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Den seligen Tagen, von denen ich nicht mehr zu sagen wüßte, wie viel ihrer gewesen sind, folgten andere, die ebenso voller Unruhe und mancherlei Trübungen waren, wie jene voller Ruhe und Sonnenschein.
Wir waren Alle in Berlin: der Commerzienrath, meine Braut, Fräulein Duff und ich; der Commerzienrath mit den Damen in einem Hotel; ich wieder in meiner alten Clause auf dem ruinenhaften Hof, wo meine Gegenwart jetzt nöthiger war, als je. Allerdings nicht in den Augen Herminens, die lachend behauptete, daß, hätte das Gerümpel nun schon so lange dagelegen, es auch noch einige Zeit länger liegen könnte. Ich war anderer Ansicht. In der That war keine Stunde zu verlieren. Ich hatte dem Commerzienrath nach langem Reden und Zureden die Genehmigung zur Ausführung meines Lieblingsprojectes glücklich abgelockt und abgetrotzt. Der Bauplan war längst fertig in meinem Kopfe und jetzt auch durch die Beihülfe eines tüchtigen Architecten fertig auf dem Papier. Es gab weniger und mehr zu thun, als ich gedacht; aber wir hatten uns darüber verständigt, daß wir bis zum Herbst mit der Hauptsache zu Stande kommen würden, und während des Winters bereits in den neu errichteten Gebäuden arbeiten könnten, vorausgesetzt, daß uns die nöthigen Geldmittel nicht ausblieben. In Beziehung dieses letzteren kritischen Punktes war ich allerdings nur halb im Klaren; freilich, ohne meine Schuld. Es hatte mir trotz aller meiner Mühe nicht gelingen wollen, den Commerzienrath zu einer offenen Darlegung seiner Verhältnisse zu vermögen. Noch jetzt gedenke ich nicht ohne ein Gefühl peinlicher Beschämung der endlosen Debatten, die ich mit ihm über unsere gemeinschaftlichen Angelegenheiten hatte, und aus denen ich einmal voll der schönsten Hoffnungen, und das andere Mal voll schwerer Sorgen von ihm ging. Konnte er über die nöthigen Mittel verfügen? Natürlich konnte er es, und es war eine Lächerlichkeit, nur im mindesten daran zu zweifeln! Hatte er einen Beschluß von solcher Tragweite wirklich reiflich erwogen? Natürlich hatte er es! Ob man ihn für einen kindischgewordenen, alten Mann halte, der nicht wisse, was er wolle? Das war eine böse Frage, die ich aus sehr erklärlichen Gründen mich wohl hütete, ihm jemals in das Gesicht zu bejahen, und für die ich doch in meinem Innern manchmal kaum eine andere Antwort fand. Sicherlich war der Mann nicht mehr, der er gewesen war, der er gewesen sein mußte, um seine Hände in hundert großen und schwierigen Unternehmungen zugleich zu haben und alle zu seinem Nutz und Frommen auszuführen. In manchen Augenblicken schien ihm ein Bewußtsein von der Veränderung, die mit ihm vorgegangen, aufzugehen, aber er klagte dann nicht sich, sondern die Zeit an, die eine andere geworden sei, in der man mit den alten Theorien nicht mehr durchkomme. Mit den alten Theorien, und er hätte hinzusetzen sollen: mit den alten Praktiken und Kniffen! War der Mann doch sein Leben lang ein Parteigänger der Fortuna gewesen; ein Freibeuter auf dem großen Meer des Handels und Wandels; ein Ritter aus dem Stegreif auf der langen Karawanenstraße nach dem Gold-Eldorado; ein Spieler an dem grünen Tisch des Zufalls, der oft Kupferpfennige für Goldstücke eingesetzt und, vom Glück und von der Zeit begünstigt, Goldstücke für Kupferpfennige eingestrichen hatte. Und nun war die Zeit wirklich, wie er wohl herausfühlte, eine andere geworden, und – das Glück hatte ihn verlassen. Er leugnete nicht, daß er große Verluste erlitten habe, freilich ohne jemals sich darüber anzulassen, wie groß diese Verluste in Wirklichkeit seien. Er hatte niemals weder Schiff noch Ladung versichert, und sich, wie er sagte, immer ausgezeichnet dabei gestanden; jetzt waren ihm kurz hintereinander ein paar mit Mann und Maus untergegangen, und wenn er auch auf die letzteren beiden Items kein sehr großes Gewicht lege, so sei es doch um die besonders kostbaren Ladungen einigermaßen schade; eine plötzlich eingetretene Veränderung der Kornpreise hatte den Werth der ungeheuren Vorräthe, die auf seinen Speichern in Uselin lagerten, auf die Hälfte herabgesetzt; dazu das Fehlschlagen seiner Hoffnungen auf Zehrendorf, an das der junge Fürst, dessen Vater noch immer schwer krank in seiner Residenz Prora darniederlag, nicht mehr zu denken schien, und für welches Herr von Granow, der früher so eifrig gewesen, plötzlich nichts mehr bieten wollte, wie ich vermuthete: auf Antrieb des Justizraths, der von den Angelegenheiten des Commerzienraths mehr wissen und von diesem seinem Wissen einen übleren Gebrauch machen mochte, als irgend mit den Interessen seines Clienten verträglich war. Anderes kam hinzu. Die lange und vielfach gewundene, nach Uselin führende Wasserstraße zwischen der Insel und dem Festlande hatte sich in Folge gröblicher Vernachlässigung von Seiten der Regierung so verschlechtert, daß schon jetzt nur noch Fahrzeuge von geringem Tiefgang aus- und einlaufen konnten, und die Gefahr einer vollständigen Versandung kaum vermeidlich schien. Damit war aber der Handel der Stadt, dessen bedeutenderer Theil in den Händen des Commerzienraths geruht hatte, so gut wie vernichtet; die großen Hafen-Anlagen, die er zum Theil auf seine Kosten hergestellt, seine riesigen Speicher und Etablissements waren werthlos geworden oder doch tief im Werthe gesunken. Schon seit einer Reihe von Jahren hatte sich der Handel immer mehr nach dem günstiger gelegenen St. gewandt, und seitdem nun diese Stadt gar mit der Hauptstadt und weiter mit dem Innern des Landes durch eine Eisenbahn verbunden war, konnte Uselin vollends nicht mehr mit der glücklicheren Schwester concurriren. Der Commerzienrath gerieth jedes Mal außer sich, sobald er auf dies Thema kam; er erklärte die Eisenbahn für eine Erfindung des Teufels, und daß es eine Sünde und Schande sei, von ihm zu verlangen, er solle nun noch das Satanswerk, das ihn ruinirt, mit seinen eigenen Mitteln fördern. Stellte ich ihm dann vor, daß der Speer, der die Wunde geschlagen, auch Kraft besitze, die Wunde zu heilen; daß er aus der neuen Conjunctur Vortheil ziehen müsse und in der glücklichen Lage sei, Vortheil und zwar den allergrößten ziehen zu können, wenn wir meinen Plan der Erweiterung unserer Fabrik nur resolut durchführten, so erfaßte er diese Idee, die ihm einen Augenblick vorher noch so abscheulich erschienen war, mit der größten Begeisterung, um den Tag darauf Alles zu widerrufen.
Es waren peinliche, peinliche Wochen, und der düstere Schatten, den sie warfen, trübt noch jetzt in meiner Erinnerung den Sonnenschein, der, Gott sei Dank, auch in dieser Zeit so manche Stunde umspielte.
Mit wie reiner Freude erinnere ich mich meines Wiedereintritts in die Fabrik, der ganz und gar einem Triumphzuge glich! Wie kam es mir jetzt bei dem fast wunderbaren Glückswechsel, der in meinen Verhältnissen eingetreten war, zu Statten, daß ich seiner Zeit mit meinen Kameraden vom Hammer und von der Feile stets brüderlich verkehrt, daß ich keine Gelegenheit hatte vorübergehen lassen, ihnen gefällig zu sein, sie mit Rath und That zu unterstützen! Nie hat mich eine Auszeichnung, nie ein Erfolg – und es hat in meinem späteren Leben an beiden nicht gefehlt – so stolz gemacht, als das Bewußtsein und die Gewißheit, daß unter allen diesen Männern mit den harten, schwieligen Händen und den ernsten, von der Arbeit, ach! und nur zu oft von der Sorge durchfurchten Gesichtern vielleicht kein Einziger war, der mir mein glückliches Loos mißgönnt hätte; daß die bei weitem Meisten es mir von Herzen gönnten. Noch sehe ich sie vor mir – und sie haben mir in trüben Stunden wie Sterne geleuchtet – die wohlwollenden, von innerer Befriedigung lachenden Augen, mit denen sie auf den Malayen blickten, als er an der Seite des Directors durch die verschiedenen Werkstätten ging und sich ihnen vertraulich und privatim als ihr neuer Chef vorstellte. Noch höre ich das Hurrah, das sie mir ausbrachten, als ich sie am nächsten Tage offiziell hatte zusammenkommen lassen und ihnen eine Ansprache machte, in welcher ich ihnen in wenigen Worten sagte, was mein Herz bis zum Ueberlaufen erfüllte. Und als das dreimalige Hurrah verklungen war, mit welch' mächtigem Räuspern setzte der Obermeister Roland zu einer Rede ein, welche die beiden Lieblingsthemata des braven Mannes: »Immer drauf« und »Gieb es ihnen!« in den kühnsten Redewendungen und mit einer souverainen Verachtung des Unterschiedes von Mir und Mich behandelte, und deren Schluß sich in dem Urwald des Backenbartes und in Rührung spurlos verlor! Und war es nicht des guten Klaus Stimme, die dann eine zweite Hurrah-Serie intonirte, im Vergleich mit welcher die erste, sowohl was die Länge, als was die Intensität betraf, ein Kinderspiel gewesen war! Wie muß ich jetzt noch lachen, gedenke ich der Verlegenheit, in die ich gerieth, als eine Stunde später mir das technische Bureau in corpore und in weißen Binden und Handschuhen seine Aufwartung machte, und sein Sprecher, Herr Windfang, mich mit dem Kalifen von Bagdad verglich, der lange Zeit unbekannt und unerkannt, aber nicht ohne Anerkennung – Herr Windfang that sich nicht wenig auf das Wortspiel zu gute – unter seinen Getreuen gewandelt sei, um endlich die erhabene Stellung einzunehmen, die ihm von Rechts wegen gebühre!
Ja, das sind liebe und schöne Erinnerungen, um so lieber und schöner, als die kommenden Jahre die Versprechungen, die damals in der Fülle der Herzen hinüber und herüber gemacht wurden, nicht Lügen gestraft, im Gegentheil Alles im reichsten Maße erfüllt haben. Bis auf den heutigen Tag sehe ich, wenn ich den Stamm der Arbeiter in der Fabrik mustere, zum größten Theil die lieben, alten Gesichter von damals, die allerdings im Laufe der Jahre nicht jünger, aber mir dadurch wahrlich nicht weniger lieb geworden sind. Und die ich nicht mehr sehe, die hat mir, bis auf wenige Ausnahmen, der große Concurrent abspenstig gemacht, den wir Tod nennen.
Aber was das für ein Elend ist mit einem Bräutigam, der nichts als Hochöfen, Gußstahlblöcke und andere entsetzliche Dinge im Kopfe hat! sagte Hermine; und was das wieder für häßliche Falten auf der Stirn sind! weg damit! – und sie strich mir mit der Hand über Stirn und Augen; – wenn ich das gewußt hätte, ich würde mich nie in Dich verliebt haben, Du rußiges Ungethüm! Und sie warf sich in meine Arme und flüsterte mir in die Ohren: Sage es nur gleich, daß Du Deine alten, häßlichen Arbeiter mehr liebst, als mich, damit ich weiß, was ich zu thun habe!
Du hast heute mit mir einen Rundgang durch die Fabrik zu machen und hübsch artig und freundlich gegen die häßlichen Menschen zu sein und vor Allem auch recht artig und freundlich gegen mich.
Wozu das Letztere, mein Herr?
Damit sie sehen, wie glücklich ich bin.
Was haben sie davon?
Sehr viel!
Aber was?
Die Gewißheit, daß, wenn sie kommen, mir ihre Noth zu klagen, sie einen Menschen finden, der bereit ist, auch Andere glücklich zu machen, wenn er kann.
Du bist das drolligste Ungeheuer, das mir noch vorgekommen ist. Wann wollen wir gehen?
Gleich!
Und wir gingen durch sämmtliche Räume der Fabrik und Hermine machte große, verwunderte Augen und klammerte sich manchmal fest an meinen Arm, war dann aber doch sehr gut und lieb zu den Leuten; aber ein wenig kühl und vornehm gegen die Herren vom technischen Bureau, so vornehm und kühl, daß dem Herrn Windfang die zierlichste Anrede, die er schon seit acht Tagen auswendig wußte, in der Kehle stecken blieb.
Warum hast Du denn die armen Jungen so ungnädig behandelt? fragte ich.
Arme Jungen? erwiderte Hermine, die Lippen schürzend; die sahen mir gar nicht so aus, und der Herr Windfang, oder wie er heißt, schien mir ein rechter Fant. Ich habe nicht versprochen, gegen ihn und seinesgleichen gnädig zu sein.
Aber sie gehören doch zu uns.
Niemand gehört zu uns; wir gehören uns; Du mir und ich Dir; und das merke Dir ein für alle Mal, Du schlechter Mann!
Ich lachte; aber ich mußte doch über eine Eigenthümlichkeit in dem Charakter meiner Braut nachdenken, die mir heute Morgen nicht zum ersten Male aufgefallen war. Sie nahm den Satz, daß wir uns gehörten, daß wir uns einander Alles in Allem seien, ganz buchstäblich, und wenn sie davon eine Ausnahme zu machen schien, so war es eben nur scheinbar, und immer nur zu Gunsten von Leuten, die einer wirklichen Hülfe bedürftig waren, und zu denen sie sich herablassen konnte, wie eine Fürstin zu ihren Unterthanen. Gegen solche konnte sie von einer, wenn auch stolzen, doch hinreißenden Liebenswürdigkeit sein.
Ich werde es nie vergessen, wie sie auf einem Streifzuge, den wir in den ersten, seligen Tagen durch die Insel machten, und auf welchem wir das einsame Stranddorf besuchten, das mir von meiner Flucht her so merkwürdig war – wie sie da bei der alten Schifferwittwe saß, ihr die braunen, runzligen Hände streichelte; ihr die Thränen von den braunen, runzligen Wangen wischte und sie tröstete, daß ihr Sohn ja trotz alledem noch wiederkommen könne; ihr Geschichten erzählte, die sie sich in dem Augenblicke erfand: von Matrosen, welche nach zehn, nach zwanzig Jahren als reiche Leute zurückgekehrt seien; und wie sie uns unterdessen an Kindesstatt annehmen sollte, und wie wir ihre alten Tage behaglich und freundlich machen wollten. – So war sie auch, als wir nach Uselin kamen, über alle meine Erwartung gütig zu meiner Schwester gewesen, die eben aus ihrem siebenten Wochenbett aufgestanden war; sie hatte die nichts weniger als schönen, oder auch nur liebenswürdigen Kinder der Reihe nach beschenkt, sich bei dem eben geborenen zur Pathe angemeldet, hatte sich sogar über die plumpen Höflichkeiten und Verbeugungen meines Schwagers nicht in ihrer alten Weise lustig gemacht.
Die armen Menschen, sagte sie, sieben Kinder und solche kleine Wohnung! und solchen kleinen Vater! Wie hast Du nur in der kleinen Wohnung so groß werden können, Georg, ohne die Decke mit Deinem harten Kopf einzustoßen? Und Dein Vater ist auch so groß gewesen? und hat auch so einen harten Kopf gehabt! Da wundert es mich nicht, daß Ihr Beide in der Nußschale von einem Hause es nicht zusammen habt aushalten können. Aber wir müssen für sie sorgen, Georg; vergiß das ja nicht!
Und wiederum, wenn auch in etwas anderer Weise hatten sich, als wir hierher gekommen waren, mein guter Klaus und seine Christel mit sammt ihren vier Jungen – zu denen sich in Kürze ein fünfter gesellen sollte – ihrer Huld zu erfreuen. Sie hatte es nicht verschmäht, die drei unendlichen Treppen hinaufzusteigen, und sich von Christel sämmtliche Geheimnisse der höheren Wasch- und Plättkunst erklären und von Klaus die lange Liste der Tugenden seiner Frau aufzählen zu lassen.
Wenn ich, sagte sie, dem Klaus nicht so gut sein müßte, weil er Dir immer so treu gewesen ist, so hat er jetzt vollends bei mir gewonnen durch seine abgöttische Liebe zu seiner hübschen, dicken Frau. Siehst Du, Georg! Den kannst Du Dir zum Muster nehmen. Für den fängt die Welt mit dem Augenblick an, als die Wellen seine Christel, die gewiß damals schon so fett und weiß und appetitlich gewesen ist, an den Strand trieben; und wenn sie so schlecht sein und vor ihm sterben sollte, legt er sich hin und stirbt auch. – Und so thue ich, wenn Du stirbst! hatte sie hinzugefügt, und mich dann mit aufeinander gepreßten Zähnen und finster zusammengezogenen Brauen zornig angeblickt.
Nein, gegen die Armen, gegen Alle, die abhängig waren, oder doch so schienen, konnte diese stolze Natur gütig und herablassend genug sein, und vor Allem durften die Menschen, gegen die sie gut sein sollte, keinen Anspruch an mein Herz machen, keinen Anspruch an das in mir, worin sie einzig und allein leben, das sie einzig und allein ausfüllen wollte. Die leiseste Befürchtung, es könne noch Jemand außer ihr Besitz nehmen von dem, was ihr gehörte, erfüllte sie mit einer Angst, die sie bei der Lebhaftigkeit ihres Temperaments selten lange verbarg, und welche sich dann bald in finsterem Zorn, bald in heißen, leidenschaftlichen Thränen Luft machte. Aber wie dürfte ich, den die Schöne, Stolze so geliebt hat, klagen über etwas, das doch nur ein Uebermaß dessen war, woran Andere einen so kläglichen Mangel kläglich zur Schau tragen! Nein, nein! kein Wort der Klage soll meine Feder hier in den Acten meines Lebens registriren, kein Wort! so wenig, wie eines über eure Lippen kam, ihr Guten, Edlen, die ihr mich doch auch liebtet, und sehr liebtet, und die ihr still auf die Seite tratet, damit auch nicht ein unbewachter Blick aus euren Augen sie bei mir verklage, oder mich bei mir selbst!
Und Hermine fühlte das wohl, wußte es wohl, und sagte dann, wenn Paula oder Doctor Snellius so selten kamen – und ihre Wangen glühten, indem sie es sagte: ich sollte mich schämen, daß ich Dich Deinen Freunden raube, und Deine Freunde Dir; es ist bettelhaft, es ist erbärmlich, es ist unedel, ich weiß es; ich weiß es; aber, Georg, ich kann nicht anders; ich kann keinen Brosamen weggeben, der von dem Tische unserer Liebe fällt. Ach, könnte ich doch nur auf einer einsamen Insel mit Dir leben, fern im fernsten Ocean; und eines Tages käme ein Erdbeben und die Insel versänke in den Fluthen, und wüßte Keiner auch nur den Ort, wo wir glücklich gewesen! Aber hier, unter all' den Menschen, die sich für Dich interessiren, oder für die Du Dich interessirst, für die Du arbeiten mußt; und die noch viel schlimmeren, die gar kein Anrecht irgend welcher Art an Dich, an uns haben, und ein so grausames Vergnügen daran finden, uns zu überlaufen, uns auszufragen, uns anzustarren, als wären wir zu weiter nichts da auf der Welt! Ich denke schon mit Schaudern an Uselin, und an die neugierigen Gesichter sämmtlicher Useliner und Uselinerinnen, von denen sich Keiner das erhabene Schauspiel wird entgehen lassen wollen, wie der große, kluge Georg die kleine, dumme Hermine heirathet! Und nun gar das himmlische Weinen der beiden Eleonoren, von denen Du die eine verrathen hast, Du Ungeheuer! oder Duff'chens Freudenthränen, wenn sie aus des Pastors Munde hört, was sie schon seit acht oder neun Jahren weiß! Es ist zu schrecklich! Dürfen wir denn nicht hier in irgend eine Kirche gehen und uns trauen lassen in der Dämmerstunde von einem Pastor, der uns zum ersten, und wenn es auf mich ankommt, auch zum letzten Male sieht, und als Zeugen ein paar alte Männer oder Frauen, die gerade da sind, und uns am nächsten Tage nicht kennen, wenn sie uns auf der Straße begegnen?
Ich kann nicht sagen, daß dieser Wunsch Herminens für mich auch nur im mindesten etwas Abschreckendes gehabt hätte. Im Gegentheil! Aber mein Schwiegervater fühlte nun einmal die Verpflichtung, wie er sagte, als erster Bürger von Uselin sein einziges Kind auch in Uselin trauen zu lassen. Er blieb dabei mit einer Hartnäckigkeit, die er seiner Tochter gegenüber sonst nicht an den Tag legte, und so mußten wir denn schon das Unabänderliche über uns ergehen lassen. Auch kann ich nicht sagen, daß der Tag so fürchterlich war, wie er uns erschienen.
Die Rede des guten Pastors, der mich seiner Zeit schon eingesegnet hatte und schon damals ein alter Mann gewesen sein muß, war allerdings sehr lang und sehr confus; die St. Nicolaikirche sah so kahl und nüchtern wie immer aus, und die Hunderte von Augenpaaren, welche sämmtlich unverwandt an uns hingen mit einem Ausdruck, als sollten wir demnächst hingerichtet werden, machten den öden Raum um nichts behaglicher; das große Diner in der Villa der Commerzienrathes war äußerst pomphaft und feierlich, und die über Tisch ausgebrachten Toaste ein wenig abgestanden und geschmacklos – ich leugne das Alles nicht; aber dann war es doch auch wieder die Kirche, in deren Sprengwerk ich so halsbrechende Kunststücke ausgeführt und aus deren Schalllöchern ich so oft sehnsüchtig über Land und Meer in die Ferne geblickt hatte; unter den vielen gleichgültig neugierigen Gesichtern war doch eins oder das andere, das ich an diesem Tage ungern gemißt hätte; und dann war der Tag – ein Tag im hohen Sommer – wunderschön, der Himmel blau, mit großen, weißen Wolken, die Luft durchsichtig klar – die alte Stadt sah ordentlich jung aus in dem prächtigen Sonnenschein und die fadenscheinigen Uniformen von Luz und Bolljahn, den unsträflichen Männern, welche die vor der Kirche versammelte Straßenjugend meisterlich im Zaume hielten, wie neu – und in dem Hafen, wo alle Schiffe geflaggt hatten, spielten die bunten Wimpel so lustig in dem frischen Ostwind; auf der breiten Wasserfläche tanzten die kleinen Wellen so munter; von jenseits schimmerten die niedrigen, weißen Kreideufer der Insel so hell herüber und auf der Insel lag Zehrendorf, wohin wir aufbrachen, als die scheidende Sonne die weißen Wolken mit rosigen Streifen säumte.
Nein, nein! der Tag war schön, und sein Andenken soll mir geheiligt sein, alle Zeit.