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18.

Rose hatte mit Hülfe der Frau Wenzel – einer behäbigen gutmüthigen Matrone, die ebenso wohlbeleibt und freundlich, als ihr Mann mager und mürrisch war – das Kind gebettet in derselben Wiege, in der auch sie gelegen, und die Frau Wenzel von dem Boden, wo sie unter manchem Gerumpel viele Jahre lang gestanden, jetzt hatte herabbringen lassen. An Kinderzeug fehlte es nicht, denn Rose hatte für die Anne Vieles gearbeitet und arbeiten lassen, das schon seit ein paar Tagen sauber geglättet und gefaltet da lag und nun gleich in Gebrauch genommen werden konnte. Das Kind hatte getrunken und schlief jetzt wieder. Die beiden Frauen standen an der Wiege und blickten mit nachdenklichem Ernst auf das kleine Schlummernde herab. Dann sahen sie sich an und die Frau Wenzel sagte: »Wenn wir nur erst selbst einmal so ein Engelchen in der Wiege hätten, Fräulein Röschen.«

Rose erröthete nicht – dazu wäre in Gegenwart von Frau Wenzel keine rechte Veranlassung gewesen – aber sie wurde noch nachdenklicher und sagte:

»Ich werde nie heirathen, nie,« und als die alte Vertraute diese Versicherung mit etwas ungläubigem Lächeln aufnahm:

»Ich habe kein Talent zum Heirathen, liebe Wenzel, das fühle ich mit jedem Tage mehr. Wer heirathen will, muß ein leichteres Herz haben, und einen Kopf, der sich nicht so viel Gedanken über Alles macht.«

Fräulein Röschen hatte das so sehr ernsthaft gesagt, daß Frau Wenzel die größte Lust hatte, in Thränen (die sie leicht vergoß) auszubrechen. Rose strich sich mit der Hand über die Augen, und als sie die gute Alte so traurig sah, lachte sie, zog sie an sich heran und gab ihr einen Kuß.

»Du bleibst nun hier, liebe Wenzel, und giebt Acht auf mein Kind; ich will zum Vater.«

Als Rose vor der Thür (die an dem andern Ende des langen und schmalen Corridors lag) stand, hörte sie, daß der Vater nicht allein war. Die Stimme, welche in gedämpftem Tone so eifrig sprach, war des Pastor's Stimme. Rose kannte den blechernen Klang dieser Stimme zu genau, als daß sie sich hätte täuschen können. Was hatte der Pastor schon wieder beim Vater zu thun? Er hatte sie vorhin mit dem Kinde kommen sehen; ohne Zweifel sprach er in diesem Augenblicke darüber. Es konnte nichts Gutes sein. So viel Rose wußte, war aus dem Munde dieses Mannes für sie noch nichts Gutes gekommen.

Mit einer Empfindung fast des Unwillens ging sie fort. Es erschien ihr ihres Vaters nicht würdig, diese Intimetät mit einem Menschen, dessen niedrige Denkungsart für sie so offenbar schon auf seinem harten plumpen Gesicht ausgeprägt war. »Ich wollte nur, ich dürfte ihm einmal sagen, wie ich über ihn denke,« sagte Rose bei sich, während sie sich nach unten in das Wohnzimmer begab, damit die Kleine oben unter Frau Wenzels Obhut möglichst ungestört sei.

Rose hatte kaum an ihrem Fenster Platz genommen, als sie Jemanden die Treppe herabpoltern hörte; die Thür wurde, ohne daß vorher angeklopft wäre, aufgemacht, und der Pastor trat herein. Er stutzte, als er die junge Dame erblickte, und seine erste Bewegung war wieder zum Zimmer hinaus; dann aber schien er sich ein Herz zu fassen. Er schloß die Thür und kam auf Rose zu, deren Wangen über ein Betragen, das ihr als unverzeihliche Zudringlichkeit erschien, in Zorn aufflammten. Der Pastor mußte sich dies Symptom ganz anders auslegen, denn er lächelte, indem er sich verbeugte und sich mit einer albernen Miene halb der Verlegenheit und halb der Unverschämtheit auf einen Stuhl in Rose's Nähe niederließ.

»Verzeihen Sie, mein gnädiges Fräulein,« sagte er, »daß ich so frei bin, Sie um eine Unterredung zu bitten, die für mich, vielleicht für uns Beide von Wichtigkeit sein dürfte. Ich komme so eben von Ihrem Herrn Vater, den ich leider nicht in dem Wohlsein und der gefaßten Stimmung fand, die ihm unter den jetzigen Verhältnissen so doppelt nothwendig sind. In der That, mein Fräulein, der Zustand Ihres Herrn Vaters ist es in erster Linie, worüber ich mit Ihnen sprechen möchte.«

Rose blickte den Pastor erstaunt und ängstlich an. »Sie wissen, mein Fräulein,« fuhr der Pastor, durch Rose's Mienen um vieles muthiger gemacht fort, »daß Ihr Herr Vater mich mit einem Vertrauen beehrt, das ich nicht zurückweisen kann, wenn ich auch meine Unwürdigkeit fühle. Er hat mich über den Stand seiner Angelegenheiten schon vor längerer Zeit unterrichtet, und neuerdings hat er mich in der fatalen Bank-Affaire wiederholentlich in's Vertrauen gezogen, ja mich direkt – ich kann es wohl ohne Uebertreibung sagen – um meinen Rath gefragt. Ich habe ihm nie verschwiegen, daß ich seine Absicht – bei der er übrigens bis auf diesen Augenblick verharrt – sich eventualiter einer Haft zu unterwerfen, nicht billigen kann, und ich glaube, mein gnädiges Fräulein, daß ich das Glück habe, in diesem Punkte mit Ihnen vollkommen übereinzustimmen.«

Rose sah den Sprecher starr an. Wie peinlich ihr auch der Gegenstand des Gespräches war, sie hatte nicht den Muth, dasselbe abzubrechen; was konnte der Pastor wollen?

Der Pastor schien eine Erwiderung erwartet zu haben; da dieselbe indessen nicht kam, mußte er auch so weiter gehen:

»Sie haben wenigstens, wenn ich nicht irre, sich einige Mal in diesem Sinne ausgesprochen, mein Fräulein. Und wie sollten Sie nicht; das Gegentheil wäre ja so unnatürlich, besonders bei der Gebrechlichkeit Ihres Herrn Vaters, die wirklich in letzterer Zeit in erschreckender Weise zugenommen hat. Ja, mein Fräulein, ich bin der unmaßgeblichen Meinung, daß Ihr Herr Vater selbst innerlich einen wohl sehr erklärlichen Abscheu vor einer längeren Haft hat und daß er gar nicht daran denken würde, ein so schweres Kreuz unnöthigerweise auf seine Schultern zu nehmen, wenn seine Verhältnisse ihm, so zu sagen, einen andern Ausweg aus dieser verzweifelten Lage ließen. Habe ich recht, mein Fräulein?«

Rose's Augen hafteten noch immer mit demselben Ausdruck auf dem Pastor. Wo wollte er hin? – Der Pastor wurde roth und räusperte sich; er hatte sich die Sache doch leichter gedacht.

»Ich will mich kurz fassen, mein Fräulein,« sagte er und seine Stimme klang so blechern wie noch nie. »Was ich Ihnen mitzutheilen habe, ist ein Plan, den mir die innige Hochachtung, die ich vor Ihrem Herrn Vater empfinde, eingegeben hat und dessen Uneigennützigkeit Sie selbst dann, wenn er nicht das Glück haben sollte, sich Ihre Billigung zu erwerben, nicht in Zweifel ziehen werden. Ich meine nämlich, um es gerade heraus zu sagen, daß Ihr Herr Vater sich sehr gern zur Zahlung der Caution herbeilassen würde, wenn er das Geld hätte, oder sich von einem Freunde – verstehen Sie wohl, mein Fräulein! – von einem Freunde, vor dem er sich nicht zu genieren brauchte, verschaffen könnte. Ich habe es aus Ihres Herrn Vater's eigenem Munde, daß die Höhe der Caution, die er eventualiter zu stellen haben würde, von den Advokaten auf zwanzigtausend Thaler geschätzt wird. Nun –«

Der Ausdruck von Rose's Augen wurde so sonderbar, daß der Pastor nicht länger den Muth hatte, ihr in's Gesicht zu sehen, und das Folgende einigermaßen stotternd vorbrachte:

»Nun bin ich in der glücklichen Lage, von der Mutter Seite her, ein kleines unabhängiges Vermögen von circa zwölftausend Thalern zu besitzen, zu denen ich bei den Verbindungen, deren ich mich, trotzdem ich nur eines Bauern Sohn bin, erfreue, leicht noch einmal so viel geliehen erhalten könnte. Diese Summe würde ich mit dem größten Vergnügen Ihrem Herrn Vater zur Verfügung stellen, ja ich würde stolz sein, wenn er mir die Gnade erzeigen wollte, sich diesen kleinen Dienst von mir gefallen zu lassen.«

Jetzt aber mußte doch eine Antwort kommen; der Pastor hustete und erhob die Augen wieder. Es schien ihm, als ob das Fräulein in den letzten Augenblicken bleicher geworden sei, doch konnte das auch die Wirkung des blassen Nachmittagslichtes sein, das spärlich genug durch die epheuumrankten Fenster hereinfiel.

Rose machte eine Bewegung, als ob sie sich erheben wollte. Ihre Mienen drückten, wie der Pastor meinte, eine so große Verlegenheit aus, daß es ein Werk der Barmherzigkeit war, ihr zu Hülfe zu kommen.

»Ich weiß, was Sie sagen wollen, mein verehrtes Fräulein«, rief er, seinen Stuhl um einen Zoll näher rückend. »Ja, mein verehrtes, liebes Fräulein, Sie würden uns Allen, ich wollte sagen: mir einen großen, großen Dienst erweisen, wenn Sie die Gnade hätten, in dieser Sache meine Fürsprecherin bei ihrem Herrn Vater zu sein. Sie glauben gar nicht, mein Fräulein« – hier rückte der Pastor seinen Stuhl abermals um einen Zoll näher – »wie sehr mir Ihr und Ihres Herrn Vaters Schicksal am Herzen liegt. Ich habe mit wahrhaftem Schmerz bemerkt, daß sich in letzterer Zeit eine kleine Wolke zwischen Ihnen gelagert hat – zwischen zwei Menschen, die sich so lieben, von denen Jeder des Anderen Liebe so werth ist! Urtheilen Sie selbst, wie schrecklich das für Jemand sein muß, der, wie ich, einen solchen Antheil an Ihnen Beiden nimmt; – ja, mein Fräulein, an Ihnen Beiden. Ich habe immer gedacht: daß zwischen Ihnen Jemand stehen müßte, der gleichsam ein Mittel- und Bindeglied zwischen Ihnen wäre, dem Sie Beide vertrauten, den Sie Beide gern hätten; und da habe ich dann weiter gedacht, daß ich vielleicht der Mann sein könnte. Ich bin von Beruf ein Diener des Friedens; wenn ich auch von Natur ein wenig aufbrausend bin, so bin ich doch auf der anderen Seite sehr gutmüthig, und kann einen Stoß aushalten, so zu sagen. Ich bin freilich nur ein Bauernsohn, wie ich schon vorhin bemerkte, aber, wenn mein Alter, wollte sagen mein Vater stirbt, kann ich doch noch auf so ein dreißig- bis vierzig Tausend Thaler rechnen. Ich werde auch nicht immer in Lengsfeld Pastor bleiben, mein Fräulein; glauben Sie das ja nicht! Ich brauche den Herrn Grafen von Lengsfeld durchaus nicht; ich kann, wenn es sein muß, auch ohne ihn Carriere machen, besonders wenn er fortfährt, der Regierung zu opponieren. Aber die Verbindung mit einer Familie von altem Adel, das gestehe ich ganz offen, mein Fräulein, würde mir in meiner Carriere sehr förderlich sein. Und damit und mit meinem Vermögen werde ich es noch zum Bischof bringen, verlassen Sie sich darauf. Es kommt blos darauf an, daß Sie Ja sagen, mein Fräulein! Aber gewiß, Sie werden nicht Nein sagen! Sie werden ja gegen den Bauernsohn nichts haben, da Sie sich nicht genieren, ein Tagelöhnerkind in Ihren Armen über diese Gasse zu tragen. Nicht wahr, mein Fräulein!«

Rose hatte sich bei den letzten Worten des Pastors schnell erhoben, der Pastor ebenfalls, und dann war er ein paar Schritte zurückgetreten. Er konnte Rose's Gesicht jetzt deutlicher sehen, und was er sah, erfüllte ihn mit Schrecken.

Rose zitterte vom Kopf bis zu den Füßen; sie war bleich, ihre Augen standen voll Thränen; ihr Busen hob und senkte sich ungestüm; ihre Lippen zuckten; sie wollte sprechen, aber sie konnte nicht; sie konnte nur den Arm heben und auf die Thür deuten.

»Aber mein Fräulein,« sagte der Pfarrer, der nun auch bleich geworden war; »Sie werden doch nicht einen Freund –«

Rose richtete sich zu ihrer ganzen stolzen Höhe auf und wiederholte so gebieterisch ihre Gebehrde, daß der Pastor, seine schwarzen Handschuhe zwischen den Fingern zusammendrückend und unverständliche Worte durch die Zähne murmelnd, schleunigst das Zimmer verließ.



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