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Dreizehntes Capitel.

Ein lebhafter Wind wehte mir entgegen, während mein Wagen den niemals sehr guten und jetzt im Frühling sehr schlimmen Weg von Fährdorf nach Zehrendorf hinauffuhr. Der Kutscher auf dem Sitze vor mir hatte sich dicht in eine Pferdedecke gehüllt, und saß zusammengekauert da, während die kräftigen Pferde Mühe hatten, den leichten Wagen durch die klatschenden Schlaglöcher zu ziehen. Es war gegen acht Uhr Abends, und der Mond war seit einer Stunde aufgegangen, aber nur von Zeit zu Zeit trat seine glänzende Scheibe aus den schweren dunkeln Wolken hervor. Dann flog ein trügerisches Licht, dem alsbald wieder schwarze Schatten folgten, über verregnete Felder und Wiesen, über Torfmoore, in denen hier und da das Wasser aus den Gräben blickte, und über die öden Haiden.

Und wie da vor mir auf der breiten Fläche Lichter sich mit den Schatten jagten, also zog durch meine Seele die wechselnde Erinnerung an Freude und Leid, das ich einst auf dieser Stelle erfahren. Die Tage, die ich hier verlebt, sie kamen alle, alle wieder, und gingen an mir vorüber mit lächelnden, mit trüben, mit bethränten, mit schmerzverzerrten Gesichtern. Aber der lächelnden Tage waren weniger als der anderen mit den düsteren Zügen, und wenn es mir schon auf der ganzen Reise hierher fast wie ein Frevel erschienen war, daß ich wagen könne, an diesen Ort zurückzukehren, so übernahm diese Empfindung mich jetzt so, daß es mir war, als müsse ich dem Kutscher zurufen: Nicht weiter! Nicht einen Schritt weiter hinein in diese Nacht!

Wir sind gleich oben, sagte der Mann, und er hieb auf die müden Pferde.

Ich weiß nicht, warum er mich trösten zu müssen glaubte; vielleicht hatte er mein lautes Stöhnen auf den schlechten Weg gedeutet.

Wir waren in der That gleich oben. Ich wußte das so gut wie der Mann. Da unten links das Licht, das aus der Erde heraufzuflimmern schien, kam aus einem kleinen Hause, welches sich an den Fuß der Hügel lehnte; und jene breiten weißlichen Flecke, die sich so seltsam von den schwarzen Hügeln abhoben, waren die großen fürstlich Prora'schen Kreideschlämmereien, zu welchen das Haus gehörte, und nicht weit vor uns, auf dem Kamm des Hügels, den wir uns hinaufarbeiteten, war ein Stück des Waldes, desselben Waldes, in welchem ich damals vier Tage lang vor den Häschern geflohen war, wie ein Hirsch vor den Hunden. Aber das hilft nun nichts; sind wir so weit den Hügel hinauf, müssen wir auch über den Kamm. Vorwärts! Vorwärts, ihr wackeren Pferde! Vorwärts!

Und die wackeren Pferde stampften muthig weiter und da war der Kamm. Hügelab ging's auf sandigem, festem Wege, und von dem Meere her kam auf gewaltigen Schwingen der Wind gefahren, daß der Kutscher sich dichter in seine Decke hüllte. Ich aber, ich athmete hoch auf und sog mit vollen, vollen Zügen die langentbehrte Labung ein.

Ja, gegrüßt, viel tausendmal gegrüßt sei mir, lieber, herber, heimatlicher Meerwind, du Freund aus meiner Kindheit Tagen! Du, nach dem ich mich gesehnt habe in den langen Straßen der Stadt, wo ein Zerrbild von dir in krampfhaften Stößen und tückischen Launen schrill und heiser um die Ecken pfiff! Du, der du mir so oft das junge Herz mit unsäglichem Entzücken erfüllt hast, und mir auch jetzt wieder die trüben Erinnerungen aus der Seele scheuchst, wie du die schwarzen Wolken am Himmel droben vor dir her jagst, daß der ganze breite Rücken der Ebene, die sich nach dem Vorgebirge aufwärts zieht, jetzt, fast in Tagesklarheit getaucht, vor meinen Augen liegt! Da, das große Gehöft mit dem parkähnlichen Garten und dem plumpen weißen Kirchthurm, der eben im Mondenscheine gespensterhaft aufleuchtet, ist Herrn von Granow's Gut Melchow; und jenes dort weiter unten, welches sich, nur noch als ein dunkler Fleck erkennbar, aus der Ebene abhebt, ist Trantowitz; und über Trantowitz hinaus, in der Richtung, aus welcher der Wind kommt, liegt Zanowitz zwischen den Dünen, an deren Fuß das ewige Meer brandet. Melchow, Trantowitz, Zanowitz – welche Erinnerungen sich für mich an diese Namen, an diese Orte knüpfen! Aber der gute, kräftige Wind duldet sie nicht. Er kommt herangerauscht in großen gleichmäßigen Schwingungen, wie auf Adlerfittigen. Fort, ihr trüben Gedanken, fort! Hört ihr nicht, wie es aus dem Brausen des Windes deutlich spricht mit ehrlicher, mürrischer Stimme? Das Alles konnte geschehen, und du glaubtest schon, du könntest es nicht tragen, und bist doch nicht zusammengebrochen, sondern stehst strack auf deinen Füßen, trägst auch den Kopf noch sicher zwischen den breiten Schultern; und das kommt daher, weil ich dich von Jugend auf umrauscht habe, und du mich eingesogen hast, daß dir das Herz kraftvoll gegen die Rippen schlägt, wenn du auch weißt, daß jene Lichter, die dort linker Hand auf der Höhe blitzen, aus den Fenstern des Schlosses kommen müssen, das der neue Herr auf der Stelle des alten erbaut hat, welches du in jener Schreckensnacht in Flammen hast aufgehen sehen.

Nicht auf der Stelle des alten, das alte hatte ein wenig hügelaufwärts gelegen, so daß es stolz in's ganze Land blickte. Der neue Besitzer wollte nicht stolz, er wollte vor dem Nord- und Ostwinde geschützt wohnen, und da hat er ganz recht gethan, sich etwas tiefer nach der Ebene zu anzusiedeln. Und wo sind die mächtigen prachtvollen Bäume des Parks geblieben, der bis an das alte Haus herangetreten war und hier mit dem Walde zusammenhing?

Die sind abgehauen, sagte der Kutscher; der ganze Park ist abgeholzt; es ist kaum noch so viel da, daß man einen Sarg daraus machen könnte.

Ich weiß nicht, wie der schweigsame Mensch zu diesem melancholischen Resultat gekommen ist; aber es berührt mich seltsam. Hatte nicht der wilde Zehren einst, als wir am Fenster standen und in den Park hineinschauten, gesagt, daß ihm nicht mehr so viel davon gehöre, um sich einen Sarg daraus zimmern zu können; und daß da alles jetzt blos noch stehe, um von seinem Nachfolger abgehauen und zu Gelde gemacht zu werden! Nun war es so gekommen, wie der unglückliche Mann gesagt hatte, und das Licht da leuchtet von dem neuen Herd, den der neue Herr sich gebaut auf den Trümmern des alten!

Weg ihr bösen Gedanken! Blase kräftiger, du lieber, herrlicher Meerwind! Und nun, ihr wackeren Pferde! im Galopp bergab die feste, glatte Straße! Und jetzt durch die Thorfahrt rasselnd hinein in den Hof, vor das große stattliche Haus, auf dessen Thürschwelle, als der Wagen hält, die Diener mit Lichtern erscheinen.

Wohl mehr aus Neugierde, als aus Diensteifer, welchen, war er wirklich vorhanden, die unscheinbare Tracht des Ankömmlings und die Kleinheit seines Koffers jedenfalls abgekühlt hätten. Mußte ich doch, als ich über den unteren Hausflur schritt, in einem dort aufgestellten großen Spiegel sehen, wie der Bediente, der mit dem Koffer unter dem Arm voranging, mit Hülfe der Zunge, die er in die rechte Backe steckte, ein gräuliches Gesicht schnitt und damit wohl unzweifelhaft andeuten wollte, daß es doch für einen so feinen Herrn, wie er, im Grunde eine Schande sei, ein so jämmerlich zerknittertes Exemplar von einem abgeschabten Seehundskoffer die hellerleuchtete Treppe im Herrenhause von Zehrendorf hinauf in das beste Fremdenzimmer tragen zu müssen. Das Gemüth des trefflichen Mannes war durch die Incongruenz der Erscheinung des Fremden und der Aufträge, welche ihm geworden waren, augenscheinlich auf's tiefste beleidigt und er gab, während er den unseligen, kleinen Seehundskoffer auf das Gestell mehr hinwarf, als hinlegte, dieser Zerrissenheit einen Ausdruck, indem er über die Achsel gewandt zu mir sagte: Sie sind ja wohl ein Landsmann von unserer Mamsell?

Wer ist Ihre Mamsell? fragte ich im harmlosesten Ton; denn ich muß zu meiner Schande gestehen, daß mich die despectirliche Art und Weise des Mannes keineswegs beleidigt hatte, sondern mir im Gegentheil ein gar nicht unbedeutendes Vergnügen gewährte.

Na, die alte Schachtel mit den – hier machte der Mann eine Bewegung mit der rechten Hand an der Achsel herunter, in welcher eine lebhafte Phantasie flatternde Locken zu erblicken glauben konnte.

Sie meinen vielleicht Fräulein Duff? lieber – wie heißen Sie denn eigentlich? sagte ich.

Wilhelm Kluckhuhn, erwiderte der Mann. Sie können mich, der Kürze wegen, immerhin Wilhelm nennen.

Danke verbindlichst! Also, lieber Wilhelm, weshalb meinen Sie, daß ich ein Landsmann von Fräulein Duff sei?

Na, die Alte hat Sie mir ja erschrecklich auf die Seele gebunden, und daß Sie dies Zimmer hier nach dem Garten heraus haben müßten, das eigentlich unserm Fräulein ihr Zimmer ist, und das sie auf einmal vor drei Tagen, Gott mag wissen warum, zum Fremdenzimmer gemacht hat. Es kam uns gleich ein bischen spanisch vor, denn Sie sind ja wohl man Arbeiter in unserem Herrn seiner Maschinenfabrik in Berlin, wie der Herr heut über Tisch einmal sagte. Ich bin auch aus Berlin, müssen Sie wissen; na, und dann weiß man doch, daß so ein Maschinenbauer auch nicht gerade der Großmogul ist. Aber was soll man machen? Wir müssen doch schließlich tanzen, wie die Alte pfeift, denn sonst verklatscht sie uns bei dem Fräulein, gnädigen Fräulein wollt' ich sagen, und die bringt's dann an den Herrn, na, und dann ist natürlich der Teufel los.

Also das ist der Geschäftsgang, sagte ich lachend, von Fräulein Duff durch das gnädige Fräulein zum Herrn Commerzienrath.

Na, manchmal geht es auch umgekehrt, erwiderte der philosophische Wilhelm, was aber nicht so schlimm ist, denn mit der alten Schachtel wird man schon fertig, das ist eine ewige Wahrheit.

Ich mußte, als ich die Lieblingsphrase meiner guten Freundin aus dem frechen Munde dieses ironischen Schelmes hörte, mich umwenden, um nicht geradezu herauszulachen.

Na, und dann soll ich Sie auch fragen, ob Sie noch zu Abend essen wollen? Unten wird in einer halben Stunde Thee getrunken. Dazu giebt es aber nichts, als alten Zwieback und dünne Butterstullen, und da meinte sie denn, Sie würden Hunger haben.

Und den habe ich auch, lieber Freund, sagte ich, und Sie würden mir einen großen Gefallen thun, wenn Sie mir so ein kaltes Huhn und ein Glas Wein, oder was Sie sonst haben, bringen wollten. Und dann noch eins, lieber Wilhelm, ich bin nicht eigentlich ein Landsmann von Fräulein Duff; aber Sie würden mich doch verbinden, wenn Sie der Dame fürderhin in meiner Gegenwart nicht anders als in ehrerbietiger Weise Erwähnung thun wollten. So, jetzt können Sie gehen, und dann fragen Sie bei dem Herrn Commerzienrath an, ob ich ihm noch vor dem Thee meine Aufwartung machen darf!

Ich hatte diese letzten Worte in bedeutendem Tone gesagt, wahrhaftig nicht, um meinen Freund in der Livrée zu demüthigen, sondern nur, weil ich es, als Gast des Hauses, für meine Schuldigkeit hielt. Der scherzhafte Wilhelm sah mich halb verwundert, halb mißtrauisch an, und mochte finden, daß das alte Sprichwort trau, schau, wem! auch ein Stück von einer ewigen Wahrheit enthalte.

Während er meine Aufträge auszuführen ging, blickte ich mich, nicht ohne einige Neugier, in dem Gemache um, das bis vor drei Tagen das Zimmer des schönen launischen Mädchens gewesen sein sollte. Wunderlich! so wunderlich, daß es kaum glaubbar schien! Und doch sah es nicht aus wie ein Gastzimmer, und noch dazu für einen so bescheidenen Gast. Ein dicker, weicher Teppich in türkischem Muster bedeckte den Boden in seiner ganzen Ausdehnung. Die Vorhänge an den Fenstern, die Portièren an den Thüren waren von schwerem Damast, ebenfalls in einem bunten, phantastischen Geschmack, mit kostbaren Schnüren und Troddeln reich verziert. Mit dieser in meinen Augen orientalischen Pracht harmonirte die übrige Ausstattung. Ein sehr niedriger und sehr breiter Divan zog sich beinahe um drei Seiten des Gemaches herum, während auf der vierten, der Fensterseite, niedrige Sessel in den Nischen standen, und zwischen den Fenstern ein kostbarer, mit Perlmutter ausgelegter Schrank aus Rosenholz angebracht war. Von der Decke hing an vergoldeten Ketten eine Ampel von rothem Glase herab, welche trotz der beiden Kerzen, die auf dem Tische standen, ein sanftes Licht in dem Zimmer verbreitete. Als ich den einen Vorhang, hinter welchem ich eine Thür vermuthete, auseinanderzog, erblickte ich in einer tiefen Nische ein breites, niedriges Bett mit seidenen Kissen und Decken. Ich ließ den Vorhang wieder fallen.

Und abermals blickte ich mich in dem Zimmer um, in immer tieferer Verwunderung über den sonderbaren Empfang, den man mir hier bereitet hatte. Auf dem Rosenholzschrank stand eine Vase mit frischen Blumen: Hyacinthen und Krokus. Als ich mich über die Vase beugte, den Duft einzuathmen, fiel mir ein blaues Seidenband in die Augen, welches sich durch die Blumen schlängelte. Auf dem Band schienen Buchstaben mit goldenen Zeichen gestickt, aus denen ich, als ich genauer zusah, die Worte entzifferte: Suche treu, so findest Du!

In einem plötzlichen Uebergang meiner Stimmung, als müßte ich mich wehren gegen den wunderlichen Spuk, lachte ich gerade heraus, lachte ganz toll, schwieg aber plötzlich und ließ schnell die blaue rätselhafte Schlange wieder in ihren duftigen Versteck gleiten, als in diesem Augenblicke Wilhelm Kluckhuhn mit einem großen Präsentirbrett erschien, von welchem er mir einen der niedrigen vor dem Divan stehenden Tischchen mit einer vortrefflichen Collation besetzte.

Nun, wann wünscht mich der Herr Commerzienrath zu sprechen? fragte ich, als Wilhelm, die Serviette unter dem Arm, in der respectvollen Entfernung von sechs Schritten vor mir stehen blieb.

Der Herr Commerzienrath wird es sich zur Ehre schätzen, den Herrn Ingenieur beim Thee zu empfangen, erwiderte er.

Ich schaute auf, mir den Mann genauer anzusehen; seine Ausdruckweise, ja selbst der Ton seiner Stimme waren so ganz verändert. Und wie war ich denn so plötzlich zum Ingenieur avancirt? Es mußte ihm irgend etwas passirt sein, was seinen Gedanken über den neuen Gast eine andere Richtung gegeben hatte.

Ich sann darüber nach, was es wohl gewesen sein mochte, aber es war eine unnöthige Mühe: Wilhelm Kluckhuhn gehörte nicht zu den Leuten, die ein Geheimniß in verschwiegener Seele verborgen halten können.

Das gnädige Fräulein wird nicht beim Thee erscheinen, sagte er, und begleitete diese Worte mit einem tiefen, bedeutungsvollen Räuspern.

So, warf ich im gleichgültigen Tone hin, den das lebhafte Pochen meines Herzens Lügen strafte.

Ja, fuhr der Mittheilsame fort. Ich war eben unten im Salon, um den Herrn Commerzienrath zu befragen, wann er den Herrn Ingenieur – Wilhelm Kluckhuhn legte einen scharfen Accent auf das letzte Wort – zu sprechen wünsche. Beim Thee natürlich, sagte der Herr Commerzienrath. Ich möchte ihn ganz familiär empfangen. – Willst Du nicht heute Abend erst einmal mit ihm allein sprechen? sagte das gnädige Fräulein. – Das gnädige Fräulein war nämlich ganz plötzlich von dem Clavier, an welchem sie noch eben gespielt und gesungen, aufgestanden und nach der Thür gegangen, wo ich stand. – I, Gott bewahre, sagte der Herr Commerzienrath. Wo willst Du denn hin? – Ich will auf mein Zimmer, sagte das gnädige Fräulein; ich habe schon den ganzen Tag Kopfschmerzen gehabt. – Da kommst Du am Ende gar nicht wieder, sagte der Herr Commerzienrath. Das gnädige Fräulein sagte gar nichts, denn sie war schon an mir vorbei zur Thür hinaus, und ich sage Ihnen, Herr Ingenieur: ein paar Backen hat sie gehabt, wie meine Aufschläge hier; und Wilhelm Kluckhuhn deutete mit dem Zeigefinger der Rechten auf den ponceaurothen Aufschlag seines linken Aermels.

Dies Alles ist höchst merkwürdig, sagte ich.

Ja wohl! sagte Wilhelm, indem er die Augenbrauen hoch auf seine flache Stirn hinaufzog, und die Winkel seines nicht eben kleinen Mundes hufeisenförmig nach unten bog, sehr merkwürdig. Und die Andern fanden es auch, denn sie sahen sich Alle an, so! und Wilhelm Kluckhuhn riß seine kleinen Augen so weit als möglich auf und starrte mich in einer Weise an, daß ich einen Augenblick glaubte, er habe den Verstand verloren.

Wer sind die Andern? fragte ich.

Na, der Herr selbst, und Mamsell – wollte sagen Fräulein Duff, und der Herr Steuerrath und die Frau Steuerräthin –

Die sind auch hier? fragte ich nicht gerade angenehm überrascht.

Ja wohl, schon drei Wochen, erwiderte Wilhelm, aber noch soll der erste Tag kommen, wo einer von uns gesehen hätte, wie ihnen das läßt; und er machte mit dem Daumen und Zeigefinger der rechten Hand eine eigentümliche Bewegung über die Fläche der linken hin. Na, und die schnitten Alle Gesichter! und der Herr Commerzienrath sahen sehr grimmig drein, nahmen sich aber zusammen, was sonst gar nicht seine Gewohnheit ist, und sagte: das ist ja schade, aber das hilft nun nicht, ich werde den Herrn Ingenieur doch zum Thee bitten müssen. Ahpropoh! – ich bitte um Verzeihung! aber wir sagen so immer in Berlin: – warum haben der Herr Ingenieur mir nicht gleich gesagt, daß Sie der Herr Ingenieur sind?

Es ist gut, lieber Wilhelm, sagte ich, und Sie können abräumen, und wenn es Zeit ist, kommen Sie und rufen mich.

Als der redselige Wilhelm mich mit den Eßsachen verlassen, sprang ich von dem Divan auf und schritt in einer Erregung, die ich vor dem Manne sorgfältig verheimlicht hatte, in dem Teppichgemache auf und nieder. Die kleine Geschichte, welche ich eben gehört, gab mir mehr Stoff zum Denken, als ich für den Augenblick bewältigen konnte. Es mußte eine eigenthümliche Scene gewesen sein, sonst hätte sie nicht auf das keineswegs weiche Gemüth Wilhelm Kluckhuhn's einen solchen Eindruck machen können. Und weshalb waren die Kopfschmerzen Herminens gerade in diesem Augenblick so arg geworden? Und weshalb hatten sich meine alten Freunde – der Herr Steuerrath und die geborene Kippenreiter – so bedenklich angesehen?

Das Alles hatte nur eine Auslegung, denn eine zweite, die etwa noch möglich gewesen wäre, verwarf meine Bescheidenheit sofort. Das schöne Mädchen zürnte mir noch immer seit dem Zusammentreffen auf dem Dampfschiff. Aber, wenn das der Fall war, was hatte ihre Anfrage bei Paula nach mir zu bedeuten gehabt? woher das Interesse, welches sie doch offenbar an meinem Schicksal nahm? Ich sah sie wieder vor mir, wie ich sie auf dem Dampfschiff gesehen: die rothen Lippen fest aufeinander gepreßt, und aus den blauen Augen feurige Zornesblitze auf mich schießend. Sie hatte mir gesagt, ich müsse mir von ihrem Vater helfen lassen, denn ihr Vater sei reich; und ich hatte ihr geantwortet, gerade deshalb werde ich mir nicht von ihm helfen lassen. Lag denn die Sache jetzt nicht gerade so? Wollte ich denn etwas von ihm? War ich nicht vielmehr gekommen, dem reichen Manne einen Rath zu geben, an welchem es ihm selbst zu gebrechen schien? einen Rath, der, wenn er ihn befolgte, ihn reicher machen mußte, als er je gewesen war? Nein, ich kam nicht als Bittender in dieses Haus! Ich konnte mein Haupt stolz erheben, wie es dem freien Manne zukommt; und wenn es eine Ironie auf meine niedrige Stellung sein sollte, daß man mich hier in dies Prunkgemach gewiesen, so brauchte ich ja nur vornehm im Herzen zu fühlen und die kleine Differenz war vollständig ausgeglichen!

Wenn es Ihnen jetzt gefällig wäre; sagte Wilhelm Kluckhuhn, in der Thür erscheinend. Ich hatte die Absicht gehabt, meinen besten Anzug, welcher nebst der nöthigen Wäsche und einigen Manuscripten und Zeichnungen den ganzen Inhalt des Koffers bildete, anzulegen, um mich der Gesellschaft unten würdig zu präsentiren; die radicale Stimmung aber, in welche ich mich glücklich hineingeredet, ertrug dergleichen kleinliche Rücksichten nicht, und ich erfüllte nur ein Herzensbedürfniß, indem ich so, wie ich ging und stand, meinem Führer die breite, wohlerleuchtete Treppe hinab auf den unteren Flur bis vor eine Thür folgte, welche er mir dienstwillig öffnete, und durch welche ich ohne eine Spur von Herzklopfen in einen sehr großen, reich möblirten, durch Lampen, die auf verschiedenen Tischen standen, wohl erhellten Salon trat.

An einem dieser Tische, ganz im Hintergrunde des Zimmers, saß die Gesellschaft, welche aus dem Commerzienrath, seinem Schwager, dem Steuerrath, dessen Gemahlin und dem Fräulein Duff bestand. Der Commerzienrath kam mir mit weit ausgestreckter Hand entgegen, schon von ferne mit seiner lauten Stimme rufend, daß er sich unendlich freue, seinen lieben jungen Freund bei sich zu sehen.

Ich habe Sie freilich schon lange bei mir gehabt, fuhr er fort, nachdem er meine Hand ergriffen hatte; ein halbes Jahr schon, und ohne es zu wissen; es ist schändlich! aber diese Mädchen nehmen ja keine Vernunft an! Da machen sie um nichts und wieder nichts ein Geheimniß aus Dingen, die zu erfahren man es sich unter Brüdern seine tausend Thaler kosten lassen würde.

Diese Versicherungen wurden mit so viel Eifer gegeben, daß, wenn ich je daran gezweifelt, ob der Commerzienrath von meiner Anwesenheit in seiner Fabrik unterrichtet gewesen sei, diese Zweifel jetzt vollständig beseitigt waren. Er hatte es gewußt, aber er hatte kein Interesse daran gehabt, es zu wissen, als bis ich ihm von wirklichem erheblichen Nutzen sein konnte.

Vielleicht war es diese Beobachtung, welche mich die Freundschaftsversicherungen des reichen Mannes so kaltblütig entgegennehmen ließ; aber ich mußte lächeln und das Herz ging mir auf, und meine beiden Hände streckten sich unwillkürlich aus, als jetzt das gute Fräulein Duff den Theekessel, an welchem sie beschäftigt gewesen war, stehen ließ, und mit einem schüchternen Lächeln auf den schmalen Lippen und mit einem wehmüthig schmachtenden Aufschlage der blassen Augen auf mich zuschwebte. Sie hatte ihre rechte Hand erhoben, so, daß die Fingerspitzen nach unten fielen, ungefähr in der Weise, wie eine Königin auf der Bühne andeutet, daß sie einen Handkuß des betreffenden Vasallen wünsche oder erwarte. Aber die gute Dame dachte gewiß an dergleichen nicht, es war nur ihre Art, Jemandem die Hand zu reichen, und so nahm ich denn diese dünne, blasse Hand und drückte sie herzlich, wenn auch vorsichtig. Die sensitive Natur des guten Fräuleins hatte sofort herausgefühlt, wie ehrlich ich es mit diesem Händedruck meinte. Sie erwiderte denselben mit nervöser Heftigkeit; ihre blassen Augen füllten sich mit Thränen, und sie flüsterte zu mir empor: »Grämen Sie sich nicht! und zürnen Sie ihr nicht! es ist nicht Haß, es ist jungfräuliche Schüchternheit – verzweifeln Sie nicht – harren Sie aus – suche treu –

Fräulein Duff hatte nicht Zeit, ihre Lieblingsphrase zu beenden, denn der Commerzienrath wandte sich wieder zu mir und zog mich nach dem Tisch, an welchem der Steuerrath und seine Gattin, seitdem ich das Zimmer betreten, kerzengerade, ohne sich von der Stelle zu rühren, gestanden hatten, wie ein paar Gestalten in einem Wachsfigurencabinet.

Sie glauben nicht, wie sich mein Schwager und meine Schwägerin freuen, Sie wieder zu sehen, rief der Commerzienrath, dem die Schadenfreude aus den kleinen glitzernden Augen sah.

Unendlich erfreut, sagte der Steuerrath, mir zwei Finger seiner langen weißen Hand entgegenstreckend, die ich nicht nahm.

Unsäglich erfreut, sagte die Steuerräthin, mit einem starren Blick auf die Lampe vor ihr.

Ich freute mich weder unendlich noch unsäglich und sagte daher weder das eine, noch das andere; dafür betrachtete ich mir desto genauer das liebenswürdige Paar, an welchem die Zeit keineswegs spurlos vorüber gegangen war. Die immer etwas hohe Stirn des Steuerraths war bis zum Scheitel hinauf kahl geworden; in sein langes, glattes, aristokratisches Gesicht hatten sich tiefe Furchen gegraben. Die Augen erschienen mir kleiner und ausdrucksloser, und der Mund größer. Noch schlimmer hatten die ungalanten Jahre der geborenen Kippenreiter mitgespielt. Ihr Haar war allerdings dichter und glänzender als früher; aber der schnöde Verdacht, daß sie diesen erfreulichen Zuwachs der segensreichen Kunst eines Perrüquiers verdanke, wurde bei einem zweiten Blick zur Gewißheit. Und auch sonst entbehrte ihr Gesicht einer künstlichen Nachhülfe nicht. Die bereits stark eingefallenen Wangen waren von einem Roth überhaucht, das zu zart war, um ganz natürlich zu sein, und die dünnen, blassen Lippen spielten jetzt über einem paar Zahnreihen von tadelloser Weiße. Die Geborene hatte sich mit einem Worte um das Doppelte der Jahre, die ich sie nicht gesehen, verjüngt, nur der Ausdruck ihrer schmalen, stechenden Augen war, da er nicht schlimmer werden konnte, derselbe geblieben, und das breite, rothe Band ihrer Haube, welches sie, vermuthlich um die eingefallenen Wangen zu verbergen, unmittelbar unter dem Kinn in einer kühnen Schleife zusammenzuknüpfen pflegte, nickte noch in der alten, häßlichen Weise bei jedem Worte, das sie sagte, hin und her.

Man hatte wieder um den Theetisch Platz genommen. Der Commerzienrath führte die Unterhaltung, bei der es weniger auf die Ergötzung seines Schwagers, als auf sein eigenes Amüsement und nebenbei auf meine Belehrung abgesehen schien. So lernte ich gleich innerhalb der ersten fünf Minuten, daß der junge Fürst von Prora noch immer auf Rossow residire und daß Arthur ihm in seiner Verbannung Gesellschaft leiste.

Denn es ist eine Verbannung, schrie der Commerzienrath seinen Schwager an, Sie mögen sagen, was Sie wollen; ich weiß es vom Justizrath Heckepfennig, den der alte Fürst als seinen Justiziarius zu dem Familienrath zuziehen mußte, in welchem ein Langes und Breites darüber verhandelt ist, ob er den Herrn Sohn für einen Verschwender erklären lassen solle oder nicht. Der alte Herr hat sich zuletzt bestimmen lassen, dem Herrn Sohn noch eine Frist von einem halben Jahr zu gewähren, die er auf dem Lande zubringen soll, während man unterdessen mit seinen Gläubigern abrechnen wird. Auch eine schöne Situation für einen Fürsten, nicht?

Gekrönte Häupter sind selten glücklich; sagte mit einem tiefem Seufzer Fräulein Duff, welche sich eben mit einer Handarbeit zu uns gesetzt hatte.

Ich dachte, die Fürsten hatten nur Hüte, sagte der Commerzienrath mit einem höhnischen Grinsen; indessen ich armer Plebejer bin in solchen Dingen incompetent; Sie müssen das besser wissen, Herr Schwager.

Ohne Frage; erwiderte der Angeredete zerstreut.

Sie denken gewiß an Ihren liebenswürdigen Sohn, Herr Schwager, fuhr der Commerzienrath fort, und ob es wohl eine passendere Gesellschaft für einen Menschen seinesgleichen gibt, als einen jungen Fürsten, der auf dem besten Wege ist, sich zu ruiniren. Ich finde es sehr begreiflich, daß Sie bei dem Gedanken ein Gesicht machen, wie ein Lohgerber, dem die Felle weggeschwommen sind.

Verzeihen Sie, Herr Schwager, aber ich dachte in diesem Augenblick nicht an Arthur, erwiderte der Steuerrath; vielmehr daran, ob die Unterhandlungen über den Verkauf von Zehrendorf, die Sie mit Seiner Durchlaucht neuerdings wieder angeknüpft haben, und die nebenbei zu beweisen scheinen, daß Sie Seiner Durchlaucht doch mehr Einsicht und Geschäftskenntniß zutrauen müssen, von Erfolg sein werden.

Was hat denn das mit seiner Weisheit oder Narrheit zu thun, rief der Commerzienrath, oder ja doch! denn ein je größerer Narr er ist, desto theurer werde ich es an ihn verkaufen können. Uebrigens weiß ich gar nicht, ob ich die Erlaubniß dazu von meiner Tochter erhalten werde. Sie will ja durchaus nicht, daß es in andere Hände kommt. Freilich, sie hat adeliges Blut in ihren Adern! Nicht wahr, Frau Schwägerin? Und da muß sie die Sache natürlich anders ansehen, als ich armer Roturier. Ich hätte es schon längst verkaufen können; unter Andern an Herrn von Granow, der mir ein sehr schönes Gebot gemacht hat, und als einer unserer nächsten Nachbarn es auch am besten brauchen kann. Indessen Hermine behauptet, Frau von Granow sei eine zu gewöhnliche Person – vermuthlich, weil sie keine Geborene ist, wie Sie, verehrteste Frau Schwägerin, denn die Geborenen können nicht gewöhnlich sein, Frau Schwägerin? – aber was ich sagen wollte, Hermine behauptet, ich dürfe ihr nicht eine solche Nachfolgerin geben. Ja, du lieber Gott! sie wird Niemanden finden, den sie für würdig hält, höchstens Herrn von Trantow.

Wie geht es dem? rief ich.

Nun, sehr gut, erwiderte der Commerzienrath; er ißt und trinkt und schläft, weshalb sollte es ihm also nicht gut gehen? Ja, das ist ein großer Liebling von meiner Hermine; ich glaube, sie wäre im Stande, ihn zu heirathen, wenn sie ihn nur einmal nüchtern sehen könnte.

Fräulein Duff mußte über so entsetzliche Worte die Hände zusammenschlagen, und einen Blick auf mich richten, in welchem ich, wenn ich scharfsichtig gewesen wäre, unzweifelhaft irgend eine ewige Wahrheit gelesen haben würde, während der Steuerrath und seine Gattin ein paar blitzschnelle, verständnißvolle Blicke unter einander wechselten. Ich bemerkte ein leises, ermuthigendes Winken in den Wimpern des Steuerraths, auf welches ein leichter Hustenanfall der Geborenen und dann die Bemerkung folgte: es gibt ein altes Sprüchwort, lieber Herr Schwager, an welches ich immer erinnert werde, sobald ich scherzhafte Aeußerungen der Art vernehme, wie wir soeben aus Ihrem Munde gehört haben.

Sie meinen, man soll den Teufel nicht an die Wand malen, schrie der Commerzienrath, aber beruhigen Sie sich! Wenn der Teufel auch nicht kommt, Ihr Arthur kommt darum noch lange nicht; nein, noch lange nicht! und der Commerzienrath brach in ein schallendes Gelächter aus, um sich für seinen Witz zu belohnen.

Ich weiß mich frei von ehrgeizigen Plänen der Art, verehrtester Herr Schwager, erwiderte die Geborene, deren Wangen in diesem Augenblicke des Carmins vollständig entbehren konnten.

So! schrie der Commerzienrath, nun, das ist schön! Wissen Sie sich vielleicht auch frei, Herr Schwager? Wenn es dann Ihrem Herrn Sohn ebenso geht, so wissen Sie sich alle drei frei, und mehr kann Keiner von Euch verlangen. Uebrigens, Frau Schwägerin, sind die Trantows eine so alte Familie, daß Sie schon aus diesem Grunde Scheu tragen sollten, den letzten Abkömmling derselben mit dem Gottseibeiuns zu vergleichen.

Wenn es nur auf das Alter der Familie ankommt, sagte der Steuerrath, so wissen Sie, verehrtester Herr Schwager, daß die Trantows freilich ihren Stammbaum bis in das vierzehnte Jahrhundert zurückführen, die Zehrens aber –

Weiß es! weiß es! habe es schon hunderttausendmillionenmal gehört, rief der Commerzienrath, indem er hastig vom Stuhl aufsprang. Ihr seid eine schauderhaft alte Familie, ja Frau Schwägerin, schauderhaft alt! aber beruhigen Sie sich, alt, wie Sie sind, Sie können immer noch ein paar Jahre älter werden. Und nun folgen Sie mir, mein junger Freund, damit wir in meiner Stube endlich einmal zu einem vernünftigen Worte kommen.

Er ging mir voran, durch ein ebenfalls hellerleuchtetes Zimmer in ein zweites kleineres Gemach, welches nach den bequemen, roßhaarüberzogenen Möbeln und Aktenrepositorien zu schließen, sein eigenes Zimmer war, das er denn auch nach seinem allereigensten Geschmacke ausgestattet hatte.

Ein paar herzlich schlechte Copien nach alten berühmten Meistern, dazwischen noch schlechtere Originale neuesten Datums: Thierstücke, Landschaften, bedeckten die Wände und correspondirten hinsichtlich des künstlerischen Werthes mit einigen Büsten des regierenden Königspaares und anderer fürstlichen Personen, welche an schicklichen oder auch unschicklichen Stellen, wie es eben kam, angebracht waren. Von der Decke hing eine Lampe über einem runden Tisch, auf welchem unter verschiedenen Papieren neben einem brennenden Licht ein offenes Kistchen mit Cigarren stand.

So, mein lieber, junger Freund, rief der Commerzienrath, indem er sich in den Stuhl warf, und die im Laufe der Jahre noch dünner gewordenen Beinchen mit einer Miene, welche Behaglichkeit ausdrücken sollte, von sich streckte. Greifen Sie zu! etwas Excellentes! direct aus der Havannah! mir von einem meiner Kapitäne vor acht Tagen mitgebracht! unverzollt, wie ich sie habe, unter Brüdern einundzwanzig Thaler! So! Nun, was sagen Sie zu dem alten, lächerlichen Kerl von Steuerrath und seiner widerwärtigen Frau Gemahlin? Drei Wochen liegen sie mir nun schon auf dem Halse, aber ich gebe ihnen auch keinen Pardon; haben Sie sich nicht köstlich amüsirt?

Nicht, daß ich sagen könnte, Herr Commerzienrath?

Nicht? Nicht? warum nicht? Sie müssen schwer zu amüsiren sein!

Im Gegentheil, Herr Commerzienrath, Niemand liebt eine harmlose Unterhaltung mehr als ich, aber ich kann es nicht harmlos finden, wenn der Wirth seine Gäste, sie seien, wer sie auch seien, zum – verzeihen Sie mir, Herr Commerzienrath – zum Narren hat.

So! so! das ist mir ja ganz etwas Neues, rief mein Wirth und sah mich mit einem bösen Blicke an.

Und doch ist es eine recht alte Sache, Herr Commerzienrath, die schon in den Urzeiten von den Menschen gekannt und ausgeübt wurde, und, wie ich höre, auch heut zu Tage selbst von den rohesten Völkerschaften heilig gehalten ist, sie müßten denn zufällig Menschenfresser sein.

Menschenfresser ist gut! Menschenfresser ist sehr gut, rief der Commerzienrath, sich in seinen Fauteuil zurückwerfend und überlaut lachend, als hätte er keineswegs vor einer halben Minute auf dem Punkte gestanden, sich ernstlich mit mir zu erzürnen. Ganz ausgezeichnet gut! Wie finden Sie die Cigarren? Aber Ihre aufrichtige Meinung, bitte ich!

Nicht eben so ausgezeichnet gut, wenn Sie meine aufrichtige Meinung haben wollen.

Nicht? nicht ausgezeichnet? Nun, hören Sie, junger Mann, Sie müssen schwer zu befriedigen sein! Eine solche Cigarre! nicht ausgezeichnet! Wo oder wann hätten Sie eine bessere geraucht?

Und der Commerzienrath blies mit scheinbar innigstem Behagen den Rauch durch die Nase.

Offen gestanden, schon recht oft, Herr Commerzienrath, aber freilich muß ich sagen, daß ich in diesem Punkte etwas verwöhnt bin; ich habe es während meines früheren Aufenthaltes hier in Zehrendorf gar zu gut gehabt.

Ei freilich, rief der Commerzienrath; der konnte es, der brauchte die Waare auch nicht zu versteuern, wie unser einer.

Ich dachte, Herr Commerzienrath, Sie sagten, diese Cigarren seien auch nicht versteuert.

Mein Wirth sah mich wieder an, als würde er im nächsten Augenblicke nach dem Bedienten klingeln, um mich aus dem Hause werfen zu lassen. Er klingelte aber nicht, sondern sagte: So, wenn Sie denn schon einmal ein solcher Kenner sind, wie theuer schätzen Sie denn das Kraut?

Mit zwanzig dürften sie bezahlt sein, Herr Commerzienrath.

Achtzehn kosten sie! schrie der Commerzienrath, indem er mit der Hand auf den Tisch schlug; aber soll man seinen Gästen theure Cigarren vorsetzen, bevor man weiß, ob sie es zu würdigen wissen? Nun will ich Ihnen aber welche geben, die –

Hundertzwanzig Thaler unter Brüdern werth sind.

Ja, ja, genau so, Sie ironischer Mensch, rief der kleine alte Herr, indem er aufsprang und ein Kästchen aus seinem Schrank nahm, welches denn wirklich Cigarren enthielt, von denen ich nur sagen konnte, daß ich sie selbst bei dem wilden Zehren nicht besser geraucht habe.

Mein liebenswürdiger Wirth war durch diese kleine Comödie in eine so behagliche Stimmung versetzt, daß er durchaus eine Flasche Steinberger-Cabinet bringen lassen mußte, aus welcher er mir sehr fleißig einschenkte, während er selbst eben nur an dem Glase nippte, obgleich er sich die Miene gab, mit mir bei der ersten und einer zweiten Flasche, die er im Laufe des Abends kommen ließ, gleichen Schritt zu halten. Ich hatte den alten Herrn früher und noch zuletzt bei jenem Besuch im Gefangenhause hinter der Flasche gesehen, und wußte, daß er war, was man einen Dreiflaschenmann nennt. Wenn er sich also heute so vorsichtig hielt, hatte das vielleicht seinen speciellen Grund. Und dieser Grund blieb mir nicht lange verborgen. Der Commerzienrath wollte mich offenbar zum Reden bringen, über eine Menge Dinge meine Meinung hören, meine ganz wahre Meinung, und da sollte denn der feurige, durchaus vortreffliche Wein meiner etwa mangelnden Wahrheitsliebe zu Hülfe kommen. Ich habe später den Mann dieselbe Methode in ähnlichen Fällen zu oft wiederholen sehen, als daß ich den geringsten Zweifel an der Richtigkeit der Beobachtung, die ich diesen Abend machte, haben könnte. Und noch ein anderes Manöver, in welchem der alte Geschäftsmann Meister war, sollte ich heute kennen lernen. Dies Manöver bestand darin, daß er, tief in seinen Stuhl zurückgelehnt, die Augen halb geschlossen, scheinbar zusammenhanglos über dies und jenes sprach, wobei er von dem hundertsten in das tausendste zu gerathen drohte, um plötzlich mit einer blitzschnellen Wendung auf den Punkt zu gehen, dem er, ohne daß sein Zuhörer es merkte, trotz alles Irrlichterirens immer näher gekommen war. Er hüllte sich so zu sagen in eine schwarze Wolke, wie der Tintenfisch es thun soll, wenn er seinen Verfolgern entrinnen will, nur mit dem Unterschiede, daß dieser alte schlaue Hecht in Gestalt eines königlichen Commerzienrathes die Kriegslist anwandte, um aus der Wolke heraus unversehens nach einem ahnungslosen Gründling zu schnappen.

Mitternacht war vorüber, als mich Wilhelm Kluckhuhn wieder auf mein Zimmer brachte. Er entzündete die beiden Kerzen auf dem Tisch vor dem Divan, fragte mich, ob er die Hängelampe auslöschen solle, was ich bejahte, und wann ich morgen früh geweckt zu werden wünsche, worauf ich nur antworten konnte, daß ich die Gewohnheit habe, von selbst zur rechten Zeit aufzuwachen, und verließ mich dann mit einer Ehrerbietung, die im lächerlichen Gegensatz zu dem äußerst ungenirten Wesen stand, mit welchem er mich einige Stunden vorher empfangen.

Ich dachte noch nicht an Schlafengehen. Mein Kopf schwärmte von den Gedanken, welche das lange Gespräch mit dem Herrn des Hauses in mir aufgeregt hatte; meine Brust war voll von wogenden Empfindungen, welche die seltsame Situation, in der ich mich befand, wohl erwecken mußte; und wie das in später Nacht nach ein paar Flaschen feurigen Weines in einer vollkommen neuen Umgebung zu geschehen pflegt, reihten sich die Erlebnisse des Abends zu einem bunten, lustigen, mich bald in lieblichen, bald grotesken Gestalten umgaukelnden Tanz: der Commerzienrath mit den halb geschlossenen Augen und dem scharfen, hechtgleichen Schnappen nach dem Punkt in der Unterhaltung, auf welchen es ihm ankam; – das gute Fräulein Duff mit dem sentimentalen Zwinkern ihrer blaßgelben Augenlider; – der Steuerrath mit dem weißen, lauernden Gesicht, und der weißen, schmalen Hand, an welcher der ungeheure Siegelring funkelte; – die geborene Kippenreiter mit den falschen Zähnen und dem falschen Lächeln, und zuletzt sie, die ich nicht gesehen, und dennoch immerfort in meines Geistes Auge sah; sie, in deren Zimmer ich mich hier befand, die gewiß in dieser Divanecke oft geruht, in welcher ich jetzt eine Cigarre dampfte: die kleine, elastische Gestalt des schönen, jungen Mädchens mit dem übermütigen Zucken um den rothen Mund und dem sommerlichen Leuchten in den kornblumenblauen Augen! Und seltsamer als das Alles: hinter diesem Vordergrund kaleidoskopisch wechselnder und wie in Nebel zerflatternder Scenen und Gestalten baute sich ein Hintergrund der Verhältnisse auf, mit denen ich es für den Moment zu thun hatte, und die ich zu durchschauen glaubte bis in ihre intimsten Beziehungen, als hätte mir ein Zauberer die geheimnißvolle Salbe gegeben, mit welcher man nur der Augen eines zu bestreichen braucht, um die Schätze zu sehen, die schlummernden alle, die in der Erde sind. Schon einmal in meinem Leben war mir ein solcher Moment gekommen: an jenem Tage nach der Ankunft in Zehrendorf, als ich des Nachmittags im Parke wandelte und unter den leise rauschenden Bäumen, Angesichts des alten, ehrwürdigen Schlosses, über welches die Sonnenlichter und die Wolkenschatten zogen, auf einmal wußte, daß der Herr dieses Parkes, dieses Hauses ein verzweifelter Schmuggler sei. Und ebenso, oder doch ähnlich, war es jetzt bei mir eine ausgemachte Sache, daß dieses neue Haus auf einem morschen Boden stehe, welcher jeden Augenblick unter ihm zusammenbrechen und das stolze, vielbeneidete Glück des Mannes unter den Trümmern eines colossalen Bankerotts begraben könne. Und ebenso wie damals erschien mir der Gedanke ganz extravagant, ganz verrückt, aber ich schalt mich nicht wie damals; ich suchte vielmehr alles Ernstes die Punkte zu finden, die mir möglicherweise den Anhalt gegeben haben konnten zu einem Verdacht, der in dem lächerlichsten Widerspruch stand mit dem Glanz dieses Zimmers, mit der Pracht des Hauses, mit Allem, was ich von Kindesbeinen an bis zu diesem Augenblick über die Vermögensverhältnisse des Crösus unserer Provinz gehört hatte. Was in aller Welt war es nur gewesen? Ein eigentümliches Zittern seiner Stimme, als er von den ungeheuren Posten Korn sprach, die er seit dem vorigen Herbst auf Lager habe, und von dem beispiellosen Sinken der Preise durch die veränderten Conjuncturen in England und Amerika; das und die nervöse Gereiztheit, als ich ihm die Nothwendigkeit nachwies, die Maschinenfabrik in der Stadt auf den doppelten Umfang zu erweitern, wenn er in der Concurrenz mit den übrigen Fabriken jetzt beim Erwachen der Eisenbahn-Industrie in unserem Lande nicht unwiederbringlich verlieren wollte. Dann zum Dritten der dringliche Wunsch, auf den er immer wieder zurückgekommen, Zehrendorf für eine möglichst hohe Summe – er hatte füufmalhunderttausend Thaler genannt – an den Fürsten von Prora zu verkaufen.

Der sonderbare Gedanke hatte mir den Athem benommen; ich war an das offene Fenster getreten und blickte träumend hinaus auf einen freien Platz, der in dem matten Licht des Mondes mit Kies bestreute Gartenwege, dunkle Beete und andere Anlagen zeigte.

Ja, ja, sagte ich bei mir, mit einer Art von Trotz an meinem Einfall festhaltend, warum sollte es nicht so sein? und wäre es nicht, wenn es wäre, nur eine gerechte Nemesis? Jene alten Ritter vom Stegreif hatten so lange ihr Wesen getrieben und die Zeichen der Zeit so gründlich verachtet, bis die Zeit sich gegen sie wandte und sie von sich stieß, wie ein muthiges Roß den bügellos gewordenen Reiter aus dem Sattel schleudert. Und in unserer Zeit reiten die Todten schnell, und dieser Mann hier, der Krämer, der des Ritters Roß bestieg, ich rechne ihn wie Jenen zu den Todten. Schnöde Habsucht und nackter Egoismus – sind sie nicht die Nahrung gewesen des Einen wie des Andern? haben sie nicht beide als Motto in ihrem Schilde gehabt: Ich für mich! und Alle und Alles für mich! Hat je einer von ihnen an das arme Volk gedacht, als um zu finden, daß es da sei, ihnen zu frohnden? Ja, ist es nicht mehr als ein Zufall, daß der verbrecherische Handel, auf welchen sich der Ritter vom Stegreif geworfen, um nur sein Leben zu fristen, das Mittel gewesen ist, durch welches der Krämer den Grund zu seinem Reichthum legte? Hat er mir nicht eben erst mit dem größten Behagen erzählt, wie schlau sein Vater und er die fabelhaft günstigen Conjuncturen während der napoleonischen Continental-Sperre benutzt, und wie sie das Geschäft noch Jahre und Jahre lang fortgesetzt und Hunderte von Tausenden dabei gewonnen, und wie sie es genau in dem Augenblick, als die Sache gefährlich zu werden anfing, abgebrochen hätten! Nun denn, ist nicht dem Krämer, der sich zum Ritter vom Stegreif gemacht, recht, was dem Stegreif-Ritter, der zum Krämer geworden, billig war? Nur daß die Herrschaft des Letzteren nicht eben so lange dauern wird, als die des Ersteren, und das mit Fug und Recht, denn die Todten, die Todten reiten schnell.

Die Todten reiten schnell!

Ich blickte zum nächtlichen Himmel hinauf, wo an des Mondes beinahe voller, glänzender Scheibe von dem scharfen Nachtwind ostwärts ungeheure schwarze Wolkenmassen vorübergetrieben wurden. Seltsam phantastische Gestalten: langgestreckte Drachen mit weit aufgesperrten Mäulern, kolossale Fische mit gierigen Zähnen, scheußliche Crustaceen mit langen Scheeren und krabbelnden Beinen; Riesen auch mit ragenden Häuptern und mit Felsblöcken in den erhobenen Armen; dann wieder Zwerge mit schlauen Buckeln und begehrlichen spitzen Bäuchlein – Ungethüme und Ungeheuer aller Art, und nicht eine einzige reine schöne Gestalt! In einer wunderlichen Ideenverbindung glaubte ich in diesen häßlichen Wolken die Geschlechter der Menschen zu sehen, welche die Herrschaft gehabt auf Erden, und das Scepter geführt und das schneidige Schwert, und die kein Mitleid gehabt mit der unterdrückten Menge, die sie aussaugten, gerade wie das leichtere, graugrüne Gewölk, das ängstlich unter den Riesen hintrieb, sobald es in die Lichtregion des Mondes kam, zu zerflattern und zu verdunsten schien. Und sollte das in endloser Reihe durch die Ewigkeiten so gehen? Immer ein Geschlecht der Dränger dem anderen Drängergeschlechte folgen? Die Ritter vom Hammer immer auf den unglücklichen Amboß hämmern? Sollte nie, nie die Zeit kommen, eine andere Zeit, eine bessere Zeit, wie sie das entzückte Auge meines Lehrers gesehen, die heranzuführen er sein Blut und Leben eingesetzt, und der auch ich mich geweiht hatte mit allen Kräften meiner Seele!

Gewiß, sie wird kommen, diese Zeit, rief ich, ja, ist sie nicht schon? Nicht schon in dir, der du erkannt hast, daß sie kommen wird und muß? Ist sie nicht schon in Allen, welche denken wie du und die Macht haben, ihren Gedanken Form und Farbe und Fleisch und Blut zu geben?

Welche die Macht haben! Wer sie hätte! Es wäre doch ein schönes Ding, hier Herr zu sein und drüben in der Fabrik und in seinen anderen Fabriken und Comptoirs! Tausenden und Tausenden ein Glückbringer, ein Heiland sein zu können und – es nicht zu sein! Ein Ungeheuer mit höllenweitem Rachen zu sein, wie das Wolkenscheusal da oben, weil uns, wie Doctor Willibrod sagt, sobald wir zu Macht und Reichthum gelangen, ein Kieselstein oder Goldklumpen statt des warmen Herzens in der Brust hängt. Pah!

Und ich schloß unwillig das Fenster, ließ die Gardinen herab und schritt auf mein Lager zu, mich zur Ruhe zu legen.

Aber auf dem halben Wege schon blieb ich stehen. Die einmal losgelassenen Gedanken wollten sich so schnell nicht wieder einfangen lassen; ich blickte mit über der Brust verschränkten Armen auf all' den Glanz des prächtigen Zimmers.

Und daran ist sie gewöhnt von Jugend auf, sprach ich bei mir; über diesen weichen Teppich ist ihr Fuß immerdar geschritten, solch' wollüstige Stoffe hat ihre Hand stets berührt, und diese balsamische Luft hat sie immer geathmet! Wenn es wäre, wenn der schamlose Egoismus genau so vor dem Fall käme, wie der brutale Hochmuth, wenn dies Haus zusammenstürzte, wie jenes alte – es wäre hart, unsäglich hart für sie! Die Andere hatte mich einst ihren Georg genannt, ihren Drachentödter! Nun, sie hatte nicht gerettet sein wollen, und ich, ein halber Knabe noch, hätte sie nicht retten können. Um diese hier stände es vielleicht anders; vielleicht würde sie lieber gerettet werden wollen, als untergehen, und – auf alle Fälle bist du kein Knabe mehr!

Ich wandte mich wieder, und mein Anblick fiel auf den kleinen, schäbigen Seehundskoffer, den Wilhelm Kluckhuhn zu den Füßen des Bettes, dessen bauschige Vorhänge er zurückgezogen, jetzt sorgsam auf ein Gestell gelegt hatte. Ich mußte laut lachen. Es war doch auch sehr lächerlich, wenn man kaum mehr besaß, als in diesem winzigen, schäbigen, noch dazu geliehenen Ranzen Platz hatte, ein Haus wie dieses hier retten zu wollen, sich um das Schicksal von Menschen den Kopf zu zerbrechen, die in einem Hause, wie dieses hier, wohnten! Und ich machte, daß ich zu Bett kam, und als ich eben einschlafen wollte, weckte ich mich selber wieder auf, denn ich mußte abermals über etwas laut lachen – aber ich wußte nicht, worüber.


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