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6.

Der Graf stieg auf, galoppierte vom Hofe nach einem Vorwerk, wo eine Scheune gebaut wurde, hielt aber dort auch nicht einen Augenblick an, sondern galoppierte weiter in einen Feldweg hinein, zuletzt, als der plötzlich ein Ende nahm, querfeldein, bis er auf einem großen Umwege von der entgegengesetzten Seite nach Weißenbach gelangte. Dort wandte er sich zum ersten Male nach dem Reitknecht, der seinem Herrn nur mit Mühe hatte folgen können, um und fragte, ob er wisse, wo der Gutshof liege? Der Mann wußte es; er war schon ein paar Mal in Weißenbach gewesen. Vor dem Thore des Hofes angelangt, hielt der Graf an, blickte zu den Linden empor, am Hause mit den verschlossenen Jalousien hinauf, schien unschlüssig, ob er weiter reiten solle, oder nicht, sprang dann mit einem schnellen Entschlusse aus dem Sattel, warf dem Reitknecht die Zügel seines dampfenden Rosses zu, befahl ihm, die Thiere auf und ab zu führen und trat durch die unverschlossene Pforte in den Hof.

Der Pfau trippelte dem Ankömmling neugierig entgegen; die Schwalben schossen zirpend durch die Luft, sonst ließ sich auf dem stillen Hofe kein lebendes Wesen sehen, kein Laut vernehmen. In den hohen Wipfeln der Bäume, die über die Dächer der Wirthschaftsgebäude aus dem Park herüberragten, spielte der rothe Abendschein. Ein seltsames Gefühl von Bangigkeit und ahnungsvoller Erwartung, wie er es noch nie empfunden, überkam den Grafen. Er erklärte es sich durch die Erschöpfung und Aufregung nach dem schnellen Ritt, daß, als er langsam die steinernen Stufen nach der kleinen Estrade vor der Hausthür hinaufstieg, sein Herz heftig schlug und seine Knie zitterten. Er fand die Thür verschlossen; die Klingel, die er jetzt zog, gab einen hohlen wehmüthigen Klang. Es dauerte eine geraume Zeit, bis sich ein schlürfender Schritt auf den Steinfliesen des Flurs vernehmen ließ und der alte Wenzel die Thür öffnete. Der Graf fragte nach dem Herrn von Weißenbach und nannte seinen Namen. Der Alte blickte ihm starr ins Gesicht und sagte: »Darauf wollte ich schwören, daß Sie der sind. Sie sehen just so aus wie der Herr Vater selig.« Dann lud er den Grafen mit einer stummen Gebehrde ein, in den Flur zu treten und führte ihn von dort in ein Zimmer zur linken Hand, wo er ihn allein ließ.

Es war ein ziemlich großes Gemach, dessen an der Außenseite mit Epheu umrankte Fenster auf den Hof gingen. Die Wände waren fast bis Manneshöhe mit braunem Eichenholz bekleidet. Ringsum über den Pannelen bis zu der niedrigen Stuckdecke hingen Portraits, die in der Dämmerung, welche in dem Zimmer herrschte, noch dunkler aussahen, als sonst schon. Alterthümliche Meubel, mit denen ein sehr schöner moderner Flügel, welcher in die Nähe des einen Fensters gerückt war, nicht recht harmonierte, waren hier und da schicklich vertheilt. Auf einem Gewehrschrank saß eine mächtige ausgestopfte Eule, deren große Glasaugen den Eindringling fragend und drohend anstarrten. Das Alles bemerkte der Graf ganz mechanisch, denn die Aufregung, die ihn schon draußen auf dem Hofe überkommen, und die sich, seitdem er das Zimmer betreten, nur noch gesteigert hatte, ließ seinem Geiste keine Freiheit zu ruhiger Beobachtung. Die wenigen Minuten, die er hier zu stehen gezwungen war, wurden ihm zu Stunden. Jeden Augenblick erwartete er, daß sich die Thür öffnen und das schöne Mädchen hereintreten würde, während er sich doch sagte, daß dies wenig wahrscheinlich sei. Endlich hörte er in dem Gemach nebenan eine Thür gehen und dann Schritte – aber nicht die Schritte, auf die sein Ohr lauschte – feste hastige Männerschritte; und die hohe schlanke Gestalt eines alten Mannes trat rasch herein.

»Ich freue mich, den Sohn des Freundes meiner Jugend in meinem Hause begrüßen zu können,« sagte Herr von Weißenbach, die Hand des Grafen kräftig drückend und mit gespannter Aufmerksamkeit unter den buschigen grauen Brauen hervor in sein Gesicht schauend; »der Wenzel hat recht,« fuhr er fort, »das leibhaftige Abbild des Vaters. So sah er aus, Ihr Vater, als ich ihn zum Traualtar begleitete, und als ich Sie ein Jahr später über die Taufe hielt. Sie sind groß geworden unterdessen; ich kann Sie jetzt wohl nur noch so in meinen Armen halten.«

Bei diesen Worten zog Herr von Weißenbach den Grafen an seine Brust. Der Graf erwiderte die Umarmung mit einiger Verlegenheit. Er war auf diesen herzlichen Empfang keineswegs vorbereitet gewesen; er fühlte sich beschämt, wie über eine Auszeichnung, von der er sich sagen mußte, daß er sie nicht verdient habe. Er war in dies Haus gekommen – ein Fremder, halb mit Widerstreben, getrieben von einem Interesse, das im besten Falle sehr egoistisch war, und er wurde aufgenommen, wie ein Sohn, der aus der Fremde zum heimischen Heerde zurückkehrt. Er murmelte eine verwirrte Entschuldigung, daß er erst heute komme, daß er nicht schon vor acht Tagen gekommen sei.

Herr von Weißenbach ließ ihn nicht ausreden: »Ich will es Ihnen nur gestehen, lieber Graf,« sagte er, »ich war böse auf Sie, recht böse; dann habe ich aber auch wieder bedacht, wie Sie ja eigentlich aus einer Zeit sind, die von der, in welcher meine Erinnerungen leben, durch den frühen Tod Ihres Vaters und Ihrer Frau Mutter, wie durch einen tiefen Riß getrennt ist. Andere Zeiten, andere Menschen, andere Menschen, andere Sitten – das wissen wir Alten, denn jeder Tag predigt es uns. Nun, Sie sollen mich nicht gleich als Murrkopf kennen lernen. Sie sind zurückgekehrt – nach langer Irrfahrt, höre ich; ich will nur wünschen, daß Sie nun hier bleiben, wo Sie von Gottes und Rechtens wegen besser hingehören, als nach Asien und Afrika, und wo wir, der Himmel weiß es, tüchtige Männer, die sich von dem modernen Schwindel nicht fortreißen lassen, gar nothwendig brauchen. Und ein großer Jäger vor dem Herrn sind Sie auch, wie mir meine Rose gesagt hat! Nun, das steckt Ihnen im Blut, vom Vater her. Wo nur meine Rose bleibt! ich kann ohne meine Rose nichts, müssen Sie wissen, nicht einmal Ihnen einen Imbiß vorsetzen. Nun, nun, Sie werden es ja auch nicht so eilig haben.«

Herr von Weißenbach zog seinen Gast neben sich auf das Sopha und legte ihm eine Menge von Fragen über seine Vergangenheit, seinen Militairdienst, seine Reisen, über den Zustand, in welchen er seine Besitzungen vorgefunden, über die Pläne, die er für die Zukunft habe und vieles der Art vor – Fragen, welche zu beantworten der Graf nicht immer leicht fand. Herr von Weißenbach lebte nicht blos mit seinen Erinnerungen in einer Welt, die von der modernen Zeit durch einen tiefen Riß getrennt war. Die Felsentempel von Abu Simbel und die Ruinen von Karnak waren dem Grafen kaum minder fremdartig vorgekommen, als die Ansichten des Herrn von Weißenbach über Staatswesen, Volksvertretung, Polizeiverwaltung, Armenpflege und anderes der Art. Des Grafen politisches Glaubensbekenntniß war von einer um so unbeschränkteren Freiheit, als er eigentlich noch nie einen ernstlichen Versuch gemacht hatte, seine Ideen zu realisieren. In der ungestörten Muße seines Studierzimmers, in den langen sonnigen Mußestunden auf dem Deck des Nilbootes stromaufwärts nach den Katarakten, auf Wanderungen über die himmelhohen Matten der Alpenwelt hatte der Graf sich seine beste Welt aufgebaut und die Verhältnisse der freien Menschen, welche sie bewohnen sollten, geregelt; indem er nun versuchte, sich in die Anschauungen seines Wirthes zu versetzen, wurde ihm zu Muthe, wie einem Falken zu Muthe sein mag, der sich plötzlich in einen Gitterkäfig eingesperrt sieht. Mit Staunen und Verwunderung blickte er in das energische, noch schön zu nennende Gesicht des Herrn von Weißenbach, und in die Augen unter den buschigen Brauen, denen sechzig Jahre ihr Feuer nicht zu rauben vermocht hatten. Und doch fühlte er sich auch wieder auf eigenthümliche Weise angezogen, denn sein eigenes mannhaftes Herz sagte ihm, daß er es mit einem Manne zu thun habe, dem sein Wort heilig sei, und der, wenn es sein müßte, mit seinem Leben für seine Ueberzeugungen einstehen würde.

Die Dämmerung in dem Gemache hatte rasch zugenommen, während die Herren, auf dem Sopha sitzend, also sprachen. Der Graf hatte mit seinem Aufbruch gezögert und gezögert, immer hoffend, daß Fräulein von Weißenbach von ihrem Spaziergange zurückkommen werde. Jetzt glaubte er, nicht länger warten zu dürfen. In dem Augenblick, als er sich erhob, wurde es plötzlich von dem Wiederschein einer purpurnen Abendwolke, die an den Fenstern vorüberzog, ganz licht in dem noch eben dunklen Zimmer.

»Da ist meine Rose,« sagte Herr von Weißenbach.

Der Graf, welcher mit dem Rücken nach der Thür gestanden hatte, wandte sich schnell um. Auf der Schwelle, umflossen von dem rosigen Schein, stand sie, wie er sie zuletzt gesehen, den Strohhut in der herabhängenden Linken, das stolze Haupt hoch erhoben, das ernste, sanfte Antlitz umringelt von den leichten Locken, die ein linder Abendhauch mit muthwilliger Hand nach seinem Geschmack geordnet zu haben schien.



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