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XXIV.

Wie anders waren Georgs Empfindungen, als er jetzt auf seinem frischen Pferde, das ihm noch von gestern her in den Ställen des Lords stand, denselben Weg in vollem Lauf zurückjagte, den er noch vor wenigen Stunden voll wunderlicher Ahnungen und süßen Zweifels nach Schloß Vere geritten war. Jetzt war Alles klar, und der Schlüssel hatte beide Geheimnisse erschlossen zu einer Zeit. Er war, was er nie im Entferntesten zu sein gewünscht; und das, worauf er so stolz gewesen, – das war er nicht. –

Ach! und für den Schmerz der letzten Enttäuschung war die erste Ueberraschung denn doch zu theuer erkauft! Aber derselbe Gedanke, der ihn bei der großen Entdeckung gelassen bleiben ließ, die manchem Andern den Kopf hätte wirbeln machen, ließ sein Herz nicht brechen bei dem herben Verlust. Lord Vere zu sein, freilich – wie klein erschien ihm das! Was war denn dieser Lord Vere? jeder Stümper konnte das ja sein!

Aber geliebt sein von Lady Vere; das war ein Gedanke, der den stolzesten Mann würde stolzer gemacht haben; – das, dachte er, sei der Gipfel des Heldenthums; – und Gott weiß, wie groß er sich in diesem Gedanken erschienen war. Aber nun war auch das vorbei. Wenn diesen Preis ein Mann erringen konnte, wie dieser beschränkte, engherzige Mensch, dieser Herzog, der nichts weiter hatte, als seinen Herzogstitel und sein unermeßliches Vermögen; – o, so war ja auch dieser Besitz käuflich, nicht um die reine Liebe einer edlen Seele, – um die Schätze, die der Rost und die Motten fressen, um einen Herzogsmantel und um schnödes Gold. –

Georg hatte wohl kaum jemals daran gedacht, daß seine Liebe in den Augen der Leute eine Thorheit, und das: ist der Mensch toll? des Herzogs, das Urtheil der Welt sei. Hat doch die Liebe von jeher ihre Weltanschauung für sich gehabt; und welch' köstliche Geschichten wissen die Volksmährchen davon zu erzählen! Wie harmlos schreiten ihre Jäger und Soldaten über alle engherzigen Rücksichten und alle Schranken des Standesunterschieds hinweg, und freien kühn die schönen Königstöchter! In welch' reizenden Liedern haben die Dichter den Triumph der Liebe gefeiert, und gesungen von dem stolzen Königssohne, der die Schäferin von der Wiese zu seiner Königin macht, und von dem holdseligen Königstöchterlein, das zu dem blonden Pagen in Liebe entbrennt!

Wann hätte je die Liebe auf das Urtheil der Welt gewartet? – Und die Philosophie seines Meisters, die seine Seele groß genährt, war diesem Urtheile wenig hold.

Eine Philosophie, die Gott überall sucht und überall findet, und den Himmel schon auf Erden beginnt, ist wenig geneigt, mit den Vorrechten schonend umzugehen, durch die sich einzelne Menschen gern zu kleinen Göttern machen möchten; und wer in dem Olymp nur einen Berg sieht, dessen Gipfel mit Schnee bedeckt ist, für den ragen auch die Throne nicht in die Wolken. –

Der Vater hatte seine Lordschaft absichtlich vergessen, um der Liebe eines schlichten Bürgermädchens sicher zu sein; dem Sohne war es gar nicht einmal in den Sinn gekommen, daß eine Lady zu lieben, auch noch wohl bedacht sein wolle. –

Das war dasselbe Princip; nur paßte es der alte Meister in weiser Mäßigung den Verhältnissen an, und der rasche Schüler wähnte, diese müßten sich nach jenem richten. Aber Niemand verlangt, der Schüler solle ein Meister sein; es ist genug, wenn er ein guter Schüler ist. Sei ruhig, Georg! der Meister wird über einen Fehler lächeln, der nur beweist, daß du seiner Lehre aus ganzer Seele anhängst.

Du hast dich durch die Lüge blenden lassen; aber dich verlangte von ganzer Seele nach Wahrheit; – ein trügerisches Irrlicht hat dich verlockt, aber du glaubtest das heilige Feuer des Heerdes leuchten zu sehen.

Georg war doppelt beleidigt. Man hatte ihn persönlich verspottet und seine Religion verhöhnt. Hätte Lady Vere ihn zurückgewiesen, weil sie seine Liebe nicht verstand, oder nicht erwiedern konnte, – Georg war kein Thor, und er war stolz. – Er würde gesagt haben: die Sterne sind schön; doch sie sind unerreichbar. Aber sie hatte ihn an sich gelockt mit tausend süßen Worten, ihm tausendmal gesagt: Du bist ein Mann; die Andern sind des Namens nicht werth; dein Gott ist auch mein Gott. Und nun, da er mit ihr das Opfer feiern wollte auf dem Altar dieses Gottes, sprach sie: Du bist ein Narr, und dein Gott ist ein dummer, hölzerner Götze. –

Georg trieb sein Pferd den letzten Hügel hinauf; er hielt vor seinem Hause. Der Knecht, der herauskam, ihm das Pferd abzunehmen, sagte im Flüsterton:

»Wir haben Sie schon so lange erwartet. Die Barbara sagt: die Frau müsse sehr krank sein. Aber sie will nicht, daß nach dem Doctor geschickt wird. Der Förster ist heimlich zu Ihnen aufs Schloß gegangen, denn auch das hätte sie nicht gelitten.«

Georg lief eilig die Treppe zu dem Zimmer der alten Margareth hinauf. Sein Herz sagte ihm, daß sie sterbe; er fürchtete, sie schon todt zu finden, sie nicht mehr um Verzeihung bitten, ihr seinen Dank nicht mehr stammeln zu können.

Er trat in die Stube. Die Mutter lag im Bette; die Tochter beugte sich eben über sie hin; auf dem Tische standen zwei Lichter, und die große Bibel lag aufgeschlagen da; – man hätte schwerlich denken sollen, daß diese einfachen Vorrichtungen der alten Margareth zum Sterben genügten. Helene sah auf und zeigte Georg ein blasses Antlitz; aber der Abglanz von der Mutter mächtigem Willen ruhte darauf; sie weinte nicht. –

Auf dem Gesichte der Alten lag der Tod schon sichtbar; aber es schien mit dem Quell des Lebens auch der des Kummers zu versiegen; und das selige Lächeln, das um die bleichen Lippen spielte, rührte Georg um so mehr, wenn er diese hehre Ruhe mit der Leidenschaftlichkeit der vergangenen Nacht verglich. Ihre tief eingesunkenen Augen blickten mit inniger Liebe zu ihm auf, als er sich jetzt über die Sterbende beugte, die ihre schwachen Arme um seinen Nacken schlang und seinen Mund an ihre bebenden Lippen zog. O, welche Welt von Empfindungen lag in dieser Umarmung! wie beredt warm diese Thränen! Nun war Alles gut; nun konnte die alte Margareth ruhig sterben. Mag doch das flackernde Licht verlöschen, wenn die Sonne prächtig am Himmel aufgeht!

Sie drückte Georg sanft von sich; er verstand die Mutter. Er richtete sich auf; er breitete die Arme flehend nach der Tochter aus; und laut schluchzend sank Helene an seine Brust – er hielt sie umschlungen, fest und innig – hier fand er den Tag, dem keine Nacht folgt; – Vertrauen, das keinen Zweifel kennt; – Liebe, die nur Liebe will; Seligkeit, die das Glück verschmähen darf, weil sie erhaben ist über das Unglück. Hier ruhte sein Sein! – war diese Liebe keine Wahrheit, so war Alles Lüge; so war das Leben todt, und die Welt ein scheußliches Chaos ohne den göttlichen Gedanken. –

Sich umschlungen haltend sanken sie an dem Bette in die Knie. Die Sterbende richtete sich auf; sie legte ihre Hände auf die gesenkten Häupter; sie sank zurück in die Kissen; sie faltete die Hände über der Brust; ihre Lippen murmelten ein leises Gebet; sie seufzte tief auf; alle Erdenlast war von ihr genommen – sie war todt.


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