Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiunddreißigstes Capitel.

Es kommen Tage im Leben, an die man sich erinnert, wie an einen seligen Traum, der nichts von Erdenschmerzen und Erdenschranken weiß, in welchem wir, wie auf Adlerfittigen, machtvoll und hoch über all' den kleinen, erbärmlichen Hindernissen schweben, an denen in der Wirklichkeit unser Fuß so kläglich strauchelt.

Von so traumhafter Schöne war der Tag, an welchem ich die denkwürdigste Reise meines Lebens machte, ein wundervoller Sommertag, dessen strahlende Herrlichkeit auch nicht ein Wölkchen trübte, und der dennoch fortwährend von linden, balsamischen Lüften durchschauert wurde, die mir Stirn und Wangen umspielten, während der Zug in donnernder Eile durch die lieblichen Gefilde Thüringens brauste. Es war die erste Reise, die ich in meinem Leben machte, die erste wenigstens, die keine Geschäftsreise war, und auch die erste, die mich aus meiner nordischen Heimath mitten hinein in die Auen Mitteldeutschlands führte. Die Neuheit dieser Natur mochte dazu beitragen, mir Alles doppelt lieblich und anmuthig erscheinen zu lassen; ich konnte mich nicht satt sehen an den schönen Wellenlinien der Hügel, an den schroffen Felsen, deren Gipfel zerfallene Burgen krönten und deren Fuß die klaren Wasser vielfach sich schlängelnder Flüßchen netzten; an den blumigen Wiesengründen, in welchen frisch-grüne Bäume den Lauf der Silberbäche bezeichneten, an den Städten und Städtchen, die so behaglich im Grunde der Thäler sich streckten; an den Dörfern, die so lauschig aus Baum und Busch hervorschauten. Es war nicht Sonntag; aber es sah Alles sonntäglich aus, auch die Menschen, die einsam in den Feldern arbeiteten und stehen blieben, wenn der Zug vorüberrollte, oder die sich auf den freundlichen Bahnhöfen umtrieben. Es war, als ob Alle nur zum Vergnügen reisten, und als ob an einem solchen herrlichen Tage selbst das Abschiednehmen nicht schmerzlich sei. Und nun gar das Wiedersehen; die freudigen Gesichter, das Händedrücken und Küssen und Umarmen! Eine jede dieser Scenen beobachtete ich mit dem gespanntesten Interesse und immer mit einem Gefühl von Rührung, als ob mich das Alles ganz speciell anginge.

So kam ich am Nachmittag nach E., wo ich die Eisenbahn verließ und für die noch übrige Strecke einen Wagen nahm, deren mehrere auf dem Bahnhofe hielten. Es dauerte nicht lange, bis wir aus der Ebene in ein Thal gelangten, durch welches der Weg zwischen Hügeln rechts und links in vielen Windungen »auf den Wald« führte. Die Fahrt dauerte mehrere Stunden und die Sonne neigte sich schon gegen Abend, als wir langsam einen Berg erklommen, den steilsten, beschwerlichsten, aber auch den letzten, sagte der Kutscher. Wir waren Beide abgestiegen und gingen rechts und links neben den großen, starkknochigen Pferden, denen wir mit Tannenzweigen die Stechfliegen und die Bremsen abwehrten.

Brr! sagte der Kutscher; die Pferde standen. Wir hatten die Höhe des Berges erreicht und die Thiere sollten sich verschnaufen.

Das ist unser Stolz, sagte der Mann, als ich mit Staunen eine uralte Eiche betrachtete, die hier auf einer freien Stelle mitten im Tannenwalde riesenhaft mit den knorrigen, verwitterten Aesten in den blauen Himmel ragte. Das ist eine Merkwürdigkeit, fuhr er demonstrirend fort; meilenweit kommen die Leute hierher, um den Baum zu sehen und wie oft er schon gemalt ist! noch in diesen Tagen von einem Fräulein, das seit ein paar Wochen sich bei uns aufhält. Ich habe sie selbst hierher gefahren; ich fahre sie sehr oft.

Ich hatte, in meinen Gedanken verloren, unterwegs, ganz gegen meine Gedanken, wenig mit dem Manne gesprochen, ja ihn kaum beachtet, und nun war mir plötzlich, als ob er und ich alte Bekannte wären und die allerinnigsten, gemeinsamen Interessen hätten. Ich fragte ihn, wie die Dame heiße, nicht, als ob ich im mindesten gezweifelt, daß er von Paula rede, und dennoch erschreckend, wie er nun ihren Namen aussprach, der in seinem Munde einen wunderlich fremden Klang hatte. Und jetzt wurde der Mann, der nur auf die Gelegenheit gewartet zu haben schien, sehr gesprächig und erzählte, während wir über den Rücken des Berges und hernach in rasselndem Trabe bergab fuhren, über die Schulter gewandt, gar Vieles von dem lieben Fräulein und von der alten Dame, ihrer Mutter, die blind sei und alle Menschen gleich an der Stimme erkenne, und von dem alten Herrn mit der Adlernase und dem langen, grauen Schnurrbart und den krausen, weißen Locken, der ja eigentlich wohl nur der Diener sei, aber die Herrschaft ginge mit ihm um, wie mit ihresgleichen; und gestern sei auch noch ein junger Herr gekommen mit einem sonnverbrannten Gesicht und braunen, glänzenden Augen und langen, braunen, glänzenden Haaren, der ja wohl der Bruder von dem Fräulein und auch Maler sei.

Der Wagen klapperte bereits auf dem holprigen Pflaster des Städtchens, als der Gesprächige noch immer von Paula und den Ihren erzählte. Ich hatte ihm gesagt, daß ich um der Dame willen gekommen sei und daß er mich deshalb nach dem Gasthofe fahren möge, welchen er mir als ihre Wohnung bezeichnet hatte. Der Wagen hielt. Der Oberkellner mit zwei kleinen Myrmidonen stürzte heraus; ein paar Jungen, die im Nothfalle als Führer eintreten mochten, kamen heran, sich den fremden Herrn anzusehen. Ich war so erregt, daß ich kaum zu fragen vermochte, ob ich ein Zimmer haben könne und ob von den Herrschaften Jemand zu Hause sei? Ich konnte ein Zimmer haben, aber von den Herrschaften war Niemand zu Hause; die gnädige Frau mache mit dem jungen Herrn einen Spaziergang und das Fräulein sei schon früh am Nachmittage mit Herrn Süßmilch in die Berge gegangen; sie gehe jeden Nachmittag in die Berge; sie male oben, und pflege immer erst nach Sonnenuntergang zurückzukommen.

Und Sie kennen den Ort?

Ei freilich, ganz genau! der Karl hier hat dem Fräulein oft genug die Sachen hinaufgetragen; gelt, Karl? Du weißt, wo das Fräulein malt?

Ei freilich, sagte der Bursche; soll ich den Herrn hinbringen?

Ja gewiß, sagte ich, und wandte mich schon zu gehen.

Der Herr braucht gar nicht so zu eilen, rief der aufmerksame Oberkellner hinter mir. Sie sind in einer halben Stunde oben.

Mein kleiner Führer lief voran; ich folgte ihm durch die mit Linden besetzte Hauptstraße des Städtchens, wo vor den Thüren hier und da die Kurgäste saßen, hinaus in die Felder, über denen goldiger Abendsonnenschein lag, in den Wald, der uns mit kühler Dämmerung umfing. Wir gingen eine breite Fahrstraße, die zum Theil sehr steil anstieg, hier und da an kleinen Wiesenmatten vorüberführte und sonst auf beiden Seiten vom schönsten Hochwald eingefaßt war. Es war wunderbar still in dem kühlen Tann; kein Lüftchen regte sich, kaum, daß dann und wann ein Vöglein zirpte, von oben blaute der Himmel herein und mir war, als ob ich geradewegs in den blauen Himmel stiege. Niemand begegnete uns, erst als wir schon beinahe auf der Höhe uns rechts von der Hauptstraße in den Wald schlugen und bald auf einen freien Platz gelangten, auf welchem ein Jägerhaus lag, sah ich ein paar Leute, die dort auf Bänken saßen und Bier tranken. Aus dem Walde, gegenüber der Stelle, auf welcher wir eben die Lichtung betraten, kam ein Mann, mit einem Burschen hinter sich, der Malergeräth trug. Ich erkannte sofort den Wachtmeister; mein kleiner Führer sagte: der die Gerätschaften trage, sei sein Bruder, der Hans, und sie kämen von dem Platze. wo das Fräulein gemalt habe. Der Platz sei nur noch fünf Minuten entfernt und man brauche nur immer den Weg geradeaus zu gehen, aus welchem der Herr Wachtmeister und der Hans eben gekommen seien.

Mein alter Freund hatte, lebhaft mit dem Burschen sprechend, der ihm die Sachen nicht sorgsam genug tragen mochte, mich nicht bemerkt, und das war mir lieb, denn ich fühlte, daß ich nicht im Stande war, ihn zu begrüßen. So winkte ich denn auch nur dem Burschen, zurückzubleiben und schritt quer über die Lichtung in den Weg, den er mir bezeichnet hatte.

Es war ein breiter Weg, mit feinem, kurzen Rasen, auf den der Fuß lautlos trat, und die Tannen auf beiden Seiten waren so mächtig, daß sie ihn gänzlich überwölbten und das tiefe Abendroth kaum hier und da durch die grüne Dämmerung spielte. Dabei leitete er fortwährend sanft in die Höhe und ich schritt dahin, ohne daß ich mir bewußt war, daß ich ging und meine Glieder regte, gerade wie man im Traum aufwärts schwebt. Eine athemlose Erwartung, eine freudige Bangigkeit erfüllten mich ganz. So könnte eine unsterbliche Seele empfinden, die im nächsten Augenblicke vor ihren Richter treten soll, und in all' ihrem bangen Zagen doch weiß, daß dieser Richter die Gnade selbst ist.

Und jetzt wurde es vor mir lichter; und mit jedem Schritte lichter, und ich trat heraus aus dem Hochwald auf die Lehne des Berges, der rechts hin mächtig aufragte zu seinem waldgekrönten, poesieverklärten Gipfel, während nach links, gen Westen, ein tiefes Waldthal sich abwärts senkte, über welchem weit drüben die Bergterrassen purpurn in den Abendhimmel stiegen. Die Sonne war bereits verschwunden, aber ihr Schein lag noch rosig auf dem leichten Gewölk, das über den Bergen schwebte, und, von dem Wiederschein der rosigen Wolken beleuchtet, stand eine weibliche Gestalt wenige Schritte vor mir an einem moosbekleideten Felsblock, auf den sie sich mit dem rechten Arm stützte, während in der linken Hand der breitrandige Strohhut lässig hing. Sie blickte unverwandt in das Abendgold und ihre reinen Züge hoben sich klar von dem lichten Hintergrunde. So sah ich sie wieder.

Aber sie sah mich nicht, sie hörte mich nicht, denn der weiche Rasen dämpfte meinen Schritt. Ich wollte ihren Namen rufen, aber ich konnte es nicht, und jetzt wendete sie langsam ihr Gesicht zu mir und blickte mich an mit großen, geisterhaft starken Augen, ohne daß sich eine ihrer Mienen regte, als wäre ich eine Erscheinung, auf die sie gehofft, die sie selbst durch die Gewalt ihrer Sehnsucht herbeigezaubert. Und dann, als ich die Arme ausbreitete und »Paula, liebste Paula!« stammelte, da flog es wie ein himmlisches Leuchten durch ihr liebes Antlitz, ein leiser Schrei entrang sich ihren Lippen und sie lag an meiner Brust mit stürmischem, leidenschaftlichen Weinen, als hätten alle die Schmerzen, die sie so lange Jahre erduldet, auf diesen einen Moment gewartet, um hervorzubrechen in heißen, unaufhaltsamen Thränen.

Was ich gesprochen, was sie gesprochen, während wir da oben standen und am Himmel ein rosiger Streifen nach dem andern verblich – ich wüßte es nicht mehr zu sagen. Und dann gingen wir durch den schweigenden Wald zurück, Hand in Hand, einen anderen Weg, als den mich der Knabe geführt, einen Weg, der Anfangs auf sanftem Rasengrunde gerade bergab leitete, so daß das Thal im letzten Abendschein zu uns heraufgrüßte, dann eine Strecke unter hohen Buchen, wo es sehr dunkel war, so daß Paula mich sorgsam an der Hand hielt, bis wir dann wieder an lichtere Stellen kamen und das Thal abermals vor uns lag, aber jetzt schon ganz in Grau gehüllt, so daß ich glaube, der Weg hinab müsse länger gewesen sein, als der hinauf, obgleich er mir so kurz vorkam, so kurz!

Dann sehe ich uns, das heißt: die Mutter, Paula, Oskar und mich an einem gedeckten Tischchen in einer der Lauben vor dem Hotel sitzen und der Schein des Lichtes in der Glasglocke fällt hell in die sanften Züge der Blinden, die von Zeit zu Zeit mit ihrer weichen Hand über meine Stirn streicht, und in Paula's liebes Antlitz, das von innerer Glückseligkeit mit einem holden Glanz überstrahlt ist, und in das bildschöne, jugendfrische Gesicht Oskars, dessen dunkle Augen blitzen, während er erzählt, wie er einen großen Auftrag von einem jungen, englischen Lord, dessen Bekanntschaft er in Rom gemacht, erhalten habe; – mächtige Wandgemälde für das Schloß seiner Herrlichkeit in den schottischen Hochlanden; – und wie er, bevor er dahin gehe, doch erst mit der Schwester, seinem Lehrer und Meister, habe sprechen und ihren Rath einholen müssen; und dabei schüttelt der Jüngling sein langes Haar nach hinten und hebt das volle Glas mit dem perlenden Champagner und leert es auf unser Wohl, und die Mutter lächelt uns freundlich zu, und in der Oeffnung der Laube erscheint, als unsere Gläser zusammenklingen, jener Kopf mit dem grauen Schnurrbart und dem krausen weißen Haar, der in der modernen Kunstgeschichte eine so überaus wichtige Rolle spielt.

Dann stehe ich am offenen Fenster meines Zimmers und horche dem Rauschen des Nachtwindes in den Zweigen und dem Plätschern des Brunnens in dem Garten vor dem Hotel und meine Blicke hangen an einem Stern, der vor den andern aus dem nächtlichen Himmel gar herrlich strahlt.

Und die alte Wehmuth regt sich tief in meinem Herzen und meine Augen füllen sich mit Thränen.

Aber als ich wieder hinzuschauen vermag, strahlt der Stern noch herrlicher denn zuvor, als wäre es ein Auge, das aus den Gefilden der Seligen liebevoll auf mich herniedergrüßte.


 << zurück weiter >>