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10.

Sie waren die breite, mit Gewächsen reich geschmückte Steintreppe, welche aus dem Erdgeschoß in den zweiten Stock führte, unter vielen Ausrufen entzückter Bewunderung von Seiten des Pastors, die den Grafen womöglich noch ungeduldiger machten, hinaufgestiegen; sie hatten den oberen Flur, der, ebenfalls mit Gewächsen und außerdem mit einigen guten Gypsen geschmackvoll dekoriert, sich wirklich sehr schön und stattlich ausnahm, durchschritten; der Diener hatte die Thür, aus der man aus dem Vorsaal in eine nach außen offene Galerie, welche auf dieser Seite – der nach Weißenbach gelegenen Hinterseite des Schlosses – die lange Flucht der Zimmer trennte und verband, geöffnet; war dann vorangegangen, Herr von Weißenbach und der Pastor waren ihm bereits gefolgt, der Graf wollte Rosen mit einer Verbeugung an sich vorüberlassen, als diese plötzlich ihre Hand leicht auf seinen Arm legte. Der Graf schaute sie fast erschrocken an. Ihre großen blauen Augen, die mit einem eigenthümlich sanften und traurigen Ausdruck auf ihn gerichtet waren, glänzten vom einem feuchten Schimmer; aber um ihre Lippen spielte ein Lächeln.

»Sie haben sich recht auf diesen Tag gefreut?« sagte sie leise.

Der Graf konnte nichts erwidern, nicht einmal mit dem Kopfe nicken; nur um einen Mund zuckte es

»Ich kann nichts dafür,« fuhr sie in demselben leisen Tone, nur noch hastiger fort, »lassen Sie es mich nicht entgelten!«

Sie hielt ihm ihre Hand hin, die der Graf an seine Lippen zog. Dann richtete er sein Haupt wieder empor. Seine Augen leuchteten; der plötzliche Uebergang von Schmerz in Lust hatte etwas Berauschendes. Nun war Alles wieder gut und mehr als gut! Nun waren die Welt und das Leben wieder hell, heller als je!

Rose lächelte. Sie hatte nicht gewußt, daß ihre Macht über diesen Mann, der ihr so stark, so sicher, so selbstbewußt erschien, so groß sei; das deutliche Bewußtsein dieser ihrer Macht erfüllte ihr Herz mit unendlichem Stolz.

Mit Stolz und Demuth; oder war diese Demuth doch auch wieder nichts als versteckter Stolz? War es nicht Stolz gewesen, das dunkle Gefühl, welches sie heute die einfachste Kleidung, die sie finden konnte, hatte anlegen lassen? Oder hatte sich noch etwas Anderes, was sie sich selbst nicht deutlich machte, hineingemischt? Hatte sie nur für den Augenblick dem reichen Grafen mit ihrer Armuth imponieren wollen? Oder hatte sie weiter in die Zukunft geblickt und ausdrücken wollen: wer mich liebt, muß mich so lieben, oder ich will nicht geliebt sein?

In Rose's Seele wogten diese Zweifel, während sie still, bald an der Seite des Grafen, bald an der ihres Vaters, durch die Flucht der schönen Gemächer schritt. Dem Grafen hatte das Glück die Fassung wiedergegeben, die ihm vorhin die unangenehme Ueberraschung geraubt hatte; er vermochte die Fragen des alten Herrn geläufig zu beantworten, und wußte selbst den plumpen Schmeicheleien des Pastors höflich auszuweichen; aber seine Blicke hingen beständig an Rose, deren Gesicht jetzt von einer sanften Freundlichkeit belebt war, obgleich ihre Lippen sich sehr selten zu einer Bemerkung öffneten und auch das nur, wenn sie von dem Vater oder dem Pastor direkt um ihre Meinung angegangen wurde. Sie konnte nicht plaudern und kritisieren und scherzen wie sonst. Bei jedem Schritte, den sie that, fühlte sie inniger, daß all' diese verschwenderisch ausgestreute Pracht nur eine Huldigung für sie war. Keine unbedeutendste Aeußerung, die sie jemals in den Gesprächen auf Weißenbach über ihren Geschmack und ihre Neigungen in aller Unbefangenheit und Harmlosigkeit gemacht hatte, war verloren gegangen. Da waren die hohen Trümeaus, von denen sie scherzend behauptet, daß sie die einzige Art Spiegel seien, in denen man seines Bildes froh werden könne; da waren die Meubel von Rosenholz mit Bezügen von mattblauer Seide, mit denen ihr Zimmer im herzoglichen Schlosse ausgestattet gewesen war; da waren fast in jedem Zimmer Schaukelstühle, im denen sie sich so gern wiegte; da war ein Flügel, den sie nicht zu berühren wagte, weil sie auf den ersten Blick gesehen hatte, daß er aus einer gewissen Fabrik war, die sie kürzlich als die beste gerühmt; da war ein Saal, dessen Ausstattung sie selbst bis in die kleinsten Details angeordnet zu haben schien, so genau glich er dem Bilde, das sie einmal, als vom Tanz die Rede war, von einem Ballsaale, wie sie ihn sich einrichten würde, gemacht hatte. Alles, was sie sah, hatte für sie eine stumme und doch so beredte Sprache; es war wie in dem Mährchen, wo die Blätter auf den Bäumen Zungen werden, und dem Lauscher zuflüstern, was, wenn er es recht verstände, die Lösung des Räthsels seines Lebens sein würde. Manchmal schrak sie ordentlich zusammen: es war ihr, als müßten auch die Anderen hören, was so deutlich in ihrem Herzen wiederklang; aber der Vater und der Pastor schienen glücklicherweise nur für die praktische Seite der neuen Einrichtung Sinn zu haben.

Mit der Besichtigung des Erdgeschosses, in das man wieder hinabgestiegen war, wurde man schneller fertig. Die eine Hälfte desselben war vorläufig für die Gutsinspektoren, die Haushälterin, die Dienerschaft und einige Wirthschaftszwecke reserviert geblieben; in der anderen hatte der Graf sich eingerichtet. Man blickte in diese Zimmer, deren einfache Ausstattung mit der Pracht der eben durchwanderten Räume in auffallendem Gegensatz stand, nur eben hinein, um in den Speisesaal zu treten, der an die Bibliothek stieß und wo der Graf eine kleine Tafel mit Backwerk, Früchten und Wein hatte servieren lassen.

Wenn Herr von Weißenbach bisher Manches zu tadeln gehabt hatte, so fand dagegen dieses Gemach seinen ungetheilten Beifall. Er fühlte, wie er sagte, hier erst wieder Boden unter seinen Füßen; über den Geschmack sei ja nicht zu streiten, aber er für sein Theil würde das ganze Schloß so ausgestattet haben. Hier umwehe ihn die gute alte Zeit, wenn das Ganze auch nur eine recht geschickte Imitation sei.

»Aber hier ist ein wirkliches Stück Roccocco,« rief er, als sein Auge plötzlich auf die Uhr über dem Kamin fiel, »dies ist echt, oder Alles müßte mich trügen; nicht wahr, Graf Lengsfeld?«

Der Graf beeilte sich zu versichern, daß Herr von Weißenbach seine Kennerschaft bewährt habe, und die Uhr, ein Erbstück aus dem Nachlaß einer Verwandten sei, die am Hofe August des Starken lebte.

»Merkwürdig, daß ich dieses Kunstwerk nie bei Ihrem Vater bemerkte,« rief Herr von Weißenbach, »es muß in irgend einem Winkel gestanden haben, oder es würde mir nicht entgangen sein. Ich habe nie etwas gesehen, das so vollkommen im Charakter jener Zeit gewesen wäre. Dies ist ein Stück Geschichte, Graf Lengsfeld.«

Der Graf vermochte nicht, sich darüber zu freuen, daß seine Absicht, dem alten Herrn mit der Ausstattung dieses Zimmers ein Kompliment zu machen, so gut gelungen war. Seiner geraden Seele war das Bewußtsein peinlich, zu so kleinlichen Mitteln der Schmeichelei eine Zuflucht genommen zu haben. Er konnte sich kaum enthalten, auf die letzte Bemerkung des alten Herrn zu erwidern, daß das Stück Geschichte, welches die Uhr repräsentieren solle, zum mindesten ein sehr, nichtsnutziges und trauriges sei.

Herr von Weißenbach konnte sich kaum von dem Anblick der Uhr trennen, die übrigens auch Roses Bewunderung erregt hatte. Dieser neue Beweis von des Grafen vorsorglicher Güte rührte und entzückte sie fast noch mehr, als alles Andere. Und nun fand sie auch den Muth, dem Grafen voll in die Augen zu blicken und ihm lächelnd ihren Dank zuzunicken. Der Graf fühlte, daß ihm das Blut in die Wangen schoß; er lud, um seine Verwirrung zu verbergen, dringender als zuvor ein, an dem Tische Platz zu nehmen.

Man hatte sich kaum gesetzt, und der Graf, welcher den Diener weggeschickt hatte, um ungestörter mit seinen Gästen plaudern zu können, die zarten Kelchgläser mit Champagner gefüllt, als der Pastor sich erhob und einen Toast ausbrachte auf »die, welche dereinst in diesen Räumen als vielgeliebte, angebetete Herrin und Hausfrau schalten und walten würde.«

Der Graf hatte das dunkle Gefühl gehabt, daß der plumpe Gesell etwas der Art vorbringen werde.« Er verlor deshalb keinen Augenblick seine Fassung, sondern dankte mit wenigen höflichen Worten, indem er zugleich äußerte, daß es vielleicht gerathener sei, dem Kommenden in keiner Weise vorzugreifen. Der Pastor verstand diese Andeutung nicht, oder wollte sie nicht verstehen. Er hielt es für die Pflicht des Pfarrers von Lengsfeld, darauf hinzuweisen, daß seiner Heerde noch immer die Pflegerin, die Beschützerin fehle. Was ein Licht ohne Wärme, sei ein Mann ohne Frau; er wolle nicht von sich sprechen, denn die Nullen zählten nicht; aber es sei ein schönes Wort, das Wort: noblesse oblige! Er hoffe, daß sein hoher Gönner demnächst ausziehen werde, um unter den reichen Töchtern des Landes zu wählen und die reichste und vornehmste als sein ehelich Gemal in das Schloß seiner Väter zu führen.

Der Graf, der diesem Gerede ein für allemal ein Ende machen wollte, bemerkte trocken: »Er sei einigermaßen verwundert, zu hören, daß ein Diener der Religion der Liebe und Armuth auf Reichthum, vornehme Geburt und Aehnliches der Art, was man im Allgemeinen als sehr irdische Güter und weltliche Vorzüge ansehe, einen so hohen Werth lege.«

Der Pfarrer wurde bis in die kahlen Schläfen seiner runden Stirn hinauf roth, aber Herr von Weißenbach erwiderte statt seiner:

»Nun, Graf Lengsfeld, ich glaube den Herrn Pfarrer richtig verstanden zu haben, wenn ich meine: er hält auseinander, was auseinander zu halten ist. Er verlangt eine Frau aus reichem und vornehmen Hause nicht für sich, denn dazu kennt er seine Stellung zu gut, sondern für Sie, und bei Gott, ich wüßte ebenfalls nicht, wie in aller Welt Sie eine andere Wahl treffen könnten. Adel und Reichthum gehören zusammen wie Hand und Handschuh. Der Handschuh ohne Hand ist ein Ding, werth, auf den Kehricht geworfen zu werden; aber die Hand ohne Handschuh kann jeder schwächste Dorn ritzen.«

»Wenn dem so wäre,« erwiderte der Graf mit Lebhaftigkeit, »dann können wir uns wahrlich nichts Besseres wünschen, als die schwielige Hand des Arbeiters, der den Dorn mit der Wurzel ausreißt und ihn unter die Füße tritt. Die behandschuhten Hände sind es wahrlich nicht, die am kräftigsten in die Speichen des Fortschrittsrades fassen.«

Herr von Weißenbach biß sich auf die Unterlippe und erwiderte mit kaum verhehltem Unwillen:

»Ich bin ein alter Mann, lieber Graf, und ich schäme mich nicht hinzuzufügen: aus einem alten adligen Geschlecht, das sich von jeher durch die Vorliebe, mit welcher es auf einem angestammten Erbe seßhaft war, auszeichnete. Sie müssen mir deshalb nicht verübeln, wenn mir ein Bild aus dem modernen Industrieleben weniger geläufig ist.«

Der Graf wollte etwas entgegnen, was vermuthlich den Streit nicht beigelegt hätte; aber ein Blick in Rose's Augen, die mit einem ängstlich bittenden Ausdruck auf ihn gerichtet waren, genügte, seinen Eifer zu brechen. Er verbeugte sich gegen Herrn von Weißenbach und sagte lächelnd: »er sei schon als Knabe in der Schule wegen der schlechten Wahl seiner Bilder und Gleichnisse berüchtigt gewesen, und er sehe, daß die poetische Ader seit der Zeit nicht stärker geworden sei.«

Rose nahm sogleich den scherzhaften Ton, welchen der Graf angeschlagen hatte, auf; sie behauptete, daß der Graf so oft auf seinen Mangel an poetischem Talent zurückkomme, weil er seinen national-ökonomischen Ruf gefährdet glaube, wenn die Welt erführe: er habe auch einmal Verse gemacht; vielleicht auch nur, um sich widersprechen zu hören; daß sie ihrerseits aber ihm diesen letzteren Gefallen nicht thun werde, da sie keine Verpflichtung fühle, die so schon unerträgliche Eitelkeit der Männer in irgend einem Falle zu vergrößern.

Rose war sehr unterhaltend, wenn sie sich einmal veranlaßt fand, die Geistreiche zu spielen. Sie konnte dann so übermüthig necken und schmeicheln, lächeln und schmollen, daß es schon eine recht böse Laune hätte sein müssen, die vor dieser sonnigen Liebenswürdigkeit nicht zerflattert wäre. So dauerte es denn auch diesmal gar nicht lange, bis die Stimmung in der Gesellschaft eine ungewöhnlich heitere wurde. Auf der Stirn des alten Herrn freilich lagerte noch immer eine Wolke, aber er gab sich sichtlich Mühe, auf jeden Scherz einzugehen. Unter den Früchten auf dem Tische befanden sich auch Krachmandeln und Trauben-Rosinen, für die Rose eine kleine Schwäche zu haben wiederholt erklärt hatte. Sie rühmte sich, auch jetzt wieder, daß sie noch nie eines der zahllosen Vielliebchen, die sie schon gegessen, verloren habe, daß sie denjenigen kennen zu lernen wünsche, der in diesem Spiel ihr Meister sei, und was sie denn noch sonst in dem Uebermuth, der sich ihrer bemächtigt hatte, vorbrachte. Dabei suchte sie eifrig unter den Mandeln, und es dauerte nicht lange, so hatte sie gefunden, was sie suchte:

»Wer wagt es Rittersmann oder Knapp!« rief sie, eine Fruchtschaale, auf welche sie die Zwillingskerne gelegt hatte, in die Höhe haltend.

»Ich!« rief der Graf, eifrig die Hand nach dem Teller ausstreckend.

»Halt,« sagte Rose; »erst die Bedingungen, Regeln und Gesetze, unter denen dieses Turnei des Witzes stattfinden soll. Nur die schwerste Probe ist unser würdig.«

»Dann möchte ich mir erlauben,« sagte hier der Pastor, »den gnädigen Herrschaften eine Art dieses Spiels vorzuschlagen, die ich erst kürzlich in einer Hochzeits-Gesellschaft auf einem benachbarten Gute kennen gelernt habe und die wirklich recht witzig und liebenswürdig ist. Diejenigen nämlich, welche sich sonst Du nennen, nennen sich von dem Augenblicke an, in welchem das Spiel beginnt, Sie, und umgekehrt. Wer sich zuerst verspricht, hat natürlich verloren.«

»Wie finden Sie das?« fragte Rose lachend.

»Jedenfalls ziemlich schwer,« erwiderte der Graf.

»Sie werden an mir das Gegentheil erfahren.«

»Ich wäre sehr begierig darauf.«

»Sie werden verlieren.«

»Das halte ich für sehr wahrscheinlich.«

»Ich dächte, Ihr ließet die Sache, die mir, offen gestanden, einen etwas wunderlichen Anstrich zu haben scheint,« sagte Herr von Weißenbach, dessen Stirn sich während dieser Unterhaltung wieder merklich verfinstert hatte.

»Nein, nein,« rief Rose eifrig, »er muß, er muß! gerade weil er sich offenbar und ganz unzweifelhaft fürchtet, muß er. Wie, Herr Graf? ein Weib, ein schwaches Weib übertrifft Sie an Muth! So mag denn der Priester den Ritter beschämen!«

»Geben Sie!« sagte der Graf, die Krystallschaale, die eine Bewegung nach dem Pastor zu machte, aufhaltend.

»Jetzt also, Krieg!« rief Rose lachend.

»Und jetzt wollen wir aufstehen, wenn es Ihnen recht ist,« sagte Herr von Weißenbach, seinen Stuhl mit einer Hast zurückschiebend, die Rosen und dem Grafen entging, nicht aber dem Pastor, welcher, hinter seinen glitzernden Brillengläsern hervor, mit einem Paar in ihrer Art sehr scharfsichtiger, wachsamer Augen. Alles, was während der Mahlzeit vorgefallen war, beobachtet hatte.

Der Graf bat, noch eine Flasche öffnen zu dürfen; Herr von Weißenbach aber sagte, daß es die höchste Zeit sei, die Tafel aufzuheben, wenn sie den Garten, die Gewächshäuser und das Uebrige noch besehen und vor dem Dunkelwerden wieder zu Hause sein wollten.

Dann verließ er, den Arm des Pastors nehmend, den Saal durch die Thür, welche auf die Terrasse führte, von der man unmittelbar in den Garten gelangte.

Rose und der Graf folgten; aber sie schienen es eben nicht sehr eilig zu haben; überdies wußte der Pastor in dem Garten und den Gewächshäusern sehr gut Bescheid; der Graf konnte Herrn von Weißenbach getrost der Führung desselben überlassen.



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