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Der Graf hatte in dem Eifer, mit welchem er den Plan, das Schloß seiner Väter in einen behaglichen Zustand zu versetzen, ergriffen hatte, nicht nur nicht nachgelassen, sondern das Werk in immer größerem Maßstabe betrieben und mit solcher Energie gefördert, daß nach Verlauf von sechs Wochen der junge Architekt, den er aus der Stadt hatte kommen lassen, seine Aufgabe als vollendet ansehen konnte. Der Graf überschüttete den jungen Mann mit Beweisen einer Zufriedenheit und Dankbarkeit, die dieser trotz der vorzüglichen Meinung, die er von sich hatte, in keinem Verhältniß zu dem Verdienst einer Leistungen fand. Der junge Mann wußte nicht, daß der Graf nicht sowohl diese – übrigens wirklich trefflichen Leistungen bezahlte, als vielmehr die Freude, die er in der süßen Erwartung empfand, am nächsten Tage dem geliebten Mädchen dies Alles zeigen zu können. Schon seit einer Woche nämlich war es bestimmt, daß am Sonntag Nachmittag die Freunde von Weißenbach nach Lengsfeld zum Besuch kommen sollten. Rose hatte erklärt, daß sie große Toilette machen und sehr indignirt sein würde, wenn nicht Alles, aber auch Alles ohne Ausnahme auf Lengsfeld ebenfalls große Toilette gemacht hätte. In Folge dieser Drohung war der Graf an dem Morgen des längst ersehnten Tages zu einer ungewöhnlich frühen Stunde auf und begann von seinem Schlafzimmer aus die Runde durch das Haus. Der junge Architekt, dem immer und immer wieder eingeschärft war, nur ja keine Kosten zu scheuen, hatte bewiesen, daß er den Wünschen seines Bauherrn nachzukommen wisse und bei der Dekoration des neuen Lustschlosses des Herzogs, welche er so eben unter Aufsicht des Ober-Landesbauraths vollendet hatte, eine gute Schule durchgemacht habe. Wo die Läden der Residenz des kleinen Landes nicht ausreichten, hatte er an die Magazine der Hauptstadt des großen Nachbarstaates, mit denen er in Verbindung stand, telegraphiert, die sich ihrerseits beeilt hatten, so glänzende Bestellungen schleunigst auszuführen. Was den Reichthum der Einrichtungen betraf, so war – wie dem Grafen jetzt auffiel – nach dieser Seite wohl fast zu viel geschehen; er glaubte, während sein Auge über gewisse Tapeten von gepreßtem Leder, gewisse Vorhänge von schwerem Damast, gewisse Fußteppiche von Plüsch glitt, ein ironisches Lachen von gewissen rothen Mädchenlippen ertönen zu hören. Auch schien ihm jetzt in dieser letzten Stunde die Richtigkeit des Geschmacks mancher Arrangements, die er selbst angegeben hatte, auf einmal sehr zweifelhaft, ja er entdeckte Einiges, das geradezu geschmacklos war, und wovon er nicht begreifen konnte, wie er nur dergleichen habe zugeben, oder gar selbst anordnen können. Dagegen hatte auch wieder Vieles seine volle Zufriedenheit; besonders ein Eckzimmer in der Beletage, dessen Fenster auf den Park von Weißenbach sahen, und das mit seinen reizenden Möbeln (unter denen ein sehr prächtiger Flügel) seinen Büsten, Bildern, Teppichen und Vorhängen für einen Mann (besonders wenn er rauchte) schlechterdings unbewohnbar genannt werden mußte; sodann das Speisezimmer im Erdgeschoß, aus dessen Glasflügelthüren man in den Garten trat, und das der Architekt, auf den speziellen Wunsch des Grafen, ganz im Roccocco dekoriert und meubliert hatte. Der Graf selbst liebte das Roccocco nicht eben sehr; aber er wußte, daß Herr von Weißenbach in demselben die Höhe des Geschmacks erblickte, und sich für ein Stück Hausrath, das den Geist dieser Zeit so recht ausgeprägt trug, ordentlich begeistern konnte. So hatte er denn auch eine große Uhr in den wunderlichst geschnörkelten Formen, die er bisher kaum beachtet hatte, und die der junge Architekt (der ein Kenner in diesen Dingen war) für ein unschätzbares Meisterwerk erklärte, in dieses Zimmer bringen lassen, wo sie sich denn allerdings auf dem Sims des reich vergoldeten Kamins mit ihren pomphaften Ornamenten sehr stattlich ausnahm.
Aus dem Hause ging es auf die Terrasse, die das Schloß auf zwei Seiten umgab, und jetzt mit der renovierten Galerie und mit wirklichen Pflanzen anstatt der Blechungeheuer in den Steinvasen ein ganz anderes Ansehen hatte, als vorher; von der Terrasse in den Garten, wo eben noch die letzten Gänge zwischen den frisch verschnittenen Taxus- und Buchenhecken gesäubert wurden. Der Garten mit seinen schnurgeraden Wegen, viereckigen Schwanenweihern (auf denen vorläufig Enten schwammen, da zwanzig Meilen in der Runde keine Schwäne aufzutreiben gewesen waren), chinesischen Kiosken und anderen Geschmacklosigkeiten des vorigen Jahrhunderts, war dem Grafen ein Greuel, weil alle diese Anlagen das genaueste Gegentheil des regellosen, verwilderten Parks von Weißenbach war, dessen romantisches Dunkel Rose so sehr liebte. Er hätte dies Ungeheuer von Garten mit Stumpf und Stiel ausrotten mögen, wenn sich Buchen und Eichen so leicht wie Schränke und Trümeaus aufstellen und Blumenbeete so bequem hinbreiten ließen wie geblümte Teppiche. Der Graf seufzte und nahm sich vor, seine Gesellschaft möglichst lange im Hause festzuhalten und erst bei Sonnenuntergang, wo der steife Garten ein gewisses melancholisch-freundliches Ansehen bekam, die Flügelthüren nach der Terrasse zu öffnen. Nach Tisch (bei welchem der Graf, wie die alte Haushälterin kopfschüttelnd bemerkte, kaum einen Bissen angerührt hatte) besuchte er noch die Gewächshäuser und seinen Pferdestall, mit dem er vor den Augen des Herrn von Weißenbach Gnade zu finden hoffte. Er klopfte sein Lieblingspferd – eine braune Berberstute, die ihm sein Gastfreund, der Basch-Aga-El-Mokrani in Algerien, geschenkt hatte – zärtlich auf den gebogenen Hals, und das edle Thier rieb den feinen Kopf an einer Schulter, und blickte ihn mit den großen Gazellenaugen fragend an, ob es heute keinen Galopp über die Stoppelfelder weg nach Weißenbach gebe. »Es kommt heute noch besser, Zuleika,« sagte der Graf, »viel besser,« und das Pferd nickte mit dem Kopf und klirrte mit den Halfterketten, als sei ihm nun klar geworden, um was es sich handelte.
Der Graf hatte mehrmals auf der Zunge gehabt, zu fragen, ob er nicht seine Gäste von Weißenbach mit seinem Wagen abholen dürfe, denn er hatte wirklich einige Sorge, daß die alte Familienkutsche unter dem offenen Schuppen nicht mehr ganz sicher in den Federn und Achsen sein möchte; auch war ihm der böse Wille des starkknochigen Rappen, die alte Kutsche bei der ersten Gelegenheit in den Graben an der Seite des Weges zu werfen, kaum zweifelhaft. Trotzdem hatte er nicht gewagt, seine Bitte auszusprechen. Herr von Weißenbach prahlte weder mit seiner Armuth, noch suchte er sie verbergen, aber man fühlte doch, daß dies eine wunde Stelle in seinem Gemüthe war, deren leiseste Berührung er für eine schwere Beleidigung angesehen haben würde. So war denn der Graf klug gewesen und stumm geblieben, obgleich er jetzt, als die Stunde, in welcher er seine Gäste erwarten durfte, vorüberging, ohne daß sie kamen, seine pedantische Zaghaftigkeit verwünschte, und zehnmal auf dem Punkte stand, sein Pferd satteln zu lassen, um ihnen entgegenzureiten und sich zu überzeugen, daß seine Befürchtungen nur zu begründet gewesen seien.
Endlich, als seine Ungeduld den höchsten Grad erreicht hatte, rasselte die alte Familienkutsche auf den Hof. Der Graf eilte mit klopfendem Herzen die Treppe des Perrons hinab seinen Gästen entgegen, und sein erster Blick fiel auf den Pastor, der eben aus dem Wagen gesprungen und dabei ins Stolpern gerathen war. Bei dem unerwarteten und unerwünschten Anblick des geistlichen Herrn war es dem Grafen, als ob plötzlich ein grauer Schleier über die ganze Welt sinke. Er mußte sich sehr zusammennehmen, um Rosen, deren hohe Gestalt jetzt zusammengedrückt in der Wagenthür erschien, und Herrn von Weißenbach, der zuletzt kam, nicht die grausame Enttäuschung, die er empfand, merken zu lassen. Herr von Weißenbach hatte Wichtiges mit dem Herrn Pastor zu besprechen, war bei ihm vorgefahren und hatte ihn vermocht, mit auf das Schloß zu kommen, wo er des freundlichsten Empfanges von Seiten des Grafen versichert sein könne. Der Pastor wagte zu hoffen, daß eine so mächtige Fürsprache auch einem noch Unwürdigeren die Thore des gastlichen Hauses öffnen würden; der Graf verbeugte sich und sagte mit einem Lächeln, das vielleicht etwas gezwungen war, es bedürfe einer Entschuldigung ganz und gar nicht. Er suchte Rose's Augen, um aus ihnen in dem Unglück, das ihn betroffen, Trost zu schöpfen, aber Rose's Blicke schienen die seinen zu vermeiden. Das verstimmte den Grafen nur noch mehr.
Rose hatte ihre Ankündigung, zu diesem Tage eine glänzende Toilette zu machen, nicht ausgeführt. Sie trug dasselbe schlichte Kleid von hellem Sommerzeug mit einem zarten rosa Muster, in welchem sie der Graf an jenem Morgen unter den Ahornbäumen zum ersten Male gesehen hatte; nicht den mindesten Schmuck, kein Band, keine Schleife; selbst der breitkrämpige Strohhut erfreute sich noch immer keiner anderen Garnitur. Der Graf wußte nicht, ob er diese offenbar absichtliche Einfachheit günstig oder ungünstig für sich auslegen sollte; er war zu verwirrt und zu verstimmt, um über irgend Etwas in diesem Augenblicke mit sich ins Reine zu kommen. Er wußte nur, daß er sich in seinem Leben noch auf nichts so gefreut, als auf den Augenblick, wo er Rosen durch sein Haus, das er für sie und nur für sie geschmückt, werde führen können, daß dieser Augenblick gekommen sei, und so oder so, allen Werth, allen Zauber, alle Poesie für ihn verloren hatte.