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Auf Schloß Vere war nun Alles in das rechte Geleis gekommen. Die Pferde hatten sich an die neuen Krippen gewöhnt; die Bedienten und Mägde verliefen sich nicht mehr so oft in den langen Corridoren; Lady Vere's Kammermädchen, konnte schon Abends ohne Grauen die Bibliothek betreten; der große Rasenplatz war von dem Stroh gesäubert; der große Schrank war glücklich in das Studirzimmer des Lords geschafft; Maurer und Zimmerleute, Maler und Tapezirer waren verschwunden; die Lindenhecken und Taxuspyramiden in dem französischen Garten waren frisch verschnitten; die Sphinxe und Sandsteingötter hatten ein Bad genommen, oder sich gar einen neuen Anstrich müssen gefallen lassen, und schienen wie weiße Gespenster durch das Dunkel; Lord Vere erging sich auf den geraden, kiesbestreuten Wegen, und dachte darüber nach, ob er die prachtvolle runde Krone einer riesigen Linde nicht noch nachträglich zu einer colossalen Pyramide verschneiden könnte; – und Lady Vere, die die Zimmer der letzten Lady Vere, der Mutter des verstorbenen Lords, bezogen hatte, dehnte sich in den ungeheuren, mit abenteuerlichen Stickereien bezogenen Sesseln, und betrachtete gähnend den bunten Papagei des Fußschemels, auf dem ihr schmaler Fuß ruhte. –
Ach! was das einschläfernd war, dieses ewige Blühen und Duften, dieses rastlose Singen der Vögel, dieses Summen und Schwirren der Insecten, dieser ewig blaue Himmel, dieser ewige Sonnenschein! Diese Welt war Lady Vere's nicht werth! und noch vier Wochen, bis sich das Haus mit Gästen füllte! Was ist eine Herrscherin ohne Unterthanen? und verlohnte es sich der Mühe, über diese Menschen zu herrschen? Was war es ihr, daß die Diener leiser auftraten, wenn sie an ihren Zimmern vorbeikamen? daß das Lachen aufhörte und der Scherz verstummte und die Leute in scheuer Ehrfurcht zu der blassen, prächtigen Dame aufsahen, wenn sie an einer Gruppe Arbeiter im Park vorüberschritt? daß der alte Lord wunderbar feierlich und gesetzt während der langweiligen Mahlzeiten an ihrer Seite saß, während sie doch wußte, daß er hinter ihrem Rücken sich an harmlosen Scherzen mit seinem Kellermeister, ja den Bedienten schadlos hielt, die er um Entschuldigung bat, wenn er sie einmal bemühen mußte? Was waren ihr die Huldigungen, die ihr der kleine, gelehrte Pastor weihte, dem zu einem vollendeten Höfling weniger der gute Wille, als die gute Schule fehlte, die er in seinem kleinen Dorfe freilich nicht hatte durchmachen können? was war es ihr, daß er Mylady's Sprachkenntnisse bewunderte, Mylady's feinen Geschmack lobte – was bewunderte und lobte er auch nicht an der reichen Erbin? Sie hätte häßlich sein können, wie die Sünde, oder dumm, wie Sr. Ehrwürden Gemahlin, die sich diesen Vorwurf und den schlimmeren der Armuth oft genug mußte gefallen lassen – er würde sie in Demuth angebetet haben.
Für sie gab es nur einen lichten Punkt in der ganzen Landschaft, der es werth war, daß ihre stolzen Wimpern sich vor ihm hoben, daß ihre schönen Augen mit Wohlgefallen auf ihm ruhten – es war der einzige, und sie schätzte ihn demgemäß: die Kostbarkeit der Dinge steigt mit ihrer Seltenheit. Es war nur eine Aushülfe, die ihr der Stunden Einerlei erträglich machen sollte; aber vier Wochen sind so lang – und schießt ja doch auch der Jäger eine nichtsnutzige Krähe, aus Verzweiflung, daß die Hühner nicht halten wollen!
Es war nur eine schlechte, niedrige Jagd, aber es war doch Jagd; und wenn das Wild es auch nicht werth war, daß man es erlegte, so war es doch immerhin ganz unterhaltend, daß es schwer zu erlegen war, und durchaus nicht, wie es doch einem so dummen Vogel zugekommen wäre, ohne Weiteres in das Garn fliegen wollte, – so schwer, daß Diana zuletzt ganz eifrig wurde, als ihr silberner Bogen Pfeil auf Pfeil vergeblich verschoß, und fast vergaß, wie sich das für eine Göttin, die sie doch war, eigentlich gar nicht zieme. Aber die mächtigste Göttin ist auch nur ein beleidigtes Weib, wenn es Jemand einfällt, ihrer Macht zu widerstehen.
Die Bibliothek war wieder in den alten Stand gebracht; die Bände standen nach der Ordnung in den Schränken von Ebenholz; die Büsten hatten ihre rechte Stelle wiedergefunden; die Treppe, welche zu der kleinen Gallerte, die wohl ursprünglich für die Spielleute bestimmt war, hinaufführte, war, wie die Gallerie selbst, und die Säulen, die sie trugen, mit Epheu und anderen Schlinggewächsen zierlich umrankt; Lady Vere hatte die Wand durchbrechen lassen, so daß sie jetzt aus ihren Zimmern, ohne bemerkt zu werden, über einige Corridore, durch eine kleine Thür auf die Gallerie, und so in die Bibliothek gelangen konnte; der Balcon, der über dem Garten hing, war zu einem kleinen Gewächshause umgeschaffen, und Lady Vere saß des Abends unter blühenden Sträuchen, und wunderte sich, wie die Sonne es nicht müde werde, immer über ein und dieselbe Landschaft ihren zauberischen Schimmer auszugießen.
Die deutschen Stunden hatten ihren Anfang genommen, und es war erstaunlich, welche Fortschritte Lady Vere machte. Helene, die doch wahrhaftig leicht genug faßte, war kaum in einem Vierteljahre so weit gekommen, als Lady Vere in acht Tagen.
»So so, Sie geben Lady Vere Unterricht im Deutschen, Herr Allen,« sagte Lord Vere, »das ist recht! – eine sehr schwere Sprache, sehr schwer! – wie lange Zeit braucht man wohl, um eine Sprache zu lernen, Herr Allen? Lady Vere's Unterricht im Deutschen hat schon manche Guinee gekostet! die gelehrtesten Professoren, sage ich Ihnen, – sehr berühmte Leute – und sehr theuer!«
»Ich kann stolz sein,« sagte Georg lachend zu seiner talentvollen Schülerin, als sie sich in der Bibliothek das nächste Mal wieder gegenübersaßen, »daß Sie, nachdem solche strahlenden Lichter der Wissenschaft Ihnen vorgeleuchtet, noch mir armen Irrlicht folgen mögen.«
»Ja,« sagte Lady Vere ruhig, – »ich wußte schon Manches; aber Alles wüst und bunt durcheinander. Mußten doch in dem Chaos schon die Elemente liegen, ehe sie das Wort des Schöpfers zu organischen Gebilden band.«
»So hätte ich für die deutsche Welt, in der Sie sich jetzt schon so heimisch fühlen, das ›Werde‹ ausgesprochen?«
»Ich weiß nicht, ob Ihr Unterricht methodischer ist; aber das weiß ich, daß es sich bei Ihnen besser lernt. Wenn Sie mir ein Gedicht lesen, verstehe ich es auf der Stelle, es mochte mir vorher noch so dunkel sein.«
Guter Georg! merkst Du denn die Fäden des Netzes nicht, das man über Dich ausspannt? aber die Götter haben gar wunderbare Gewebe, sie sind unzerreißbar, aber man sieht sie nicht. Lady Vere war in der kühlen Ruhe ihrer Leidenschaftlichkeit einem wohlgeschulten Fechter zu vergleichen. Glaubt ihr, er brenne nicht vor Begierde, den Gegner zu besiegen, weil er nicht außer Athem kommt, weil er Tact hält und Maß, weil er die Sonne wohl beachtet? Glaubt ihr, daß seine Hiebe weniger gut gezielt sind, weil sie weniger rasseln? und daß sie nicht treffen, weil sie nicht mit Ungestüm geführt werden?
Lady Vere konnte eine Schmeichelei sagen mit der Würde einer Königin, die ihren treuen Vasallen lobt; und das stumpfste, gleichgültigste Wort zum haarscharfen, gefiederten Pfeil umschaffen, wenn sie es mit einem ihrer wunderbaren Blicke begleitete.
Es war fast unmöglich, von dieser beredten Sprache nicht ergriffen zu werden, wie von dem Wohllaut der Chöre in den griechischen Tragödien, deren Sinn auch der zu ahnen glaubt, der die Worte nicht versteht. Georg konnte sich nicht satt sehen an diesen Augen. Wenn sie in einem Gespräche über Kunst und Poesie so wunderbar aufflammten; wenn dann ein leises Roth über dies bleiche Gesicht spielte, wie das matte Frührothlicht eines Januarmorgens über ein Schneegefilde – er glaubte die Muse vor sich zu sehen, die Homer anruft im Beginn seiner unsterblichen Lieder, bald das liebliche Mädchen, das die Heimkehr des Odysseus erzählt, bald das leidenschaftliche Weib, das den Zorn des Peliden singt.
Durfte Georg eitel sein? galt ihm dieser Blick? öffneten sich nur für ihn diese beredten Lippen? hatte er einen Theil an dem erregteren Ton dieser tiefen, weichen Stimme, in deren geheimnißvollen Klang er sich Stunden lang in der Erinnerung versenken konnte? Nichts berechtigte ihn zu einer Annahme, die seinem unbefangenen Wesen, dem sehr wenig von eitler Selbstgefälligkeit innewohnte, auch so schon fern genug lag. Lady Vere blieb in jedem Augenblicke die große, feine Dame; und wenn auch nur ihm gegenüber dieses Marmorbild Leben bekam, so war es ja doch nur eine Gunst des Zufalls, daß gerade er Zeuge sein durfte ihrer reinen Begeisterung, daß er sich einen Zutritt erworben hatte zu dem Heiligthume, wo die schöne Begeisterte betete, dem Tempel der Kunst! Nein, er galt ihm nicht, dieser Feuerblick! sie schaute weit, weit weg über ihn hinaus in andere Regionen! Und doch, woher diese leidenschaftliche Unruhe in ihm, die sich nicht ziemt in den heiligen Hallen? – Mag doch das begeisterte Auge der Priesterin nur die Göttin schauen, ist darum der Gläubige weniger in Gefahr, über der Priesterin die Gottheit zu vergessen?
Aber es war nicht nur auf diesem Gebiete, daß sich die Beiden trafen. Georg war auf seine Weise nicht weniger selbstsüchtig, wie irgend ein Anderer. Seine Absicht war, Lady Vere nach und nach für seine großen Pläne zu interessiren, um so mehr, als Lord Vere, obwohl in früheren Jahren ein eifriger Jäger, von der Forstverwaltung gar nichts verstand, und durchaus nicht einzusehen vermochte, warum die Natur nicht Alles selbst besorgen könnte, und wozu um Alles in der Welt die Arbeiter sollten, die so schweres Geld kosteten. –
Er ließ Georg freilich freie Hand, und hütete sich wohl, ihm offen seine geheime Widerspänstigkeit zu zeigen; aber er entschädigte sich dafür, wie für Alles, was er in Gegenwart unterrichteter Personen verschweigen mußte, durch bedeutsame Winke und lange Abhandlungen, die er darum wohl seinen vertrauten Dienern, – zu denen zu gehören, auch der Pastor es sich zur Ehre schätzte, – zukommen ließ, weil sie die Einzigen waren, die ihn verstanden, oder doch wenigstens gefällig genug waren, zu thun, als verständen sie ihn. –
Das nun kümmerte Georg weniger; aber er sah bald, welchen Einfluß Lady Vere auf den schwachen Vater ausübte, und er suchte durch ihre Vermittelung zu erreichen, was ihm ohne diese vielleicht nicht erreichbar gewesen wäre. Und überdies – sollte Lady Vere nicht einst die Herrin sein, und konnte sie zu früh lernen, wie viel von der Einsicht und dem guten Willen eines Herrn abhängt!
Lady Vere ging auf Alles willig ein, und Georg konnte hier, wo keine berühmten Professoren ihm vorgearbeitet hatten, mit vollem Rechte den glänzenden Verstand und die schnelle Fassungskraft der schönen Dame bewundern. Er mußte heimlich lächeln, wenn er sah, mit welchem Eifer sie einige, in das Fach einschlagende Werke, die er ihr hatte geben müssen, studirte, und er dann dachte, wie er Helene nie dazu hatte bringen können, auch nur eine Seite in diesen Büchern zu lesen. Die eilte dann wohl, wenn er von einer wissenschaftlichen Einsicht in die Natur sprach, an das Clavier und sagte:
»Kommen Sie, Georg, ich will Ihnen den Wald erklären, und sein geheimnißvolles, wunderbares Leben besser, als Sie es aus de n dicken Büchern lernen können!« und dann spielte sie, daß Georg schweigend und staunend zuhörte, und dann wandte sie sich mit leuchtenden Augen zu ihm, und fragte lächelnd: »Nun, Georg, was sagen Sie? verstehe ich den Wald?«
»Sie verstehen Alles,« hatte ihr Georg geantwortet, »wenn auch auf Ihre Weise, und wenn Sie auch, was Sie verstehen, auf Ihre eigne Art wiedergeben. Die Luftgeister sind Ihre Freunde: die weben und rauschen um die weite Erde, und kommen zu Ihnen und flüstern Ihnen alle Geheimnisse zu; und Sie, Sie geben diese Geheimnisse wieder in den Tönen, die sich suchen und fliehen, jubelnd sich finden, klagend sich trennen, und von Lieb' und Leid und Lust so überall sind, daß sie kein Wort sprechen können. Ihnen offenbart sich die Welt im Ton und Klang, und Sie können Ihre innere Welt nur in Musik übersetzen.«
Georg dachte an Helene, als er an Lady Vere's Seite durch die Wälder ritt, während Lord Vere und der Pastor, wie zwei wohlgezogene Bediente in angemessener Entfernung hinter ihnen hertrabten, sie lange über Forstkultur gesprochen hatten, und Lady Vere jetzt, in den Ton ihrer sonstigen Unterhaltungen einlenkend, sagte:
»Wie melancholisch ist doch das einförmige Rauschen des Nadelholzes, das der Natur unergründliches Geheimniß immer und immer wieder vor sich hinmurmelt, und über dem unlösbaren Räthsel in tiefe Schwermuth versinkt! Wohl hat das Laubholz eine viel articulirtere und beredtere Sprache: es flüstert und zischelt und wispert, und dann erhebt es die Stimme, und es ist, als nehme es jetzt einen Aufschwung, um aus tiefster Brust herauszuschreien, was es bedeutet und will – aber es kann's doch auch nicht – und schüttelt das Haupt, und seufzt und flüstert weiter. Nein! es ist nichts mit dieser Musik des Waldes, wie mit aller Musik! Erst in dem Wort des Menschen offenbart sich der Geist der Natur ganz; überall sonst versucht er es nur! Gott ist das Wort!«
Clara Vere verstand nichts von Musik; und sie glich auch darin dem antiken Geiste, daß die Plastik vernehmlicher zu ihr sprach, als die Malerei, und sie in der Malerei wiederum mehr auf die Zeichnung, als auf das Colorit sah. Sie, die so fein in einem Drama den räthselhaftesten Character zu entwickeln verstand, – das Reich des Ton's war ihr verschlossen; und sie hatte die schönen Brauen verächtlich und unwillig zusammengezogen, als sie einst in der Lectüre des Kaufmann von Venedig an jene bekannte Stelle kamen, wo Shakespeare sein zermalmendes Urtheil spricht über die: »die nicht die Eintracht süßer Töne lockt.«