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IX.

Georg hatte seit jenem ersten Abende, an dem er mit Lady Vere im Walde zusammengetroffen war, die alte Margareth wenig gesehen. Sie hielt sich viel auf ihrem Zimmer auf, wo sie meistens still für sich in der Bibel las. Auch sah sie Georg noch oft mitten in der Nacht bei einer seltsamen Arbeit. Sie kramte zwischen den alten Papieren ihres Mannes; schnürte Briefbündel auf und wieder zu, verbrannte Manches, und ordnete alles Uebrigbleibende sorgfältig, als sei sie in einer Registratur unter den wichtigsten Documenten beschäftigt und nicht vielmehr in alten Wandschränken unter Papieren ihres Gatten, die längst für jeden Anderen allen Werth verloren hatten. –

Den Kirchhof besuchte sie seit jenem Abende fast regelmäßig, und wandelte Stunden lang zwischen den Gräbern unter den Eibenbäumen auf und ab. –

Dachte sie der Zeit, wo sie, ein junges blühendes Weib, ihrem Gatten hierher gefolgt war in dies lachende Thal von den weiten Heidehügeln ihrer Heimath? Jener wonnigen Tage, als sie an seinem Arm zum ersten Mal durch diese Wälder gewandelt, in die Wohnungen seiner Freunde und Bekannten eingetreten war, wo sie selbst bald liebe Freundinnen gefunden hatte, schlanke Mädchengestalten, würdige Matronen, die die Fremde liebreich aufnahmen und sie ihre traute Heimath vergessen machten? Dachte sie der schönen Sommerabende, und des traulichen Geschwätzes in den Lauben vor den Thüren, oder der heiteren Spiele auf dem Anger, wo sie die schnellste und gewandteste war, und wo ihr Mann nur immer sie aufsuchte unter all' den hübschen Mädchen? –

Und dachte sie dann der Zeit, als sie aus dem Dorfe im Thal in das neue Haus im Walde gezogen waren; als ihr Mann ihr das Kind seiner Verwandten brachte, wie sie den kleinen Schelm herzte und küßte und Gott dankte, daß er ihr diese Freude gewährt, wenn er sie doch nicht mit eigenen Kindern segnen wollte? Als nicht lange darauf nach bangem Harren Gott ihre Gebete erhört, und ihr Erstgeborner in ihrem Schooße spielte? als der alte Lord – denn er schien damals schon alt, obgleich er nicht älter war als ihr sonnegebräunter, rüstiger Gatte – das Kind über die Taufe hielt, und ein großes Fest im Schlosse anrichtete, dem Sohne seines alten Dieners und Freundes zu Ehren? und als dann einige Jahre später ihre Helene geboren wurde, und wie die Kinder fröhlich zusammen aufwuchsen; und wie die Leute nun nicht mehr zu sagen brauchten: die arme Frau, sie hat es sonst so gut! aber sie würde tauschen mit dem ärmsten Tagelöhnerweib, wenn sie nur einen rothhaarigen Buben hätte, wie die – ach! sie hätte nun nicht getauscht, mit keiner Königin der Welt! –

Und nun – von dieser wonnigen, athmenden, jubelnden Welt, von all' der Lieb und Lust – nichts übrig, als der stille Kirchhof, auf dem sie zwischen den Gräbern auf und abgewandelt, hier ein Blümchen aufrichtend, dort ein Unkraut ausgätend, und in den Namen auf den verwitterten Grabkreuzen lesend, wie in einem alten, vergilbten Stammbuch. –

Und doch hatte sie ja noch Herzen, die für sie schlugen; Augen, die liebevoll auf sie blickten, die sich erheiterten, wenn sie heiter, umwölkten, wenn sie sich dem Kummer ganz zu überlassen schien. Es war, als ob sie die Beiden betrachtete, wie der davon Ziehende vom Bord des Schiffs, das ihn zu fernen, fernen Ländern tragen soll, die am Ufer Zurückbleibenden. Die winken noch einmal mit den Tüchlein; sehen dem Verschwindenden noch eine Zeit lang nach, bis das Schiff aus dem stillen Hafenwasser in die Wellen draußen kommt und sich vor dem Winde neigt und ernstlich seinen Lauf beginnt – dann gehen sie Arm in Arm nach Hause, still; und wenn sie in die verlassenen Zimmer kommen, küssen sie sich und sprechen: wir müssen uns nun Alles in Allem sein, und uns recht lieb haben. –

Sie wollte den Zurückbleibenden die Abschiedsstunde leichter machen; sie hatte noch so Vieles für sie zu schaffen und zu ordnen, wozu Jene doch allein nicht im Stande gewesen wären – und ihr Herz, das schon so dumpf und leise schlug, und dann in stillen Nächten oft so wild pochte, und so schmerzlich zuckte, sagte ihr nur zu wohl, wie wenig Zeit ihr dazu bleibe.

Die alte Margareth sah Alles, hörte Alles, ob sie gleich weder zu sehen, noch zu hören schien; es war, als wenn sie noch mit anderen Ohren hörte, mit anderen Augen sah. Sie brachte Georg eine seltene Blume aus dem Walde, nach der er lange für seine Sammlung vergeblich gesucht – und er wußte doch ganz gewiß, er hatte Niemand etwas davon gesagt; – sie trat zu Helenens Bett, wenn sie Nachts noch still nebenan geschafft hatte, und fuhr ihr sanft mit der Hand über die schlaflosen Wimpern, und sagte: schlafe Kind, laß mich nur wachen! – und Helene hatte sich doch nicht geregt und die Thür war geschlossen gewesen! – Sie hatte der Mutter nichts von ihrem Kummer erzählt; sie sah, daß diese ihr Geheimniß wußte, aus jedem ihrer Worte, aus der liebevollen Zärtlichkeit, mit der sie sie trug und hegte, wie ein armes krankes Kind. – Auch nach diesem Abend fand keine weitere Erklärung zwischen Mutter und Tochter Statt; wozu bedurfte es auch derer; sie verstanden sich ohne Worte.

Georg war am Morgen ausgeritten gewesen. Als er nach Hause kam, traf er Helene im Garten. Sie ging auf ihn zu und reichte ihm die Hand.

»Verzeihen Sie mir, Georg,« sagte sie, »ich habe Sie nicht beleidigen wollen.«

Er nahm ihre Hand, und küßte sie – diesmal zog Helene sie nicht zurück – sagte aber kein Wort, sondern ging still an ihr vorüber auf sein Zimmer. –

Georg fühlte durch seine Leidenschaft hindurch tief das Unrecht, das er Helene gethan. Wenn sie von seiner Liebe nichts wußte, – und wie konnte er das verlangen? wußte er doch selbst, daß er liebe, erst seit gestern – was hatte sie denn gesagt? sicher nichts Schlimmers, als an jenem ersten Abend, wo er ihr den Sprung über den Graben erzählte, und wo sie beide noch gelacht hatten; – und wenn sie seine Liebe kannte, – o! so hatte er mehr gut zu machen, als sie; und er wohl ihre Verzeihung zu erbitten; und sie hatte Ursache zu klagen, daß sie sein Vertrauen nicht mehr habe. Sein Vertrauen? und konnte er ihr dies sagen? Es war ihm, als könne er eben so gut einen Mord begehen. Ach, es war ihm so viel klar geworden über Nacht, als er schlaflos dalag, als er wieder aufsprang und ruhelos auf und abschritt; – als er das Fenster öffnete, und die Arme verlangend ausstreckte, und den Kopf auf die Fensterbrüstung lehnte, und weinte, wie ein Kind. –

Jetzt war der Sturm, den sein Bote, das erste unheimlich-feine Pfeifen im Tauwerk, verkündet hatte, in all' seiner fürchterlichsten Wuth hereingebrochen und die stolzen Masten erzitterten vor dem Stoß und neigten sich, und die Raaen tauchten in's Meer, und die Wogen schäumten über das Deck. – Hätte er noch an seiner Leidenschaft für Lady Vere zweifeln können, so würde ihn seine Heftigkeit gegen Helene gestern aufgeklärt haben. Sie hatte Recht, so hatte er nie mit ihr gesprochen! Für weniger zarte und innige Verhältnisse würde dies nichts gewesen sein; für diese Beiden war das erste rauhe und bittere Wort ein gellender Mißklang in ihrer schönen Harmonie.

Georg war wie verwandelt seit jenem Abend. Das strömende Blut war geronnen, und er fühlte jetzt schaudernd, wie tief die Wunde war. Wenn er Lady Vere nicht geliebt hätte, bis zur Raserei, – er hätte sie hassen können, wie seine Todfeindin. Der Sturm biegt die Eiche; aber sie richtet sich wieder auf, und breitet die mächtigen Arme aus, als wollte sie den gewaltigen Feind erdrücken. Er kämpfte gegen seine Leidenschaft, wie sich ein junges Roß bäumt, seine Mähne sich sträubt, seine Nüstern sich erweitern im edlen Zorn, wie schaudernd vor Entsetzen, wenn es zum ersten Male die Sclavenpeitsche dulden soll, und den lenkenden Zaum. –

Sein wildes Wesen erschreckte selbst seine Arbeiter. Der sonst so freundliche Georg war rauh und herrisch; keine Arbeit ging ihm schnell genug; das leiseste Wort des Widerspruchs erzürnte ihn. Er nahm dem Einen die Axt aus der Hand, und trieb sie in den knorrigen Stamm, daß der feste Stiel zerbrach, und das Eisen auf den Boden klirrte.

Helene sah mit tiefem Schmerz, wie in diesem starken Körper das Fieber wüthete, wie es in seinem wilden Auge brannte.

Ach! sie konnte dem geliebten Kranken nicht helfen – und nur die Mutter blickte besonnen und ruhig, und sie beugte sich Nachts über ihre weinende Tochter, und streichelte ihr blondes Haar, und drückte ihr sanft die Augen zu und sagte: Schlafe Kind! laß mich nur wachen!


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