nicht; ich vermute übrigens, dieser Fall wird Ihnen aus astronomischen Ursachen nicht häufig vorkommen. Endlich, Sie sehen die Zypresse vor sich und hinter der Zypresse die Sonne. Dann haben Sie den richtigen Standpunkt, dann können Sie die Farbenwirkung oder, besser gesagt, die Schattenwirkung bewundern. Wenn aber eine Zypresse hinter Ihrem Rücken steht, so dürfen Sie sich nicht einfach umdrehen – das heißt, Sie dürfen es schon, nur verlieren Sie dabei den gewünschten Schönheitseindruck –, sondern Sie müssen sich hinter die Zypresse bemühen, damit die Zypresse zwischen Ihnen und die Sonne zu stehen kommt. Verstehen Sies jetzt?»

«Gewiß. Allein sind Sie vollkommen sicher, daß es sich mit den echten italienischen Zypressen ebenso verhält? daß auch in Como und Fiesole das Zypressenschwarz nur auf optischer Täuschung beruht, nicht am Baum selber haftet?»

«Vollkommen sicher. Denn erstens stammen diese Zypressen direkt aus Italien und werden wohl unterwegs schwerlich ihre Farbe verloren haben, so wenig als ein Neger, wenn er zu uns reist, sein Schwarz auf der Gotthardbahn abgibt, es wäre denn ein gefärbter Neger. Zweitens habe ich sorgfältig alte, tiefschwarze Zypressen Italiens an Ort und Stelle eigens auf ihre Färbung untersucht. Nun, auch jene weisen sämtlich, wenn man an sie herantritt, hellgraugrüne Zweige, genauer gesagt, eine Umhüllung von graugrünen Zweigen, denn die Füllnis ist strohdürr, mithin hellgelb.»

«Danach wären also die schwarzen Zypressen Böcklins einfach unrichtig?»

«Durchaus nicht, sondern im Gegenteil haarscharf richtig. Denn der Maler malt ja die Dinge nicht, wie sie an sich sind, sondern wie sie im Licht dem menschlichen Auge erscheinen. Die Zypressen bei Sturmzwielicht, bei Gewitterschwüle, vor dem Abendrot, vor der glühenden Sonne erscheinen nun bei einiger Entfernung dem Auge samtschwarz, folglich hat der Maler recht, sie samtschwarz zu malen. Es malt ja doch auch jeder die Schmetterlingsflügel bunt, obschon er weiß oder nicht weiß, daß die Stäubchen eigentlich braun sind. In diesem Sinne also sind die Maler Impressionisten.

Das wäre die eine große Haupttugend der Zypresse: ihr ewig erneutes, niemals auszulernendes Farbenwunder. Nun kommt die zweite: die Form. Zunächst gleicht keine Zypresse jemals einer andern, sie sind individuell.»

«Ja, ich weiß, es gibt mehrere Arten Zypressen.»

«Es ist nicht die Rede von verschiedenen Arten, sondern von den Bäumen der nämlichen Art, und zwar meine ich die typische, klassische Pyramidalzypresse, die Sempervirens pyramidalis oder fastigiata. Also keine Zypresse gleicht der andern. Sie gleichen aber auch nicht sich selbst. Jeder Wind, sogar der Regen, geschweige denn der Sturm oder der Schnee, löst Zipfel ab, die vorher nicht da waren, oder vereinigt zu Gruppen, was gestern gesondert in die Luft starrte. Abenteuerliche, kühne Sichelzipfel. Die Neuformierung zeugt aber wieder neue Schattenspiele. Denn die beispiellose Elastizität einer vom Winde in weitem Bogen bewegten Zypresse führt den Baum binnen wenigen Sekunden durch die verschiedensten Lichtsphären – kurz, Form und Farbe bieten tagtäglich unerschöpfliche Wunder. Man hat sich oft schon gefragt, ob die Engel im Himmel sich nicht schließlich langweilen müssen. Nun, Sie brauchen bloß eine vollkommene Zypresse in den Himmel zu stellen, so kann ein rechtschaffener Engel eine ganze Ewigkeit entzückt davor verweilen.»

«Vorausgesetzt, daß der Engel bei Lebzeiten auf Erden ein Maler war.»

«Oder etwas Ähnliches. Ich möchte Sie übrigens nicht bloß überreden, sondern überzeugen. Vergleichen Sie den tiefschwarzen Säulentaxus, den Sie soeben bewunderten, mit der Zypresse. Der Taxus ist morgen wie heute, und nach einem Jahr wie morgen. Steif und hart umgrenzt steht er da, wie aus Holz geschnitten. Zu der Zypresse verhält er sich wie ein bockgerader Soldat zu einer schönen Prinzessin.»

«Schöne Prinzessin – dafür fehlt mir die Anschauung.»

«Mir desgleichen. Allein man kann sichs doch denken. Soviel steht fest, daß die Zypresse etwas Fürstliches an sich hat. Fahren Sie auf dem Comersee, Sie meinen, da müßten lauter Olympier wohnen. Dagegen, daß die Zypresse auch psychologisch interessant ist, das wissen Sie wohl nicht? Obschon Sie es gewiß schon hundertmal erfahren haben.»

«Inwiefern psychologisch interessant?»

«In Beziehung auf das Gehirn und zwar auf den Punkt der Gehirnrinde, wo die Sprachnerven sitzen – ich hoffe wenigstens, die Sprachnerven sitzen in der Rinde, alles sitzt ja in der Gehirnrinde, es scheint, das Innere, der Gehirnpudding selber, ist nur Verzierung und Düngmittel – kurz, die Zypresse wirkt auf die Sprache, macht die Zunge konfus. Oder haben Sie noch niemals gelesen ‹schlank wie eine Zeder›, noch niemals die ‹Zedernallee von Fiesole› rühmen gehört?»

«Das natürlich schon oft. Nur sehe ich nicht ein, was das mit Zypressen zu tun haben soll.»

«Das hat das damit zu tun, daß der Verfasser ‹Zedern› sagt und schreibt, aber Zypressen meint. Schlank wie eine Zeder, das ist ja der reinste Unsinn, denn die Zeder ist krumm und breit. Die Zypresse ist schlank.»

«Also eine Verwechslung. Da ist nichts Besonderes dabei. Auch andere Namen werden verwechselt.»

«Nein, es ist durchaus keine Verwechslung, denn der Verfasser weiß ganz gut Zedern von Zypressen zu unterscheiden. Er meint ganz richtig die Zypresse und sieht sie im Geiste genau vor Augen, aber sagt Zeder. Und umgekehrt.»

«Mithin eine Versprechung, wenn Sie denn lieber wollen. Aber auch eine Versprechung scheint mir nichts sonderlich Bemerkenswertes.»

«Bemerkenswert ist das, daß jeder, wer er auch sei, selbst der Gärtner und Botaniker, jeder, ob er auch noch so sehr sich dagegen wehre, die Versprechung immer von neuem begehen muß. Das beweist, daß zwischen Name und Sache ein Widerspruch waltet, den der menschliche Sprachgeist nie völlig zu überwinden vermag. Und zwar beruht das darauf, daß die Vorstellung des dicken, breit auslegenden Zedernbaumes den Sprachnerven nicht zu dem knappen zweisilbigen Wort ‹Zeder›. das dreisilbige Wort ‹Zypresse› nicht zu dem schlanken Zypressenbaum paßt. Deshalb nennt jeder Mensch immer von neuem die Zypresse unwillkürlich Zeder und die Zeder Zypresse. Jetzt frage ich Sie, ist das nicht merkwürdig?»

«Es ist ohne Zweifel merkwürdig, vorausgesetzt, daß es sich wirklich so verhält, was ich mir aber höflich zu bestreiten erlaube. Ich denke doch, wenn einer die Bäume auseinander kennt –»

«Hilft ihm gar nichts, nicht das mindeste. Er sagt doch Zeder für Zypresse.»

«Das wollen wir einstweilen auf sich beruhen lassen. Also die Zypressen, die Sie mir gezeigt haben, sind nicht die nämlichen, wie man sie sonst überall in Süddeutschland und der Schweiz sieht?»

«Nein, was man gewöhnlich nördlich der Alpen Zypresse nennt, das sind die falschen Zypressen Chamaecyparis.»

«Also zwei Arten Zypressen?»

«Nicht ganz, sondern etwa hundertsechzig Arten. Dreizehn Arten echter Zypressen und gegen hundertfünfzig Arten unechter.»

«Au! Mir schwindelt!

Und ‹Retinispora›. was ist denn das?»

«Retinisporen sind fixierte Jugendformen der unechten Zypresse.»

«Die unechte Zypresse, das ist wohl, was man gewöhnlich Thuja nennt?»

«Nein, Thuja ist wieder etwas anderes, obschon etwas Verwandtes.»

«Es gibt auch von Thuja zwei verschiedene Arten, nicht wahr?»

«Etwas mehr sogar. An die hundert Arten. Gegen fünfzig Arten amerikanische, zwei Dutzend asiatische und noch ein paar andere dazu. Übrigens, Thuja werden Sie in meinem Garten wenige finden.»

«Dort aber steht doch immerhin eine, sehen Sie, die rötliche mit den fiederigen Zweigen.»

«Bitte, das Bäumchen nicht zu beleidigen! Das ist keine Thuja, sondern eine Zypresse.»

«Also eine unechte Zypresse? ‹Chamaecyparis› oder wie Sie das nennen.»

«Verzeihen Sie, eine echte Zypresse, eine auserlesene, seltene echte Zypresse, die Knightiana elegans.»

«Sie haben mir doch vorhin etwas ganz anderes als echte Zypresse gezeigt.»

«Habe Ihnen aber auch gesagt, daß es dreizehn Arten echter Zypressen gibt.»

«Dreizehn Arten echte, hundert oder zweihundert unechte, hundert Thuja – wie kann man denn das überhaupt unterscheiden?»

«Hiefür kann ich Ihnen für Ihren Gebrauch eine einfache Hausregel geben: Wenn Sie meinen, es sei eine Thuja, so ist es eine Zypresse, meinen Sie, es sei eine Zypresse, so ist es eine Thuja; meinen Sie, es sei eine echte Zypresse, so ist es eine unechte, meinen Sie, es sei eine unechte, so ist es eine echte. Jetzt aber, da Sie so geduldig zugehört haben, will ich Ihnen mein Spezialitätengärtchen zeigen, das ist fröhlicher.»

«Spezialitätengärtchen, was ist das?»

«Das Kindergärtchen, das Pflanzenspital und der Ostereierbazar. Steuern Sie doch nicht so ins Blaue hinein, sondern vertrauen Sie sich mir an, Sie werden gleich sehen.»

«Das wichtigste an jedem Kindergärtchen», bemerkte Herr Meyer, «ist die Grenze: Das gehört mir, das dir. Dann kommt: Mein Gärtchen ist schöner als dein Gärtchen. Hernach, wenn dieses beides im reinen ist, kommt die süße Unordnung. Sehen Sie, wie das wuchert und durcheinander krautet! Die Vergißmeinnichte bis in den Weg hinein, und neben der Rose ein Kastanienbäumchen von drei Handbreit; Tannenbaum oder Veilchen, alles ist gleich willkommen. Wenn es nur möglichst klein anfängt und möglichst schnell wächst. Denn Wachsen, das ist, als hätte mans selber getan. Wachsen im eigenen Garten ist passiver Schöpfungstrieb, schwedische Kunst, wie man sagt, schwedische Heilgymnastik. Und immer mangelt Raum. Natürlich, denn bald wird eine Nelke, bald ein Stiefmütterchen am Blumenmarkte erstanden, bald Moos, bald Farnkraut und Waldfrevel als Beute von Spaziergängen heimgebracht und unnachsichtlich eingepflanzt. Sogar das Unkraut wird nur mit Abschiedsschmerzen entfernt. Das geht halt einmal paradiesisch zu. Übrigens fehlt doch der Pflanzenadel nicht völlig. Bemerken Sie, jedes der beiden Kinder hat ein eigenes Zypreßchen, die Kleinere eins von einem Meter, die größere eins von zwei Metern, und je einen kleinen Edellorbeer daneben. Und nun rede mir einer von dem Vergänglichen meiner Südpflanzerei! Drei Jahre stehen die Dinger bereits im Kindergärtchen. Drei Jahre aber für Kinder, das ist eine kleine Ewigkeit. Die lernen nun die Südpflanzen kennen und nennen, und wenn sie dann später einmal nach Italien reisen, so bemerken sie hundert Dinge in den Gärten, die Ihnen, mein Herr, entgehen. Denn was man wachsen sieht, lernt man kennen, und zwar gründlich kennen, und nur was der Geist zu nennen weiß, unterscheidet das Auge genau. Dort gegenüber, hinter dem Lorbeerhag, ist also das Spital oder Pädagogium oder die Korrektionsanstalt, oder wie Sies nennen wollen. Dort werden jene Pflanzen, die nicht gut tun, nicht anwachsen oder nicht gedeihen wollen, ferner jene, die noch zu kindisch sind, um sie zu zeigen, in den Schatten der Verborgenheit gestellt. Haben sie sich gebessert, so werden sie mit Ehren hervorgezogen, die Unverbesserlichen erhalten ein Jahr Bedenkzeit, dann wandern sie ins Feuer. Zum Beispiel der Marianne, der erlaube ich noch ein Jahr, aber nicht mehr.»

«Marianne? Die Pflanze kenne ich nicht.»

«Den Namen werden Sie allerdings in keinem Gärtnerkatalog finden. Dagegen alle meine Bekannten kennen die Marianne. Das erste, was meine Besucher mich fragen, nachdem sie sich nach meiner Familie erkundigt, ist allemal das: ‹Und wie geht es denn eigentlich Ihrer Marianne? Lebt sie noch?› Ja ja, mein Lieber, meine Marianne, das ist eine böse Geschichte, aber eine erbauliche. Da Sie doch ein wenig schriftstellern, so sollten Sie einmal darüber schreiben, unter dem Titel ‹Marianne oder der bestrafte Hochmut›. Doch rühren wir nicht an die kaum vernarbte Wunde! Nehmen Sie sich ein warnendes Beispiel an mir. Lassen Sie sich keinen Baum in einem Korb verkaufen, mit der Weisung, den Baum samt dem Korb einzupflanzen. Ich weiß, was ich sage, und ich rede nicht allein aus meiner eigenen Erfahrung.»

«Aber der Korb hindert doch nicht! Der verfault ja in der Erde.»

«Ohne Zweifel verfault er, aber was noch früher verfault, das sind die Wurzeln des Baumes. Ein wahrer Sumpf, sage ich Ihnen. Für Kröten mag das günstig sein, aber nicht für Bäume.»

«Sie sind mir immer noch die Erklärung des Namens Marianne schuldig.»

«Wie stellen Sie sich eine Marianne unter den Menschenmädchen ungefähr vor?»

«Stattlich. Etwas plump. Groß, dick, breit, fett.»

«Sehen Sie, wie Sie mich verstehen. Und wie heißt die französische Republik auf allegorisch? Marianne, nicht wahr? Fragen Sie nur Cassagnac, er wird es Ihnen bestätigen. Nun, der Hiobsbaum kam von Paris, er war stattlich, groß, fett und so weiter. Also, nun wissen Sies. Jetzt kommen Sie aber zu meinem Ostereierbazar. Damit verhält es sich nämlich so. Es gibt bekanntlich auch eine Seligkeit des Nichtwissens.»

«Gewiß.»

«Ja, natürlich, das ist Wasser auf Ihre Mühle! Kurz, Überraschungen sind die erfreulichsten Geschenke. Deshalb lasse ich mir alle Jahre zu Ostern einen kleinen Wagen voll solcher Pflänzchen aus Italien kommen, von welchen ich keinen Hochschein habe, aber auch nicht den blassesten Hochschein. In der Zwischenzeit zwischen Bestellung und Ankunft freue ich mich dann ganz unbändig darauf, was wohl aus dem Speditionswagen für merkwürdiges fremdes Grünzeug zum Vorschein kommen werde.»

«Ja, wie können Sies denn bestellen? Sie müssen doch für die Bestellung zuerst den Namen wissen.»

«Ich nehme einen italienischen Gärtnerkatalog und pfusche blindlings mitten in die Namen hinein, nach Inspiration, etwa so wie einer in die Lotterie setzt. Nur eine feste Regel befolge ich dabei: Ich bestelle immer nachträglich noch irgendeine Nummer hinzu, denn die Nachtragsnummer ist stets ohne Ausnahme das erfreulichste.»

«Sie meinen doch das hoffentlich nicht etwa so, daß, wenn Sie die nämliche Nummer in die Hauptbestellung gesetzt hätten –»

«Doch, ich meine es genau so.»

«Inspiration muß das wohl sein, denn Vernunft jedenfalls könnte mans schwerlich heißen, eher Aberglaube. Aber die Hauptsache: Was schaut bei dieser Osterlotterie im ganzen heraus? Erleben Sie nicht etwa unangenehme Überraschungen?»

«Wieso unangenehme? Keine Pflanze beißt doch! Und bei solchem Spiel lernt man Sächelchen kennen, ich sage Ihnen, Sächelchen!»

«Her damit! Zeigen Sie mir Ihren Ostereierbazar! Danach bin ich nun doch begierig.»

«Nicht wahr? Aber freilich, es sind vorerst nur kleine Nippsachen, von denen man erst später erfahren wird, wo es etwa hinaus will. Zunächst hauptsächlich lateinische Namen, mit etwas Grün darum. Können Sie Namen überhaupt aussprechen?»

«Wenn sie nicht gar zu unaussprechlich sind.»

«Gut; aber machen Sie sich gefaßt. Denn es kommt ein wenig fürchterlich. Vor allem, sagen Sie laut und deutlich: Azara microphylla. – Nicht übel. Vergessen Sies aber nicht: Azara microphylla. So, jetzt will ich Ihnen die Pflanze zeigen, die so heißt. Nun?»

«Nein! ist das ein reizendes Ding! Davon hatte ich keine Ahnung, daß so etwas existiert! Wie fein! Und hängt über! Wem oder was gleicht das doch nur?»

«Einer Schnur schwarzer Perlen. Gelt? Oder viel mehr einer vielfältigen Kette von Perlenschnüren. Glänzt in der Sonne wie Wassertropfen. Und immer ein kleines und ein größeres Blättchen nebeneinander. Jetzt wieder ein anderes Kunststückchen der Natur – gucken Sie hierhin! Hm?»

«Zweiglein und Blättchen wie von Leder! mit einem goldigen Schimmer darüber.»

«Ja, und die Unterseite der Blättchen silbrig weiß, und die Lederblättchen werden später oben prächtig grün. Eine Elaeagnusart. Den Namen Awafusky haben Sie gewiß noch nie gehört?»

«Awafusky? Das klingt komisch.»

«Die Pflanze ist ebenso komisch. Sehen Sie, was für ein sonderbarer Kauz! Feuerrote, goldgelbe und smaragdgrüne Blätter nebeneinander. Japanische Naturphantastereien.»

«Aber eigentlich doch schön! sehr schön sogar!»

«Will ich meinen! A propos! Kennen Sie Erdbeerbäume?»

«Nein.»

«Da stehen zwei Arten, Benthamia fragifera und Arbutus Unedo.»

«Kann mans essen?»

«Ja, man kann, aber man mag nicht. Haben Sie schon von Ölsträuchern gehört? Olea?»

«Ebenfalls nicht. Ölbaum, ja.»

«Da stehen zwei Sorten Olea, zunächst eine Olea fragrans.»

«Fragrans, das heißt also wohlriechend.»

«Leider verlieren die Blüten der Südpflanzen in unserm Klima den Geruch bis auf einen kleinen Rest; gerade wie die Skimmia japonica dort oben.»

«Skimmia japonica nennen Sie das? Wissen Sie, das gefällt mir fast noch besser als alles andere. In was für eine Familie gehört denn das?»

«In die Zitronensippschaft. Pflanzen Sie Skimmia japonica, rate ich Ihnen. Hübsches Laub, reizende weiße, feinriechende Blüte, schöne rote Beeren, billig, hält ein gerütteltes Maß Kälte aus; was wollen Sie mehr? Doch um zu Olea zurückzukehren, Olea fragrans hat für unser Klima keinen rechten Sinn. Den Geruch verliert der Strauch, vorausgesetzt, daß er überhaupt blüht; außer dem Geruch aber hat die Pflanze nicht viel für sich, ist überdies sehr empfindlich gegen Kälte und stößt bei der geringsten üblen Laune die Blätter ab. Da pflanzen Sie lieber Osmanthus, das riecht bei uns kräftiger als Olea und ist vollkommen abgehärtet gegen den Winter.»

«Osmanthus kenne ich nicht.»

«Dort der gablige, dunkelgrüne Strauch.»

«Neben der Stechpalme?»

«Stechpalme gibt es dort herum nicht. Was Sie für eine Stechpalme halten, das ist eben Osmanthus.»

«Aber es hat ja stachlichte Blätter! Allerdings, es ist richtig, es ist ein wenig anders. Dort hinten, jetzt sehe ich den Unterschied, steht eine Stechpalme.»

«Auch nicht. Das ist Olea ilicifolia.»

«So wäre am Ende das dort – nein, das ist doch auch keine Stechpalme?»

«Nein, das ist eine simple Mahonie.»

«Ich habe doch bisher geglaubt, nur die Stechpalme hätte stachlichte Blätter?»

«Erlauben Sie mir, Ihnen eine Dosis Darwin aufzuwarten? In Anbetracht dessen, daß die Stacheln die Stechpalme vor dem Zahn des Wildes – und auch des ‹Zahmes› – schützen, tun eine Menge Pflanzen so, als wären sie Stechpalmen. Obs die Ziegen und Schafe ihnen glauben, weiß ich nicht, Sie jedenfalls habens geglaubt. Beiläufig – haben Sie schon beobachtet, daß die Stechpalmen nur in den untersten Etagen stachlichte Blätter haben, gerade so weit als unsere Tiere mit dem Hals hinaufrecken können, weiter oben aber glatte, ohne Stacheln?»

«Das ist wirklich merkwürdig.»

«Alles, was wirklich ist, ist merkwürdig. Es gibt überhaupt auf der ganzen Welt nur eines, was nicht merkwürdig ist: das wesenlose Hirngespinst mittelmäßiger Köpfe, also zum Beispiel eine dumm erfundene Romanerzählung. Aber verzeihen Sie, man ruft mich. Schade, ich hätte Ihnen noch so manches zu zeigen gehabt. Nur eines noch geschwind in aller Eile. Wofür halten Sie den Gewaltsbusch unten, ganz unten in der Ecke?»

«Ein Zitronenbaum?»

«Man sollte es denken, so grün ist er. Nein; es ist einfach ein japanesischer Evonymus. Und nun sagen Sie mir eines: Warum gehen die Menschen hin und pflanzen nicht Evonymus? Mit Evonymus und Kirschlorbeer allein wollte ich jeden Garten zwingen, italienisch zu reden. Ist ja gar nicht so empfindlich. Hält ungefähr so viel Frost aus wie der Kirschlorbeer. Und was für eine Unmenge der lieblichsten Spielarten! Doch ich muß leider gehen.»

«Bedaure. Aber warum pflanzen Sie denn gar keine Aucuba? Lieben Sie sie etwa nicht?»

«Wissen Sie, wie die Buben in Preußen singen? ‹Wir brauchen keinen König mehr.› Und wenn ihnen der Schutzmann wütend nachrennt, drehn sie ihm eine Nase, ‹weil wir schon einen haben›. Ich habe ja ein ganzes Dutzend Aucuba im Garten!»

«Sie? Aucuba? Wo? Ich habe doch keine einzige gesehen?»

«Gesehen gewiß, denn sie stehen alle mitten am Wege. Aber natürlich nicht erkannt. Vermutlich hielten Sie sie für Kartoffeln.»

«Herr Meyer, ich glaube, Sie sagten, man habe Sie gerufen.»

«Ach ja, gut, daß Sie mich daran erinnern. Besten Dank. Gehen wir. – Nein, bitte, gehen Sie voraus, ich bin ja hier zu Hause.»

«Was hat denn diese Zeder –»

«Wo entdecken Sie hier eine Zeder?»

«Nun, ich habe mich bloß versprochen, ich wollte sagen Zypresse.»

«Aha! Sehn Sie jetzt! Sie sagen ebenfalls Zeder für Zypresse!»

«Das ist nicht dasselbe. Das ist etwas ganz anderes. Aber was ich sagen wollte, was hat denn diese Zeder –»

«Zypresse.»

«Nun natürlich, Zypresse. Das weiß ich so gut wie ein anderer, daß das eine Zed– Zypresse ist. Also, was hat diese Z– Zypresse eigentlich für einen sonderbaren Auswuchs? Sind das Galläpfel?»

«Wenn Sie an einem Birnbaum die Birnen Auswüchse nennen wollen, können Sie meinetwegen auch die Zypressennüsse Galläpfel nennen.»

«Wirklich, Herr Meyer, Sie sollten Ihren Besuch nicht länger warten lassen, so leid es mir ja tut – übrigens muß ich ja selber durchaus – ich bin schon viel zu spät –. Empfehlen Sie mich den Ihrigen. Meinen besten Dank für die liebenswürdige Belehrung.»

Jenseits des Gartenzauns aber rief ich ihm zu: «Aber das nächste Mal, Herr Meyer, zeige ich Ihnen etwas. Etwas, wovon selbst Sie noch gar nichts gehört haben! Direkt von New York bestellt! Ein bißchen teuer, das können Sie denken – aber dafür auch etwas Einzigartiges. Eine neue Wunderrose!»

«Und heißt?»

«Turners Crimson Rambler! Sie staunen! Gelt!»

«Gewiß staune ich. Nämlich darüber, daß Sie sich das von New York verschreiben. Sie hätten es näher haben können.»

«Zum Beispiel?»

«Zum Beispiel bei Fröbel in Zürich, zu zweifünfzig das Stück.»

«Das wäre!»

«Das ist. Bemühen Sie gefälligst Ihre Blicke. Dort stehen drei Crimson Rambler seit drei Jahren in meinem Garten.»

«O verflixt! Wenn sie ihm nur erfrören! alle bis auf das letzte Würzelchen erfrören, seine ‹Ostereier›. dem unausstehlichen Herrn Meyer!»


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