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XIV.

Der Zufall, welcher schon einige Male während ihrer kurzen Bekanntschaft die freundliche Rolle eines Vermittlers übernommen hatte, war es auch ohne Zweifel diesmal, der Lady Vere durch das Zimmer führte, gerade als Georg am nächsten Morgen eine seiner gewöhnlichen kurzen Unterredungen mit Lord Vere hatte

»Gut, daß ich Sie treffe, Herr Allen!« sagte die Dame. »Ich habe eine Bitte an Sie. Darf ich Sie hernach auf einige Augenblicke in der Bibliothek erwarten?«

Georg verbeugte sich. –

»Sie sind ja nun doch ein Naturforscher, Herr Allen,« fuhr der bekümmerte Lord nach dieser Unterbrechung fort. »Ist denn gar keine Aussicht, daß dieser abscheuliche Regen nächstens ein Ende nimmt? Er verdirbt uns ja unsere sämmtlichen Pläne. Die Wiesen und Felder am Fluß sind ja vor vierzehn Tagen nicht wieder betretbar, und die Herren können nicht jagen, auch wenn das Wetter wieder gut wird. Sie alle sehen mich an, als ob ich an dem ganzen Unglück Schuld sei.«

»Es kann sich Niemand ungeduldiger nach anderem Wetter sehnen, als ich, Mylord! Ich bin gestern nur noch zweimal mit dem Pferde gestürzt.«

»Sie sind herausgewesen in dieser Sündfluth?« rief Lord Vere mit Entsetzen.

»Es war nur zum Inspiciren;« sagte Georg ausweichend.

»Sie müssen sich schonen, Herr Allen,« sagte der gutmüthige kleine Herr, »und Ihre Pferde, die schönen Thiere! Reiten Sie auf der nächsten Jagd ein's von meinen Pferden. Der braunen Beß, sagt Herr Burn, ist keine Hecke zu hoch.« – –

Georg traf Lady Vere in der Bibliothek, allein.

»Also mit den Elementen muß man sich verbünden, um Ihrer einmal habhaft zu werden, Herr Allen!« sagte sie freundlich. »Daß Sie die Tage her nicht müßig waren, weiß ich sehr wohl von den Jägern, die sämmtlich auf Sie eifersüchtig sind, weil Sie es den Herren im Reiten zuvorthun. Aber was haben denn die Damen dem kühnen Ritter gethan, daß er ihre Gesellschaft so ganz verschmäht? – Sagen Sie mir, Herr Allen, habe ich Sie vielleicht unwissentlich beleidigt?«

Und bei diesen Worten senkte Lady Vere ihre Stimme zu jenem wunderbaren innigen, tiefen Ton, dessen Gewalt über Georg sie jetzt erfahren hatte; und sie schlug auf einen Augenblick die dunklen Wimpern nieder, um ihn dann groß und warm anzusehen mit einem Blicke, der ebensowohl sagen konnte: Sehen Sie, Herr Allen, es schmerzt mich so, Jemand beleidigt zu haben; als: Sieh, Georg, ich kann es nicht ertragen, daß Du Dich von mir entfernst.

Georg versicherte, nicht ohne einige Verwirrung, daß nur seine vielen Geschäfte ihn bis jetzt verhindert hätten, den Einladungen auf Schloß Vere Folge zu leisten.

»Die Antwort ist ein hübsches, leichtes Sommergewand, bei gutem Wetter angenehm zu tragen; aber für die Regentage taugt es nicht!« antwortete lächelnd Lady Vere »Doch zu meinem Anliegen, Herr Allen! Was werden Sie sagen, wenn ich selbst die schöne Ordnung, die Sie hier hergerichtet haben, freventlich zerstöre? Aber nur unter der einen Bedingung: daß Sie Ihre Erlaubniß dazu ertheilen; ja, nicht genug, daß Sie sich desselben Frevels mitschuldig machen.«

»Was meinen Sie, Mylady?«

»Darf ich es Ihnen sagen, Herr Allen? Wir wollen Comödie spielen, und dieser edle Saal soll die Bühne sein. Können Sie das verantworten? und wollen Sie uns helfen?«

»Sie haben ganz über mich zu befehlen, Mylady!«

»Nein, nicht so kalt, Herr Allen! sonst habe ich nicht den Muth, in meiner Beichte und Bitte fortzufahren. Sagen Sie zuerst, ob der Saal nicht wie für unsern Zweck geschaffen ist, und ob sich nicht Alles wie von selbst macht? Ja, ich gestehe, der Gedanke, spielen zu wollen, hat sich eher zu der Bühne, die schon da war, gefunden, als umgekehrt.«

Lady Vere hatte Recht: es bedurfte nur geringer Veränderung, um die Bibliothek zu einem Schauspielsaale umzuschaffen, dessen sich eine kleinere Provinzialstadt nicht hätte zu schämen brauchen. – Der weite Raum, der auch durch seine gewaltige Höhe imponirte, war augenscheinlich aus zwei Sälen entstanden, deren gemeinschaftliche Wand man durchbrochen hatte. Man hatte von ihr, um die hohe Decke zu stützen, auf beiden Seiten Mauerpfeiler stehen lassen, die jetzt einen natürlichen Rahmen für den Vorhang abgeben konnten. Ja, was der zweiten Hälfte des Saales, an dessen einer Wand, dem Haupteingange gegenüber, sich die Gallerie, an der anderen, nach dem Garten zu, die große Glasthür mit dem Balkon befanden, durchaus den Anschein einer Bühne gab, war der Umstand, daß hier der Fußboden um ein nicht unbedeutendes höher lag, als in der anderen Hälfte. In dieser, wo anstatt der Fensterthür vier kleinere Bogenfenster angebracht waren, standen die meisten Bücherschränke mit den Büsten, während die zweite für eine kleine Handbibliothek und die Familiengemälde reservirt war. Die Pfeiler der alten Mauer waren schon mit Bildern geschmückt; hier hing auf der einen Seite der verstorbene Lord, auf der anderen die schöne, blonde Dame, von der Lady Vere behauptet hatte, es sei keine Vere –

Georg billigte im Allgemeinen Lady Vere's Plan. Seine erzwungene Kälte wich bald seiner lebhaften Theilnahme, und er war nun im Anordnen und Verbessern so eifrig, wie die schöne Dame selbst, die in ihrer Ungeduld, ihre Einrichtungen gebilligt zu sehen, und Georg Alles zu zeigen, unwiderstehlich war.

»Und nun noch Eines!« sagte Lady Vere, als sie Alles durchsprochen hatten, ihre schöne Hand leicht auf den Arm ihres Begleiters legend; »ich habe Ihnen in ›viel Lärmen um Nichts‹, das unter diesen Händen sicherlich seinem Namen Ehre machen wird, keine Rolle zuertheilt, obgleich selbst unser Pastor fand, daß Sie der Einzige seien, der den Benedict spielen könne. Ich habe, wie ein kluger Feldherr, die schlechten Truppen zuerst ins Feuer geschickt, um die guten für den Hauptangriff zu schonen. – Wollen Sie den Romeo übernehmen, wenn ich mir rechte Mühe geben will, die Julia in der Gartenscene im zweiten Aufzuge gut zu spielen? Sie sehen, daß auch hier das Local wieder die Anregung gegeben hat. Verstehen Sie, nur diese eine Scene, denn für die anderen Rollen haben wir die Schauspieler nicht.«

Gedachte Lady Vere die vorhergehende Scene auf dem Balle doch auch vorher, wie es sich gehörte, vielleicht jetzt gleich, zu spielen, daß sie Georg mit diesem freundlichen Lächeln so bittend ansah? – Ach, die schöne Künstlerin vergaß im Interesse der Kunst ganz die stolze Lady! Was thut man nicht, um seine künstlerischen Absichten in's Werk zu setzen! Der Eifer einer Maria Theresia, die ihre Magyaren in einen Kampf auf Leben und Tod treibt, ist nicht größer, als der einer ehrgeizigen Schauspielerin, die ihre Lieblingsrolle auf die Bühne bringen will.

Georg zog die schöne Hand, die noch auf seinem Arm ruhte, an seine Lippen: »Sie haben ganz über mich zu befehlen, Mylady!« sagte er.

Diesmal brauchte sich die schöne Dame nicht über die Kälte seines Tons zu beschweren. Sie beschwerte sich auch nicht, sondern fuhr munter fort:

»Und nun, Herr Allen, da der Regen auf einige Stunden nachlassen zu wollen scheint, galoppiren Sie schnell nach Hause, und sein Sie zu Mittag wieder hier. Ich kann nicht zugeben, daß Sie bei diesen entsetzlichen Wegen – die Wiese im Walde muß ein See sein, Herr Allen – den halben Tag unterweges sind. Sie sehen, Sie sind bei schlechtem Wetter so gut unentbehrlich, wie bei gutem. Ich werde Befehl geben, Ihnen ein Zimmer anzuweisen, wie den übrigen Herren. Richten Sie sich so ein, daß Sie hier bleiben können, wenn es draußen stürmt und regnet, wie in der Nacht, als die böse Tochter den guten, alten Vater auf die Haide hinausstießen; oder besser, sein Sie ganz unser Gast für diese Tage, und lassen Sie draußen regnen, so viel es will – denn: der Regen, der regnet jeglichen Tag, – wie der Narr im Lear sagt.«


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