Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Es war die Stunde, in welcher sich der Garten von Lengsfeld am besten präsentierte. Der Wiederschein der glühenden Wolken, mit denen der westliche Horizont umsäumt war, verbreitete ein zauberisches Licht, in welchem sich selbst die steifen Hecken und verkrüppelten Taxusbäume anmuthig ausnahmen, und die Schwanenweiher ordentlich ein poetisches Ansehen erhielten. Die klare, aber noch immer mild warme Herbstluft war durchhaucht von dem würzigen Duft der modernden Blätter; die Astern auf den Beeten waren fast noch die einzigen Blumen, und auch die sprachen deutlicher von dem Winter, der vor der Thür stand, als von dem Sommer, der vergangen war. Eine sanfte Melancholie lag ausgebreitet über der ganzen Natur und fand ihr Echo in dem wehmüthigen Zirpen der Vögel, die keinen lauten freudigen Ton mehr in der kleinen gepreßten Brust zu haben schienen.
Der Graf hatte Rosen den Arm geboten, um sie aus dem Saal in den Garten zu führen; am Fuß der Treppe der Terrasse aber hatte sie mit einer leichten Verbeugung ihren Arm aus dem seinigen gezogen. So gingen sie denn neben einander her, nicht den langen Gang hinauf, den Herr von Weißenbach und der Pastor eingeschlagen hatten, sondern links, wo ein Wäldchen von Lerchenbäumen auf der einen und ein Gewächshaus auf der andern Seite einen Platz einschlossen, in welchem der Gärtner seine besten Zierpflanzen cultivierte. Weder der Graf noch Rose sprach ein Wort; Uebermuth, Witz, Schalkhaftigkeit, Muth schien Rosen auf einmal verlassen zu haben, und was den Grafen betraf, so war seine Brust so mit Liebe zu dem holden Geschöpf an seiner Seite angefüllt, daß er in diesem Augenblick nichts anderes hätte sagen können, als: liebe, geliebte Rose; ich liebe Dich! Hätte Rose ihn ein einziges Mal angelächelt, so würde er es auch gesagt haben; aber sie sah so ernst, so beinahe feierlich aus und hatte die Augen so fest auf den Boden geheftet. Da mußte der Graf auch auf den Boden sehen. Endlich brach denn doch Rose zuerst das Schweigen und sagte:
»Es ist doch nicht so leicht, nicht?«
»Ich sagte es ja gleich,« erwiderte der Graf, tief aufathmend; »aber es ist wohl nur die Ungewohnheit; im Uebrigen, weshalb sollte man nicht? – man nennt ja doch seine Schwestern und Cousinen auch nicht anders, wenn man welche hat; ich habe leider keine, habe nie welche gehabt.«
»Ich auch nicht,« sagte Rose.
»Aber doch Brüder – nein, Brüder nicht, das weiß ich ja – ich wollte sagen: Vettern und dergleichen?«
»Eben so wenig. Ich habe außer meiner Mutter, der ich mich auch nur kaum noch erinnere, nie Jemand gehabt, den ich lieben, dem ich vertrauen konnte, als meinen guten alten Vater. Ja, und weil wir eben vom Vater sprechen, so wollte ich – wollte ich –« Roses Wangen glühten; sie faßte sich aber ein Herz und fuhr entschlossen fort: »Dich bitten, seine Vorurtheile, eine Schwächen zu schonen. Er ist ein alter Mann, der Schweres erfahren hat, und Du bist jung und glücklich; was kann es Dir sein, ob Du einen alten Mann zu Deiner Philosophie bekehrst? und ich leide so darunter, wenn ich Euch uneinig sehe und das kommt in der letzten Zeit viel öfter, als im Anfang. Ich möchte so gern, daß Dich der Vater so recht, wie soll ich sagen? so recht schätzte und liebte, wie Du es ja verdienst, wenn Du gut und freundlich bist, wie Du sein kannst, und nicht stolz und hochmüthig, wie vorhin, wo ich gar nicht mit Dir zufrieden war, Herr Graf; verstehst Du: gar nicht, so daß Du eigentlich durchaus nicht werth bist, daß ich mir die Mühe gebe, Dir den Kopf zurecht zu setzen. Nun, Du antwortest ja nicht, Herr Graf?«
Der Graf schaute mit den Blicken innigster Liebe in das lächelnde Gesicht.
»Ich bin so glücklich,« sagte er, »wenn ich Dich so mich schelten höre.«
Seine Stimme bebte; er hätte gern noch mehr gesagt; aber aus Rose's Mienen war alle Aengstlichkeit von vorhin verschwunden. Wenn sie in diesem Augenblick das fühlte, was er fühlte, konnte sie so klare, übermüthige Augen haben und so lustig lachen, wie sie jetzt lachte und sagte:
»Nun, das ist köstlich! Da predige und predige ich, und anstatt, daß der Sünder in Reuethränen zerfließt und Buße und Besserung gelobt, nennt er sich glücklich, weil ich ihn schelte! O Eitelkeit der Eitelkeiten! Zu bessern ist an uns Herren der Schöpfung nichts, denn wir sind vollkommen; man soll sich nur mit uns beschäftigen; ob man uns schilt oder lobt, das ist im Grunde gleichgültig. Geh', Herr Graf! Du bist, wie sie Alle; Du liebst nur Dich!«
»Und das sagst Du, Du – Rose?« sagte der Graf und ergriff Roses Hand.
Roses Hand zitterte und ihre Stimme klang nicht mehr so keck, als sie erwiderte:
»Und weßhalb nicht ich? ich weniger, als Andre?«
»Weil Du es besser weißt,« murmelte der Graf, und während er so sprach, hob und senkte sich eine Brust und die Worte rangen sich mühsam von den zuckenden Lippen; »weil Du es besser wissen könntest, wissen müßtest, weil –«
»Ah, da sind sie ja, die lieben Flüchtlinge!« rief eine grobe Stimme, die sich bemühte, scherzhaft zu klingen, und der Pastor trat, von Herrn von Weißenbach auf dem Fuße gefolgt, um den Giebel des Gewächshauses herum, an dessen Fensterseite Rose und der Graf zuletzt gegangen waren.
»Es ist die höchste Zeit, daß wir aufbrechen,« sagte Herr von Weißenbach.
Er sah blaß und angegriffen aus.
»Du bist nicht wohl, Vater,« rief Rose, sich ängstlich zu ihm wendend.
»Doch, doch, ich bin wohl; aber es wird spät; laß uns weiter gehen.«
Rose hatte ihres Vaters Arm genommen; der Graf und der Pastor folgten; der Pastor schwatzte unaufhörlich von dem reizenden Nachmittag. Der Graf hörte kein Wort von Allem, was er sagte. Auf dem Hof stand die alte Kalesche schon fertig; Wenzel hatte das Dach zurückgeschlagen, weil der Reitknecht des Grafen ihn auf den Gedanken gebracht hatte, die Kutsche würde sich so besser ausnehmen. Der Graf war unzufrieden damit; Rose war sehr leicht gekleidet und der Abend war merklich kühler geworden.
»Sie werden sich erkälten, Fräulein;« sagte er, während er am Schlage stand.
»Haha: Sie! verloren. Herr Graf, wenn Sie nicht schon vorher verloren hatten!« rief der Pastor, der auf dem Rücksitz saß, und klatschte in die schwarz behandschuhten Hände.
»O, wie freue ich mich auf das Vielliebchen!« sagte Rose, aber in ihren Mienen konnte man nichts von dieser Freude lesen.
»Fort, Wenzel!« rief Herr von Weißenbach.
Der starkknochige Rappe sprang mit einem ungeschickten Satze an; der Wagen rollte schnell davon, zum Hofthore hinaus.