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Der Zug hatte sich eine lange Zeit ziemlich dicht zusammengehalten auf dem unbequemen und manchmal fast gefährlichen Wege, der sich erst an der rechten Seite des tiefen Einschnittes in das Gebirge hinzieht, welchen der Bach bildet, und den man die Bai von Montreux nennt; dann oberhalb Sonzier auf einer Brücke den Bach überschreitet, um nun an der linken Seite, sanftere Hänge empor, allmählich die Höhe des Vorgebirges von Glion zu gewinnen.
Hier auf ebenerem Plan durfte auch Benvenuto, den die Baronin unbarmherzig zu dem Kutscher, der freiwillig abgestiegen, vom Bocke herabkommandiert hatte, seinen Platz wieder einnehmen. Man konnte sogar stellenweise im Trab fahren. Arnold, der eine kurze Strecke neben seiner Frau geritten war, sprengte an dem Wagen vorüber und voraus, um, wie er den Damen zurief, das Kommen des Zuges, welches sich übrigens schon um eine Stunde verspätet hatte, im Hôtel Bellevue zu verkünden. Bob hatte sich zu Nanni gesellt, die er sehr blaß fand und gutmütig fragte: ob sie sich unwohl fühle, worauf Nanni mit verstörter Miene entgegnete: sie habe sich eben ein bißchen über ihren Mann geärgert; dann aber anfing zu lachen und sagte: es komme nichts darauf an – das habe zwischen Eheleuten nichts zu bedeuten. Uebrigens sehe auch Mr. Swift nichts weniger als behaglich aus; sei überhaupt gar nicht mehr der lustige und amüsante Gesellschafter der ersten Tage; er bringe nicht einmal einen Witz über Herrn Vogel fertig, der doch wahrhaftig heute den Leuten die Sache leicht genug gemacht habe.
Zu leicht, erwiderte Bob; und das ist eben meine Sache nicht. Ich liebe große, schwierige Probleme; liebe es, mich abzumühen an der Enträtselung geheimnisvoller Charaktere, wie zum Beispiel der Ihre ist, schöne Frau.
Nanni drohte ihm mit der Reitpeitsche.
Sie Spötter! rief sie; Sie denken, weil ich gerne lache, dürfen Sie mich über die Achsel ansehen! Ich will euch allen noch Rätsel zu raten geben, daß euch die Augen übergehen.
Mir gehen sie heute schon über, schöne Frau, denke ich daran, daß ich Sie morgen verlassen soll.
Morgen? rief Nanni, sich lebhaft im Sattel wendend; ich denke, Sie wollen am Mittwoch zusammen mit Lady Ballycastle und dem Brautpaare nach England?
Die Muse ist mir heute Nacht erschienen und hat dem Säumigen gewinkt – nach meinem Atelier auf der Via di – aber Sie kennen ja meine römische Adresse bereits.
Also nach Rom –
Wohin Sie mir ja demnächst folgen werden. Wir werden das Leben der Seligen führen, nur daß ein dunkler Schatten schon zum voraus in unser Paradies fällt. Gibt es ein far niente dolce ohne Benvenuto? Können Sie ihn denn nicht bestimmen, der vierte im Kleeblatt zu sein? Sie scheinen doch so gut mit ihm zu stehen!
Besser als Angela und mein Mann? fragte Nanni mit einem lauernden Blick.
Stehen die gut miteinander? sagte Bob, nach einer Bremse auf dem Halse seines Pferdes schlagend.
Das hätten Sie nicht bemerkt? Sie, der beste Freund des Herrn Kapitäns?
Keine Idee! sagte Bob, sich der Bremse erwehrend, die jetzt um seinen Kopf summte; – eher das Gegenteil – es sind ja auch so verschiedene Charaktere – so! Du stichst keinen wieder! – grundverschieden.
Wirklich? sagte Nanni höhnisch.
Wie Feuer und Wasser, ich versichere Sie. Sie müssen wissen: Psychologie ist meine Force. Und so behaupte ich, daß der wackere Benvenuto, den ich furchtbar gern habe, wenn ich ihn auch manchmal ein bißchen necke, und Sie, schöne Frau, wie für einander geschaffen sind.
Nun, Gott, ja, sagte Nanni, halb ärgerlich über Bob's Stupidität und halb geschmeichelt durch das Lob ihres Geliebten, gerade aus seinem Munde. Ich gebe zu, daß er auch mir ein wenig fehlen wird. Er ist so ein guter, herziger Kerl. Aber eigensinnig! Er will durchaus nach Berlin; er könne nicht anders, sagt er.
Aber ich denke, er ist ein reicher Mann.
Das nun nicht; indessen, ich glaube, er verdient viel Geld – so sagt er wenigstens.
Ich zweifle nicht daran. Er hatte schon während seines kurzen Aufenthaltes in Rom einen ungeheuren Zulauf; ich kalkuliere, daß fünfzig Prozent der guten und schlechten Witze, die über ihn gerissen wurden, auf Neid zurückzuführen waren. Und er ist ja auch wirklich ein überaus begabter Mensch mit einer fabelhaft leichten Hand – der wahre Fa presto!
Was heißt das? fragte Nanni eifrig.
Schnellmacher, schöne Frau; – ich meine das nicht im schlechten Sinne; denn, wie schnell er auch alles macht, es hat alles Hand und Fuß, ob er nun Historie oder Landschaft, Genre oder Porträt oder Still-Leben, in Oel, Wachsfarben oder Aquarell malt – ihm fließt's nur so aus dem Pinsel, nicht sehr voll und sehr tief – ich gebe es zu; aber wer fragt danach heutzutage!
Bob hatte, wie immer, wenn die Rede auf seine Kunst kam, ernsthaft, ja diesmal um so ernsthafter und wärmer gesprochen, als er dem ihm so fatalen, von ihm so viel verhöhnten Kollegen die Genugthuung schuldig zu sein glaubte, ihn anzuerkennen, wo er Anerkennung verdiente. Nanni ihrerseits hatte mit einer Aufmerksamkeit gelauscht, die sie Kunstgesprächen sonst nicht zuzuwenden pflegte. Jetzt glitt ein schlauer, prüfender Blick unter den halbgesenkten Lidern zu ihrem Begleiter hinüber:
Halten Sie ihn für bedeutender als meinen Mann?
Bobs Augenbrauen zogen sich zusammen; es dauerte ein Weilchen, bis die Antwort kam:
Was das wirkliche Talent betrifft, ich meine das eingeborene, malerische Genie, so steht er so tief unter Ihrem Manne, wie wir hier unter dem Gipfel der Dent de Jaman; – und Bob deutete mit dem Stiele seiner Peitsche auf den Riesenfelsen, der links von ihnen über die Matten des Plateaus schroff und kahl in den blauen Himmel ragte; – und selbst in der Mache, der virtuosen Technik, wäre ihm Mr. Moor überlegen, wenn – er wollte. Warum er nicht will – ich weiß es nicht; ist sozusagen auch nicht mein Metier, darüber nachzugrübeln; aber wie die Sachen liegen, wird der fleißige Hasenfuß den trägen Löwen in dem Wettlauf nach Geld und Anerkennung der Menge – Ruhm, wenn Sie wollen – um tausend Pferdelängen schlagen. – Reiten wir ein wenig zu! Der Wagen ist schon bei den ersten Häusern; auf das edle Paar hinter uns brauchen wir nicht zu warten. Ich sehe sie gar nicht mehr. Well! Liebesleute, tête-à-tête – private and confidential – the devil shall –
Der durch die weißen Zähne gemurmelte Fluch schien dem Braunen zu gelten, den er wütend mit den langen Beinen bearbeitete, bis sich derselbe zu einem lässigen Trab bequemte.
Nanni folgte, laut lachend über Bobs komischen Zorn, und machte dann hinter seinem Rücken eine sehr ernsthafte Miene. Ja, für einen Moment hielt sie ihr Pferd an und warf einen prüfenden Blick rückwärts. Wenn sie die Letzte gewesen wäre! aber sie hätte an Angela und dem Kapitän vorbei gemußt – und ohne Benvenuto, der jedenfalls nicht den Mut haben würde – nein! es war unmöglich! so ging es nicht! man mußte eine bessere Gelegenheit abpassen – im schlimmsten Falle –
Nun, Missis Moor? rief Bob; sich im Sattel wendend.
Es will nicht mehr; sagte Nanni, ihr Pferd antreibend.
Die Entfernung zwischen ihnen und dem Brautpaar war nicht so groß, wie Bob gemeint. Es hatte sich nur eine langgestreckte Matte des hügeligen Plateaus dazwischen geschoben; aber Edward war sehr froh gewesen, als er den Zug vor sich verschwinden sah. Er freute sich des Alleinseins mit der Geliebten und sagte es ihr mit einem bei ihm ganz ungewöhnlichen Freimute, und ob sie nicht noch langsamer reiten wollten, das ihm unverhoffte Glück ein paar Minuten zu verlängern? In der heitersten Stimmung machte er ihr nun zärtliche Vorwürfe über ihre Unvorsichtigkeit, sich mit einem Tiere, dessen feuriges Temperament sie doch mittlerweile kennen gelernt haben müsse, so nahe an die Bahn zu wagen; freilich, die Kunst des Reitens sei eine, von der selbst ein alter Kavallerie-Offizier, wie er, nicht behaupten könne, daß er hinter alle Geheimnisse gekommen. Aber ganz glücklich mache es ihn, daß Angela seine einzige große Leidenschaft für die edlen Pferde teile. Sie wollten den Sport, der gerade in ihrem Teile Irlands früher im höchsten Schwange gewesen und jetzt so gut wie eingeschlafen sei, wieder auffrischen und die alten berühmten Rennen von Ballycastle von neuem ins Leben rufen.
Und so dein Leben hindurch von Pferden dich unterhalten zu müssen! sprach Angela bei sich.
Es war das Ende einer langen Reihe peinlich wirrer Gedanken, die inzwischen durch ihre Seele gezogen waren, Sandwolken gleich, welche der Sturm vor sich her über die lechzende Wüste treibt. Als sie von jener verhängnisvollen Stelle an der Eisenbahn wegsprengte, war ihr Herz ganz erfüllt gewesen mit unheimlicher Freude des Sieges, den sie über Arnold und über sich selbst davongetragen. Auf Edward, der so im gelegensten Augenblicke auf dem Plane erschien, fiel ein düsterer Strahl dieser Freude. Sie hatte zum erstenmale die Empfindung gehabt, daß sie mit dem schönen, ritterlichen Manne leben, vielleicht ihn einmal lieben könne. Ja, einen Moment war ihr der Wunsch gekommen, ihm alles zu sagen: daß sie Arnold geliebt, daß sie bis dahin, was sie gethan, aus Liebe zu Arnold gethan, und daß sie diese Liebe mit der Wurzel aus dem Herzen gerissen und fortan mit freier, reiner Seele ihren neuen Pflichten leben wolle. Was auf dieses sonderbare Bekenntnis folgte? Würde der gutmütige Riese zu einem rasenden werden? Würde ein erster Kuß, den sie ihm noch nie gewährt und den seine innigen Blicke schon so oft still von ihr erfleht hatten, den Rasenden wieder zu ihren Füßen zwingen, trunken von Glück und Seligkeit? Gleichviel – es war unmöglich! Wie wenn ein Elender aus der Burg schleicht, dem Feinde den geheimen Zugang zu verraten – und der Feind stürmt herein und dringt in das Allerheiligste, zerreißt den Vorhang, wirft das Götterbild in den Staub und tritt es unter die plumpen Siegerfüße – nie durfte sie es thun, nie! – es komme daraus, was wolle!
Und nun wurde ihr der stattliche Mann an ihrer Seite, der den gewaltigen Rappen mit so sicherer, starker Hand lenkte, – zu dem Barbarenkönig, welcher über den Hellenen, der das Parthenon erschuf und die Athene, triumphiert, nur, weil er sein Gold und seine rohe Kraft klug zusammenhielt, die der andere in genialer Maßlosigkeit vergeudete.
Edward hatte in seiner Heiterkeit anfänglich nicht bemerkt, wie sie von Minute zu Minute einsilbiger geworden war. Endlich fiel ihm doch auf, daß er so lange das Wort allein gehabt. Er wendete sich zu ihr und sagte lächelnd:
Sie sind so schweigsam, Teuerste; woran denken Sie?
Ich denke daran, erwiderte Angela, ob wohl glänzende Schauspiele das sind, was Irland not thut.
Sie meinen, Brot wäre besser; aber dergleichen Schauspiele bringen auch Geld, das ist: Brot unter die Leute. Ein Tropfen auf einen glühenden Stein! Er zuckte die breiten Schultern. Was ist da zu thun? Der Einzelne, ich meine von uns Gutsherren, kann nichts, als in seinem kleinen Kreise möglichst nach dem Rechten sehen. Und das wollen wir beide gemeinschaftlich; und ich darf sagen, die Situation in Ballycastle, die mir sonst eher unbehaglich deuchte, erscheint mir jetzt beneidenswert.
Ich fürchte nur, unsere Ansichten werden oft weit auseinander gehen; ich habe sehr radikale politische Tendenzen.
Aus Mr. Wicklows Schule; ich weiß. Aber was sich für den Priester – den katholischen Priester, Teuerste! – wohl schickt, das würde für einen protestantischen Landedelmann manchmal recht unschicklich und meistens einfach unmöglich sein.
Ist es der Landedelmann oder der Protestant, der dem irischen Patrioten hinderlich ist?
Beide, wenn sie sich, wie bei mir, in einer Person vereinen; freilich, hauptsächlich ist es wohl der Protestant, der die Mischung verdirbt.
So werden Sie das schlimme Ingrediens durch ein besseres, sich leichter mischendes ersetzen müssen.
Edward stutzte, dann schüttelte er lächelnd den Kopf und sagte:
Sie scherzen; indessen es ist gut, daß wir darauf zu sprechen kommen; es schwebt mir schon seit ein paar Tagen auf der Zunge. Sie stehen jetzt, Gott sei Dank, mit meiner Mutter so gut, haben Ihren alten Einfluß auf sie, wie zu erwarten war, vollständig zurückerobert. Nun müssen Sie diesen Einfluß geltend machen nach einer Seite, von der mir eine ernstliche Gefahr zu drohen scheint. Ich meine nicht die Wohlthätigkeitslaune, der sie jetzt verfallen ist. Das ist ein wenig kostbar, aber es kommt hin und wieder wirklich anderen zu gute; überdies: es ist ja nicht von Dauer. Aber in dem exaltierten Zustande, in welchem sie sich befindet, könnte sie im Ernst den Schritt thun, den Sie mir im Scherz zumuten, und das wäre mir entsetzlich. Ich ehre den Katholizismus, dem mein theurer Lehrer und mein liebster Freund angehören; aber ich hasse das Proselytentum – ganz abgesehen von anderen Unzuträglichkeiten, die ein Religionswechsel für mich – für uns, will ich sagen, herbeiführen würde.
Edward hatte es bei aller Freundlichkeit doch in einem Tone gesagt, aus dem Angela, hätte sie es nicht schon sonst gewußt, heraushören mußte, wie wichtig für ihn die Frage war. Das Blut drängte sich ihr zum Herzen; hier war ein entscheidender Punkt. Fanden ihre Ideen in seiner Seele, wenn nicht sofort eine tiefe sympathische Resonanz, so doch Teilnahme und Verständnis, so mochte, selbst jetzt, noch alles gut – so werden, wie er wünschte. Sie nahm ihr Pferd, das sie eben in ihrer wilden Ungeduld zum Trab angetrieben, wieder in Schritt und sagte nach einer kleinen Pause, sehr deutlich und bedächtig sprechend:
Es thut mir leid, aber ich kann die Kommission nicht übernehmen, aus zwei Gründen: einmal ist das gute Verhältnis, in welchem ich zu Lady Ballycastle stehen soll, eine Schimäre; sie schmeichelt mir heute, um mich morgen die Löwenkrallen fühlen zu lassen. Bereiten Sie sich darauf vor, wie ich darauf gefaßt bin. Und was den Religionswechsel betrifft, von dem ich weiß, daß Lady Ballycastle ihn allen Ernstes intendiert, so ist das bei ihr ja freilich nur ein falsches Spiel, durch welches sie ihrem Sohne und Nachfolger und jetzigen Mitregenten vor seinen katholischen Pächtern und Hintersassen und in den Augen von ganz Irland den Rang abgewinnen will; aber gerade deshalb wiederhole ich: Kommen Sie womöglich Ihrer Mutter zuvor, thun Sie wenigstens gleichzeitig mit ihr den Schritt, den ersten und, ich glaube wohl, für Sie den schwersten auf einer Bahn großartiger Wirksamkeit!
Das schöne Gesicht Edwards, das eben noch so heiter gelächelt, war, je länger Angela sprach, immer ernster und nachdenklicher geworden und hatte zuletzt den Ausdruck völliger Bestürzung angenommen.
Für mich schwersten? sagte er stockend; für Sie denn nicht?
Ich kann ihn überhaupt nicht mitmachen, oder doch nur zum Scheine: ich habe keine Religion.
Sie haben –
Keine Religion, was Sie irgend so nennen würden. Oder würden Sie die Kunst eine Religion, Kunstbegeisterung eine religiöse Empfindung nennen? Und auch die hatte ich früher nur, jetzt nicht mehr. Jetzt hasse ich die Kunst. Sie trägt uns durch alle Himmel, aber reißt uns mitleidslos den festen Boden der Erde unter den Füßen weg; macht uns zu Leibeigenen unsrer eignen Leidenschaften, ohne die wir doch nichts schaffen können; zu elenden Hörigen der Menge, deren Gunst wir in einem Atem verachten und doch als das Labsal empfinden, ohne das wir rettungslos verschmachten würden. Und darum hat kein edler Grieche oder Römer der guten Zeit sich je zu einem Künstler hergegeben, wie gern er sich auch etwa in einer seltenen Stunde, die er den Staatsgeschäften abmüßigen konnte, von seinen Sklaven vormusizieren, deklamieren oder tanzen ließ. Als die Edlen selbst anfingen, Sklavenkünste zu üben, war es mit der antiken Größe und Freiheit vorbei. Und da hilft kein glänzendes Genie und keine bestrickende Anmut und keine feurige Beredsamkeit – vorbei und dahin! Vorbei und dahin!
Sie hatte die letzten Worte gerufen in bangen, klagenden Tönen, die seltsam laut erklangen in der tiefen Stille, die sie umgab. Edward hatte auch kaum mehr als den Ton gehört, aber die Worte nicht verstanden oder doch nicht auf den Sinn geachtet. Sie hatte die Zügel auf den Hals des Pferdes gleiten lassen, während sie zugleich die Arme halb erhob. Er mochte sie nicht auf die Unvorsichtigkeit aufmerksam machen und hatte nur den Rappen dicht herangeführt, um bei der ersten rascheren Bewegung ihres Pferdes zur Hand zu sein.
Aber da griff sie bereits wieder selbst nach den Zügeln, rückte sich im Sattel, und jetzt klang es fest und herb von ihren Lippen:
Es ist ihr Schicksal. Wehe dem Besiegten! Heil dem Sieger! – und wenn es ein Brennus wäre, der nichts hat, um die Schale des Glückes zu seinen Gunsten zu neigen, als sein gutes Schwert. Er soll herrschen, weil er sich selbst beherrschen konnte, über die, die es nicht konnten; herrschen über all die musizierenden, malenden, tanzenden Sklaven, herrschen auch über uns Weiber! Jede Kreatur ist sich die Welt – und ist eine Welt; das Weib zumal, das kreatürlichste Geschöpf, nur daß sie leider nicht mehr ganz so naiv singt wie die Vögel unter dem Himmel, und blüht wie die Lilien auf dem Felde, und weiß oder doch ahnt, wie es um ihre erträumte, heiß ersehnte Allmacht steht. So sucht sie sich wenigstens die Illusion derselben zu verschaffen dadurch, daß sie einem die ganze Welt ist, der dafür auch wieder ihre ganze Welt sein soll, und dem sie für diese eine Illusion alle ihre anderen Illusionen, und wären sie noch so glänzend, ihre Träume, und wären sie noch so süß, ihre stolze Unschuld, ihre hohe Hoffnung, ihren festen Glauben, ihre innigsten Ueberzeugungen – alles, alles hinzugeben bereit ist, hingibt – unter einer Bedingung, daß er kein bloßer gefälliger Spiegel des Glanzbildes ist, als welches sie sich sehen will. Ist er weiter nichts – und wie schnell findet sie das heraus! –dann wehe ihm! In zwei Spiegeln spiegelt sich's besser, noch besser in hundert – sie kann davon nicht genug haben, und – die Kokette ist fertig, die Unverstandene – unverstanden von ihm, welcher nicht begreift, daß sie sich nur dem Manne wahrhaft eignen kann, der alle übrigen Männer zu seinen, das heißt zu ihren Füßen zwingt.
Vorhin hatte er in der Sorge um sie nur halb, jetzt hatte er aufmerksam zugehört und die Worte wohl vernommen; der Sinn war ihm unklar geblieben. Das beunruhigte ihn ein wenig, aber erschreckte ihn nicht. Er war schon daran gewöhnt, sie nicht immer ganz, manchmal gar nicht zu verstehen; und dann war ihm stets dasselbe Bild der Jagd auf Gazellen gekommen, die er einst am Kap mitgemacht; und wie er da bestürzt war, als der losgelassene Falke, in den Aether steigend, seinen Blicken entschwand, und er, als ein Neuling, den Falken verloren glaubte und die Jagd aufgeben wollte, bis ihn die erfahreneren Jäger belehrten, daß sie nur die Richtung aufzunehmen brauchten, in der die Gazellen davongeeilt, und dann sicher sein könnten, den Falken mit der erlegten Beute wiederzufinden. Er hatte das Bild nie auszusprechen gewagt, weil er sich eingeredet, daß ihm alle Vergleiche mißglückten, und so scheute er sich auch jetzt, es zu thun, obgleich er sonst nichts zu erwidern fand und nun gänzlich schweigen mußte.
Sie ihrerseits, in dem Wirbel und Halbwahnsinn ihrer verstörten Seele, beantwortete sein Schweigen innerlich mit einem hohnvollen Lachen. Ein Wort Achims von Arnim aus der »Gräfin Dolores« kam ihr in den Sinn: »Die schlimmste Scheidung ist die Scheidung der Gedanken«; und sie sagte bei sich: nein, es gibt noch eine schlimmere: die der Gedanken und der Gedankenlosigkeit. Und nun, da sie Arnold aufgeben wollte, aber diesem hier nicht preisgeben konnte, und die Unmöglichkeit davon tiefer fühlte als je, ergriff sie ein tolles Verlangen, hier und jetzt einen Konflikt heraufzuzwingen, der zum Bruch führte – wie ein Strom, der, von der eine» Seite zurückgedrängt, sich mit rasendem Ungestüm auf die entgegengesetzte wirft. Sie fuhr in einem Tone fort, der die innere Erregung nicht länger verschleierte.
In Ihrer Mutter muß ein Etwas leben, das, wenn es sich zu einem Gedanken zusammenfassen könnte, derselbe sein würde, den ich ausgesprochen. Nun, da ihr überreicher Geist nie zum logischen Denken geschult wurde, kann sie sich es nicht zum Bewußtsein und es nicht zum Ausdruck bringen, und so gährt es und wühlt es und arbeitet es in ihr, und sie glaubt mich zu hassen, während ich doch die einzige bin, die sie versteht und mit ihr fühlt und mit ihr trauert, daß sie nie den Mann fand, zu dem sie emporblicken durfte, der ihre großen Entwürfe und Pläne in Wirklichkeiten umzuschaffen vermochte – nicht in ihrem Gatten, der nur immer gierig nach Vermehrung des Besitzes trachtete, und jetzt wieder nicht in ihrem Sohne, der nichts will, als den Besitz in thatloser Ruhe genießen, anstatt zu thun, wozu ihn eben gerade dieser sein Besitz antreiben sollte.
Er war sehr ernst geworden, aber sein Auge blickte noch immer ruhig, und so klang auch seine Stimme, als er nach einer kleinen Pause erwiderte:
Und was verstehen Sie darunter, teuerste Angela? Sprechen Sie es klar aus!
Kann man es klarer aussprechen, rief sie heftig: daß Sie in der großen Sache Ihres unglücklichen Landes die Führerrolle übernehmen sollen, die Ihnen gebührt!
Dann würde ich genau das thun, erwiderte er eben so ruhig wie vorhin, was mich in kürzester Frist gerade in Ihren Augen verächtlich machen würde, denn gerade Sie am wenigsten würden Ihrem Gatten verzeihen, daß er eine Rolle – um bei dem Ausdrucke zu bleiben – übernimmt, der er nicht gewachsen ist. Ich sage: Ihrem Gatten, Teuerste; denn als solchen betrachte ich mich, nachdem Sie mir Ihr Wort–sicher nicht in einer flüchtigen Wallung, nicht aus einer Kaprice, deren Sie unfähig sind, sondern nach reiflichem Nachdenken, in voller Ueberzeugung gegeben – in der Ueberzeugung auch, daß ich nicht der Mann bin, vor einer Phantasie Ihres reichen Geistes kindisch zu erschrecken, im Gegenteile, mich daran zu erfreuen, als an einem mir vielleicht manchmal Unbegreiflichen, immer aber Großen und Herrlichen, in das ich mich hineinzudenken und hineinzuleben versuchen will, wie Sie sich freundlich gewöhnen werden an meine stille und doch wohl nicht ganz verächtliche Weise, das Leben zu nehmen.
Es ist vergebens, murmelte Angela und hieb ihren Renner über die Schulter.
Ich wollte Sie eben bitten, sagte er, der nun ebenfalls den Rappen angetrieben hatte; und dann, als er sah, daß sie ihrem Tiere völlig die Zügel schießen ließ: Ach, es ist so gemeint? Ein richtiges Rennen! Gut! Und wer zuerst vor der Thür des Hotels hält, soll recht gehabt haben. Gilt's?
Sie antwortete nicht und jagte weiter. Es waren vielleicht noch achthundert Schritt den sanft ansteigenden Wiesenplan hinauf, dessen Höhe das Hotel krönte. Ihr Pferd war das flüchtigere, und so blieb er anfangs zurück; aber, ein vollendeter Reiter, wußte er nicht nur die mächtige Kraft seines Rappen völlig auszunützen, sondern auch jeden Vorteil des Terrains wahrzunehmen; so kam er näher und näher, war jetzt an ihrer Seite, jetzt eine Pferdelänge vor. Der Sieg schien ihm gewiß; es galt nur noch, die hohe Hecke zu umreiten, die, vom Giebel des Hotelgebäudes auslaufend, den Hof nach dieser Seite umgab, und durch welche, etwas rechts ab, der durch schlanke Steinpilaster bezeichnete Eingang führte. Edward lenkte nach diesem Eingange, lachend sich im Sattel wendend.
Sie lachen zu früh! rief sie ihm zornglühend zu.
Mit aller Macht trieb sie ihren Renner gerade gegen die Hecke; das edle Tier, seine letzte Kraft aufbietend, setzte im gewaltigem Sprunge hinüber, und so hielt sie, als Edward durch das Thor jagte, bereits vor der Rampe des Hotels, wo die Gesellschaft noch versammelt war, und von ihrem erhöhten Standpunkte aus mit Spannung dem improvisierten Rennen zugeschaut hatte.
Edward parierte sein Pferd, schwang sich aus dem Sattel und eilte zu Angela, ihr herabzuhelfen. Aber Bob war ihm zuvorgekommen, und Angela stand bereits neben ihrem schaumbenetzten, mit fliegenden Weichen und gesenktem Kopfe aus weit geöffneten Nüstern schnaubenden Tiere.
Bei Gott, Teuerste! rief er, das war kapital! das machen Ihnen nicht zehn Damen in England nach! – und mit dem abgetriebenen Gaul dazu! War's nicht glorios, alter Junge, wie?
Seine Wangen glühten, seine Blicke hingen, leuchtend vor Stolz und Entzücken, an dem geliebten Mädchen, während er dem Freunde kräftig auf die Schultern schlug.
Glorios! sagte Bob, sah in meinem Leben keine Hecke besser nehmen, hätte noch hundert Fuß höher sein können. Und so Miß Angela, überreiche ich Ihnen denn im Namen des Komitees, den Siegespreis.
Was ist das? fragte Angela.
Ein Taschentuch. Ich bin glücklich, es der schönen Eigentümerin zurückgeben zu können.
Ich habe keines verloren, sagte Angela, auf ihr Tuch blickend, mit dem sie sich eben die erhitzte Stirne gekühlt hatte, und das sie noch in der Hand hielt.
Es wird Mrs. Moor gehören, sagte Edward.
Zeigen Sie! rief Nanni, die mit den andern herangetreten war.
Geben Sie mal her! sagte die Baronin.
Bob überreichte das Tuch, mit einer Verbeugung gegen die jüngere, der älteren Dame, welche es entfaltete und auf Armeslänge von sich hielt.
Natürlich ist es Ihr Tuch, Angela! rief sie; eines von dem schönen seinen Dutzend, das Sie noch von Ihrer Großmutter haben – mit Ihrem Wappen in der Ecke. Sie sagten, Sie hätten es an dem Abend in Clarens verloren–auf der Chaussee zwischen Clarens und Montreux – erinnern Sie sich wohl!
Angela, welche kaum noch auf den kleinen Zwischenfall und das Gespräch geachtet, hatte sich von den Moor'schen Kindern, für die sie in ihrem blausamtenen Reithabit mit dem niedrigen, umschleierten Herrenhut mehr als je ein Fabelwesen und eine Gottheit war, bei den Worten der Baronin rasch umgewendet.
Dann ist es jedenfalls nicht dasselbe, sagte Bob, immerfort Angela und nicht die Baronin ansehend; denn dieses hier habe ich auf unserem heutigen Wege zwischen Baugy und Chatelard in einer Schlucht gefunden, die unser Zug eben passiert hatte; Miß Angela und Mr. Moor waren die Letzten gewesen, natürlich außer mir, der ich als treuer Schildknappe und ehrlicher Finder von Skizzenbüchern, Taschentüchern und anderen kleinen leicht verloren gehenden Dingen hinterher trabte.
Bobs und Angelas Blicke waren sich längst begegnet; Angela hatte jede Anspielung verstanden und auch, weshalb er ihr das Tuch in Gegenwart der ganzen Gesellschaft gab, von der niemand, auch Arnold nicht, eine Ahnung davon hatte, wie es sich in Wirklichkeit mit dem Tuche verhielt. Es war eine Warnung, die Warnung eines Freundes, der mehr sagen konnte, wenn er wollte, aber nichts gesagt hatte und – nichts sagen würde, wenn sie die Lektion begriff und befolgte, die er ihr eben erteilt.
Aber in ihrer bis zum Wahnsinn überreizten Stimmung fühlte sie nicht mehr die zarte Schonung des treuen Mannes, in dessen klugen Augen, wie er ihr jetzt das Tuch reichte, tiefe Sorge und herzliche Bitte zugleich so deutlich geschrieben standen; oder sie empfand doch alles nur als einen Zwang, den man auf sie üben wollte, und es war nicht Dankbarkeit, sondern wilder Trotz und grimmiger Zorn, was in ihrem heißen Herzen aufwallte und aus ihren Augen blitzte, als sie mit einem kurzen: »Ich danke Ihnen« das Tuch entgegennahm und sich wendete.
Sie will nicht hören, sprach Bob traurig bei sich, sie wird sich darüber wegsetzen, wie sie über die Hecke setzte. Und dann? Unglückliches Mädchen! Armer Edward! Guter Gott, wie soll das enden!